bauphysiktagung 2008

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Ingenieurbaukunst
Dies ist eine Veröffentlichung des
Der Fachbereich Ingenieurbaukunst umfasst die dem konstruktiven
Ingenieurbau nahe stehenden Institute für Baustatik, Betonbau, Stahlbau
& Flächentragwerke, Holzbau & Holztechnologie, Materialprüfung &
Baustofftechnologie, Baubetrieb & Bauwirtschaft, Hochbau & Bauphysik,
Bauinformatik und Baumechanik der Fakultät für
Bauingenieurwissenschaften an der Technischen Universität Graz.
Dem Fachbereich Ingenieurbaukunst ist das Bautechnikzentrum (BTZ)
zugeordnet, welches als gemeinsame hochmoderne Laboreinrichtung zur
Durchführung der experimentellen Forschung aller beteiligten Institute
dient. Es umfasst die Laboreinheiten für konstruktiven Ingenieurbau,
Bauphysik, Baustofftechnologie und Holzbau & Holztechnolgie (Lignum
Test Center).
Der Fachbereich Ingenieurbaukunst kooperiert im gemeinsamen
Forschungsschwerpunkt „Advanced Construction Technology“.
Dieser Forschungsschwerpunkt umfasst sowohl Grundlagen- als auch
praxisorientierte Forschungs- und Entwicklungsprogramme.
Weitere Forschungs- und Entwicklungskooperationen bestehen mit anderen
Instituten der Fakultät, insbesondere mit der Gruppe Geotechnik, sowie
nationalen und internationalen Partnern aus Wissenschaft und Wirtschaft.
Die Lehrinhalte des Fachbereichs Ingenieurbaukunst sind aufeinander
abgestimmt. Aus gemeinsam betreuten Projektarbeiten und gemeinsamen
Prüfungen innerhalb der Fachmodule können alle Beteiligten einen
optimalen Nutzen ziehen.
bauphysiktagung 2008
FACHBEREICHS INGENIEURBAUKUNST (IBK) AN DER TU GRAZ
bauphysiktagung 2008
new dimensions!
V-8-01/2008
Durch den gemeinsamen, einheitlichen Auftritt in der Öffentlichkeit
präsentiert sich der Fachbereich Ingenieurbaukunst als moderne
Lehr- und Forschungsgemeinschaft, welche die Ziele und Visionen der
TU Graz umsetzt.
Peter Kautsch (Hrsg.)
Institut für Hochbau und Bauphysik
Nummerierungssystematik der Schriftenreihe:
S – Skripten, Vorlesungsunterlagen | F – Forschungsberichte
V – Vorträge, Tagungen | D – Diplomarbeiten
Fortlaufende Nummer pro Reihe und Institut / Jahreszahl
ISBN 978-3-85125-026-8
V-8-01/2008
Institutskennzahl
1 – Baumechanik | 2 – Baustatik | 3 – Betonbau
4 – Holzbau & Holztechnologie | 5 – Stahlbau & Flächentragwerke
6 – Materialprüfung & Baustofftechnologie | 7 – Baubetrieb & Bauwirtschaft
8 – Hochbau & Bauphysik | 9 – Bauinformatik
Forschungsberichte | Diplomarbeiten | Skripten | Vorträge/Tagungen
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek:
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische
Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
Tagungsband zur Bauphysiktagung 2008
am 19. November 2008 an der Technischen Universität Graz / Österreich
Hrsg.:
Univ.-Prof. DDr. Peter Kautsch
Institut für Hochbau und Bauphysik
Technische Universität Graz
www.ihb.tugraz.at
Konzeption: Dipl.-Ing. Herwig Hengsberger
Design: Heiko Tischler, Jakob Waldhör
Druck: styriaPrintshop / Büroservice der TU Graz
Verlag der Technischen Universität Graz
www.ub.tugraz.at/Verlag
ISBN 978-3-85125-026-8
Vorwort
Sehr geehrte Tagungsteilnehmerin!
Sehr geehrter Tagungsteilnehmer!
Mit Freude darf ich Sie zur mittlerweile fünften Bauphysiktagung an der TU Graz
begrüßen. Diesmal verbunden mit einem interessanten Rundgang durch unser
Labor für Bauphysik und gefolgt von der Präsentation der neuen Wege und Ziele
unseres erweiterten Instituts für Hochbau und Bauphysik. Bedingt nicht zuletzt
durch EU-weite Zielvorgaben bilden Energieoptimierung und -effizienz einen
aktuellen und spannenden Themenschwerpunkt. Bei unseren Bauphysiktagungen
wird stets auch der Architektur ein bedeutender Stellenwert eingeräumt und
verspricht „Beyond the Blue“ interessante Einblicke in die Kraft der Vision.
Schließlich runden neue Trends bis hin zur Robotik im Bauwesen und innovative
Forschungsthemen die Bauphysiktagung 2008 ab.
Dazu wünsche ich Ihnen spannende Vorträge, interessante Pausengespräche und
Gewinn bringende Information von unseren Sponsoren.
Peter Kautsch
Programm und Inhaltsverzeichnis
11:30 Uhr
Begrüßung durch den Rektor der TU Graz
O.Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr.techn. Hans Sünkel
1
Neue Wege und Ziele des Instituts für Hochbau
und Bauphysik
Univ.-Prof. DDr. Peter Kautsch, TU Graz
5
12:30 Uhr Mittagsbuffet / Industrieausstellung
2
14:00 Uhr
ClimaDesign – ganzheitliche Planungsstrategien
für energie- und raumklimaoptimierte Gebäude
Dr.-Ing. Michael de Saldanha, TU München
21
3
Beyond the Blue
HR Dipl.-Ing. Dr.techn. Wolfdieter Dreibholz
Coop Himmelb(l)au, Wien
31
4
Energieoptimiertes Bauen und Sanieren Simulationswerkzeuge und Anwendungsbeispiele
Univ.-Prof. Dr.-Ing. John Grunewald, TU Dresden
35
15:30 Uhr Kaffeepause / Industrieausstellung
5
16:15 Uhr
Innovationen in der Bauphysik
Univ.-Prof. Dr.-Ing. Dipl.-Phys. Klaus Sedlbauer
Universität Stuttgart & Fraunhofer-Institut für Bauphysik
49
6
Energieeffizienz für Gebäude –
Umsetzung der EU-Richtlinie erfolgt?
Dipl.-Ing. Wolfgang Jilek
Energiebeauftragter des Landes Steiermark
59
7
Robotik im Bauwesen
Univ.-Doz. Dipl.-Ing. Dr. techn. Igor Kovac, TU Graz
73
Neue Wege und Ziele des
Instituts für Hochbau und
Bauphysik
Univ.-Prof. DDr. Peter Kautsch
Institut für Hochbau und Bauphysik
Technische Universität Graz
Wir befinden uns an einem Zeitpunkt des tiefgreifenden Wandels in der nationalen
und internationalen Universitätslandschaft. Dies zum einen bedingt durch ein
vielfältiger gewordenes nationales Angebot an höheren Studieneinrichtungen, zum
anderen durch die Internationalisierung des Arbeits- und Forschungsmarktes.
Mit dem erweiterten Institut für Hochbau und Bauphysik wird nicht nur ein lang
gehegter Wunsch der Fakultät für Bauingenieurwissenschaften nach Stärkung des
Fachbereiches Bauphysik Realität, sondern auch die damit verbundene
Herausforderung als ideale Chance zur Neupositionierung gesehen. Gilt es doch in
Übereinstimmung mit dem Entwicklungsplan der TU Graz eine innovative,
leistungsstarke und international anerkannte Universität aktiv mit zu gestalten und
zugleich einen wichtigen Motor für die Sicherung und den Ausbau der regionalen
und nationalen Bauwirtschaft darzustellen sowie die Brückenfunktion zwischen den
Fakultäten für Architektur und Bauingenieurwissenschaften wahrzunehmen.
Dies zu einem Zeitpunkt wie er günstiger kaum sein könnte, da das lange
geforderte gesellschaftliche und förderungspolitische Verständnis für eine
interdisziplinäre Bauforschung Früchte zu tragen beginnt und die Europäische
Gemeinschaft über die Rahmenprogramme für Forschung und technologische
Entwicklung zahlreiche Umsetzungsmöglichkeiten bietet.
Zieldefinition
„Die Bautätigkeit in der Europäischen Union ist sehr zurückgegangen. Heute
haben wir ein großes Missverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage. Die Welt ist
zugebaut“1 und „Ohne Utopie ist alles nichts“2 .
1
2
Gerkan v., M., Die Welt ist zugebaut, alpbach news S. 6, 20.08.2005
Böttcher, W., Universität Münster – Politische Programmatiken, Alpbach 2005
5
Im Spannungsfeld zwischen ersterer, wenn auch etwas zu pessimistisch anmutenden, im Kern jedoch sicherlich zutreffenden und zweiterer, zu allen Zeiten
gültigen Aussage sowie im Hinblick auf die zunehmende Internationalisierung des
Studien- und Arbeitsmarktes vollzieht sich gegenwärtig die Positionierung und
Ausrichtung eines wichtigen Instituts der Fakultät für Bauingenieurwissenschaften
an der TU Graz.
Dies nicht zuletzt im Hinblick auf den härter werdenden Wettbewerb um
Studierende und die damit verbundene Position gegenüber anderen Ausbildungsstätten wie z.B. Fachhochschulen oder Akademie- und postgradualen Lehrgängen
im In- und Ausland. Gerade in diesem Zusammenhang wird die bewusst breite,
grundlagenorientierte und wissenschaftlich angelegte Ausbildung an der Fakultät
als Chance zur Persönlichkeitsbildung in einer Atmosphäre der intellektuellen
Freiheit und Verantwortung verstanden, was neben dem notwendigen technischen
Wissen als die bedeutendste Voraussetzung für die Übernahme verantwortungsvoller Positionen in der Gesellschaft angesehen wird. Der Integration von internationalem Kontext und nationaler Identität kommt dabei besondere Bedeutung zu.
6
Ebenso bedeutet die fächerübergreifende, zunehmend interuniversitäre und internationale Zusammenarbeit bei der Entwicklung und Bewertung neuer Baumaterialien und Bausysteme sowie deren Eingliederung in die, je nach Nutzungsanforderungen oft unterschiedlichen Lebenszyklen von Neu- und Altbauten eine
ökonomische und gesellschaftspolitische Herausforderung.
Dabei kommt dem Institut für Hochbau und Bauphysik in Abstimmung mit dem
Institut für Architekturtechnologie als zentrale Drehscheibe und vermittelnde
Schnittstelle der immer komplexer werdenden gegenseitigen Abhängigkeiten und
manchmal gegenläufig agierenden Fachbereiche der modernen Bauwirtschaft eine
hohe Bedeutung zu. Diese Position gilt es durch Intensivierung der Zusammenarbeit mit anderen am Bauprozess beteiligten Disziplinen im eigenen Haus und
darüber hinaus in Forschung und Lehre auszubauen.
In diesem Sinne ist der nach wie vor zu verfolgende Studiengang „Hochbauingenieur“ geeignet, die Anknüpfungspunkte zur Architekturfakultät in geregelten
Bahnen weiter zu entwickeln und wird seitens der Fakultät für Bauingenieurwissenschaften großteils vom Institut für Hochbau und Bauphysik abzudecken
sein, ergänzt um die Kompetenz der übrigen konstruktiven Institute (Baustatik,
Betonbau, Stahlbau, Holzbau). Ziel ist die integrierende Vermittlung von Grundlagen des Bauens als Basis für eine architektonisch anspruchsvolle und konstruktiv
richtige Umsetzung – den Hochbau der Zukunft!
Abb. 1: Interdisziplinäre Ausrichtung in Forschung und Lehre
Neben der angewandten Forschung soll insbesondere über die grundlagennahe
Forschung unter anderem in Zusammenarbeit mit dem Institut für Materialprüfung
und Baustofftechnologie mit angeschlossener TVFA der TU Graz auf die Entwicklung von Bauprodukten und ihre Einbindung in ökologische Kreisläufe Einfluss
genommen werden. Im Allgemeinen wird die institutseigene Forschung in
Abstimmung mit jener der Fakultät sowie den einschlägigen Forschungsschwerpunkten unter anderem im Rahmen der Austrian Construction Technology
Plattform – ACTP erfolgen. Trotz der weiterhin bestehenden zentralen Bedeutung
der Auftragsforschung ist dabei die absolute Unabhängigkeit des Institutes
sicherzustellen.
Unterstützt durch das 7. EU-Rahmenprogramm für Forschung und technologische
Entwicklung wird die multidisziplinäre Zusammenarbeit mit nationalen und internationalen Ausbildungs- und Forschungseinrichtungen ausgebaut, wobei
insbesondere die Öffnung des südosteuropäischen Raumes als besondere
Chance verstanden wird.
7
Lehre
Die Ausbildung im Hochbau und der Bauphysik erfolgt für das Bauingenieurstudium fachübergreifend und -integrierend im Kontext mit der naturwissenschaftlich konstruktiven Lehre an der Fakultät für Bauingenieurwissenschaften,
bereitet die Studierenden auf die konstruktive und numerische Problemlösung von
Hochbaudetails vor und fördert das Verständnis für die Sichtweisen anderer
Fachgebiete. Dabei wird der Entwicklung einer integrativen Basis der Verständigung und Kooperation insbesondere mit den Kollegen der Architekturfakultät ein besonderer Stellenwert eingeräumt. Von besonderer Bedeutung ist im
Hinblick auf die immer komplexer werdenden Bauaufgaben einerseits und die
immer größer werdende Fülle an Informationen andererseits die systematisierte
Aufbereitung und Kommunikation des Fachwissens. Bei der Vermittlung der
Lehrinhalte soll das zur Verfügung stehende Stundenkontingent vorzugsweise zur
Erörterung von Fragen und den persönlichen Kontakt mit den Studierenden
genutzt werden, während das notwendige Basiswissen in Zukunft verstärkt durch
selbstständiges Erarbeiten durch die Studierenden vermittelt werden soll. Dazu
sollen z.B. über die TUG-Plattform TeachCenter vorhandene Instrumente des
e-Learning genutzt werden und wird der erfolgreich angelaufene, internetbasierte,
viersemestrige Weiterbildungsstudiengang „Master-Online Bauphysik“3 der
Universität Stuttgart als geeigneter Anknüpfungspunkt an internationale Lehrplattformen gesehen.
8
Während sich die Hochbauausbildung im Architekturstudium vorrangig mit der
nutzungsspezifischen Notwendigkeit, der philosophisch-künstlerischen Aussage
und der ganzheitlich koordinativen Sicht beschäftigt, ist im Bauingenieurstudium
die konstruktiv-bauphysikalisch richtige Durchbildung allgemeiner bis sehr hoher
Bauwerke sowie von Industrie- und Sonderbauten das Ziel. Dies insbesondere im
Wissen um den hohen Primärenergieaufwand bei Errichtung und Betrieb, die
deutlich unterschiedlichen Nutzungs- und Erneuerungsintervalle verschiedener
Bauweisen und Bauteile, die mannigfaltigen Einwirkungen aus der Umwelt –
inklusive der in letzter Zeit vermehrt auftretenden Elementarereignisse - und nicht
zuletzt um den geordneten Rückbau. Gerade dieser Aspekt gewinnt im Hinblick auf
möglichst vollständige Wiederverwendbarkeit der Baustoffe bzw. die Deponieproblematik zunehmend an Bedeutung. Aber auch der immer bedeutender
werdenden numerischen Analyse von Tragwerken und Baukonstruktionen in
Verbindung mit experimentellen Untersuchungen wird verstärktes Augenmerk
geschenkt.
Das Ziel der Hochbauausbildung ist daher neben der Beherrschung der
Grundprinzipien schadenfreien Konstruierens insbesondere die Vermittlung des
3
Siehe auch www.mob.uni-stuttgart.de (19.10.2008)
Verständnisses für nachhaltiges Bauen. Dies auch unter besonderer Beachtung
der Konstruktionsprinzipien der Natur, der Lebenszyklen von Baustoffen und
Bauwerken im Roh- und Ausbau sowie deren sinnvolle Wiederverwertung. Dabei
bestimmt der Nutzungszweck die ökologisch vertretbare Materialwahl und volkswirtschaftlich sinnvolle Vorgangsweise und bildet die klare bauliche Trennung
verschiedener Nutzungszeiträume eine wichtige Voraussetzung für ein
funktionierendes Gebäudemanagement - ebenso wie das Bewusstsein für die
Bedeutung der Gebäudebetriebs- und Instandhaltungskosten gegenüber den
reinen Errichtungskosten zu schärfen ist. Generell sollte auch dem bionischen
Ansatz ein höherer Stellenwert eingeräumt werden, wo der möglichst geringe
Energieaufwand einschließlich dem Transport bzw. der Produktion von Materialien
vor Ort (samt ansässiger „Arbeitskräfte“) nachahmenswerte Verhaltensmuster
vorzeigt und auch die nachhaltige Nutzung, Wiederverwendung und ev. Nachnutzung gelebt wird. Aktivitäten auf höchster Ebene z.B. durch eine neue Global
Marshall Plan Initiative4 mit dem Programm „Bring die Welt in Balance durch eine
Ökosoziale Marktwirtschaft“ können der „alternativen“ Herangehensweise an
baupraktische Problemlösungen durchaus den Rücken stärken.
Bedingt durch die Bedeutung, die die moderne Bauphysik im Rahmen des Bauwesens sowohl in Lehre und Forschung, als auch in der Praxis für die Planung und
Bauschadensanierung erlangte, soll eine fundierte Etablierung der konstruktiven
Bauphysik mit den Teilbereichen Wärme-, Feuchte- und Schallschutz, Raum- und
Bauakustik sowie Lichttechnik und Brandschutz erzielt werden. Sinnvollerweise ist
auch der maschinenbauorientierte Technische Ausbau zu integrieren.
Neben der Erziehung zu konzeptionellem Denken spielen gerade in der Bauphysik
numerische Methoden zur Vorhersage der Auswirkungen geplanter Maßnahmen
eine immer bedeutendere Rolle und ist dieser Bereich durch gezielten Einsatz
insbesondere instationärer Verfahren deutlich zu stärken. Numerik ist jedoch nur
ein Teil der Gesamtplanung, dem ob der steigenden Rechnerleistungen nur allzu
gern ein zu hohes Gewicht zugemessen wird - die hochbautechnisch vollendete
Konstruktion erfordert darüber hinausgehende materialspezifische, statische und
herstellungsbedingte Überlegungen, bis hin zur Wartung und Instandhaltung sowie
dem Rückbau.
Im Hinblick auf das steigende Angebot an Fachhochschul-, Akademie- bzw.
sonstiger außeruniversitärer postgradualer Lehrgänge wird in Zukunft besonderes
Augenmerk auf die Vermittlung forschungsorientierter Lehrinhalte unter intensiver
Einbeziehung von umsetzungsorientierten Fragestellungen aus der Praxis zu legen
sein. Ziel ist es, die immer größer werdende Kluft zwischen universitärer Wissens-
4
Fischler, F., et al.: Global Marshall Plan – Bring die Welt in Balance durch eine Ökosoziale
Marktwirtschaft, www.globalmarshallplan.org (19.10.2008)
9
vermittlung und den Erfordernissen der Baupraxis zu verringern. Dazu sollen über
Kontakte zur Wirtschaft und Industrie beispielsweise studienbegleitende praktische
Tätigkeiten der Studierenden gezielt gefördert werden. Umgekehrt soll den
Studierenden in den höheren Semestern eine intensivere Einbindung der oft international tätigen Alumni interessante Ausblicke in ihr zukünftiges Betätigungsfeld
ermöglichen.
In diesem Zusammenhang kann auch auf die Reihe der erfolgreichen Bauphysiktagungen mit hochkarätigen Referenten zurückgeblickt werden, deren erste im
Jahr 1998 die wissenschaftliche Eröffnungsveranstaltung dieses Hörsaal 1 darstellte. War es stets die interdisziplinäre Verbindung mit scheinbar bauphysikfremden Themen, die dem Tagungsprogramm eine unkonventionelle Note verliehen, so bildeten trotz auf den ersten Blick unterschiedlicher Fragestellungen
ähnliche Herangehensweisen auf Basis derselben naturwissenschaftlichen Grundlagen schnell die verbindende Lösung und interessante Anknüpfungspunkte zu
Kollegen anderer Fachrichtungen. Dass dabei stets auch die Architektur zur Wort
kommt und der Ausrichtung des Institutes folgend dem Hochbau ein entsprechender Stellenwert eingeräumt wird versteht sich von selbst.
Forschung
10
Obwohl die Bauwirtschaft einen der größten Wirtschaftszweige Österreichs
darstellt, besteht hinsichtlich der Intensivierung der Bauforschung im Allgemeinen
– nur etwa 0,2% F&E-Quote in der Bauwirtschaft im Vergleich zu etwa 2,5% der
österreichischen Wirtschaft insgesamt, bei EU-weit angestrebten 3% 5 – sowie der
Positionierung ökologisch verträglichen Bauens im Besonderen deutlicher Entwicklungsbedarf. Die Ende 2006 gestartete „Brancheninitiative Bauwirtschaft“ –
BRAIN trägt diesem Bedarf erfreulicherweise ebenso Rechnung, wie die o.a.
Austrian Construction Technology Plattform – ACTP, wobei unter anderem die
Programmlinie „Bridge“ als Bindeglied zwischen reiner Grundlagenforschung und
Wirtschaftsforschung eine hervorragende Möglichkeit bietet, den Anteil von
Doktoranden und Post-Docs signifikant zu erhöhen.
Weiters sollen die Möglichkeiten im 7. EU-Rahmenprogramm für Forschung und
technologische Entwicklung (2007 – 2013) verstärkt genutzt werden. Die guten
Kontakte zu internationalen Forschungseinrichtungen sind dafür äußerst dienlich
und erleichtern die Ausweitung des bestehenden Kooperationsnetzwerkes.
Aber auch die Intensivierung der Kooperation „im eigenen Haus“ stellt in diesem
Zusammenhang einen wesentlichen Aspekt dar, da die an der TU Graz
5
Cervinka, T., in bau.zeitung 4/08, S. 40, 2008
beheimateten Fachgebiete eine ausgezeichnete Basis für ein breit gefächertes
Angebot an internationale Interessensvertretungen darstellen und somit zahlreiche
wissenschaftliche Dienstleistungen abgedeckt werden können – ein Potenzial, das
zur Zeit im Baubereich nur in Ansätzen genutzt wird. Nicht zuletzt könnte das
Engagement des Instituts neben dem Field of Expertise (FoE-3) „Design &
Construction Science“ auf weitere vier der sieben interdisziplinären FoE ausgeweitet werden – im konkreten (mit den beispielhaft angeführten Anknüpfungspunkten) auf die FoE Nr. 1. Advanced Materials Science (Nano- und Biokomposite), 3. Human- & Biotechnology (Krankenhaustechnik), 5. Production
Science & Management (Management and Organisation, People and Performance) und 6. Sustainable Systems (Risikobewertung von Bauteilen und
Bauwerken aus ökologischer Sicht).
In diesem Sinne kommt auch der Entwicklung ökologischer Verfahren zur
Sanierung von bestehenden Wohn-, Büro- und Industriebauten besondere
Bedeutung zu, da die Wiederverwertung bereits bestehender Objekte sowohl im
Hinblick auf den Baustoff- als auch den Infrastrukturverbrauch einen wesentlichen
Schritt zu einem nachhaltigeren Umgang mit den zur Verfügung stehenden
Ressourcen darstellt. Damit ergeben sich u.a. wichtige Anknüpfungspunkte zur
Städtebauarchitektur und Raumplanung, um dem derzeitigen Trend des Wohnens
im Grünen und Arbeitens in der Großstadt mit zahlreichen ungelösten Problemen
und enormem Ressourcenverbrauch entgegenzusteuern. Probleme, die mit der
bloßen Ausführung von Gebäuden als Niedrigenergie- oder boomende Passivhäuser noch lange nicht gelöst sind! Der stete Ruf nach Klimaschutz und CO2Einsparung und Prognosen, wonach sich in Österreich in den nächsten 40 Jahren
die Hitzetage mit über +30°C Lufttemperatur vervierfachen (auf ca. 25 Tage / Jahr)
und die Frosttage halbieren werden (ca. –25 Tage / Jahr 6) bedeuten unter
anderem, dass die Sommertauglichkeit mit zu vermeidendem Kühlenergiebedarf
die Planungen zunehmend dominieren wird. Auch rütteln Meldungen über Naturkatastrophen immer wieder auf, wobei aber die Betroffenheit meist nur von kurzer
Dauer ist, da diese oft nur indirekt oder auf Distanz wahrgenommen werden.
