Heilpraktiker

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DEUTSCHE
Heilpraktiker
ZEITSCHRIFT
2. 2016 ▪ 11. Jahrgang ▪ www.haug-verlag.de
Botschaft zwischen
den Herzschlägen
Stephan Bortfeldt, Olaf Hoos
Sonderdruck
DHZ
35 DHZ PRAXIS
Grundlagen und Diagnostik
Foto: © Fotolia / artefacti
Botschaft zwischen den
HERZSCHLÄGEN
PULSSCHWANKUNGEN als Risikomarker bei kardialen und stressassoziierten Erkrankungen
Stephan Bortfeldt, Olaf Hoos
STRESSINDUZIERTE, kardiovaskuläre
und metabolische Erkrankungen treten
als weltweites Problem in allen industrialisierten Ländern auf und erfordern allein in Deutschland jährlich dreistellige
Milliardenaufwendungen für medizinische Behandlungen, Arbeitsunfähigkeit,
Rehabilitation und vorzeitige Erwerbsunfähigkeit. Insbesondere berufsbedingter Stress hat sich in diesem Zusammenhang zu einem bedeutsamen gesellschaftlichen Gesundheitsrisiko entwi-
ckelt, das mit erhöhter kardiovaskulärer
Morbidität und Mortalität einhergeht.
Hierbei nimmt die Koronare Herzkrankheit (KHK) eine Schlüsselrolle unter den
chronischen Krankheitsbildern ein. Sie
bezeichnet eine chronisch-ischämische
Erkrankung der Koronararterien, die im
langfristigen Verlauf mit Begleiterscheinungen wie Herzrhythmusstörungen,
Herzinsuffizienz und nicht zuletzt Myokardinfarkt und plötzlichem Herztod
verbunden ist. Die KHK stellt eine der
häufigsten Todesursachen in den Industrienationen dar und bedarf daher verstärkt präventiver Maßnahmen sowie einer frühen Diagnose und Prognose.
Häufig sind psychosoziale Risikofaktoren mit vegetativer Dysbalance und
deutlich sympathikotoner Reaktionslage
an der Krankheitsentwicklung beteiligt.
Zahlreiche Studien der vergangenen
Jahrzehnte zeigen in diesem Zusammenhang eine signifikante Korrelation zwischen vegetativer Balance und klassi-
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Grundlagen und Diagnostik
schen Risikofaktoren wie Cholesterin,
Übergewicht, Rauchen, Bluthochdruck,
Diabetes, familiärer Disposition, Stress
sowie KHK und damit assoziierten, negativen Begleiterscheinungen. Somit liefert
die Quantifizierung des vegetativen Status bei KHK eine wichtige diagnostische
Grundlage zur Therapiekontrolle und Bestimmung des klinischen Settings.
DHZ PRAXIS 36
KURZ GEFASST
1
Die Koronare Herzkrankheit (KHK) steht als eine der häufigsten
Todesursachen in engem Zusammenhang mit vegetativer Dysbalance.
2
Die Analyse der Herzratenvariabilität (HRV) als Marker autonomer Adaptations- und Regulationsfähigkeit liefert eine zentrale
Grundlage für die Diagnose und Therapie kardial und vegetativ
bedingter Erkrankungen.
3
Hierbei lassen sich durch Messung der Herzschlagintervalle auch
mit geringem Geräteeinsatz bereits im Frühstadium valide Prognosen und Therapiepläne erstellen.
