DEUTSCHE Heilpraktiker ZEITSCHRIFT 2. 2016 ▪ 11. Jahrgang ▪ www.haug-verlag.de Botschaft zwischen den Herzschlägen Stephan Bortfeldt, Olaf Hoos Sonderdruck DHZ 35 DHZ PRAXIS Grundlagen und Diagnostik Foto: © Fotolia / artefacti Botschaft zwischen den HERZSCHLÄGEN PULSSCHWANKUNGEN als Risikomarker bei kardialen und stressassoziierten Erkrankungen Stephan Bortfeldt, Olaf Hoos STRESSINDUZIERTE, kardiovaskuläre und metabolische Erkrankungen treten als weltweites Problem in allen industrialisierten Ländern auf und erfordern allein in Deutschland jährlich dreistellige Milliardenaufwendungen für medizinische Behandlungen, Arbeitsunfähigkeit, Rehabilitation und vorzeitige Erwerbsunfähigkeit. Insbesondere berufsbedingter Stress hat sich in diesem Zusammenhang zu einem bedeutsamen gesellschaftlichen Gesundheitsrisiko entwi- ckelt, das mit erhöhter kardiovaskulärer Morbidität und Mortalität einhergeht. Hierbei nimmt die Koronare Herzkrankheit (KHK) eine Schlüsselrolle unter den chronischen Krankheitsbildern ein. Sie bezeichnet eine chronisch-ischämische Erkrankung der Koronararterien, die im langfristigen Verlauf mit Begleiterscheinungen wie Herzrhythmusstörungen, Herzinsuffizienz und nicht zuletzt Myokardinfarkt und plötzlichem Herztod verbunden ist. Die KHK stellt eine der häufigsten Todesursachen in den Industrienationen dar und bedarf daher verstärkt präventiver Maßnahmen sowie einer frühen Diagnose und Prognose. Häufig sind psychosoziale Risikofaktoren mit vegetativer Dysbalance und deutlich sympathikotoner Reaktionslage an der Krankheitsentwicklung beteiligt. Zahlreiche Studien der vergangenen Jahrzehnte zeigen in diesem Zusammenhang eine signifikante Korrelation zwischen vegetativer Balance und klassi- Bortfeldt S, Hoos O: Botschaft zwischen den Herzschlägen. DHZ – Deutsche Heilpraktiker Zeitschrift, 2016; 2: 34–40 Grundlagen und Diagnostik schen Risikofaktoren wie Cholesterin, Übergewicht, Rauchen, Bluthochdruck, Diabetes, familiärer Disposition, Stress sowie KHK und damit assoziierten, negativen Begleiterscheinungen. Somit liefert die Quantifizierung des vegetativen Status bei KHK eine wichtige diagnostische Grundlage zur Therapiekontrolle und Bestimmung des klinischen Settings. DHZ PRAXIS 36 KURZ GEFASST 1 Die Koronare Herzkrankheit (KHK) steht als eine der häufigsten Todesursachen in engem Zusammenhang mit vegetativer Dysbalance. 2 Die Analyse der Herzratenvariabilität (HRV) als Marker autonomer Adaptations- und Regulationsfähigkeit liefert eine zentrale Grundlage für die Diagnose und Therapie kardial und vegetativ bedingter Erkrankungen. 3 Hierbei lassen sich durch Messung der Herzschlagintervalle auch mit geringem Geräteeinsatz bereits im Frühstadium valide Prognosen und Therapiepläne erstellen. Herzfrequenzvariabilität: Vegetative Diagnostik in Reinform Der einfachste Weg der vegetativen Diagnostik liegt in der Messung der Herzfrequenz- oder Herzratenvariabilität (HRV, s. a. DHZ 1/2015, S. 18 ff.). Diese beruht auf einer mathematischen Analyse der Schlag-zu-Schlag-Veränderungen normaler Herzschläge bzw. genauer: der RRAbstände im EKG (die R-Zacke entspricht dem maximalen positiven Ausschlag eines Herzschlags) über einen definierten Zeitraum. Denn die Unregelmäßigkeiten der Herzfrequenz zeigen die Wechsel in der vegetativen kardialen Modulation auf, die den Eigenrhythmus des Sinusknotens im Vorhof des Herzens (ca. 100 Schläge / min) fortwährend durch niederfrequente sympathische und hochfrequente parasympathische Impulse beeinflussen (s. Abb. 1). Diesbezüglich sind Kurzzeitmessungen von wenigen Minuten von Langzeitmessungen (meist 24 Stunden mit Tag-Nacht-Vergleich) zu unterscheiden. Während Kurzzeitmessungen ein ideales Screening-Tool darstellen, das in verschiedensten Settings schnell und gut standardisiert eingesetzt werden kann, liefert die Langzeitanalyse die Möglichkeit der Quantifizierung der Tages- und Nachtrhythmik bei allerdings starkem behavioralen Einfluss im Tagesverlauf. Bei geeigneter Standardisierung in Datenerfassung und -analyse sollten Kurzzeit- und Langzeitvariabilität für eine Risikostratifizierung vergleichbare Ergebnisse liefern. Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf die für Heilpraktiker besonders anwendungsfreundliche Methode der Kurzzeitmessung. Die wesentlichen physiologischen Hintergründe der HRV liefern die Baroreflexaktivität (Veränderung der Herzfrequenz in Abhängigkeit vom Blutdruck) sowie die Modulation der Herzfrequenz synchron zum Atemzyklus – die sog. Respiratorische Sinusarrhythmie (RSA). Beide treten bei allen Menschen auf. Die Barorezeptorenaktivität reguliert fortlaufend über einen negativen Feedbackmechanismus im Hirnstamm den mittleren arteriellen Blutdruck, mit der Herzfrequenz als einer Stellgröße. Dabei wird über Aktivierung oder Inhibierung der medullären Vaguskerne eine schnelle, vagal übertragene Herzfrequenzänderung erreicht (bei Aktivierung der Vagusaktivität wird die Herzfrequenz abgesenkt, bei Inhibierung erhöht). Die RSA hingegen beschreibt die Herzfrequenzsteigerung bei Inspiration und Herzfrequenzsenkung bei Exspiration. Diese werden durch medulläre und hämodynamische Faktoren, aber auch eine mechanische Einflussnahme der Atembewegung über die efferente Vagusaktivität an das Herz vermittelt. Abb. 1 Sympathische und parasympathische / vagale Modulation der Sinusknotenaktivität, Generierung des RR-Tachogramms sowie wesentliche Kenngrößen der linearen (Zeit- und Frequenzbereich) und nicht-linearen HRV-Analyse. Bortfeldt S, Hoos O: Botschaft zwischen den Herzschlägen. DHZ – Deutsche Heilpraktiker Zeitschrift, 2016; 2: 34–40 37 DHZ PRAXIS Grundlagen und Diagnostik Merke: Als Baroreflex bezeichnet man den negativen Feedbackmechanismus zur autonomen neuronalen Blutdruckregulation: Messen die Barorezeptoren im Aortenbogen und Karotissinus einen erhöhten Blutdruck, senken sie die Herzfrequenz und damit den Blutdruck. Umgekehrt führt eine Blutdruckabsenkung zur Herzfrequenzsteigerung. Mittlerweile blickt die Analyse des vegetativen Nervensystems mithilfe der HRV als etabliertem klinisch-diagnostischen Verfahren auf eine lange Historie mit aktuell mehr als 1000 themenbezogenen Publikationen pro Jahr zurück. Zur Erfassung und Quantifizierung der HRV sind neben dem Standard-EKG mittlerweile auch einfache, mobile Messsysteme verfügbar, welche die R-Zackenabstände aufeinander folgender QRS-Komplexe (Kurve der Kammererregung aus negativer Q-Zacke, hoher R-Zacke und kleiner negativer S-Zacke) valide erfassen und daraus das RR-Tachogramm, auch RR-Rhythmogramm genannt, als Grundlage für die weitere Analyse ableiten können (s. Abb. 1). Wichtig hierbei ist, dass zum einen die R-Zackenerfassung eine hohe Messgenauigkeit (mind. 1–3 ms) besitzt, um auch kleinere Schwankungen bei verschiedenen Adressatengruppen und Anwendungssituationen erfassen zu können. Zum anderen gilt es, die RR-Intervalle bzw. deren Verteilungskurve sorgfältig auf mögliche Störgrößen (= Artefakte) zu begutachten und zu korrigieren, um Fehlinterpretationen zu vermeiden. Letztlich sind die wesentlichen Zeitund Frequenzparameter eng miteinander verbunden (insbesondere RMSSD und HF sowie TotP und SDNN), wobei für die tägliche Anwendung in der Praxis v. a. die