Wahrscheinlich wird auch diesbezüglich das ökologische Gewissen von ökonomischen Vorgaben in Form von unleistbaren Energiepreisen überholt werden.
Der Wechsel von konventionellen Energieträgern hin zu regenerativen Quellen
(Solar-, Bio-, Wasser-, Wind- oder Geothermieenergie, …) fördert zwar deren
Weiterentwicklung und Verbreitung. Zusätzlich ist jedoch die Energieeffizienz zu
erhöhen und der Energiebedarf zu senken, um das Unvermeidbare zu beherrschen und das Unbeherrschbare zu vermeiden7. Dem „1. Hauptsatz der
Bauphysik“ ist daher uneingeschränkt zuzustimmen: „Zuerst klimagerecht bauen,
6
7
Beck , A., Dorninger, M., Formayer, H., Gobiet, W., Loibl, A., Schöner, W. (Eds.): reclip:more –
research for climate protection: model run evaluation – Klimazukunft Österreich, Kleinräumige
Klimaszenarien 1981 – 1990 und 2041 – 2050; Signale des Klimawandels, Wien / Graz, 2007
Kromp-Kolb H., z.B. in Report 7 / 2007
11
dann bauwerksgerecht klimatisieren!“8 Dies wohl wissend, dass einerseits die
Behaglichkeitsansprüche – verwöhnt durch Lebensbereiche außerhalb von
Wohngebäuden – stets steigen, andererseits der zunehmenden Elektronisierung
des täglichen Lebens und ausgereiften Sensortechnik folgend, sich auch in bautechnischen, raumklimatischen Belangen die technischen Möglichkeiten stets
weiterentwickeln.
Eine weitere Herausforderung – insbesondere für die Hochbauforschung – stellt
die im Sinne einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft richtige Entwicklung von
Verbund-, faserverstärkten und / oder nanostrukturierten Baustoffen dar. Die
internationale Tendenz zu diesen Werkstoffen muss jedenfalls eine Evaluierung
hinsichtlich der Rückbaufähigkeit und sortenreinen Wiederverwendbarkeit
erfahren.
Im Hinblick auf das immer komplexer werdende Spezialwissen auch im Bausektor
stellt sich zunehmend die Frage nach einem durchgängigen Wissensmanagement,
welches in Zusammenarbeit mit dem diesbezüglich gleich benannten Institut der
TU Graz für den Baubereich zu adaptieren und implementieren ist.
12
Das Baugeschehen wird neben den oben erwähnten Anforderungen in
fundamentaler Weise von den Erfordernissen der Energieeinsparung, des
Feuchte- sowie des Lärm- und Umweltschutzes geprägt. Die Bauphysik nimmt sich
dieser Probleme an und überträgt physikalische Grundsätze in das Bauwesen,
womit Ergebnisse aus Theorie und Experiment derart umgesetzt werden, dass
praktische Erkenntnisse für das Bauen abgeleitet und künstlerisches Wollen ökonomisch und praktisch realisiert werden können.
Überdies gewinnen die bauphysikalischen Zusammenhänge durch ständig neue
Baustoffe und Bauverfahren immer stärker an Bedeutung. Das derzeit z.T.
mangelnde Verständnis für derartige naturgesetzmäßige Abläufe dokumentiert sich
beispielsweise durch Planungsfehler und Bauschäden in den fast schon bis zum
letzten ausgereizten Bauwerken.
Beispielhaft seien in der Folge fünf Forschungsgebiete bzw. –themen benannt, die
sich insbesondere aus bauphysikalischen Fragestellungen ergaben, die hochbautechnische Realisierbarkeit aber selbstverständlich ebenso zum Ziel haben:
8
Gertis, K., z.B. in Bauphysik – H. 4.2008
1. Wärme und Feuchte
Innendämmungen zur thermisch-hygrischen Sanierung von Bestandobjekten Entwicklung fehlertoleranter Systeme ohne Dampfsperre auf Basis nachwachsender Rohstoffe.
Die Verbesserung des Wärmeschutzes bei Altbauten ist nicht nur Voraussetzung
für energieeffizientes Wohnen, sondern auch ein wesentlicher Beitrag zur Erhöhung der Behaglichkeit. Sind konventionelle Außendämmmaßnahmen z.B. bei
denkmalgeschützten Gebäuden, bei Überschreitung der Baufluchtlinie o.ä. nicht
realisierbar, stellen Innendämmungen eine überlegenswerte Alternative dar.
Insbesondere die Kondensationsproblematik stellt allerdings hohe Anforderungen
an die Planenden und Ausführenden. Kommt es zu Kondensatausfall, sind
folgende Problempunkte zu bedenken:
Schimmelpilzbildung (z.B. an Wärmebrücken oder in der Grenzschicht zwischen
Bestandsmauerwerk und Wärmedämmung), Salzschäden (z.B. Salzausblühungen
an den Grenzflächen), Frostschäden (z.B. Abplatzungen im Fassadenbereich),
Korrosion (z.B. von Befestigungselementen) oder Fäulnis (z.B. von Deckenbalkenköpfen oder Fachwerkhölzern). Bei richtiger Materialauswahl ist aber auch mit
Innendämmungen übermäßige Feuchtebelastung in der Konstruktion nicht zu
befürchten; d.h. dass mögliches Bauteilkondensat durch geeignete Baumaterialien
vermieden oder zumindest auf einem unschädlichen Niveau gehalten werden
kann.
Außenwände typischer Altbauten weisen einen U-Wert von etwa 1,5 W/m²K auf,
der mit 5 cm Wärmedämmung unter 0,6 W/m²K gesenkt werden kann. Damit
reduzieren sich die Transmissionswärmeverluste um 60 % und steigen die inneren
Oberflächentemperaturen um ca. 4 K (te ≈ -10°C). Kondenswasserbildung bzw.
Schimmelpilzwachstum ist damit an der Innenoberfläche der Außenbauteile nicht
mehr zu erwarten. Ein entscheidender Parameter für die Gefährdung durch
Bauteilkondensat bei Innendämmungen sind die Außenwandmaterialien selbst und
hier insbesondere diejenigen, bei denen auf Grund fehlender Kapillarleitung
Feuchtigkeit konzentriert an der Grenzschicht zum Bestandsmauerwerk entsteht.
Unter Ausnutzung der hohen Sorptionsfähigkeit sowie der kapillaren Leitfähigkeit
von bestimmten Dämmstoffen können bei innengedämmten Bauteilen zum einen
durch den Wegfall der oftmals fehleranfälligen Dampfsperren erhebliche baupraktische Vorteile gewonnen werden, zum anderen wird mit dem Wegfall dieser
meist aus Kunststoff bestehenden Bahnen und der Verwendung nachwachsender
Dämmstoffe dem Trend zu ökologischen und nachhaltig produzierten Bauprodukten in besonderer Weise Rechnung getragen.
13
Abb. 2: Austrocknungsverhalten einer 5 cm dicken Zellulose-Innendämmung
14
Zellulosefasern kommen als Altpapier-Dämmstoff im Einblasverfahren schon seit
über 100 Jahren zur Anwendung. Sie zeichnen sich durch einen äußerst geringen
Primärenergieaufwand bei der Herstellung, ein geringes Versäuerungspotenzial
und aufgrund des Rohstoffes Holz durch weitgehende CO2-Neutralität aus; zudem
weisen sie eine hohe Sorptions- und kapillare Leitfähigkeit auf. Dieser Einblasdämmstoff wurde zu einer aufsprühbaren Dämmung weiterentwickelt, bestehend
aus vermahlenem Altpapier, dem mineralische, nicht flüchtige Brand- und
Insektenschutzmittel zugesetzt werden. Unter Befeuchtung mit einer Bindemittelmischung können die Zelluloseflocken auch über Kopf auf nahezu jedem, z.B.
unebenem oder gekrümmtem Untergrund Vorort kraftschlüssig und feuchtigkeitsbündig aufgebracht werden – eine, für kapillaraktive Systeme unumgängliche
Notwendigkeit. Auf die Diffusionsoffenheit ev. vorhandener Wandfarben oder
Tapeten ist zu achten, widrigenfalls diese abzulösen sind. Wesentlicher Entwicklungsbedarf ergab sich dabei in der Fördertechnologie und der Entwicklung
eines speziellen Spritzkopfes, da das Material über relativ lange Strecken in einem
Förderschlauch möglichst pulsationsfrei zu transportieren ist und am Schlauchende kontinuierlich austreten muss, um dort einer gleichmäßigen Befeuchtung von
innen und außen unterzogen zu werden. Es wurden sowohl ein spezielles
Schaumverfahren, als auch das klassische Wasser-Klebstoffgemisch-Verfahren
untersucht. Der Vorteil des Schaum-Verfahrens liegt darin, dass der Zelluloseschaum geglättet werden kann und bis zu einer Dicke von 12 cm in einem
Arbeitsgang hergestellt werden kann; der Nachteil ist die als Putzträger zur Zeit
noch zu geringe Festigkeit. Als unverputzte Kellerdeckendämmung in der Altbausanierung ist dieses System jedoch durchaus geeignet.
Zwar wird durch innere Dämmmaßnahmen auf die wärmespeichernde Masse der
Außenwand verzichtet, jedoch bleibt durch massive Innenbauteile (ggf. inkl. Fußböden und Geschoßdecken) und Mobiliar meist doch ausreichend Wärmespeichermasse erhalten. Auch mögliche Auswirkungen auf den Schall- und Brandschutz in
positiver ggf. aber auch in negativer Hinsicht seien der Vollständigkeit halber
erwähnt, ebenso wie der Nachteil der reduzierten Nutzfläche, der eingeschränkten
Befestigungsmöglichkeit schwerer Gegenstände oder der größeren temperaturbedingten Formänderungen der Außenbauteile. Wärmebrücken und Anschlüssen
(z.B. Holzbalkendecken) ist besonderes Augenmerk zu schenken. Für weiter
führende Informationen siehe9.
2. Schall
Verputzte Kompaktabsorber
Nach der weitgehend erfolgten Bewusstseinsbildung für die Notwendigkeit der
Energieeinsparung im Bauwesen besteht nach wie vor erheblicher Forschungsbedarf hinsichtlich der Reduktion des „Schadstoffs des Jahrzehnts“ wie manche
Wissenschafter die Lärmbelastung bezeichnen. Dabei spielt einerseits der
Schallschutz im Wohnbau der Zukunft - Untersuchungen zeigen trotz höchster
schalltechnischer Anforderungen noch immer rund 30% Unzufriedene in Bezug auf
Lärmbelastung im geförderten Wohnbau - unter anderem in Form des Schallschutzes von Außenbauteilen in Leichtbauweise unter Verwendung neuer Dämmstoffe (z.B. Vakuumdämmung) oder –systeme (z.B. Innendämmung) eine wichtige
Rolle.
Zum anderen hat die zunehmende Sensibilisierung gegenüber Lärm ihren
Niederschlag unter anderem in der gestiegenen Bedeutung einer zweckentsprechenden akustischen Qualität von „Alltagsräumen“ gefunden. Insbesondere
die oftmals unzumutbar hohen Lärmpegel in Schul- und Bildungseinrichtungen
aber auch in Büro- und Aufenthaltsräumen bedeuten konkreten Handlungsbedarf
für alle Beteiligten. Wegen zu geringer verfügbarer Raumhöhen oder dem unerwünschten Erscheinungsbild klassischer Loch- oder Kassettendecken bereiten vor
allem tieffrequent wirksame Schallabsorber Probleme. Gerade die Bedämpfung
der tiefen Frequenzen ist jedoch für die Sprachverständlichkeit von besonderer
Bedeutung, da hohe und ggf. mittlere Frequenzen durch Einrichtungsgegenstände
und Personen oftmals ohnedies ausreichend bedämpft werden.
Bekannte Schallabsorber für den mittleren und tiefen Frequenzbereich sind der
Plattenabsorber und der Schlitzabsorber. Das in einem weiten Bereich durch die
9
Kautsch, P. et al.: Zellulose-Innendämmung ohne Dampfsperre – Untersuchungen zur
grundsätzlichen Eignung aufgespritzter und verputzter Zelluloseschichten, Berichte aus Energie- und
Umweltforschung des BMVIT 84/2006, Wien 2006
15
Schlitzgeometrie abstimmbare Absorptionsmaximum des Schlitzabsorbers ist für
die akustische Planung von Vorteil, allerdings verbunden mit dem Nachteil der
sichtbaren Schlitzstruktur. Schlitzabsorber bestehen meist aus einem porigen,
fasrigen Absorberkörper, auf dem plattenförmige, schallharte Abdeckungen mit
dazwischen liegenden Schlitzen angeordnet sind. Die Absorptionseigenschaften
können durch Variation des Dämmstoffes, sowie der Breite und Dicke der Abdeckung bzw. der Schlitzbreite auf den jeweiligen Bedarf abgestimmt werden.
16
Abb. 3: Verputzter Kompaktabsorber
Das auch auf unebenem oder gekrümmtem Untergrund aufzubringende, verputzte
Zellulose-Dämmsystem entspricht akustisch dem Plattenabsorber und wurde zu
einem optisch einheitlich wirkenden Schlitzabsorber mit strömungstechnisch
optimierter Zelluloseschicht weiterentwickelt. Dabei stellen die Innenputzbereiche
die schallharten Flächen dar, die in einem zweiten Arbeitsgang ebenso wie die
dazwischen liegenden Schlitze mit einer dünnen schalloffenen Beschichtung versehen werden. Dadurch wird eine fugenlose Oberfläche gebildet und dem Bedarf
vieler Planer nach „Unsichtbarkeit“ der akustischen Maßnahmen bei gleichzeitiger
Bedämpfung tiefer Frequenzen Rechnung getragen. Überdies bleibt im Gegensatz
zu den meisten tieffrequent wirksamen Schallabsorbern der ursprüngliche Raumcharakter erhalten und bietet der Spezialdeckputz aus einiger Entfernung den Eindruck einer konventionellen Oberfläche. Für weiter führende Informationen siehe10.
10
Kautsch, P. et al.: Aufgespritzte und verputzte Zellulose-Kompaktasorber - Untersuchungen zur
grundsätzlichen Eignung aufgespritzter und verputzter, hygrothermisch aktiver ZelluloseSchallabsorber, Berichte aus Energie- und Umweltforschung des BMVIT 52/2006, Wien 2006
3. Gesundheit
Entwicklung eines Verfahrens zur Vermeidung von Schadstofffreisetzungen aus
Fußbodenkonstruktionen nach Wasserschäden zur Reduktion der „Hintergrundbelastung“ z.B. für Allergiker oder immunsuprimierte Personen.
Neben dem in den letzten Jahren intensiv beforschten sichtbaren Auftreten von
Schimmelpilzen insbesondere infolge Oberflächenkondensat an Bauteilen gewinnt
die Betrachtung des nicht sichtbaren Bakterien- und Schimmelpilzbefalls von Hohlräumen zunehmend an Bedeutung. Derartige Belastungen werden immer häufiger
als mögliche Ursache von gesundheitlichen Beschwerden – die sehr verschieden
sein können – in Betracht gezogen. Grundsätzlich muss nach örtlich begrenzten
Wasserschäden oder Elementarereignissen davon ausgegangen werden, dass
Schimmelpilzwachstum bei Vorliegen geeigneter Randbedingungen hinsichtlich
Temperatur und Feuchtigkeit bereits nach 72 Stunden einsetzen kann.
Neben den vorhandenen Fußbodenaufbauten ist für die Beurteilung der Sinnhaftigkeit einer technischen Trocknung primär Art und Verschmutzungsgrad der
verursachenden Feuchtigkeit (z.B. Regen-, Leitungs- oder Schmutzwasser) von
Bedeutung. Hinsichtlich der eingesetzten Geräte sind Überdruck-, Unterdruck- oder
Kombinierte Verfahren zu unterschieden. Insbesondere beim Überdruck- aber
auch beim kombinierten Verfahren besteht die Gefahr, dass über die Estrichrandfugen große Mengen an kontaminierter Trocknungsluft an den Raum abgeben
werden. Dies hat in der Vergangenheit oftmals dazu geführt, dass der Sanierungsumfang nach Wasserschäden durch die Notwendigkeit zur Dekontaminierung
weiter Gebäudeteile beträchtlich erhöht wurde.
Abb. 4: Gängige Methoden der technischen Fußbodentrocknung
17
Weiters muss davon ausgegangen werden, dass zwar durch eine vollständige
technische Trocknung der Fußbodenunterkonstruktion mittels o.a. Gebläsetrocknungsverfahren den Schimmelpilzen die Lebensgrundlage entzogen wird,
abgestorbenen Pilze und ihre Stoffwechselprodukte jedoch nicht vollständig aus
dem Gefüge von Trittschalldämmplatten entfernt werden können. Daher ist es von
entscheidender Bedeutung, die Freisetzung von Schadstoffen auch nach abgeschlossener Trocknung zu unterbinden. Dies nicht zuletzt deshalb, da infolge
wiederholter „Pumpwirkung“ durch das Begehen von schwimmenden Estrichen
Schimmelpilzpartikel in die Raumluft gelangen können.
Ziel der gegenständlichen Forschungsaktivitäten ist es, nach Abdichtung der
Estrichrandfugen mittels spezieller Regelungstechnik eine Vergleichmäßigung des
Trocknungsluftstromes und damit eine vollständige Trocknung bei kürzerem
Geräteeinsatz herbeizuführen.
4
Fassade
„Multifunctional Plug & Play Facade“
18
Das Ziel des vor kurzem angelaufenen, fünfjährigen K-Projektes „Multifunctional
Plug&Play Facade“, welches im Rahmen der Programmlinie COMET vom BMVIT
und BMWA gefördert wird, ist die Entwicklung einer Technologieplattform für
intelligente, multifunktionelle Fassaden in Modulbauweise mit einem möglichst
hohen Vorfertigungsgrad für den Neubau von größeren Gebäuden sowie die
Renovierung von bestehenden Objekten. Wesentliche Charakteristika für diese
Technologieplattform für Fassaden sind:
• Neben modernsten Profil-, Glas- und Plattensystemen sind Beschattung,
Lichtlenkung, Heizungs-, Lüftungs- und Klimatechnik, Energieerzeugung durch
Solarthermie und Photovoltaik sowie die Steuer- und Regelungstechnik bzw.
Automatisierungstechnik integriert
• es sollen optimale Energieverbrauchswerte erzielt werden, die den neusten
europäischen Richtlinien entsprechen und somit die Umsetzung von Umweltschutzmaßnahmen im Gebäudebereich unterstützen sowie ein optimales
Wohlbefinden für den Nutzer garantieren
• die Produkte sollen in einer industriellen Umgebung (vor-) gefertigt und an der
Montagestelle mittels spezieller Verbindungstechniken in kürzester Zeit montiert
werden können.
Abb. 5: Aufbau des K-Projekts
Um das Projektziel zu erreichen ist es notwendig, prinzipiell neue Varianten von
Fassadensystemen zu entwickeln, diese zu simulieren und zu evaluieren. Im
Besonderen stehen die Weiterentwicklung von Einzeltechnologien und -produkten
im Bereich Solarthermie, Photovoltaik, Heating, Ventilating, Air Conditioning HVAC und Steuer- und Regelungstechnik für den Einsatz in der Fassade im
Vordergrund. Parallel dazu erfolgt die grundlegende Entwicklung eines Gesamtkonzept für ein integriertes Modulsystem, das als Plug&Play Anwendung für
unterschiedliche Bauaufgaben geeignet ist.
Für die österreichische Bauindustrie bietet das Projekt eine hervorragende
Gelegenheit, die Innovationsrate signifikant zu steigern sowie F&E strategisch zu
verfolgen.
5
Baustellenautomation
Entsprechend den internationalen Tendenzen zur Automatisierung von Bauabläufen insbesondere im asiatischen Raum sollen Strategien zum sinnvollen Einsatz
und zur Vermeidung der Risken derartiger Systeme im europäischen Kontext erarbeitet werden. Die Zukunft des Bauens wird unter anderem in der Vorfertigung
gesehen - die Baustelle wird zur Montagestelle.
Nicht zuletzt in diesem Zusammenhang sei auf die folgenden Beiträge unserer
Bauphysiktagung 2008 verwiesen, die neue Trends und Forschungsthemen
vorstellen, welche zumindest teilweise in Kooperationsprojekte übergeführt werden
sollen.
19
Univ.-Prof. DDr. Peter Kautsch
20
Geboren am 24. August 1954 in Graz
Verheiratet, 2 Kinder (Sohn 22; Tochter 18)
1973 - 1980
Bauingenieurstudium (Dipl.-Ing.) an der
Technischen Universität Graz
1985
Promotion zum Doktor der technischen
Wissenschaften (Dr.techn.)
1975 - 1985
Studium der Rechtswissenschaften an der
Karl-Franzens-Universität Graz (Mag.iur.)
1986
Promotion zum Doktor der Rechte (Dr.iur.)
1990
Lehrbefugnis als Universitätsdozent
(venia docendi) für das ganze Gebiet der
Bauphysik, Assistenzprofessor (1997
Ao.Univ.-Prof.); Befugnis eines Zivilingenieurs für Bauwesen und Ernennung
zum allgemein beeideten und gerichtlich
zertifizierten Sachverständigen
1995 – 2003
Vorsitzender des Senates der TU Graz
und ab 2001 Sprecher der Senatsvorsitzenden der 18 österreichischen
Universitäten
2007
Ständiges Mitglied im Denkmalbeirat des
Bundesministeriums für Kultur sowie
Mitglied im International Advisory Board
des Master-Onlinie-Studienganges
„Bauphysik“ der Universität Stuttgart
2008
Berufung zum Univ.-Prof. für Hochbau
und Bauphysik bzw. Vorstand des
Institutes für Hochbau und Bauphysik der
TU Graz
ClimaDesign - ganzheitliche
Planungsstrategien für
energie- und raumklimaoptimierte
Gebäude
Dr.-Ing. Michael de Saldanha
Lehrstuhl für Bauklimatik und Haustechnik
TU München
ClimaDesign hat das Ziel, Gebäude zu entwickeln, die mit einem Minimum an
Energie ein Maximum an Behaglichkeit bieten. Der Energieaufwand bezieht sich
dabei nicht nur auf die Heizenergie, sondern auf alle am Gebäude relevanten
Energie- und Stoffströme. Mit Behaglichkeit ist nicht nur thermische Behaglichkeit
gemeint, sondern ein allumfassendes Wohlbefinden des Menschen. Damit dieses
Ziel erreicht werden kann, müssen Städtebau, Architektur, Bauphysik und
Gebäudetechnik aufeinander abgestimmt werden. Diese Abstimmung muss
während des gesamten Planungsprozesses, von der Konzept-, Planungs- und
Umsetzungsphase bis hin zur Inbetriebnahme, erfolgen (Abb. 1). Auf diese Weise
können disziplinenübergreifende Synergieeffekte realisiert werden. Um die Auswirkungen von Entwurfsentscheidungen quantifizieren zu können, sind mit zunehmendem Planungsfortschritt immer detailliertere Planungswerkzeuge erforderlich. Angefangen von Abschätzungsgrafiken und Diagrammen bis hin zu
dynamischen Simulationsprogrammen. Aber auch Planungserfahrung ist notwendig, die sich auf der systematischen Analyse realisierter Projekte gründet.
Insofern gehört zum Entwurf leistungsfähiger Gebäude der Zukunft auch ein
kritischer Blick auf bereits Gebautes.
Im Folgenden soll auf die Wechselbeziehung von Bauphysik und Gebäudetechnik
bei der Fassadenkonzeption von Verwaltungsgebäuden im Hinblick auf das Raumklima im Sommer eingegangen werden. Als Schnittstelle zwischen dem Nutzer im
Gebäude und dem Außenklima hat die Fassade eine besondere Bedeutung für
das Raumklima, die Gebäudefunktion sowie den erforderlichen Energie- und
Technikaufwand. Je flexibler die Gebäudehülle auf die klimatischen Bedingungen
und nutzungsspezifischen Anforderungen reagieren kann, desto weniger Energieeinsatz ist erforderlich. Nicht zuletzt ist die Fassade ein wesentliches gestaltbildendes Element der Architektur.