Herzfrequenzvariabilität:
Vegetative Diagnostik
in Reinform
Der einfachste Weg der vegetativen Diagnostik liegt in der Messung der Herzfrequenz- oder Herzratenvariabilität (HRV,
s. a. DHZ 1/2015, S. 18 ff.). Diese beruht
auf einer mathematischen Analyse der
Schlag-zu-Schlag-Veränderungen normaler Herzschläge bzw. genauer: der RRAbstände im EKG (die R-Zacke entspricht
dem maximalen positiven Ausschlag eines Herzschlags) über einen definierten
Zeitraum. Denn die Unregelmäßigkeiten
der Herzfrequenz zeigen die Wechsel in
der vegetativen kardialen Modulation
auf, die den Eigenrhythmus des Sinusknotens im Vorhof des Herzens (ca. 100
Schläge / min) fortwährend durch niederfrequente sympathische und hochfrequente parasympathische Impulse
beeinflussen (s. Abb. 1). Diesbezüglich
sind Kurzzeitmessungen von wenigen
Minuten von Langzeitmessungen (meist
24 Stunden mit Tag-Nacht-Vergleich) zu
unterscheiden. Während Kurzzeitmessungen ein ideales Screening-Tool darstellen, das in verschiedensten Settings
schnell und gut standardisiert eingesetzt
werden kann, liefert die Langzeitanalyse
die Möglichkeit der Quantifizierung der
Tages- und Nachtrhythmik bei allerdings
starkem behavioralen Einfluss im Tagesverlauf. Bei geeigneter Standardisierung
in Datenerfassung und -analyse sollten
Kurzzeit- und Langzeitvariabilität für
eine Risikostratifizierung vergleichbare
Ergebnisse liefern. Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf die für Heilpraktiker besonders anwendungsfreundliche Methode der Kurzzeitmessung.
Die wesentlichen physiologischen
Hintergründe der HRV liefern die Baroreflexaktivität (Veränderung der Herzfrequenz in Abhängigkeit vom Blutdruck)
sowie die Modulation der Herzfrequenz
synchron zum Atemzyklus – die sog. Respiratorische Sinusarrhythmie (RSA). Beide treten bei allen Menschen auf. Die
Barorezeptorenaktivität reguliert fortlaufend über einen negativen Feedbackmechanismus im Hirnstamm den mittleren
arteriellen Blutdruck, mit der Herzfrequenz als einer Stellgröße. Dabei wird
über Aktivierung oder Inhibierung der
medullären Vaguskerne eine schnelle, vagal übertragene Herzfrequenzänderung
erreicht (bei Aktivierung der Vagusaktivität wird die Herzfrequenz abgesenkt, bei
Inhibierung erhöht). Die RSA hingegen
beschreibt die Herzfrequenzsteigerung
bei Inspiration und Herzfrequenzsenkung
bei Exspiration. Diese werden durch medulläre und hämodynamische Faktoren,
aber auch eine mechanische Einflussnahme der Atembewegung über die efferente Vagusaktivität an das Herz vermittelt.
Abb. 1 Sympathische und parasympathische / vagale Modulation der Sinusknotenaktivität, Generierung des RR-Tachogramms sowie wesentliche Kenngrößen der linearen (Zeit- und Frequenzbereich) und nicht-linearen HRV-Analyse.
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Grundlagen und Diagnostik
Merke: Als Baroreflex bezeichnet
man den negativen Feedbackmechanismus zur autonomen neuronalen Blutdruckregulation: Messen die Barorezeptoren im Aortenbogen und Karotissinus einen erhöhten Blutdruck, senken sie die
Herzfrequenz und damit den Blutdruck. Umgekehrt führt eine Blutdruckabsenkung zur Herzfrequenzsteigerung.
Mittlerweile blickt die Analyse des
vegetativen Nervensystems mithilfe der
HRV als etabliertem klinisch-diagnostischen Verfahren auf eine lange Historie
mit aktuell mehr als 1000 themenbezogenen Publikationen pro Jahr zurück. Zur
Erfassung und Quantifizierung der HRV
sind neben dem Standard-EKG mittlerweile auch einfache, mobile Messsysteme verfügbar, welche die R-Zackenabstände aufeinander folgender QRS-Komplexe (Kurve der Kammererregung aus
negativer Q-Zacke, hoher R-Zacke und
kleiner negativer S-Zacke) valide erfassen und daraus das RR-Tachogramm,
auch RR-Rhythmogramm genannt, als
Grundlage für die weitere Analyse ableiten können (s. Abb. 1). Wichtig hierbei ist,
dass zum einen die R-Zackenerfassung
eine hohe Messgenauigkeit (mind.
1–3 ms) besitzt, um auch kleinere
Schwankungen bei verschiedenen Adressatengruppen und Anwendungssituationen erfassen zu können. Zum anderen
gilt es, die RR-Intervalle bzw. deren Verteilungskurve sorgfältig auf mögliche
Störgrößen (= Artefakte) zu begutachten
und zu korrigieren, um Fehlinterpretationen zu vermeiden.
