Gebäude unter den Einwirkungen des Klimawandels Relevante Einwirkungen auf Gebäude Marc-Steffen Fahrion1, Johannes Nikolowski2, Jakob Zimm2, Thomas Naumann2 1 2 Institut für Baukonstruktion, Technische Universität Dresden, George-Bähr-Str. 1, 01069 Dresden Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung, Weberplatz 1, 01217 Dresden Relevantte Einwirkun ngen auf Geb bäude 3 1. Analyse und u Ausw wahl relev vanter Einwirkung gen auf G Gebäude 1.1 Ziele derr Klimaanpassung von Gebä äuden Auf derr Grundlage e einschlägig ger Erkennttnisse aus der Klimaforsch hung besteht in diesem Wissenschafftszweig ein n weit reic chender Kon nsens darüber,, dass ein Klimawandel K stattfindet, welcher ins sbesondere durch d eine für f das 20. Jahrhundert nachgewiesene globale Temperatturerhöhung geprägt ist. Darüber hinaus h gilt in n der Klimaforrschung als gesichert, dass diese gl obale Erwärmu ung im 21. Jahrhundert fortschrreiten wird und d dass einzig g die Intensität des zuk künftigen Tem mperaturansttiegs durch Klimaschutzzmaß07) nahmen beeinflusst werden kann. (IPCC 200 Infolgedessen ist ne eben den erforderlichen n Bestrebung gen zum Kllimaschutz, welche auff eine Verringe erung des globalen g Tem mperaturansstiegs mittels E Energieeinsp parung und Verringerung g des Ausstoße es klimaschädlicher Gas se abzielen,, eine voraussc chauende Anpassung A der d urbanen n Gesellschafft an nicht mehr verm meidbare Au uswirkungen des Klimawa andels unausweichlich. Diese Strategie, zusammengefa asst unter dem Begrifff de er Klimaanp passung, wiird seit einigen Jahren n pa arallel zum gesellschaft ftlichen Ziel des Klima-sc chutzes verffolgt. Damitt gelten in Deutschland d Klimaschutz und Klimaa npassung als zwei un-trrennbar miteinander ve erbundene Ziele. Z (BMU U 2009) Bei der Erken nnung und A Analyse der für die Vul-ne erabilität unserer u Ge esellschaft gegenüberr Klimaeinwirku ungen beson nders relevanten Sekto-en treten, neben n häufig g thematisie erten Berei-re ch hen wie etw wa der Wassserwirtschafft sowie derr La and- und Forstwirtscha aft, das Bau uwesen und d hier insbeson ndere der vo vorhandene Immobilien-be estand in den Vorderg rund. Die wesentlichen w n Ziele der Klim maanpassung g von Gebäu uden sind: die Verm meidung oderr Verringerung von Schäden und Extrem mereignissen, welche durch ve eränderte Ein nwirkungen infolge des Klimawandels auftre eten A B C D E F G H udeschäden in nfolge von Hochwassereinw wirkungen; Be ispiele des Ne eißehochwasAbb. 1.1--1: Charakteriistische Gebäu sers 2010 0 (Fotos: Schiinke/Golz 2010). A: Durchffeuchtung eine er Fußbodenkonstruktion eiinschließlich der d benachbarten In nnenwand, B: Irreversible Verformung V ei nes wasserem mpfindlichen Anhydritestrich A hs, C: Zerstörrung einer leichten T Trennwand au us Gipskarton durch hydrosttatischen Druck, D: Zerstörte Deckenbek kleidung und Deckenschüttung g (Stroh-Lehm m-Gemisch) an n der Holzbalk kendecke eine es Altbaus, E: Aufgeschwom mmene Fußbodenkonstruktion und g geschädigtes Inventar, F: Zerstörung Z ein ner gemauerten Trennwand d aus Kalksan dstein durch hydrostatischen Dru uck, G: Baute eilüberlastung durch erhöhtte Eigenlast einer vollständig überfluteten n Holzbalkend decke, H: Zentralhe eizungsanlage e nach Überflutung 4 Relevante Einwirkungen auf Gebäude die Vermeidung oder Verringerung von unzumutbaren Beeinträchtigungen für die Nutzer der Gebäude (wie etwa langfristig überhöhte Raumlufttemperaturen), welche im Zusammenhang mit veränderten Einwirkungen zu beachten sind Damit werden im Zuge der Klimaanpassung von Gebäuden Ziele verfolgt, welche ohnehin den grundsätzlichen Anforderungen an qualitätsgerechte Gebäude entsprechen und insoweit Bestandteil der Landesbauordnungen sind. Hier handelt es sich vorwiegend um Anforderungen zum Schutz gegen schädliche Einflüsse wie Wasser, Feuchtigkeit sowie pflanzliche oder tierische Schädlinge (SächsBO, § 13), Anforderungen 1.2 zum Schutz der Gesundheit (SächsBO, § 3) oder ­ in kritischen Fällen ­ um Anforderungen an die Standsicherheit baulicher Anlagen (SächsBO, § 12). Die Klimaanpassung von Gebäuden betrachtet demnach die mittel- bis langfristige Einhaltung von weithin bekannten Anforderungen an Gebäude, jedoch vor dem Hintergrund veränderter und unter Umständen intensivierter Einwirkungen auf diese. Unter dem Begriff der veränderten Einwirkungen werden dabei sowohl Einzelereignissen bis hin zu Extremereignissen als auch die Auswirkungen schleichender Veränderungen durch den Klimawandel betrachtet. Klimaanpassung im traditionellen Bauen Der Schutz von Gebäuden als wesentlichen Lebens- und Wirtschafträumen des Menschen zieht sich als ein Grundanliegen durch nahezu alle Teilbereiche des traditionellen Bauens. Im Hinblick auf die nachfolgend diskutierten hygrischen, thermischen und teilweise mechanischen Einwirkungen auf Gebäude steht dabei die bauliche Hülle, bestehend aus der Dachkonstruktion und den Konstruktionselementen der Fassade, besonders im Fokus. Die Anpassung von Gebäuden an klimatische Randbedingungen hatte naturgemäß stets eine regionale Komponente und hat das Erscheinungsbild sowie das baukonstruktive Gefüge traditioneller Gebäude wesentlich geprägt. In der schriftlichen Dokumentation der Regeln der Technik verschiedener Zeitabschnitte und in der mündlichen Weitergabe wesentlicher Bau- und Handwerkstechniken spielte die Nutzung robuster Konstruktionslösungen zur Abwehr schädlicher Einwirkungen auf Gebäude eine große Rolle. Diese langjährigen Entwicklungen bilden im günstigen Fall eine Basis für die bis heute genutzten Allgemein anerkannten Regeln der Bautechnik, etwa im Bereich der Fachregeln des Dachdeckerhandwerks (ZVDH 