21
22
Abb. 1: Wechselbeziehungen und Auswirkungen von Anforderungen und Gegebenheiten
im Planungsprozess. Nutzungsspezifische Anforderungen und standortspezifische
Gegebenheiten sind Ausgangspunkt der Planung. Sie prägen die folgenden Planungsschritte und haben Auswirkungen auf den Energieverbrauch, das Raumklima, die Funktion
und die Wirtschaftlichkeit eines Gebäudes.
Potentiale und Zielkonflikte
In Bezug auf Energieverbrauch und Technikaufwand liegt bei Verwaltungsgebäuden das Hauptaugenmerk mittlerweile auf dem Raumklima im Sommer. Der
vermehrte EDV-Einsatz hat erhöhte interne Wärmelasten zur Folge und die erforderliche Flexibilität führt aufgrund von Doppelböden, abgehängten Decken und
leichten Trennwänden zu verminderten Speichermassen. Der Wunsch nach
Transparenz, mit dem Ziel den Außenbezug zu maximieren und die Hülle aufzulösen, um Gebäude leicht und dynamisch wirken zu lassen, führt zu einer erhöhten
solaren Einstrahlung. Deshalb kommt der Ausbildung eines effizienten Sonnenschutzes eine besondere Bedeutung zu. Dabei ist die Wechselwirkung mit der
Tageslichtversorgung und dem Außenbezug zu berücksichtigen. Die natürliche
Lüftung kann das Raumklima im Sommer ohne Energie- und Technikaufwand
verbessern. Bei sehr hohen Außenlufttemperaturen können sich jedoch auch unerwünschte Wärmeeinträge ergeben (Abb. 2). Besonders günstig ist ein hoher Luftwechsel während der Nacht in Verbindung mit hohen Speichermassen.
23
Abb. 2: Funktionale und thermische Wechselbeziehungen je nach Fassadenorientierung.
Dargestellt sind funktionale Anforderungen, der Verlauf der Außenlufttemperatur und die
Besonnungszeit an einem warmen Sommertag [Würzburg 1. August]. In den frühen Morgen-
stunden und am Abend kann der Sonnenschutz komplett geschlossen werden, da weder
Tageslicht im Raum noch Ausblick notwendig sind. Während der Nutzungszeit von
8:00–18:00 Uhr müssen die Behaglichkeitsgrenzen eingehalten werden, der Ausblick
gegeben sein und eine ausreichende Tageslichtversorgung sichergestellt werden (dunkles
Kreissegment). In den Nachtstunden bis zum Mittag des folgenden Tages liegt die Außenlufttemperatur unter 26 °C und kann zur Wärmeabfuhr genutzt werden (helle Fläche).
Steuerung des Strahlungseintrages
24
Der Energieeintrag durch transparente Fassadenflächen wird bestimmt durch den
Gesamtenergiedurchlassgrad der Verglasung und den Abminderungsfaktor des
Sonnenschutzes. Der g-Wert kann durch Beschichtung des Glases oder durch
Sonnenschutzmaßnahmen im Scheibenzwischenraum beeinflusst werden. In der
Regel ist der g-Wert jedoch nicht variabel, so dass erwünschte Strahlungseinträge
im Winter ebenfalls ausgeblendet werden. Der Fc-Wert hängt maßgeblich davon
ab, ob der Sonnenschutz innen oder außen angeordnet wird. Ist er außen liegend,
so ist die Effizienz um den Faktor 3 bis 5 höher, allerdings muss er bei Wind hochgefahren werden. Innen liegende Systeme sind wartungsarm, kostengünstig und
witterungsunabhängig benutzbar. Neben der eingeschränkten Effizienz können sie
aufgrund der höheren Oberflächentemperatur und der damit verbundenen Abstrahlung in die Aufenthaltszone des Nutzers als unbehaglich empfunden werden.
Bei der Anordnung im Fassadenzwischenraum von Doppelfassaden oder in
Kastenfenstern werden eine hohe Effizienz und Witterungsunabhängigkeit erreicht.
Sonnenschutz und Orientierung
Die Ausbildung des Sonnenschutzsystems steht in Wechselwirkung mit der
Orientierung. Horizontal gestellte Sonnenschutzlamellen können auf der Südseite
direktes Sonnenlicht ausblenden und dabei den Ausblick nur wenig einschränken.
Das diffuse Tageslicht kann in den Raum dringen und dadurch den Strombedarf
für die Beleuchtung und die damit verbundenen internen Lasten vermeiden. Auch
fest stehende Verschattungseinrichtungen wie Auskragungen, Dachüberstände
oder Balkone können an der Südfassade im Sommer als Sonnenschutz genutzt
werden. Im Winter kann die flach stehende Südsonne tief in den Raum dringen
und dabei den Heizenergiebedarf vermindern. Bei der Ost-West-Orientierung sind
beide Fassadenflächen im Sommer von einer niedrig stehenden Sonne besonnt.
Der niedrige Sonnenstand erfordert bei horizontalen Lamellen eine nahezu geschlossene Lamellenstellung, die den Ausblick verhindert und das Tageslicht ausblendet. Der Strombedarf für Beleuchtung und die internen Lasten steigen und
dem Nutzer geht der Außenbezug verloren. Eine Möglichkeit, Ost- und Westfassaden zu verschatten, sind bewegliche Vertikallamellen. Durch den einstellbaren Lamellenwinkel ist die Ausblendung der direkten Strahlung in Verbindung
mit einem partiellen Ausblick möglich.
Einfluss der Regelstrategie
Die Regelstrategie des Sonnenschutzes hat erheblichen Einfluss auf das sommerliche Raumklima. Aus der Sicht des sommerlichen Verhaltens ist es oftmals sinnvoll, den Sonnenschutz zu schließen, auch wenn keine direkte Strahlung auf die
Fassade trifft. Insofern ist eine raumtemperaturabhängige Sonnenschutzsteuerung
eine günstigere Lösung. In der Praxis jedoch kann dies auf Akzeptanzprobleme
beim Nutzer stoßen, da ein geschlossener Sonnenschutz ohne Sonne nicht der
Erwartungshaltung entspricht. Zudem müsste der Sonnenschutz automatisiert
werden, da der Nutzer den Sonnenschutz üblicherweise nicht raumtemperaturabhängig betätigt. Auch die Dauer der Zeiträume, an denen der Sonnenschutz
geschlossen ist, wird von der Regelstrategie beeinflusst. Wird die Grenztemperatur, bei der der Sonnenschutz schließt, z. B. auf 24 °C gelegt, ist bei
besseren sommerlichen Verhältnissen der Zeitraum mit geschlossenem Sonnenschutz nur etwa halb so lang wie bei einer strahlungsabhängigen Steuerung. Wird
bei einer strahlungsabhängigen Steuerung der Grenzwert erhöht, so dass teilweise
auch direkte Strahlung in den Raum dringen kann, so ergibt sich bei kaum verkürzter Schließungszeit ein erheblich ungünstigeres Raumklima. Mit einer raumtemperaturabhängigen Sonnenschutzsteuerung können bessere sommerliche
Verhältnisse geschaffen werden, obwohl der Sonnenschutz weniger geschlossen
werden muss. Der Einfluss des Nutzers wird jedoch eingeschränkt und die
Sonnenschutzstellung ist nicht unmittelbar nachvollziehbar.
Wechselbeziehung mit dem Fensterflächenanteil
Der ohne aktive Kühlsysteme realisierbare Fensterflächenanteil steht in erheblicher
Wechselwirkung mit der Ausbildung des Sonnenschutzes (Abb. 3). Bei der Wahl
des Systems ist darauf zu achten, dass der Ausblick möglichst wenig eingeschränkt wird, damit der Nutzer den Sonnenschutz optimal bedient. Ebenso sollte
das erforderliche Tageslicht durch den Sonnenschutz dringen können. Die Fenster
sollten so angeordnet werden, dass die Fensteroberkante möglichst weit oben
liegt, damit das Tageslicht möglichst weit in den Raum dringen kann.
Abb. 3 (siehe nächste Seite):
Realisierbare Fensterflächenanteile in Abhängigkeit vom gewählten Sonnenschutz auf der
Südfassade (T >28 °C unter 50 h/a Nutzungszeit) Legt man als Grenzwert für das Raumklima im Sommer fest, dass an nicht mehr als 50 h pro Jahr während der Nutzungszeit die
operative Raumtemperatur von 28 °C überschritten werden darf, so ergeben sich für
verschiedene Sonnenschutzkonzepte nebenstehende realisierbare Fensterflächenanteile.
Die Maximaltemperaturen liegen alle bei ca. 30 °C. Die Übertemperaturstunden > 26 °C
liegen in der Größenordnung von ca. 200 h/a, bei geringen g-Werten ca. 10 % darunter
[Grundlage: Thermische Simulationen mit TRNSYS].
25
26
Lüftung und Raumklima
Die Lüftung hat einen erheblichen Einfluss auf die sommerliche Behaglichkeit von
Gebäuden. Bei sehr hohen Außenlufttemperaturen können sich Wärmeeinträge
ergeben. Diese Wärmeeinträge können sich durch eine fassadenbedingte,
zusätzliche Temperaturerhöhung weiter erhöhen. Liegen die Außenlufttemperaturen unter der operativen Raumtemperatur, so können durch Lüftung
Wärmelasten abgeführt werden, insbesondere bei hohen Temperaturdifferenzen.
Deshalb ist die Nachtlüftung besonders zur Wärmeabfuhr geeignet.
Lüftung am Tag
Die Wärmeabfuhr durch Lüftung wird vom Luftwechsel und der Temperaturdifferenz zwischen innen und außen bestimmt. Deshalb können mit einer Stoßlüftung am Morgen Wärmelasten besonders effizient abgeführt werden. Der Luftwechsel ist im Sommer bis zum frühen Nachmittag eher höher als zu niedrig zu
wählen, auch wenn in der Praxis nicht davon auszugehen ist, dass der Nutzer die
Fenster temperaturoptimiert bedient. Selbst bei Zulufttemperaturen, die in Höhe
der mittleren operativen Raumtemperatur liegen, kann Wärme über Lüftung abgeführt werden, da die internen Lasten von Geräten auf einem höheren Temperaturniveau freigesetzt werden. Zudem ergibt sich ein Behaglichkeitsgewinn, der sich
durch eine erhöhte Luftbewegung einstellt.
Um die sommerlichen Verhältnisse durch Lüftung nicht zu verschlechtern, sollte
bei Außenlufttemperaturen, die über der Raumtemperatur liegen, der Luftwechsel
begrenzt werden, insbesondere wenn die Zulufttemperatur durch fassadenspezifische Einflussfaktoren weiter erhöht ist. Die Fassadenoberfläche kann sich je
nach Farbe erheblich aufheizen. Dadurch bildet sich eine Grenzschicht mit erwärmter Luft direkt vor der Fassade aus. Die Temperatur der erwärmten Luft liegt
dabei bis zu 10 K über der Umgebungstemperatur. Im Zwischenraum von Kastenfenstern oder Doppelfassaden ergeben sich durch die am Sonnenschutz absorbierte Solarstrahlung, je nach Öffnungsgrad der äußeren Hülle und dem Luftwechsel, Temperaturerhöhungen von 20 bis 30 K. Eine weitere Erwärmungsgefahr
der Zuluft besteht hinter Sonnenschutzsystemen, insbesondere dann, wenn sie
markisenartig ausgebildet sind. Generell ist es günstiger, im Sommer die Zuluft
über die sonnenabgewandten Fassadenseiten einströmen zu lassen.
Nachtlüftung
Bei der Nachtauskühlung werden die tieferen Außenlufttemperaturen während der
Nacht genutzt, um durch Lüftung die freiliegenden Speichermassen des Raums
auszukühlen. Diese stehen dann am folgenden Tag als Kältequelle zur Verfügung.
Somit bietet die Nachtlüftung eine wirksame Kühlmöglichkeit ohne weitere
Betriebskosten. Die Nachtlüftung eignet sich insbesondere für Gebiete mit hohen
Temperaturschwankungen zwischen Tag und Nacht. Günstig ist es, wenn die
27
28
Außenlufttemperaturen in der Nacht auf etwa 15°C absinken. Da thermisch
nutzbare Speichermassen die Wirksamkeit der Nachtauskühlung erhöhen, sollten
die Decken aus Beton sein und keine abgehängten Decken sowie Doppelböden
aufweisen. Ideal ist es, wenn auch die Innenwände massiv ausgeführt sind. Gegebenenfalls können PCM die baulichen Speichermassen ersetzen bzw. ergänzen
(Abb. 4). Um den erforderlichen Luftwechsel sicherzustellen, sind ausreichend
große Lüftungsöffnungen vorzusehen, die witterungsgeschützt und einbruchsicher
sein müssen. Steuerbare Lüftungsöffnungen ermöglichen es, die Auskühlung zu
optimieren und zu niedrige Raumtemperaturen in der Übergangszeit in den
Morgenstunden zu vermeiden. Andererseits ergeben sich hohe Kosten für Beschläge und Steuerung. In der Praxis ist dies nur dann wirtschaftlich, wenn steuerbare Öffnungen ohnehin notwendig sind, z. B. für die gesteuerte natürliche Lüftung
oder die Entrauchung. Eine thermik- oder windinduzierte Durchströmung des
Gebäudes verbessert die Auskühlung. Dafür sind entweder vertikale Lufträume
notwendig oder gegenüberliegende Fassadenöffnungen vorzusehen. Mit einer
Nachtlüftung haben Räume mit moderaten thermischen Lasten im Sommer gute
klimatische Verhältnisse. Aufgrund der Abhängigkeit vom Außenklima können
jedoch keine Grenztemperaturen garantiert werden. Bei günstigen Außenklimabedingungen und umfangreichen Speichermassen lassen sich auch höhere Lasten
kompensieren. Dabei kann es jedoch zu kühlen Raumtemperaturen am Morgen
kommen. Bei niedrigen Luftwechselraten, die auch mit konventionellen Fenstern in
Kippstellung erreicht werden können, lassen sich zwar keine optimalen Verhältnisse erzielen, dennoch stellt sich eine erhebliche raumklimatische
Verbesserung ein.
Abb. 4 (siehe nächste Seite):
Exemplarische dynamische Temperaturabschätzung der verschiedenen Speicherfähigkeiten
bei Nachtlüftung. Die Speicherfähigkeit hat einen erheblichen Einfluss auf die Effizienz der
Nachtlüftung. Mit PCM kann bei leichter Bauweise das Raumklima erheblich verbessert
werden. Da sie erst ab dem Schaltpunkt (24 °C) wirken, ergibt sich im Vergleich zur
schweren Bauweise ein höheres Temperaturniveau. In der Praxis hängt die Leistungsfähigkeit von PCM von vielen Einflussfaktoren ab, insbesondere der energieübertragenden
Fläche und dem Wärmeübergang. Deshalb sind die Ergebnisse nur als Größenordnung
anzusehen, sie stellen eher den Idealfall dar. Annahmen: Südbüro mit 70% Fensterfläche
und außen liegendem Sonnschutz. Optimierte Lüftung am Tag, 4-facher Luftwechsel
während der Nacht.
29
Conclusio
Um eine hohe Behaglichkeit bei geringem Energie- und Technikaufwand zu
gewährleisten, ist ein ganzheitlicher Planungsansatz erforderlich. Bauphysik und
Gebäudetechnik dürfen dabei nicht seriell geplant werden, sondern müssen ein
abgestimmtes Gesamtsystem bilden. Wird die Fassade an die Nutzung des
Gebäudes angepasst und ist sie in Bezug auf Strahlungseintrag und Lüftung
flexibel ausgebildet, können technische Systeme eingespart und der Energiebedarf, insbesondere für Kühlung und Beleuchtung, reduziert werden. Die
Optimierung von baulichen Parametern bildet somit die Basis um passive und
regenerative Energiesysteme wirtschaftlich einsetzen zu können.
Dr.-Ing. Michael de Saldanha
05.04.1966 geboren in München
Energieanlagen-Elektroniker, Siemens
Architekturstudium, FH München und Universität Kassel
Studium Energie & Umwelt, Universität Kassel
Tätigkeit im Ingenieurbüro Hausladen
Projektplanung und Energiekonzeptentwicklung
Internationale Architekturwettbewerbe
WM Uni Kassel, Fg. TGA, Prof. Hausladen
Gründungsmitglied des Zentrums für umweltbewusstes
Bauen, Kassel
WA Technischen Universität München
Lehrstuhl für Bauklimatik und Haustechnik,
Prof. Dr.-Ing. G. Hausladen
Gründungsmitglied ClimaDesign e. V. TU München sowie
Gründungsmitglied und Beirat Studiengangs Klimaengeneering, Univ. Krems
Mitautor der Fachbücher: ClimaDesign, ClimaSkin,
Einführung in die Bauklimatik
30
Beyond the Blue
HR Dipl.-Ing. Dr.techn. Wolfdieter Dreibholz
COOP HIMMELB(L)AU, Wien
Zu den international bekanntesten Projekten von COOP HIMMELB(L)AU gehören
der Dachausbau Falkestraße in Wien (Fertigstellung 1988) der Masterplan für die
Stadt Melun-Sénart in Frankreich, der Ostpavillon des Groninger Museums in
den Niederlanden (1994), das Design der EXPO.02 Arteplage im schweizerischen
Biel, der multifunktionale Dresdner UFA Kinopalast (1998), die Akademie der
bildenden Künste (2005) und die BMW Welt (2007) in München sowie das Akron
Art Museum in Ohio (2007).
31
In Wien haben wir in den vergangenen Jahren weitere wichtige Projekte realisiert,
darunter der SEG Apartment Tower (1998), die SEG Apartment Block Remise
(2000), der Wohnbaukomplex Gasometer B (2001) sowie die Büro- und Wohnanlage Schlachthausgasse (2005).
Unter den aktuellen Vorhaben, die unser Atelier weltweit verfolgt, ist die Central
Los Angeles Area High School #9 for the visual and performing arts in Los
Angeles (2008) zu nennen, das Musée des Confluences in Lyon (2010) und das
House of Music im dänischen Aalborg.
Im Jahr 2004 hat unser Atelier den ersten Preis für den Entwurf zum Bau der
Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt am Main gewonnen, dessen
Vollendung für 2011 vorgesehen ist. Im Jahr darauf hat sich die Jury im Wettbewerb um den Busan Cinema Center (2011) in Südkorea ebenfalls für einen
Entwurf von COOP HIMMELB(L)AU entschieden. Auch im Wettbewerb um die
Erweiterung und den Neubau des Messezentrums Cloud Roof in Riva del Garda,
Italien (2010), erhielt unser Büro 2006 den ersten Preis.
32
Für den Entwurf um das Museum of Contemporary Art & Planning Exhibition in
Shenzhen, China wurde COOP HIMMELB(L)AU im Jahr 2007 als Gewinner
nominiert. Im gleichen Jahr hat unser Büro den Auftrag für das Center of
Performing Arts in Zarautz, Spanien erhalten.
Ausstellungen (Auswahl)
Als wegweisend für die Architektur der Gegenwart, sind Arbeiten von COOP
HIMMELB(L)AU immer wieder Gegenstand internationaler Ausstellungen. Zu den
größten und bekanntesten zählen Construire le Ciel, die 1992 im Centre Georges
Pompidou in Paris zu sehen war, sowie Deconstructivist Architecture, die Philip
Johnson und Mark Wigley als Kuratoren 1988 im New Yorker Museum of Modern
Art präsentiert haben.
Weltweit angesehene Institutionen wie die Getty Foundation in Los Angeles, das
Österreichische Museum für angewandte Kunst/ Gegenwartskunst (MAK) in Wien
und das Centre Pompidou zeigen Werke von COOP HIMMELB(L)AU in ihren
Dauerausstellungen.
Im Jahr 1996 wurde COOP HIMMELB(L)AU als Repräsentant Österreichs zur
6. Internationalen Architektur Biennale in Venedig eingeladen. Seither ist unser
Atelier dort regelmäßig vertreten und hat Projekte wie das Lyoner Musée des
Confluences und das Opera House Guangzhou präsentiert. Das Lyoner Musée
des Confluences wurde darüber hinaus von 2002 bis 2003 bei der Ausstellung
Latente Utopien in Graz vorgestellt.
Auch in der Aedes East Galerie in Berlin war COOP HIMMELB(L)AU mehrmals
vertreten, etwa in den bekannten Ausstellungen Skyline 1985, The Vienna
Trilogy + One Cinema 1998 und in einer Ausstellung zum Wettbewerb um das
BMW Erlebnis- und Auslieferungszentrum im Jahr 2002. Im selben Jahr war
COOP HIMMELB(L)AU mit den Projekten BMW Welt und einem Entwurf für das
neue World Trade Center auf der 8. Architektur Biennale in Venedig präsent. In
2007/2008 war unser Atelier Gegenstand der Ausstellung COOP
HIMMELB(L)AU.Beyond the Blue des MAK in Wien. Auf der 11. Architektur
Biennale in Venedig ist COOP HIMMELB(L)AU mit zwei Beiträgen vertreten:
Astroballon 1969 Revisited - Feed Back Space im Arsenale und Brain City Lab im
Italienischen Pavillon.
Nicht zuletzt zeichnete COOP HIMMELB(L)AU selbst für das Design mehrerer
Ausstellungen verantwortlich, beispielsweise für Paradise Cage: Kiki Smith and
Coop Himmelb(l)au, die 1996 im Museum of Contemporary Art in Los Angeles
gezeigt wurde. Zu den bekanntesten gehört die Ausstellung Rudi Gernreich:
Fashion will go out of fashion aus dem Jahre 2000 für den Steirischen Herbst in
Graz, die später in Philadelphia, USA, zu sehen war.
33
Ehrungen und Auszeichnungen (Auswahl)
Im Laufe der letzten Jahrzehnte ist COOP HIMMELB(L)AU mit zahlreichen,
internationalen Preisen ausgezeichnet worden. So haben wir 1982 in Berlin den
Förderungspreis für Baukunst erhalten, 1988 den Preis der Stadt Wien für
Architektur, 1992 den Erich Schelling Architektur Preis und in den Jahren
1989, 1990 und 1991 den P. A. Award. Im Jahr 1999 folgte der Große
Österreichische Staatspreis und 2001 der Europäische Stahlbaupreis. Im
Dezember 2002 wurde COOP HIMMELB(L)AU mit der französischen
Auszeichnung Officier de l’Ordre des Arts et des Lettres geehrt sowie mit dem
Goldenen Ehrenzeichen für Verdienste um das Land Wien. Für den Entwurf
des Akron Art Museums erhielt unser Büro 2005 den American Architecture
Award. Der 2007 International Architecture Award wurde uns für gleich vier
Projekte verliehen: für den Busan Cinema Center, die Akademie der bildenden
Künste, das Great Egyptian Museum bei den Pyramiden von Gizeh und die
Experimentelle Kunsthalle in Cordoba. Im Jahr 2008 wurde COOP
HIMMELB(L)AU mit dem RIBA International Award für das Akron Art Museum
und dem RIBA European Award für die BMW Welt geehrt.
34
HR Dipl.-Ing. Dr. techn. Wolfdieter Dreibholz
Geboren 1941 in Wien.
1966 Diplomingenieur der Architektur TU Wien.
Von 1968 bis 1974 Assistent an der TU Graz
1977 Doktor der Technischen Wissenschaften“.
1978 bis 1998 Planungsreferat Land Steiermark.
Ab 1990 Direktor Planungsreferat Land Steiermark.
2000 Geschäftsführer COOP HIMMELB(L)AU Mex S.A. de
C.V. und Gesellschafter der COOP HIMMELB(L)AU Prix &
Swiczinsky & Dreibholz ZT GmbH
Seit 2004 Geschäftsführer
Energieoptimiertes Bauen und
Sanieren – Simulationswerkzeuge
und Anwendungsbeispiele
Univ.-Prof. Dr.-Ing. John Grunewald
Institut für Bauklimatik
Technische Universität Dresden
1. Einleitung
Vor dem Hintergrund steigender Preise für Energie und Rohstoffe und der
zunehmenden weltweiten Klimaproblematik sind alle Bereiche der Gesellschaft
dazu angehalten, sparsam und effizient mit den natürlichen Ressourcen der Erde
umzugehen. Das spiegelt sich auch in der aktuellen weltweiten Forschungspolitik1,
den gesetzlichen Bestimmungen2 und den entsprechenden Normen3 wieder.
Energie optimiertes Bauen ist eines der wesentlichen Handlungsfelder innerhalb
des 5. Energieforschungsprogramms der Bundesregierung. Im Forschungsschwerpunkt Energieoptimiertes Bauen (EnOB) hat man sich für Neubauten die
Halbierung des Primärenergiebedarfs gegenüber dem heutigen Stand der Technik
vorgenommen. Zugleich wird in den Projekten bereits an der Perspektive „Nullenergiegebäude“ gearbeitet.
