Die Antike Tragödie 2/2 Grundwissen ‚Antike Tragödie’ Vorbemerkung und Lernziele Um die kulturelle Erscheinung der griechischen Tragödie besser zu verstehen, ist es wichtig und nützlich, auch die geschichtliche Entwicklung in groben Zügen zu kennen. Nach der Lektüre von Text 1 haben Sie eine Übersicht über die wesentlichen gesellschaftlichen Entwicklungen von ca. 1800 v. Chr. bis 400 v. Chr. Ebenso ist es von Vorteil Bescheid zu wissen darüber, wie die ersten antiken Tragödien entstanden sind und unter welchen Umständen sie in Griechenland aufgeführt wurden. Das Wissen dazu eignen sich an durch die sorgfältige Lektüre der Texte 2 und 3. Aufgabenstellung Lesen Sie die unten abgedruckten Texte gründlich durch. Arbeiten Sie zur Selbstkontrolle anschliessend die Fragen durch, die unter der Internetadresse http://***.educanet2.ch/GrundwissenSelbstkontrolle.html zugänglich sind. Sollten Fragen auftauchen, dann stellen Sie diese im Klassenforum auf Educanet2 unter dem Stichwort „Fragen zur Aufgabe Grundwissen“. Im Unterricht werden keine Fragen beantwortet. Die Antike Tragödie TEXT 1: Grundwissen Geschichte Um die kulturelle Erscheinung der griechischen Tragödie besser zu verstehen, ist es wichtig und nützlich, auch die geschichtliche Entwicklung in groben Zügen zu kennen. Die folgenden Abschnitte geben eine Übersicht über die wesentlichen gesellschaftlichen Entwicklungen des Zeitraums von ca. 1800 v. Chr. bis 400 v. Chr. 1.1 Übersicht über die geschichtlichen Epochen Die Geschichte der griechischen Antike wird in die folgenden Epochen eingeteilt: Frühgeschichte 2000 – 1200 Minoische Kultur (Kreta) Mykenische Kultur (Peloponnes) Dunkles Zeitalter 1200-800 Weiträumige Völkerwanderungen, Zerstörung der mykenischen Herrschaftszentren Archaisches Zeitalter 800 – 500 Kolonisation, Gesetzgebungen, Tyranneien Klassisches Zeitalter 500 – 340 Athenische Demokratie und ihr Verfall Hellenistisches Zeitalter 334 – 0 Reich Alexander des Grossen, Verbreitung der griechischen Kultur 1.2 Frühgeschichte (2000-1200) Der Raum des antiken und des heutigen Griechenlands war etwa seit dem 7. Jahrtausend vor Christus besiedelt. Im Zuge von Siedlungsbewegungen verschiedener Bevölkerungsgruppen kam es zur Vermischung der ansässigen Bevölkerung mit den von Norden einwandernden Gruppen. Diese brachten ihre indogermanische Sprache mit, die sich gegenüber der Sprache der Einheimischen durchsetzte. Aus dieser Vermischung von Ansässigen und Eingewanderten gingen die Frühgriechen hervor. Ihre Sprache war das Mykenische. Um 2000 v. Chr. hatte sich auf Kreta eine bis heute geheimnisvolle Hochkultur entwickelt. Diese wird heute in Anlehnung an den nur in der Sage überlieferten König Minos die minoische Kultur genannt. Die Antike Tragödie Beeindruckende Überreste dieser Zeit sind z.B. in den um 1900 ausgegrabenen Palästen von Knossos und Phaestos zu bewundern. Links zum Thema: http://www.daedalus.gr/DAEI/THEME/Knossos.htm http://www.live-reisen.com/iraklion/wiki_knossos.htm http://de.wikipedia.org/wiki/Knossos Auf dem griechischen Festland (Peloponnes) entwickelte sich unter minoischem Einfluss eine eigene Hochkultur, bekannt als Mykenische Kultur (ca.1800-1700). Der wichtigste Fundort aus dieser Zeit ist die Burg Mykene. Personen und Ereignisse dieser Epoche sind überliefert in den Darstellungen der homerischen Mythen Ilias und Odyssee. Die Ilias erzählt dabei von der 10-jährigen Belagerung der Stadt Troja und ihrer Zerstörung. Links zum Thema: http://www.gottwein.de/Hell2000/pal_mykene1.htm 1.3 Dunkles Zeitalter (1200-800) Anders als aus der minoischen bzw. der mykenischen Zeit sind aus den Jahren zwischen 1200 und etwa 800 keine schriftlichen Zeugnisse überliefert. Die Geschichtsforschung ist also auf die Interpretation archäologischer Funde angewiesen. Wahrscheinlich waren es Völkerwanderungen, die zum Zusammenbruch der minoischen und mykenischen Hochkulturen