2008). Somit stellt die Klimaanpassung von Gebäuden einen kontinuierlich fortschreitenden Prozess dar, bei dem die langfristige Fixierung eines Status quo weitgehend unmöglich erscheint. Externe Einflüsse auf diesen Prozess bilden dabei: die Veränderung von wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und Nutzungsansprüchen die Verwendung neuartiger Baumaterialien und Bauweisen unter Umständen die Veränderung klimabedingter Einwirkungen auf Gebäude Vom Streben nach einer verbesserten Klimaanpassung konnten verschiedene Baukonstruktionen am traditionellen Gebäude betroffen sein, wofür charakteristische Beispiele vorliegen. Ebenso vielfältig sind hier die gewählten Lösungsansätze, welche bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts noch durch die begrenzten Transportmöglichkeiten eingeschränkt wurden. Abb. 1.2-1: Historisches Fachwerkgebäude von 1828 während der Sanierungsphase, ohne Putz. Westgiebel komplett in Bruchstein ausgeführt. Fotografie von 1993 (Quelle: SLUB, Deutsche Fotothek) Relevantte Einwirkun ngen auf Geb bäude Abb. 1.2--2: Umgebindehaus der Oberlausitz in Grroßschönau mit Schieferbe ekleidung (Zie erformen) am Gie92, S. 278) bel (Quelle: Ander 199 So führtte man in der d Region Dresden D biss zum oder Ende de es 19. Jahrhunderts erdberührte e stark vo on Spritzwa asser beans spruchte Au ußenwände überwiegen nd in Natu ursteinmauerrwerk aus, um m hier vor allem a Naturs steine mit h hohen Rohdichtten und gerringem Pore envolumen v verarbeiten zu können. Erst E nachdem m die Fertigu ungsqualität der gebrann nten Mauerz ziegeln im sp päten hgreifender tech19. Jahrrhundert auffgrund durch nologischer Innova ationen deu utlich angesstieg, mauerwerk a ls bis konnten diese das Natursteinm ypische Lös sung für Grrundmauern verdahin ty drängen. n Fachwerkb bau in der R Region Auch im tradionellen e auf Dresden n weisen baukonstruktiv ve Merkmale wusste Anpassung an klimabedingte Ein eine bew 1.3 5 Ab bb. 1.2-3: Kla assische Dachd deckungsarten mit Bibersc chwanz-Dachz ziegeln; oben:: Biberschwan nzSp pließdeckung, Lattenweite e etwa 20 cm, unten: u Bibersc chwanz-Doppe eldeckung, La ttenweite etw wa 15 cm (Q Quelle: Frick und u Knöll 1923 3) wirkungen w hin. So existtieren zahlre eiche Nach-weise w für Fachwerkbau ten, bei denen d stark k durch Schlag gregen bea anspruchte West- oderr Südwestgiebe el bis zum O Ortgang ode er zum Wal-mansatz m mitttels Naturssteinmauerw werk ausge-fü ührt wurden n (siehe Abb b. 1.2-1). Eine E andere e ba aukonstruktive Lösung für stark durch d Witte-ru ung beansp pruchte Fach hwerkwände e stellt die e au ußenseitige Bekleidung g mit Holz zschalungen n od der Schieferr dar, wie ssie etwa im m Erzgebirge e od der in der Oberlausitz ve erbreitet ist. Die D Dachdeck kungen tradiitioneller Ge ebäude wur-de en ebenfalls s unter dem Anspruch einer e Regen-siicherheit un nter starker Beanspruch hung disku-tiert, sodass man etwa iim frühen 20. 2 Jahrhun-de ert für einfache Bibersch hwanz-Spließdeckungen n eiine Mindestdachneigun ng von 45 5° forderte e (B Böhm 1911). Verwend dung von Eingangs sgrößen aus a der Klimatolog K gie im Ba auwesen Jegliche Betrachtun ng zur Klim maanpassung g von Gebäude en und Bau ukonstruktion nen ist zun nächst auf grun ndlegende Informatione en darüber a angewiesen, welche Ken nngrößen de es regionalen n Klimas sic ch zukünftig g in welchem Maße än ndern könnten. Deshalb muss sich die Analyse e der Verletzbarkeit von Gebäuden G und u Baukonsstruktionen, in diesem Aufsatz spe ezifiziert au uf die Modellre egion Dresd den, grunds sätzlich auf eine qualifizierte Prognose P ein nes für die Zukunft ab-se ehbaren Werrtebereichs d der verände erten Einwir-ku ungen stütz zen. Hier istt eine Regionalisierung g de er Ergebn nisse globa aler und regionalerr Klimamodelle sowie die Auswertung von beo-ba achteten Klimadaten u und Modelle ergebnissen,, je eweils im Hin nblick auf die e verschiede enen Einwir-ku ungen, erforrderlich. 6 Relevante Einwirkungen auf Gebäude Abb. 1.3-1: Einwirkungen auf Gebäude der Modellregion Dresden infolge extremer Witterung (Quelle: Nikolowski et al. 2012) Deshalb greifen die Autoren, beheimatet in den Bereichen Bauingenieurwesen und Architektur, hier direkt auf die Expertise der in REGKLAM forschenden Klimatologen zurück, welche in Form von Publikationen zum regionalen Klimawandel (Bernhofer et al. 2009, Bernhofer et al. 2011b), von Projektionen des zukünftigen Klimas sowie von schriftlichen und mündlichen Stellungnahmen zu verschiedenen Einwirkungen vorliegen. Auf Basis der klimatischen Randbedingungen in der Modellregion Dresden wurden mehrere Einwirkungen auf Gebäude abgeleitet, deren zukünftige Veränderung sich in den kommenden Dekaden signifikant auf den Gebäudebestand auswirkt. Für die sechs Einwirkungen Sommerhitze, Überflutung, Starkregen, Hagel, Wind und Schnee liegen nunmehr systematische Betrachtungen ihrer negativen Konsequenzen für Gebäude ihrer nachgewiesenen und projizierten Veränderungen in der Modellregion Dresden sowie ihrer Berücksichtigung in den typischen Planungsalgorithmen bei Neubau und Instandsetzung vor (Kapitel 2 bis 7 dieses Aufsatzes). Aus dieser Untersuchungsmethodik resultiert eine einheitliche Gliederung der folgenden, einwirkungsspezifischen Kapitel nach den Kriterien: 1. Mögliche Folgen für Gebäude 2. Erkenntnisse aus Ex-post-Analysen 3. Erkenntnisse aus Klimaprojektionen 4. Umgang mit der Einwirkung in aktuellen Regelwerken 5. Veränderungsansätze im Umgang mit der Einwirkung Damit wird für jede der betrachteten sechs Einwirkungen aufgezeigt, inwieweit nach heutigem Wissensstand mit einer Intensivierung zu rechnen ist, welche Konsequenzen dadurch