Äußere Werte - Ausbau und Fassade

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EXTRA: Baukultur
1 Links: Die Balkonbrüstungen
mit ihren gedrehten Geländerstäben nehmen die grafischen
Fassadenstrukturen auf.
2 Die neue Putzfassade steht auf
einem gebänderten Sockel und
fügt sich harmonisch in den
bestehenden Straßenzug ein.
Äußere Werte
Kreativer Umgang mit dem Thema Vollwärmeschutz – die Modernisierung eines Berliner
Mehrfamilienhauses vereint pragmatische Anforderungen und ästhetischen Anspruch.
Das Paul-Lincke-Ufer am Landwehrkanal ist eine beliebte Adresse in Berlin-Kreuzberg, mit gründerzeitlichen
Block- und Parzellenstrukturen und
einer von Weiden gesäumten Uferpromenade. Sie verdankt ihren Namen dem
berühmten Berliner Komponisten, der
spätestens seit seinem Gassenhauer
»Berliner Luft« untrennbar mit der Stadt
verbunden ist. In diesem lebendigen
Bezirk befindet sich die typisch tiefe
Kreuzberger Parzelle aus dem Jahr 1909
mit Mischnutzung – vorne Wohnen,
rückwärtig Gewerbe. Das Vorderhaus
wurde nun von Thomas Hillig Architekten umgebaut und modernisiert.
Ursprünglich waren die Architekten mit
einem Konzept zur Umwandlung der
leer stehenden rückwärtigen Gewerbeeinheiten in Wohnräume beauftragt
worden. Ein Brand im Sommer 2010
schädigte jedoch im Vorderhaus das
Dach und die Bausubstanz der darunterliegenden Wohnungen durch Löschwasser so stark, dass man sich ent-
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schloss, die Umnutzungspläne zurückzustellen und die Sanierung des Vorderhauses vorzuziehen. Der Bauherr
wünschte sich eine anspruchsvolle, aussagekräftige Architektur, einen hohen
Ausstattungsstandard und die energetische Aufrüstung des Gebäudes.
Innovatives Konzept
In enger Absprache mit dem Stadtentwicklungsamt Friedrichshain-Kreuzberg
erarbeiteten Hillig Architekten ein innovatives Modernisierungskonzept, das
sowohl heutigen Energiestandards als
auch den veränderten Wohnbedürfnissen Rechnung trägt und architektonisch
trotz visueller Identität den Erhalt des
Stadt- und Straßenbildes sichert. Um
die strengen Auflagen des Milieuschutzes zu erfüllen, wurde die Straßenseite
des Daches konventionell mit Ziegeln
ausgeführt, rückwärtig zum Hof ist der
zweigeschossige Dachaufbau jedoch
komplett neu in Titanzinkblech gestaltet worden. Die bestehende Grundriss-
struktur wurde zurückhaltend und intelligent modifiziert. Zur Straße hin
blieb die bestehende bürgerlich-repräsentative Raumteilung erhalten, im
rückwärtigen Bereich passte man sie an
die Ansprüche zeitgemäßen Wohnens
an: Öffnungen wurden vergrößert,
Räume miteinander verbunden und die
Belichtung optimiert.
Die individuelle, bildhafte Gestaltung
der wärmegedämmten Straßenfassade
war den Architekten ein besonderes
Anliegen. »Wie bei jedem Projekt mit
energetischer Sanierung setzten wir uns
mit der Frage auseinander, wie sich die
pragmatischen Anforderungen mit
ästhetischem Anspruch vereinen lassen«, erklärt Thomas Hillig. »In der
außenseitigen Dämmung war mit dem
hydroaktiven mineralischen Wärmedämmverbund-System ›Aqua Royal‹
von Keimfarben eine wirtschaftlich und
technisch überzeugende Lösung gefunden. So konnten wir uns ganz auf den
künstlerischen Aspekt konzentrieren.«
Fassadengestaltung
3 Der Glattputz wurde in unregelmäßigen horizontalen Streifen
abgeklebt (Streifenbreite 3 beziehungsweise 5 cm, Streifenabstand
5 bis 10 cm).
4 Um die Tiefenwirkung und Unregelmäßigkeit der Fassadenstruktur zu erhöhen, ist der Oberputz als Spritzputz mit bis zu
8 mm Körnung ausgeführt.
Fassadenmotiv aus Nachbarschaft
Die Fassadengestaltung wird nicht als
Fassadenschmuck verstanden, sondern
als Möglichkeit, den Gebäudeausdruck
mittels Farbe und Struktur zu prägen,
im Sinne von Le Corbusier: »Da die
Architektur das kunstvolle, korrekte und
großartige Spiel der unter dem Licht
versammelten Baukörper ist, hat der
Architekt die Aufgabe, die Außenhaut,
welche jene Baukörper umhüllt, mit
Leben zu erfüllen, ohne dass diese als
Parasit den Baukörper aufzehrt oder
aufsaugt.« (Ausblick auf eine Architektur, 1923)
Das passende Fassadenmotiv wurde in
der Nachbarschaft entdeckt. »Doch
nicht an den Gebäuden, sondern im
Landwehrkanal vor dem Haus«, so Hillig.
»Die dauernden Wellenbewegungen des
Wassers werden großflächig an die
Sorgfältige Vorbereitung
Anstelle der üblichen homogenen Körnung der Fassadenflächen wurden zwei
unterschiedliche Putzstrukturen vorgeschlagen, die sich fugenlos über Erker
und Loggia bis zur Traufe ziehen und
den Baukörper zu einem kompakten
Ganzen zusammenziehen. Die rhythmisch bewegten Wellenformen im Putz
wurden durch einen Wechsel von Glattund Rauputz erzeugt. Der Glattputz
wurde horizontal streifenförmig abgeklebt. Nach Auftrag des groben Rauputzes wurden die Streifen abgelöst und
zurück blieben parallel verlaufende wellenförmige Aussparungen im Oberputz.
Thomas Hillig: »Die handwerklich und
5 Auch die Balkonbrüstungen mit ihren
gedrehten Geländerstäben nehmen die
grafischen Fassadenstrukturen auf.
6 Rückwärtig zum Hof wird das Thema Welle in der neuen Außenhaut des Dachgeschosses
fortgeführt.
(Fotos: Keimfarben)
Putzfassade projiziert. Darüber hinaus
verbinden wir die horizontale Struktur
auch mit der Musik Paul Linckes.«
technisch anspruchsvolle Putzausführung erforderte eine sorgfältige Vorbereitung. Die Herstellerfirma Keimfarben
kooperierte und experimentierte mit
uns und erstellte Varianten als Musterfassaden im Maßstab 1:1, die wir dann
im Büro intensiv diskutierten.«
Eigene Handschrift
Das Ergebnis überzeugt: Die zweidimensionalen Bewegungen innerhalb
der Fassadenstruktur schaffen faszinierende, mit Tageszeit und Blickwinkel
wechselnde Farbschattierungen. Das
helle Grau der Fassade erzeugt im Zusammenspiel mit Volumen und Putzstruktur einen räumlich-sinnlich erlebbaren Klang, der mit den Gründerzeitfassaden entlang des Landwehrkanals
korrespondiert und dem Gebäude eine
eigene »Handschrift« gibt.
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