geführt haben. Links zum Thema: http://de.wikipedia.org/wiki/Dunkles_Zeitalter 1.4 Archaisches Zeitalter (800-500) Ab 800 begann sich die für das griechische Festland typische Gesellschaftsform der Polis – im Deutschen oft als ‚Stadtstaat‘ wiedergegeben - zu entwickeln. Das Wort Polis (Mehrzahl Poleis) hat verschiedene Bedeutungen: Geschlossene Siedlung (keine Einzelhöfe) Die Antike Tragödie Ort, an dem sich die führenden Familien und Handwerker eines Gebietes konzentrieren In einem städtischen Zentrum zusammengeschlossene Gemeinschaft Zu einer Polis gehörte in der Regel ein öffentlicher Marktplatz, eine Agora, auf dem sich die wohlhabenden Bürger versammelten. Dabei wurden wichtige, die ganze Gemeinschaft betreffende, also ‚politische‘ Themen zu verhandelt. Der Reichtum dieser Bürger beruhte auf der Arbeit von Abhängigen, die bei Eroberungen unterworfen wurden, oder Sklaven. Wenn also von der antiken, insbesondere von athenischen Demokratie (= Volksherrschaft) anstelle einer Monarchie (= Einzelherrschaft, Königtum) die Rede ist, so muss man sich grundsätzlich immer vor Augen halten, dass nur ein kleiner Teil aller Gesellschaftsmitglieder Bürger waren. Nur sie konnten die demokratischen Rechte ausüben. Frauen, unterworfene Abhängige, Sklaven und ‚Ausländer‘ (sog. Metoeken) hatten keinerlei politische Rechte. Die wichtigsten Poleis im antiken Griechenland waren Athen, Sparta, Korinth und Theben. Links zum Thema http://www.gottwein.de/Hell2000/sparta01.htm http://www.gottwein.de/Hell2000/ath01.htm Ab dem 8. Jh. v. Chr. begannen griechische Bevölkerungsgruppen den Mittelmeerraum zu besiedeln, indem sie in Kleinasien und an den Küsten des Schwarzen Meeres Kolonialstädte gründeten. Diese waren nur lose mit den ‚Mutterstädten‘ verbunden. Der Hauptgrund für die Auswanderungen dürfte Überbevölkerung gewesen sein. Damit verbreitete sich die Staatsform der Polis in einem grossen Teil des Mittelmeerraumes. Ein Beispiel für eine solche Kolonialstadt ist die von Korinthern 733 v. Chr. gegründete Stadt Syrakus auf der Insel Sizilien. Das politische System in Athen bestand im 7. Jh. v. Chr. zunächst aus 9 Archonten (=Beamten) und dem Rat, der nach seine Sitz auf dem Areshügel als Areopag bezeichnet wurde. Während die Amtszeit der Archonten auf ein Jahr befristet war, war die Mitgliedschaft im Areopag Die Antike Tragödie lebenslänglich. Daneben spielte die Volksversammlung der Bürger eine wichtige Rolle. Immer wieder kam es aber dazu, dass einzelne Männer, unterstützt durch ihre Verbündeten, in einer Polis die alleinige Herrschaft an sich richten. Diese nannte man Tyrannen. Ein berühmter Tyrann war zum Beispiel Polykrates auf Samos. Links zum Thema http://user.cs.tu-berlin.de/~ohherde/polykrat.htm Athen erlebte im 7. Jh. nur einen Versuch zur Tyrannis. Dieser war aber möglicherweise der Anlass, die bisher nur mündlich überlieferten Gesetze aufzuschreiben. Der erste athenische Gesetzgeber war Drakon (um 621 v. Chr.). Von seinem Namen ist der auch heute noch geläufige Ausdruck ‚drakonische (= sehr schwere) Strafe‘ abgeleitet. Der wichtigere Gesetzgeber Athens aber war Solon, der 594 zum Archont gewählt wurde. Neben einer Schuldigentilgung nahm Solon eine Einteilung der Bürger nach ihrem Einkommen in 4 Klassen vor. Nur die oberste Einkommensklasse war zur Wahl als Archont zugelassen, während der vierten Einkommensklasse nur die Volksversammlung offen stand. Aber auch diese Gesetze konnten nicht verhindern, dass sich Peisistratos in der Mitte des Jahrhunderts als Tyrann in Athen etablieren kann. Ihm gelang es, Athen zu einem wirtschaftlichen und kulturellen Zentrum zu machen; so führte er auch die Tragödie in das Festprogramm der ‚Grossen Dionysien‘ ein. Kleisthenes schliesslich, der nach dem Sturz der Tyrannis an die Macht kam, teilte die Bevölkerung von Attika und Athen in 10 Einheiten ein, die sogenannten Phylen. Damit sollte die Macht besser verteilt und eine neuerliche Tyrannis verhindert werden. 