auftreten können und inwieweit ein Anpassungsbedarf in Planung und Bauausführung besteht. Bei der Einbindung klimatologischer Erkenntnisse in das Fachgebiet des Bauwesens sind einige methodische Herausforderungen zu bewältigen, da eine direkte Kopplung der Ergebnisse regionalisierter Projektionen mit bautechnischen Planungs- und Analysemethoden nicht möglich ist. Hier konzentrieren sich die Bearbeiter auf die Untersuchung, inwieweit zukünftige klimatische Veränderungen wichtige Eingangsgrößen für Planung und Ausführung von Gebäuden, wie etwa Relevante Einwirkungen auf Gebäude die Testreferenzjahre (TRY) des Deutschen Wetterdienstes (DWD) zur Darstellung typischer Witterungsverläufe in der Region, die regionalspezifischen Bemessungsregenspenden gemäß KOSTRA DWD, welche Starkregeneinwirkungen in Abhängigkeit von ihrer Jährlichkeit und Ereignisdauer dokumentieren, die Wind- und Schneelastannahmen entsprechend DIN EN 1991, wichtige Parameter von Überflutungsereignissen wie Wasserstandshöhe, Fließgeschwindigkeit und Wasserstandsdauer und wichtige Parameter von Hagelereignissen wie Hagelkorngröße und Aufprallgeschwindigkeit, beeinflussen werden. In Anbetracht der Prozesskette vom globalen Klimamodell über regionalisierte Projektion zu den regionalspezifischen Einwirkungsparametern auf Gebäude ist es unvermeidlich, dass die erarbeiteten Aussagen zu den zukünftigen Einwirkungen mit Unsicherheiten behaftet sind. Im Zusammenhang mit dem Wissen zu abgelaufenen Schadensereignissen und zu nachgewiesenen Veränderungen in der jüngeren Vergangenheit ergeben sich hier jedoch wertvolle Aussagen, deren Bedeutung für den Neubau und die Instandsetzung nicht unterschätzt werden sollte. Hinsichtlich des planerischen Umgangs mit veränderten Einwirkungen zeigt sich, dass die derzeit gültigen Planungsalgorithmen bei einigen 7 Einwirkungen soweit spezifiziert sind, dass sie grundsätzlich auch für zukünftig eventuell intensivere Einwirkungen geeignet scheinen (etwa DIN EN 1991 für Wind und Schnee, DIN EN 12056 und DIN 1986-100 für Starkregen). Bei anderen Einwirkungen werden derzeit noch Planungsalgorithmen angewendet, deren Charakter die teilweise komplexen Randbedingungen nur unvollständig wiedergibt. Daraus ergibt sich ein Überarbeitungsbedarf, dem sicher in den folgenden Jahren entsprochen werden wird, wie dies beim aktuellen Entwurf der DIN 4108-2 für den Teilbereich des sommerlichen Wärmeschutzes der Fall ist. Bei anderen Einwirkungen wiederum liegen zwar vielfältige Erkenntnisse und Publikationen vor. Diese mündeten jedoch bisher nicht in eine übergreifende Allgemein anerkannte Regel der Bautechnik, sodass hier unverbindliche Empfehlungen und branchenspezifische Einzellösungen vorherrschen. Auch in solchen Fällen existieren teilweise bereits beispielhafte Regelungen für Teilprobleme, etwa die VDI 6004 für haustechnische Anlagen in Überflutungsgebieten. In jedem Falle ist zu berücksichtigen, dass für den unveränderten Gebäudebestand ein grundsätzlicher Bestandsschutz vorliegt. Die Wirksamkeit der Allgemein anerkannten Regeln der Technik in ihren aktuellen Ausgaben bleibt somit zunächst auf Neubauten und bauantragspflichtige Instandsetzungen beschränkt. Abgesehen von diesen Situationen bieten Instandsetzungsphasen nach einem Schadensereignis eine günstige Möglichkeit, die betroffenen Konstruktionen an veränderte Einwirkungen anzupassen. 8 Relevante Einwirkungen auf Gebäude 2. Sommerhitze 2.1 Mögliche Folgen für Gebäude Schon unter den aktuellen sommerlichen Klimabedingungen treten in zahlreichen Gebäuden unangenehm hohe Innenraumtemperaturen auf. Im Extremfall liegen diese auch tagsüber teilweise über der Außenlufttemperatur (siehe Abb. 2.1-1). denen die Bearbeitungsdauer und Fehlerquote gemessen wird. Aus der Gegenüberstellung mehrerer Untersuchungen erkennt man, dass ab einer Lufttemperatur von 25 °C eine Reduktion der objektiv gemessenen Leistungsfähigkeit von durchschnittlich 2 % pro Kelvin Temperaturanstieg zu verzeichnen ist (siehe Abb. 2.1-2). Abb. 2.1-1: Innenraumtemperaturen in unterschiedlichen Wohnungen in Dresden. Messzeitraum: 24.08.­27.08.2011 (Quelle: IÖR) Der projizierte Temperaturanstieg in Deutschland und in der Modellregion Dresden führt grundsätzlich zu einer erhöhten Bedeutung des sommerlichen Wärmeschutzes im Gebäudebereich. Zwar führen die höheren Sommertemperaturen in der Regel zu keinen direkten Schäden an den Baukonstruktionen, allerdings ist mit einer zunehmenden Beeinträchtigung der Gebäudenutzer zu rechnen. Die Innenraumtemperaturen im Sommer beeinflussen in erheblichem Maße die Behaglichkeit (Fanger 1972), die Leistungsfähigkeit (Seppänen et al. 2003, S. 395) und die Mortalität des Menschen (Gosling et al. 2009, S. 313-317). Ein angenehmes Innenraumklima im Sommer ist deshalb sowohl aus wirtschaftlicher als auch aus medizinischer Sicht von grundlegender Bedeutung. In zahlreichen Studien wurde mit steigender Lufttemperatur des Innenraumes eine abnehmende Leistungsfähigkeit bei Büroangestellten und Schulkindern festgestellt. (Seppänen et al. 2006, S. 2) Die Leistungsfähigkeit wird je nach Studiendesign unterschiedlich ermittelt. Versuche unter realen Arbeitsbedingungen werden häufig in Call-Centern durchgeführt. Die Zeitdauer für die durchschnittliche Bearbeitung eines Kundenanrufes wird dann als Maß für die Leistungsfähigkeit verwendet. Eine andere Möglichkeit sind künstliche Aufgabenstellungen, bei Abb. 2.1-2: Zusammenhang zwischen Temperatur und psychischer Leistungsfähigkeit (Quelle: Seppänen et al. 2003, S. 396) Eine Temperaturzunahme im Sommer kann folglich zu wirtschaftlichen Einbußen führen. Eine geringere physische und psychische Leistungsfähigkeit der Arbeitnehmer