Virtuelle Produktentwicklung B Produktdatenmanagement Skript zur Vorlesung im Sommersemester 2011 Fachgebiet Datenverarbeitung in der Konstruktion, Prof. Dr.-Ing. R. Anderl Virtuelle Produktentwicklung B Produktdatenmanagement Skript zur Vorlesung im Sommersemester 2011 Fachgebiet Datenverarbeitung in der Konstruktion, Prof. Dr.-Ing. R. Anderl Fachgebiet Datenverarbeitung in der Konstruktion L1|01 / 10 Petersenstraße 30 64287 Darmstadt Telefon: +49 6151 16-6001 Fax: +49 6151 16-6854 I 1 Einführung ................................................................................................................................ 1 1.1 Historische Entwicklung 2 1.2 Unterschiede PDM/TDM/ERP 3 1.3 Literaturverzeichnis 5 2 Bedeutung des Produktdatenmanagements ............................................................................ 6 2.1 Gründe für den Einsatz von Produktdatenmanagementsystemen 8 2.1.1 Verbesserungspotential in Entwicklung und Konstruktion 9 2.1.2 Schwachstellen in Entwicklung und Konstruktion 10 2.1.3 Ursachen der Probleme in Entwicklung und Konstruktion 11 2.1.4 Probleme durch den Einsatz von CAx-Systemen 11 2.1.5 Ursachen für die Probleme bei der Nutzung von CAx-Systemen 12 2.2 Methoden des Entwicklungsmanagements 12 2.2.1 Simultaneous Engineering (SE) 13 2.2.2 Concurrent Design (CD) 14 2.2.3 Computer Supported Cooperative Work (CSCW) 15 2.3 Produkthaftung und Qualitätssicherung 18 2.4 Ziele des Produktdatenmanagements 21 2.4.1 Innerbetriebliche Integration 21 2.4.2 Verwaltung von Produktdaten 22 2.4.3 Zugriff auf Produktdaten 24 2.4.4 Schutz von Produktdaten 24 2.4.5 Verbesserung der innerbetrieblichen Organisation 25 2.5 Literatur 26 3 Methoden des Produktdatenmanagements ........................................................................... 27 3.1 Einführung und Begriffsklärung 27 3.2 Produktstrukturierung 30 3.2.1 Produktstruktur 30 3.2.2 Stücklistenwesen 33 3.3 Konfigurations- und Variantenmanagement 37 3.3.2 Variantenstücklisten 42 3.4 Methoden der Benennung 47 3.5 Klassifizierungssysteme 49 3.5.1 Aufbau von Klassifizierungssystemen 50 3.5.2 Klassifizierungssysteme auf Nummernbasis 51 3.5.3 Gruppentechnik/Sachmerkmalleisten 53 II 3.5.4 Verfahren der Clusteranalyse 56 3.5.5 Thesauri 57 3.5.6 Klassifizierung impliziter Geometrieinformationen mit Konzepten des Information Retrieval 58 3.6 Nummerungssysteme 62 3.6.1 Sachnummern 66 3.6.2 Sachnummernsysteme 67 3.7 Freigabe- und Änderungswesen 70 3.7.1 Freigaben 71 3.7.2 Änderungen 74 3.8 Literatur 79 4 Funktionen eines Produktdatenmanagementsystems............................................................ 80 4.1 Elementverwaltung 80 4.1.1 Artikelverwaltung 89 4.1.2 Unterlagenverwaltung 93 4.1.3 Projektverwaltung 95 4.2 Privilegienverwaltung 95 4.3 Ablaufverwaltung 101 4.4 Dateiverwaltung 103 4.5 Customizing und Datenaustausch 106 4.6 Literatur 108 5 Datenbanktechnologie als Basis für die Realisierung eines PDM-Systems ............................ 109 5.1 Einführung in Datenbanksysteme 109 5.1.1 Definitionen 109 5.1.2 Aufgaben eines Datenbanksystems 110 5.1.3 Architektur von Datenbanksystemen 112 5.2 Datenmodellierung und Datenbankentwurf 114 5.2.1 Vorgehensweise beim Datenbankentwurf 114 5.2.2 Methoden zur konzeptionellen Datenbankmodellierung 116 5.2.3 Klassische Datenbankmodelle 127 5.2.4 Relationale vs. objektorientierte Datenbanken 134 5.3 Datenbanksprachen 137 5.3.1 Die Datenbanksprache SQL 137 5.3.2 Datenbankneutrale Schnittstellen 140 5.4 Verteilung von Daten 141 5.5 Literatur 143 III 6 7 Ablaufmanagement (Workflowmanagement) ..................................................................... 144 6.1 Ablaufbeschreibung (Workflow) 144 6.2 Anforderungen an die Ablaufbearbeitung im Engineering-Bereich 146 6.3 Verbesserungsmöglichkeiten im Engineering-Bereich 146 6.4 Ablaufmanagementsysteme 148 6.4.1 Einsatzgebiete von Ablaufmanagementsystemen 148 6.4.2 Aufbau und Funktion von Ablaufmanagementsystemen 149 6.5 Verbesserung durch Ablaufmanagement 155 6.6 Literatur 156 Glossar................................................................................................................................... 157 IV Abbildungsverzeichnis Abbildung 1-1: Entwicklung der PDM-Technologie 2 Abbildung 1-2: Einordung der PDM-Technologie 3 Abbildung 2-1: Ursachen einer Gewinnreduktion (Eigner, Hiller, Schindewolf, & Schmich, 1991) 6 Abbildung 2-2: Produktdatenmanagement als Integrationsdrehscheibe 7 Abbildung 2-3: Zielgrößen des Einsatzes von Produktdatenmanagementsystemen 8 Abbildung 2-4: Kostenverursachung und –beeinflussung (Eigner, Hiller, Schindewolf, & Schmich, 1991) 10 Abbildung 2-5: Zeitvorteil durch Simultaneous Engineering 13 Abbildung 2-6: Concurrent Design (Schmidt, 1993) 15 Abbildung 2-7: Das 3K-Modell [KUBE08] 16 Abbildung 3-1: Einordnung der technischen Auftragsabwicklung [Eve97] 28 Abbildung 3-2: Grunddatenverwaltung [EiSt09] 29 Abbildung 3-3: Artikelstammdaten [EiSt09] 29 Abbildung 3-4: Zielsetzung der Produktstrukturierung (Eversheim, 1996) 30 Abbildung 3-5: Darstellungsformen einer Produktstruktur (DIN 199-5, 1981) 31 Abbildung 3-6: Ableitung der Stücklistenarten (Wiendahl, 2008) 33 Abbildung 3-7: Produktstruktur als Basis von Stücklisten 34 Abbildung 3-8: Mengenübersichtsstückliste 34 Abbildung 3-9: Strukturstückliste 35 Abbildung 3-10: Baukastenstückliste 35 Abbildung 3-11: Stammbäume verschiedener Erzeugnisvarianten 36 Abbildung 3-12: Mengenübersichts- und Baukastenverwendungsnachweis 37 Abbildung 3-13: Strukturverwendungsnachweis 37 Abbildung 3-14: Sonderausstattungen des Opel Corsa (www_1) 38 Abbildung 3-15: Schematische einstufige Variantenstruktur 40 Abbildung 3-16: Schematische mehrstufige Variantenstruktur (1) 41 Abbildung 3-17: Schematische mehrstufige Variantenstruktur (2) 41 Abbildung 3-18: Stammbäume verschiedener Erzeugnisvarianten 43 Abbildung 3-19: Beispiele einer Mengenübersichts-/Strukturstückliste 44 Abbildung 3-20: Beispiel einer Gleichteile-/Baukastenstücklisten 45 Abbildung 3-21: Beispiel einer Plus-Minus-Stückliste 45 Abbildung 3-22: Variantenstückliste mit Variantenleiste 46 V Abbildung 3-23: Erzeugung einer Variantenausprägung 47 Abbildung 3-24: Zusammenhänge zwischen Benennung/Definition/Begriff/Gegenstand (DIN 2330, 1993) 49 Abbildung 3-25: Prinzipien der Werkstückklassifizierung 50 Abbildung 3-26: Grundlagen der Klassifikation [Eve97] 51 Abbildung 3-27: Aufbau des OPITZ - Klassifizierungssystems (Wiendahl, 2008) 52 Abbildung 3-28: Klassifizierung eines Drehteils nach dem OPITZ-System (Wiendahl, 2008) 53 Abbildung 3-29: Aufbau einer Sachmerkmalleiste (DIN 4000-1, 1992) 55 Abbildung 3-30: Beispiel Sachmerkmalleiste 56 Abbildung 3-31: Beispiel Clusteranalyse (Wiendahl, 2008) 57 Abbildung 3-32: Beispiel eines Thesaurus (DIN 1463-2, 1993) 58 Abbildung 3-33: Klassifikation impliziter geometrischer Informationen 59 Abbildung 3-34: Fouriertransformation eines Eindimensionalen Signals 60 Abbildung 3-35: Fourieranalyse, nach Geiger 61 Abbildung 3-36: Wavelettransformation eines Eindimensionalen Signals 61 Abbildung 3-37: Arten von Nummern (Bernhard & Bernhard, 1990) 64 Abbildung 3-38: Gliederung von Nummernsystemen (VDI Richtlinie 2215, 1980) 65 Abbildung 3-39: Speicherfähigkeit verschiedenartiger Nummernsysteme (VDI Richtlinie 2215, 1980) 66 Abbildung 3-40: Aufgaben von Sachnummern 67 Abbildung 3-41: Sachnummer als Verbundnummernsystem (Wiendahl, 2008) 68 Abbildung 3-42: Vor-/Nachteile von Verbundnummern (Eigner, Hiller, Schindewolf, & Schmich, 1991) 68 Abbildung 3-43: Aufbau eines Sachnummernsystems mit Parallelverschlüsselung, nach WZL-DEMAG zitiert in (Wiendahl, 2008) 69 Abbildung 3-44: Vor-/Nachteile von Sachnummern mit Parallelverschlüsselung (Eigner, Hiller, Schindewolf, & Schmich, 1991) 70 Abbildung 3-45: Phasenmodell von Freigaben, Änderungen und Verboten 71 Abbildung 3-46: Freigabeablauf (DIN 6789-5, 1995) 72 Abbildung 3-47: Unterlagendurchlauf verschiedener Status/Reifegrade [EiSt09] 74 Abbildung 3-48: Änderungsablauf (DIN 199-4, 1981) 76 Abbildung 3-49: Beispielhafter Ablauf einer Änderung (Wiendahl, 2008) 77 Abbildung 4-1: Darstellung von Stammsätzen 81 Abbildung 4-2: Attribute des Stammsatzes (Stammdaten) 82 Abbildung 4-3: Status-Reifegrad-Matrix mit Fortschrittskenner 83 VI Abbildung 4-4: Such- und Selektionsfunktionen [EHSS91]. 85 Abbildung 4-5: Suche nach einem Produkt 86 Abbildung 4-6: Benutzersichten auf den Datenbestand [Kras-02] 87 Abbildung 4-7: Strukturierungsmöglichkeiten 88 Abbildung 4-8: Strukturstückliste und Änderungshistrorie 89 Abbildung 4-9: Attribute eines Artikelstamms 90 Abbildung 4-10: Verwaltung charakteristischer Merkmale 91 Abbildung 4-11: Ableitung der auftragsspezifischen Stückliste 93 Abbildung 4-12: Unterlagenverwaltung 94 Abbildung 4-13: Mehrdimensionale Strukturen zwischen Projekten, Artikeln und Unterlagen [EHSS91]. 95 Abbildung 4-14: Verwaltung von Systembenutzern und Gruppenzuordnung 97 Abbildung 4-15: Zugriffskontrolle auf Elemente 99 Abbildung 4-16: Zugriff auf Informationseinheiten 100 Abbildung 4-17: Änderung/Versionierung 102 Abbildung 4-18: Mitteilungswesen/Dokumentation 103 Abbildung 4-19: Dateiverwaltung ohne bzw. mit PDM-System 104 Abbildung 4-20: Funktionen des "Elektronischen Aktenschranks" [EHSS91]. 105 Abbildung 4-21: Anwendungsschnittstelle des "Elektronischen Aktenschranks"[EHSS91]. 106 Abbildung 5-1: Grobarchitektur von Datenbanksystemen 109 Abbildung 5-2: Anforderungen an Datenbanksysteme 110 Abbildung 5-3: Zusammenhang der Komponenten eines Datenbanksystems 111 Abbildung 5-4: Ebenen-Modell nach ANSI/SPARC für die Architektur von DBS 113 Abbildung 5-5: Vorgehensweise beim Datenbankentwurf 115 Abbildung 5-6: Beispiel-Miniwelt 117 Abbildung 5-7: Beispielbaugruppe 118 Abbildung 5-8: Struktur der Beispielbaugruppe 118 Abbildung 5-9: Mengendiagramm der Einzelteil-Fertigungsplan-Zuordnung 119 Abbildung 5-10: Mengenbeziehungen -ihre Notation im Entity-Relationship-Modell 120 Abbildung 5-11: Entity-Relationship-Modell der Beispielminiwelt 121 Abbildung 5-12: Mengenbeziehung - ihre Notation in NIAM 122 Abbildung 5-13: Modell der Beispielminiwelt in NIAM 122 Abbildung 5-14: Modell der Beispielminiwelt in NIAM mit Vererbung 123 VII Abbildung 5-15: EXPRESS-G Symbole 124 Abbildung 5-16: Modell der Beispielminiwelt in EXPRESS-G mit Vererbung 125 Abbildung 5-17: Modell der Beispielminiwelt in EXPRESS mit Vererbung 125 Abbildung 5-24: Eine Klasse in UML mit Attributen (Zustand) und Methoden (Verhalten) 126 Abbildung 5-25: Darstellung der Vererbungsbeziehung zwischen Klassen in UML-Notation 126 Abbildung 5-26: (v. l nach r.) Assoziation, Aggregation und Komposition in UML-Notation 127 Abbildung 5-27: Darstellung eines komplexen Schemas im Klassendiagram nach UML (Das ArtikelBeispiel) 127 Abbildung 5-28: Konzepte des hierarchischen Datenmodells 129 Abbildung 5-29: Konzepte des Netzwerkdatenmodells 130 Abbildung 5-30: Konzepte des Relationenmodells 131 Abbildung 5-31: Tabellendarstellung der Beispielminiwelt mit konkreten Objekten 131 Abbildung 5-32: Konzepte objektorientierter Datenmodelle 134 Abbildung 5-33: EXPRESS-G Darstellung des Artikel Beispiels 135 Abbildung 5-34: Relationales logisches Modell der Artikeldatenbank 136 Abbildung 5-35:Objektorientiertes logisches Modell der Artikeldatenbank 137 Abbildung 5-36: Datendefinition für die Beispielminiwelt in SQL 138 Abbildung 5-37: Erzeugen von Datensätzen für die Beispielbaugruppe in SQL 139 Abbildung 5-38: Anfragen an das Datenbanksystem für das Baugruppen-Bsp. in SQL (1) 139 Abbildung 5-39: Anfragen an das Datenbanksystem für das Baugruppen-Bsp. in SQL (2) 140 Abbildung 5-40: Möglichkeiten der Verteilung (1): Verteilte Anwendungen 141 Abbildung 5-41: Möglichkeiten der Verteilung (2): Vernetzte Datenbanksysteme 142 Abbildung 5-42: Möglichkeiten der Verteilung (3): Verteiltes Datenbanksystem 142 Abbildung 6-1: Workflow am Beispiel des Freigabe-Prozesses 145 Abbildung 6-2: Kennzeichen verschiedener Geschäftsvorgänge [Heil94] 146 Abbildung 6-3: Verbesserungsmöglichkeiten im Engineering-Bereich 148 Abbildung 6-4: Ablaufmanagementzyklus 150 Abbildung 6-5: Graphische Darstellung eines anlysierten Geschäftsvorgangs 151 Abbildung 6-6: Dokumentenverteilung mit elektronischer Umlaufmappe 154 Abbildung 6-7: Ablaufmanagement am Arbeitsplatz 155 VIII Einführung Tabellenverzeichnis Tabelle 3-1: Beispiele für Freigabearten (DIN 6789-5, 1995) und [EiSt09] 73 Tabelle 3-2: Änderungsarten (DIN 6789-3, 1990) 77 1 Einführung 1 1 Einführung Der Einsatz von Datenverarbeitungssystemen (kurz DV-Systemen) ist für Unternehmen zu einem wichtigen Hilfsmittel geworden, das für viele Aufgaben unverzichtbar ist. Die rasante Weiterentwicklung der Hard- und Softwaresysteme hat dazu geführt, dass die DV-Systeme heute immer komplexere Aufgaben lösen und immer größere Datenmengen verarbeiten können. Darüber hinaus werden DV-Systeme zunehmend miteinander verbunden, um durch Kopplung und Integration die Effizienz zu steigern und Fehlerquellen zu reduzieren. Die Datenverarbeitungstechnik hat sich hierdurch zur Informations- und Kommunikationstechnik entwickelt. Definition Informationstechnik Unter Informationstechnik versteht man all diejenigen Verfahren und Hilfsmittel, die der prinzipiellen Verarbeitung von Daten unter Berücksichtigung der Interpretation dieser Daten dienen. Definition Kommunikationstechnik Als Kommunikationstechnik bezeichnet man all diejenigen Verfahren und Hilfsmittel, die zur Übertragung von Informationen (interpretierte Nachrichten) zwischen Menschen und/oder technischen Einrichtungen eingesetzt werden. Während die Informations- und Kommunikationstechnik grundlegende Prinzipien und Methoden der Datenverarbeitung umfassen, stellt die Produktdatentechnik im Speziellen Prinzipien und Methoden zur Verarbeitung von Produktdaten bereit. Die Produktdatentechnologie liefert die wissenschaftlichen Grundlagen hierzu. Definition Produktdatentechnologie Die Produktdatentechnologie ist die Lehre der wissenschaftlichen Grundlagen (Prinzipien und Methoden) der Verarbeitung von Produktdaten, bezogen auf alle Phasen des Produktlebenszyklus. Die Funktionen zur Verarbeitung von Produktdaten sind dabei • der Produktdatenaustausch, • die Produktdatenspeicherung, • die Produktdatenarchivierung und • die Produktdatentransformation. Grundlage der Produktdatentechnologie ist das Integrierte Produktmodell, wie es in der Norm ISO 10303 festgelegt wurde (ISO 10303-1, 1994) (Anderl & Trippner, 2000). Definition Produktmodell Ein Produktmodell ist die formale Beschreibung aller Informationen zu einem Produkt über alle seine Phasen des Lebenszyklus hinweg. Die Produktdatentechnik wird aufgrund dieses Ansatzes zunehmend zu einer Grundlage für die Datenverarbeitung im Produktentwicklungsprozess. Die Verwaltung der im Produktentwicklungsprozess anfallenden Daten erfolgt mit den Methoden des Produktdatenmanagements. 2 2 1 Einführung Definition Produktdatenmanagement Das Produktdatenmanagement umfasst die Verwaltung von Produktdaten und die Steuerung von Produktdatenflüssen in den Phasen des Produktlebenszyklus. 1.1 Historische Entwicklung Das Produktdatenmanagement ist das Ergebnis einer Entwicklung die Ihre Anfänge in der noch rein papiergetriebenen Erzeugung von Dokumenten hat. Bei der Verwaltung von Papierdokumenten erfolgte die Ablage in Aktenschränken, der Ablageort wurde auf Karteikarten festgehalten und es gab sogenannte Laufzettel, die dafür Sorge trugen, dass alle Prozessbeteiligten in der richtigen Reihenfolge die richtigen Dokumente erhielten (Abbildung 1-1). Abbildung 1-1: Entwicklung der PDM-Technologie Als nächster Schritt wurde eine computergestützte Archivierung eingeführt, um das Auffinden der in Archiven abgelegten Dokumente zu beschleunigen und zu vereinfachen. Es lassen sich dabei auch einfache Beziehungen von Dokumenten untereinander abbilden. Man spricht dabei von Dokumentenverwaltung. Dies ist vergleichbar zur Organisation einer Bücherei. Die Titel der Bücher und Stichworte zum Inhalt, sowie der Standort in der Bibliothek und andere Informationen, wie z.B. Verleihstatus werden in einer Datenbank verwaltet. Inzwischen haben digitale Dokumente weitgehend Papierdokumente für die Archivierung abgelöst. Das bedeutet, dass die Dokumente in so genannten elektronischen Aktenschränken in einer Datenbank abgelegt werden. Über die elektronischen Aktenschränke können dann Zugriffsberechtigungen gesteuert werden. Beim Produktdatenmanagement werden alle Dokumente in Beziehung zur Produktstruktur (vgl. Kap.3.2.1) gesetzt und abgelegt. Der Schwerpunkt heutiger PDM-Systeme liegt im Management von 3 Einführung 1 Dokumenten und CAD-Modellen sowie in der Unterstützung von Freigabe- und Änderungsprozessen (Abramovici & Sieg, 2001). Die Entwicklung hin zu den Produktdatenmanagementsystemen begann bereits in den achtziger Jahren und vollzieht sich seitdem kontinuierlich, so dass auch in der Terminologie verschiedene Zwischenstufen existieren, die teilweise fälschlicherweise mit dem Begriff PDM gleichgesetzt werden. Zum Beispiel: DVS TIS EDM EDB PDM TDM ERP PLM - Dokumenten Verwaltungssystem Technisches Informationssystem Engineering Data Management Engineering Database Product Data Management Team Data Management Enterprise Resource Planning Product Lifecycle Management Die Schwerpunkte in der Unterstützung durch Produktdatenmanagementsysteme liegen im Bereich der Produktentwicklung (siehe Skriptum Virtuelle Produktentwicklung A). Es zeichnet sich aber eine Ausdehnung dieser Unterstützung auf spätere Phasen des Produktlebenszyklus ab, indem neben den Produktherstellern auch Zulieferer und Kunden, die am Produktlebenszyklus beteiligt sind berücksichtigt werden (Krause, Franke, & Gausemeier, 2007). In diesem Fall spricht man heute von Product Lifecycle Management (Produktlebenszyklus- Management) – kurz PLM - und den PLM – Systemen. Angedacht ist die Erweiterung der Funktionen eines PLM-Systems in Richtung Integration mechatronischer Produkte (Gausemeier, Hahn, & Kespohl, 2006). Abbildung 1-2: Einordung der PDM-Technologie 1.2 Unterschiede PDM/TDM/ERP In diesem Kapitel werden die Systeme für Produktdatenmanagement (PDM), Team Data Management (TDM) und Enterprise Resource Planning (ERP) gegeneinander abgegrenzt. Die Hauptaufgaben von PDM-Systemen sind • Datei- und Dokumentenverwaltung, • Prozessmanagement und • die Integration der Anwendungssysteme. 