Zeitbereichsparameter aufgrund ihrer einfacheren Berechnung, der höheren Robustheit gegenüber Artefakten (z. B. Husten oder Extrasystolen) und ihrer besseren Reproduzierbarkeit zu empfehlen sind. In jüngster Zeit werden diese Standardparameter durch weitere, häufig nicht-lineare Kenngrößen wie den INFORMATION Wichtige HRV-Werte im Überblick Aus dem RR-Tachogramm werden i. d. R. varianz- und mittelwertabhängige Zeit- und Frequenzparameter bestimmt. Zu den etablierten Indizes des Zeitbereichs zählen: ▪ Standardabweichung aller RR-Intervalle (SDNN) als Ausdruck der Gesamtvariabilität ▪ Mittelwert der Differenzen aufeinanderfolgender RR-Intervalle (RMSSD) als Marker für den Parasympathikus ▪ Stressindex (SI) als Kenngröße der Häufigkeitsverteilung der RR-Intervalle und Indikator der sympathischen Aktivität a Kenngrößen des Frequenzbereichs umfassen (unter ausreichend standardisierten Bedingungen): ▪ Gesamtvariabilität (TotP; vergleichbar zu SDNN) ▪ HF: hochfrequent, parasympathische Sinusknotenmodulation (vgl. zu RMSSD) ▪ LF: niederfrequent, gemischt sympathische / parasympathische Modulation Grundsätzlich gilt bei Ruhemessungen, dass hohe Werte bei den Kenngrößen der Gesamtvariabilität und der parasympathischen Modulation (SDNN, TotP, RMSSD, HF) bei vergleichsweise niedrigen bis moderaten Werten der sympathischen bzw. gemischten Modulation (SI, LF) für eine günstige HerzKreislauf-Prognose sprechen (vgl. Abschnitt Kasuistiken). Als konkrete Bezugspunkte stehen mittlerweile für die meisten Parameter Normwerte aus umfangreichen Metaanalysen zur Verfügung. b Abb. 2 HRV-Kenngrößen bei KHK-Patienten mit günstiger (Abb. 2a) und ungünstiger (Abb. 2b) Prognose (erstellt mit der VNS Analyse der Firma Commit GmbH). Bortfeldt S, Hoos O: Botschaft zwischen den Herzschlägen. DHZ – Deutsche Heilpraktiker Zeitschrift, 2016; 2: 34–40 Grundlagen und Diagnostik a Abb. 3 DHZ PRAXIS 38 b Beispiel eines 68-jährigen, asymptomatischen KHK-Patienten vor (Abb. 3 a) und nach (Abb. 3 b) koronarer Reperfusion (per Bypass), erstellt mit der VNS Analyse. Kurzzeitindex alpha1 ergänzt. Dieser beschreibt den „Zusammenhangs- oder Ähnlichkeitsgrad“ der HRV-Daten, also wie eng die Werte der RR-Intervalle miteinander in Verbindung stehen, und kennzeichnet die systemische Interaktion beteiligter Regelkreise. Optimale Werte liegen meist um 1, besonders hohe Werte (> 1,5) sprechen für eine zu enge Verbindung der Regulationssysteme. Sehr niedrige Werte (< 0,75) für eine kaum vorhandene Verbindung selbiger mit besonders schlechter Prognose. Alpha 1 wird daher auch ergänzend in der Risikostratifizierung eingesetzt und spricht häufig frühzeitiger bzw. sensitiver an als die linearen HRV-Kenngrößen. In Abb. 2 sind die HRV-Werte zweier KHK-Patienten mit guter (Abb. 2a) und schlechter (Abb. 2b) Prognose exemplarisch dargestellt. Der erste Patient verfügt im Hinblick auf die hohen RMSSDund SDNN-Werte über eine gute vegetative Regulations- und Anpassungsfähigkeit bei moderatem Sympathikuseinfluss (SI). In Abb. 2b zeigt sich dagegen auf einen Blick eine gestörte vegetative Regulationsfähigkeit. Die sympathische Aktivität (SI, rot) liegt weit über, der parasympathische Einfluss (RMSSD, blau) weit unter dem Normbereich. Die Qualität des Zusammenwirkens der autonomen Regelkreise (alpha1, grün) liegt ebenfalls im roten Bereich. Somit ist die Anpassungs- und Interaktionsfähigkeit des Organismus stark eingeschränkt und ein hohes Morbiditäts- und Mortalitätsrisiko zu verzeichnen. Hier empfiehlt es sich, Therapien einzuleiten, die durch eine Vagusstimulation die vegetative Regulation normalisieren können. vität