wirkt sich negativ auf die Produktivität eines Unternehmens aus. Vermutlich werden Unternehmen zukünftig verstärkt darauf achten, Gebäude zu nutzen, die einen ausreichend guten sommerlichen Wärmeschutz bei gleichzeitig niedrigen Betriebskosten aufweisen. Auch im Bereich der Wohngebäude wird das Thema der sommerlichen Behaglichkeit zunehmend in den Fokus der Nutzer rücken. Ein unzureichender sommerlicher Wärmeschutz kann im Zuge des Klimawandels zu einer schlechteren Vermietbarkeit eines Gebäudes oder von Gebäudeteilen führen. Vor diesem Hintergrund wird sich die Bedeutung des sommerlichen Wärmeschutzes im Planungsprozess von Neubauten und Sanierungen deutlich erhöhen. Dies hat weitreichende Konsequenzen für den praktisch tätigen Architekten, Bauingenieur und Haustechniker. Schon der Ge- Relevante Einwirkungen auf Gebäude bäudeentwurf (Orientierung, Fensterflächenanteil, Bauweise etc.) hat einen entscheidenden Einfluss auf die Qualität des Innenraumklimas im Sommer. Bei Bestandsgebäuden können die Parameter des Gebäudeentwurfs zum Großteil 2.2 9 kaum nachträglich beeinflusst werden. Deshalb müssen hier unter Umständen energieeffiziente Anlagen zur Gebäudekühlung bzw. zur nächtlichen Belüftung installiert werden. Erkenntnisse aus Ex-post-Analysen Analysiert man die Entwicklung des Klimas der Modellregion Dresden in den vergangenen Jahrzehnten, so ermöglicht dies Rückschlüsse auf die weitere Entwicklung für die nahe Zukunft. Dabei existieren mehrere Klimakenngrößen, welche Aussagen über die Hitzebelastung im Sommer ermöglichen. Dazu zählen unter anderem die mittlere Sommertemperatur, die Anzahl an Sommertagen, an heißen Tagen und an Tropennächten. Für die Bestimmung der mittleren Sommertemperatur werden die Temperaturmesswerte der Monate Juni, Juli und August gemittelt. Abb. 2.2-1: Beobachtete Entwicklung der mittleren Sommertemperaturen (Juni, Juli, August) in Sachsen (Quelle: Bernhofer und Goldberg 2008, S. 47) 10 Ein Sommertag ist definiert als ein Tag, an dem eine Maximaltemperatur von mindestens 25 °C erreicht wird. An einem heißen Tag beträgt die Tageshöchsttemperatur hingegen wenigstens 30 °C. Von einer Tropennacht spricht man, wenn die Temperatur in der Nacht nicht unter 20 °C sinkt. Vergleicht man die mittleren Sommertemperaturen Sachsens in den Jahren 1961 bis 1990 mit der Periode 1991 bis 2005, so lässt sich im Gebietsmittel ein Anstieg um ca. 1,0 K registrieren (siehe Abb. 2.2-1). Auch beim Vergleich der Häufigkeit der weiteren genannten Klimakenngrößen können teilweise erhebliche Veränderungen gegenüber der Klimanormalperiode 1961 bis 1990 festgestellt werden. In einem mittleren Jahr der benannten Klimanormalperiode sind in der Modellregion Dresden 31,4 Sommertage, 5,4 heiße Tage und 0,7 Tropennächte aufgetreten. Im Vergleich dazu ist in der Periode 1991 bis 2010 die mittlere Anzahl an Sommertagen um 9,1 Tage und die der heißen Tage um 3,4 Tage gestiegen. Die Anzahl der Tropennächte ist um 0,5 auf durchschnittlich 1,2 gestiegen. (Bernhofer et al. 2011a, S. 1) Im Zuge des Forschungsprojektes REGKLAM wurde vom Umweltamt der Landeshauptstadt Dresden die Klimaentwicklung von 1961 bis 2010 für das Stadtgebiet Dresden (Ullrich und Reinfried 2011) untersucht. Dabei wurden die Daten aller aktuell im Stadtgebiet vorhandenen sieben Wetterstationen herangezogen. Aussagen Relevante Einwirkungen auf Gebäude über eventuelle Langzeittrends bezüglich der Sommertemperaturen sind allerdings nur für die Station Dresden Klotzsche (DD-KLO) möglich. Nur für diese Station liegen ausreichend lange und ununterbrochene Temperatur-Zeitreihen (seit 1961) vor. Aus Abb. 2.2-2 ist ein deutlich ansteigender Trend an Sommertagen für die Station Dresden-Klotzsche zu entnehmen. Die Wetterstation Dresden-Klotzsche liegt etwa 100 Höhenmeter über dem Dresdener Stadtzentrum, das sich auf 113 m über NN. befindet. Der Vergleich der Messdaten der Station Dresden-Klotzsche mit denen der anderen Stationen im Stadtgebiet verdeutlicht die Auswirkung der Höhenlage auf die Außenlufttemperatur. An den tiefer gelegenen Stationen mit vergleichbaren Umgebungsbedingungen werden im Mittel höhere Temperaturen als in Dresden-Klotzsche beobachtet. Vergleicht man jedoch die gemessenen Temperaturen der Wetterstationen mit nahezu gleicher Höhenlage untereinander, dann erkennt man deutlich den Effekt der städtischen Wärmeinsel. Die Wetterstation Dresden-Hosterwitz liegt am Stadtrand in einer Gegend mit hohem Grünanteil und geringer Versiegelung. An dieser Station werden grundsätzlich deutlich niedrigere Temperaturen gemessen als an den Stationen mit höherer Bebauungsdichte. Aus dem stark versiegelten Zentrum Dresdens liegen keine Messdaten vor. Hier ist mit noch höheren Temperaturen zu rechnen. Abb. 2.2-2: Jährliche Anzahl an Sommertagen 1961­2010 (Quelle: Ullrich und Reinfried 2011, S. 16) Relevante Einwirkungen auf Gebäude 2.3 11 Erkenntnisse aus Klimaprojektionen Die Klimaprojektionen für Deutschland gehen übereinstimmend von einem deutlichen Anstieg der Sommertemperaturen aus. Der regionale Klimaatlas Deutschland (Meinke et al. 2010) versucht den Unsicherheiten bei der Klimaprojektion zu entgegnen, indem verschiedene Klimamodelle verwendet werden. Den Klimamodellen werden außerdem unterschiedliche Emissionsszenarien zugrunde gelegt. Diese Emissionsszenarien beschreiben die zukünftige Entwicklung des Ausstoßes von Treibhausgasen (IPCC 2007, S. 45). Dies ist ein gängiges Verfahren, um die mögliche Bandbreite der Klimaentwicklung abzubilden (Meehl et al. 2007, S. 797). Die mittlere Projektion des beschriebenen Ensembles geht in dem Zeitabschnitt 2021­2050 für das Gebietsmittel Deutschlands von einer Erhöhung der