4 4 1 Einführung TDM-Systeme bezeichnen eine Systemklasse von PDM-Systemen, die sich durch eine enge Kopplung an 3D-CAD-Systeme auszeichnen. TDM-Systeme sind in der Lage, die Daten des CAD-Systems zu interpretieren und zu verarbeiten. Typische Funktionalitäten von TDM-Systemen sind der Abgleich der Produktstrukturen, die Erkennung von Referenzen (Baugruppe – Einzelteil – Zeichnung), das automatisierte Einfügen von Stücklisten und das Ausfüllen des Zeichnungskopfes in Zeichnungen, das Visualisieren der 3D-Geometrie und die Produktkonfiguration der CAD-Baugruppen in den TDMSystemen. Nahezu jeder 3D-CAD Systemanbieter bietet ein TDM-System an (Krastel, 2002). Enterprise Resource Planning (ERP) steht für die Produktionsplanung- und Steuerung (PPS) in industriellen Fertigungsunternehmen. ERP-Systeme werden vornehmlich zur Unterstützung der Logistik, aber auch im Finanzwesen, Controlling und Personalwirtschaft, eingesetzt. Die Logistik umfasst dabei die gesamte Wertschöpfungskette Beschaffung, Produktion und Absatz (Schöttner, 1999). Damit bestehen die wesentlichen Unterschiede darin, dass TDM und PDM Systeme hauptsächlich in der Produktentwicklung Anwendung finden und insbesondere die Konstruktion unterstützen. TDM Systeme zielen mehr auf die Unterstützung der Konstruktion ab, indem sie insbesondere die Integration von CAD-Systemen fördern. PDM-Systeme unterstützen in höherem Maße auch die Integration anderer Softwaresysteme. ERP Systeme zielen auf die Optimierung und Steuerung des Produktionsprozesses und der Ressourcenplanung in einem Unternehmen ab. 5 Einführung 1 1.3 Literaturverzeichnis Abramovici, M., & Sieg, C. (5 2001). PDM-Technologie im Wandel - Stand und Entwicklungsperspektiven. Industrie Management. Anderl, R., & Trippner, D. (2000). STEP - Standard for the Exchange of Product Model Data. Stuttgart: Teubner Verlag. Gausemeier, J., Hahn, A., & Kespohl, H. (2006). Vernetzte Produktentwicklung: Der erfolgreiche Weg zum Global Engineering Networking. München Wien: Hanser. ISO 10303-1. (1994). Industrial automation systems and integration -- Product data representation and exchange -- Part 1: Overview and fundamental principles. Krastel, M. (2002). Integration multidisziplinärer Simulations- und Berechnungsmodelle in PDMSystemen. Aachen: Shaker. Krause, F.-L., Franke, H.-J., & Gausemeier, J. (2007). Innovationspotentiale in der Produktentwicklung. München, Wien: Carl Hanser. Schöttner, J. (1999). Produktdatenmanagement in der Fertigungsindustrie. München: Hanser. 6 6 2 Bedeutung des Produktdatenmanagements 2 Bedeutung des Produktdatenmanagements Rechnerunterstützte Verfahren werden seit vielen Jahren bei der Produktentwicklung eingesetzt und haben sich mittlerweile in ihren jeweils speziellen Einsatzsparten zu unverzichtbaren Hilfsmitteln etabliert. Die Realisierung einer durchgängig digitalen Produktentstehung wird jedoch meist noch nicht erreicht. Das Fehlen eines durchgängigen Produktdatenmodells und die ungenügende Integrationsfähigkeit der eingesetzten Anwendungssoftwaresysteme sind die wesentlichsten Gründe hierfür. Bei den meisten der bisher entwickelten CAx-Systeme wird die informationstechnische Verknüpfung von Vertrieb und Angebotsbearbeitung, Entwicklung und Konstruktion, Arbeitsplanung, Fertigung und Montage sowie der Qualitätssicherung nur bedingt erreicht. Auf diese Weise entstehen Defizite und Verzögerungen, die in besonderem Maße die Produktentwicklung beeinflussen. Entgegen dem eigentlichen Ziel des Einsatzes von DV-Systemen, nämlich der Optimierung der Produktqualität, der Reduktion der Entwicklungskosten und der Verringerung der Produktentwicklungszeit (time to production), führen diese Defizite oft zu einem verzögerten Produktionsanlauf und damit schließlich zu höheren Kosten für das Unternehmen. Wie sich derart bedingte Verzögerungen auf den zu erwartenden Gewinn durch die Einführung eines neuen Produkts auswirken, zeigt Abbildung 2-1 (Annahmen: Marktwachstum von 20 %, jährlicher Preisverfall von 12 %, Produktlebensdauer von 12 Jahren). Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang die Bedeutung der Information als Produktionsfaktor, denn nicht erfasste, falsche oder verfälschte, ungültige oder bedeutungslose oder nicht wieder auffindbare Informationen führen stets zu Mehrarbeit und damit zu Mehrkosten (Ruland, Berkel, & Hübel, 1990). Entwicklungskosten um 50% überschritten Produktionskosten um 9% zu hoch Lieferverzögerung um 6 Monate - 3,5 % -5% - 10 % - 15 % - 20 % - 22 % - 25 % - 30 % - 33 % - 35 % - 40 % Minderung des Gewinns Annahmen: : 20 % Marktwachstum Jährlicher Preisverfall : 12 % Produktlebensdauer : 5 Jahre Abbildung 2-1: Ursachen einer Gewinnreduktion (Eigner, Hiller, Schindewolf, & Schmich, 1991) 7 Bedeutung des Produktdatenmanagements 2 Ein wichtiger Ansatz zur Lösung dieses Problems liegt in der Einführung einer umfassenden Informationslogistik, die im Wesentlichen folgenden Zielen dient: • geeignete Verwaltung von Produkt- und Entwicklungsinformationen sowie eine • geplante Steuerung der Prozesse der Produktentstehung und eine • gezielte und schnelle Verteilung von Produkt- und Entwicklungsinformationen. Die Bereitstellung von Informationen am richtigen Ort, zur richtigen Zeit, in bedarfsgerechter Qualität und Quantität sowie die Schaffung eines durchgängigen, transparenten Informations-flusses, insbesondere während der Produktentstehung, müssen durch ein solches Informationssystem garantiert werden. Neben der Anwendung von CAx-Systemen spielt das Management der Produkt- und Entwicklungsinformationen die wichtigste Rolle. Das entscheidende Anwendungssoftwaresystem, mit dem diese Ziele erreicht werden können, ist das so genannte Produktdatenmanagementsystem. In Produktdatenmanagementsystemen werden alle während der Produktentstehung anfallenden Produkt- und Entwicklungsinformationen zentral verwaltet und Entwicklungsabläufe gesteuert. Deshalb muss beachtet werden, dass Produkt- und Entwicklungsinformationen auch Prozessinformationen wie etwa Informationen zum Freigabe- und Änderungsprozess enthalten. Eine Automatisierung des Informationsflusses über Abteilungsgrenzen und Rechnersysteme hinweg bis hin zum fertigen Produkt ist eine wichtige Zielsetzung. Somit dient das Produktdatenmanagement gleichzeitig als zentrales Informationsverwaltungs- und -verteilungssystem und als Integrationsdrehscheibe für alle an der Produktentwicklung beteiligten CAx-Systeme (siehe Abbildung 2-2). Abbildung 2-2: Produktdatenmanagement als Integrationsdrehscheibe 8 8 2 Bedeutung des Produktdatenmanagements Die unterschiedlichen Gründe für den Einsatz von Produktdatenmanagementsystemen sowie deren konkrete Einsatzziele ergeben sich aus den Zielgrößen (siehe Abbildung 2-3) • Erhöhung der Produktqualität, • Reduzierung der Produktentstehungskosten (bzw. Einhaltung des Kostenrahmens für die Produktentstehung) und • Verringerung der Produktentstehungszeit. Abbildung 2-3: Zielgrößen des Einsatzes von Produktdatenmanagementsystemen 2.1 Gründe für den Einsatz von Produktdatenmanagementsystemen Ziele des Einsatzes von Produktdatenmanagementsystemen sind sämtliche Produktdaten eines Unternehmens zu verwalten und die Entwicklungsprozesse während der Produktentstehung zu steuern. Ausgehend von einer verbesserten Organisation muss eine geeignete Informationsverarbeitung konzipiert werden, um qualitativ hochwertigere Produkte entwickeln und die Produktentwicklung optimieren zu können. Die Verbesserung der Organisation zielt dabei auf die Definition und Einführung ablauforganisatorischer Maßnahmen ab, wie insbesondere • Identifikation und Klassifikation, • Produktstrukturierung und Konfiguration, • Freigabe- und Änderungsprozesse und • Wiederverwendungskonzepte. Konzepte für eine geeignete Informationsverarbeitung zielen auf die Bestimmung geeigneter CAxSysteme die im Produktentstehungsprozess eingesetzt werden sollen ab, deren Anpassung an das Anforderungsprofil eines Unternehmens sowie deren Integration für einen durchgängig digitalen Produktentstehungsprozess. Das Produktdatenmanagementsystem spielt dabei eine zentrale Rolle, weil 9 Bedeutung des Produktdatenmanagements 2 es sowohl als Integrationsplattform für die entstehenden Produktdaten dient, wie auch für die Steuerung der Entwicklungsabläufe. Produktdatenmanagementsysteme unterstützen die Zielgrößen auf zwei unterschiedliche Arten: • direkt durch die Beseitigung konkreter Schwachstellen in Entwicklung und Konstruktion, • indirekt durch die Unterstützung anderer Maßnahmen und Methoden, die ebenfalls einer Verbesserung der Produktentwicklung dienen. Die Notwendigkeit der direkten Unterstützung des Produktentwicklungsprozesses resultiert im Wesentlichen aus zwei Umständen: Die Produktentwicklung weist oftmals Schwachstellen auf, die durch eine verbesserte Informationsverarbeitung und eine geeignete DV-technische Organisation behoben werden können. Der verstärkte Einsatz von CAx-Systemen führt in der Regel zu Problemen, welche eine Folge mangelhafter Datenverwaltung und ungenügender Organisation sind. Die indirekte Hilfestellung durch Produktdatenmanagement betrifft weitergehende Maßnahmen und Methoden, die ihrerseits das Ziel verfolgen, bessere Produkte zu entwickeln und herzustellen. In den meisten Fällen können diese Methoden aber nur dann sinnvoll angewandt werden, wenn alle mit dem jeweiligen Produkt verknüpften Daten und Informationen durch ein Produktdatenmanagementsystem erfasst sind und verwaltet werden. Im Einzelnen bezieht sich diese Art der Unterstützung auf: 2.1.1 • Methoden des Entwicklungsmanagements: Simultaneous Engineering (SE), Concurrent Design (CD), Computer Supported Cooperative Work (CSCW) und • Methoden der Qualitätssicherung nach (DIN EN ISO 9000, 2005). Verbesserungspotential in Entwicklung und Konstruktion Besondere Bedeutung kommt dem Produktdatenmanagement bei der Beseitigung von Schwachstellen in den Funktionsbereichen Entwicklung und Konstruktion (E/K) zu. Der Grund hierfür liegt in der Bedeutung dieser Unternehmensfunktionen für den gesamten Produktentwicklungsprozess. Sie ist durch folgende Aspekte gekennzeichnet (Ruland, Berkel, & Hübel, 1990): • ein hoher Anteil der E/K-Tätigkeit an der Gesamtdurchlaufzeit eines Produkts, • ein hoher Anteil der E/K-Informationsmenge am gesamten Informationsvolumen, • ein starker Einfluss der E/K auf nachfolgende Funktionsbereiche und • die hohe Kostenverantwortung der E/K. Hieraus wird deutlich, dass von den Bereichen Entwicklung und Konstruktion sowohl die Gesamtkosten als auch die Produktanlaufzeit entscheidend beeinflusst werden (siehe Abbildung 2-4). 10 10 2 Bedeutung des Produktdatenmanagements Kosten [%] 100 90 80 Verursachte Kosten (VK) 70 Festgelegte Kosten (FK) 60 50 Summe VK 40 Summe FK 30 20 10 Entwicklung/ Konstruktion Arbeitsvorbereitung Einkauf Fertigung Vertrieb Abbildung 2-4: Kostenverursachung und –beeinflussung (Eigner, Hiller, Schindewolf, & Schmich, 1991) 2.1.2 Schwachstellen in Entwicklung und Konstruktion Hauptproblem ist in vielen Fällen das wiederholte Erzeugen von Grunddaten statt einer Nutzung bereits bestehender Lösungen. Die konsequente Wiederverwendung von Wiederholteilen wie Normteilen, Katalogteilen oder Werknormteilen bzw. von firmenspezifischen Standardlösungen bei der Produktentwicklung ist jedoch Grundvoraussetzung für eine Verkürzung der Entwicklungszeit, die Senkung der Herstellungskosten und eine Reduktion der Variantenvielfalt. Stattdessen werden identische oder ähnliche Teile oft mehrfach konstruiert und freigegeben. Durch solche unnötigen Mehrfachkonstruktionen entstehen nicht nur vermeidbare Kosten durch die quasi redundanten E/K-Zeiten, sondern ebenso auch Mehrkosten in den nachgelagerten Funktionsbereichen wie Arbeitsvorbereitung, Fertigung, Lagerhaltung etc. Ein weiteres Problem besteht in dem immer stärker wachsenden Anteil administrativer Tätigkeiten in den Abteilungen Entwicklung und Konstruktion. Unter administrativen Tätigkeiten sind in diesem Zusammenhang Vorgänge wie • suchen, • informieren oder • dokumentieren zu verstehen. Insbesondere die Suche nach bereits erstellten Dokumenten, Zeichnungen oder auch Dateien nimmt einen sich stetig vergrößernden Anteil an Arbeitszeit in Anspruch, die für die Entwicklung bzw. Konstruktion neuer Produkte zusätzlich einzuplanen ist. Eine nicht unerhebliche Verlängerung der Entwicklungsphase ist die Folge. Ein drittes Problem stellen Fehler in organisatorischen Abläufen im Unternehmen dar. Diese Abläufe, zu denen unter anderem die Freigabe oder Änderung von Dokumenten, die Privilegiensteuerung, das elektronische Abzeichnen von Dokumenten sowie die Unterlagen- und Informationsverteilung zählen, bergen stets ein großes Fehlerpotential in sich. Die 11 Bedeutung des Produktdatenmanagements 2 Nichtbeachtung organisatorischer Vorgaben führt hier sehr schnell zu Fehlern und Inkonsistenzen, die nur unter erheblichem zeitlichem und damit finanziellem Aufwand wieder behoben werden können. 2.1.3 Ursachen der Probleme in Entwicklung und Konstruktion Ein Grund für die bisher genannten Probleme ist die fehlende Strukturierung der Datenhaltung. Derzeit wird die Verwaltung von konstruktionsrelevanten Informationen überwiegend konventionell und isoliert gehandhabt, d. h. als Papierunterlagen, als Textinformation in CAD-Dokumenten oder rechnerintern, aber getrennt von Geometrie- oder Strukturdaten. Direkte Folgen dieser Situation sind: • ein schwieriges Wiederauffinden einmal erzeugter Daten, • die erschwerte erneute Nutzung und Weiterverarbeitung der Daten, • ein mehrfaches Ablegen gleicher oder ähnlicher Daten (Redundanz) und • Inkonsistenzen in der Dokumenten- bzw. Datenverwaltung. Ein weiterer Grund für die Schwierigkeiten, die sich aus dem weit reichenden Einsatz von CAxSystemen ergeben, ist die fehlende DV-technische Festlegung von technischen Abläufen wie z. B. dem Freigabe- und Änderungswesen. Die heutigen Abläufe innerhalb der Entwicklung und Konstruktion bieten aufgrund der genannten Schwachstellen ein umfangreiches Rationalisierungspotential. Durch eine strukturierte Datenhaltung liefern Produktdatenmanagementsysteme die Voraussetzungen für eine effizientere Organisation von Entwicklung und Konstruktion. 2.1.4 Probleme durch den Einsatz von CAx-Systemen Neben der Existenz genereller Schwachstellen in den Funktionsbereichen Entwicklung und Konstruktion stellt der umfassende Einsatz rechnerunterstützter Systeme während des gesamten Produktentwicklungsprozesses und den damit verbundenen Schwierigkeiten eine weitere Notwendigkeit für das Management von Produktdaten dar. Der Einsatz von CAx-Techniken besonders im Entwicklungs- und Konstruktionsbereich ist heute vielfach unumgänglich geworden. Gründe hierfür sind im Wesentlichen der Zwang zu einer erhöhten Anpassungsfähigkeit und einer schnellen Reaktionsfähigkeit auf wechselnde Anforderungen der Kunden sowie die Notwendigkeit zur Automatisierung und Rationalisierung. Die derzeitige Situation bezüglich der Datenverarbeitung im Produktentwicklungsprozess ist in vielen Betrieben durch folgende Merkmale gekennzeichnet: Der verstärkte Einsatz von CAx-Systemen hat zu einer quantitativen und qualitativen Vergrößerung des Informationsvolumens geführt. Die zugehörigen Daten werden in der Regel systemspezifisch erstellt, gespeichert und verwaltet (Insellösungen). Aus der oben beschriebenen Situation im Bereich der Datenverarbeitung im Produktentwicklungsprozess ergibt sich eine Reihe von Problemen: • unübersichtliche Informations- und Datenmenge, • mehrfache Verwaltung gleicher Daten (Redundanz), • Inkonsistenzen durch unabgeglichene Speicherung von Daten, 12 12 2 Bedeutung des Produktdatenmanagements • schwierige parallele Nutzung der Daten und eine • schwierige Weiterverarbeitung der Daten. Eine parallele Nutzung von Produktdaten ist besonders innerhalb des Bereichs Entwicklung und Konstruktion von Bedeutung. Diese Bereiche sind durch folgende Tätigkeiten gekennzeichnet: • Informationsbeschaffung (aus Katalogen, Datenbanken etc.), • Konzeption (nach Methoden und Richtlinien), • Modellierung (im 3D-CAD-System), • Zeichnungserstellung (im 2D-CAD-System), • Berechnung (z. B. Auslegungsrechnung), • Simulation (durch spezielle Simulationsprogramme) und • Dokumentation (z. B. mittels Textverarbeitung). Für eine beschleunigte Produktentwicklung müssen diese Aktivitäten gleichzeitig bzw. in Abhängigkeit voneinander ablaufen können, wobei der gemeinsamen Nutzung der Daten eine besondere Bedeutung zukommt. Die Weiterverarbeitung von Produktdaten in so genannten Prozessketten spielt eine besondere Rolle bei der Datenübergabe von einem Funktionsbereich zum Nachfolgenden, wie beispielsweise bei der Weitergabe von Konstruktionsdaten an die Fertigungsvorbereitung. Eine unmittelbare Nutzung der Daten des Vorgängerbereichs führt zu einer erheblichen Aufwandsminderung und damit zu einer Verkürzung der Durchlaufzeit. Beispiel hierfür ist die Nutzung von CAD-Daten für die NC-Programmerstellung, die Arbeitsplanerstellung oder für die Produktionsplanung sowie –steuerung (PPS). Die genannten Probleme wirken sich in besonderem Maße nachteilig auf die Effizienz der Produktentwicklung sowie die nachgelagerten Bereiche, wie z. B. die Fertigungsvorbereitung aus. 2.1.5 Ursachen für die Probleme bei der Nutzung von CAx-Systemen Hauptursachen für die durch den Einsatz von CAx-Systemen entstehenden Probleme sind: • die isolierte Verwaltung der Produktdaten, • keine einheitliche Produktdatenbeschreibung sowie • inkompatible Hard- und Software der Systeme. Eine effiziente Nutzung der aus dem verstärkten Rechnereinsatz resultierenden Daten und Informationen kann nur dann sichergestellt werden, wenn diese in einem einheitlichen und durchgehenden Integrierten Produktmodell gespeichert werden. Langfristig kann die Verwaltung des immer größer werdenden Informationsvolumens jedoch nur über ein Produktdatenmanagementsystem erfolgen. 2.2 Methoden des Entwicklungsmanagements Als Methoden des Entwicklungsmanagements werden alle zielgerichtete Verfahren und Hilfsmittel bezeichnet, die dazu dienen, die Entwicklung von Produkten effizienter zu gestalten (Eigner, Hiller, Schindewolf, & Schmich, 1991). Das Management von Produktdaten an sich stellt bereits eine Form des Entwicklungsmanagements dar. Im Rahmen der Produktentwicklung werden jedoch weitergehende Methoden und Maßnahmen angewandt, die auf die Existenz von technischen 13 Bedeutung des Produktdatenmanagements 2 Informationssystemen zur Verwaltung der Produkt- bzw. Prozessdaten angewiesen sind. Zu diesen Methoden zählen: • Simultaneous Engineering (SE), • Concurrent Design (CD) und • Computer Supported Cooperative Work (CSCW). Gemeinsames Ziel der genannten Methoden ist eine verbesserte Produktentwicklung durch verstärkte Kooperation in Form von Teamarbeit. Die wichtigsten Kennzeichen dieser Methoden werden im Folgenden kurz beschrieben. 