wirkt sich direkt auf HRV-Werte bei KHK-Patienten aus. So bestätigt eine reduzierte HRV bei KHK-Patienten nach Myokardinfarkt ein um ein Vielfaches erhöhtes Mortalitätsrisiko, während eine Zunahme der HRV eine deutlich verbesserte Prognose begründet. Eine indirekte physiologische Erklärung des inversen (= umgekehrten) Zusammenhangs zwischen HRV und KHK dürfte in der chronischen niedergradigen Entzündung („silent inflammation“) liegen. Denn eine reduzierte HRV ist wie beschrieben mit ei- Fortdauernder adrenerger Stress führt zu einem zellulären Kalzi- Reduzierte Herzfrequenz­ variabilität und KHK: Wie hängen sie zusammen? Der für die KHK-Entwicklung mitverantwortliche Mechanismus der vegetativen Dysbalance mit verminderter Vagusakti- Bortfeldt S, Hoos O: Botschaft zwischen den Herzschlägen. DHZ – Deutsche Heilpraktiker Zeitschrift, 2016; 2: 34–40 um-Overload der Herzmuskelzellen mit übermäßiger Bildung freier Sauerstoffradikale und drohendem Zelltod (Heart failure). 39 DHZ PRAXIS Grundlagen und Diagnostik ner vegetativen Dysfunktion in Form eines höheren Sympathikotonus und reduzierten Vagotonus assoziiert. Hierdurch kommt es vermutlich zu einer vermehrten Synthese proinflammatorischer Zytokine, die zu den Schlüsselkomponenten in der Pathogenese der KHK zählen. Die Zytokindiagnostik gehört zwar i. d. R. nicht zum Standardprogramm in der Risikoabschätzung kardiovaskulärer Erkrankungen. Addieren sich jedoch familiäre Anamnese, Risikoparameter und eine reduzierte HRV auf, bieten sich ergänzend die Bestimmung proinflammatorischer Zytokine und ggf. eine nachfolgende Entzündungsreduktionstherapie (Orthomolekulare Therapie, Darmsanierung, Symbioselenkung oder Ernährungsumstellung) an. Auch unabhängig vom Entzündungsgeschehen eignet sich die HRV zur Einschätzung des Risikos insbesondere bei der asymptomatischen KHK. Denn neben der potenziellen Entwicklung einer manifesten KHK wirkt sich die autonome Dysregulation mit dauerhaft erhöhtem Sympathikotonus auch auf anderer Ebene schädigend auf den Herzmuskel aus. koronarer Reperfusion verdeutlicht (höherer RMSSD- und niedrigerer SI-Wert). Als weiteres Beispiel ist in Abb. 4 ein 64jähriger KHK-Patient dargestellt, dessen Laborwerte, Belastungs-EKG und Echokardiografie zunächst komplett unauffällig bei gleichzeitig schlechtem vegetativen Status (RMSSD niedrig, SI hoch) ausfielen, und der 9 Monate später einen akuten Myokardinfarkt erlitt. HRV­Biofeedback: Bewusstes, tiefes Atmen als Therapieoption Die Stimulation des Parasympathikus bildet für KHK-Patienten eine wesentliche Therapieaufgabe, die mithilfe der HRV-Messung kontrolliert werden kann. Neben der pharmakologischen Einflussnahme dienen regelmäßiges moderates Ausdauertraining, aber auch gezielte Akupunktur als probate Mittel zur Steigerung der Vagusaktivität. Nicht zuletzt erscheint aufgrund des beschriebenen engen Zusammenhangs von Atmung und HRV (über die Respiratorische Sinusarrhythmie) eine Einflussnahme auf die vagale Modulation des Herzens über ein gezieltes Atemtraining möglich. Diesbezüglich belegen zahlreiche Studien, dass durch gezieltes, sog. HRV-Biofeedbacktraining bei Gesunden, Menschen mit psychischen Erkrankungen, Asthmatikern und verschiedenen kardialen Patientengruppen eine Verschiebung der autonomen Regulation zugunsten der parasympathischen Aktivität stattfindet. Vor allem auch für KHK-Patienten bildet das Kasuistiken: HRV­Werte als Leitgrößen kardialer Risiken Die folgenden beiden Beispiele verdeutlichen, dass die Einstellung von Blutdruck, Cholesterin und anderen herkömmlichen Parametern durch die Kontrolle der vegetativen