Letztlich sind die wesentlichen Zeitund Frequenzparameter eng miteinander
verbunden (insbesondere RMSSD und HF
sowie TotP und SDNN), wobei für die tägliche Anwendung in der Praxis v. a. die
Zeitbereichsparameter aufgrund ihrer
einfacheren Berechnung, der höheren
Robustheit gegenüber Artefakten (z. B.
Husten oder Extrasystolen) und ihrer
besseren Reproduzierbarkeit zu empfehlen sind. In jüngster Zeit werden diese
Standardparameter durch weitere, häufig nicht-lineare Kenngrößen wie den
INFORMATION
Wichtige HRV-Werte im Überblick
Aus dem RR-Tachogramm werden i. d. R. varianz- und
mittelwertabhängige Zeit- und Frequenzparameter
bestimmt. Zu den etablierten Indizes des Zeitbereichs zählen:
▪ Standardabweichung aller RR-Intervalle (SDNN)
als Ausdruck der Gesamtvariabilität
▪ Mittelwert der Differenzen aufeinanderfolgender
RR-Intervalle (RMSSD) als Marker für den Parasympathikus
▪ Stressindex (SI) als Kenngröße der Häufigkeitsverteilung der RR-Intervalle und Indikator der sympathischen Aktivität
a
Kenngrößen des Frequenzbereichs umfassen (unter
ausreichend standardisierten Bedingungen):
▪ Gesamtvariabilität (TotP; vergleichbar zu SDNN)
▪ HF: hochfrequent, parasympathische Sinusknotenmodulation (vgl. zu RMSSD)
▪ LF: niederfrequent, gemischt sympathische / parasympathische Modulation
Grundsätzlich gilt bei Ruhemessungen, dass hohe
Werte bei den Kenngrößen der Gesamtvariabilität
und der parasympathischen Modulation (SDNN,
TotP, RMSSD, HF) bei vergleichsweise niedrigen bis
moderaten Werten der sympathischen bzw. gemischten Modulation (SI, LF) für eine günstige HerzKreislauf-Prognose sprechen (vgl. Abschnitt Kasuistiken). Als konkrete Bezugspunkte stehen mittlerweile für die meisten Parameter Normwerte aus
umfangreichen Metaanalysen zur Verfügung.
b
Abb. 2 HRV-Kenngrößen bei KHK-Patienten mit günstiger (Abb. 2a) und ungünstiger (Abb. 2b)
Prognose (erstellt mit der VNS Analyse der Firma Commit GmbH).
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Grundlagen und Diagnostik
a
Abb. 3
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b
Beispiel eines 68-jährigen, asymptomatischen KHK-Patienten vor (Abb. 3 a) und nach (Abb. 3 b) koronarer Reperfusion (per Bypass), erstellt mit der VNS Analyse.
Kurzzeitindex alpha1 ergänzt. Dieser beschreibt den „Zusammenhangs- oder
Ähnlichkeitsgrad“ der HRV-Daten, also
wie eng die Werte der RR-Intervalle miteinander in Verbindung stehen, und
kennzeichnet die systemische Interaktion beteiligter Regelkreise. Optimale Werte liegen meist um 1, besonders hohe
Werte (> 1,5) sprechen für eine zu enge
Verbindung der Regulationssysteme.
Sehr niedrige Werte (< 0,75) für eine
kaum vorhandene Verbindung selbiger
mit besonders schlechter Prognose.
Alpha 1 wird daher auch ergänzend in
der Risikostratifizierung eingesetzt und
spricht häufig frühzeitiger bzw. sensitiver an als die linearen HRV-Kenngrößen.
In Abb. 2 sind die HRV-Werte zweier
KHK-Patienten mit guter (Abb. 2a) und
schlechter (Abb. 2b) Prognose exemplarisch dargestellt. Der erste Patient verfügt im Hinblick auf die hohen RMSSDund SDNN-Werte über eine gute vegetative Regulations- und Anpassungsfähigkeit bei moderatem Sympathikuseinfluss
(SI). In Abb. 2b zeigt sich dagegen auf einen Blick eine gestörte vegetative Regulationsfähigkeit. Die sympathische Aktivität (SI, rot) liegt weit über, der parasympathische Einfluss (RMSSD, blau)
weit unter dem Normbereich. Die Qualität des Zusammenwirkens der autonomen Regelkreise (alpha1, grün) liegt
ebenfalls im roten Bereich. Somit ist die
Anpassungs- und Interaktionsfähigkeit
des Organismus stark eingeschränkt und
ein hohes Morbiditäts- und Mortalitätsrisiko zu verzeichnen. Hier empfiehlt es
sich, Therapien einzuleiten, die durch
eine Vagusstimulation die vegetative Regulation normalisieren können.