Sommertemperaturen um 1,1 K aus, bezogen auf die internationale Referenzperiode 1961­1990. Für den Zeitabschnitt 2071­2100 wird sogar eine Zunahme um 3,9 K angenommen. Für die Modellregion Dresden kann von der in Tab. 2.3-1 dargestellten Entwicklung des Klimas ausgegangen werden. In Klammern ist jeweils die Bandbreite aus den Szenario- und Modellensembeln dargestellt. Um Klimaprojektionen auf ingenieurmäßige Berechnungsverfahren für den sommerlichen Wärmeschutz anwenden zu können, sind jedoch detailliertere Angaben notwendig. Ein einfaches Beispiel soll dies verdeutlichen. Für den Zeitabschnitt 2071­2100 wird für die Modellregion Dresden eine Temperaturzunahme im Sommerhalbjahr um 2,4 K projiziert. Würde diese Temperaturzunahme durch einzelne heiße Tage hervorgerufen, dann wäre dies für das Innenraumklima weniger negativ als länger andauernde heiße Perioden. Zudem sind beispielsweise hohe Außenlufttemperaturen bei bedecktem Himmel weniger kritisch, da häufig die wesentlichen Wärmeeinträge über solare Einstrahlung durch transparente Bauteile verursacht werden. Für eine exakte Untersuchung sind folglich die zeitlichen Verläufe der Wetterelemente und deren Zusammenspiel von Bedeutung. Allerdings ist es äußerst schwierig, mit den verfügbaren Klimamodellen Aussagen über ein typisches Wetterjahr der Zukunft zu treffen. Dies wird zusätzlich erschwert, wenn Stundenwerte unterschiedlicher Wetterelemente für ein ganzes Jahr benötigt werden, wie dies für eine thermische Gebäudesimulation erforderlich ist. Deshalb wurde in Zusammenarbeit mit der Professur für Meteorologie der TU Dresden die Idee entwickelt, die real gemessenen Wetterelemente des Extremsommers 2003 mit den Projektionen für die Modellregion Dresden zu vergleichen. Dabei wurde untersucht, inwieweit sich der Sommer 2003 zur Abschätzung der zukünftigen Klimaentwicklung eignet. 1961­1990 2021­2050 2071­2100 Temperatur Sommerhalbjahr [°C] 13,9 +0,9 (+0,4 bis +1,3) +2,4 (+0,3 bis +3,3) Anzahl Sommertage [n] 31,4 +9,2 (+2,2 bis +14,4) +24,7 (+3,7 bis +30,4) Anzahl heiße Tage [n] 5,4 +2,7 (+1,4 bis +4,8) (­0,9 bis +12,1) Anzahl Tropennächte [n] 0,7 +0,8 (+0,2 bis +1,2) (­0,1 bis +8,1) -320 ­827 (­560 bis ­155) (­1046 bis ­150) +22 (+12 bis +34) +84 Klimakenngröße Heizgradtage [K*d/a] 3882 Kühlgradtage [K*d/a] 41 +10,2 +4,1 (­1 bis +110) Tab. 2.3-1: Klimaprojektionen für die Modellregion Dresden für die Zeitabschnitte 2021 bis 2050 und 2071 bis 2100 (Quelle: Bernhofer et al. 2011a) 12 Relevante Einwirkungen auf Gebäude Abb. 2.3-1: Meteorologische Kenngrößen des Jahres 2003 im Vergleich zu klimatologischen Langzeitwerten für die Station Dresden-Klotzsche (Quelle: Bernhofer et al. 2010) Relevante Einwirkungen auf Gebäude 13 Der Sommer 2003 war im gesamten Gebiet der Bundesrepublik Deutschland einer der heißesten seit Beginn der Aufzeichnungen (MüllerWestermeier und Riecke 2004, S. 71). Zum damaligen Zeitpunkt hatte dieses Ereignis eine Wiederkehrdauer von 455 Jahren. (Schönwiese et al. 2004, S. 125) Von der Hitzewelle waren insbesondere Frankreich, Südwestdeutschland, die westliche Schweiz und Norditalien betroffen. In einigen Gebieten Südwest-Deutschlands lag 2003 das Temperaturmittel der Sommermonate Juni, Juli und August um mehr als 5 Kelvin über dem entsprechenden vieljährigen Mittelwert des internationalen Referenzzeitraumes 1961-1990 (siehe Abb. 2.3-2). In Abb. 2.3-1 sind verschiedene Kenngrößen der Lufttemperatur und die Sonnenscheindauer des Sommers 2003, gemessen an der Station Dresden-Klotzsche, den langjährig gemittelten Beobachtungen und den Projektionen für die Modellregion Dresden gegenübergestellt. (Bernhofer et al. 2010) Dabei erkennt man, dass der Sommer 2003 auch im Raum Dresden ein Ausnahmeereignis war. Zudem wird deutlich, dass dieses Ereignis vermutlich auch für den Zeitabschnitt 2021­2050 außergewöhnlich sein wird. Hingegen wird im Ergebnis aktueller Klimaprojektionen zum Ende des 21. Jahrhunderts der Sommer 2003 einem durchschnittlichen Sommer entsprechen. 2.4 Abb. 2.3-2: Temperaturabweichung der mittleren Sommertemperatur 2003 in Deutschland vom vieljährigen Mittel 1961-1990 (Quelle: Müller-Westermeier und Riecke 2004, S. 76) Umgang mit der Einwirkung in aktuellen Regelwerken Aktuell existieren zwei Analysemethoden, mit denen sich abschätzen lässt, inwieweit die Innenraumtemperaturen im Sommer in einem annehmbaren Rahmen bleiben: Verfahren nach DIN 4108-2, Abschnitt 8 Thermische Gebäudesimulation Für einen Gebäudeentwurf oder eine Sanierungsplanung ist zudem der Heiz- bzw. Kühlenergiebedarf eines Gebäudes von entscheidender Bedeutung. Dieser kann ebenfalls mittels der thermischen Gebäudesimulation oder nach dem Verfahren der DIN V 18599 bestimmt werden. Sommerlicher Wärmeschutz nach dem Verfahren der DIN 4108-2 Aus der Bekanntmachung des Sächsischen Staatsministeriums des Inneren über die Liste der eingeführten Technischen Baubestimmungen (LTB) vom 13. Mai 2011 geht hervor, dass die DIN 4108-2 im Freistaat Sachsen als technische Baubestimmung eingeführt ist. Im Oktober 2011 wurde der Entwurf der DIN 4108-2 veröffentlicht (E DIN 4108-2:2011-10), welcher jedoch noch keine eingeführte technische Baubestimmung darstellte. Die prinzipielle Vorgehensweise zum Nachweis des sommerlichen Wärmeschutzes wurde beibehalten. Die Gefahr der Überhitzung wird weiterhin raumweise über Sonneneintragskennwerte beurteilt. Es ist ausreichend, den Nachweis für den kritischen Raum eines Gebäudes zu führen. Ist der Sonneneintragskennwert Svorh des betrachteten Raumes nicht größer als der maximal zulässige Sonneneintragskennwert Szul, ist der Nachweis erbracht. 