Die Entwicklung von neuen, energieeffizienten Gebäudekonzepten und
Technologien in Modellprojekten ist ein besonderer Schwerpunkt von EnOB: Im
Bereich EnBau werden Büro- und Verwaltungsgebäude sowie öffentliche und
gewerbliche Gebäude mit minimalem Energiebedarf geplant und gebaut. Im
Bereich EnSan erprobt man ambitionierte Sanierungskonzepte für verschiedene
Gebäudetypen. Die wissenschaftliche Querschnittsanalyse und projektübergreifende Dokumentation wird durch eine neu implementierte Begleitforschung
unterstützt. Dabei gilt es auch eine einheitliche Methodik zur Analyse von Energiebedarf und –verbrauch zu entwickeln. Die langjährige differenzierte Datenerfassung an vielen unterschiedlichen Standorten und verschiedene detaillierte
Klima-, Energieverbrauchs- und Komfortmessungen in diesen Objekten liefern
1
2
3
1. US Environmental Protection Agency: http://www.epa.gov/greenbuilding/, 2. EU Seventh
Framework Programme (FP7): http://cordis.europa.eu/fp7/home_en.html, 3. IEA Annex 41, Whole
building heat, air and moisture response: www.kuleuven.ac.be/bwf/projects/annex41, 4.
Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie: http://www.enob.info/
EnEV: „Verordnung über energiesparenden Wärmeschutz und energiesparende Anlagentechnik bei
Gebäuden (Energieeinsparverordnung – EnEV)“ Bundesgesetzblatt 2007
DIN V 18599:2007: Energetische Bewertung von Gebäuden
35
verlässliche Erfahrungen und Daten, die auch für andere Forschergruppen erschlossen und für unterschiedliche Fragestellungen ausgewertet werden sollen.
Ein Arbeitsschwerpunkt ist der durch energetische und hygrothermische Gebäudeund Bauteilsimulationswerkzeuge unterstützte Transfer der Forschungsergebnisse
in die Aus- und Weiterbildung. Die Forschungsergebnisse sollen in didaktisch aufbereiteter Form in verschiedenen Online-Lehrangeboten Eingang finden.
Neben den Gebäude- und Energiekonzepten für Neubau und Sanierung werden
auch neue Materialien, Technologien und Systeme für die Bautechnik und die
technische Gebäudeausrüstung entwickelt und unter realen Betriebsbedingungen
getestet. In laufenden und kürzlich abgeschlossenen FuE-Vorhaben werden die
Fortschritte im Bereich der Modelbildung zur hygrothermischen Bauteilsimulation
mit der Ermittlung von Materialdaten repräsentativer Altbauten im Bundesgebiet
verbunden und parallel dazu ein Feuchtekatalog4 zusammengestellt.
36
Neben der Energieeffizienz sind bei der Sanierung des Gebäudebestandes auch
die Fragen der Dauerhaftigkeit und Nachhaltigkeit von Bedeutung. In nicht wenigen
Fällen spielen denkmalpflegerische Aspekte eine Rolle. Das Verständnis von
Schädigungsprozessen und deren Mechanismen ist eine Voraussetzung für
effektive Schadensvorhersage und Risikoabschätzung, aber auch für die Bewertung von Sanierungsmaßnahmen. Im Rahmen des DFG Schwerpunktprogramms SPP 11225 wurde ein Modell für die Beschreibung von Salztransportund Phasenumwandlungsprozessen in porösen Materialien entwickelt, um durch
verbesserte Modellierung und Simulation praxisrelevante Fragestellungen beantworten zu können. Dies ist ein Beispiel dafür, wie im Bauwesen die unterschiedlichen Fachgebiete miteinander in Wechselwirkung stehen.
Die zunehmende Integration verschiedener Fachgebiete wird auch in der Entwicklung der Simulationswerkzeuge reflektiert. Es gibt Bestrebungen und auch
schon konkrete Ergebnisse, um durch die Vernetzung von Information und die
Kopplung von Programmen die Interaktion des Systems Klima-Gebäude-NutzerAnlage besser beschreiben zu können. Das entspricht auch der Entwicklung von
der Förderung von Einzeltechnologien hin zu einem ganzheitlicheren Ansatz.
Dieser Beitrag möchte den aktuellen Stand dieser integrativen Aktivitäten beleuchten und versucht, in einem Ausblick Entwicklungstendenzen aufzuzeigen.
Anwendungsbeispiele werden in der oralen Präsentation die Argumentation
unterstützen.
4
5
Feuchteatlas zur Vermeidung planungsbedingter Feuchteschäden: Neue Beurteilungskriterien Auswertung hygrothermischer Simulationen, BMWi FKZ 0329663F
DFG Schwerpunktprogramm SPP 1122: „Vorhersage des zeitlichen Verlaufs von physikalischchemischen Schädigungsprozessen an mineralischen Werkstoffen''
2. Energetische Gebäudesimulation
2.1 Verfügbare Werkzeuge (Auswahl)
Die Energie- und Klimasituation erfordert die Ausschöpfung aller verfügbaren
Möglichkeiten zur Senkung des Energiebedarfs im Gebäudebereich. Die Notwendigkeit, heute schon energieeffizient zu bauen bzw. zu sanieren stellt die
Forschung vor die Aufgabe, für die kurz- bzw. mittelfristige Umsetzbarkeit der
Forschungsergebnisse in die Baupraxis zu sorgen. Da dies kein nationales
Problem ist, sollte es international mit Unterstützung durch ein gut organisiertes,
weltweit nutzbares Netzwerk von Entwicklungswerkzeugen gelöst werden, welches
den Wissenstransfer von der Forschung in die Praxis gewährleistet.
Es wird weltweit an der Entwicklung von Berechnungswerkzeugen gearbeitet, die
für die energetische Bewertung von Gebäuden eingesetzt werden können. Dazu
zählen kommerzielle Produkte6, die für bestimmte Marktsegmente entwickelt
werden und kostenfreie Werkzeuge7, die auf offenen Entwicklungsplattformen
basieren. Der Entwicklungsstand dieser Werkzeuge ist bereits sehr hoch, mit
ESP-r ist es beispielsweise möglich, detaillierte hygrothermische Simulationen
unter Berücksichtigung der thermischen Masse auszuführen. Nachteile bestehen
aber in der relativ schwierigen, teilweise unfreundlichen Bedienbarkeit und der
nicht öffentlich zugänglichen Entwicklungsplattform der kommerziellen Tools.
Das Department of Energy (DoE) in den USA hat auf die sich abzeichnende
energiekritische Situation reagiert, indem man schon sehr früh in einem
Forschungsschwerpunkt auf die Entwicklung nichtkommerzieller energetischer
Gebäudesimulationsprogramme setzte8. Auch in China9 und Japan10 ist die Entwicklung vergleichbarer Projekte forciert worden. Diese Entwicklung wird maßgeblich durch Forschungseinrichtungen getragen. Damit wird gesichert, dass die
Produkte ständig weiterentwickelt werden, die Produkte der Öffentlichkeit frei zur
Verfügung stehen und die Entwicklungsstrategie unabhängig von kommerziellen
Interessen bleibt.
Ein weiterer entscheidender Punkt ist die Datensicherheit und Nutzerfreundlichkeit
des Werkzeuges. Ohne sicheres automatisches Datenmanagement und ent-
6
7
8
9
10
TM
z.B. TRNSYS for transient energy system simulation: http://www.trnsys.com/,
BSim, Danish BRI: http://www.en.sbi.dk/publications/programs_models/bsim/about-bsim
z.B. ESP-r: an integrated modelling tool: http://www.esru.strath.ac.uk/Programs/ESP-r.htm
EnergyPlus for whole building energy simulation: http://apps1.eere.energy.gov/buildings/energyplus/
Tsinghua University Beijing: DeST – An Integrated Building Simulation Toolkit
Tokyo University, Japan: Virtual Building Database System
37
sprechende Kontrollen sind die Mengen an Eingabedaten nicht zu beherrschen.
Die Ergebnisse wären durch fehlerhafte Eingaben fragwürdig oder der Bearbeitungsaufwand unvertretbar hoch.
Leichte Bauweise
Schwere Bauweise
Wohnraumnutzung, klimatisiert (21°C / 25°C)
2 x 400 m2
3.5 m
20 m
38
2 x 400 m2
Abb. 1: Beispiel für die einfache online-Gebäudemodellierung
Für die durchgängige energetische Bewertung von Gebäudeentwürfen sind
Konzepte notwendig, die schon in der frühen Entwurfsphase greifen.
Erfreulicherweise geben die jüngsten Entwicklungen11 (siehe Abb. 1) auf diesem
Sektor Anlass zum Optimismus. Für den erfolgreichen Einsatz in der Lehre und in
der Forschung sind Werkzeuge notwendig, die mindestens folgende Kriterien
erfüllen:
11
•
Schnelle Generierung des geometrischen Gebäudemodells durch
intuitiv zugängliche Zeichenfunktionen
•
Automatische Verknüpfung von geometrischen, baukonstruktiven und
baustofflichen Informationen
DesignBuilder for rapid development of building models: http://www.designbuilder.co.uk/
•
Hierarchische Strukturierung und dynamische Verwaltung der Daten
von der Ebene der Gesamtgebäude über Block- und Zonendefinitionen, Wandkonstruktionen bis hinunter zur Materialebene
•
Umfangreiche lokalisierte Standarddatensätze für Materialien,
Konstruktionen, Bauweise, Nutzung, Anlagenbetrieb
•
Weltweite Klimadatenbank
•
Visuelles Navigieren durch das virtuelle Gebäudemodell
•
Interaktive Ergebnisdarstellung auf Jahres-, Monats-, Tages- und
Stundenbasis
Aus den obigen Ausführungen wird deutlich, dass sowohl hoch entwickelte
physikalische Modelle mit effizienten numerischen Lösungsverfahren als auch
durchdachte Nutzeroberflächen notwendig sind, um die Arbeit mit Gebäudemodellen erfolgreich in Forschung und Lehre zu integrieren. Wie weit die Entwicklung von Nutzeroberflächen als Aufgabe von Forschungseinrichtungen
gesehen werden kann, bleibt im Einzelfall zu entscheiden. Es ist zu beobachten,
dass sie auch erfolgreich in den kommerziellen Bereich ausgelagert wird. Die
Entwicklung von physikalisch-numerischen Modellen ist aber sehr wohl eine
Forschungsaufgabe. Der Vernetzung von Werkzeugen aus den unterschiedlichen
Bereichen kommt daher entscheidende Bedeutung zu.
2.2 Entwicklung von Schnittstellen zu den Gebäudemodellgeneratoren
Energieeffiziente Gebäude müssen optimal geplant und genutzt werden. Dazu
bedarf es einer klimagerechten Bauweise und einer gebäudegerechten Anlagentechnik sowie der Steuerung durch eine intelligente Gebäudeautomation. Dies ist
eine Optimierungsaufgabe, die auch in absehbarer Zeit nicht durch normative
Vorgaben gelöst werden kann. Das intelligente Haus wird in Zukunft mit einem
Betriebssystem für das Gebäudeenergiemanagement ausgestattet sein, wozu in
Forschung und Entwicklung Simulationswerkzeuge eingesetzt werden, um die
komplexen Zusammenhänge verstehen zu können und die schwierigen
technischen Prozesse besser beherrschen zu lernen.
Um möglichst effizient fehlerfreie Gebäudemodelle erstellen zu können, bedarf es
der Entwicklung von Importfunktionen über Schnittstellen zu den Gebäudemodellgeneratoren. Als eine Möglichkeit bietet sich die Nutzung des .idf-Formats (siehe
Abb. 2) von EnergyPlus an, welches von mehreren kommerziellen (z.B
DesignBuilder) und nicht-kommerziellen (z.B. Google-SketchUp) Gebäudemodellgeneratoren bedient wird. Am Institut für Bauklimatik (IBK) der TU Dresden wird an
der Entwicklung einer entsprechenden Importfunktion (dynamic link library - dll)
gearbeitet, die in der Lage ist, das Datenmodell aus der .idf-Datei zu lesen, in
Datenstrukturen im Hauptspeicher zu halten und in andere, freie Formate zu
39
exportieren. Ziel ist die Entwicklung eines eigenen Solvers am IBK für die
numerische Gebäudesimulation, welcher mit Unterstützung der idf-Importfunktion
mit den Gebäudemodellgeneratoren zusammenarbeiten kann.
•
•
•
•
•
•
40
•
PROJECT_INFO
SIMULATION_DATA
SCHEDULES
MATERIALS
CONSTRUCTIONS
ZONES
o Zone1
o
:
o Zonei
ƒ
USED_SCHEDULES
ƒ
LIGHTS
ƒ
ELECTRIC_EQUIPMENT
ƒ
DAYLIGHTING
ƒ
INFILTRATION
ƒ
VENTILATION
ƒ
SURFACES
•
Definition of Vertices
•
Construction – Zone connections
o
:
o Zonen
REPORTS
Abb. 2. Strukturübersicht der Gebäudemodelldaten in der .idf Schnittstellendatei
Durch den Import und die Weiterverarbeitung des Gebäudemodells kann man
neben der bauphysikalischen Bewertung auch weitere Fachgebiete miteinander
verknüpfen. Interessant sind bauökonomische Fragenstellungen bei Investitionen,
die auf eine verbesserte Energieeffizienz abzielen. Zu beachten sind in diesem
Zusammenhang auch Entwicklungen auf dem Gebiet des Building Information
Modeling (BIM) einer Methode zur optimierten Planung, Ausführung und Bewirtschaftung von Gebäuden mit Hilfe von Software. Dabei werden alle relevanten
Gebäudedaten kombiniert und vernetzt, bis hin zum virtuellen Gebäudemodell im
Rechner. Für den Datentransfer wird das IFC-Format verwendet (Industry
Foundation Classes), welches Standards für BIM definiert.
Die Aufgabe, komplexe Interaktionen von Klima, Baukonstruktion, Nutzerverhalten
und Anlagensteuerung unter bauenergetischen, bauklimatischen und bauphysikalischen Gesichtspunkten zu beurteilen bedarf entsprechender Werkzeuge,
welche das instationäre Verhalten dieser Komponenten adäquat abbilden können.
Obwohl bereits mehrere Simulationsprogramme mit unterschiedlichen Schwerpunkten existieren, die zumindest Teilaspekte der Fragestellungen lösen können,
besteht trotz großer Fortschritte weiterhin akuter Forschungs- und Entwicklungsbedarf auf diesem Gebiet.
2.2 Entwicklungen von Schnittstellen zur hygrothermischen
Bauteilsimulation
Die energetische Gebäudesimulation verzichtet im Allgemeinen auf die detaillierte
Bauteilberechnung, was der Integration von Effekten, bei denen die Bauwerksmasse eine wichtige Rolle spielt (z.B. thermisch aktive Elemente, Latentwärmespeicher) nicht dienlich ist. Fragen der Materialverträglichkeit, der Schadensfreiheit und der hygrothermischen Performanz sind bisher nicht in die energetische
Gebäudesimulation integriert.
Gestützt auf die entwickelten Lösungen auf dem Gebiet der Bauteilsimulation wird
am IBK der Versuch unternommen, ein gekoppeltes Gebäude-Bauteil-Simulationsmodell zu entwickeln. In einem ersten Schritt wurde in Kooperation mit der
Syracuse University, New York, ein Programm mit dem Namen CHAMPSMultizone12 (Coupled Heat Air Moisture and Pollutant Simulation) entwickelt, um
die technischen Möglichkeiten der Kopplung von Solvern für Wand- und Raumzonen zu testen. Der Fokus dieser Untersuchungen lag auf der Zeitintegrationsmethode, der Zeitschrittsteuerung und dem Datenaustausch zwischen den
Modellen.
Das Raumzonenmodell wird mit den Wandmodellen (oder Fußböden, Decken,
Dächer) durch Schnittstellen gekoppelt. Die Raumzonen werden mit einem
eigenen Solver berechnet und jeweils eine Wand wird durch einen separaten
Solver gelöst. Der Aufruf der Solver erfolgt sequenziell, nach jedem
Synchronisationszeitpunkt werden die Austauschgrößen an der Schnittstelle
aktualisiert. Mehrere konservative (Austausch von Flüssen an den Schnittstellen)
und nicht-konservative (Austausch von Zustandgrößen) Methoden für den
Datenaustausch wurden getestet. Die nicht-konservativen Methoden, welche
geringe Massen- und Energieverluste an den Schnittstellen zulassen, erwiesen
sich als die flexibelste Lösung.
Die Berechnungsgeschwindigkeit hängt von dem Zeitschritt zwischen den
Synchronisationszeitpunkten ab. Während dieses Zeitschrittes werden die
Übergabebedingungen quasi konstant gehalten. Dabei zeigte sich, dass die
12
A. Nicolai, J.S. Zhang and J. Grunewald: “Combined simulation of multi-zone air flow models and
building envelope models”, Conference paper, Building Simulation 2007, Beijing
41
benötigte Simulationszeit ab einen Zeitschritt unter 15 min überproportional zunahm. Für Zeitschritte über 15 min war keine merkliche Verbesserung der Rechengeschwindigkeit mehr erreichbar. Die Stabilität der Lösung nimmt erst mit Zeitschritten von größer 1 Stunde ab. Daher kann geschlussfolgert werden, dass die
ideale Zeitschrittlänge für die in CHAMPS-Multizone gewählte Kopplungsmethode
zwischen 30 - 60 min liegt.
3. Bauteilsimulation
3.1 Ausgangssituation
Die Gebäudehülle (Umfassungskonstruktion) ist ein wesentliches Element des
gestalterischen und energetischen Gesamtkonzeptes eines Gebäudes. Neben den
Lüftungswärmeverlusten stellen die Transmissionswärmeverluste durch die
Gebäudehülle den Hauptanteil des Heizenergieverbrauchs von Gebäuden dar. Zur
bauphysikalischen Bewertung von Umfassungskonstruktionen existieren hygrothermische Simulationsverfahren an verschiedenen Forschungseinrichtungen13,
die Konstruktionen unter beliebigen instationären Klimabedingungen bewerten
können.
42
Bei der energetischen Aufwertung von älteren Gebäuden mit geringem oder oft
unzureichendem Dämmstandard sieht sich der Planer mit der Aufgabe konfrontiert,
Lösungen für die bestehende Bausubstanz zu finden, die sowohl in baustofflicher,
konstruktiver und gestalterischer Hinsicht verträglich sein müssen. Gestiegene
Ansprüche hinsichtlich des Wohnkomforts sind mit höheren Anforderungen an die
Gebäudehülle in Einklang zu bringen und zu realisieren. Dabei müssen oft auch
unterschiedliche Wirkmechanismen und wichtige Einflussfaktoren wie Schlagregen, Frost, Salzausblühungen, Verwitterung oder organische Schädlinge
bewertet werden, die mit den gängigen Bemessungsverfahren nicht oder nur
unzureichend berücksichtigt werden können.
Aus diesen Gründen können in der Planungspraxis Unsicherheiten hinsichtlich
einer bauphysikalischen Bewertung von Umfassungskonstruktionen bestehen, die
sowohl die Aspekte der Energieeffizienz als auch der Nachhaltigkeit und Dauerhaftigkeit einschließen. Es ist zu erwarten, dass sich in Zukunft die Bauaktivitäten
weiter in Richtung Sanierung des Bestandes verschieben und damit die Notwendigkeit einer bauphysikalischen Bewertung noch stärker in den Mittelpunkt
rücken wird. Der Pflege erhaltenswerter Bausubstanz wird zunehmend Beachtung
geschenkt, während bauphysikalische Fragestellungen durch steigende
13
Z.B. MATCH - Danish Technical University
WUFI - Fraunhofer Institut für Bauphysik: http://www.wufi.de/
DELPHIN - IBK, TU Dresden: http://www.bauklimatik-dresden.de/
Dämmstandards an Brisanz gewinnen. Vor diesem Hintergrund ist zu prüfen, in
wie weit durch die Anwendung von Standardverfahren unter Normklimabedingungen (konstante Außenlufttemperatur von -10°C, relative Luftfeuchte von
80%) innovative Lösungen verhindert werden oder unsichere Konstruktionen zur
Anwendung kommen können, weil wesentliche Wirkmechanismen wie z.B. der
kapillare Flüssigwassertransport unberücksichtigt bleiben.
Die bauphysikalische Bewertung von Umfassungskonstruktionen beinhaltet neben
baukonstruktiven und baustofflichen Aspekten auch die Berücksichtigung des
realen Klimas. Um das bauphysikalische Verhalten von Gebäudeteilen und von
konstruktiven Details potenziell realitätsnah abzubilden, können zur Bewertung von
Umfassungskonstruktionen unter Realklima Simulationsverfahren vorteilhaft eingesetzt werden. Die qualifizierte Anwendung und die Interpretation der vielfältigen
Ergebnisse, deren Informationsgehalt weit über den der Bemessungsverfahren
hinausgeht, erfordert allerdings ein höheres Maß an Fachkenntnis. Um die
Simulationsergebnisse mit den Resultaten der Bemessungsverfahren vergleichen
zu können, müssen diese „im Sinne“ der Bemessungsverfahren interpretierbar
sein. Auf diesem Gebiet besteht eindeutiger Handlungsbedarf hinsichtlich der
Umsetzung der Forschungsergebnisse in die Praxis.
3.2 Ziele und Methodik des Projektes „Feuchteatlas“
Für die Interpretation der Ergebnisse bauphysikalischer Bewertungen mit Hilfe von
Simulationsverfahren gibt es bisher kaum etablierte Kriterien. Da der Aufwand
beim Einsatz von Simulationsverfahren höher liegt, muss die Frage nach dem
Mehrwert der Simulationsverfahren gestellt werden. Führt die Anwendung eines
Simulationsverfahrens im Vergleich mit den gängigen Bemessungsverfahren zum
gleichen Ergebnis bezüglich der Zulässigkeit der Konstruktion? Können Grenzfälle
mit Hilfe der Simulation genauer bewertet werden? Aus diesem Fragenkomplex
generieren sich die Ziele des Projektes „Feuchteatlas“.
Das erste Ziel des Projektes Feuchteatlas besteht in der Definition von Bewertungskriterien für Umfassungskonstruktionen, die auf neu entwickelten
Algorithmen zur Auswertung der Simulationsergebnisse basieren. Diese
Bewertungskriterien gehen bis zu einem gewissen Grad mit den Bemessungsverfahren konform, reichen aber auf Grund der Vielfalt der Simulationsergebnisse
auch weit über die üblichen Bewertungen hinaus.
Die Untersuchungen beziehen sich auf eine hinreichend große Anzahl (einen
Katalog) von Konstruktionstypen, um die Verallgemeinerbarkeit der Ergebnisse
möglichst groß zu halten. Das zweite Ziel des Feuchteatlas besteht daher in der
beispielhaften Anwendung von Bewertungskriterien auf eine Auswahl von
Umfassungskonstruktionen, die natürlich keinen vollständigen Überblick aller
möglichen Konstruktionen geben kann und daher auf gängige, praxisrelevante
43
Lösungen fokussiert. Dieses Ziel dient der Umsetzung und Übertragung der
Ergebnisse von Forschung und Entwicklung in die Aus- und Weiterbildung von
Fachplanern, Architekten und Handwerkern.
Es ist bekannt, dass in vielen kritischen Situationen der Gebäudehülle der
konvektive Transport durch Luftströmungen in durch- oder hinterlüfteten
Konstruktionen bzw. Hohlräumen den Hauptanteil an Energieverlusten und
Schadenspotenzialen verursacht. Das dritte Ziel umfasst daher die Entwicklung
und Validierung eines neuen, vereinfachten Verfahrens zur Berücksichtigung von
Luftströmungen in und durch Umfassungskonstruktionen. Es soll ein Verfahren
etabliert werden, welches mit angemessenem Rechenaufwand in der Lage ist, den
Einfluss von Luftströmungen auf den Feuchte- und Wärmehaushalt von Wand- und
Dachaufbauten zu quantifizieren. Die Möglichkeiten und Grenzen des Verfahrens
sind zu bestimmen und dessen Anwendbarkeit ist für ausgewählte Anwendungsfälle zu demonstrieren.