1.5 Klassisches Zeitalter (500-340) Das 5. Jahrhundert war einerseits geprägt durch den gemeinsamen Kampf der griechischen Poleis gegen die Perser, andererseits durch den Kampf Die Antike Tragödie der Poleis untereinander um die Vorherrschaft (Hegemonie) in Griechenland selbst. In Athen erlebte die Staatsform der Demokratie ihren Höhepunkt. Bei der Abwehr der persischen Angriffe spielte Athen eine führende Rolle, so in Schlacht bei Marathon (490) und in der Seeschlacht bei Salamis (480). Zur weiteren Abwehr schlossen sich die Griechen zum ‚Ersten attischen Seebund‘ zusammen. Die Polis Athen übernahm dabei die Führung. Hauptgegner der Athener innerhalb der griechischen Städte war Sparta. Nach jahrelangem Krieg wurde 446 ein Waffenstillstandsvertrag auf 30 Jahre geschlossen. Als sich die Insel Samos im Jahre 441 gegen die Hegemonie Athens zur Wehr setzte, ging die athenische Armee gewaltsam dagegen vor. Sophokles nahm an diesem Kriegszug als Heerführer (als ‚strategos‘, Stratege) teil. Die Aufführung der Antigone soll der Anlass zu seiner Wahl gewesen sein. Obwohl in Athen formell die Demokratie als Staatsform verwirklicht war und alle Gewalt letzten Endes bei der Volksversammlung lag, gab es zwischen 460 und 430 eine führende Gestalt: Perikles. Nicht nur führte er Athen aussenpolitisch zur grössten Machtentfaltung, auch im Innern kam es zu kulturellen Höchstleistungen, so etwa dem Bau des Parthenon auf der Akropolis. Nach 15 Jahren schon wurde der 30-jährige Waffenstillstandsvertrag mit Sparta gebrochen, es kommt zum zweiten Peloponnesischen Krieg, der im Jahre 404 mit der vollständigen Niederlage Athens endet. Aber auch während dem Krieg werden Tragödien aufgeführt, und der berühmte Sokrates legt einen wichtigsten Grundstein der abendländischen Philosophie. Die Antike Tragödie TEXT 2: Die Entstehung der griechischen Tragödie In diesem Kapitel wird das Thema der griechischen Tragödie ganz allgemein behandelt. Dabei kommen die folgenden Themen zur Sprache: Erklärung des Wortes ‚Tragödie‘ Die wichtigsten Merkmale der Tragödie Der Ursprung der griechischen Tragödie 2.1 Erklärung des Wortes ‚Tragödie‘ Das griechische Wort ‚Tragödie‘ ist zusammengesetzt aus den Wörtern ‚tragos‘ (= Bock) und ‚ode‘ (= Gesang), bedeutet also wörtlich übersetzt ‚Bocksgesang‘. Die genaue Herkunft dieser Bezeichnung konnte bis heute nicht geklärt werden, eventuell handelte es sich um Chorlieder, die bei einem Bocksopfer gesungen wurden. Diese könnten eine frühe Vorstufe der Tragödie dargestellt haben. 2.2 Die wichtigsten Merkmale der Tragödie Was ist das nun – eine griechische Tragödie? Eine griechische Tragödie des 5. vorchristlichen Jahrhunderts kann durch die folgenden Merkmale beschrieben werden: Sie ist ein ernstes (‚tragisches‘) Theaterstück, das mehrere Stunden dauert. Der Stoff ist meistens dem Mythos entnommen. Die Handlung ist in sich geschlossen und weist einen ‚dramatischen‘ Aufbau, das heisst einen Spannungsbogen auf. Die Dialoge zwischen den Figuren wechseln sich ab mit den Liedern eines Chores. Die Sprache ist von einem poetischen, gehobenen Stil und weist Versform auf. Nach dem griechischen Philosophen Aristoteles soll eine Tragödie beim Publikum die Gefühle Furcht (phobos) und Mitleid (eleos) erregen, und dabei am Schluss eine Reinigung, Klärung (katharsis) davon bewirken. Die Antike Tragödie 2.3 Der Ursprung der griechischen Tragödie Da nur sehr wenige Zeugnisse überliefert sind, liegt der Ursprung der antiken Tragödie weitgehend im Dunkeln. Grundsätzlich können aber die folgenden Quellen als Nährboden für die Tragödie angenommen werden. Die Epen Homers: Die Geschichten, die Homer in seinen Epen ‚Ilias‘ (trojanischer Krieg) und ‚Odyssee‘ (Odysseus‘ 10 Jahre dauernde Heimfahrt vom trojanischen Krieg) erzählt, sind in Griechenland allgemein bekannt. Sie bilden das