2.2.1 Simultaneous Engineering (SE) Simultaneous Engineering ist eine Methode der Produktentwicklung, die wie folgt definiert werden kann: "Simultaneous Engineering ist das weitgehend gleichzeitige Entwickeln von Produkt und Produktionseinrichtung unter weitgehender Einbeziehung von Zulieferern und Systemherstellern." (Eversheim, Simultaneous Engineering - eine organisatorische Chance, 1989) Anforderungsmodellierung Konzeption Entwurf und Detailierung Optimierung NC-Programmierung Ablauf beim Simultaneous Engineering Anforderungsmodellierung Konzeption Entwurf und Detailierung Optimierung NC-Programmierung Produktmodell Produktmodell HERSTELLUNG AUFTRAG Konventioneller Ablauf Zeitvorteil Abbildung 2-5: Zeitvorteil durch Simultaneous Engineering HERSTELLUNG Grundprinzip ist hierbei eine weitgehende Parallelisierung derjenigen Tätigkeiten, die bei der Neuentwicklung eines Produkts im traditionellen Stil stets sequentiell durchgeführt werden. Die konventionelle Produktentwicklung besteht hierbei aus den Bereichen: Anforderungsmodellierung, Konzeption, Entwurf und Detaillierung, Optimierung und NC-Programmierung (vgl. Abbildung 2-5). Detaillierte Anforderungen an ein neu zu entwickelndes Produkt liegen in der Regel nicht vollständig vor. Viele notwendige Details kristallisieren sich erst im Laufe der weiteren Entwicklungstätigkeit heraus und resultieren in Änderungsanforderungen, die im Nachhinein in die Planung eingebracht werden müssen. Eine iterative Produktentwicklung in dieser Form erfordert das mehrfache Durchlaufen von Entwicklungsschritten und führt bei einem sequentiellen Durchlauf der Entwicklungsstationen zu erheblich verlängerten Durchlaufzeiten im Produktentwicklungsprozess. 14 14 2 Bedeutung des Produktdatenmanagements Zusammengefasst ergeben sich durch die traditionelle Vorgehensweise bei der Produktentwicklung folgende Probleme: • lange Produktentwicklungszeiten, • erhöhte Kosten durch umfangreiche Änderungen und • eine verbesserbare Produktqualität infolge mangelnder Absprachen. Ziel des Simultaneous Engineering ist es, die genannten Probleme durch organisatorische Maßnahmen sowie den Einsatz von DV-Techniken zu lösen. Wesentliches Element hierbei ist eine systematisch überlappende Arbeitsweise in den der Produktion vorgelagerten Bereichen wie Entwicklung, Konstruktion und Fertigungsplanung. 2.2.2 Concurrent Design (CD) Im englischen Sprachraum ist auch die Bezeichnung Concurrent-Engineering gebräuchlich. Die Society for Concurrent Product Development definiert Concurrent Engineering wie folgt: “Concurrent –Engineering ist ein systematischer Ansatz zur integrierten, überlappenden Planung eines Produktes und der zugehörigen Prozesse. Dieser Ansatz soll die Entwickler von Anfang an dazu anhalten, sämtliche Phasen des Produktlebenslaufes von der Konzeption bis zur Entsorgung zu berücksichtigen.“ (Society of Concurrent Product Development) Beim Concurrent Design wird angestrebt, dass die Anforderungen aller an der Produktentwicklung beteiligten Unternehmensfunktionen frühzeitig in die Konzeption eines Produktes eingebunden werden. Die Produktionseinrichtungen zur Herstellung des Produktes werden parallel zum Konstruktionsprozess geplant. Durch die hierbei erwirkte Verlängerung der Konzeptionsphase können viele Produktänderungen bereits vor einer Konstruktionsfreigabe umgesetzt werden. Das wesentliche Unterscheidungsmerkmal zwischen Simultaneous Engineering und Concurrent Design ist aber, dass beim Simultaneous Engineering die Parallelisierung der Prozess-Schritte in der Produktentwicklung im Vordergrund steht und beim Concurrent Design die Aufgliederung eines Produktes in der Entwicklung in Teilaufgaben erfolgt, die dann parallel bearbeitet werden. Beim Concurrent Design werden für die einzelnen Teilaufgaben der Entwicklung Bauräume definiert und Schnittstellen zu den anderen Teilaufgaben festgelegt. Die Teilaufgabe kann von einem Team geschlossen bearbeitet werden und später mit den anderen Teillösungen zu einer Gesamtlösung zusammengeführt werden. Umfangreiche Iterationen des Entwicklungsprozesses können somit vermieden werden und der Kostenaufwand für nachträgliche Änderungen wird umgangen. 15 Bedeutung des Produktdatenmanagements 2 Abbildung 2-6: Concurrent Design (Schmidt, 1993) Folge des veränderten Ablaufs ist eine Reduktion der benötigten Iterationen und hierdurch sowie durch eine Parallelisierung der Abläufe bei der Produktentwicklung und der Produktionsmittelplanung eine Verkürzung der Gesamtzeit bis zum Produktionsanlauf. Die Produktfreigabe und die Kostenfestlegung erfolgen zu einem bedeutend späteren Zeitpunkt, so dass geänderte Anforderungen wesentlich länger ohne erhöhten Kostenaufwand berücksichtigt werden können. Durch die Zusammenarbeit der einzelnen Abteilungen, insbesondere der Konstruktion und der Produktionsmittelplanung, entstehen schließlich ausgereiftere und qualitativ hochwertigere Produkte (Eversheim, Simultaneous Engineering - eine organisatorische Chance, 1989). 2.2.3 Computer Supported Cooperative Work (CSCW) Mit zunehmender Komplexität neuer Produkte und dem Zwang zu einer Verkürzung der Produktentwicklungszeit wächst die Notwendigkeit zu einer verstärkten Kooperation bei der Produktentwicklung. Die Einführung von Telekommunikation verbessert die Produktivität im Hinblick auf Verkürzung der Durchlaufzeiten, Steigerung der Planungssicherheit und Verbesserung des Qualitätsmanamgements (Hertel & Konradt, 2007). Im Simultaneous Engineering werden unter anderem synchrone Datenzugriffe und Konferenzmechanismen benötigt, wie sie mit Computer Supported Cooperative Work (CSCW) bereitgestellt werden. CSCW wird wie folgt definiert: "CSCW is a generic term which combines the understanding of the way people work in groups with the enabling technologies of computer networking, and associated hardware, software, services and techniques." (Wilson, 1991) 16 16 2 Bedeutung des Produktdatenmanagements Abbildung 2-7: Das 3K-Modell [KUBE08] Die meisten CSCW-Systeme sind „K-orientiert“, d. h., dass je nach Intensitätsgrad der Zusammenarbeit innerhalb einer Gruppe zwischen Kommunikation, Kooperation und Koordination unterschieden werden kann (Borghoff & Schlichter, 1998). Teufel (Teufel, Sauter, Mühlherr, & Bauknecht, 1995) klassifiziert demnach CSCW-Systeme gemäß dem Grad ihrer Unterstützung für diese drei Klassifikationsmerkmale (siehe Abbildung 2-7). Die Basis für eine rechnergestützte Zusammenarbeit bilden zum einen entsprechende Verbindungen der teilnehmenden Rechnersysteme bzw. der vernetzten Rechnerumgebungen, zum anderen ist bei allen Teilnehmern eine organisierte Verwaltung gemeinsam zu nutzender Produktdaten erforderlich. Kennzeichnend für die CSCW-Werkzeuge ist die Nutzung des Potentials der (weltweit) verteilten Rechnersysteme, denn es wird die Kommunikation zwischen den Teilnehmern mittels Audio- und Videotechniken bis hin zur Virtual Reality1 unterstützt. Bei den CSCW-Anwendungen wird hierbei noch prinzipiell zwischen zwei Typen unterschieden: • Aware Applications und • Unaware Applications. Unter Aware Applications versteht man solche Anwendungen, die von vornherein als CSCWAnwendungen bekannt sind; d. h. sie „wissen“, dass sie verteilt genutzt werden. Bei derartigen Anwendungen können alle Teilnehmer zeitgleich gemeinsam an einer Aufgabe arbeiten (Multi Input Mode); das jeweilige Eingaberecht wird durch die Anwendung selbst gesteuert. Unaware Applications „wissen“ hingegen nicht, dass sie von verschiedenen Teilnehmern genutzt werden. In diesem Fall kann jeweils nur immer ein einziger Benutzer aktiv mit der Anwendung arbeiten, alle anderen Teilnehmer können zeitgleich diese Aktivitäten lediglich mitverfolgen (Single Input Mode). Das Eingaberecht sowie die Verteilung der Sichten muss hier durch ein Konferenzsystem gesteuert werden. 1 Virtual Reality: Technik, die durch die Anwendung von Rechnern, Videotechniken und z.B. Datenhandschuh die simulierte und ungehinderte Bewegung in einer real nicht existierenden Umgebung ermöglicht. 17 Bedeutung des Produktdatenmanagements 2 Im Folgenden werden kurz einige Beispiele für CSCW-Tools samt ihrer wichtigsten Kennzeichen beschrieben: Distributed Sketch Pad Hierbei handelt es sich um einen verteilten graphischen Editor, der zur gemeinsamen Bearbeitung von Bildern in einer Telekonferenz dient. • Präsentationen und Diskussionen können in Echtzeit durchgeführt werden. • Jeder Teilnehmer sieht sowohl das aktuell geladene Bild als auch die Skizzen bzw. Anmerkungen aller anderen Partner. • Jedem Teilnehmer sind eine „Folie“ auf dem Bildschirm sowie eine eindeutige Zeichenfarbe zugeordnet. • Kennzeichnend ist die Möglichkeit der Erzeugung und Freihandzeichnungen mit einem Schreibstift (z. B. über Tablett). Manipulation von Telefon-, Text- oder Video-Konferenzen Dienen dazu, Teilnehmern zu ermöglichen, unabhängig von der Entfernung synchron zu kommunizieren. • Stand alone Systeme: Sie zeichnen sich durch hohe Bildqualität und schnelle Datenübertragung (dadurch hohe Frameraten - ruckelfrei) aus. Die Nachteile sind hohe Investitionskosten und es werden i.d.R. gesonderte Räumlichkeiten benötigt. Beispiele sind Geräte der Firmen: Sony, Polycom und Tandberg. • Software Tools: Interaktive Textkommunikation am Bildschirm für Gruppen beliebiger Größe und gemeinsames Arbeiten an Dokumenten. Integriert sind größtenteils Videoübertragungen. Der Vorteil ist, dass diese SW-Tools in den Arbeitsplatz integriert sind. Beispiele sind sämtliche herunterladbare Anwendungen wie Skype, AOL Messenger, MSNMessenger oder Yahoo Messenger. Distributed 3D-Viewer • Der 3D-Viewer dient der Visualisierung von 3D-CAD-Modellen (z. B. über IGES- oder STEPDaten) in einer Telekonferenz. • Er dient z. B. Berechnungsingenieuren, Konstrukteuren und Designern als Diskussionshilfe. • Änderungen der Betrachtungsparameter (Verschiebung, Rotation, Skalierung, Beleuchtung) werden simultan an alle Benutzerbildschirme übertragen. • Eingabegeräte können neben Maus oder Trackball auch Spaceball oder Dataglove (Datenhandschuh) sein. Shared Windows (Microsoft Network) • Dient dazu, die Bildschirmausgaben von einzelnen Anwendungen zu allen Teilnehmern einer Konferenz zu kopieren. • Die Eingabemöglichkeit kann zwischen den Teilnehmern umgeschaltet werden. • Teilnehmer können synchron arbeiten und können gleichzeitig veränderte Daten abspeichern. 18 18 2 Bedeutung des Produktdatenmanagements Multimedia Mail • Dient der Zusammenstellung, Übertragung und Ansicht von multimedialen Nachrichten. • Diese Form der E-Mail kann neben Text auch Informationen aus dem Audio- oder Videobereich enthalten. Trotz des geringen monetären Aufwands werden virtuelle Meetings in einem unternehmensübergreifenden Umfeld nur selten durchgeführt. Die Ursachen dafür liegen neben den organisatorischen Restriktionen in den Bereichen Datensicherheit, Ergonomie sowie Integration der Werkzeuge in die informationstechnischen Infrastrukturen der Unternehmen (Krause, Franke, & Gausemeier, 2007). 2.3 Produkthaftung und Qualitätssicherung Alle bisher genannten Gründe für den Einsatz von Produktdatenmanagementsystemen ergeben sich im Wesentlichen aus den Bedürfnissen der Unternehmen bezüglich möglichen Verbesserungen im Produktentwicklungsprozess, die eine Verkürzung der Produktentwicklungszeit bzw. eine Reduktion der anfallenden Kosten zum Ziel haben. Einen anderen wichtigen Grund stellen rechtliche Gesichtspunkte bezüglich der Produkthaftung bzw. die damit verbundenen Aspekte der Qualitätssicherung (QS) dar. Produkthaftung ist ein Sammelbegriff zur Kennzeichnung des Haftungsrechts, das an Mängel eines Produkts anknüpft und sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene durch Normen bzw. Gesetze festgelegt und definiert ist. Generell wird in Deutschland zwischen der vertraglichen und der deliktischen Haftung unterschieden (Weule & Cuntze, 1992). Vertragliche Haftung heißt, dass der Hersteller eines Produkts dem Käufer (Vertragspartner) gegenüber für Mängel an der gelieferten Ware vertraglich haftet. Diese Art der Haftung bezieht sich auf Sachschäden, die sowohl verschuldensabhängig als auch verschuldensunabhängig sein können (Verschulden = Vorsatz oder Fahrlässigkeit des Herstellers). Deliktische Haftung, d. h. die Haftung gegenüber Nichtvertragspartnern, besagt, dass der Hersteller dafür zu sorgen hat, dass seine Produkte stets ausreichend sicher sind. Für Schäden, die verschuldensunabhängig infolge von Mängeln am Produkt an Personen oder überwiegend privat genutzten Dingen entstehen, haftet der Hersteller. Seit 1990 wird in Deutschland für Schäden durch fehlerhafte Produkte verschuldensunabhängig gehaftet. Mit der entsprechenden Gesetzesinitiative wurde die EG-Richtlinie 85/374 bezüglich der Produkthaftung in deutsches Recht umgesetzt. Das neue Gesetz verschärft die ohnehin schon vorhandene Produzentenhaftung aus dem BGB § 823. Auszug aus dem Produkthaftungsgesetz von 1990 (ProdHaftG): "§1 Abs.1: Wird durch einen Fehler eines Produkts jemand getötet, sein Körper oder seine Gesundheit verletzt oder eine Sache beschädigt, so ist der Hersteller des Produkts verpflichtet, dem Geschädigten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. ... Die Ersatzpflicht des Herstellers ist ausgeschlossen, wenn ... nach den Umständen davon auszugehen ist, dass das Produkt den Fehler, der den Schaden verursacht hat, noch nicht hatte, als der Hersteller es in den Verkehr brachte, oder ... der Fehler nach dem Stand der Wissenschaft und Technik zu dem Zeitpunkt ... nicht erkannt werden konnte. ... 19 Bedeutung des Produktdatenmanagements 2 §13 Abs.1: Der Anspruch nach §1 erlischt zehn Jahre nach dem Zeitpunkt, zu dem der Hersteller das Produkt, das den Schaden verursacht hat, in den Verkehr gebracht hat." Dieses Gesetz hat zur Folge, dass Hersteller prinzipiell auch ohne eigenes Verschulden für Schäden haften müssen, die durch etwaige Fehler oder Sicherheitsmängel ihrer Produkte verursacht wurden. Diese Rechtslage verpflichtet ferner nicht nur alle Hersteller, sondern verstärkt auch die Zulieferer und den Handel dazu, sämtliche produktrelevanten Unterlagen aus ihrem jeweiligen Verantwortungsbereich über mindestens zehn Jahre hinweg lückenlos und dokumentenecht zu archivieren. Auch kehrt es die bis dahin gängige Beweispflicht im Schadensfall nun zugunsten des Verbrauchers und zum Nachteil der Hersteller, Zulieferer und des Handels um. Auch beim Produkthaftungsgesetz existieren wie bei eigentlich allen Gesetzen Entlastungstatbestände, die die Haftung des Herstellers ausschließen können. Dies gilt z. B., wenn davon auszugehen ist, dass das Produkt den Fehler, der den Schaden verursacht hat, noch nicht zu dem Zeitpunkt hatte, als der Hersteller es in den Verkehr brachte, oder der Fehler zu diesem Zeitpunkt nach dem Stand der Technik nicht erkannt werden konnte. Dies macht deutlich, dass nur eine gewissenhafte Dokumentation und Archivierung sämtlicher produktrelevanter Unterlagen eine ungerechtfertigte Schadensersatzhaftung ausschließen kann. Das größer gewordene Haftungsrisiko zwingt jetzt letztlich alle Unternehmen dazu, nicht nur ihre bisherige Dokumentations- und Archivierungstechnik neu zu überdenken, sondern auch ihre bisher verfolgte Qualitätssicherungspolitik zu ändern bzw. zu verschärfen (Samel, 1993). Als Mittel zur Risikominderung bezüglich der Produkthaftung gewinnen dokumentierte Qualitätssicherungssysteme immer mehr an Bedeutung. Sie stellen die Aufbau- und Ablauforganisation eines Unternehmens für den übergreifenden Funktionsbereich der Qualitätssicherung dar. Die Bedeutung einer dokumentierten Qualitätssicherung zeigt sich auch darin, dass Vertragsabschlüsse zwischen einzelnen Unternehmen und Zulieferern vielfach nur noch nach vorheriger Zertifizierung der jeweiligen QSSysteme durch autorisierte Prüfer und Vorlage der unternehmensspezifischen QS-Handbücher erfolgen. Internationale Grundlage von QS-Systemen stellen die Normen ISO 9000, 9001 und 9004 dar, die gleichzeitig als europäische EN-Normen bzw. DIN-Normen Gültigkeit haben (Pfeifer, 2001). Sie definieren unterschiedliche Modelle, an denen sich Vertragspartner bei der Ausgestaltung von QSSystemen orientieren können: DIN EN ISO 9000: Qualitätsmanagementsysteme – Grundlagen und Begriffe Diese Norm dient der Unterstützung bei der Einführung und dem Arbeiten mit Qualitätsmanagementsystemen. Sie beschreibt die Grundlagen der QM-Systeme und definiert Begriffe des Qualitätsmanagements (DIN EN ISO 9000, 2005). DIN EN ISO 9001: Qualitätsmanagementsysteme – Anforderungen Diese Norm legt die Anforderungen an die Gestaltung von QM-Systemen fest und beinhaltet die wesentlichen Inhalte für die normkonforme Darlegung von QM-Systemen. Diese bildet die Grundlage für die Zertifizierung (DIN EN ISO 9001, 2008). ISO 9004: Qualitätsmanagementsyteme – Leitfaden zur Leistungsverbesserung 20 20 2 Bedeutung des Produktdatenmanagements Diese Norm enthält basierend auf den Grundlagen von DIN EN ISO 9001 einen Qualitätsmanagementansatz zur nachhaltig erfolgreichen Leitung und Lenkung einer Organisation (DIN EN ISO 9004). Aufgrund der Vielfalt der Unternehmen kann es kein 'normiertes' QS-System geben. Die genannten Normen bieten daher auch keine speziellen Lösungen für bestimmte QS-Systeme an, sondern definieren lediglich die Anforderungen an das aufzubauende System; sie legen Bereiche fest, für die ein Vorhandensein von Arbeitsregeln und deren Überwachung sicherzustellen ist. Die Norm ISO 9001 als das umfassendste QS-Modell enthält Vorgaben und Empfehlungen zu folgenden Punkten: • Verantwortung der Unternehmensleitung, • Allgemeines zum Qualitätssicherungssystem, • Vertragsüberprüfung, • Lenkung der Produktentwicklung, • Lenkung der Dokumente, • Beschaffung, Einkauf, • Produkte, die dem Lieferanten bereitgestellt werden, • Identifikation und Rückverfolgbarkeit von Produkten, • Lenkung der Prozesse in Produktion und Montage, • Prüfung von Produkten, • Anforderungen an Prüfmittel, • Kennzeichnung des Prüfstatus, • Lenkung fehlerhafter Produkte, • Korrekturmaßnahmen bei auftretenden Fehlern, • Handhabung, Lagerung, Verpackung, Versand, • Qualitätsaufzeichnungen, • interne Qualitätsaudits, • Schulung von Mitarbeitern, • Kundendienst und • Statistische Methoden. Die Bedeutung des Produktdatenmanagements in Verbindung mit qualitätssichernden Maßnahmen ergibt sich im Besonderen aus Abschnitt 4.2 "Dokumentationsanforderungen". In diesem Abschnitt werden Forderungen spezifiziert, die die Vorgehensweisen bei der Genehmigung und Herausgabe sowie bei der Änderung bzw. Modifikation von Dokumenten betreffen. ISO 9001, Absatz 4.2.3 Lenkung von Dokumenten: "… Ein dokumentiertes Verfahren zur Festlegung der erforderlichen Lenkungsmaßnahmen muss eingeführt werden, um a) Dokumente bezüglich ihrer Angemessenheit vor ihrer Herausgabe zu genehmigen,… 21 Bedeutung des Produktdatenmanagements 2 c) sicherzustellen, dass Änderungen und der aktuelle Überarbeitungsstatus von Dokumenten gekennzeichnet werden,… g) die unbeabsichtigte Verwendung veralteter Dokumente zu verhindern und diese in geeigneter Weise zu kennzeichnen, falls sie aus irgendeinem Grund aufbewahrt werden." Die Schaffung einer Dokumentationsumgebung, mit der diese Anforderungen sowie die nationalen und internationalen Bestimmungen bezüglich der Produkthaftung erfüllt werden können, stellt eine weitere wichtige Aufgabe eines Produktdatenmanagementsystems dar. 2.4 Ziele des Produktdatenmanagements Das Produktdatenmanagement verfolgt drei Ziele: • Erhöhung der Produktqualität, • Reduzierung der Produktentstehungskosten (bzw. Einhaltung des Kostenrahmens für die Produktentstehung) und • Verringerung der Produktentstehungszeit. Zur Durchsetzung dieser Ziele trägt das Produktdatenmanagement mit Verbesserungen in folgenden Teilbereichen bei: • Innerbetriebliche Integration, • Verwaltung von Produktdaten, • Zugriff auf Produktdaten, • Sicherung von Produktdaten und • Innerbetriebliche Organisation. Um die genannten Ziele zu erreichen, müssen entsprechende Maßnahmen innerhalb dieser Teilbereiche ergriffen werden (Scheer, Boczanski, Muth, Schmitz, & Segelbacher, 2006). 