44
Der Feuchteatlas stellt neu entwickelte Bewertungskriterien vor, welche die
Beurteilungsmöglichkeiten von Wand- und Dachaufbauten wesentlich erweitern
können. Sie ergänzen die vorhandenen Bewertungskriterien aus den Bemessungsverfahren und werden bei der Auswertung ausführlich erläutert, sodass der Leser
befähigt wird, alle Schritte für eine umfassende bauphysikalische Beurteilung von
Konstruktionen nachzuvollziehen. Die verwendeten Verfahren tragen dem Fortschritt in der Modellierung hygrothermischer Vorgänge Rechnung und ermöglichen
eine vielschichtigere Untersuchung von Konstruktionen hinsichtlich verschiedener
Schädigungsszenarien.
Die Ergebnisse neuer Simulationsverfahren werden mit denen herkömmlicher
Bemessungsverfahren verglichen. Dabei kommen das am Institut für Bauklimatik
(IBK) der TU Dresden entwickelte Simulationsprogramm DELPHIN unter realen
Klimarandbedingungen sowie das analytische Bemessungsverfahren COND (IBK)
und das Glaser-Verfahren nach DIN 4108 unter jeweils DIN-konformen Klimarandbedingungen zur Anwendung. Die eingehende Untersuchung verschiedener bauüblicher, eindimensionaler Standardwandaufbauten macht deutlich, in welchen
Fällen der „einfache“ DIN-Algorithmus ungeeignet ist, weil z.B. innovative
Lösungen fälschlicherweise als unzulässig eingestuft werden. Ein Vergleich von
COND- und DIN-Verfahren zeigt, welchen Einfluss die Berücksichtigung des
kapillaren Flüssigwassertransportes haben kann (Bemessung kapillaraktiver
Dämmsysteme) und der Vergleich mit den DELPHIN-Ergebnissen demonstriert, ob
oder wie weit die Ergebnisse mit den Bemessungsverfahren auf der sicheren Seite
liegen und wann auf ein Simulationsprogramm zurückgegriffen werden sollte.
Simulationen mehrdimensionaler konstruktiver Details von vornehmlich
historischen Gebäuden ergänzen den Katalog, da Feuchteschäden meistens
zuerst an Wärmebrücken wie Gebäudeecken, Einbindungen oder Anschlüssen
auftreten. Hierbei werden auch potenziell problembehaftete Konstruktionen
einschließlich unkonventioneller Lösungsvorschläge überprüft.
Um den Einfluss von Luftströmungen zu quantifizieren, wurde ein Luftströmungsmodell in das Simulationsprogramm DELPHN implementiert. Dieses Modell stellt
einen Kompromiss zwischen Rechenaufwand und Genauigkeit dar. Strömungen in
Folge von Druckgradienten und thermische Auftriebsströmungen werden
modelliert. Auf die Lösung der Impulsbilanzgleichung (und turbulenten
Strömungen) wurde zugunsten der Rechengeschwindigkeit verzichtet. Mit Hilfe von
Computational Fluid Dynamics (CFD) Simulationen wurden ausgewählte kritische
Fälle berechnet, um das Modell zu validieren und die Grenzen der Anwendbarkeit
des Modells zu testen.
3.3 Das Salztransportmodell
Die theoretischen Grundlagen des gekoppelten Wärme- und Feuchtetransportes in
kapillarporösen Baustoffen sind schon seit längerer Zeit bekannt. Die Kopplung mit
Luftströmung (Feuchteatlas) und der Salztransport (DFG SPP1122) sind Gegenstand der aktuellen bauphysikalischen Forschung am IBK. Die Erkenntnisse
werden fortwährend in numerische Simulationsprogramme implementiert, die auch
am IBK weiterentwickelt werden. Die Modelle für Salztransport und Phasenumwandlungen wurden in das Simulationsprogramm Delphin 5 implementiert,
welches eine auf dem Wärme- und Feuchtetransportprogramm DELPHIN4
basierende Neuentwicklung darstellt.
Das Simulationsprogramm Delphin 5 enthält zwei Transportmodelle, ein
Einzelkomponentenmodell für binäre Salzlösungen und ein Modell für
Salzgemische:
1. Der Salztransport in porösen Materialien kann vereinfacht durch ein Modell
beschrieben werden, das lediglich binäre Lösungen berücksichtigt. In den
vereinfachten Modellen beschreibt man das gelöste Salz als einzelne
Komponente der Flüssigphase wobei davon ausgegangen wird, dass die
Ladungsneutralität eine Auseinanderbewegung der gelösten Ionen verhindert.
Der Vorteil dieses “Ionenwolken“-Modells besteht in dem geringeren
Rechenaufwand und damit kürzeren Simulationszeiten.
2. Komplexere Modelle für Salzgemische bilanzieren alle gelösten Ionen separat
und man erzwingt die Ladungsneutralität durch eine zusätzliche Bilanzgleichung. Diese Modelle erlauben es, ein komplexeres Kristallisationsverhalten zu beschreiben, sind aber mit einem höheren Rechenaufwand
verbunden. Da die Bildung von kristallinen Phasen von den jeweiligen
45
Bedingungen abhängt, die in der Flüssigphase vorliegen, können z.B. bei
verschiedenen Temperaturen unterschiedliche Salzarten auskristallisieren.
Diese Prozesse können mit dem Salzgemischmodell sehr genau
wiedergegeben werden.
Das Modell ist anwendbar auf Salztransportprozesse in inerten Materialien.
Chemische Änderungen der Materialmatrix wurden bislang noch nicht berücksichtigt. In dem aktuellen Modell werden zusätzlich Effekte wie Einfluss des
Salzes auf Feuchtespeicherung (hygroskopische Wirkung der Salze und die
daraus resultierende Erhöhung der Feuchtegehalte), Veränderung von Feuchtetransportpotenzialen und Transportkoeffizienten (Einfluss der Lösungseigenschaften und der Wasseraktivität auf den Dampfdruckgradienten und veränderte
Flüssigwassertransporteigenschaften) und die Verkleinerung des Porenraumes
durch Salzkristallisation (Einfluss auf alle Feuchtespeicher- und –transportvorgänge) beschrieben. Damit steht erstmals die Möglichkeit einer realitätsnahen
Beschreibung dieser Vorgänge zur Verfügung.
46
Eine der Hauptanwendungsgebiete für Delphin 5 ist die Modellierung des zeitlichen
Verlaufs von Schädigungsprozessen in Baumaterialien. Die Kenntnis von zeitabhängigen Feuchte-, Temperatur- und Salzverteilungen in Wandquerschnitten
erlaubt Aussagen über die Häufigkeit von hygrothermischen Dehn- und Schwindvorgängen, lokalen Belastungszonen infolge Salzkristallisation sowie die Bewertung und Optimierung von Entsalzungsmaßnahmen. Delphin 5 stellt damit ein
neuartiges wissenschaftlich fundiertes Werkzeug mit dem Einsatzschwerpunkt in
der Erhaltung und Sanierung historisch wertvoller Bausubstanz einschließlich
kultureller Güter dar. Die Anwendungsbreite reicht von Bauwerken mit erhaltenswerten Fassaden, Museen und Denkmälern bis zu Kunstwerken und Kulturschätzen wie Statuen und Wandgemälden, welche sowohl inneren als auch
äußeren Klimaten ausgesetzt sein können.
4. Längerfristige Entwicklungsperspektiven
Deutschland leistet auf dem Gebiet der Erforschung und Entwicklung von energieeffizienten baulichen Anlagen Hervorragendes. Von der in Deutschland installierten
Leistung an Windenergie ist man in anderen Ländern beeindruckt. Deutschland
wird als Vorbild wahrgenommen, wenn es um die Umsetzung der Ziele des KyotoProtokolls geht.
Strategisch längerfristig angelegte Überlegungen legen es nahe, sich auch auf
dem Sektor der Gebäudesimulation eine eigene freie Plattform zu schaffen, wie
das beispielsweise in den USA mit EnergyPlus gelungen ist. Die Herausforderungen sind in Europa aber anderer Natur als in den USA. In Europa steht
man vor der energetischen Sanierung und Erneuerung der Gebäude im Bestand.
Energieeffizientes Bauen sollte in Europa nicht auf die energetische Sichtweise
beschränkt bleiben, sondern die ganzheitliche Betrachtungsweise sollte das
Entwicklungsziel sein. Das umfasst neben einer bauphysikalischen Gesamtbewertung (Wärme, Feuchte, Licht, Schall) auch Aspekte der Bauökonomie, der
Ästhetik und des Denkmalschutzes. Nicht alle technische machbaren Lösungen
können auch umgesetzt werden. Es gilt ein Optimum zwischen gestalterisch und
technisch eleganten Lösungen und ggf. denkmalpflegerischen Aspekten abzuwägen. Unerlässlich ist die ökonomische Bewertung. Was gebaut werden soll,
muss auch bezahlbar sein.
Auf Grund des differenzierten Anforderungsprofils, das in Europa zukünftig an die
Gebäudesimulation gestellt werden wird, sollte auf die Entwicklung eines europaweiten universitären Netzwerks von Entwicklern gesetzt werden. Die Nachnutzung
amerikanischer Werkzeuge wird die Probleme Europas auf Dauer nicht lösen
können. Dieses Netzwerk sollte offen für universitäre Weiterentwicklung bleiben,
was mit einer Kommerzialisierung des Netzwerkes oder einzelner Teile unvereinbar ist. Das bedeutet nicht, dass Gebäudesimulationsprogramme nicht kommerziell
genutzt werden dürfen. Alle potenziellen Nutzer sollten die Möglichkeit haben, die
Ergebnisse der Forschung in der Praxis anwenden, um einen multiplikativen Effekt
entfalten.
Das universitäre Entwicklungsnetzwerk muss die Quelltexte für interessierte
potentielle Mitentwickler offen halten, so dass eine sich selbst erneuernde Entwicklung in Gang gehalten werden kann. Die Entwicklung einer selbstständigen
europäischen Palette von Gebäudesimulationswerkzeugen auf einer einheitlichen
Plattform hätte mehrere Vorteile:
•
Förderung der interuniversitären Kommunikation, Möglichkeit des
Einstieges von neuen Doktoranden auf dem aktuellen Stand der
Wissenschaft,
•
Konzentration auf die Inhalte bei neuen Entwicklungsarbeiten, keine
Verschwendung von Zeit zur Lösung bereits gelöster programmtechnischer Fragen,
•
durchgängige Verwendung neuester Programmiertechnologien, z.B.
optimierte Solver, um die rechenintensiven Aufgaben der
energetischen Gebäudeoptimierung zu lösen.
Die genannten Vorteile legen es nahe, die Erfolgsaussichten eines solchen
Projektes als gut zu bezeichnen, wenn die notwendigen Fördermittel akquiriert
werden können. Es kann davon ausgegangen werden, dass die globalen
Energieprobleme in Zukunft auch zur verstärkten Nachfrage nach Simulationswerkzeugen dieser Art in anderen Regionen der Welt führen werden.
47
Prof. Dr.-Ing. John Grunewald
Leiter des Instituts für Bauklimatik und Innehaber der
Professur für Bauphysik seit 2007
2006-2007 Außerordentlicher Professor und Acting Director
des Building Energy and Environmental Systems Laboratory
(BEESL) an der Syracuse University department of
Mechanical and Aerospace Engineering, NY, USA
2000-2006 Wissenschaftlicher Oberassistent am Institut für
Bauklimatik der Technischen Universität Dresden
2000-2005 Projektkoordinator und wissenschaftlicher Leiter
u.a. des Forschungsprojektes INSUMAT (5.
Rahmenprogramm der EU)
1994 -2000 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für
Bauklimatik der Technischen Universität Dresden
1991-1994 Wissenschaftlicher Angestellter am Institut für
Bauphysik der Materialforschungs- und -prüfanstalt in
Weimar bzw. im Labor für zerstörungsfreie Prüfung der
Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung in Berlin
48
Innovationen in der
Bauphysik
Univ.-Prof. Dr.-Ing. Dipl.-Phys. Klaus Sedlbauer
Universität Stuttgart & Fraunhofer-Institut für Bauphysik
1. Einleitung
Nachdem das Bauvolumen in Deutschland seit Mitte der neunziger Jahre
kontinuierlich zurückgegangen ist, zeichnet sich inzwischen eine leichte Belebung
des Marktes ab, die jedoch momentan etwas stagniert. Langfristig werden sich in
der Baubranche einer wachsenden EU nur jene Unternehmen behaupten können,
die das offenkundige Innovationspotenzial am Bau rasch für sich zu nutzen wissen.
Viele Unternehmen haben die Rezession in der Baubranche nicht überstanden.
Jene, die heute am Markt agieren, konzentrierten sich oftmals auf Marktnischen, in
denen attraktive Margen erreichbar sind, z.B. Modernisierung und Sanierung im
Bestand.
Zur Mithilfe hierbei sind aufgrund ihrer engen Marktorientierung FraunhoferInstitute mit verschiedenen Modellen der Zusammenarbeit in anwendungsorientierter Forschung prädestiniert. Der Beitrag zeigt mit alternativen faserfreien
Schallabsorbern, einer feuchteadaptiven Dampfbremse sowie der Software WUFI®
beispielhaft, wie Produktentwicklungen des Fraunhofer-Instituts für Bauphysik
(IBP) gemeinsam mit innovationsorientierten Unternehmen erfolgreich im
nationalen und internationalen Markt platziert werden konnten. Abschließend wird
mit dem Projekt inHaus2 auf eine für die Baubranche neue Plattform für bi- und
multilaterale FuE-Kooperationen hingewiesen.
2. Wege zu Innovationen
Gemäß Weg A in Tabelle 1 werden Dienstleistungs-Projekte (DL) zwischen einem
Forschungs-Institut und einem Industrieunternehmen in der Regel von klaren
Vorstellungen des Auftraggebers geprägt und müssen häufig unter Zeitdruck
durchgeführt werden. Eine typische Projektanbindung auf Weg A stellen
beispielsweise folgende Dienstleistungen unter der Regie des Kunden dar:
ƒ
Verbesserung von Produkten durch gezielte Modifikation von
Materialeigenschaften,
ƒ
Messung von relevanten physikalischen Produktkennwerten,
ƒ
Tests der Praxistauglichkeit neuartiger Produkte.
49
Die Idee einer Produktentwicklung stammt bei Weg B ebenfalls von der Industrie,
allerdings wird das Institut früher eingeschaltet und hat die Möglichkeit, die
Produktentwicklung gemeinsam mit dem Kunden zu begleiten, bleibt allerdings
auch in diesem Fall bei der Vermarktung im Wesentlichen unbeteiligt.
Demgegenüber erscheint Weg C ertragreicher und zukunftsweisend: Hier hat das
Forschungs-Institut die Produktidee und kann nach erfolgter Entwicklung eines
Prototyps die Industrie als langfristigen Partner gewinnen und den Weg der
Produktentwicklung und -vermarktung mit diesem zusammen gehen. Dabei sind
folgende Merkmale ausschlaggebend.
Die Forschungseinrichtung:
50
ƒ
ist exzellenter Kenner aktueller bauphysikalischer Probleme,
ƒ
hat z.T. einmalige Mess- und Prüfeinrichtungen,
ƒ
hat Kompetenz zur marktgerechten Durchsetzung von Problemlösungen,
ƒ
hat Rechen- und Planungswerkzeuge, um akute Problembereiche zu
simulieren und deren Verknüpfungen mit anderen Produkteigenschaften,
Herstelltechnik, Qualitätssicherung etc. mit Hilfe von Entwicklungsmethoden wie QFD nachvollziehbar zu gestalten,
ƒ
hat intensive Kontakte zu Bauschaffenden der verschiedensten
Disziplinen.
ƒ
Gemeinsame Auftritte in Konferenzen und Ausstellungen prägen ein neues
Erscheinungsbild von Wirtschaft und Wissenschaft im Verbund.
Die Stärke eines erfolgreichen Instituts der angewandten Forschung liegt in der
richtigen Auswahl und Kombination der verschiedenen Wege: Manches Prüfergebnis (Weg A) macht überhaupt erst ein latentes Problem offenbar, welches
danach zu einem Innovationsprozess führt; manche Marktanpassung (Weg C)
führt zu neuen Mess- und Berechnungsaufgaben bis hin zur Zertifizierung von
Bauteileigenschaften. Daher hat jeder der aufgezeigten Wege seine Berechtigung
und muss differenziert betrachtet werden.
Von einer Innovation kann erst dann die Rede sein, wenn nicht nur die Entwicklung, sondern auch die Produktvermarktung erfolgreich war. Dabei lassen sich
zwei Vorgehensweisen unterscheiden:
Wege A+B: Projektideen werden an das Fraunhofer-Institut herangetragen oder
dieses erkundet bei potenziellen Auftraggebern aktiv die Projektideen. Diese
Vorgehensweisen bedingen ein unterschiedliches Marketing und sind in der Regel
nicht mit einer einheitlichen Strategie umsetzbar. Auf alle Fälle ist das Institut
Dienstleister und muss sich möglichst flexibel an die Bedürfnisse des
Auftraggebers anpassen. Weg C: Projektideen werden im Institut geboren;
anschließend gilt es, Auftraggeber zu finden, die diese Ideen finanzieren oder, falls
aus der Idee bereits ein Produkt geworden ist, dieses zu vermarkten. In diesem
Fall wird das Institut selbst zum Trendsetter und sucht sich Marktteilnehmer, die
bereit sind, das unternehmerische Risiko einer Innovation zu tragen. Folgende
Maßnahmen zur Unterstützung bei der Vermarktung eines Produktes sind dann
erforderlich:
ƒ
Vorbereitung der Akzeptanz des Produktes in Fachkreisen durch Vorträge
und Publikationen,
ƒ
Ggf. Anpassung bestehender Vorschriften und Richtlinien,
ƒ
wissenschaftliche Beratung bei der Erstellung von Werbematerial,
ƒ
Erschließung weiterer Marktsegmente, Aufzeigen von Weiterentwicklungsmöglichkeiten und Marktsegmenten sowie Diversifizierung des Produktes.
Bei diesen Maßnahmen ist eine behutsame Vorgehensweise unabdingbar, damit
das Fraunhofer-Institut nicht zum verlängerten Arm der Vertriebsabteilung des
Vertragspartners wird, was dem Ruf als wissenschaftlich neutrale Institution
schaden würde.
51
Tabelle 1: Darstellung der typischen Phasen einer Produktentwicklung.
Beispiel für erfolgreiche Marktdurchdringung 1:
Alternative Faserfreie Absorber
Beratung und Planung für die Raumakustik in Gebäuden werden oft neben der für
den Schallschutz-Nachweis geduldeten Bauakustik als etwas eher Entbehrliches
von vielen Architekten beiseite geschoben oder von Baubeteiligten ohne umfassenden Auftrag und Sachverstand mit erledigt. Entsprechend häufig sind
Beanstandungen von Bauherren und Nutzern wegen schlechter akustischer
Arbeits- oder Freizeitumgebungen. Mit der Zunahme schallharter Wände und
Decken gehören solche Baumängel zum Tagesgeschäft, auch des Fraunhofer IBP.
Mit dem ersten „Kind“ einer inzwischen großen Familie Alternativer Faserfreier
Absorber ALFA, dem Membran-Absorber, wurde vor 20 Jahren ein Grundstein für
Weg C (s. Tab. 1) gelegt. Zunächst diente diese ganz aus Metall gefertigte,
rundum abgeschlossene Schalldämpfer-Box zur Bekämpfung tieffrequenten Lärms
aus Lüftungs- und Abluftanlagen, später wurde sie auch zur Bedämpfung der tiefen
Eigenresonanzen von musikalisch genutzten Räumen eingesetzt. 1983 hat das
IBP im Auftrag eines KMU der Lüftungsbranche diesen ersten Absorber ohne
jegliches poröses oder faseriges Dämpfungsmaterial entwickelt.
52
Heute bilden Verbundplatten-Resonatoren und Breitband-Kompaktabsorber
zusammen mit mikroperforierten Bauteilen aus verschiedenen Materialien eine auf
jeden architektonischen, bauphysikalischen, gestalterischen und haptischen Bedarf
anpassbare breite Palette von Werkzeugen für Lärmschutz, Sprachverständlichkeit
und akustische Behaglichkeit. Besonders attraktiv erscheint dabei die Lösung der
allgegenwärtigen Akustik-Problematik in Mehrpersonenbüros durch die Belegung
von weniger als 10 % der Deckenfläche mit hochwirksamen Absorber-Modulen.
Auch die Integration ähnlicher Module in Systemwände führt dazu, dass bei rechtzeitiger Einbeziehung akustischen Know-Hows in die Bauplanung eine allen
Ansprüchen genügende Raumakustik machbar wird, die besser und vor allem
preisgünstiger realisierbar ist als mit Teppichen, Vorhängen, Segeln, Baffles oder
Akustikdecken und -putzen. Auch bei Sanierungen wertvoller Bausubstanz wie z.B.
in den Berliner Ministerien haben verschiedene ALFA-Kreationen nachträglich die
Akustik verbessert. Oft waren transparente mikroperforierte Acrylglas-Vorsatzschalen und auch zweilagige Kunststoff-Foliensegel wie in Abb. 1 Problemlöser
und retteten vor dem totalen Nutzungsausfall.
Abb. 1: Transparente Segel aus mikroperforierter Folie unter der neuen, konkav gewölbten
Glasdach-Konstruktion im Schlüterhof des Deutschen Historischen Museums, Berlin.
Eine in jüngerer Zeit - auch durch Raumakustik-Norm DIN 18041 - gewachsene
Sensibilität für raumakustische Mängel hat bereits sieben Hersteller- und MontageFirmen allein in Deutschland in den ALFA-Verbund am IBP eintreten lassen. Weltweit warten Millionen kommunikationsintensiv genutzte Räume wie z.B. Büroräume, Schulen, Besprechungsräume, Restaurants u.s.w. auf ihre akustische
Aufwertung.
Beispiel für erfolgreiche Marktdurchdringung 2:
Feuchteadaptive Dampfbremsfolie
Ein Beispiel für die Entwicklung eines neuen Materials und dessen Einführung in
Märkte mit unterschiedlichen Bautraditionen ist die feuchteadaptive Dampfbremse,
die seit 1997 in Deutschland verkauft wird (Abb. 2a und b). Diese Dampfbremse
zeichnet sich durch einen variablen Dampfdiffusionswiderstand aus, der im Winter
deutlich höher liegt als im Sommer. Dadurch wird ein hohes sommerliches Austrocknungspotenzial für die gedämmte Konstruktion erreicht ohne den winterlichen
Tauwasserschutz zu gefährden.
53
Abb. 2a: Die geringe relative Feuchte im Winter schließt die Poren der Dampfbremsfolie und
schützt so die Konstruktion vor Tauwasser
54
Abb. 2b: Die höhere relative Feuchte im Sommer öffnet die Poren der Folie und lässt so die
Feuchte aus der Konstruktion entweichen
Das Haupteinsatzgebiet der feuchteadaptiven Dampfbremse in Deutschland ist die
Zwischensparrendämmung ausgebauter Dachgeschoße. Zur Bestätigung der
positiven Eigenschaften dieser Dampfbremse wurden deshalb vergleichende
Freilanduntersuchungen an Versuchsdächern durchgeführt. Obwohl ausgebaute
Dachgeschosse in den USA unüblich sind, zeigte eine Analyse amerikanischer
Baukonstruktionen in den unterschiedlichen Klimaregionen, dass der Einsatz der
feuchteadaptiven Dampfbremse dort durchaus Vorteile hätte. Mit Hilfe von hygrothermischen Simulationen wurde für amerikanische Holzständerwände mit
dämmender Außenbeplankung nachgewiesen, dass Feuchteprobleme mit dem
Ersatz der Polyethylen-Dampfsperre durch die feuchteadaptive Dampfbremse
vermeidbar wären. Mit Hilfe von Vorträgen und Veröffentlichungen in den USA
sowie durch die Mitarbeit in technischen Komitees gelang es, die amerikanische
Fachöffentlichkeit auf die neue Dampfbremse aufmerksam zu machen. Dennoch
dauerte es noch einige Zeit, bis sich ein Unternehmen fand, das bereit war, das
unternehmerische Risiko auf sich zu nehmen und mit der Vermarktung zu beginnen. Der anhaltende Erfolg der Dampfbremse in den USA seit 2003 zeigt, dass
dies langfristig gelungen ist. Weltweit sind bereits weit über 50 Mio m² verbaut.