vität wirkt sich direkt auf HRV-Werte bei
KHK-Patienten aus. So bestätigt eine reduzierte HRV bei KHK-Patienten nach
Myokardinfarkt ein um ein Vielfaches erhöhtes Mortalitätsrisiko, während eine
Zunahme der HRV eine deutlich verbesserte Prognose begründet. Eine indirekte
physiologische Erklärung des inversen (=
umgekehrten) Zusammenhangs zwischen HRV und KHK dürfte in der chronischen niedergradigen Entzündung („silent inflammation“) liegen. Denn eine reduzierte HRV ist wie beschrieben mit ei-
Fortdauernder adrenerger Stress
führt zu einem zellulären Kalzi-
Reduzierte Herzfrequenz­
variabilität und KHK:
Wie hängen sie zusammen?
Der für die KHK-Entwicklung mitverantwortliche Mechanismus der vegetativen
Dysbalance mit verminderter Vagusakti-
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um-Overload der Herzmuskelzellen mit übermäßiger Bildung freier Sauerstoffradikale und drohendem Zelltod (Heart failure).
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Grundlagen und Diagnostik
ner vegetativen Dysfunktion in Form eines höheren Sympathikotonus und reduzierten Vagotonus assoziiert. Hierdurch
kommt es vermutlich zu einer vermehrten Synthese proinflammatorischer Zytokine, die zu den Schlüsselkomponenten in der Pathogenese der KHK zählen.
Die Zytokindiagnostik gehört zwar
i. d. R. nicht zum Standardprogramm in
der Risikoabschätzung kardiovaskulärer
Erkrankungen. Addieren sich jedoch familiäre Anamnese, Risikoparameter und
eine reduzierte HRV auf, bieten sich ergänzend die Bestimmung proinflammatorischer Zytokine und ggf. eine nachfolgende Entzündungsreduktionstherapie (Orthomolekulare Therapie, Darmsanierung, Symbioselenkung oder Ernährungsumstellung) an.
Auch unabhängig vom Entzündungsgeschehen eignet sich die HRV zur Einschätzung des Risikos insbesondere bei
der asymptomatischen KHK. Denn neben
der potenziellen Entwicklung einer manifesten KHK wirkt sich die autonome
Dysregulation mit dauerhaft erhöhtem
Sympathikotonus auch auf anderer Ebene schädigend auf den Herzmuskel aus.
koronarer Reperfusion verdeutlicht (höherer RMSSD- und niedrigerer SI-Wert).
Als weiteres Beispiel ist in Abb. 4 ein
64jähriger KHK-Patient dargestellt, dessen Laborwerte, Belastungs-EKG und
Echokardiografie zunächst komplett unauffällig bei gleichzeitig schlechtem vegetativen Status (RMSSD niedrig, SI hoch)
ausfielen, und der 9 Monate später einen
akuten Myokardinfarkt erlitt.
HRV­Biofeedback:
Bewusstes, tiefes Atmen
als Therapieoption
Die Stimulation des Parasympathikus
bildet für KHK-Patienten eine wesentliche Therapieaufgabe, die mithilfe der
HRV-Messung kontrolliert werden kann.
Neben der pharmakologischen Einflussnahme dienen regelmäßiges moderates
Ausdauertraining, aber auch gezielte
Akupunktur als probate Mittel zur Steigerung der Vagusaktivität. Nicht zuletzt
erscheint aufgrund des beschriebenen
engen Zusammenhangs von Atmung und
HRV (über die Respiratorische Sinusarrhythmie) eine Einflussnahme auf die vagale Modulation des Herzens über ein
gezieltes Atemtraining möglich. Diesbezüglich belegen zahlreiche Studien, dass
durch gezieltes, sog. HRV-Biofeedbacktraining bei Gesunden, Menschen mit
psychischen Erkrankungen, Asthmatikern und verschiedenen kardialen Patientengruppen eine Verschiebung der autonomen Regulation zugunsten der parasympathischen Aktivität stattfindet. Vor
allem auch für KHK-Patienten bildet das
Kasuistiken: HRV­Werte als
Leitgrößen kardialer Risiken
Die folgenden beiden Beispiele verdeutlichen, dass die Einstellung von Blutdruck, Cholesterin und anderen herkömmlichen Parametern durch die Kontrolle der vegetativen Regulation mittels
HRV-Messung flankiert werden sollten,
um ein umfassendes Bild für eine Gesundheitsprognose zu gewinnen.