2.4.1 Innerbetriebliche Integration Das übergeordnete Ziel des Produktdatenmangements ist die Integration von DV-technischen Teilbzw. Insellösungen (vgl. Kap.2.1.4). In diesem Zusammenhang muss zwischen drei verschiedenen Integrationsebenen unterschieden werden: • Integration innerhalb von Entwicklung und Konstruktion, • Integration innerhalb des betrieblichen Ablaufs und • Integration zwischen Hersteller und Zulieferer. Die Integration innerhalb der Funktionsbereiche Entwicklung und Konstruktion bezieht sich auf die unterschiedlichen Tätigkeiten während der konstruktiven Phase der Produktentwicklung (Konzeption, Modellierung, Zeichnungserstellung, Berechnung, Simulation, Dokumentation etc.), die heute üblicherweise rechnerunterstützt durchgeführt werden. Aufgrund von Datenaustauschproblemen und Medienbrüchen (d. h. digitale Daten werden in Form von Papierdokumenten ausgegeben und zur weiteren Verarbeitung wieder eingegeben) zwischen eingesetzten Systemen können diese Tätigkeiten nicht integriert durchgeführt werden. Die Folge sind erhebliche Effizienzverluste. 22 22 2 Bedeutung des Produktdatenmanagements Die zweite Integrationsstufe umfasst die Integration derjenigen CAx-Systeme, die entlang der Prozesskette eingesetzt werden. Hierbei besteht das Ziel darin, die in Entwicklung und Konstruktion generierten und erfassten Geometrie-, Technologie- oder auch organisatorischen Daten für weitere planende oder herstellende Produktionsphasen systemtechnisch bereitzustellen. Erforderlich hierfür ist die informationstechnische Verknüpfung aller an der Produktentwicklung beteiligten Unternehmensfunktionen wie Angebotsbearbeitung, Entwicklung, Konstruktion, Fertigungsplanung, Montage und auch der Qualitätssicherung. Die damit verbundene Kopplung von CAx-Systemen durch ein Produktdatenmanagementsystem kann unterschiedliche Integrationsgrade aufweisen, wobei der erreichbare Grad im Wesentlichen von den verfügbaren Kommunikationsmechanismen auf Betriebssystemebene und von der Architektur der jeweiligen CAx-Systeme bestimmt wird. Den einfachsten Fall stellt eine rein administrative Verwaltung von Metadaten2 ohne direkte Systemverbindungen dar; der höchste Kopplungsgrad erlaubt eine weitgehend automatische und synchronisierte Übertragung von Daten und Dateien zwischen den CAx-Systemen und dem eingesetzten Produktdatenmanagementsystem. Konkretes Ziel des Produktdatenmanagements innerhalb dieser Integrationsstufe ist ein vereinfachter Datenaustausch im Unternehmen. Dadurch wird eine vollständige Automatisierung des Informationsflusses vom Konzept bis zum fertigen Produkt angestrebt. Die dritte Form der Integration stellt diejenige zwischen Hersteller und Zulieferer dar. Hier muss durch das Informationssystem im Wesentlichen ein verlustfreier Datenaustausch über standardisierte Schnittstellen wie IGES oder STEP garantiert werden. Bei dieser Form der Integration sind aber nicht nur technologische Aspekte zu berücksichtigen, sondern es sind vielmehr eine Reihe weitgehender Regeln der Datenverfügbarkeit, der Datensicherheit, der Datenverantwortung, der Speicherung oder der Dokumentationsform vertraglich zu fixieren. Alle genannten Formen der Integration können durch die Nutzung eines Produktdatenmanagementsystems zur Datenhaltung und -verteilung wirkungsvoll unterstützt werden. Darüber hinaus wird eine vollständige Integration durch die Einführung eines für alle beteiligten Systeme einheitlichen Produktmodells, was eine gemeinsame Nutzung aller Produktdaten ermöglicht, angestrebt. 2.4.2 Verwaltung von Produktdaten Eine der Grundfunktionen von Produktdatenmanagementsystemen ist das Speichern und Verwalten von Produkt- und Entwicklungsinformationen. Hierbei kann es sich sowohl um produktspezifische Informationen handeln (Daten des Produktmodells) als auch um firmenspezifisches Wissen oder allgemein verfügbare Daten (Entwicklungsinformationen). Unter die Gruppe der produktspezifischen Informationen fallen Informationen wie: 2 • 3D-CAD-Modelle, • 2D-Zeichungsdaten, • Stücklisten, Metadaten: Informationen, die den prinzipiellen Aufbau eines Dokumentes und das Schema für die strukturierte digitale Abbildung seines Inhaltes beschreiben (Art des Dokumentes, Aufbewahrungsort etc.) 23 Bedeutung des Produktdatenmanagements 2 • FEM-Modelle, • NC-Daten, • Analysen, • Berechnungsergebnisse, • Arbeitspläne, • Fertigungshinweise, • Technische Dokumente, • Varianteninformationen, • Angebotstexte und • Referenzen auf konventionell erstellte Dokumente. Firmenwissen umfasst unter anderem folgende Informationen: • Wiederholteile, • Gestaltungsvorschriften, • Maschinen- und Werkzeugdaten, • Termin- und Kapazitätsdaten, • Kosteninformationen und • organisatorische Daten. Allgemein verfügbare Informationen sind: • Norm- und Katalogteile, • technologische Daten oder • physikalische Daten. Die Bedeutung der Verwaltungsfunktion resultiert insbesondere aus der stark gestiegenen Informationsvielfalt, welche unter anderem eine Folge des verstärkten Einsatzes von CAx-Systemen ist. Viele der produktbezogenen Daten weisen zudem komplexe Beziehungen untereinander auf (z. B. zwischen Geometriemodellen und Stamm- und Strukturdaten), wobei diese Beziehungen dynamischen Änderungen unterliegen können. Eine Datenhaltung in übersichtlicher Form, bei der auch Beziehungen zwischen Objekten berücksichtigt werden, ist daher ein wichtiges Einsatzziel von technischen Informationssystemen. Dieser Aspekt ist besonders dann von Bedeutung, wenn zusätzlich eine entwicklungsbegleitende Verwaltung von Varianten- und Entwicklungszuständen gefordert ist. Zwei weitere Ziele des Produktdatenmanagements im Bereich der Verwaltung von Produkt- und Entwicklungsinformationen stellen die Vermeidung redundanter Datenhaltung, also der mehrfachen Speicherung gleicher Daten, sowie die Sicherstellung der Datenkonsistenz dar. Die Konsistenzsicherung bezieht sich in diesem Zusammenhang zum einen auf die abgeglichene Datenhaltung der im Unternehmen verteilten Produktdaten und zum anderen auf die Konsistenz aller, das gleiche Produkt repräsentierenden Darstellungsformen (Geometriemodelle, Zeichnung, Stücklisten etc.). Das Problem der Konsistenzsicherung tritt insbesondere dann auf, wenn innerhalb desselben Unternehmens mehrere logisch getrennte Datenbanken zur Datenhaltung verwendet werden. 24 24 2 Bedeutung des Produktdatenmanagements Alle bisher genannten, durch den Einsatz von Produktdatenmanagementsystemen im Bereich der Datenverwaltung angestrebten Ziele sollen zusammengenommen die Aktualität der gespeicherten Informationen sowie deren Eindeutigkeit sicherstellen. Dies ist Grundvoraussetzung für eine effiziente Weiter- und Wiederverwendung einmal gespeicherter Daten. 2.4.3 Zugriff auf Produktdaten Neben einer optimierten Verwaltung von Produktdaten kommt den Zugriffsmöglichkeiten auf die gespeicherten Informationen eine besondere Bedeutung zu. Dies gilt im Besonderen im Hinblick auf das Ziel einer Reduktion der Variantenvielfalt durch die verstärkte Wiederverwendung standardisierter Einzelteile und Baugruppen sowie von Norm- und Kaufteilen. Hier sind geeignete Kommunikationstechniken zur Interaktion mit dem Benutzer mit dem Ziel einer vereinfachten Weiterund Wiederverwendung von gespeicherten Daten notwendig. Produktdatenmanagementsysteme unterstützen dieses Ziel unter anderem durch leistungsfähige Anfragesysteme, die es ermöglichen, archivierte Daten zielgerichtet (z. B. nach konstruktiven Kriterien) zu durchsuchen und entsprechende Geometriemodelle oder Zeichnungen selbst dann noch schnell wieder zu finden, wenn nur wenige Anhaltspunkte existieren. Klassifizierungen, Sachmerkmalleisten nach (DIN 4000-1, 1992) sowie effiziente Suchalgorithmen bilden hierfür die Grundlage. Auf diese Weise wird es den an der Produktentwicklung beteiligten Personen ermöglicht, sich schnell zu informieren und auf bestehende Lösungen zurückzugreifen. Ein wichtiges Ziel hinsichtlich des Zugriffs auf Produktdaten besteht in der Sicherstellung der uneingeschränkten Verfügbarkeit aller Informationen, die für die Produktentwicklung von Bedeutung sind, für entsprechend autorisiertes Personal. Eine besondere Bedeutung von Produktdatenmanagementsystemen liegt in ihrer Eigenschaft als zentrale Zugriffssysteme auf sämtliche Produktdaten. Sie kanalisieren die Anfragen auf die zum Produktmodell gehörenden und in vielen (auch geographisch verteilten) CAx-Systemen abgelegten Informationen und lassen so für den Benutzer den Eindruck einer einzigen Datenbasis entstehen. Eine weitere Motivation, die mit dem Einsatz von Produktdatenmanagementsystemen verbunden ist, ist eine Erleichterung des Zugriffs auf gespeicherte Informationen durch die Bereitstellung einer geeigneten Benutzeroberfläche. Wichtig ist hierbei die Integration dieser Oberfläche in die entsprechenden Anwendungen (z. B. CAD-Systeme), so dass der Anwender bei der Suche nach gespeicherten Informationen nicht gezwungen ist, eine separate Anwendung zu starten oder gar den Arbeitsplatz zu wechseln. Es muss vielmehr möglich sein, durch Auswahl eines entsprechenden Menüpunkts des jeweiligen Anwendungsprogramms das Datenverwaltungssystem zu aktivieren, Informationen zu suchen und in das aufrufende Programm zu übernehmen. 2.4.4 Schutz von Produktdaten Produktdatenmanagementsysteme bieten einen umfassenden und dabei erleichterten Zugriff auf Produkt- und Entwicklungsinformationen für viele Anwender. Gleichzeitig dienen sie aber auch dem Schutz der gespeicherten Informationen. Der Schutz kritischer Informationen vor Verlust oder Missbrauch wird bei Produktdatenmanagementsystemen durch Zugriffskontrollmechanismen und eine umfassende Privilegienverwaltung realisiert. Das Zugriffsrecht wird hierbei in Abhängigkeit vom Benutzertyp (Ersteller, Freigabepersonal etc.), dem Status der Information oder des Dokuments (in Arbeit, in Prüfung, freigegeben, in 25 Bedeutung des Produktdatenmanagements 2 Änderung) sowie der Art des Zugriffs (kein Zugriff, lesen, schreiben, löschen) geregelt. Ebenfalls unter den Bereich der Informationssicherung fällt die Archivierung von Daten durch das Produktdatenmanagementsystem selbst bzw. die sinnvolle Unterstützung einer Langzeitarchivierung im Sinne der Produkthaftungsgesetze. Eine Möglichkeit der Langzeitarchivierung besteht in der Datenablage in standardisierten Datenformaten wie z. B. STEP. Produktdatenmanagementsysteme unterstützen diese Vorgehensweise, indem sie beispielsweise ein STEP-konformes internes Datenmodell benutzen. Ein weiteres Ziel bezüglich der Sicherung von Informationen stellt die Dokumentation und Speicherung von Unternehmens-Know-how durch Produktdatenmanagementsysteme dar. Dieses Know-how kann alle Arten von Problemlösungen (Konstruktionen, Berechnungen etc.) umfassen, die im Unternehmen erarbeitet wurden und für andere Mitarbeiter oder eine spätere Wiederverwendung verfügbar bleiben sollen. 2.4.5 Verbesserung der innerbetrieblichen Organisation Organisatorische Verbesserungen im Unternehmen stellen zum einen die Grundlage für einen erfolgreichen Einsatz von Produktdatenmanagementsystemen dar, zum anderen sind sie aber auch dessen Ergebnis. Wichtigstes Ziel ist in diesem Zusammenhang eine optimale Steuerung betrieblicher Abläufe durch das Produktdatenmanagement. Eine geringere Fehleranfälligkeit sowie eine beschleunigte Durchführung von Abläufen sollen im Rahmen der Produktentstehung erreicht werden. Diese Ziele beziehen sich im Besonderen auf die Vorgänge des Prüf-, Freigabe- und Änderungswesens, die in den meisten Unternehmen mit einem beträchtlichen Aufwand verbunden sind. Produktdatenmanagementsysteme können hierzu Verbesserungen beitragen, indem sie es ermöglichen, diese Abläufe DV-technisch festzulegen und Entstehungs- bzw. Änderungsgeschichte von Bauteilen und Dokumenten detailliert zu protokollieren. Hierdurch und durch die umfassende Dokumentation, die mit dem Einsatz von Produktdatenmanagementsystemen verbunden ist, kann darüber hinaus eine erhöhte Transparenz von Unternehmensfunktionen und Entwicklungsvorgängen erreicht werden. Eine weitgehend automatisierte Informations- und Unterlagenverteilung zur Sicherstellung eines schnellen und ungehinderten Informationsflusses stellt schließlich eine weitere Motivation für die Nutzung von Technischen Informationssystemen dar. Dieser Aspekt beinhaltet im Besonderen die automatische Benachrichtigung solcher Stellen im Unternehmen, die von Zustandsänderungen (z. B. Freigaben) während der Produktentwicklung unmittelbar betroffen sind. 26 26 2 Bedeutung des Produktdatenmanagements 2.5 Literatur Borghoff, U., & Schlichter, J. (1998). Rechnergestützte Gruppenarbeit. Berlin: Springer. DIN 4000-1. (1992). Sachmerkmal-Leisten; Begriffe und Grundsätze. DIN EN ISO 9000. (2005). Qualitätsmanagementsysteme - Grundlagen und Begriffe (ISO 9000:2005). DIN EN ISO 9001. (2008). Qualitätsmanagementsysteme - Anforderungen (ISO 9001:2008). DIN EN ISO 9004. (kein Datum). Leiten und Lenken für den nachhaltigen Erfolg einer Organisation Ein Qualitätsmanagementansatz (ISO 9004:2008). Eigner, M., Hiller, C., Schindewolf, S., & Schmich. (1991). Engineering Database: Strategische Komponente in CIM-Konzepten. München: Carl Hanser Verlag. Eversheim, W. (1989). Simultaneous Engineering - eine organisatorische Chance. In VDI-Berichte Nr. 758 "Simultaneous Engineering". Düsseldorf: VDI-Verlag. Hertel, G., & Konradt, U. (2007). Telekooperation und virtuelle Teamarbeit. Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH. Krause, F.-L., Franke, H.-J., & Gausemeier, J. (2007). Innovationspotentiale in der Produktentwicklung. München, Wien: Carl Hanser. Pfeifer, T. (2001). Qualitätsmanagement - Strategien, Methoden, Techniken. München: Hanser Verlag. Ruland, Berkel, & Hübel. (1990). Datenhaltung in Entwicklung und Konstruktion. In VDI-Berichte Nr.861.3 "Datenverarbeitung in der Konstruktion". Düsseldorf: VDI-Verlag. Samel, U. (1993). Produkthaftungsgesetz und Cad-Archivierung. CAD-CAM Report. Scheer, A.-W., Boczanski, M., Muth, M., Schmitz, W.-G., & Segelbacher, U. (2006). Prozessorientiertes Product Lifecycle Management. Berlin Heidelberg New York: Springer. Schmidt, R. (1993). Concurrent Design - Verkürzung von Entwicklungszeiten. Konstruktion, S. 145151. Society of Concurrent Product Development. (kein Datum). Abgerufen am 12. 03 2004 von http://www.scpdnet.org Teufel, S., Sauter, C., Mühlherr, T., & Bauknecht, K. (1995). Computerunterstützte Gruppenarbeit. Bonn: Addison-Weseley. Weule, & Cuntze. (1992). Qualitätssicherung - Skriptum zur Vorlesung. Karlsruhe. Wilson, P. (1991). Computer supported cooperative work: an introduction. Oxford: Kluwer Academic Pub. Kurbel, Becker, Gronau, Sinz, Suhl (2008) Enzeklopädie der Wirtschaftsinformatik, http://www.enzyklopaedie-der-wirtschaftsinformatik.de, 2008 [Zugriff: 30.03.2011] 27 Methoden des Produktdatenmanagements 3 3 Methoden des Produktdatenmanagements Mehrfachfreigaben, Mehrfachidentifikation von Bauteilen und Unterlagen, redundante Datenhaltung, hoher bürokratischer und administrativer Aufwand, aufwendige und zeitintensive Suchvorgänge nach Norm- und Wiederholteilen und Vieles mehr sind die Schlagworte, die im Zusammenhang mit der Beschreibung von verbesserungsbedürftigen Organisationsformen im Unternehmen genannt werden. Dementsprechend sind wesentliche Forderungen für eine Verbesserung der Organisation im Unternehmen: • geringere Fehleranfälligkeit, • schnellere Durchführung, • erhöhte Transparenz, • bessere Informationsbereitstellung und • schnellere Informationsverteilung bei der Durchführung von technischen Abläufen. Das Gesamtsystem Auftragsabwicklung ist nur dann funktionsfähig, wenn die ausführenden Bereiche (Fertigung und Montage) von den vorbereitenden und planenden Bereichen (Konstruktion und Arbeitsplanung) sowie dem steuernden Bereich (Arbeitssteuerung) mit ausreichenden Informationen versorgt werden. Die Aufgabe der planenden Bereiche ist es, die bei der Auftragsabwicklung anfallenden Tätigkeiten in der Fertigung und Montage unter Berücksichtigung der vorhandenen Fertigungsmittel inhaltlich und zeitlich festzulegen. Der Informationsaustausch zwischen den Abteilungen geschieht über die so genannten Fertigungsunterlagen, d. h. konventionell über Stücklisten, Zeichnungen, Arbeitspläne und Prüfvorschriften auf Papierbasis oder über DV-Schnittstellen zwischen den verschiedenen Systemen. Die Methoden zur Organisation und Optimierung dieser Vorgänge sind Gegenstand dieses Kapitels. 3.1 Einführung und Begriffsklärung Die technische Auftragsabwicklung umfasst alle Unternehmensbereiche, die ausgehend von der Erteilung des Konstruktionsauftrags bis zur Fertigmontage an der Herstellung eines Erzeugnisses beteiligt sind. Die in Abbildung 3-1 noch im herkömmlichen Sinne, d. h. ohne Berücksichtigung der zeitlichen Überschneidungen der einzelnen Phasen der Produktentwicklung durch Simultaneous Engineering, dargestellte technische Auftragsabwicklung kann in vier Blöcke unterteilt werden: Konstruktion, Arbeitsvorbereitung, Fertigung und Montage. Insbesondere im Hinblick auf eine durchgängige, redundanzfreie Nutzung der Daten im Sinne der rechnerintegrierten Produktion ist es notwendig, die technische Auftragsabwicklung abteilungsübergreifend zu organisieren. 