Beispiel für erfolgreiche Marktdurchdringung 3:
WUFI®
Die WUFI®-Familie umfasst verschiedene Softwarepakete zur rechnerischen
Simulation der instationären Wärme- und Stofftransportprozesse in Gebäuden,
Bauteilen und Baustoffen sowie in technischen Räumen, wie z.B. Flugzeugkabinen. Die Software eignet sich sowohl für wissenschaftliche Untersuchungen
als auch für den Einsatz bei der Planung von Bau- oder Sanierungsvorhaben. Die
Grundversionen des Programmpaketes sind als Folge von Kooperationsabkommen mit wissenschaftlichen Einrichtungen in Europa und den USA in
mehreren Sprachen (deutsch, englisch, französisch, finnisch, polnisch und
japanisch) erhältlich.
Mehr als 9000 vergebene Nutzungslizenzen weltweit unterstreichen die praktische
Bedeutung der Software. Dies stellt neben der lichttechnischen Software ADELINE
die einzige nach Weg C in Tabelle 1 entwickelte und vermarktete Software des IBP
dar. Die große Nachfrage nach WUFI®-Anwenderschulungen in den USA (bislang
fünfzehn 2-3 tägige Seminare mit mehr als 400 Teilnehmern) verdeutlichen den
Erfolg dieser Software auch außerhalb Europas. Dies hat dazu geführt, dass der
Name Fraunhofer auf dem Bausektor in vielen Ländern einen großen Bekanntheitsgrad erreicht hat, und der Wunsch nach wissenschaftlicher Kooperation mit
dem IBP deutlich zugenommen hat. Der internationale Erfolg von WUFI® ist im
Wesentlichen auf folgende Faktoren zurückzuführen:
ƒ
Das IBP war erster Anbieter einer praxisgerechten Software für die
hygrothermische Bauteilsimulation in Deutschland und den USA,
ƒ
Die zahlreichen Freilandversuche, die seit mehr als 50 Jahren am IBP in
Holzkirchen durchgeführt werden, boten die beste Möglichkeit für eine
experimentelle Validierung der Software,
ƒ
Durch die langjährige aktive Mitarbeit des IBP in Normungsgremien und
Sachverständigenausschüssen konnten die Grundlagen dafür gelegt
werden, dass in Fachkreisen die hygrothermischen Bauteilsimulationen als
Stand der Technik akzeptiert werden,
ƒ
Das Auftreten des IBP bei internationalen Fachkongressen hat einerseits
den Bekanntheitsgrad von WUFI® gefördert und andererseits die Suche
nach Kooperationspartnern im Ausland erleichtert.
55
Die für die Baustoffindustrie interessanteste Eigenschaft der WUFI®-Software ist
die Möglichkeit der Entwicklung innovativer Produkte. Durch das Simulieren des
Temperatur- und Feuchteverhaltens virtueller Bauteile können nicht nur Produktspezifikationen optimiert, sondern auch neuartige Produkte kreiert werden. Ein
Beispiel dafür ist die oben beschriebene feuchteadaptive Dampfbremse. Als
weiteres Beispiel dient eine Hüllmembran für die Flugzeugkabinendämmung. Auch
dafür konnte bereits ein Patent erteilt werden. In den vergangenen Jahren wurde
die WUFI®-Familie entscheidend erweitert. Als erstes ist hier das biohygrothermische Modell zu nennen. Es erlaubt die Vorhersage von Schimmelpilzwachstum bei instationären hygrothermischen Randbedingungen und ist damit
bislang einzigartig in seinem Bereich. Ebenso wichtig ist die Weiterentwicklung der
Bauteilsimulation zu einer Gesamtgebäudesimulation, für die bereits eine mehrfach
überprüfte WUFI®-Plus-Version vorliegt (Abb. 3). Eine besondere Herausforderung
stellte auch die Einbindung eins CFD-Modells (CFD = Computational Fluid
Dynamics) in die WUFI®-Software dar, die im Rahmen eines Projektes mit der
Flugzeugindustrie erarbeitet wurde. Mit dem Modell WUFI®-CFD ist es dem IBP
gelungen, das Vertrauen der Projektpartner zu gewinnen und damit die Zusammenarbeit mit der Flugzeugindustrie stark zu erweitern. Außerdem hat das IBP
damit ein neuartiges Simulationsverfahren zur Verfügung, das auch auf dem
bauphysikalischen Sektor (z.B. im Bereich von Lüftungs-/Abgasanlagen oder
Schornsteinen) einsetzbar ist, wo ein solches Rechenverfahren Neuland bedeutet.
56
Abb. 3: Die Version WUFI®-Plus erlaubt die Simulation der Wärme- und Feuchtigkeitsströme innerhalb eines Gesamtgebäudes.
3. Plattform inHaus2
Eine neue Plattform für Forschungsdienstleistungen und Entwicklungskooperationen in der Baubranche verfolgt das IBP mit dem Projekt inHaus2. Die
Fraunhofer-Gesellschaft hat eine Entwicklungs-, Erprobungs- und Demonstrationsplattform (ca. 3000 m² Nutzfläche) für innovative und zukunftsfähige Bautechnologien errichtet (www.inhaus.de). Das inHaus2 zielt darauf ab, die Kette,
angefangen von Rohstoffherstellern über Produkt- und Systemlieferanten, bis hin
zum bauausführenden Generalunternehmer oder Gebäudebetreiber - also bis hin
zum Endkunden - zu schließen. Dieses Konstrukt ermöglicht es, innovative
Produkte und Gebäudetechnologien aufeinander abzustimmen und sie somit
erprobt und unterstützt durch ein integrales Kommunikationskonzept zeitnah in den
Markt einzuführen. In diesem Projekt werden die Wege B und C (s. Tab. 1) beschritten, wobei viele der aktiv beteiligten Partnerunternehmen erstmals miteinander Entwicklungen betreiben und diese der Erprobung aussetzen. Die Rolle
von Fraunhofer als FuE-Partner ist daher mit zunehmender Projektlaufzeit immer
unschärfer im Voraus bestimmbar. Daher gilt es für ein Fraunhofer-Institut, gerade
bei längerfristigen multilateralen FuE-Vorhaben neben einer effektiven und
effizienten Projektkoordination ein Maximum an Flexibilität zum Erreichen der
gemeinsamen Ziele beizusteuern. Dass das IBP gemäß Weg C an diesen Zielen
entscheidenden Anteil haben kann, wurde anhand von Beispielen belegt.
4. Wissenstransfer
Nach dem Bauschadensbericht der Bundesregierung entstehen bei Neubauten,
Instandsetzung und Modernisierungsarbeiten jährlich Schäden von rund
3,5 Milliarden Euro. Die Dunkelziffer nicht erfasster Schäden dürfte in der gleichen
Größenordnung liegen. 80 % der Schäden sind bauphysikalischer Natur, deren
wesentliche Ursache mangelhaftes Fachwissen der Architekten und Planer im
Fachgebiet Bauphysik ist. Noch brisanter wird dies angesichts der in näherer
Zukunft zu erwartenden Anstrengungen im Bereich der bautechnischen Sanierung
von Gebäuden. Es ist daher dringend erforderlich, dass in den Hochschulen und
Instituten vorhandene Fachwissen so aufzubereiten und an die am Bau
Agierenden (Bautechniker, Architekten, Handwerker) so zu transportieren, dass es
dort verstanden wird. Dieser Wissenstransfer kann in Demo-Vorhaben, wie in den
letzten Jahren beispielhaft im Handwerksbildungszentrum der Handwerkskammer
in Münster gezeigt, im Internet oder sogar mit einfachen Software-Tools angegangen werden. Erwähnt sei hier lediglich das excelbasierte Berechnungsprogramm zur Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden nach DIN V 18599, welches
den Energiebedarf für Klimatisierung und Beleuchtung mit berücksichtigt. Das zur
praktischen Durchführung von Nachweis-, Wirtschaftlichkeits- und Optimierungsrechnungen geeignete Rechentool bietet das Fraunhofer IBP auf seiner Homepage
kostenlos an.
57
5. Fazit
Das Fraunhofer IBP ist durch hohes wissenschaftliches Niveau und mit
konsequenter Orientierung am gemeinsamen Produkterfolg als FuE-Partner für
alle Betriebsgrößen in der Baubranche etabliert und dringt mit seinen Kernkompetenzen in andere Branchen vor. Im härter werdenden Wettbewerb einer
größer werdenden EU werden zunehmend innovative Prozesse und Produkte zum
erfolgsentscheidenden Vorteil. Die öffentlich finanzierte Forschung kann hierfür nur
Grundlagen liefern, um darauf spezifische Problemlösungen aufbauen. Die
Zukunftsfähigkeit von Unternehmen zeigt sich nicht zuletzt an der Zukunftsorientierung ihres Angebots. Da zwar Mobiltelefone in Fernost produziert und
verarbeitet werden können, nicht aber Häuser, und da trotz schrumpfender
Bevölkerungszahl auch künftig in Deutschland Gebäude errichtet werden, ist die
Baubranche auf die Umsetzung von Forschungsergebnissen angewiesen. Wegen
der gerade dieser Branche eigenen Beharrlichkeit muss die Umsetzung rasch
erfolgen. Es konnte gezeigt werden, dass dies auf verschiedenen Wegen bereits
erfolgreich gelungen ist.
Prof. Dr.-Ing. Dipl.-Phys. Klaus Sedlbauer
58
Jahrgang 1965. Studium der Physik an der LMU München.
Promotion 2001. Von 2001 bis 2003 stellvertretender Leiter
Fraunhofer-Insitut für Bauphysik Holzkirchen. 2003
Professor an der Fachhochschule Rosenheim. Seit Nov.
2003 Institutsleiter und Professor an der Universität
Stuttgart.
Im Juni 2004 Verleihung des WTA-Preises durch die
Wissenschaftlich-Technische Arbeitsgemeinschaft für
Bauwerkserhaltung und Denkmalpflege e.V. (WTA).
Im November 2005 Verleihung der Ehrennadel der
Handwerkskammer Münster für sein Engagement für die
Zusammenarbeit von Wissenschaft und Handwerk.
Umsetzung der GebäudeEffizienz-Richtlinie der EU
Dipl.-Ing. Wolfgang Jilek
Energiebeauftragter des Landes Steiermark
Mit der Richtlinie 2002/91/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom
16. Dezember 2002 über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden (kurz EPBD =
Energy Performance of Buildings Directive) trat die Grundlage dafür in Kraft, dass
Gebäude in den 27 Mitgliedsstaaten – mit wenigen Ausnahmen wie historisch
bedeutsamen, provisorischen oder sehr kleinen Gebäuden – in Zukunft einen
Energieausweis bekommen werden, der sie hinsichtlich ihrer energetischen
Qualitäten beschreibt. Das ist zumindest das bekannteste Element dieser Richtlinie. Darüber hinaus sind allerdings eine Reihe von weiteren Regelungen enthalten wie Festlegung von Anforderungen an Gebäude, der Aushang des Energieausweises, die (in Österreich bereits übliche) regelmäßige Überprüfung von
Heizanlagen sowie von Klimaanlagen.
Der Hintergrund für die Schaffung der EPBD ist vielschichtig und reicht von der
Steuerung der Energienachfrage und den Möglichkeiten der politischen Einflußnahme zur Erfüllung der im Rahmen des Kyoto-Protokolls eingegangenen Verpflichtungen bis zum Aktionsplan der Kommission zur Verbesserung der Energieeffizienz für den Gebäudebereich. Wenn der Energiebedarf eines Gebäudes –
Wärme, Kälte, Lüftung, Klimatisierung etc. – ausreichend beschrieben ist, können
die KonsumentInnen energetisch gute und schlechte leichter unterscheiden und
dies wird letztlich Wert (mit) bestimmend, der Energiebedarf zählt. Auch die
Minderung von Emissionen durch regelmäßige Wartung von Heizkesseln und
Klimaanlagen gehört dazu und nicht zuletzt wird damit eine Minderung der CO2Emissionen erwartet. Das „Grünbuch Energieeffizienz“ geht von einem Minus von
20% des Gebäudeenergiebedarfes bis 2020 aus, erwartet eine Million zusätzlicher
Arbeitsplätze, erhöhte Versorgungssicherheit und € 60 Milliarden Ersparnis.
Der Energieausweis selbst ist nur die Dokumentation der energetischen Analyse
eines Gebäudes unter Normbedingungen. In Österreich werden seine Inhalte und
Gestaltungsregeln in der OIB-Richtlinie 6 und dem zugehörigen OIB-Leitfaden
zusammengefasst (siehe auch weiter unten). Die Gebäudeenergieproblematik
lässt sich zwar nicht auf eine Angabe einer einzigen Zahl reduzieren, doch ermöglicht die Darstellung des spezifischen Heizwärmebedarfs unter Zugrundelegung eines Referenzklimas im Energieausweis sehr wohl eine schnelle
Orientierung für den Laien. Weitere Kriterien berücksichtigen daher die gebäude-
59
spezifische Energiemenge für das gesamte Heizsystem inkl. Warmwasser und
elektrische Hilfsenergie (Heizenergiebedarf), sowie zusätzlichen Energieeinsatz für
Kühlung, Belüftung und Beleuchtung (Endenergiebedarf). Der Energieausweis als
Dokument soll zur Bewusstseinsbildung beitragen, ist aber kein Instrument, die
prinzipielle Bereitschaft der betroffenen Gebäudenutzer bzw. -betreiber zum
„Energiesparen“ gesetzlich einzufordern, da sich das spezifische Nutzerverhalten
konkreten Reglementierungen entzieht.
1. Energieausweis – nicht nur für die Gebäudehülle
60
Die Umsetzung der EU-Richtlinie in die Gesetzgebung der Länder ist großteils
vollzogen und beruht auf der genannten OIB-Richtlinie 6, dies betrifft derzeit neue
Gebäude oder Sanierungen größeren Umfangs (wenn die Renovierung zumindest
drei der folgenden Elemente enthält: Unterste Geschoßdecke, Wände, Fenster und
Türen, Dach, Heizungs- oder Kühlsystem). Ab 1. Jänner 2009 werden die
Regelungen auch für bestehende Gebäude Gültigkeit haben, sofern diese einem
baurechtlich relevanten Vorrang unterliegen, verkauft oder vermietet werden. In
den genannten Fällen muss der Energieausweis (entsprechend dem „Energieausweisvorlage-Gesetz“) für den EigentümerInnen, KäuferInnen oder MieterInnen
verfügbar gemacht werden. Die Gültigkeit des Energieausweises ist mit 10 Jahren
limitiert und kann maximal weitere 10 Jahre durch die EnergieaustellerInnen oder
gleichwertige ExpertInnen verlängert werden, solange keine die energetische
Qualität beeinflussende Veränderungen vorgenommen worden sind oder sich eine
gesetzliche Änderung ergeben hat.
Die EU-Richtlinie verlangt zunächst die Berechnung des Energiebedarfes eines
Gebäudes (oder auch einer Nutzungseinheit) nach einer einheitlichen Methode, die
zumindest die Elemente
•
Gebäudehülle (Wärmedämmung, Luftdichtheit),
•
Heizungsanlage und Warmwasserversorgung,
•
Klimaanlage,
•
(mechanische) Belüftung / mit Wärmerückgewinnung,
•
eingebaute Beleuchtung (Nutzgebäude),
•
Lage und Ausrichtung des Gebäudes (Außenklima),
•
passive Solarsysteme,
•
Sonnenschutz,
•
natürliche Belüftung und
•
Innenraumklimabedingungen
einschließt, also über die Inhalte der schon bisher in einigen Bundesländern
ausgestellten Energieausweise deutlich hinaus geht: Diese umfassten zumeist nur
Wärmeverluste der Gebäudehülle, im Wesentlichen über die Qualität der Außenbauteile (als U-Werte beschrieben) und über die Lüftung errechnet. Die Qualität
der Heizungssysteme spielte in den diversen bisher genutzten Berechnungsverfahren keine Rolle, obwohl auch diese große Energieverluste bzw. eine stark
eingeschränkte Nutzung der eingesetzten Energie in Form von Öl, Gas, Biomasse
etc. aufweisen können (bei älteren und vor allem schlecht gewarteten Anlagen ist
das geradezu die Regel).
Es sei angemerkt, dass von der EU-Kommission zur Umsetzung der EPBD
hinsichtlich der Berechnung der Gesamtenergieeffizienz lediglich ein allgemeiner
Rahmen, jedoch keine konkrete Methode bereitgestellt wurde. Allerdings erging ein
sehr umfangreicher Auftrag an CEN, einschlägige Normen auszuarbeiten, was
mittlerweile in den meisten Bereichen erfolgt ist. Die bei der Umsetzung der EPBD
beteiligten ExpertInnen bemühten sich denn auch, bei der Entwicklung die
Berechnungsmethoden der österreichischen und europäischen Normenwerke –
soweit vorhanden – zu integrieren, ohne jedoch die Praktikabilität aus den Augen
zu verlieren. Ein schwieriges Unterfangen, das dennoch eine einheitliche
Berechnungsmethode für Österreich, die langfristig sogar dauerhaft mit den von
CEN erarbeiteten europäischen Normen kompatibel ist, brachte.
Das Berechnungsverfahren soll eine möglichst realitätsnahe Beschreibung der
thermischen Qualitäten des Gebäudes ermöglichen und basiert auf mehr als 200
mathematischen Algorithmen, die eine sehr differenzierte Beschreibung erlauben,
welche den meisten Details in konventionellen und speziellen Gebäuden
Rechnung tragen. Die NutzerInnen dieses Systems haben die Möglichkeit, alle
verfügbaren Details zu verwenden, dies ist jedoch nicht obligatorisch und es
können auch für wesentliche Bereiche der Kalkulation Defaultwerte angesetzt
werden (die gängigen Rechnungsprogramme enthalten diese Defaultwerte wie
auch weitere Grundlagen z. B. zur Abbildung des Klimas). Zahlreiche spezielle
Module wurden im Verlauf der Entwicklung des Berechnungssystems geschaffen,
wie z.B. ein Klimamodell, das es erlaubt, monatliche Daten einzusetzen, insbesondere für die Wärmespeicherung in relevanten Teilen des Gebäudes oder
eine Methode, um ökonomische und umweltrelevante Aspekte des Einsatzes
erneuerbarer Energieträger für neue oder bestehende Gebäude zu kalkulieren. Der
Energieausweis selbst muss von einer qualifizierten und autorisierten Person
ausgestellt werden und enthält zumindest
•
eine erste Seite mit der Skala der Energieeffizienz,
•
eine zweite Seite mit detaillierten Ergebnissen und
•
einen Annex, der die für die Ausstellung des Energieausweises
notwendigen Daten und Berechnungsverfahren enthält.
61
Die genannte Effizienzskala bzw. deren unterschiedliche Anforderungsniveaus
werden in graphischer Form festgehalten und geben den Heizwärmebedarf für die
Bruttogeschoßfläche pro m2 der konditionierten Fläche, bezogen auf ein Referenzklima wieder. Dies ist in der OIB Richtlinie 6 genau festgelegt. Die Festlegung
erfolgte in Abstimmung mit bisherigen Usancen auf den Faktor „Heizwärmebedarf“
(in kWh/m2 a) und weist folgende Stufen auf:
62
•
•
•
•
•
•
•
•
•
Klasse A++:
Klasse A+:
Klasse A:
Klasse B:
Klasse C:
Klasse D:
Klasse E:
Klasse F:
Klasse G:
HWBBGF,Ref
HWBBGF,Ref
HWBBGF,Ref
HWBBGF,Ref
HWBBGF,Ref
HWBBGF,Ref
HWBBGF,Ref
HWBBGF,Ref
HWBBGF,Ref
≤ 10 kWh/m2a
≤ 15 kWh/m2a
≤ 25 kWh/m2a
≤ 50 kWh/m2a
≤ 100 kWh/m2a
≤ 150 kWh/m2a
≤ 200 kWh/m2a
≤ 250 kWh/m2a
> 250 kWh/m2a
Darüber hinaus finden sich allerdings auch der (eigentlich für die Beurteilung der
Gesamtsituation des Gebäudes relevante) Endenergiebedarf und andere Faktoren
auf den weiteren Seiten des Energieausweises.
Im Unterschied zu einschlägigen europäischen Normen wurden in Österreich –
weil Energieeinsparung und effiziente Energienutzung neben der Verwendung
erneuerbarer Energieträger ganz wesentliche Ziele darstellen, um von Energielieferungen aus dem Ausland unabhängiger zu werden und auch in Zukunft eine
leistbare Energieversorgung sicherstellen zu können – die beiden Klassen A+
(Heizwärmebedarf ≤ 15 kWh/m2a) und A++ (Heizwärmebedarf ≤ 10 kWh/m2a)
eingeführt.
Darüber hinaus sind Anforderungen an die Gebäude (und damit letztlich an alle
erwähnten Systeme) zu stellen, in Form von Energiekennzahlen, demnach
benötigte Energiemengen. In Österreich wird dies (wie schon bisher) die Angabe
benötigter kWh pro m2 und Jahr sein, die nicht überschritten werden dürfen. Die
dazu erarbeitete „OIB-Richtlinie 6, Energieeinsparung und Wärmeschutz“ ist
demnach gegliedert in
•
Anforderungen an den Heizwärmebedarf,
•
Anforderungen an den Endenergiebedarf,
•
Anforderungen an Wärme übertragende Bauteile,
•
Anforderungen an Teile des energietechnischen Systems,
•
Sonstige Anforderungen und
•
Energieausweis
Das Berechnungsverfahren ist in den entsprechenden Ö-Normen enthalten.
Folgende Normen sind für die Ermittlung des Endenergiebedarfes erforderlich:
•
ÖNORM B 8110-5: Klimamodell und Nutzungsprofile
•
ÖNORM B 8110-6: Grundlagen und Nachweisverfahren – Heizwärme- und
Kühlbedarf
•
ÖNORM H 5056: Heiztechnik-Energiebedarf
•
ÖNORM H 5057: Raumlufttechnik-Energiebedarf für Wohn- und NichtWohngebäude
•
ÖNORM H 5058: Kühlenergiebedarf
•
ÖNORM H 5059: Beleuchtungsenergiebedarf
2. Anforderungen
Die in den bisherigen baugesetzlichen Regelungen vorhandenen Anforderungen
an Einzelbauteile bleiben grundsätzlich erhalten in so ferne, als die bisherigen
maximalen U-Werte (in W/m²K angegeben) z. B. für Wände gegen Außenluft,
Fenster und Türen, Decken etc. vereinheitlicht werden und als solche weiterhin
gelten, dank ihres nicht allzu strengen Niveaus aber eine relativ große
gestalterische Freiheit für die PlanerInnen lassen, da die letztendlich zu
erreichende Energiekennzahl insbesondere für die Wärmeverluste die wichtigste
Größe darstellt.
Es versteht sich, dass zwischen verschiedenen Gebäudekategorien (Ein- oder
Mehrfamilienhaus, Bürogebäude, Krankenhaus etc.) unterschieden werden muss.
63
Auch hier wurde etwas von der Vorgabe der EU-Kommission abgegangen und
letztlich folgende Kategorien festgelegt:
64
•
Wohngebäude (Österreich unterscheidet im Gegensatz zum Vorschlag der EURichtlinie nicht zwischen Ein- und Mehrfamilienhäusern)
•
Bürogebäude
•
Kindergärten und Pflichtschulen
•
Höhere Schulen und Hochschulen
•
Krankenhäuser
•
Pflegeheime
•
Pensionen
•
Hotels
•
Gaststätten
•
Veranstaltungsstätten
•
Sportstätten
•
Verkaufsstätten
Ganz allgemein gesagt hat Österreich ein System von Anforderungen eingeführt,
das sukzessive anspruchsvoller werden und langfristig zum Passivhausstandard
für Gebäude (ausgenommen historische Gebäude etc.) führen soll. Für Wohngebäude müssen als erster Schritt die im folgenden angeführten Werte für den
Heizwärmebedarf für die konditionierten Bereiche eingehalten werden, abhängig
von der Gebäudegeometrie (charakteristische Länge lc) und im Bezug auf das
Referenzklima entsprechend der OIB-Richtlinie 6:
Neubau:
bis 31.12.2009
HWBBGF,WG,max,Ref =
2
nicht über 78.0 [kWh/m2a]
26 * (1 + 2.0/lc) [kWh/m a]
ab 01.01.2010
HWBBGF,WG,max,Ref =
2
19 * (1 + 2.5/lc) [kWh/m a]
nicht über 66.5 [kWh/m2a]
Sanierung:
bis 31.12.2009
HWBBGF,WGsan,max,Ref =
2
nicht über 102.0 [kWh/m2a]
34.0 * (1 + 2.0/lc) [kWh/m a]
ab 01.01.2010
HWBBGF,WGsan,max,Ref =
2
nicht über 87.5 [kWh/m2a]
25.0 * (1 + 2.5/lc) [kWh/m a]
Im Fall von Gebäuden mit einem Belüftungssystem mit Wärmerückgewinnung
werden die oben angeführten Grenzwerte um 8 kWh/m2a reduziert.