Reservoir an Stoffen für die griechische Tragödie. Chorlyrik: Bei der Chorlyrik handelt es sich um mythologische Erzählungen, die von einem Chor bei religiösen Festveranstaltungen singend und tanzend vorgetragen wurden. Die Tatsache, dass in allen überlieferten Tragödien der Chor und seine Lieder eine wichtige Rolle spielen, deutet darauf hin, dass die Chorlyrik wesentlich zur Entstehung der Tragödie beigetragen hat. Heroenkult: Um die Erinnerung wachzuhalten, wurden vermutlich an den Gräbern von mythologischen Helden Gedenkfeiern abgehalten. Auch dabei spielten Chorlieder eine wichtige Rolle, sodass auch diese Tradition in die Entstehung der Tragödie eingeflossen sein dürfte. Zusammenfassend kann man sagen: Die griechische Tragödie geht inhaltlich aus dem überlieferten Stoffreservoir des Mythos hervor, wobei die Darbietung in früher Zeit oft in Form von Chorlyrik erfolgte. Die Leistung der antiken Dramatiker bestand darin, diesen Chören nach und nach einzelne Figuren entgegenzustellen. Dies war die Geburtsstunde des Schauspielers, damit der antiken Tragödie und überhaupt des Dramas, wie wir es bis heute kennen. Die Antike Tragödie TEXT 3: Die Aufführung von antiken Tragödien im Rahmen der ‚Grossen Dionysien‘ Tragödien wurden an verschiedenen Orten im griechischen Raum aufgeführt, aber das unbestrittene Zentrum der antiken Tragödie bildete die Polis Athen. Daher wird die antike Tragödie oft auch als „attische Tragödie“ bezeichnet. Im 5. Jh. vor Christus wurden Tragödien in Athen nur bei zwei Anlässen durchgeführt, nämlich an den ‚Lenaeen‘ (Ende Januar) und an der ‚Grossen Dionysien‘ (Ende März). Beide Feste waren der Ehre des Gottes Dionysos gewidmet. Dass überhaupt Tragödien im Rahmen der ‚Grossen Dionysien‘ aufgeführt wurden, ist dem Tyrannen Peisistratos (6. Jh. v. Chr.) zu verdanken. Dionysos ist ein Sohn von Zeus und der sterblichen Semele. Diese war eine Tochter von Kadmos, dem Gründer von Theben. Sie wurde von Zeus verführt und daraufhin schwanger. Aus Eifersucht wurde sie von Zeus‘ Gattin Hera getötet. Zeus gelang es aber, das ungeborene Kind zu retten. Es wurde in seinen Oberschenkel eingenäht und auf diese Weise ausgetragen. Dionysos war in der griechischen Götterwelt ein zwiespältiger Gott. Einerseits kann er die Menschen in Rausch und Ekstase versetzen (daher auch ‚Gott des Weines‘) und sie so über den Alltag hinausheben. Andererseits vermag er die Menschen zu wahnsinnigen Taten zu treiben, indem sie sich selber oder anderen Schaden zufügen. Berühmt-berüchtigt waren die Anhängerinnen des Gottes Dionysos, die Maenaden. Warum genau Tragödien im Rahmen von Dionysos-Festen aufgeführt wurden, ist nicht klar. Bei den Theateraufführungen im Rahmen der Grossen Dionysien handelte es sich um einen Literaturwettbewerb. Das heisst, die Tragödienautoren traten mit ihren Werken gegeneinander an. Die Stücke, die das Publikum in diesem Wettbewerb zu sehen bekam, wurden vom höchsten Beamten der Polis, dem archon eponymos, ausgewählt. Als Schauspieler kamen ausschliesslich Männer in Frage, den Frauen war das Schauspielern verboten. Finanziert wurden die Proben und die Aufführungen vom Die Antike Tragödie ‚choregen‘ einem reichen Athener. Dieser konnte so sein Ansehen in der Polis vermehren. Die Stücke wurden im Dionysostheater in Athen aufgeführt. War dieses ‚ausverkauft‘, fanden etwa 17000 Zuschauer darin Platz. Für die Preisvergabe war eine Jury aus fünf angesehenen athenischen Bürgern zuständig. Das Festprogramm der Grossen Dionysien sah folgendermassen aus: 1. 2. 3. 4. 5. Tag: Tag: Tag: Tag: Tag: 20 Chöre mit ihren Chorliedern 5 Komödien 3 Tragödien, 1 Satyrspiel 3 Tragödien, 1 Satyrspiel 3 Tragödien, 1 Satyrspiel Das heisst also, dass lediglich 3 Tragödiendichter am Wettbewerb teilnahmen, und jeder von ihnen musste drei Tragödien und ein Satyrspiel liefern. Diese wurden dann an einem einzigen Tag nacheinander aufgeführt.