28 28 3 Methoden des Produktdatenmanagements Abbildung 3-1: Einordnung der technischen Auftragsabwicklung [Eve97] Diese Organisation der technischen Auftragsabwicklung wird als technische Ablauforganisation bezeichnet. Teilaspekte der technischen Ablauforganisation sind: • Produktstrukturierung, • Varianten- und Konfigurationsmanagement, • Klassifikation und Benennung, • Nummerungssystematik sowie • Freigabe- und Änderungswesen. Den Wesenskern der technischen Ablauforganisation stellt das Ordnen der in der technischen Prozesskette entstehenden Informationen dar. Das Schaffen oder Entstehen von Ordnung wird im Allgemeinen verstanden als das Bilden oder Entstehen von erkennbaren Strukturen und Regeln, an denen man sich orientieren kann, und in die neue Sachverhalte sinnvoll eingefügt werden können. Im Hinblick auf die Unterstützung durch DV bei der Verwaltung der Informationen und hier insbesondere im Hinblick auf die Einführung eines Produktdatenmanagementsystems müssen die Ablauf- und Organisationsstrukturen, die abgebildet werden sollen, genau untersucht, geprüft und gegebenenfalls an DV-spezifische Belange im Sinne einer Systematisierung angepasst werden. Erst durch diese methodische Durchdringung kann der Entwicklungsprozess effektiv rechnergestützt teilautomatisiert werden [Wien-08]. Wesentliche Systeme und Vorgehensweisen zur Organisation und Ordnung von Daten, die im Rahmen des Produktenstehungsprozesses anfallen, werden in diesem Kapitel näher erläutert und ihre Relevanz bezüglich eines Produktdatenmanagementsystems dargestellt. Die in der Produktentwicklung entstehenden Produktdaten stellen nur einen Teil der gesamten in einem Unternehmen anfallenden Daten dar. Im Folgenden soll eine Abgrenzung der mit einem Produktdatenmanagementsystem zu verwaltenden Produktdaten getroffen werden. Abbildung 3-2 zeigt unternehmensspezifische Daten, die für die Auftragsabwicklung notwendig sind. Die bezüglich der technischen Ablauforganisation, d. h. der technischen Prozesskette maßgeblichen 29 Methoden des Produktdatenmanagements 3 Daten sind in Abbildung 3-2 grau unterlegt. Die Gesamtheit der Daten wird als Grunddaten bezeichnet. Dabei Stamm- und Strukturdaten unterschieden: • Stammdaten, die selbständig ohne Beziehung zu anderen Daten aussagefähig sind. Beispiele dafür sind die technologischen Artikelstammdaten, wie Funktion, Form, Werkstoff usw. • Strukturdaten, die Beziehungen zwischen den Ausprägungen von Stammdaten herstellen, z. B. die Zugehörigkeit eines Einzelteils zu einer Baugruppe oder einem Erzeugnis. Strukturdaten-Zuordnungsdaten Stammdaten • Artikeldaten • Stücklistendaten • • • • • • • • • • • • • • Kundendaten Lieferantendaten Lagerortdaten Personaldaten Arbeitsplatzgruppendaten Betriebskalenderdaten Kostenstellenrechnung PDM-relevant Arbeitsplandaten Kundenstrukturdaten Lieferantenstrukturdaten Kundenkonditionsdaten Lieferantenkonditionendaten Strukturspezifische Texte Zuordnungsspezifische Texte Abbildung 3-2: Grunddatenverwaltung [EiSt09] Die für die technische Ablauforganisation wesentliche Gruppe von Daten sind die Artikelstammdaten (Abbildung 3-3). Die bezüglich der Verwaltung mit einem Produktdatenmanagementsystem relevanten Datenklassen sind wiederum grau unterlegt. Identifikationsdaten • Sachnummer • Zeichnungsnummer • Sonstige Unterlagennummer Ordnungsdaten • Technische Klassifikation • ABC-Klassifikation • Normierte Bennennung • Teileart • Statusdaten • Funktion • Norm • Abmessung • Werkstoff • Gewicht • Physikalische Eigenschaften Absatzdaten Beschaffungsdaten • Verkaufspreis • Rabatte • Bonuskonditionen • Mindestverkaufsmenge • Verpackungsmengen • Einstandspreise • Wiederbeschaffungsfrist • Bestellmengengrenzen Bestandsdaten • Akkumulierte Bestände • Akkumulierte reservierte Bestände • Mindestbestand Konstruktionsdaten Dispositionsdaten • Beschaffungsart • Dispositionsart • Dispositionsstufe • Einsatzteileart Produktionsdaten • Vorlauffristen • Durchlauffristen • Verfahrensvarianten • Teilefamilienkennung Bedarfsdaten • Bedarfsart • Akkumulierter Bedarf • Akkumulierter gedeckter Bedarf Kalkulationsdaten • Materialkosten • Lohnkosten • Maschinenkosten • Auftragwiederholkosten • Lagerkostensatz PDM-relevant Abbildung 3-3: Artikelstammdaten [EiSt09] In diesem Zusammenhang soll noch eine weitere Unterscheidung getroffen werden. Bezüglich der in einem Produktdatenmanagementsystem zu verwaltenden Objekte kann unterschieden werden in Artikel und Unterlagen: • Artikel stellen alle materiellen Gegenstände dar, die im Rahmen der technischen Auftragsabwicklung auftreten, so z. B. selbst gefertigte und zugekaufte Einzelteile und 30 30 3 Methoden des Produktdatenmanagements Baugruppen, das gesamte Erzeugnis, aber auch Betriebsmittel und Hilfsstoffe wie Maschinen, Werkzeuge und Schmierstoffe. • 3.2 Unterlagen sind Dokumente, durch die die Artikel beschrieben werden. Maßgebliche Beispiele sind die technischen Zeichnungen und 3D-Modelle, Stücklisten, Arbeitspläne. Aber auch Dokumente wie die Anforderungsliste eines Konstruktionsauftrags, Prüfpläne und Prüfprotokolle eines Bauteils stellen Unterlagen dar, die in einem Produktdatenmanagementsystem verwaltet werden. Produktstrukturierung Unter Produktstrukturierung wird der Prozess der Festlegung der Produktstruktur verstanden. Die Produktstruktur bildet den Aufbau eines Produktes in Form einer hierarchischen Struktur ab. Der Begriff „Produkt“ entspricht der Definition des Erzeugnisses in (DIN 199-1, 2002), sodass diese Begriffe synonym verwendet werden. Man spricht daher auch von der Erzeugnisstruktur oder Erzeugnisgliederung. Von der Produktstruktur werden Stücklisten abgeleitet, die die Strukturinformationen auftragsneutral abbilden und damit die Grundlage der weiteren Prozesse im Produktlebenszyklus bilden. 3.2.1 Produktstruktur Die Produkte eines Industrieunternehmens entstehen in einem arbeitsteiligen Herstellungsprozess. Dabei werden aus Rohmaterialien und Halbzeugen Eigenfertigungsteile hergestellt, die eventuell unter Einbeziehung von Zukaufteilen zu Baugruppen und schließlich zum fertigen Produkt montiert werden. Um in diesem Prozess die Übersichtlichkeit und Eindeutigkeit zu bewahren, ist eine Gliederung des Erzeugnisses in seine Haupt- und Unterbaugruppen bis hin zu den Einzelteilen erforderlich. Abbildung 3-4 listet die globalen Ziele der Strukturierung der Produktpalette auf. Ordnung Ordnung Reduzierung Reduzierung Vereinfachung Vereinfachung der der Produktdaten Produktdaten durch durch der der Produktdaten Produktdaten durch durch der der Informationsverarbeitung Informationsverarbeitung durch durch • Strukturierung der Teile und Gruppen eines Erzeugnisses • Vereinfachung der Wiederverwendung vorhandener Unterlagen • Vermeidung von Umstrukturierungen • Schaffen der Basis für einen eindeutigen Zeichnungs- und Stücklistenaufbau • Schaffen der Voraussetzungen zur Standardisierung und Normung • Systematisieren der Unterlagen für die DV-unterstützende Verarbeitung Abbildung 3-4: Zielsetzung der Produktstrukturierung (Eversheim, 1996) Die globalen Ziele • Ordnung der Information, • Reduzierung der Informationsmenge und • Vereinfachung der Informationsverarbeitung 31 Methoden des Produktdatenmanagements 3 wirken sich auf alle Bereiche des Unternehmens aus. In den einzelnen Unternehmensbereichen werden mit einer Produktstrukturierung unter anderem die folgenden konkreten Ziele verfolgt: • Erleichtern der Angebotskalkulation aufgrund einer einheitlichen Baugruppenabgrenzung, • Förderung der Wiederverwendung von Baugruppen in der Konstruktion, • Beschleunigung der Materialdisposition für Rohmaterial und Zukaufteile, • Verbesserung der Fertigungs- und Montagesteuerung. 3.2.1.1 Methoden der Produktstrukturierung Produktstrukturen werden in Bäumen abgebildet, die je nach der Gewichtung der globalen und der bereichsspezifischen Ziele unterschiedlich aufgebaut sind und einen unterschiedlichen Detaillierungsgrad aufweisen. In Abbildung 3-5 sind exemplarisch eine Dispositions- und eine Montagesicht eines Erzeugnisses „E1“ dargestellt. Zu erkennen ist, dass die Montagesicht lediglich drei Strukturstufen umfasst während die Dispositionssicht zusätzlich die Stufe der Materialien und Halbzeuge für die Produktionsplanung beinhaltet. Abbildung 3-5: Darstellungsformen einer Produktstruktur (DIN 199-5, 1981) 3.2.1.2 Aufbau einer Produktstruktur Neben einem unterschiedlichen Detaillierungsgrad muss die Produktstruktur auch nach weiteren Gesichtspunkten bereichs-/verwendungsspezifisch gegliedert werden. Konstrukteure sehen eine Produktstruktur unter funktionalen Gesichtspunkten. Dies entstammt der Arbeitsweise beim Entwerfen, wobei zuerst funktionale Gruppen entstehen. So wird man vom Konstruktionsablauf her versuchen, möglichst Gruppen zu schaffen, die eine geschlossene Funktion erfüllen. Für die Konstruktion und speziell auch für den Einsatz von Systemen zur Datenverarbeitung in der Konstruktion ist eine funktionale Produktstruktur daher von Vorteil. Sie bietet insbesondere die Möglichkeit, die funktionalen Gruppen für unterschiedliche Aufgabenstellungen wieder zu verwenden. 32 32 3 Methoden des Produktdatenmanagements Demgegenüber benötigt der Vertrieb verkaufsfähige Verfahrensfunktionen bzw. -produkte. Diese werden klassifiziert nach Muss-, Mussvarianten- und optionalen Funktionen. Die Montageabteilung wiederum benötigt zur Planung Informationen bezüglich einzeln montierbarer und prüfbarer Baugruppen und Baueinheiten. In der industriellen Praxis haben sich dementsprechend folgende Gruppen als zweckmäßig herausgebildet (Wiendahl, 2008): • Gruppen mit geschlossener Funktion: Gruppen mit geschlossener Funktion erstrecken sich im Allgemeinen über mehrere, nach anderen Gesichtspunkten definierten Gruppen und sind dann nicht vormontierbar. Beispiele für solche Gruppen sind das Brems- oder Schmiersystem eines Fahrzeugs. Gruppen mit geschlossener Funktion werden insbesondere in der Projektierung, in der Konstruktion und in der Kalkulation angewandt. • Vormontagegruppen: Die Vormontagegruppe geht komplett gefügt, geschweißt oder montiert in die nächst höhere Einheit ein. Alle Verbindungselemente vorgefügter Gruppen zu anderen Gruppen sind der übergeordneten Gruppe zuzuordnen. Vormontagegruppen werden in mehreren Aufgabenbereichen benötigt. Zum Beispiel benutzt die Projektierung Vormontagegruppen beim Zusammenstellen von Angeboten; die Ersatzteilorganisation führt sie im Kundendienst. Zu den Vormontagegruppen gehören auch Beistell- und Zukaufgruppen. • Fertigungsgruppe mit Zwischenlagerung: Als Zwischenlagerung wird jeder Zustand bezeichnet, der identifiziert werden muss. Es ist dazu nicht notwendig, die Gruppe tatsächlich in ein Lager einzulagern. Beispiel für solche Gruppen sind gemeinsam bearbeitete Teile, die getrennt weiterbearbeitet werden wie z. B. das Ober- und Unterteil eines Getriebegehäuses oder aber Teilegruppen, die die gleiche Zwischenstufe, aber unterschiedliche Endstufen haben. • Ersatzteil-, Verkaufsgruppen und Gruppen loser Teile: Dies sind im Allgemeinen nicht montierbare bevorratete Teile, die zu einem Zeitpunkt zusammen mit auftragsgebundenen Teilen zur Baugruppe gefügt werden. Ein Beispiel für diese Gruppenart ist ein Satz Dichtungen eines Motors. Dichtungen können einzeln gelagert sein, einzeln oder als Satz verkauft oder bei Wartungen verwendet werden können. Beim Aufbau einer Produktstruktur sollte es das Ziel sein, unternehmensweit eine einheitliche für alle Bereiche verbindliche Gliederung zu erstellen. Für den Aufbau einer einheitlichen Gliederung, insbesondere im Hinblick auf den Einsatz eines Produktdatenmanagementsystems, ist eine abteilungsübergreifende Festlegung der Kriterien, nach denen die Gliederungsgruppen zu bilden und gegeneinander abzugrenzen sind, Voraussetzung. Die Festlegung der Kriterien und die Einteilung der Gliederungsgruppen erfolgt zweckmäßigerweise in einem Team aus Mitarbeitern der betroffenen Abteilungen. Im Rahmen der Einführung eines Produktdatenmanagementsystems ist ein maßgebliches Kriterium für den Aufbau einer Produktstruktur die Möglichkeit der durchgängigen Nutzung aller im Produktentwicklungsprozess entstehenden Daten in allen Abteilungen des Unternehmens. Insbesondere sollen die in der Konstruktion erzeugten Stücklisten ohne wiederholte Eingabe möglichst automatisch in Fertigungs- und Montagestücklisten überführt werden. Daraus resultiert die Forderung nach einer fertigungs- und montagegerechten Produktstruktur. 33 Methoden des Produktdatenmanagements 3 3.2.2 Stücklistenwesen Informationstechnisch gesehen sind Stücklisten spezielle Darstellungsformen hierarchischer Strukturen. Dabei sind sie keine graphische Abbildung der Produktstruktur, sondern sie zeigen die Struktur in Form von Listen. Durchläuft man eine Produktstruktur "von oben nach unten", das heißt vom Erzeugnis bis zu den Einzelteilen und ihrem Ausgangsmaterial abwärts, entsteht die Stückliste. Wird umgekehrt gefragt, in welchen Erzeugnissen ein bestimmtes Teil oder eine bestimmte Baugruppe enthalten ist, entsteht ein Verwendungsnachweis. Somit lassen sich Stücklisten als analytische Betrachtung und Verwendungsnachweise als synthetische Betrachtungsweise einer Produktstruktur interpretieren. In Abbildung 3-6 werden daraus unterschiedliche Erscheinungsformen von Stücklisten und Verwendungsnachweisen abgeleitet. Strukturdarstellung Strukturdarstellung ininListen Listen Analytische AnalytischeBetrachtung Betrachtung Woraus Worausbesteht bestehtein einErzeugnis? Erzeugnis? Stücklisten Stücklisteni.e.S. i.e.S. Synthetische SynthetischeBetrachtung Betrachtung Worin Worinist istein einTeil Teilenthalten? enthalten? Variantenstücklisten Variantenstücklisten Verwendungsnachweise Verwendungsnachweise ... MengenMengenstückliste stückliste StrukturStrukturstückliste stückliste BaukastenBaukastenstückliste stückliste MengenverwenMengenverwendungsnachweis dungsnachweis StrukturverwenStrukturverwendungsnachweis dungsnachweis BaukastenverwenBaukastenverwendungsnachweis dungsnachweis Mischform MischformBaukastenBaukastenStrukturstückliste Strukturstückliste Abbildung 3-6: Ableitung der Stücklistenarten (Wiendahl, 2008) Die einzelnen Stücklisten- und Verwendungsnachweisarten werden im Folgenden näher erläutert. 3.2.2.1 Stücklistenarten Basis für die Ableitung von Stücklisten bildet die Konstruktionsstückliste (in Abbildung 3-6 als "Stückliste im engeren Sinn" aufgeführt). Man unterscheidet die Grundformen • Mengenstückliste, • Strukturstückliste und • Baukastenstückliste. Weitere Arten von Stücklisten, wie insbesondere die Variantenstückliste, werden in Kapitel 3.3 behandelt. Die in Abbildung 3-7 dargestellte Produktstruktur soll als Basis für die Ableitung der einzelnen Stücklisten dienen. Die Anzahl, mit der die Teile bzw. Baugruppen in die nächst höhere Baugruppe bzw. das Produkt eingehen, ist in Klammern an dem jeweiligen Ast aufgeführt. Weiterhin sind zur Verdeutlichung der Ableitung der Baukastenstücklisten die einzelnen Baugruppen eingegrenzt. 34 34 3 Methoden des Produktdatenmanagements Abbildung 3-7: Produktstruktur als Basis von Stücklisten Die in Abbildung 3-8 schematisch dargestellte Mengenübersichtsstückliste führt alle Bestandteile eines Erzeugnisses E1 im Sinne einer unstrukturierten Aufzählung auf. Es werden sämtliche Elemente des Erzeugnisses E1 mit ihren Mengen, also sowohl die Baugruppen B1, B2 und B3, als auch die Einzelteile T, aufgeführt. Die Mengenübersichtsstückliste lässt nicht erkennen, wie viele Gliederungsebenen bestehen, und welche Teile in welcher Baugruppe enthalten sind. Sie findet vorzugsweise für relativ einfache Erzeugnisse mit einer oder zwei Gliederungsstufen Anwendung. Erzeugnis E1 Sach-Nr. Menge Einheit. B1 1 St. B2 2 St. B3 1 St. T1 2 St. T2 3 St. T3 6 St. T4 1 St. T5 4 St. T6 8 St. Abbildung 3-8: Mengenübersichtsstückliste Die in Abbildung 3-9 dargestellte Strukturstückliste zeigt gegenüber der Mengenübersichtsstückliste durch das explizite Aufführen der Gliederungsstufe die hierarchische Stellung jedes Elements des Erzeugnisses in der Produktstruktur. Man erkennt z. B., dass die Baugruppe B1 (1. Stufe) aus der Baugruppe B3 (2.Stufe) und den Teilen T3 und T2 (3. Stufe) besteht. Der Vergleich mit der Produktstruktur in Abbildung 3-7 zeigt, dass die Struktur systematisch, beginnend mit dem ersten Element der ersten Stufe, senkrecht solange durchlaufen wird, bis die niedrigste Stufe in diesem Ast erreicht ist. Von da an arbeitet sich die Strukturstückliste systematisch weiter zum nächsten noch nicht erfassten Element. Der Nachteil der Strukturstückliste liegt in der wiederholten Erfassung und Aufführung ganzer Baugruppen mit ihren sämtlichen Elementen, wenn diese mehrfach auftreten. 35 Methoden des Produktdatenmanagements 3 Erzeugnis E1 Sach-Nr. Menge . 1 Stufe B1 1 Einheit. St. . . 2 B3 1 St. . . . 3 T1 2 St. . . . 3 T3 3 St. . . . 3 T4 1 St. . . 2 T3 1 St. . . 2 T2 3 St. . 1 B2 2 St. . . 2 T3 1 St. . . 2 T5 2 St. . . 2 T6 4 St. Abbildung 3-9: Strukturstückliste Diesen Nachteil vermeidet die Baukastenstückliste (Abbildung 3-10). Sie zeigt nur die direkt untergeordneten Elemente mit ihren Mengen. Das bedeutet, dass die untergeordneten Baugruppen einer Baukastenstückliste für ein Endprodukt wieder in mehrere Stücklisten zerfallen können, wenn das Endprodukt in mehrere Gruppen strukturiert ist. Erzeugnis E1 Sach-Nr. Menge B1 1 Einheit. St. B2 2 St. Baugruppe B2 Baugruppe B1 Sach-Nr. Menge B3 1 T3 1 T2 3 Sach-Nr. Menge St. T3 1 St. St. T5 2 St. St. T6 4 St. Einheit. Einheit. Baugruppe B3 Sach-Nr. Menge T1 2 Einheit. St. T3 3 St. T4 1 St. Abbildung 3-10: Baukastenstückliste 3.2.2.2 Verwendungsnachweise „Der Verwendungsnachweis für eine Sachnummer ist ein Verzeichnis, in dem alle nach bestimmten Gesichtspunkten zusammengefassten Gegenstände aufgeführt sind, in denen diese Sachnummer enthalten ist oder enthalten sein kann." (DIN 199-5, 1981). Die Formulierung „enthalten sein kann“ schließt dabei auch Erzeugnisse und Baugruppen ein, in denen die untersuchte Sachnummer optional vorhanden sein kann (vgl. Varianten Kap.3.4). Der Verwendungsnachweis dient in den verschiedenen Unternehmensbereichen dazu, die Verwendung eines bestimmten Teils oder einer Baugruppe in unterschiedlichen Baugruppen oder Erzeugnissen zu erkennen. So ist es für die Konstruktionsabteilung wichtig, im Fall von Änderungen schnell einen lückenlosen Nachweis zu haben, um alle von der 36 36 3 Methoden des Produktdatenmanagements Änderung betroffenen Erzeugnisse zu identifizieren. Insbesondere bei Änderungen in Folge von Mängeln sichern Verwendungsnachweise die lückenlose Dokumentation (vgl. Produkthaftung Kap.2.3). Eine weitere wichtige Anwendung liegt im Beschaffungsbereich, wenn z. B. bei einer Lieferverzögerung zu entscheiden ist, welche Produkte bzw. Aufträge mit welchen Mengen betroffen sind, um daraus Prioritäten für eine Verteilung der noch vorhandenen Artikel abzuleiten. Analog zu den Stücklistengrundformen werden bei den Verwendungsnachweisen drei verschiedene Formen unterschieden: Mengenübersichtsverwendungsnachweis, Strukturverwendungsnachweis und Baukastenverwendungsnachweis. Die einzelnen Arten von Verwendungsnachweisen werden am Beispiel des Einzelteils T3 anhand der in Abbildung 3-11 dargestellten Produktstrukturen der Erzeugnisse E1 und E2 vorgestellt. Das Erzeugnis E1 entspricht mit seiner Struktur dabei dem Erzeugnis E1, an dem die Ableitung der Stücklisten beispielhaft vorgestellt wurde. Dabei sind die jeweiligen Pfade des Einzelteils T3 im Stammbaum durch stärkere Linien gekennzeichnet. Stammbaum E1 Stammbaum E2 E1 E1 E2 E2 (2) (1) B1 B1 (1) (2) T1 T1 (3) T3 T3 B2 B2 (1) B3 B3 T3 T3 (1) T4 T4 (1) (3) T2 T2 (1) T3 T3 (2) T5 T5 (1) (4) T6 T6 (2) T1 T1 (3) T3 T3 B4 B4 T2 T2 (1) B3 B3 (2) (1) B1 B1 T3 T3 (3) T2 T2 (1) T3 T3 (2) T8 T8 (4) T9 T9 (1) T4 T4 Legende: Erzeugnis Baugruppe Einzelteil ( ) Mengenangabe Abbildung 3-11: Stammbäume verschiedener Erzeugnisvarianten Wie bei der Mengenübersichtsstückliste (Abbildung 3-8) werden im Mengenübersichtsverwendungsnachweis unstrukturiert alle Elemente aller (im Beispiel der beiden) Erzeugnisse aufgeführt, in denen das Einzelteil T3 vorkommt, sowie die Anzahl des Auftretens des Einzelteils im jeweiligen Element. In dem des in Abbildung 3-12 aufgeführten Beispiels beinhaltet die Baugruppe B3 das Einzelteil T3 dreimal. Die Baugruppe B1 beinhaltet das Einzelteil T3 viermal - dreimal über die Unterbaugruppe B3 und einmal selbst als Einzelteil. 