Im Falle von Nicht-Wohngebäuden und Sanierung im größeren Umfang in diesem
Bereich müssen die folgende Werte bezogen auf das konditionierte Volumen (!)
eingehalten werden (wobei dafür die Nutzungsprofile aus dem Wohnbau herangezogen werden), ebenfalls abhängig von der Gebäudegeometrie und im Bezug auf
das Referenzklima:
Neubau:
HWB*V,NWG,max,Ref =
bis 31.12.2009
9.0 * (1 + 2.0/lc) [kWh/m3a]
HWB*V,NWG,max,Ref =
ab 01.01.2010
6.5 * (1 + 2.5/lc)[kWh/m3a]
nicht über 27.00 [kWh/m3a]
nicht über 22.75 [kWh/m3a]
Sanierung:
HWB*V,NWGsan,max,Ref =
bis 31.12.2009
11.0 * (1+ 2.0/lc) [kWh/m3a]
HWB*V,NWGsan,max,Ref =
ab 01.01.2010
8.5 * (1 + 2.5/lc) [kWh/m3a]
nicht über 33.0 [kWh/m3a]
nicht über 30.0 [kWh/m3a]
Die folgenden Gebäude oder Gebäudekategorien sind von den Anforderungen, die
in den gesetzlichen Regelungen gestellt werden, ausgenommen:
•
Gebäude oder Baudenkmäler sowie Gebäude für religiöse Aktivitäten, die
einen besonderen Schutz (Denkmalschutz) genießen (entsprechend ihrer
besonderen Architektur oder dem historischen Wert, wenn die Erfüllung der
Anforderungen sich mit diesen Eigenschaften nicht verträgt),
•
Gebäude, die nicht Wohnzwecken dienen und nicht konditioniert sind und
65
•
Gebäude, wenn diese nicht Wohnzwecken dienen und Heizgradtags-Summe
jener Monate in denen eine Nutzung vorgesehen ist weniger als 680 Kd
beträgt.
Bei öffentlichen Gebäuden mit hoher Besucherfrequenz ist der ausgestellte
Energieausweis sichtbar auszuhängen – wohl ein Hinweis der Kommission auf die
erwünschte Vorbildwirkung.
3. Alte – neue Gebäude
Grundsätzlich gelten Berechnungsmethode und Anforderungen für alle Arten von
Gebäuden, aber für den Gebäudebestand, dessen detaillierte rechnerische
Erfassung vielfach unglaublich aufwändig oder sogar unmöglich wäre, sind Vereinfachungen in der Berechnungsmethode zulässig und die Anforderungen sind
milder. Außerdem spielt die Größe der Gebäude eine Rolle: Die Mindestanforderungen (nach Art. 4) sind im Falle von bestehenden Gebäuden nur bei
solchen mit einer Gesamtnutzfläche von mehr als 1000 m², die einer umfassenden
Sanierung unterzogen werden, zu erfüllen, und nur dann wenn dies technisch,
funktionell und wirtschaftlich möglich ist (Ausgleich der Zusatzkosten innerhalb der
technischen Lebensdauer der Maßnahme durch die Energieeinsparung).
66
Eine „umfassende Sanierung“ ist dann gegeben, wenn mehr als 25% der
Gebäudehülle saniert werden oder die Renovierungskosten (Außenbauteile und
Heizung/Warmwasser) mehr als 25 % des Gebäude-Neuwertes (exclusive Grundstückskosten) betragen; die weiter gehende Interpretation bleibt dem jeweiligen
Gesetzgeber (siehe unten) überlassen.
Bei der Neuerrichtung eines Gebäudes ist im Regelfall ein Energieausweis
auszustellen, bei neuen Gebäuden mit einer Gesamtnutzfläche von mehr als
1000 m² kommt allerdings noch hinzu, dass vor Baubeginn die Möglichkeit eines
ökologisch und wirtschaftlich begründeten Einsatzes alternativer Energieversorgung, z. B. dezentraler Systeme auf Basis erneuerbarer Energieträger,
Kraftwärmekopplung, Wärmepumpen oder Fernwärme zu berücksichtigen ist –
gerade in Zeiten des Klimawandels und signifikant teurer werdender fossiler
Energieressourcen eine Forderung, die einer zukunftsorientierten Energiepolitik
ohnehin entgegen kommt.
Der Energieausweis – von qualifizierten und befugten Fachleuten auszustellen
(diese Qualifikation ist in mehreren Schriftstücken der mit dem Gewerberecht
befassten Sektion des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit geregelt und
schließt ZivilingenieurInnen und technische Büros einschlägiger Fachrichtungen,
einschlägige Gewerbe wie Baumeister, Zimmerer, Heizungsinstallation etc. ein) –
umfasst nach der vorgeschlagenen OIB-Richtlinie 6 beispielsweise bei Neubau,
Umbau, Zubau und umfassender Sanierung eines Wohngebäudes zumindest die
folgenden Informationen:
•
Heizwärmebedarf des Gebäudes im Vergleich zu Referenzwerten für die
gleiche Gebäudekategorie;
•
Endenergiebedarf des Gebäudes im Vergleich zu Referenzwerten für die
gleiche Gebäudekategorie;
•
Empfehlungen für Maßnahmen bei der Sanierung eines Wohngebäudes,
deren Implementierung den Endenergiebedarf des Gebäudes reduziert,
und die ein ausgewogenes Kosten-Nutzen-Verhältnis aufweisen.
Die „Empfehlungen für Maßnahmen“ ziehen sich durch die gesamte EU-Richtlinie
als wesentliches Element der Energieausweise als Marktinstrument zur
Bewusstseinsbildung.
4. Überprüfung von Heizungs- und Klimaanlagen
Zur Forderung einer regelmäßigen Überprüfung von Heizungsanlagen im Artikel 8
der Richtlinie 2002/91/EG ist anzumerken, dass diese in Österreich in allen
Bundesländern seit vielen Jahren gesetzlich verpflichtend (und teilweise strenger
als die in Art. 8 lit. a enthaltenen Mindestanforderungen) ist. Die geforderte einmalige Inspektion von Heizungsanlagen mit Kesseln, die älter als 15 Jahre sind –
eine Maßnahme, die gerade im Kontext mit der erwünschten Emissionsminderung
(z. B. von Feinstaub!) Sinn macht – , führt allerdings auf Grund der Verknüpfung
der gesamten Heizungsanlage (inklusive der Verteilungssysteme) mit dem Heizbedarf des Gebäudes zu einer in Österreich bisher üblicherweise nicht durchgeführten Gesamtüberprüfung eines Heizungssystems, auch sollen die Kosten in
einem vertretbaren Verhältnis zur Größe der Heizungsanlage bzw. des Gebäudes
stehen. Das hat zur Folge, dass einerseits ein entsprechend qualifiziertes unabhängiges Fachpersonal vorhanden sein muss und andererseits die große Anzahl
der betroffenen Heizungsanlagen (es wird geschätzt, dass mindestens 30 bis 40 %
des Anlagenbestandes hiervon betroffen sind) zu berücksichtigen und somit dafür
die Schulung und Ausbildung von zusätzlichem qualifizierten unabhängigen Fachpersonal erforderlich ist. Alleine aus diesem Grunde ist im Übrigen die Verlängerung der Umsetzungsfrist um drei Jahre unbedingt erforderlich.
Das Thema Klimaanlagen war in Österreich bisher – aus der Sicht des Baurechtes
– eigentlich keines, obwohl die Zahl der Kühl-, Klima- und Lüftungsanlagen gerade
während der letzten Jahre signifikant gestiegen ist und die Kombination aus zwar
hinsichtlich der Wärmeverluste recht guter Bauteile und der sommerlichen
Überhitzungsprobleme durch großflächige Verglasungen dazu geführt hat, dass
die Kühlung bei nicht wenigen neuen (vor allem Büro-) Gebäuden bereits deutlich
67
mehr Energie benötigt als die Heizung und das mit wenigen Ausnahmen ausschließlich in Form von elektrischer Energie, deren Aufbringung zunehmend (in
ganz Europa) Schwierigkeiten mit sich bringt. Es ist also mehr als an der Zeit,
diese Entwicklung positiv zu beeinflussen, alleine, es waren dazu bisher kaum
Grundlagen vorhanden: Wie man Klimaanlagen prüft, was sie leisten sollen,
welche Anforderungen an zeitgemäße Lösungen erstellt werden sollen etc. musste
erst erarbeitet werden.
Anzumerken ist noch, dass – auch aus dem Blickwinkel vorhandener Ressourcen
und des Klimaschutzes betrachtet – in der EU-Richtlinie der Verwendung erneuerbarer Energie große Bedeutung beigemessen wird. Demgemäß ist vorgesehen,
dass bei der Errichtung neuer Wohngebäude mit einer Gesamtnutzfläche von mehr
als 1000 m² alternative Systeme eingesetzt werden müssen, sofern dies technisch,
ökologisch und wirtschaftlich zweckmäßig ist. Alternative Systeme sind
insbesondere
68
•
dezentrale Energieversorgungssysteme auf der Grundlage von
erneuerbaren Energieträgern,
•
Kraft-Wärme-Koppelungsanlagen,
•
Fern-/Blockheizung oder Fern-/Blockkühlung und
•
Wärmepumpen
5. Verantwortlich für die Umsetzung der Richtlinie – Bund oder
Länder?
Beide, denn die Richtlinie verweist auf nationale und regionale Umsetzung und
überlässt die Ausführung den Mitgliedsstaaten. Österreich hat seit langem eine
föderalistische Tradition, in der die Kompetenzen im Baurecht – und hier ist die
Energieeffizienz von Gebäuden zu einem erheblichen Teil angesiedelt – bei den
Bundesländern liegen. Daraus lässt sich ableiten, dass alles, was dem Baurecht
unterliegt, von den Bundesländern zu regeln ist. Übrig bleiben zivilrechtliche
Vorgänge wie der Verkauf oder die Vermietung, für deren Einbindung der Bund
verantwortlich zeichnet. Aus europäischer Sicht und gerade im Lichte der Bemühungen um eine letztlich europaweite Harmonisierung (wie lange sie auch
dauern mag) erscheint eine Umsetzung der Richtlinie auf Bundesländerebene
geradezu absurd – wenn denn eine gemeinsame Lösung gefunden werden kann,
die deren über Jahrzehnte entstandenen Eigenheiten, Erfahrungen, Methoden und
(energie)politischen Vorstellungen einigermaßen Rechnung trägt.
Aus dieser Situation heraus wurde die Umsetzung der Richtlinie in den bereits
zuvor begonnenen Prozess der Harmonisierung der Bauvorschriften integriert, der
von der von den Bundesländern eingesetzten gemeinsamen Plattform OIB
(Österreichisches Institut für Bautechnik) gemanagt wird und versucht, dabei eine
effiziente Vorgangsweise zu erzielen, und die Umsetzungsverpflichtungen aus der
EPBD mit den Harmonisierungsbestrebungen der bautechnischen Vorschriften
betreffend Energieeinsparung und Wärmeschutz in Einklang zu bringen. Der
Harmonisierungsprozess umfasst sechs Bereiche:
ƒ
Mechanische Festigkeit,
ƒ
Brandschutz,
ƒ
Hygiene, Gesundheit, Umweltschutz,
ƒ
Nutzungssicherheit, Barrierefreiheit,
ƒ
Schallschutz,
ƒ
Energieeinsparung und Wärmeschutz.
Für jeden dieser Bereich ist eine Richtlinie entstanden, die für Energie zuständige
OIB - Richtlinie 6 „Energieeinsparung und Wärmeschutz“ bildet mit ihren
harmonisierten bautechnischen Anforderungen auch gleichzeitig das Kernstück der
Umsetzung der EPBD und deckt so gut wie alle für die EU-Richtlinie relevanten
Bereiche des Baurechtes ab mit Ausnahme der Überprüfung der Heizungs- und
Kühlsysteme, deren Harmonisierung über eine eigene Vereinbarung nach Art. 15a
BV-G erfolgen soll.. Die Berechnungsmethoden selbst werden in ÖNORMEN
geregelt. Über das österreichische Normungsinstitut wird auch eine kontinuierliche
Verbesserung der Berechnungsmethoden unter Berücksichtigung aller Interessen
garantiert.
Dieser Prozess ist auch grundsätzlich akkordiert mit den Wohnbauförderungssystemen der Bundesländer, innerhalb derer im Kontext mit der Umsetzung der
Erfordernisse des Klimaschutzes ebenfalls eine Vereinbarung nach Art. 15a BV-G
entstanden ist, die unter anderem eine Begrenzung der Wärmeverluste der
Gebäudehülle in Form von Energiekennzahlen enthält. Die Arbeiten zur OIBRichtlinie 6 „Energieeinsparung und Wärmeschutz“ wurden 2007 weitest gehend
abgeschlossen, die Grundlage für eine harmonisierte Vorgangsweise der Länder
war also vorhanden, allerdings werden weitere Adaptierungen folgen und ist nicht
zuletzt auch eine Änderung der EU-Richtlinie selbst zu erwarten, da die Umsetzung in den Mitgliedsstaaten – soweit überhaupt schon erfolgt – höchst
unterschiedlich ausgefallen ist.
Die grundsätzliche Verpflichtung für die Vorlage von Energieausweisen,
spätestens bei der Abgabe von Vertragserklärungen, leitet sich aus dem Energieausweisvorlage-Gesetz (EAVG) unter Bezugnahme auf die den jeweiligen bundesoder landesrechtlichen Vorschriften entsprechenden Ausweise zur
69
Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden ab. Mit der Verbindlicherklärung der
harmonisierten OIB-Richtlinie 6 durch die einzelnen Länder werden in Entsprechung zum EAVG (und sogar auf vereinheitlichter Ebene) landesrechtliche
Vorschriften zur Verfügung gestellt. Die entsprechenden Umsetzungsaktivitäten
der Länder waren – bis auf die Bundesländer Niederösterreich und Salzburg – im
Sommer 2008 abgeschlossen.
6. Harmonisierung in Europa?
70
Die Vereinheitlichung der österreichischen Baugesetzgebung in den angesprochenen Bereichen hatte erwartungsgemäß hohe Hürden zu nehmen und
nahm deshalb viel Zeit in Anspruch – offenbar zu viel, um (was ja ursprünglich
nicht explizit beabsichtigt worden war) auch die EU-Richtlinie zeitgerecht zu integrieren. Nervosität der Umsetzungspflichtigen im Hinblick auf ein Vertragsverletzungsverfahren war daher zwar verständlich, aber nicht unbedingt angebracht,
denn die Richtlinie bietet die Möglichkeit einer Fristerstreckung um drei Jahre an,
wenn – sinngemäß – nicht genügend Fachleute zur Verfügung stehen, die
Energieausweise ausstellen und die Inspektion von Heizanlagen und Klimaanlagen
durchführen können; insbesondere Letzteres traf auf Österreich zu (es gab bisher
keinerlei Regelungen für die Überprüfung von Klimaanlagen analog zur – in
Österreich als einem der wenigen Mitgliedsstaaten seit langem bestehenden –
Überprüfung von Heizungsanlagen) und wurde so auch gegenüber der
Kommission begründet, die nach Ablauf der Frist 4. 1. 2006 ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet hatte.
Aus einem aktuellen (September 2008) Bericht der Royal Institution of Chartered
Surveyors, eines britischen Berufsverbands von Immobilienfachleuten, geht hervor,
dass die EU-Länder die Regelungen zur Verbesserung der Energie-Effizienz von
Gebäuden nur langsam umsetzten und viele der neueren EU-Mitgliedstaaten sich
mit grundlegenden Problemen konfrontiert sehen. Es gebe noch immer EU-Länder,
die der Europäischen Kommission nicht einmal einen Plan hätten vorlegen können,
wie sie vorzugehen gedächten, um die EPBD umzusetzen: Während einige Mitgliedsstaaten wie Dänemark, Deutschland und auch Österreich die EPBD vollständig umgesetzt hätten, hingen andere Staaten hinterher und sorgten wegen der
entstehenden Verzögerung für Frustration in Brüssel.
Innerhalb der Europäischen Union und vor allem von Seiten der EU-Kommission
gibt es weiterhin intensive Bestrebungen zur Harmonisierung, was unter anderem
in dem erwähnten Mandat an CEN zur Ausarbeitung einschlägiger für die
gemeinsame Umsetzung der Richtlinie notwendiger Normen seinen Ausdruck
fand. Ein Großteil der dazu notwendigen Arbeit wurde zwar geleistet, das
Procedere ist jedoch noch nicht abgeschlossen und kam für den Umsetzungstermin jeden Falls zu spät. Positiv zu sehen ist dennoch, dass die meisten Mitgliedsstaaten die Arbeit von CEN genau beobachtet, sie in ihre eigenen
Regelungen so weit wie möglich einbezogen und damit eine grundsätzlich günstige
Ausgangsbasis dafür geschaffen haben, dass eine spätere Konvergenz der zu
erwartenden 27 unterschiedlichen Umsetzungen nicht a priori drastisch erschwert
oder gänzlich unmöglich gemacht wird.
7. Erwartungen
Eines vorweg: Auch wenn die Umsetzung der Richtlinie in Form von Gesetzen und
Verordnungen des Bundes und aller Bundesländer in Kraft sein wird (dies sollte bis
spätestens 4. 1. 2009 der Fall sein), wird es zweifellos immer noch einige offene
Fragen geben, alleine deshalb, weil die EU-Richtlinie in vielen Bereichen großen
Interpretationsspielraum lässt und dieser wohl auch genutzt wird – in den meisten
anderen Mitgliedsstaaten noch weit mehr als in Österreich. Man darf aber davon
ausgehen, dass gerade in Folge der in Österreich und durch die Bundesländer
gemeinsam mit einer Vielzahl von Institutionen und Organisationen getragenen
äußerst ambitionierten Arbeit zur Umsetzung der Richtlinie eine Grundlage dafür
geschaffen wurde, dass der Energieausweis tatsächlich zu dem Instrument wird,
als das er gedacht ist: Ein Weg zur Hebung des Energiebewusstseins, zu Energieeinsparungen und zum vernünftigeren Einsatz von Energie.
Dipl.-Ing. Wolfgang Jilek
Energiebeauftragter des Landes Steiermark
Geboren am 21.06.1950
1960 – 1967 AHS BEA-Liebenau in Graz;
Lycée St. Louis de Gonzague in Paris
1969 – 1974 Technische Universität Graz, Architektur.
1974Techniker und Übersetzer (Französisch) bei DorschConsult, München/Algier
1976 – 1986 Planung von Solararchitektur, Institut für
Umweltforschung; Projektmanagement AMRC in Malta
sowie Landesentwicklungsprogramme (Wohnbau, Sport und
Energie)
1986 – 1992 Geschäftsführung Landesenergieverein
Energiebeauftragter
71
72
Robotik im Bauwesen
Univ. Doz. Dipl.-Ing. Dr. techn. Igor Kovač,
Institut für Fertigungstechnik, TU Graz
1. Einleitung
Die Robotertechnik zeichnet sich durch den höchsten Flexibilitätsgrad aus und
erobert viele Anwendungsgebiete innerhalb und außerhalb der Fertigung. Der
Kostendruck, Zeitdruck, Mangel an qualifizierten Arbeitskräften und großer
Materialverbrauch zwingt auch die traditionell sehr arbeitsintensive Baubranche
dazu, deutliche Sprünge in der Produktivität, Sicherheit und Qualität zu machen
[1]. Diese Aspekte können durch die Einführung der Automation erreicht werden.
Dabei spielt die Robotertechnik eine bedeutende Rolle.
Die Problematik der Automation in der Baubranche ist sehr multidisziplinär und
sehr komplex. Von der Automation in der Fertigungsindustrie unterscheidet sie sich
sowohl durch das verwendete Material als auch durch das Management. Das ist
der Grund, warum eine Automatisierung in der Baubranche durch sehr wenige
erfolgreiche Applikationen dokumentiert ist [2].
Grundsätzlich unterteilt man die Automation in der Bauindustrie in Hochbau und
Tiefbau. Im Hochbau unterscheidet man weiter Applikationen, die in der Vorfertigung oder auf der Baustelle durchgeführt werden. Während die Automation in
der Vorfertigung sehr der allgemeinen Fertigung ähnelt, ist die Problematik auf der
Baustelle ganz anders. Erste Entwicklungen reichen in die 80er Jahre zurück. Aus
Japan berichtete man über die ersten 150 Roboter, die Anwendungen in der Bauindustrie gefunden haben. Erfolgreiche praktische Einsätze von Robotern wurden
mit einer klaren Funktion und einem klaren Ziel, kompakter Roboter-bauweise,
einfacher Bedingung und ständiger Verbesserungen auf allen Ebenen der Automation erreicht. Jedoch gibt es bis heute nur wenige nennenswerte Beispiele, die
sich auch wirtschaftlich etabliert haben. Die Analysen zeigen, dass die Ursachen
für die genannten Schwierigkeiten vor allem in den mangelhaften Leistungen des
Industrieroboters lagen. Keine bessere Situation ist auch im Tiefbau zu finden. Der
Einsatz der Robotertechnik ist mehr oder weniger auf fern gesteuerte Bagger,
Planierraupen und Kipper für Katastropheneinsatz und auf robotisierte Schutzmaschinen beschränkt.
73
Sowohl wirtschaftliche als auch zeitliche Analysen zeigen, dass ein hoch eigenständiger Roboter in der Bauindustrie sehr rentabel sein könnte [1]. Diese
optimistischen Aussagen basieren auf den Technologiefortschritten, die die
neuesten Systeme für die Erfassung von 3D Positionsdaten und die Einführung der
Informationstechnologien bewirkt haben. Weitere Probleme, die mit der Bauausführung verbunden sind zeichnen sich, neben den genannten Tatsachen wie
niedrige Produktivität, hohen Materialabfall und hohe Arbeitsintensität, durch
Arbeitsunfälle, vielfältige Projektbeteiligung und Probleme aus, die mit der
Produktion auf der Baustelle verbunden sind. Um diese Probleme zu lösen, sollen
fortschrittliche Technologien aus den Bereichen der Fertigung, Qualitätssteigerung,
Logistik, Materialförderung, Organisation, Vorfertigung, Modularisierung, Automatisierung und Computerisierung sinnvoll eingesetzt werden. Die Technologien
die die zukünftige Ausrichtung in der Baubranche aufzeigen, sind in Abb. 1
dargestellt.
74
Abb. 1: In die Zukunft ausgerichtete Technologien in der Baubranche [3]
Aktuelle herausfordernde Technologien und Fachwissen sind hauptsächlich durch
die umfassenden Applikationen der Informationstechnologien eingebracht worden
[3]. Damit sind Bauprojekte grundsätzlich von 3D CAD Systemen und NetzwerkKommunikationssystemen abhängig. Es ist zu erwarten, dass auf Grund dieser
Technologien nicht nur ferngesteuerte Geräte, sondern auch hochautonome
Roboter in das System voll eingebunden und bei der Bauausführung eine zentrale
Rolle übernehmen werden. Die Universalität und Flexibilität eines Roboters
erlauben es, neben Hauptaufgaben noch weitere Nebentätigkeiten, wie zum
Beispiel Lagemessungen, Kontrollmessungen oder Baufortschrittüberwachungen
zu übernehmen und damit ein breiteres Aufgabenspektrum in der Bauindustrie
abzudecken [4]. Wenn die Technologie einen zentralen Treiber verkörpert, die in
der Wissenschaft unter dem Begriff Technologiefusion [5] bzw. CIC -Computer
Integrated Construction [3] bekannt ist, stellt die Innovation diese entscheidende
Strategie der Umsetzung dar, welche die Effektivität mit der Berücksichtigung der
Sicherheit in der Baubranche auf ein hohes Niveau anheben soll. Deshalb ist die
Gewinnung der Kenntnisse aus den anderen Disziplinen und gleichzeitige Beherrschung des Fachwissens aus der Bauindustrie der Schlüsselfaktor, um
konventionelle Bauprozesse in Richtung der Automation wirklich umzugestalten
[6].