14 Relevante Einwirkungen auf Gebäude Abb. 2.4-1: Nachweis des sommerlichen Wärmeschutzes nach E DIN 4108-2:2011-10 (eigene Darstellung) Der prinzipielle Verfahrensablauf inklusive aller Einflussgrößen ist in Abb. 2.4-1 ersichtlich. Dabei ist die Fensterfläche Aw als lichtes Rohbaumaß zu bestimmen. Bei der Berechnung der Nettogrundfläche AG darf als maximale Raumtiefe die dreifache lichte Höhe des entsprechenden Raumes angesetzt werden. In dem Verfahren bleiben unterschiedliche interne Wärmelasten unberücksichtigt. Gegenüber der bisher gültigen Norm können mit den Erweiterungen der E DIN 4108-2:2011-10 auch eine hohe Nachtlüftung (n = 5 h-1) und der Einsatz passiver Kühlsysteme berücksichtigt werden. Der Wert für die hohe Nachtlüftung darf nur angesetzt werden, wenn eine geschossübergreifende Nachtlüftung möglich ist oder der Luftwechsel über eine mechanische Lüftungsanlage gewährleistet wird. Zudem wurde die Einteilung Deutschlands in Sommer-Klimaregionen angepasst und verfeinert. Das Nachweisverfahren ist bei Räumen in Verbindung mit unbeheizten Glasvorbauten unter Umständen und bei Doppelfassaden und dem Einsatz transparenter Wärmedämmung generell ungültig. Das Verfahren nach DIN 4108-2, Abschnitt 8 ist ein vereinfachtes Verfahren und eignet sich dazu, die Gefahr der Überhitzung von Räumen in Vollgeschossen abzuschätzen. Allerdings kann das Verfahren bei schlecht gedämmten Dachräumen mit kleinen Fensterflächen zu Fehleinschätzungen führen, da der Wärmestrom durch Bauteile vernachlässigt wird. Häufig werden Relevante Einwirkungen auf Gebäude Dachflächen besonders intensiv von der Sonne beschienen, sodass sich Oberflächentemperaturen bis zu 70 °C ergeben können. Die daraus resultierende hohe Temperaturdifferenz zwi- 15 schen Außenoberfläche und Innenraum führt zu einem erhöhten Wärmestrom in den Innenraum, welcher bei diesem Verfahren unberücksichtigt bleibt. Thermische Gebäudesimulation Die DIN 4108-2 und die Energieeinsparverordnung 2009 verweisen darauf, dass zum Nachweis des sommerlichen Wärmeschutzes generell auch genauere ingenieurmäßige Berechnungsverfahren, etwa thermische Gebäudesimulationen, zulässig sind. In der E DIN 4108-2:2011-10 wird erstmals detaillierter auf die bei einer thermischen Gebäudesimulation anzusetzenden Randbedingungen im Zuge des sommerlichen Wärmeschutzes eingegangen. Die thermische Gebäudesimulation gehört zum Stand der Technik, um detaillierte Untersuchungen zum sommerlichen Wärmeschutz durchzuführen. Im Gegensatz zu sämtlichen anderen Verfahren können mit der thermischen Gebäudesimulation instationäre Wärmeübertragungsmechanismen berücksichtigt werden. Die Vorteile dieses Verfahrens werden an einem Beispiel deutlich. Be- trachtet wird ein Raum unter einem nach Süden orientierten Schrägdach. Die Dachoberfläche wird tagsüber durch die Sonnenstrahlung stark erwärmt. Folglich ist die Oberflächentemperatur der Dachfläche deutlich höher als die Innenraumtemperatur. Der Wärmestrom ist also von außen nach innen gerichtet. Handelt es sich im Dachquerschnitt um ein massives Bauteil, dann wird ein Großteil der Wärme im Bauteil gespeichert. Nachts sinken die Außenlufttemperaturen wieder und die im Bauteil gespeicherte Wärme wird nach außen und nach innen abgegeben. Dies bedeutet, dass nicht die gesamte auf das Bauteil einwirkende Wärme an den Innenraum weitergeleitet wird. Handelt es sich im Dachquerschnitt hingegen um ein leichtes, ungedämmtes Bauteil, so dringt die Wärme nahezu ungehindert in den Innenraum und führt Abb. 2.4-2: Bei einer thermischen Gebäudesimulation berücksichtigte Einflussgrößen (eigene Darstellung) 16 Relevante Einwirkungen auf Gebäude zu einem starken Anstieg der Raumtemperatur. Derartige Auswirkungen der Baukonstruktion auf das Raumklima können nur mittels der thermischen Gebäudesimulation hinreichend berücksichtigt werden. Des Weiteren kann warme Raumluft durch die Lüftung abgeführt werden. Die thermische Gebäudesimulation ermöglicht es hier, unterschiedliche Lüftungsstrategien am konkreten Gebäude miteinander zu vergleichen. Sie gestattet auch die Ermittlung des Heiz- und Kühlenergiebedarfs eines Gebäudes. Für die Durchführung einer thermischen Gebäudesimulation sind als Eingangsparameter Stundenwerte verschiedener meteorologischer Elemente (z. B. Globalstrahlung, diffuse Strahlung, Windrichtung, Windgeschwindigkeit etc.) erforderlich. Hierfür wurden speziell so bezeichnete Testreferenzjahre (TRY) entwickelt, die das charakteristische Klima einer Region widerspiegeln. Heiz- und Kühlenergiebedarf nach DIN V 18599 Die Energieeinsparverordnung 2009 verweist für die Berechnung des Jahres-Primärenergiebedarfs eines Gebäudes unter anderem auf die DIN V 18599, wobei die Anwendung dieser Norm für Nichtwohngebäude sogar zwingend vorgeschrieben ist. Das Verfahren nach DIN V 18599 stellt sämtliche in einem konkreten Gebäude auftretenden Wärmequellen und Wärmesenken gegenüber. Als Wärmequellen werden berücksichtigt: • solare Wärmeeinträge über transparente Bauteile • solare Wärmeeinträge über opake Bauteile • interne Wärmequellen: Körperwärme von Personen, Wärmeabgabe von Geräten, Wärmeabgabe der Beleuchtung In Abhängigkeit von der Außentemperatur existieren Wärmeübertragungsmechanismen, die entweder als Wärmequellen oder als Wärmesenken zu bewerten sind: • Wärmeübertragung über Außenbauteile • Luftwechsel mit der Außenumgebung Liegt die Außentemperatur unter der gewünschten Raumtemperatur, sind die Wärmeübertragung über Außenbauteile und der Luftwechsel als Wärmesenken zu bilanzieren, andernfalls als Wärmequellen. Ist die Summe der Wärmesenken größer als die der Wärmequellen, muss ge- 2.5 heizt werden. Im umgekehrten Fall muss die Raumluft gekühlt werden. Infolge des Klimawandels wird in Deutschland der Heizenergiebedarf