37 Methoden des Produktdatenmanagements 3 Mengenübersichtsverwendungsnachweis Baukastenverwendungsnachweis Einzelteil T3 Einzelteil T3 kommt vor in Sach-Nr. Menge B1 4 kommt vor in Sach-Nr. Menge B2 1 B1 1 B3 3 B2 1 B4 1 B3 3 E1 6 B4 1 E2 6 Abbildung 3-12: Mengenübersichts- und Baukastenverwendungsnachweis Im Baukastenverwendungsnachweis werden demgegenüber nur die im Stammbaum in der nächst höheren Ebene befindlichen Gruppen angegeben, die das Einzelteil enthalten. In dem in Abbildung 3-12 aufgeführten Beispiel kommt das Einzelteil T3 nur einmal in der Baugruppe B1 vor. Die über die Unterbaugruppe B3 enthaltenen drei Einzelteile T3 werden nicht mit aufgeführt. Der in Abbildung 3-13 dargestellte Strukturverwendungsnachweis führt gegenüber dem Mengenübersichtsverwendungsnachweis die Zahl der Gliederungsstufen des verwendeten Teils bis zur angesprochenen Sachnummer. Dabei können die jeweiligen Baugruppen, die das Teil enthalten, auch mehrfach angesprochen werden. Bezüglich des Beispiels in Abbildung 3-13 ist zu erkennen, dass auch die Baugruppe B1 zweimal aufgenommen worden ist: Sie enthält das Einzelteil T3 einmal direkt, d. h. in der ersten Stufe, und außerdem noch über die Baugruppe B3 dreimal in der zweiten Stufe. Strukturverwendungsnachweis Einzelteil T3 Stufen (*) kommt vor in Sach-Nr. Menge X B1 1 X B2 1 X B3 3 X B4 1 X B1 3 X E1 3 E1 3 E2 3 E2 3 1 2 3 4 5 X X X (* ) angegeben ist die Anzahl der Stufen bis zur angesprochenen Sachnummer Abbildung 3-13: Strukturverwendungsnachweis 3.3 Konfigurations- und Variantenmanagement Entsprechend den heutigen Marktanforderungen werden viele Produkte nicht nur in einer Variante angeboten, sondern es wird dem Kunden die Möglichkeit gegeben, das Produkt aus einer großen Anzahl an Auswahlmöglichkeiten speziell für die eigenen Anforderungen zu konfigurieren. Sehr gut deutlich wird diese Variantenvielfalt am Beispiel PKW. Der Kunde kann aus einer Vielzahl von Motor- und Ausstattungsvarianten, Farben und Polsterstoffen auswählen. In Abbildung 3-14 ist als 38 38 3 Methoden des Produktdatenmanagements Beispiel die Liste der Sonderausstattungen des Opel Corsa dargestellt. Erkennbar wird dabei auch, dass nicht alle Modelle mit jeder Sonderausstattung geliefert werden. Abbildung 3-14: Sonderausstattungen des Opel Corsa (www_1) Noch nicht berücksichtigt sind in dieser Aufzählung Varianten, von denen der Kunde nichts merkt, z.B. für den Kunden nicht merkbar sind unterschiedliche Teile von verschiedenen Zulieferern. Damit kann zwischen zwei Arten von Varianten unterschieden werden [EiSt09]: • Strukturvarianten: Die Strukturvarianten entstehen dadurch, dass in einer Stückliste verschiedene Positionen variieren können. Zum Beispiel kann im Baukasten "Antrieb" entweder ein Motor von Lieferant A, B oder C vorkommen. Um den Sachverhalt eindeutig zu beschreiben, müssten drei Stücklisten existieren, die sich nur in der Position des "Motors" unterscheiden. • Teilevarianten: Eine Teilevariante bezieht sich auf ein Teil, das in verschiedenen Ausprägungen erscheinen kann, z. B. ein Armband, das sich nur in der Farbe unterscheidet, ansonsten vollkommen gleich ist. Das Teil wird eindeutig über die Vergabe je einer Sachnummer für jede Ausprägung identifiziert. Eine andere Alternative wäre, das unterscheidende Merkmal, z.B. die Farbe, der Sachnummer hinzuzufügen ( Ergänzung der Sachnummer um Sachmerkmale). 3.3.1 Der kombinatorische Aspekt von Produktvarianten Ein einzelnes Produkt kann sich aus mehreren Einzelteilen zusammensetzen. Durch den Austausch nur eines Einzelteils oder einer Gruppe von Einzelteilen (Baugruppe) entsteht jeweils eine neue Produktvariante. Da nun gerade bei modernen Produkten eine Vielzahl von Teilen bzw. Baugruppen 39 Methoden des Produktdatenmanagements 3 ausgetauscht werden können, ergibt sich eine große Anzahl von Variationsmöglichkeiten. In den siebziger Jahren wurde für den VW-Käfer bereits eine Zahl von 10 Billionen möglichen Varianten ermittelt. Im Vergleich zu den heutigen Ausstattungsmöglichkeiten eines Mittelklassewagens hatte der Käfer, relativ gesehen, jedoch nur wenige Ausstattungen, so dass die Anzahl möglicher Varianten gleichsam ins Unvorstellbare wächst. Aufgrund dieser Variantenvielfalt sowohl auf Produkt- als auch auf Teile- und Baugruppenebene sollen im Folgenden einige Überlegungen hinsichtlich der kombinatorischen Aspekte angeschlossen werden. Um die Anzahl der möglichen Varianten eines einstufig strukturierten Produktes zu berechnen, kann man die folgende Formel anwenden: n V hi i 1 mit V = Anzahl der Produktvarianten, n = Anzahl der Komponenten (Merkmale), i = Index und hi = Häufigkeit der Komponente „i“ (Anzahl möglicher Ausprägungen des Merkmals „i“) Komponenten können hierbei sowohl Einzelteile als auch Baugruppen sein. Allerdings muss jede Komponente zusätzlich klassifiziert sein in: Festkomponente (F): Teile oder Baugruppen, die immer in der Struktur vorkommen. Muss-Variante (V) bzw. one-of-n-Variante: Alternative Teile oder Baugruppen, von denen immer genau eine Alternative gewählt werden muss. Kann-Variante (O): Optionale Teile oder Baugruppen, die in der Struktur aufgeführt werden können. Mengen-Variante (M) bzw. [1...m]-Variante: In Abhängigkeit von bestimmten Parametern kann sich die Menge eines Teils oder einer Baugruppe in der Struktur ändern. Wird nun (Formel 1) angewandt, um die Anzahl der Varianten eines einstufigen Erzeugnisses (Abbildung 3-15) zu ermitteln, so lassen sich die Häufigkeiten für die einzelnen Komponentenklassen wie folgt festlegen: Festkomponenten: hf = 1 Muss-Varianten: hv = 2 für one-of-2-Varianten Kann-Varianten: ho = 2 Mengen-Varianten: hm = 5 für [1...5] Varianten 2 40 40 3 Methoden des Produktdatenmanagements E 5 V (hi ) i1 O V hf hv hm hf ho V 1 251 2 B1 FF B VV one of 2 one of 2 B2 MM [1….5] [1….5] T1 FF T2 OO V 20 B3 B4 Abbildung 3-15: Schematische einstufige Variantenstruktur Bei der Betrachtung mehrstufig aufgebauter Strukturbäume können die Häufigkeiten der Komponenten nicht explizit angegeben werden. In diesem Fall muss der komplexe Strukturbaum rekursiv in einstufige Strukturen zerlegt werden, um auf diese Weise die Häufigkeiten der einzelnen Komponenten bestimmen zu können. Für die Bestimmung der Häufigkeiten der einstufigen Teilstrukturbäume können die folgenden Regeln aufgestellt werden: Für Teilbäume, die als Festkomponenten in die Gesamtstruktur eingebettet sind, gilt: n h (hi ) i 1 (3-1) Für Teilbäume, die als optionale Komponenten in der Gesamtstruktur auftreten, beträgt die Häufigkeit: n h 1 (hi ) i 1 (3-2) Für Teilbäume, die als Mengenvarianten in die Gesamtstruktur eingebunden sind, beträgt die Häufigkeit: n h m (hi ) i 1 (3-3) Für Teilbäume, die als Muss-Varianten der Gesamtstruktur angehören, beträgt die Häufigkeit: n h hi i 1 (3-4) 41 Methoden des Produktdatenmanagements 3 E B1 FF B2 T3 FF T1 MM B3 FF [1….5] [1….5] FF T2 OO B1 VV B4 FF B2 T3 FF MM B6 T1 MM B3 [1….3] [1….3] one of 2 one of 2 B5 V E [1….5] [1….5] T2 FF OO VV B4 one of 2 one of 2 B5 B6 5 (h ) V i i 1 5 (h ) i i 1 V h f hB 2 hm h f ho V h f hB 2 hm h f ho V 1 2 5 1 2 V 20 V 1 6 5 1 2 V 60 2 2 hB 2 (h j ) h f hv hB 2 m hB2 1 2 2 h B 2 3 1 2 6 j 1 (h ) m h j f hv j 1 Abbildung 3-16: Schematische mehrstufige Variantenstruktur (1) E E B1 FF B2 T3 FF OO B4 MM T1 [1….5] [1….5] FF T2 VV OO B1 FF B2 T3 FF 5 V i i 1 MM B3 T1 [1….5] [1….5] B6 5 (h ) i i 1 V h f hB 2 hm h f ho V 1 3 5 1 2 V 30 V 1 3 5 1 2 V 30 2 T2 one of 2 one of 2 V h f hB 2 hm h f ho hB 2 1 FF VV B4 B5 B6 (h ) VV one of 2 one of 2 one of 2 one of 2 B5 V B3 (h j ) 1 (h f hv ) j 1 h B 2 1 (1 2) 3 hB 2 2 (h ) h i f hv i 1 h B2 1 2 3 Abbildung 3-17: Schematische mehrstufige Variantenstruktur (2) OO 42 42 3 Methoden des Produktdatenmanagements 3.3.2 Variantenstücklisten In den obigen Ausführungen wird die enorme Komplexität der Variantenstrukturen moderner Erzeugnisse deutlich. Diese Komplexität ist mit konventioneller Technik, d. h. mit der Abbildung der Strukturen in Mengenübersichts-, Struktur- und Baukastenstücklisten kaum noch beherrschbar. Aus diesem Grund sind zur strukturellen Darstellung und zur Verwaltung der unterschiedlichen Varianten verschiedene Hilfsmittel entwickelt worden: Gleichteilestücklisten, Plus-Minus-Stücklisten und Variantenstücklisten mit Variantenleisten. Die Definition für eine Variantenstückliste lautet nach (DIN 199-1, 2002): "Die Variantenstückliste ist eine Zusammenfassung mehrerer Stücklisten auf einem Vordruck, um verschiedene Gegenstände mit einem in der Regel hohen Anteil identischer Bestandteile gemeinsam aufführen zu können." Der Begriff Variantenstückliste wird dabei einerseits als Oberbegriff für die strukturelle Darstellung von Produktvarianten generell eingesetzt und bezeichnet andererseits auch eine konkrete Art der Variantenverwaltung. Er soll hier im Weiteren nur für die später erläuterte Art der Variantenverwaltung verwendet werden. Verschiedene Möglichkeiten zur strukturellen Darstellung von Produktvarianten sollen im Folgenden anhand der in Abbildung 3-18 dargestellten Produktstrukturen der Erzeugnisse E1, E2 und E3 vorgestellt werden. Die Struktur des Erzeugnisses E1 entspricht der bei der Ableitung der Stücklisten und Verwendungsnachweise zugrunde gelegten Struktur. Die Variante E2 unterscheidet sich von der Variante E1 durch die Verwendung der Baugruppe B4 anstelle der Baugruppe B2 und durch das zusätzliche Einzelteil T2 in der ersten Stufe der Struktur. Die Variante E3 beinhaltet wieder die Baugruppe B2 und zusätzlich die Einzelteile T2, T10 und T11. 43 Methoden des Produktdatenmanagements 3 Stammbaum E1 Stammbaum E2 E1 E1 E2 E2 (2) (1) B1 B1 (1) (2) T1 T1 (3) T3 T3 (3) (1) B3 B3 (1) B2 B2 T3 T3 (1) T2 T2 T3 T3 (2) T6 T6 (1) (2) T4 T4 T1 T1 (3) (1) B3 B3 B4 B4 T2 T2 (1) (4) T5 T5 (2) (1) B1 B1 T3 T3 (1) T2 T2 T3 T3 (2) T8 T8 (4) T9 T9 (1) (3) T3 T3 T4 T4 Stammbaum E3 E3 E3 (1) (1) B1 B1 (1) T2 T2 (1) B3 B3 T3 T3 (3) T2 T2 (1) T3 T3 (2) (1) (1) B2 B2 T10 T10 T11 T11 (2) T5 T5 Legende: Erzeugnis Baugruppe (4) T6 T6 Einzelteil ( ) (2) T1 T1 (3) T3 T3 Mengenangabe (1) T4 T4 Abbildung 3-18: Stammbäume verschiedener Erzeugnisvarianten Für die Verwaltung der Varianten gibt es zwei grundsätzliche Möglichkeiten: die Verwaltung der Varianten über jeweils eigene Sachnummern (siehe Kapitel 3.6) und die Abbildung der gesamten Variantenstruktur auf einen fiktiven Stammdatensatz. Die Verwaltung von Varianten über jeweils eigene Sachnummern kann auf drei Arten erfolgen: 1) Jede Variante wird im herkömmlichen Sinn als eigenständige Struktur mit den entsprechenden Stamm- und Strukturdatensätzen geführt. Die Strukturdarstellung erfolgt über die herkömmlichen Methoden (Mengenübersichts-, Strukturund Baukastenstücklisten). In Abbildung 3-19 sind die Mengenübersichts- und Strukturstückliste für die Variante E3 dargestellt. Aus oben aufgeführten Gründen stellt diese Möglichkeit eine unbefriedigende Lösung dar. 44 44 3 Methoden des Produktdatenmanagements Mengenübersichtsstückliste Strukturstückliste Erzeugnis E3 Erzeugnis E3 Sach-Nr. Menge . 1 B1 1 St. . . 2 B3 1 St. St. . . . 3 T1 2 St. 2 St. . . . 3 T3 3 St. T2 4 St. . . . 3 T4 1 St. T3 6 St. . . 2 T3 1 St. T4 1 St. . . 2 T2 3 St. T5 4 St. . 1 B2 2 St. T6 8 St. . . 2 T3 1 St. T10 1 St. . . 2 T5 2 St. T11 1 St. . . 2 T6 4 St. .1 T2 1 St. .1 T10 1 St. .1 T11 1 St. Sach-Nr. Menge Einheit. B1 1 St. B3 1 St. B2 2 T1 Stufe Einheit. Abbildung 3-19: Beispiele einer Mengenübersichts-/Strukturstückliste 2) Um das mehrfache Aufführen von Baugruppen und Einzelteilen zu reduzieren, können Gleichteilestücklisten (Abbildung 3-20) eingesetzt werden. Dabei wird für Teile und Baugruppen, die in alle Varianten eingehen, eine fiktive Gleichteilegruppe mit einem dazugehörigen Stammdatensatz gebildet. Jede Variante besteht dann aus der Gleichteilegruppe und zusätzlichen Baugruppen und/oder Einzelteilen. Bezüglich der im Beispiel verwendeten Erzeugnisse E2 und E3 erkennt man, dass die Baugruppe B1 mit ihrer Unterbaugruppe B3 und den Einzelteilen T2 und T3 sowie dem Einzelteil T2 in jeder Variante des Erzeugnistyps E vorkommt. Sie wird als Gleichteilegruppe GT1 definiert. Die in Abbildung 3-20 dargestellte Gleichteilestückliste entspricht der Baukastenstückliste für die Gleichteilegruppe GT1, d. h. es werden nur die Baugruppen und Einzelteile aufgeführt, die in der obersten Stufe der Struktur stehen. Entsprechend beinhaltet die Baukastenstückliste der Variante E2 die Gleichteilegruppe GT1 und die Baugruppe B4. In der Baukastenstückliste der Variante E3 werden die Gleichteilegruppe, die Baugruppe B2 und die Einzelteile T10 und T11 aufgeführt. Erkennbar wird in diesem Zusammenhang das Problem, eine Variante zu führen, die nicht exakt die Gleichteilegruppe beinhaltet. Die Variante E1 beinhaltet zwar die Baugruppe B1, nicht aber das Einzelteil T2. 45 Methoden des Produktdatenmanagements 3 Gleichteilestückliste Baukastenstücklisten Gleichteilestückliste GT1 Erzeugnistyp E Erzeugnis E2 Sach-Nr. Menge B1 1 T2 1 Sach-Nr. Menge St. GT1 1 St. St. B4 2 St. Einheit. Einheit. Erzeugnis E3 Sach-Nr. Menge Einheit. GT1 1 St. B2 2 St. T10 1 St. T11 1 St. Abbildung 3-20: Beispiel einer Gleichteile-/Baukastenstücklisten 3) Diesen Nachteil vermeidet die dritte Art, die Verwaltung der Varianten mit Hilfe von PlusMinus-Stücklisten. Für den Erzeugnistyp E werden in einer Matrix alle in Frage kommenden Baugruppen und Einzelteile aufgeführt. Die Zugehörigkeit einer Gruppe oder eines Teils zur jeweiligen Variante wird in der Plus-Minus-Stückliste mit einem Plus oder einem Minus und der Anzahl, mit der das Bauteil oder die Gruppe in die jeweilige Variante eingehen, gekennzeichnet. In Abbildung 3-21 ist die Plus-Minus-Stückliste für die Varianten des Erzeugnistyps E dargestellt. Die Gleichteile entsprechen den in der Gleichteilegruppe GT1 geführten Teilen. Das dort geschilderte Problem der Verwaltung der Variante E1 wird in der Plus-Minus-Stückliste gelöst, indem durch das Aufführen von (-1) in Spalte E1, Zeile T2 kenntlich gemacht wird, dass die Variante E1 das Gleichteil T2 nicht enthält. Erzeugnistyp E Gleichteile B1 E1 E3 1 2 B2 B4 T2 E2 2 2 1 -1 T10 1 T11 1 Abbildung 3-21: Beispiel einer Plus-Minus-Stückliste Gegenüber der Verwaltung der Varianten über jeweils eigene Sachnummern ist die Verwaltung über einen fiktiven Stammdatensatz gekennzeichnet durch [EiSt09]: die Abbildung mehrerer Variantenausprägungen unter einer Sachnummer, deren Eindeutigkeit durch Kombination mit der Auftragsnummer, mehrstufige Varianten, optionale Festlegung von Auswahlkriterien ( z.B. Sachmerkmale), 46 46 3 Methoden des Produktdatenmanagements optionale Festlegung von Auswahllogiken ( z.B. Entscheidungstabellen) und die Stücklisten konkreter Variantenausprägungen werden i. d. R. manuell, halbautomatisch oder vollautomatisch abgeleitet ( generative Lösungen) Bei der Festlegung der Variantenstruktur erfolgt eine Unterscheidung in: Kopfelement (K), das den fiktiven Stammsatz für die Mengen aller Varianten eines Produktbaukastens darstellt, Festkomponenten (F), d. h. Teile und Baugruppen, die immer in der Struktur vorkommen, Muss-Varianten (V), d. h. alternative Teile und Baugruppen, von denen immer eine Alternative gewählt werden muss, Options-Varianten (O), d. h. so genannte Optionsteile oder Optionsbaugruppen, die in der Struktur aufgeführt werden können und Mengenvarianten, d. h. in Abhängigkeit von bestimmten Parametern kann sich auch die Menge eines Teils oder einer Baugruppe in der Struktur ändern. Bei dieser Form der Verwaltung von Varianten werden alle variablen Strukturen unter einer fiktiven Sachnummer in einem als Kopfelement bezeichneten Element abgelegt. Die verschiedenen Baugruppen oder Teile, die als Alternativpositionen dienen, werden in einer Variantenleiste aufgeführt. Neben der Sachnummer der jeweiligen Baugruppe bzw. des Bauteils können in der Variantenleiste beliebige weitere Attribute aufgeführt werden, die zur Unterstützung einer Auswahlentscheidung dienen können. Stücklistenpositionen, die auf eine Variantenleiste verweisen, werden Variantenplatzhalter genannt. Variantenstückliste Varianten-Struktur Variantenstückliste Erzeugnistyp E Teil Kenner Menge B1 F B V T2 O 1 T10 O 1 T11 O 1 E Kopfelement K 1 B1 FF B2 B VV T2 B4 O O O T10 O O T11 O VV Variantenleiste B Sach-Nr. Menge B2 2 B4 2 Antrib. 1 Antrib. 1 K Kopfelement einer Variantenstruktur VV Mussvariante FF Festkomponente O O Optionales Teil Variantenplatzhalter Abbildung 3-22: Variantenstückliste mit Variantenleiste In Abbildung 3-22 ist das bisher verwendete Beispiel in Form einer Variantenstückliste dargestellt. Die Baugruppe B1 stellt eine Festkomponente dar, die Bestandteil in allen Varianten ist. Für die Mussvarianten B2 und B4 ist in der Variantenstückliste der Variantenplatzhalter B aufgeführt. Er weist auf die Variantenleiste B, in der die Baugruppen aufgeführt sind. Die Einzelteile T2, T10 und T11 stellen Kann-Varianten dar. Besonders deutlich wird an der Darstellung in Abbildung 3-22 der geringe Umfang zur vollständigen Verwaltung aller drei Varianten des Erzeugnistyps E gegenüber der 47 Methoden des Produktdatenmanagements 3 herkömmlichen Variantenverwaltung, aber auch gegenüber einer Verwaltung mit Gleichteile- oder Plus-Minus-Stücklisten. Soll nun eine bestimmte Variante des Erzeugnistyps E hergestellt werden, wird für diesen speziellen Auftrag temporär eine entsprechende Stückliste generiert. Dabei wird die Sachnummer, die die Variante eindeutig identifizieren soll, um eine auftragsspezifische Nummer oder um einen Index erweitert. Möglichkeiten dafür sind: die Variantennummer, die Auftragsnummer oder ein Sachmerkmal bzw. eine Kombination von Sachmerkmalen (siehe Kapitel 3.5.3). In Abbildung 3-23 ist, wiederum am Beispiel des Erzeugnistyps E, die Ableitung einer auftragsspezifischen Stückliste für die Variantenausprägung 3 dargestellt. Hier wird der in diesem Beispiel als Sachnummer des Kopfelements geführte Buchstabe "E" um die Variantennummer "3" zur auftragspezifischen Sachnummer "E3" ergänzt und identifiziert damit eindeutig die angesprochene Variante. Variantenausprägung E3 Struktur Variante E3 E3 Teil K Menge B1 1 B4 2 T2 1 B1 B1 B4 B4 T2 O O Abbildung 3-23: Erzeugung einer Variantenausprägung 3.4 Methoden der Benennung Bei neu entwickelten Bauteilen, Baugruppen und Erzeugnissen entsteht das Problem einer sinnvollen Bezeichnung oder Benennung der neuen Einheiten. Während komplette Erzeugnisse bzw. Produkte oftmals unter Gesichtspunkten des Marketings benannt werden, sollte die Benennung von Bauteilen unter technischen und organisatorischen Gesichtspunkten systematisch erfolgen. Folgender Zusammenhang soll zum Verständnis von Methoden zur Benennung vermittelt werden: Zwischen Gegenständen und Benennungen gibt es keinen unmittelbaren Bezug. Dieser Bezug wird vielmehr über Begriffe vermittelt. Verdeutlicht wird dies in folgenden Definitionen nach (DIN 2330, 1993) und (DIN 2331, 1980): Begriff: Denkeinheit, die aus einer Menge von Gegenständen unter Ermittlung der diesen Gegenständen gemeinsamen Eigenschaften mittels Abstraktion gebildet wird. Benennung: Aus einem Wort oder mehreren Wörtern bestehende Bezeichnung. Anmerkung: Begriffe werden sprachlich durch Benennungen und Definitionen repräsentiert. 