Wenn man die Roboteranwendungen in der Fertigung mit den Anwendungen in
der Bauindustrie vergleicht, stellt man fest, dass es in der Fertigung meistens
ortsfeste Roboter gibt, die die Arbeiten an vorbeifahrenden Objekten, zum Beispiel
an einer Fertigungslinie oder innerhalb einer Zelle ausführen. Typische Roboterapplikationen findet man in der Fahrzeug, Schienenfahrzeugindustrie, dem Schiffsbau, der Elektronik, Mikroelektronik, Nanotechnik und in vielen anderen Industriegebieten.
In der Bauindustrie handelt es sich um ortsfeste Objekte, die individuell vor Ort
produziert werden. Die Bauobjekte sind groß und schwer und fast alle Operationen
werden im Freien ausgeführt. Damit bekommt man ein Riesenproblem mit den
Toleranzen. Die Folge ist, dass die Positionen oder Bahnlinien und damit Teile der
Roboterprogramme ständig angepasst und geändert werden müssen. Ohne
sensorgestützte Intelligenz und softwaremäßige Korrektur sind Roboter nicht in der
Lage, sich in dieser Umgebung zurecht zu finden. In diesem Sinne sind Bauroboter
als Feldroboter definiert, die Befehle in der dynamischen Umgebung ausführen, wo
die Strukturen, Bediener und Ausrüstung sich ständig ändern. Deshalb ist der Einsatz einer intelligenten Robotersteuerung mit der Einbindung von Sensoren bzw.
der Einsatz einer Gerätefernbedienung in einem automatisierten System als selbstverständlich zu verstehen [7]. Wenn es sich um ein fern bedientes Gerät handelt,
dann ist die Mensch-Roboter Schnittstelle ausschlaggebend. Zu diesem Zweck
können kraftwirkende Joysticks [8], Kamerasysteme oder sogar haptische Systeme
[9] vorteilhaft eingesetzt werden.
Anhand der gesamten Betrachtung der Roboterproblematik in der Baubranche
kann festgestellt werden, dass die Verwendung von Robotern in der näheren
Zukunft ganz bestimmt zunimmt.
75
2. Roboterkategorien
Im Bauwesen gibt es sehr viele Aufgaben, die sich ständig wiederholen und kein
Nachdenken verlangen. Charakteristisch für solche Aufgaben ist es, dass sie sehr
arbeitsintensiv und deshalb kostenintensiv sind. Es ist naheliegend, dass es viele
Aufgaben gibt, welche mit einem universellen Industrieroboter, einem
spezialisierten Roboter in der Vorfertigung oder auf der Baustelle oder sogar mit
einem menschenähnlichen Roboter erledigt werden können. Diese Aufgaben gibt
es in Straßenbau, Hausbau, Tunnelbau, Schiffsbau, Fabrikbau, Infrastruktur und in
der Katastrophen Bekämpfung. Um einen tieferen Überblick über die Robotertechnik im Bauwesen zu gewinnen, werden Roboter in folgende Kategorien
aufgeteilt:
•
Universal-Roboter
•
Spezial-Roboter
•
Mobile Roboter
•
Menschenähnliche Roboter
2.1 Universal-Roboter
76
Ein Universal-Roboter ist heute ein automatisch gesteuerter, freiprogrammierbarer,
Mehrzweck-Manipulator mit mindestens drei programmierbaren Achsen (ISO
8373). Den Preis eines sechsachsigen Roboters inklusive Steuerung mit einem
Teach-Pendant, Verbindungskabel zur Mechanik und einem Basisprogramm kann
man heute mit einem durchschnittlichen PKW vergleichen. Für unterschiedliche
Anwendungsgebiete gibt es verschiedene dominierende kinematische Ketten für
Traglasten bis zu 10000 N (Abb. 2, folgende Seite). Diese Roboter können
manuell, online oder offline programmiert werden. Einen interessanten Einsatz
stellen kooperierende Roboter dar, die mit einer Steuerung in der Gruppe
zusammenarbeiten können (Abb. 3, folgende Seite).
Abb. 2: Ein SCARA Montageroboter und ein Gelenkarm Handhabungsroboter (Quelle:
Hirata bzw. KUKA)
77
Abb. 3: Kooperierende Roboter (Quelle: Motoman)
Universal-Roboter sind für ein Aufgabenspektrum entwickelt und können in der
Baubranche die Effektivität nicht drastisch erhöhen. Erfolgreiche Einsatzgebiete
findet man hauptsachlich in der Vorfertigung wie zum Beispiel in der Produktion
von Baukomponenten und modularen Elementen im Hausbau [10], oder fürs
Palletieren in der Betonindustrie [11] (Abb. 4, folgende Seite).
Abb. 4: Universal-Roboter für das Palletieren von Betonsteinlagen
Es gibt auch Versuche, Industrieroboter auf der Baustelle zu verwenden. Ein
Universal-Roboter der Glaswände als Fassadenteile montiert, ist ein Beispiel [7].
Bei dieser Applikation stellt man den Universal-Roboter auf eine Plattform, die mit
dem Kran bewegt wird. Auf dieser Plattform befinden sich noch Glaswände und
der Bediener, der über die Schnittstelle mit dem Roboter kommuniziert (Abb. 5).
78
Abb. 5: Universal-Roboter auf einem Kran für die Glaswandmontage [7]
2.2 Spezial-Roboter
Studien und Erfahrungen aus der Baupraxis zeigen, dass konventionelle Methoden
aus der Fertigungsautomation sich nicht für die Ausführung von großen Strukturen
mit bauspezifischen Merkmalen eignen. Deshalb sucht man neue Wege der
Automation in der Baubranche, die Erfolg versprechende Ergebnisse erreichen
können.
Eine typische Anwendung für die Automation mit einem Spezial-Roboter stellt die
Fassadenmontage von Fertigwänden dar. Diese Teile werden in der Firma vorgefertigt und auf die Baustelle transportiert. Sie sind sehr groß und schwer und haben
eine homogene Oberfläche. Deshalb bieten sie sich als ein ideales Beispiel für die
Automation an. In dieser Richtung gibt es mehrere erfolgreiche und weniger erfolgreiche Versuche [12]. Der Einsatz eines Baggers als Handhabungsgerät für Makrobewegungen und eines 3D End-Effektors für Mikrobewegungen mit Hilfe von zwei
Bedienern hat die Montage erleichtert (Abb. 6). Nachteile liegen beim Bagger, der
nicht den Anforderungen eines Roboters für die Montage entsprechen konnte [2].
79
Abb. 6: Fassadenmontage mit einem Bagger und einem 3D End-Effektor [2]
Ein weiterer Einsatz der automatischen Montage von vorgefertigten Fassadenteilen, liegt in einer sinnvollen Verbindung der Bauteilkonstruktion und der Montage
[13]. Das Konzept verwendet elektrische Antriebsysteme mit einem Seilzug und
einem Führungssystem um automatisierungsgerechte Fassadenteile automatisch
zu montieren oder zu demontieren. Der Vorteil von diesem Konzept liegt in der
Ausführung, die nicht Wetter empfindlich ist. Die verwendeten elektrischen
Antriebe könnte man später für die Ventilation oder für die Bewegung von Sonnenschutzsystemen im Gebäude verwenden. Damit wurde gezeigt, wie wichtig der
Einfluss einer Bauteilgestaltung auf die Automation ist.
Spezial-Roboter haben eine Anwendung auch im Hochhausbau gefunden. Unter
automatischem Hochhausbau versteht man eine Benutzung von halb- und
vollautomatischer Lagerung-, Transport- und Montage-Ausrüstung, oder Roboter
die ein Bauwerk fast komplett automatisch aufstellen. Die Stahlkonstruktion wird
mit Montage- und Transportrobotern installiert, die gegen Wetterbedingungen mit
einem provisorischen Dach geschützt ist. Die Material Just-in-time Lieferung und
Vorfertigung von möglichst vielen Teilen spielt eine sehr wichtige Rolle. Die Teile
werden dann mit Robotern, die mit automatischen Kranwinden ausgeführt sind, an
programmierte Stellen geliefert, positioniert, befestigt und danach mit Schweißrobotern zusammengefügt. Auch die Laserüberprüfung von Schweißnähten ist
selbstverständlich inkludiert. Diese Aufgaben werden für jedes Stockwerk nach
dem Plan durchgeführt und dann hydraulisch hochgeschoben. Auf diese Weise
kann man jetzt etwa 30% von Arbeitskräften einsparen, man rechet aber mit 50%
in der Zukunft. Nur einige Anpassungen, Isolierungen und weitere Kleinigkeiten
sollen manuell ausgeführt werden. Erste Prototypen wurden 1991 in Betrieb
genommen. Die Entwicklung hat fünf Jahre gedauert und fast 16 Millionen Euro
gekostet. Auf diese Weise wurden mehrere Hochhäuser gebaut [14], [3], [15].
Probleme, die bei einem automatischen Bau eines Hochhaus entstehen, sind
weniger mit der rechtzeitigen Materiallieferung, Auswahl von Prozessen oder
Geräten abhängig, sondern mehr von der genauen Planung, Roboterprogrammierung und Just-in-time Lieferung von Einzelteilen [14].
80
Eine alternative Methode lehnt sich an Rapid-Prototyping von Häusern an. Diese
Methode, bekannt auch unter dem Begriff „Contour crafting“, ermöglicht ein neues
Haus in der Größe von 200 m2 in zwei Tagen zu bauen (Abb. 7). Bauarbeiten
können automatisch rund um die Uhr ohne Kaffeepausen laufen. Kernschlüssel
dieser Anlage stellt eine computergesteuerte Düse dar, die Baumaterial wie eine
Zahnpaste ablegt [16]. Dabei gibt es noch einige Problemebereiche, unter
anderem auch die ganze Logistik zu lösen und einen robotisierten Riesenkran
entsprechend zu bewegen und zu positionieren.
Abb. 7: „Contour Crafting“ mit einem Portalroboter [16]
2.3 Mobile Roboter
Ein autonomer mobiler Roboter ist ein Roboter, der sich autonom in seiner Einsatzumgebung bewegt und dort zielgerichtet Aufgaben erledigt. Dabei gibt es Innen-,
Außen- und Kletterroboter. In der Bauindustrie wurden mobile Außenroboter für
spezielle Aufgaben an Bauobjekten entwickelt (Abb. 8). Sie können mauern oder in
Innenräumen unterschiedliche Aufgaben bewältigen [14].
81
Abb. 8: Mobile Roboter für unterschiedliche Aufgaben in Innenräumen [14]
Mobile Roboter sind in der Industrie heutzutage nicht sehr verbreitet. Das Problem
liegt in der Wirtschaftlichkeit. Deshalb sieht man diese Roboter dort, wo eine
komplette Automation inklusive Transport verlangt ist. Was für ein Potential auf
diesem Gebiet steckt, ist am besten in unterschiedlichen Kategorien vom Roboterfußball (ROBOCUP) zu bemerken.
2.4 Menschenähnliche Roboter
Ein möglicher Einsatz, Arbeiten in der Baubranche zu erledigen, ist auch durch die
Verwendung von menschähnlichen Robotern gegeben. Diesbezüglich wurden
Experimente durchgeführt (Abb. 9), wobei ein menschenähnlicher Roboter
Montagearbeiten von Innenwänden gemeinsam mit einem Arbeiter ausführt.
Weiter gibt es auch Versuche, wo ein menschenähnlicher Roboter einen Gabelstapler oder einen Bagger fährt.
Abb. 9: Menschenähnlicher Roboter führt Montageaufgaben aus
82
Momentane Fähigkeiten eines menschenähnlichen Roboters sind noch sehr
limitiert. Sie können eine Steigung von etwa fünf Grad überwinden, und Bodenunebenheiten im Bereich von etwa 20mm kompensieren. Wenn sie stürzen,
können sie selbstständig aufstehen. Diese Maschinen verwenden komplexe
Systeme der Bildverarbeitung, mobile portable Steuerungssysteme um die Lage zu
detektieren, Kraftsensoren und Gleichgewichtsensoren um in der Funktion zu
bleiben [14]. Es dauert sicher noch einige Jahre, dass menschenähnliche Roboter
für den praktischen Gebrauch einsatzbereit werden sollen. Aber selbst die Ziele,
die sich Kollegen beim ROBOCUP gestellt haben, bis 2050 eine Mannschaft von
autonomen menschähnlichen Robotern zu entwickeln, die gegen menschliche
Weltmeister eine Meisterschaft gewinnen, lässt die Gedanken, Roboter für die
Bauindustrie einzusetzen, ganz offen.
3. Roboter in der Vorfertigung
Die größten Schwierigkeiten in einem Robotersystem stellt der Kontakt zum
Werkstück dar [17]. Außer der ständigen Problematik der Toleranzen, die in der
Baubranche viel gröber als im allgemeinen Maschinenbau definiert sind, sind auch
an sich triviale Peripherieoperationen, wie zum Beispiel klemmen, greifen, wenden,
usw., nicht zu unterschätzen. Die Erfahrungen zeigen, dass die größten Schwierigkeiten und die meisten Störungen nicht am Industrieroboter, sondern an der
Peripherie auftreten. Gründe hierfür liegen in der Tatsache, dass diese Einrichtungen immer speziell an die Werkstücke angepasst, also neu konstruiert
werden müssen und nicht als Standardgeräte fertig zu kaufen sind. Um die
Peripheriegeräte möglichst optimal, flexibel und zuverlässig zu gestalten, ist ein
breites interdisziplinäres Wissen über die gesamte Robotertechnik unerlässlich.
Allgemein gibt es mehrere Gründe, die zu einem Industrierobotereinsatz führen.
Die Wirtschaftlichkeit steht bei fast allen Unternehmen an erster Stelle. Daher ist
eine Wirtschaftlichkeitsrechnung für einen geplanten Robotereinsatz ausschlaggebend. Ohne viele Berechnungen anzustellen, kann man sagen, dass ein
Roboter fast immer wirtschaftlich ist, wenn er im 3-Schicht-Betrieb arbeitet.
Anderseits gilt aber auch, dass ein Robotereinsatz bei einem 1-Schicht-Betrieb nur
selten wirtschaftlich ist.
Es werden ständig schnellere Industrieroboter gebaut. Für jede Aufgabe gibt es die
entsprechende Roboter-Struktur, welche für die jeweilige Anwendung am besten
geeignet ist und dadurch die Aufgabe schneller und effektiver durchführen kann.
Allerdings ist es auch offensichtlich, dass der Roboter die einzelnen Phasen der
Handhabungsaufgabe nur nacheinander ausführen kann und die dafür erforderlichen einzelnen Zeiten sich addieren. Deswegen sind Roboter im Vergleich zu
hochproduktiven aber starren Automaten relativ langsam. Der Vorteil des Roboters
gegenüber dem Menschen liegt nicht in der Geschwindigkeit, sondern in der Zuverlässigkeit und der Gleichmäßigkeit der Arbeit.
Die Genauigkeitsanforderungen sind bei der Auswahl eines Industrieroboters zu
einem entscheidenden Kriterium geworden. Dabei unterscheidet man einerseits
zwischen Wiederholgenauigkeit, die bei der teach-in Programmierung wichtig ist
und andererseits Absolutgenauigkeit, die eine Bedeutung beim Einsatz der off-line
Programmierung hat. Darüber hinaus ist es wichtig zu wissen, ob ein ausgewählter
Industrieroboter die gestellten Anforderungen voll erfüllen kann. Eine übernationale
Basis zum objektiven Leistungsvergleich existiert mit dem Standard ISO 9283.
Weitere Faktoren, die eine Roboteranlage beeinflussen können, sind noch
Produktgestaltung, Arbeitsablauf, Komplexität der Aufgabe, Stückzahlen und Rolle
der Menschen in einem Automatisierungsprozess.
4. Roboter auf der Baustelle
Baustellenbedingungen sind sehr komplex. Eine Rolle spielen sowohl Umgebungsbedingungen, Toleranzbereiche, Positionsabweichungen während der Montage,
als auch verwendete Materialien und Füge Technologien. Diese Faktoren verlangen eine sehr breite und detaillierte Betrachtung dieses Problems. Betroffen
sind alle Automatisierungskomponenten auf der Baustelle, wie zum Beispiel
Roboter, Sensoren, Werkzeuge, Vorrichtungen und Bauteile.
Die Robotertechnik ist ausschließlich für Innenraumapplikationen konzipiert. Es
gibt Robotermechanismen, die teilweise in Flüssigkeit eingetaucht werden, oder in
Reinräumen arbeiten können. Roboter, die im Freien unter allen Wetterbedingungen, die normalerweise auf der Baustelle herrschen, arbeiten können,
gibt es allgemein noch nicht zu kaufen. Es gibt einige wenige Versuche [18], die
aber noch nicht verbreitet sind. Weitere Gründe, die für eine geringen Roboter-
83
einsatz auf Baustellen verantwortlich sind, kann man mit folgenden Ursachen
identifizieren [19]:
84
•
Existierende Roboter sind nicht für das Bauwesen adaptiert.
•
Es gibt Probleme die mit der konventionellen Bauweise von Gebäuden
verbunden sind.
•
Es ist sehr schwer die Wirtschaftlichkeit eines Roboters zu begründen.
•
Beim Management bestehen Akzeptanzbarrieren.
Es ist ganz offensichtlich, dass ohne Verwendung von entsprechenden Sensoren
ein Robotereinsatz am Bau unmöglich erscheint. Die Sensortechnologie hat in den
letzten Jahren in der Richtung Preissenkung und Leistungssteigerung enorme
Sprünge gemacht. Fortschritt ist durch die Verwendung von neuen Materialien,
günstiger Computerleistung, Mikro- und Nano-Fertigung, drahtloser Vernetzung
und von komplexen IT Systemen geprägt. Diese Technologien reflektieren sich in
Produkten, wie zum Beispiel LIDAR (Light detection and ranging), RFID (radio
frequency identification), GPS (global positioning system), digitale Bildverarbeitung, einachsige Lasersysteme, inkrementelle Messsysteme, Ultraschall-,
Induktive-, Temperaturmesssysteme, usw. Einige von diesen Systemen sind
gerade für den Einsatz bereit. Ihr Einsatz kann die Projektdauer und die Kosten
wesentlich reduzieren und gleichzeitig Qualität und Sicherheit erhöhen. Deshalb
sind weitere Forschungsaktivitäten auf dem Gebiet der Sensortechnik für den
Einsatz der Roboter im Bauwesen sehr erwünscht [20].
Die Verwendung von unterschiedlichen Werkzeugen, um Aufgaben auf der
Baustelle zu erledigen, sieht auf den ersten Blick sehr trivial aus. Eine genauere
Betrachtung dieses Problems öffnet aber eine große Lücke. Die Bautätigkeit wird
heute größtenteils manuell ausgeführt mit wenig Hilfe von elektromechanischen
handbedienten Geräten. Die Geräte sind auch dementsprechend konzipiert.
Gerade bei einer einfachen Schraubeinheit kann festgestellt werden, dass sie
einerseits nicht automatisierungs- bzw. robotergerecht und andererseits nicht
komponentengerecht bzw. umgebungstauglich ausgeführt ist. Deshalb gibt es
auch auf diesem Gebiet ein Entwicklungsdefizit, das bewältigt werden muss.
5. Ausblick
Ergebnisse aus der Forschung und Entwicklung die mit Innovationen unterstützt
sind, haben in den letzten Jahren die Robotertechnologie im Bauwesen sehr
vorangetrieben. Aspekte, wie steigender Mangel an spezialisierten Arbeitskräften,
Änderungen in der Versorgungskette, Verlagerung der Produktion in die Vorfertigung, Einsatz der Sensor- und Informationstechnologie können diesen Trend
nur noch beschleunigen. Während der Robotereinsatz in der Vorfertigung ohne
Zweifel sinnvoll und wirtschaftlich erscheint, erwartet man in den nächsten Jahren
auch einen Durchbruch der Robotertechnik auf der Baustelle. Wie dies genau
aussehen wird, hängt sehr viel von der Intensität der Aktivitäten in den nächsten
Jahren ab.
6. Literatur
[1]
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Polytechnique fédérale de Lausanne, (2006)
[2]
Yu, S.N.; Choi, C.H.; Lee, S.J.; Han, C.S.; Lee, K.Y.; Lee, S.H.: The analysis of the
nd
Curtain wall installation robot, Proceedings of the 22 International Symposium on
Automation and Robotics in Construction, (2005), S. 1-6
[3]
Amazaki, Y.: Future innovative construction technologies: Directions and strategies
st
to innovative construction industry, Proceedings of the 21 International Symposium
on Automation and Robotics in Construction, (2004), S. 1-10
[4]
Arai, T.: Robotics and automation in Japanese construction industries, Proceedings
nd
of the 22 International Symposium on Automation and Robotics in Construction,
(2005), S. 1-5
[5]
Kodama, F.: Technology Fusion and the new R&D, Harward Business Review,
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Doz. Dr. Igor Kovač
Jahrgang 1959, studierte Maschinenbau an der Universität
in Ljubljana/Slowenien. Er promovierte 1992 an der TU
Graz/Österreich. Nach einer Forschungstätigkeit am Institut
Jožef Stefan in Ljubljana wurde er 1993 als Dozent an die
Fakultät für Maschinenbau der Universität in Maribor
(Slowenien) berufen. Seit 2003 ist er für die Robotertechnik
und Fertigungsmesstechnik am Institut für Fertigungstechnik
der TU-Graz zuständig.
Diese Veranstaltung wird unterstützt von
w w w . p o n g r a t z . a t
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Ingenieurbaukunst
Dies ist eine Veröffentlichung des
Der Fachbereich Ingenieurbaukunst umfasst die dem konstruktiven
Ingenieurbau nahe stehenden Institute für Baustatik, Betonbau, Stahlbau
& Flächentragwerke, Holzbau & Holztechnologie, Materialprüfung &
Baustofftechnologie, Baubetrieb & Bauwirtschaft, Hochbau & Bauphysik,
Bauinformatik und Baumechanik der Fakultät für
Bauingenieurwissenschaften an der Technischen Universität Graz.
Dem Fachbereich Ingenieurbaukunst ist das Bautechnikzentrum (BTZ)
zugeordnet, welches als gemeinsame hochmoderne Laboreinrichtung zur
Durchführung der experimentellen Forschung aller beteiligten Institute
dient. Es umfasst die Laboreinheiten für konstruktiven Ingenieurbau,
Bauphysik, Baustofftechnologie und Holzbau & Holztechnolgie (Lignum
Test Center).
Der Fachbereich Ingenieurbaukunst kooperiert im gemeinsamen
Forschungsschwerpunkt „Advanced Construction Technology“.
Dieser Forschungsschwerpunkt umfasst sowohl Grundlagen- als auch
praxisorientierte Forschungs- und Entwicklungsprogramme.
Weitere Forschungs- und Entwicklungskooperationen bestehen mit anderen
Instituten der Fakultät, insbesondere mit der Gruppe Geotechnik, sowie
nationalen und internationalen Partnern aus Wissenschaft und Wirtschaft.
Die Lehrinhalte des Fachbereichs Ingenieurbaukunst sind aufeinander
abgestimmt. Aus gemeinsam betreuten Projektarbeiten und gemeinsamen
Prüfungen innerhalb der Fachmodule können alle Beteiligten einen
optimalen Nutzen ziehen.
bauphysiktagung 2008
FACHBEREICHS INGENIEURBAUKUNST (IBK) AN DER TU GRAZ
bauphysiktagung 2008
new dimensions!
V-8-01/2008
Durch den gemeinsamen, einheitlichen Auftritt in der Öffentlichkeit
präsentiert sich der Fachbereich Ingenieurbaukunst als moderne
Lehr- und Forschungsgemeinschaft, welche die Ziele und Visionen der
TU Graz umsetzt.
Peter Kautsch (Hrsg.)
Institut für Hochbau und Bauphysik
Nummerierungssystematik der Schriftenreihe:
S – Skripten, Vorlesungsunterlagen | F – Forschungsberichte
V – Vorträge, Tagungen | D – Diplomarbeiten
Fortlaufende Nummer pro Reihe und Institut / Jahreszahl
ISBN 978-3-85125-026-8
V-8-01/2008
Institutskennzahl
1 – Baumechanik | 2 – Baustatik | 3 – Betonbau
4 – Holzbau & Holztechnologie | 5 – Stahlbau & Flächentragwerke
6 – Materialprüfung & Baustofftechnologie | 7 – Baubetrieb & Bauwirtschaft
8 – Hochbau & Bauphysik | 9 – Bauinformatik
Forschungsberichte | Diplomarbeiten | Skripten | Vorträge/Tagungen
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