Abb. 3 zeigt einen 68-jährigen, asymptomatischen Patienten mit seit Jahren
optimal eingestelltem Blutdruck und
normalen Cholesterinwerten. Die HRVDiagnostik links offenbart eine gestörte
autonome Regulation (RMSSD niedrig, SI
hoch) und veranlasste eine weitergehende kardiale Diagnostik, sodass im Anschluss eine lebensbedrohliche 3-GefäßKHK mit Verschluss der rechten Hauptstammarterie erkannt und behandelt
werden konnte. Rechts ist die wiederhergestellte vegetative Funktionalität nach
Abb. 4 64-jähriger Patient mit kardialen Risikofaktoren unter optimaler Blutdruck- und Lipideinstellung 9 Monate vor einem akuten Myokardinfarkt (erstellt mit der VNS Analyse).
Abb. 5 Patientin ohne (links) und mit (rechts) Taktatmung von 6 Atemzügen pro Minute (erstellt mit
der VNS Analyse).
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Grundlagen und Diagnostik
HRV-Biofeedbacktraining eine Art „Trainingsform“ autonomer Reflexe, insbesondere des Baroreflexes. Der therapeutische Effekt zeigt sich hierbei in Form
hoher Amplitudenschwankungen der
RR-Zeitreihe und eines drastischen Anstiegs der parasympathischen Zeitparameter (insb. RMSSD, vgl. Abb. 5).
Zugehörige Biofeedback-Übungen, bei
denen die Veränderung der Herzfrequenz unmittelbar für den Patienten
sichtbar gemacht wird, zielen dabei vornehmlich auf eine ruhige, tiefe Atmung
mit etwa 6 Atemzügen / min ab, die eine
Frequenzsynchronisation der RSA mit
dem arteriellen Baroreflex bewirken.
Dies ergibt sich deshalb, weil diese
Eigenfrequenz der Blutdruckschwankungen bei 0,1 Hz (also alle 10 sec) liegt.
Wird die Atmung nun auf diese Eigenfrequenz synchronisiert, resultiert im Sinne
eines Resonanzphänomens eine erhöhte
Baroreflexsensitivität (mit verbesserter
Blutdruckregulation) und Zunahme der
Vagusaktivität. Diese Effekte zeigen sich
a
auch bei Gesunden, die auf kontrollierte
Atmung meist mit einer sofortigen Verbesserung der autonomen Regulation reagieren. Dies gilt insbesondere dann,
wenn die Regulation durch inadäquate
Stressverarbeitung gestört ist. Ähnliche
Wirkungen können auch verschiedene
Entspannungstechniken erzielen, die
ebenfalls eine ruhige, tiefe Atmung beinhalten (z. B. Tai Chi Chuan, Qigong).
Neben der in Abb. 5 dargestellten, unmittelbar vegetativ-regulativen Wirkung
eignet sich HRV-Biofeedbacktraining
auch in der langfristigen Therapie der
KHK, bei Atemwegserkrankungen wie
Asthma bronchiale und COPD sowie bei
psychischen und psychosomatischen
Krankheiten wie Depression und Fibromyalgie (vgl. Abb. 6).
In der Praxis sollte der Patient ein gezieltes Atemtraining unter Zuhilfenahme
eines Taktgebers (z. B. per Vagusvit® App)
mehrmals am Tag für mehrere Minuten
durchführen. Wie das Beispiel (Abb. 6)
zeigt, kann es bereits nach 4 Wochen zu
DHZ PRAXIS 40
einer dauerhaften Verbesserung der autonomen Regulation kommen.