48 48 3 Methoden des Produktdatenmanagements Definition: Begriffsbestimmung mit sprachlichen Mitteln. Einwortbenennung: Eine aus einem Wort bestehende Benennung. Mehrwortbenennung: Eine Benennung, die aus mindestens zwei durch Leerstellen getrennten Wörtern besteht. Begriffssystem: Ein Begriffssystem ist eine Menge von Begriffen, zwischen denen Beziehungen bestehen oder hergestellt worden sind und die ein zusammenhängendes Ganzes darstellen. In Abbildung 3-24 sind die Zusammenhänge zwischen Gegenstand, Begriff, Definition und Benennung dargestellt. Gedankliche Zusammenfassungen von Gegenständen werden nach (DIN 2330, 1993) Begriffe genannt. Begriffe können allgemein sein, also eine große Gruppe von Gegenständen gedanklich zusammenfassen (z. B. der Begriff "Lager"), sie können aber auch konkret sein (z. B. Netzschalter 220 ... 240 V) und dadurch sehr wenig Teile gedanklich zusammenfassen. Dabei können die allgemeinen und konkreten Begriffe miteinander in Beziehung stehen (z. B. Oberbegriff, Unterbegriff). Auf diese Weise entsteht ein "Begriffssystem". Ein Begriffssystem ist die Grundlage zum Erstellen eines Thesaurus (siehe Kapitel 3.5.5). Die abstrakte, gedankliche Zusammenfassung von Gegenständen, d. h. also die Begriffe, wird sprachlich repräsentiert durch eine Definition des Begriffs und seiner Benennung. Beim Definieren wird ein Begriff mit Hilfe des Bezugs zu anderen Begriffen festgelegt und beschrieben und damit gegenüber anderen Begriffen abgegrenzt. Die Definition bildet die Grundlage für die Zuordnung einer Benennung zu einem Begriff. Beim Benennen wird einem Begriff mit Hilfe eines oder mehrerer Wörter eine Bezeichnung zugeordnet. Im praktischen Sprachgebrauch werden Begriffe i. a. durch ihre Benennung ausgetauscht, also durch sie "repräsentiert". Folgende Aspekte stellen Möglichkeiten für die Zuordnung von Begriffen zu Erzeugnissen dar: Funktionaler Aspekt: z. B. Axiallager/Radiallager Technologischer Aspekt: z. B. Wälzlager/Gleitlager Physikalischer Aspekt: z. B. Hydrostatisches Lager/Aerostatisches Lager Gestaltaspekt: z. B. Kugellager/Zylinderrollenlager/Nadellager; einreihig/zweireihig 49 Methoden des Produktdatenmanagements 3 Repräsentationsebene Definition Benennung Begriffsebene Begriff Gegenstandsebene Gegenstand 1 Gegenstand 2 Gegenstand 3 Abbildung 3-24: Zusammenhänge zwischen Benennung/Definition/Begriff/Gegenstand (DIN 2330, 1993) Die auf diese Art den Teilen und Erzeugnissen zugeordnete Begriffe werden durch die Zuordnung von Benennungen bezeichnet. Dabei sollen Benennungen für Begriffe möglichst unter Verwendung vorhandenen Wortmaterials gebildet werden durch (DIN 2330, 1993): Kombination vorhandenen Wortmaterials: Bilden von Einwortbenennungen (z. B. Zylinderrollenlager), Bilden von Mehrwortbenennungen (z. B. einreihiges Rillenkugellager), Bilden von Kurzformen (Mofa = Fahrrad mit Hilfsmotor), Übernahme einer Benennung eines Begriffs in einer Sprache als Benennung in einer anderen Sprache (z. B. Airbag) und Übernahme einer Benennung eines Begriffs in einem Fachgebiet für einen Begriff aus einem anderen Fachgebiet in derselben Sprache (z. B. Maus => Übernahme der Benennung des Tiers für das ähnlich aussehende Eingabegerät für Computer). Insbesondere dem Bilden von Benennungen durch Kombination vorhandenen Wortmaterials kommt in der Praxis große Bedeutung zu. Ein- oder Mehrwortbenennungen gelten als besonders treffend, wenn alle oder wenigstens einige Merkmale des benannten Begriffs in der Benennung erkennbar sind, so dass aus der Kombination der verwendeten bedeutungstragenden Bestandteile der benannte Begriff entsprechend seiner Definition deutlich wird. 3.5 Klassifizierungssysteme Aufgabe eines Klassifizierungssystems ist es, Sachen und Sachverhalte nach bestimmten Gesichtspunkten zu ordnen und damit das Zusammenführen von gleichen und/oder ähnlichen Sachen zu ermöglichen. Ein Klassifizierungssystem beschreibt dabei die Gegenstände produktneutral auf der Basis von Eigenschaftswerten. Die Aufgabe dieser Struktur besteht darin, die Gegenstände ohne den Kontext eines bestimmten Auftrags (verwendungsneutral) im Sinne von Musterlösungen bereitzustellen. Klassifizierung bietet damit eine notwendige Voraussetzung zur Wiederverwendung oder im weitesten Sinn zur Nutzung von Wiederholteileffekten. Die Klassifizierung wird dabei solange verfeinert, bis jeweils nur noch überschaubare Gruppen von Sachen unter bestimmten Oberbegriffen zusammengefasst sind. 50 50 3 Methoden des Produktdatenmanagements auf Nummernbasis Klassifizierungssysteme Sachmerkmalleiste Clusteranalyse Thesaurus (alphanum. Retrieval) Fourieranalyse Abbildung 3-25: Prinzipien der Werkstückklassifizierung In Abbildung 3-25 sind die verschiedenen Prinzipien zur Klassifizierung von Werkstücken aufgeführt. Sie werden im Folgenden besprochen. 3.5.1 Aufbau von Klassifizierungssystemen Zur Auswertung eines Erzeugnis- oder Teilespektrums sind je nach Aufgabenstellung unterschiedliche Merkmale zu klassifizieren. Auch hier stehen für den Bereich der Entwicklung und Konstruktion konstruktive Merkmale wie Funktion, Formelemente, Abmessungen und Werkstoff im Vordergrund, während für die Fertigung eher die zur Herstellung erforderlichen Verfahren, Zerspanungseigenschaften, Maß- und Formtoleranzen, Oberflächengüten usw. bekannt sein müssen. In Abbildung 3-26 sind die Aufgabenkomplexe und allgemeine Grundsätze zum Aufbau von Klassifizierungssystemen aufgeführt, auf die im Folgenden näher eingegangen wird. Allgemeiner Systemaufbau In die Entscheidung über das in die Klassifizierung einzubeziehende Sachspektrum müssen sowohl wirtschaftliche als auch organisatorische Überlegungen einfließen. Um eine wirtschaftliche Lösung zu erhalten, müssen Aufwand und Nutzen für jeden Sachbereich getrennt untersucht werden. Von der organisatorischen Seite her sollte angestrebt werden, zumindest in quasi geschlossenen Organisationskreisen (z. B. Betriebsmittelbereich) alle Sachgruppen (z. B. Maschinen, Vorrichtungen, Werkzeuge, Messmittel) in einer einheitlichen Klassifizierung zu erfassen. Das Problem der zu treffenden Gliederungsstruktur entspricht dem bei der Produktstrukturierung angesprochenen Problemkreis der sinnvollen Abgrenzung von Gruppen. Nicht zuletzt gehört zum Aufgabenkomplex "allgemeiner Systemaufbau" die Festlegung der maximalen Stellenzahl. Im Hinblick auf Übersichtlichkeit, Handhabung, Fehlermöglichkeit usw. ist generell eine möglichst kurze Klassifizierungsnummer anzustreben. Auf der anderen Seite muss aber auch eine ausreichende Differenzierung des Sachspektrums gewährleistet sein, die mit einer höheren Stellenzahl immer größer wird. 51 Methoden des Produktdatenmanagements 3 Aufgabenkomplexe Allgemeine Grundsätze Allgemeiner Systemaufbau - geeignetes Sachspektrum festlegen - zweckmäßigste Gliederungsstruktur anstreben - wirtschaftliche Stellenzahl festlegen Merkmalauswahl -Schlüsselaussage an Problemstellung anpassen -Informationsumfang sinnvoll beschränken -langfristig gültige Merkmale wählen Merkmalanordnung -zweckmäßige Gruppenbildung gewährleisten -gute Auswertbarkeit gewährleisten Merkmalabgrenzung -unkomplizierte Abgrenzung ermöglichen -Toleranzbreite gewährleisten -Merkmale eindeutig definieren Abbildung 3-26: Grundlagen der Klassifikation [Eve97] Merkmalauswahl Wesentliche Bedeutung kommt der Auswahl von Merkmalen zu, mit denen das Sachspektrum beschrieben werden soll. Die Merkmale müssen entsprechend der Problemstellung gewählt werden, d. h. wenn eine Klassifizierung nach funktionalen Gesichtspunkten erfolgt, müssen Merkmale gewählt werden, die die Funktionalität der jeweiligen Gruppe beschreiben. Die sinnvolle Beschränkung des Informationsumfangs bedeutet, die Klassifizierung nicht zu fein zu wählen, so dass - überspitzt - nur noch ein Bauteil in einer Klasse ist. Sie geht einher mit der Forderung nach einer wirtschaftlichen Stellenanzahl. Die gewählten Merkmale müssen langfristig gültig sein, da ein einmal eingeführtes Klassifizierungssystem nur mit hohem Aufwand wieder geändert werden kann. Merkmalanordnung und Merkmalabgrenzung Die Anordnung und Abgrenzung der Merkmale sollte so erfolgen, dass zweckmäßige Gruppen entstehen bzw. die durch die Produktstrukturierung gebildeten Gruppen durch die Merkmale sinnvoll beschrieben werden. Dabei müssen die Merkmale innerhalb einer Gruppe hinreichend homogen sein, um eine Abgrenzung gegenüber anderen Gruppen zu gewährleisten, andererseits aber auch innerhalb der Gruppe die einzelnen Elemente ausreichend differenzieren. 3.5.2 Klassifizierungssysteme auf Nummernbasis Eine Möglichkeit zur Klassifizierung von Objekten stellen Klassifizierungschlüssel, d. h. Klassifizierungssysteme auf Nummernbasis, dar. Beim Aufbau eines Klassifizierungsschlüssels müssen einige Forderungen beachtet werden, wie z. B.: Ausschließlichkeit der Gruppenzuordnung in einer Klassifizierungsnummer, 52 52 3 Methoden des Produktdatenmanagements Anpassungsfähigkeit des Systems, das bedeutet eine ausreichende Ausbaufähigkeit des zugrunde gelegten Begriffssystems, Systematik und Übersichtlichkeit, Verwendung sinnvoller, sprechender (memotechnischer) Schlüssel und konstante Stellenzahl und Gliederung. Die Klassifikation muss so erfolgen, dass eine Zuordnung von Objekten zu den Gruppen eindeutig möglich ist. Diese Zuordnung wird durch eine sehr feine Klassenbildung erschwert. Die Feinheit der Gliederung muss sich an den Erfordernissen der Gruppenzugehörigkeit und an der Produktstruktur ausrichten. Eindeutigkeit bedeutet in diesem Zusammenhang auch, dass jeder Außenstehende nach einer Einarbeitungszeit zu derselben Zuordnung kommt wie der Sachbearbeiter. In Abbildung 3-27 wird das Klassifizieren auf Nummernbasis am Beispiel eines Systems zur Klassifizierung von Maschinenbau-Einzelteilen nach OPITZ verdeutlicht. Das System baut auf einer Formbeschreibung der Teile auf, ist produktunabhängig, jedoch nur für Bauteile des Maschinenbaus geeignet und beschränkt sich auf mechanisch bearbeitete Teile. Das System setzt sich aus zwei Teilen zusammen: Dem Formenschlüssel und dem Ergänzungsschlüssel. Diese Trennung wurde gewählt, um die Formbeschreibung auf jeden Fall überbetrieblich und damit allgemein verwendbar zu gestalten. Der Formenschlüssel ist fünfstellig aufgebaut. Bei seiner Erstellung wurde auf einen systematischen Aufbau geachtet, durch den die Übersicht und Merkbarkeit und damit die Handhabung bedeutend erleichtert werden. In der ersten Stelle wird mit der Teileklasse die Grobform der Werkstücke charakterisiert, in der zweiten bei Rotationsteilen der Klassen Null bis Zwei die Außenform mit ihren Formelementen, bei allen anderen die Hauptform der Teile. Die dritte Stelle beschreibt die Innenform mit ihren Formelementen bzw. die Form und Lage der Hauptbohrungen, die vierte Stelle die Flächenbearbeitung und die fünfte die Hilfsbohrungen, die Verzahnung und die Umformbearbeitung. Die Merkmalsausprägungen sind in Abbildung 3-27 nur für die erste Stelle aufgeführt. Auf eine Darstellung der Merkmalsausprägungen der Stellen Zwei bis Fünf wurde zugunsten der Übersichtlichkeit verzichtet. FORMENSCHLÜSSEL 1. Stelle Teile-Klasse L/D < 0,5 1 0,5 < L/D < 3 4 m. Abweichung L/D < 2 m. Abweichung L/D > 2 6 A/B < 3 A/C > 4 9 Nichtrotationsteile spezifisch 8 Außenform Formelemente außen Innenform Formelemente innen 4. Stelle Flächenbearbeitung Flächenbearbeitung 5. Stelle 1. 2. 3. 4. Hilfsbohrungen St. St. St. St. Verzahnung,Umformung Hilfsbohrungen Verzahnung L/D > 3 5 7 3. Stelle Rotationsflächenbearbeitung A/B > 3 A/B < 3 A/C < 4 Hauptform Rot.Bearbeitung Formelemente innen + außen Flächenbearbeitung Hilfsbohrungen Umformung Verzahnung Hauptbohrung Flächenbearbeitung Hilfsbohrungen Umformung Verzahnung Werkstoff Ausgangsform Genauigkeit 3 2. Stelle Hauptform Abmessungen 2 Rotationsteile 0 ERGÄNZUNGSSCHLÜSSEL Hauptform Hauptform Hauptform spezifisch Abbildung 3-27: Aufbau des OPITZ - Klassifizierungssystems (Wiendahl, 2008) 53 Methoden des Produktdatenmanagements 3 Im Ergänzungsschlüssel können weitere evtl. betriebsspezifische Merkmale beschrieben werden. Die im Beispiel gewählten Merkmale sind: Die Abmessungen des Bauteils, der Werkstoff, die Form des Rohteils und die Genauigkeit des Bauteils. 90 30 90 80 40 15 M 24 15 15 144 180 1 2 1 3 2 FORMENSCHLÜSSEL: TEILEKLASSE: Rotationsteil 0,5 < L/D < 3 AUSSENFORM, FORMELEMENTE AUSSEN: einseitig steigend Gewinde INNENFORM, FORMELEMENTE INNEN: glatt oder einseitig steigend FLÄCHENBEARBEITUNG: Nut und/oder Schlitz außen HILFSBOHRUNG UND VERZAHNUNG: ohne Verzahnung Hilfsbohrung axial mit Teilung Abbildung 3-28: Klassifizierung eines Drehteils nach dem OPITZ-System (Wiendahl, 2008) An dem in Abbildung 3-28 dargestellten Drehteil soll das Klassifizierungssystem nach OPITZ beispielhaft angewendet werden: Das betrachtete Teil ist ein Rotationsteil mit dem Verhältnis von Länge zu Durchmesser im Bereich zwischen 0,5 und 3 und wird damit in die Teileklasse 1 eingeordnet. Bezüglich der in der zweiten Stelle beschriebenen Außenform bzw. den Formelementen hat das Drehteil die Merkmalsausprägung "einseitig steigende Außenform mit dem Formelement Gewinde". Diese Merkmalsausprägung wird durch die Ziffer Zwei klassifiziert. Die Einordnung des Drehteils bezüglich der weiteren Merkmale erfolgt entsprechend. 3.5.3 Gruppentechnik/Sachmerkmalleisten Die Sachmerkmalleiste (SML) ist ein Verschlüsselungsprinzip zur direkten Umsetzung von charakteristischen Merkmalen bzw. Daten in eine von Suchalgorithmen verarbeitbare Form. Das System der Sachmerkmalleisten basiert darauf, dass Teile in Gruppen größtmöglicher Ähnlichkeit zusammengefasst und die Eigenschaften der so geordneten Teile im Allgemeinen unverschlüsselt als (Sach-)Merkmale tabellarisch erfasst werden. Folgende Anwendungsbegriffe sind in (DIN 4000-1, 1992) definiert: Merkmal: Ein Merkmal ist eine bestimmte Eigenschaft, die zum Beschreiben und Unterscheiden von Gegenständen einer Gegenstandsgruppe dient. 54 54 3 Methoden des Produktdatenmanagements Sachmerkmal: Ein Sachmerkmal ist ein Merkmal, das Gegenstände unabhängig vom Umfeld (z. B. Herkunft, Verwendung) beschreibt. Eine Änderung der Ausprägung dieses Merkmals ergibt einen anderen Gegenstand. Merkmalkennung: Eine Merkmalkennung ist eine Anzahl von Zeichen, die einem Merkmal eindeutig zugeordnet ist. Merkmalausprägung: Eine Merkmalausprägung ist a) ein Zahlenwert mit Einheit oder b) eine attributive Angabe. Sachmerkmalleiste: Eine Sachmerkmalleiste ist die Zusammenstellung und Anordnung von Sach- und Relationsmerkmalen einer Gegenstandsgruppe. Merkmalverzeichnis: Ein Merkmalverzeichnis ist eine geordnete Auflistung von Merkmalausprägungen einer Gegenstandsgruppe, geordnet entsprechend der zugehörigen Sachmerkmalleiste. Gegenstandsgruppe: Eine Gegenstandsgruppe ist eine bestimmte Gruppe artverwandter Gegenstände. Der Aufbau einer Sachmerkmalleiste ist in Abbildung 3-29 dargestellt, wobei die einzelnen Felder folgende Bedeutung haben: (1) Feld für die Benennung der Sachmerkmalleiste, (2) Feld für die Benennung der Gegenstandsgruppe, (3) Feld für die Nummer des Teils einer Sachmerkmalleiste, (4) Feld für die Merkmalkennung, (5) Feld für die zugeordneten Merkmalbenennungen und (6) Feld für die zugehörigen Einheiten, (7) Felder für die Datensätze. Zur Veranschaulichung werden oftmals zusätzlich charakteristische Merkmale in einer Skizze definiert und dem Benutzer veranschaulicht (vgl. Abbildung 3-30). Dabei sind Zylinderschrauben und Flachkopfschrauben mit Schlitz beispielhaft in einer Sachmerkmalleiste aufgeführt, wobei aus Platzgründen nicht alle Merkmale aufgeführt sind. Die Merkmalkennungen A, B und C mit ihren Merkmalbenennungen Gewinde (A), Länge (B) und Schaftlänge (C) sind in den Bildern zur Sachmerkmalleiste kenntlich gemacht. Deutlich wird in diesem Beispiel auch, dass sich die Gegenstände einer Sachmerkmalleiste nicht nur hinsichtlich ihrer Größe unterscheiden können, sondern auch bezüglich anderer Merkmale, wie hier der Kopfform oder der Schaftart. 55 Methoden des Produktdatenmanagements 3 3 1 von n 1 Sachmerkmal-Leiste DIN 4000 - ... - ... 2 für ............... Merkmalkennung 4 Merkmalbenennung 5 6 Einheit 7 1 Feld für die Bezeichnung der Sachmerkmal-Leiste 2 Feld für die Benennung der Gegenstandsgruppe 3 Feld für die Nummer des Teils einer Sachmerkmal-Leiste 4 Feld für die Merkmalkennung 5 Feld für die zugeordneten Merkmalbenennungen 6 Feld für die zugehörigen Einheiten 7 Feld für die Datensätze Abbildung 3-29: Aufbau einer Sachmerkmalleiste (DIN 4000-1, 1992) Durch die in Abbildung 3-30 dargestellte Sachmerkmalleiste am Beispiel der Zylinderschrauben soll nicht der Eindruck entstehen, dass nur Normteile sinnvoll über Sachmerkmalleisten verwaltet werden können. Durch die freie Wählbarkeit der Sachmerkmale können alle Arten von Sachen mit diesem System verwaltet werden, also insbesondere auch nicht genormte unternehmensspezifische Wiederholteile in der Konstruktion wie Flansche, Rippen, Grundplatten u. ä. Insgesamt stellen die Sachmerkmalleisten ein modernes dynamisches Instrument der Wiederholteilsuche dar. Durch sukzessive Festlegung von Merkmalen kann die Menge der in Frage kommenden Objekte gezielt eingegrenzt werden, und auch ein Rückwärtsschreiten bei zu eng gefassten Merkmalen stellt nur ein geringes datentechnisches Problem dar. 56 56 3 Methoden des Produktdatenmanagements Sachmerkmal-Leiste DIN 4000 - 2 - 2 Zylinder- und Flachkopfschrauben mit Schlitz A E Sach-Nr. D C B F Kurzbezeichnung A Sachmerkmal-Leiste DIN 4000- 2 - 2 - B 1 B C D Bild- Gewinde Länge Schaftlänge Nr. -- -- -- -- mm mm 656.316.851 M4x10 DIN 933 3 M4 10 - 656.316.852 M4x15 DIN 933 3 M4 15 - ... ... ... ... ... ... 656.373.004 M8x50 DIN 84 2 M8 50 30 E D A A C F B F Sachmerkmal-Leiste DIN 4000- 2 - 2 - B 2 B Sachmerkmal-Leiste DIN 4000- 2 - 2 - B 3 Kennbuchstabe für Bild Bildkennung Abbildung 3-30: Beispiel Sachmerkmalleiste 3.5.4 Verfahren der Clusteranalyse Das Verfahren der Clusteranalyse besteht darin, eine Werkstückmenge in eine optimale Anzahl von Gruppen ähnlicher Werkstücke einzuteilen. Ziel dieses Verfahrens ist es, die Gruppen derart zu gestalten, dass alle Werkstücke innerhalb einer Gruppe möglichst ähnlich sind, die Gruppen untereinander jedoch so unähnlich wie möglich. Zu diesem Zweck werden Merkmale gewählt, durch die alle Objekte der betrachteten Menge zu beschreiben sind. Jedes Objekt muss bei der Verschlüsselung durch alle Merkmale beschrieben werden. Anschaulich funktioniert das Verfahren der Clusteranalyse dergestalt, dass die Merkmalsausprägungen auf den Achsen eines mehrdimensionalen Raums aufgetragen werden. Die in diesem Raum entstehenden Punkte versteht man als Objektabbildungen. Die Ähnlichkeit der Objekte kann als Abstand der Punkte, d. h. der Objektabbildungen in dem aus den Merkmalen aufgespannten ndimensionalen Raum definiert werden. Wesentlich ist dabei, dass alle Merkmale eines Objekts gleichzeitig zur Distanz- oder Ähnlichkeitsbestimmung betrachtet werden. In Abbildung 3-31 wird das Verfahren der Clusteranalyse am Beispiel der Klassifizierung eines Teils anhand von zwei Merkmalen schematisch dargestellt. Die zehn Drehteile werden jeweils durch ihre Länge L und ihren Durchmesser D beschrieben, d. h. die Merkmale "Durchmesser " und "Länge" bilden die Achsen des hier zweidimensionalen Merkmalraums. Die Ausprägungen der Merkmale, d. h. die Zahlenwerte der einzelnen Bauteile für Länge und Durchmesser stellen die Skalierung der Achsen dar. Die Clusteranalyse der zehn Drehteile bringt dabei drei Teilegruppen in einem bestimmten Verhältnis von Länge zu Durchmesser hervor. 