abnehmen und stattdessen der Kühlenergiebedarf an Bedeutung gewinnen. Je nachdem wie sehr sich das Verhältnis zwischen Heiz- und Kühlenergiebedarf verschieben wird, müssen die heute existierenden Entwurfsprämissen für Gebäude überarbeitet werden. Bisher wird darauf geachtet, ausreichend große Fensterflächen in der Fassade anzuordnen. Dadurch sollen im Winter möglichst große solare Energieeinträge erzielt werden. Im Sommer sind die zusätzlichen solaren Energieeinträge in der Regel jedoch unerwünscht. Zahlreiche tabellierte Kennwerte für die Bewertung der Anlagentechnik in DIN V 18599 basieren auf Simulationsrechnungen, denen das in DIN V 18599-10 angegebene Referenzklima Deutschlands zugrunde liegt. (Höttges und Kempkes 2009, S. 34) Dieses Referenzklima bezieht sich auf die internationale Referenzperiode 1961­1990. (Schild und Brück 2010, S. 208) Folglich ist die Durchführung des Verfahrens nach DIN V 18599 an diese Klimarandbedingungen geknüpft. Das Bewertungsverfahren ist deshalb für die Abschätzung der Auswirkungen des Klimawandels auf Gebäude nur eingeschränkt nutzbar. Veränderungsansätze im Umgang mit der Einwirkung Um die Auswirkungen des Klimawandels auf das Innenraumklima von Gebäuden abschätzen zu können, sind zunächst angepasste Klimarandbedingungen erforderlich. Wie bereits weiter oben ausführlich beschrieben, können die gemessenen Klimadaten des Jahres 2003 in thermischen Gebäudesimulationen für die Abschätzung zu- künftiger sommerlicher Klimaverhältnisse verwendet werden. Im Jahr 1986 wurden erstmals Testreferenzjahre (TRY) für das ehemalige Bundesgebiet Deutschlands veröffentlicht (Blümel et al. 1986). Testreferenzjahre stellen den charakteristischen Wetterverlauf eines Jahres in einer bestimmten Region dar und werden speziell für Relevante Einwirkungen auf Gebäude die Anwendung in thermischen Gebäudesimulationsprogrammen erstellt. Sie enthalten Stundenwerte ausgewählter meteorologischer Elemente. Die Testreferenzjahre von 1986 basieren auf Messungen aus dem Zeitraum 1951-1976. Im Jahr 2004 veröffentlichte der Deutsche Wetterdienst (Christoffer et al. 2004) Testreferenzjahre für die gesamte Bundesrepublik, die das charakteristische Klima der internationalen Referenzperiode 1961-1990 darstellen. Diese TRY waren bis vor Kurzem die aktuellsten vereinheitlichten Klimarandbedingungen für die Anwendung in thermischen Gebäudesimulationen. Sie waren jedoch nicht mehr in der Lage, das aktuelle Klima in Deutschland ausreichend genau abzubilden. Daher wurden im Auftrag des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung (BBR) durch eine Expertenkommission aktuelle Testreferenzjahre erarbeitet. Diese basieren auf Messwerten aus den Jahren 1988 bis 2007 und stehen seit April 2011 auf der Homepage des BBR öffentlich zur Verfügung. Zudem wurden TRYs für die Zukunft entwickelt. Sie zeigen auf der Basis des heutigen Kenntnisstandes das projizierte Klima für den Zeitraum 2021 bis 2050 auf. Darüber hinaus wurden Jahresverläufe mit je einem extremen Sommer und Winter erstellt (BBR 2011). Um den Aufwand für die Erstellung von Testreferenzjahren in einem vertretbaren Rahmen zu halten, wurden diese schon seit 1986 nicht für sämtliche Wetterstationen des DWD erstellt, sondern nur für einige ausgewählte Stationen, welche die Klimavariabilität innerhalb der Bundesrepublik gut sichtbar machen können. Dazu wurde das Bundesgebiet in Regionen unterteilt. Der Begriff Region wird durch ein näherungsweise einheitliches Klima definiert. Für jede so definierte Region wurde eine darin liegende repräsentative Station ausgewählt, die charakteristisch für das Klima in der gesamten Region ist. Die Repräsentanzstationen der 1986 veröffentlichten Testreferenzjahre (Blümel et al. 1986, S. 24) unterscheiden sich teilweise von denen der später veröffentlichten Testreferenzjahre (Christoffer 2004, S. 18) in ihrer geografischen Lage. Das bedeutet für die TRYs mit unterschiedlichem Veröffentlichungsdatum wurden zum Teil verschiedene Wetterstationen des DWD als Repräsentanten gewählt. Allerdings sind ei- 17 nige Stationen über die Jahre unverändert geblieben, so beispielsweise die Wetterstation Bremerhaven (53° 32' N, 08° 35' E), die unverändert als Repräsentanzstation verwendet wird. Für die durchgängig verwendeten Stationen ergeben sich somit kontinuierliche Reihen von Testreferenzjahren. Diese stellen die teilweise gemessene, teilweise projizierte Klimaänderung von der Periode 1951-1976 bis zur Periode 2021-2050 dar. Damit stehen für Teile Westdeutschlands mittlere Testreferenzjahre zur Verfügung, welche die Klimaentwicklung über 100 Jahre (Grenzen der Zeitabschnitte) widerspiegeln. Dadurch können die Veränderungen des Heiz- und Kühlenergiebedarfs über einen langen Zeitraum mittels thermischer Gebäudesimulation ermittelt werden. In E DIN 4108-2:2011-10, Kapitel 8.4 wird erstmals detailliert ausgeführt, wie der Nachweis des sommerlichen Wärmeschutzes mittels thermischer Gebäudesimulation ausgeführt werden soll. Dresden fällt gemäß Bild 3 dieser Norm in die Sommer-Klimaregion C. Für den Nachweis des sommerlichen Wärmeschutzes mittels thermischer Gebäudesimulation sieht der Normenentwurf die Verwendung mittlerer Testreferenzjahre vor. Für Orte, die der Sommer-Klimaregion C zugerechnet werden können, soll das mittlere Testreferenzjahr der TRY-Region 12 (Oberrheingraben und unteres Neckartal) verwendet werden. Die aktuelle TRY-Region 12 (Repräsentanzstation Mannheim) stimmt recht gut mit der TRY-Region 6 (Repräsentanzstation Frankfurt am Main-Flughafen) der Testreferenzjahre von 1986 überein. Beide Repräsentanzstationen liegen nur etwa 60 km Luftlinie voneinander entfernt. Der Höhenunterschied über NN beträgt lediglich 16 m. In guter Näherung kann mit dem TRY 1986 der Region 6 die Reihe der mittleren TRY der Region 12 verlängert werden. Mit dieser Vorgehensweise kann auch für die Modellregion Dresden der Nachweis des sommerlichen Wärmeschutzes gemäß E DIN 4108-2:2011-10 mittels thermischer Gebäudesimulation über einen Betrachtungszeitraum von 100 Jahren geführt werden. 