Regulation mittels HRV-Messung flankiert werden sollten, um ein umfassendes Bild für eine Gesundheitsprognose zu gewinnen. Abb. 3 zeigt einen 68-jährigen, asymptomatischen Patienten mit seit Jahren optimal eingestelltem Blutdruck und normalen Cholesterinwerten. Die HRVDiagnostik links offenbart eine gestörte autonome Regulation (RMSSD niedrig, SI hoch) und veranlasste eine weitergehende kardiale Diagnostik, sodass im Anschluss eine lebensbedrohliche 3-GefäßKHK mit Verschluss der rechten Hauptstammarterie erkannt und behandelt werden konnte. Rechts ist die wiederhergestellte vegetative Funktionalität nach Abb. 4 64-jähriger Patient mit kardialen Risikofaktoren unter optimaler Blutdruck- und Lipideinstellung 9 Monate vor einem akuten Myokardinfarkt (erstellt mit der VNS Analyse). Abb. 5 Patientin ohne (links) und mit (rechts) Taktatmung von 6 Atemzügen pro Minute (erstellt mit der VNS Analyse). Bortfeldt S, Hoos O: Botschaft zwischen den Herzschlägen. DHZ – Deutsche Heilpraktiker Zeitschrift, 2016; 2: 34–40 Grundlagen und Diagnostik HRV-Biofeedbacktraining eine Art „Trainingsform“ autonomer Reflexe, insbesondere des Baroreflexes. Der therapeutische Effekt zeigt sich hierbei in Form hoher Amplitudenschwankungen der RR-Zeitreihe und eines drastischen Anstiegs der parasympathischen Zeitparameter (insb. RMSSD, vgl. Abb. 5). Zugehörige Biofeedback-Übungen, bei denen die Veränderung der Herzfrequenz unmittelbar für den Patienten sichtbar gemacht wird, zielen dabei vornehmlich auf eine ruhige, tiefe Atmung mit etwa 6 Atemzügen / min ab, die eine Frequenzsynchronisation der RSA mit dem arteriellen Baroreflex bewirken. Dies ergibt sich deshalb, weil diese Eigenfrequenz der Blutdruckschwankungen bei 0,1 Hz (also alle 10 sec) liegt. Wird die Atmung nun auf diese Eigenfrequenz synchronisiert, resultiert im Sinne eines Resonanzphänomens eine erhöhte Baroreflexsensitivität (mit verbesserter Blutdruckregulation) und Zunahme der Vagusaktivität. Diese Effekte zeigen sich a auch bei Gesunden, die auf kontrollierte Atmung meist mit einer sofortigen Verbesserung der autonomen Regulation reagieren. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Regulation durch inadäquate Stressverarbeitung gestört ist. Ähnliche Wirkungen können auch verschiedene Entspannungstechniken erzielen, die ebenfalls eine ruhige, tiefe Atmung beinhalten (z. B. Tai Chi Chuan, Qigong). Neben der in Abb. 5 dargestellten, unmittelbar vegetativ-regulativen Wirkung eignet sich HRV-Biofeedbacktraining auch in der langfristigen Therapie der KHK, bei Atemwegserkrankungen wie Asthma bronchiale und COPD sowie bei psychischen und psychosomatischen Krankheiten wie Depression und Fibromyalgie (vgl. Abb. 6). In der Praxis sollte der Patient ein gezieltes Atemtraining unter Zuhilfenahme eines Taktgebers (z. B. per Vagusvit® App) mehrmals am Tag für mehrere Minuten durchführen. Wie das Beispiel (Abb. 6) zeigt, kann es bereits nach 4 Wochen zu DHZ PRAXIS 40 einer dauerhaften Verbesserung der autonomen Regulation kommen. Fazit: HRV­Analyse als fester Bestandteil vegetativer Dia­ gnostik Die HRV-Analyse als Methode des vegetativen Screenings dient als etabliertes und validiertes, nicht-invasives diagnostisches Verfahren zur Stress- und Risikobewertung bei stressassoziierten Störungen einschließlich Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie der KHK und zur diagnostischen Begleitung im Therapieverlauf. Denn die vegetative Adaptationsfähigkeit ist eng verbunden mit der Entstehung und Progression der KHK sowie anderen kardiovaskulären und psychosomatischen Erkrankungsbildern. Die Messung der HRV in