Fazit: HRV­Analyse als fester
Bestandteil vegetativer Dia­
gnostik
Die HRV-Analyse als Methode des vegetativen Screenings dient als etabliertes
und validiertes, nicht-invasives diagnostisches Verfahren zur Stress- und Risikobewertung bei stressassoziierten Störungen einschließlich Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie der KHK und zur diagnostischen Begleitung im Therapieverlauf. Denn die vegetative Adaptationsfähigkeit ist eng verbunden mit der
Entstehung und Progression der KHK sowie anderen kardiovaskulären und psychosomatischen Erkrankungsbildern. Die
Messung der HRV in Ruhe sowie bei kontrollierter Atmung liefert eine zuverlässige Diagnostik zur kardiovaskulären Prognoseabschätzung.
b
Abb. 6 HRV-Kenngrößen bei einer Patientin vor (Abb. 6 a) und nach (Abb. 6 b) mehrwöchigem regelmäßigen HRV-Biofeedbacktraining mit 6 Atemzügen / min
(erstellt mit der VNS Analyse).
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Grundlagen und Diagnostik
Die Stimulation des Parasympathikus
sollte für Stress- und KHK-Patienten eine
wesentliche Therapieaufgabe darstellen,
welche sich mithilfe der HRV-Messung
gut kontrollieren lässt. Neben regelmäßiger körperlicher Aktivität eignet sich v. a.
ein HRV-Biofeedbacktraining mit gezielter und kontrollierter Atmung als vielversprechende Intervention, die maßgeblich zur Prognoseverbesserung beitragen kann.
▪
Dieser Artikel ist online zu finden:
http://dx.doi.org/10.1055/s-0036-1582149
Weiterführende Literatur
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Grossman P, Kaufmann PG, Malik M, Nagaraja HN, Porges SW, Saul JP, Stone PH der v,
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methods, and interpretive caveats. Psychophysiology (1997); 34: 623–648
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[3] Kleiger RE, Stein PK, Bigger JT. Heart rate
variability: measurement and clinical utility.
Ann Noninvasive Electrocardiol 2005; 10:
88–101
Dr. med.
Stephan Bortfeldt
PD Dr. phil. habil.
Olaf Hoos
Hildesheimer Str. 356
30880 Laatzen
E-Mail: [email protected]
Internet: www.praxiszentrum-hannover.de
Am Hubland / Sportzentrum
97074 Würzburg
E-Mail: [email protected]
Dr. med. Stephan Bortfeldt ist Facharzt
für Allgemeinmedizin, niedergelassen in
eigener Praxis und seit 2002 Lehrbeauftragter für Allgemeinmedizin an der Medizinischen Hochschule Hannover. Er
arbeitet und lehrt seit 2010 zum Thema
HRV und vegetatives Nervensystem für
verschiedene wissenschaftliche Fachgesellschaften. Seit 2015 ist er Vorsitzender der Internationalen Gesellschaft für
autonome Funktionsdiagnostik (IGAF)
und Geschäftsführer der Europäischen
Hypoxie-Hyperoxie-Gesellschaft (EHHG).
PD Dr. phil. habil. Olaf Hoos ist an der
Fakultät für Humanwissenschaften der
Julius-Maximilians-Universität Würzburg
als wissenschaftlicher Leiter des Sportzentrums tätig. Er lehrt und forscht seit
1999 in der Sportwissenschaft, der
Sportmedizin und der Physiotherapie.
Als Gründungsmitglied der Forschungsgruppe „Herzfrequenzvariabilität im
Sport“ der Deutschen Vereinigung für
Sportwissenschaft ist er seit mehr als 10
Jahren ausgewiesener Experte im Bereich
der HRV-Diagnostik, zu der er sich 2012
an der Philipps-Universität Marburg habilitierte.
[4] Nunan D, Sandercock GRH, Brodie DA.
A quantitative systematic review of normal
values for short-term heart rate variability in
healthy adults. Pacing Clin Electrophysiol
2010; 33: 1407–1417
[5] Thayer J, Yamamoto S, Brosschot J.
The relationship of autonomic imbalance,
heart rate variability and cardiovascular disease risk factors. International Journal of
Cardiology 2010; 141: 122–131
Weitere Literatur bei den Autoren.
IMPRESSUM
Verlag:
Karl F. Haug Verlag in
Georg Thieme Verlag KG,
Rüdigerstr. 14, 70469 Stuttgart
Layout und Satz:
Karl F. Haug Verlag in
Georg Thieme Verlag KG
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Kliemo Printing AG, Eupen/Belgien
Titelbild:
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© Karl F. Haug Verlag in
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