18 Relevante Einwirkungen auf Gebäude 3. Überflutung 3.1 Mögliche Folgen für Gebäude In Deutschland haben schwere Überflutungen besonders nach 1990 an Häufigkeit und Ausmaß stark zugenommen. So sind unter anderem die Hochwasser am Rhein 1993 und 1995, der Oder 1997, der Elbe und ihrer Nebenflüsse von 2002 und 2006 und der Neiße von 2010 zu nennen. Gebäude bilden bei derartigen Ereignissen stets einen Großteil der Gesamtschadenssumme, wie dies beispielhaft an der Schadensbilanz des Augusthochwassers 2002 in Sachsen zu sehen ist (siehe Tab. 3.1-1). Grundsätzlich sind verschiedene Überflutungsarten zu unterscheiden: Überflutungen mit Gewässerbezug (Flusshochwasser) Überflutungen ohne Gewässerbezug (zeitweise anstauendes Wasser nach Starkregenereignissen) Grundhochwasser (oft im Nachgang eines Hochwasserereignisses) Sturmfluten (nur in Küstengebieten und Flussmündungen) Als Ursachen können großräumige Wetterlagen, wie etwa die Vb-Wetterlage, bei der zwischen dem 11.08. und 14.08.2002 an der DWDWetterstation Zinnwald-Georgenfeld 406,2 mm Niederschlag gemessen wurden und die schließ- Kategorie lich zum Elbehochwasser führte, genannt werden. Aber auch kleinräumige Starkregenereignisse, wie zum Beispiel in Dortmund im Juli 2008, als es durch ein Ereignis zu einer massiven Überflutung ohne Gewässerbezug kam, spielen eine Rolle. Eine Folge von kleinräumigen Starkregenereignissen kann örtlich anstauendes, meist kurzzeitig auftretendes Oberflächen- und Sickerwasser sein, wie es beispielsweise durch einen Rückstau in Kanalisationen verursacht werden kann. Der Eintritt von Wasser in das Gebäude kann dabei auf unterschiedlichem Wege erfolgen. Es können mehrere Eindringpunkte am Gebäude unterschieden werden (siehe DWA 2011), wobei die Bauwerksabdichtung hier als besonders gefährdet gilt. Die Einwirkung Überflutung kann – unabhängig von der Überflutungsart – zu verschiedenen Schadensarten führen, die wiederum in tangible und intangible sowie direkte und indirekte Schäden unterteilt werden können. (Kron 2008, S. 66) Überflutungsschäden am Gebäude und der Baukonstruktion zählen zu den direkt tangiblen Schäden und können nach Naumann (Naumann et al. 2009) in drei, differenziert zu behandelnde, Schadenstypen untergliedert werden (siehe Abb. 3.1-1). Schadenskosten Schäden Wohngebäude 1.706 Mio. € 27,5 % Gewerbliche Unternehmen 1.420 Mio. € 22,9 % Kommunale Infrastruktur 1.287 Mio. € 20,8 % Staatliche Infrastruktur 928 Mio. € 15,0 % Hausrat 529 Mio. € 8,5 % Katastrophenschutz und -bekämpfung 136 Mio. € 2,2 % Infrastruktur sonstiger Träger 111 Mio. € 1,8 % 79 Mio. € 1,3 % 6.196 Mio. € 100 % Land- und Forstwirtschaft Gesamt Tab. 3.1-1: Die Schadensbilanz des Augusthochwassers 2002 für Sachsen (eigene Darstellung nach: Sächsische Staatskanzlei 2003) Relevante Einwirkungen auf Gebäude Der erste Schadenstyp – Feuchte- und Wasserschäden – subsummiert alle Schäden, welche nach einem Überflutungseregnis am Gebäude meßtechnisch erfassbar und eindeutig als Folge des Ereignises erkennbar sind. Demnach treten Feuchte- und Wasserschäden zwingend bei jedem Flutereignis auf. Eine direkte Folge ist die Beeinträchtigung sowohl des Wärmeschutzes als auch der Festigkeit und Dauerhaftigkeit von Baustoffen und Baukonstruktionen. Die Durchfeuchtungen resultieren aus kapillarer Wasseraufnahme, Wasserdampfdiffusion in den Porenräumen sowie aus der hygroskopischen Aufnahme von Wasserdampf. Die wichtigsten die Schäden beeinflussenden Parameter der Einwirkung sind dabei die Wasserstandshöhe und die Wasserstandsdauer. Bei nicht fachgerechter Beseitigung der Schäden nach den Anerkannten Regeln der Bautechnik (partieller oder kompletter Rückbau, Trocknung und Wiederherstellung geschädigter Bereiche) können Folgeschäden durch Schimmelpilzbefall, pflanzliche Holzschädlinge und Korrosion die betroffenen Konstruktionselemente dauerhaft schädigen. Der zweite Schadenstyp – statisch relevante Schäden – tritt meist in Kerbtälern und an Gebirgsflüssen auf. Diese Schäden reichen von Gründungsschäden über Schäden durch hydro- 19 statischen Druck und Auftrieb bis hin zu hochwasserbedingten Überlastungen von Bauteilen. Hohe Fließgeschwindigkeiten von mehr als 1 m/s (IKSR 2002), die daraus resultierende Unterspülung von Gründungen sowie der Anprall von Punktlasten wie etwa Baumstämme und andere schwere Schwimmgüter, können zu starken Schäden am betroffenen Gebäude führen. Zahlreiche Faktoren der Einwirkung wie Fließgeschwindigkeit, Geschiebetransport, Wasserstandsdifferenzen oder Baugrundverhältnisse, aber auch Parameter des Gebäudes wie Gründungstiefe und -art, Baumaterial und –konstruktion beeinflussen die Höhe der resultierenden Schäden stark. Der dritte Schadenstyp – Schäden durch Kontamination – deckt diejenigen Folgeschäden ab, welche aus der Kontaminationen des Flutwassers resultieren. Diese kann unter anderem aus Fäkalien von überfluteten Kläranlagen und der Kanalisation, aus Industrieabwässern sowie aus Heizöl von aufgeschwemmten und ausgelaufenen Öltanks resultieren. Das Schadenspotenzial hängt auch hier auf der Einwirkungsseite maßgeblich von der Wasserstandshöhe, der Einwirkungsdauer und nicht zuletzt von der Qualität und Quantität des Schadstoffgehaltes ab. (Naumann et al. 2008) Abb. 3.1-1: Schadenstypen bei überfluteten Wohngebäuden (Quelle: Naumann et al. 2009)