Ruhe sowie bei kontrollierter Atmung liefert eine zuverlässige Diagnostik zur kardiovaskulären Prognoseabschätzung. b Abb. 6 HRV-Kenngrößen bei einer Patientin vor (Abb. 6 a) und nach (Abb. 6 b) mehrwöchigem regelmäßigen HRV-Biofeedbacktraining mit 6 Atemzügen / min (erstellt mit der VNS Analyse). Bortfeldt S, Hoos O: Botschaft zwischen den Herzschlägen. DHZ – Deutsche Heilpraktiker Zeitschrift, 2016; 2: 34–40 41 DHZ PRAXIS Grundlagen und Diagnostik Die Stimulation des Parasympathikus sollte für Stress- und KHK-Patienten eine wesentliche Therapieaufgabe darstellen, welche sich mithilfe der HRV-Messung gut kontrollieren lässt. Neben regelmäßiger körperlicher Aktivität eignet sich v. a. ein HRV-Biofeedbacktraining mit gezielter und kontrollierter Atmung als vielversprechende Intervention, die maßgeblich zur Prognoseverbesserung beitragen kann. ▪ Dieser Artikel ist online zu finden: http://dx.doi.org/10.1055/s-0036-1582149 Weiterführende Literatur [1] Berntson GG, Bigger JT Jr., Eckberg DL, Grossman P, Kaufmann PG, Malik M, Nagaraja HN, Porges SW, Saul JP, Stone PH der v, Molen MW. Heart rate variability: origins, methods, and interpretive caveats. Psychophysiology (1997); 34: 623–648 [2] Hoos O. Herzfrequenzvariabilität in der Physiotherapie – Grundlagen, Methoden, Anwendungen. pt – Zeitschrift für Physiotherapeuten 2009; 61: 277–282 [3] Kleiger RE, Stein PK, Bigger JT. Heart rate variability: measurement and clinical utility. Ann Noninvasive Electrocardiol 2005; 10: 88–101 Dr. med. Stephan Bortfeldt PD Dr. phil. habil. Olaf Hoos Hildesheimer Str. 356 30880 Laatzen E-Mail: [email protected] Internet: www.praxiszentrum-hannover.de Am Hubland / Sportzentrum 97074 Würzburg E-Mail: [email protected] Dr. med. Stephan Bortfeldt ist Facharzt für Allgemeinmedizin, niedergelassen in eigener Praxis und seit 2002 Lehrbeauftragter für Allgemeinmedizin an der Medizinischen Hochschule Hannover. Er arbeitet und lehrt seit 2010 zum Thema HRV und vegetatives Nervensystem für verschiedene wissenschaftliche Fachgesellschaften. Seit 2015 ist er Vorsitzender der Internationalen Gesellschaft für autonome Funktionsdiagnostik (IGAF) und Geschäftsführer der Europäischen Hypoxie-Hyperoxie-Gesellschaft (EHHG). PD Dr. phil. habil. Olaf Hoos ist an der Fakultät für Humanwissenschaften der Julius-Maximilians-Universität Würzburg als wissenschaftlicher Leiter des Sportzentrums tätig. Er lehrt und forscht seit 1999 in der Sportwissenschaft, der Sportmedizin und der Physiotherapie. Als Gründungsmitglied der Forschungsgruppe „Herzfrequenzvariabilität im Sport“ der Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft ist er seit mehr als 10 Jahren ausgewiesener Experte im Bereich der HRV-Diagnostik, zu der er sich 2012 an der Philipps-Universität Marburg habilitierte. [4] Nunan D, Sandercock GRH, Brodie DA. A quantitative systematic review of normal values for short-term heart rate variability in healthy adults. Pacing Clin Electrophysiol 2010; 33: 1407–1417 [5] Thayer J, Yamamoto S, Brosschot J. The relationship of autonomic imbalance, heart rate variability and cardiovascular disease risk factors. International Journal of Cardiology 2010; 141: 122–131 Weitere Literatur bei den Autoren. IMPRESSUM Verlag: Karl F. Haug Verlag in Georg Thieme Verlag KG, Rüdigerstr. 14, 70469 Stuttgart Layout und Satz: Karl F. Haug Verlag in Georg Thieme Verlag KG Druck: Kliemo Printing AG, Eupen/Belgien Titelbild: Fotolia / koszivu © Karl F. Haug Verlag in Georg Thieme Verlag KG, 2016 Bortfeldt S, Hoos O: Botschaft zwischen den Herzschlägen. DHZ – Deutsche Heilpraktiker Zeitschrift, 2016; 2: 34–40