57 Methoden des Produktdatenmanagements 3 Graphische Darstellung Werkstückdaten L D [mm] [mm] 1 2 10 20 3 20 10 4 40 10 5 45 20 6 50 10 7 20 35 8 10 40 9 10 20 10 45 50 50 6 40 4 5 10 20 Länge L Nr. 30 20 3 10 1 2 9 7 8 10 0 0 10 40 20 30 Durchmesser D 50 mm Gruppen der Clusteranalyse: (1, 2, 3) (4, 5, 6) (7, 8, 9, 10) Abbildung 3-31: Beispiel Clusteranalyse (Wiendahl, 2008) 3.5.5 Thesauri Voraussetzung für die Anwendung der Clusteranalyse ist, wie bei Sachmerkmalleisten, eine Vorgruppierung des gesamten Produktspektrums in Klassen von Objekten, die über die gleichen Merkmale so signifikant wie möglich beschrieben werden können. Dafür sind die weiter vorne vorgestellten Klassifizierungsschlüssel zwar prinzipiell geeignet, stellen jedoch ein aufwendiges, unflexibles Werkzeug dar. Eine andere Möglichkeit, eine Grobgruppierung von Objekten vorzunehmen bzw. Gruppen mit den gesuchten Merkmalen auszuwählen, stellt das Prinzip des Thesaurus (vgl. Abbildung 3-32) dar. Der Thesaurus ist eine Zusammenstellung von Begriffen und ihren Bezeichnungen, die im Dokumentationsgebiet zum Speichern und Wiederauffinden dienen. Er ist ein Begriffssystem, in dem eine Schlagwortliste mit der Darstellung hierarchischer und anderer Beziehungen zwischen Begriffen wie Synonymen u. ä. gekoppelt wird. Ein Thesaurus deckt meist ein Fachgebiet bzw. einen selbständigen Teil eines solchen systematisch und möglichst umfassend ab. Auf diese Weise kann eine terminologische Kontrolle ausgeübt werden. Wie bei der expliziten Verschlüsselung eines Klassifizierungssystems, soll auch der Thesaurus bei den Retrievalfunktionen eines Informationssystems die Eingrenzung des gesuchten Objekts über die gewählten charakteristischen Merkmale ermöglichen. 58 58 3 Methoden des Produktdatenmanagements A, B, C ... ... X, Y, Z F Fahrzeug ... Aerostat Luftfahrzeug ... Luftfahrzeug schwerer als Luft Militärluftfahrzeug Luftschiff Flugzeug Hubschrauber Abbildung 3-32: Beispiel eines Thesaurus (DIN 1463-2, 1993) Eine generelle Schwierigkeit beim Einsatz von Thesauri besteht darin, die Ausdrucksvielfalt der Autoren zu erfassen. Beim speziellen Einsatz eines Thesaurus zum Aufbau eines Wiederholteilsuchsystems reduziert sich dieses Problem in hohem Maße. Bezeichnungen und Angaben in technischen Zeichnungen bzw. in der rechnerinternen Darstellung sind weitgehend genormt, so dass eine Objektbeschreibung ausschließlich mit Begriffen aus einem bestehenden Thesaurus durchgeführt werden kann. Dies garantiert bei der Suche eine vollständige Erfassung aller bzgl. einer Anfrage relevanten Objekte. Das Prinzip des Thesaurus bietet insbesondere den Vorteil der direkten “Lesbarkeit” der Merkmale, d. h. eine komplizierte Übersetzung in numerische Schlüssel entfällt. 3.5.6 Klassifizierung impliziter Geometrieinformationen mit Konzepten des Information Retrieval Liegt eine Geometrie-Repräsentationsform ohne parametrische Beschreibung der Kurven bzw. Flächen vor, wie beispielsweise in Bildern, technischen Handskizzen oder 3D Punktewolken, ist oft die inhaltliche Erschließung von impliziten geometrischen Informationen durch Klassifikation von Interesse. Verfahren dazu stellt die analytische Mathematik bereit, die in Verbindung mit Konzepten des Information Retrieval3 die Klassifikation ermöglicht. Im Allgemeinen basieren Modelle des Information Retrieval wie z. B. nach (Kuhlen, 1995), auf einer Zweiteilung in Informationsaufbereitung, im Sinne von Inhaltserschließung, Modellierung oder Wissensrepräsentation und in das eigentliche Retrieval, in Form von Suche, Navigation oder Klassifizierung. Diese zwei Bereiche unterscheiden sich dann bei den einzelnen Modellen in den Methoden und Verfahren, die dabei verwendet werden. An dieser Stelle soll zur Veranschaulichung das in Abbildung 3-33 dargestellte vereinfachte Modell und nachfolgenden Erläuterungen ausreichen. Aus der Geometrie werden in einem ersten Schritt mit 3 Information Retrieval (IR) (Informationswiedergewinnung, gelegentlich Informationsbeschaffung) ist ein Fachgebiet, das sich mit computergestützten inhaltsorientierten Suche beschäftigt 59 Methoden des Produktdatenmanagements 3 Methoden der Signalanalyse Merkmale ermittelt, die anschließend, in einem zweiten Schritt, über Klassifikationsverfahren, klassifiziert werden. Abbildung 3-33: Klassifikation impliziter geometrischer Informationen Extraktion der Merkmale Zur Extraktion der Merkmale (Abbildung 3-33: erster Schritt) stehen mehrere Verfahren bereit, die zum Teil, speziell für 3D Geometrien, noch Gegenstand der Forschung sind. Gemeinhin wird die Gewinnung von charakterisierenden Merkmalen in der Informatik als Merkmalsextraktion bezeichnet. Ein einfaches Merkmal ist beispielsweise der mittlere Grauwert eines Pixels und seiner Nachbarn. Fasst man alle Merkmale zu einem Vektor zusammen, dann spricht man von einem Merkmalsvektor. Exemplarisch sind hier zur Merkmalsextraktion die Waveletdekompositon und die Fourieranalyse genannt. Beide verfolgen einen holistischen4 Ansatz, bei dem die komplette Geometrie mit deren Konturen betrachtet wird. Bei der Ermittlung der Merkmale ist eine wichtige Voraussetzung die Invarianz gegenüber einer bestimmten oder mehreren Abbildungen5 zu gewährleisten. Ist die Vorgabe einer affinen Abbildung im Zusammenhang mit einzuordnenden Geometrien gegeben, so müssen die Transformationen Translation, Rotation, Skalierung, Spiegelung und Scherung untersucht werden (auf eine formale Beschreibung wird hier verzichtet). Oft setzt dies eine Vorverarbeitung der Ausgangsrepräsentation und die Definition bestimmter Randbedingungen heraus, wie z. B. die Vorgabe der Startkoordinate für die zu untersuchende Geometrie oder Kontur. Bei der Fourieranalyse (die schon seit längerem in verschiedenen Disziplinen im Einsatz ist) wird das Signal6 durch die Basisfunktion der Fourierreihe, d. h. von Sinus- und Kosinusfunktionen approximiert. Die Fouriertransformation 4 Holistisch bedeutet ganzheitliche Betrachtung und ist eine Bezeichnung aus dem Holismus; in dem Phänomene immer aus einem ganzheitlichen Prinzip abgeleitet werden 5 Sind die Merkmale invariant gegenüber einer Abbildung, so bedeutet dies, dass eine Einordnung zwischen beliebigen Konturen nicht durch die Abbildung auf eine der Konturen beeinflusst wird. 6 Im beschrieben Fall stellt das Signal z. B. die Punkte einer Geometrie dar 60 60 3 Methoden des Produktdatenmanagements F ( ) f (t ) e jt dt (3-5) wird allgemein als das Integral des Signals f(t) über der Zeit t, multipliziert mit dem komplexen Potential beschrieben. Als Ergebnis erhält man die Fourierkoeffizienten F(ω). Abbildung 3-34 soll den Zusammenhang (3–5) anhand der Transformation eines eindimensionalen Signals graphisch verdeutlichen. Das Eingangssignal f(t) wird durch eine Überlagerung und Addition von Sinusfunktionen unterschiedlicher Frequenzen beschrieben. Abbildung 3-34: Fouriertransformation eines Eindimensionalen Signals In der Rechnerimplementierung werden für diskrete Signale, wie sie in Bildern, technischen Handskizzen oder 3D Punktewolken vorkommen, die diskrete Form der Fourieranalyse verwendet. Die diskrete Fourierreihe besitzt über die diskrete Fouriertransformation (DFT) ihre Bildungsvorschrift. Die Koeffizienten (Fourierdeskriptorten) der DFS werden mit den Methoden der DFT gewonnen und haben folgende Darstellung (auf die Herleitung, vgl. (Schrüpfer, 1990) od. (Enden, 1990), wird hier verzichtet): 1 N 1 X ( n) x ( k ) e N n 0 k n j 2 N mit k Z , x(k ) C (3-6) X(n) bezeichnet jeweils die n-te Sprektrallinie, mit 0<=n<=N-1. Das erhaltene Spektrum ist also diskret, d. h. ein Linienspektrum und zugleich, nach den Gesetzen der Fouriertransformation, ist das Spektrum periodisch. Das Einganssignal x(k) mit {x(k )} {( x0 j y0 ), ( x1 j y1 ),..., ( x N 1 j y N 1 )} (3-7) sowie X(n) können komplexwertig sein. Eine Komplexe Betrachtung der DFT erlaubt es, nur eine DFT für die beiden Koordinatenrichtungen zu betrachten (ein Teil der Koordinatenrichtung stellt den Imaginärteil der Folge dar). Wird als Beispiel die Abbildung einer einfachen, ebenen, geschlossenen Kontur gefordert, kann diese auf eine komplexwertige Ortsfunktion mit dem zugehörigen normierten Fourieramplitudenspektrum transformiert werden (Abbildung 3-35). 61 Methoden des Produktdatenmanagements 3 Fourier-Amplitudenspektrum x (l) *) Ortsfunktion ~ Im 1 0,8 l = 41 0,6 0,4 0,2 0 16,5 l=9 14 für | k | < 25 l Aufpunkt: x(l=0) = x(l=L) l k Re -25 -5 0 5 25 Im l Re 9 14 16 l=0 41 52 l=L l ~ ~ ~ *) x ( l ) = Re ( x ) + j Im ( x ) = komplexwertige Ortsfunktion der Kontur Abbildung 3-35: Fourieranalyse, nach Geiger Ähnlich der Fouriertransformation ist die Wavelettransformation definiert. Die continuous wavelet transform (CWT) wird als das Integral des Eingangssignals f(t) über der Zeit t, multipliziert mit den skalierten und verschobenen Wavelet Funktionen ψ beschrieben. C ( scale, position) f (t ) (scale, position, t )dt (3-8) Als Ergebnis erhält man die Waveletkoeffizienten C, die eine Funktion der Skalierung und Position der Wavelets sind. Im Unterschied zur Fouriertransformation werden also nicht die örtlich unbegrenzten Sinus- und Kosinusfunktionen zur Analyse verwendet. Als Basisfunktionen dienen die endlichen Funktionen mit Elementen der Wavelet- Funktionenfamilie. Abbildung 3-36 verdeutlicht den Zusammenhang (3–8) am Beispiel der Wavelettransformation eines eindimensionalen Signals mit dem Daubechies Wavelet (Daubechies, 1992): Abbildung 3-36: Wavelettransformation eines Eindimensionalen Signals Die diskrete Form der Wavelet-Transformation (DWT) wird mit einem Basiswavelet (mother wavelet) durch Skalierung mittels eines Faktors m und eines Verschiebungsfaktors n abgeleitet (in folgender Gleichung wurde zur Beschreibung der Waveletfunktionen die diskreten Parameter für orthonomale Wavelet-Basen der schnellen WT berücksichtigt). 62 62 3 Methoden des Produktdatenmanagements m ,n ( x) 2 m 2 ( 2 m x n) (3-9) Die Realisierung der Wavelettransformation für die praktische Signalcodierung erfolgt in Form einer Teilband-Codierung, bei der das Signal in mehreren Transformationen nacheinander verschiedene Hoch- und Tiefpassfilter durchläuft. Diesen Filterungsvorgang bezeichnet man schnelle Wavelettransformation (FWT). Klassifikation in Information Retrival (IR) - Modellen Wie bereits angedeutet, findet die eigentliche Klassifikation in der Aufbereitung der Merkmale durch die Anwendung von IR-Modellen statt (Abbildung 3-33: zweiter Schritt). Zwei der wichtigsten sind das Vektorraummodell und das Dokumenten-Clustering. Das Vektorraummodell (VRM) ist eine der bekanntesten Methoden aus der IR-Forschung. Im VRM werden Dokumente, bzw. in diesem Fall die mit obigen Methoden ermittelten Merkmale, als Punkte in einem Vektorraum aufgefasst, der durch die Terme der Merkmale aufgespannt wird. Beim Retrieval wird dann nach solchen Dokumenten gesucht, deren Vektoren ähnlich nach einem zu klassifizierenden Fragevektor sind. Der zugrunde liegende Vektorraum wird als orthonormal angenommen, d. h. alle Term-Vektoren sind orthogonal (und damit auch linear unabhängig), und alle Term-Vektoren sind normiert. Diese Vorgaben sind durch die Verfahren der Merkmalsextraktion zu erfüllen (vgl. oben: diskrete Form der Wavelet-Transformation). Ausgangspunkt für das Dokumenten-Clustering ist die so genannte „Cluster-Hypothese“: Man kann zeigen, dass die Ähnlichkeit der relevanten Dokumente untereinander und der irrelevanten Dokumente untereinander größer ist als die zwischen anderen (zufälligen) Teilmengen der Dokumentenkollektion. Diese Hypothese wurde auch experimentell in (Rijsbergen & Sparck Jones, 1973) nachgewiesen. Beim Dokumenten-Clustering wird versucht, den Aufbau der Kollektion zu berechnen. Dabei geht man prinzipiell wie folgt vor: 1. Festlegung eines Ähnlichkeitsmaßes (z. B. Skalarprodukt) . 2. Berechnung der Ähnlichkeitsmatrix für alle möglichen Dokumentenpaare. 3. Berechnung der Cluster. Zur Berechnung der Cluster aus der Ähnlichkeitsmatrix gibt es eine ganze Reihe von ClusterAlgorithmen auf die hier allerdings nicht näher eingegangen wird. 3.6 Nummerungssysteme Die in den vorangegangenen Kapiteln dargestellten verschiedenen Ordnungssysteme finden sich im betrieblichen Alltag im Allgemeinen in abgekürzter, verschlüsselter Form als Nummern wieder. Solche Kurzbezeichnungen wurden schon lange vor dem Einsatz von DV-Systemen zur eindeutigen Beschreibung von Objekten in der betrieblichen Praxis eingesetzt. Derartige Bezeichnungen treten als eine Folge von Ziffern, Buchstaben und Sonderzeichen auf. Bildet man sie nach einer bestimmten Systematik, so liegt ein Nummernsystem vor. Synonym werden auch die Begriffe Nummerungsschlüssel, Schlüssel, Code und Codesystem verwendet. 63 Methoden des Produktdatenmanagements 3 Dabei wird unter Verschlüsselung oder Codierung im Allgemeinen die Reduktion aller von einem Objekt verfügbaren Informationen auf die charakteristischen Merkmale und Daten bzw. deren Speicherung und Verarbeitbarkeit auf Rechnern verstanden. Die Benummerung von Objekten oder Sachverhalten hat sich mit dem Einzug der elektronischen Datenverarbeitung in zunehmendem Maße als notwendig erwiesen, weil eine rein verbale Beschreibung für die Datenverarbeitung sinnvoll nicht erfassbar ist. Insbesondere in Industriebetrieben machen der Komplexitätsgrad der Fertigung und die Vielgestaltigkeit der Objekte eine verbale Beschreibung der Teile schlechthin unmöglich. Folgende Begriffe bezüglich der Nummerung sind in (DIN 6763, 1985) festgelegt: Identifizieren: Identifizieren ist das eindeutige und unverwechselbare Erkennen eines Gegenstands anhand von Merkmalen (Identifizierungsmerkmalen) mit der für den jeweiligen Zweck festgelegten Genauigkeit. Das eindeutige und unverwechselbare Bezeichnen eines Nummerungsobjekts ist das Benummern mit einer Identnummer. Identnummer: Die Identnummer ist eine Nummer, die einem Nummerungsobjekt so zugeordnet ist, dass zu einem Nummerungsobjekt nur eine Identnummer und zu einer Identnummer nur ein Nummerungsobjekt gehört. Klassifikationsnummer: Eine Klassifikationsnummer ist eine Nummer, die ausschließlich aus Klassenkennungen besteht. Nummer: Eine Nummer ist eine nach bestimmten Regeln gebildete Folge von Zeichen, die zum Bestimmen von Gegenständen dient. Nummernsystem: Ein Nummernsystem ist die Gesamtheit der für einen Bereich festgelegten Gesetzmäßigkeiten für das Bilden von Nummern. Nummerungsobjekt: Ein Nummerungsobjekt ist ein Gegenstand oder eine Gruppe von Gegenständen, der eine Nummer zugeordnet werden soll oder zugeordnet worden ist. Sachnummer: Die Sachnummer ist die Identnummer für eine Sache. Verschlüsseln: Verschlüsseln ist das bestimmten Regeln entsprechende Umsetzen von Informationen in Zeichenfolgen derart, dass die Wiedergewinnung dieser Informationen nur bei Kenntnis dieser Regeln möglich ist. Zählnummer: Die Zählnummer ist eine durch lückenloses Zählen gebildete Nummer. Die Nummerung oder Verschlüsselung kann verschiedenen Aufgaben dienen. 64 64 3 Methoden des Produktdatenmanagements Identifikation Identifizierend ist eine Nummer, die innerhalb ihres Bereichs einmalig und somit auch absolut eindeutig ist. Die Identifizierung legt somit ein Element eindeutig und unverwechselbar fest. Ein Element kann in diesem Zusammenhang sowohl ein Artikel als auch eine Unterlage sein, also z. B. ein Bauteil, eine Zeichnung, ein Arbeitsplan, ein CAD-Modell o.ä. Abbildung 3-37: Arten von Nummern (Bernhard & Bernhard, 1990) Klassifikation Eine Nummer zur Klassifizierung kennzeichnet Eigenschaften bzw. Merkmale einer Sache oder eines Sachverhalts in verschlüsselter Form. Klassifizierung bedeutet also die Bildung von Gruppen/Klassen gleicher oder ähnlicher Elemente (Unterlagen, Teile, Baugruppen etc.). Die Klassifizierung von Objekten auf Nummernbasis ist bereits in Kapitel 3.5.2 ausführlich behandelt worden. Das in Abbildung 3-37 als Beispiel für eine Klassifizierungsnummer dargestellte Drehteil entspricht dem Beispiel in Abbildung 3-28. Information Unter der Informationsfunktion einer Nummer versteht man eine Aussage aufgrund unverschlüsselter Merkmale. Informationsnummern geben ohne Verwendung eines Schlüsselverzeichnisses unmittelbar Auskunft über Eigenschaften des verschlüsselten Elements. Beispiele für Informationsnummern sind die DIN-Bezeichnungen für Werkstoffe (z.B. X3CrNiMo17) und Papierformate (z. B. DIN A4). Kontrolle Eine Nummer hat eine Kontrollfunktion, wenn durch diese Nummer die Erkennung einer richtigen Person, Sache oder eines Sachverhalts gewährleistet werden soll. Eine zusätzliche Kontrollnummer zu einer Ident- oder Klassifizierungsnummer ist nur dort sinnvoll, wo wegen einer möglichen Verwechslungsgefahr auf die Auswahl der richtigen Nummer besonders große Bedeutung gelegt wird. In dem in Abbildung 3-49 aufgeführten Beispiel dient die Kontrollnummer 1 zur Überprüfung der 65 Methoden des Produktdatenmanagements 3 Richtigkeit der vorangegangenen Zahl anhand der mit wechselnden Vorzeichen berechneten Quersumme dieser Zahl. Gliederung von Nummerungssystemen Es bestehen zwei grundsätzliche Möglichkeiten für die Gliederung von Nummernsystemen (vgl. Abbildung 3-38): die unverzweigte Gliederung und die verzweigte Gliederung. Die unverzweigte Gliederung basiert auf dem Prinzip der unabhängigen Strukturierung. Jeder Nummernteil innerhalb der Nummer hat eine generell festgelegte Bedeutung und ist nicht von einem anderen Nummernteil abhängig. Daraus resultiert eine gute Merkfähigkeit von Nummern, die auf der unverzweigten Gliederung basieren. Jeder einzelne Nummernteil lässt sich selbständig auswerten. Im Gegensatz zur unverzweigten Gliederung basiert die verzweigte Gliederung auf dem Prinzip der hierarchischen Strukturierung. Dabei ist ein Nummernteil immer von dem links von ihm stehenden Nummernteil funktional abhängig. Ein Nummernteil (Hierarchiestufe) kann dabei aus einer oder mehreren Stellen bestehen. Damit kann ein Nummernbegriff nicht selbständig, sondern nur mit den ihm übergeordneten Oberbegriffen ausgewertet werden. Vorteile der verzweigten Gliederung sind die kompakte Darstellungsform und eine geringere Stellenzahl als bei Nummern mit einem unabhängigen Aufbau. Ein wesentlicher Unterschied zwischen der verzweigten und der unverzweigten Gliederung besteht in der Speicherfähigkeit der Nummern. Durch den Aufbau bedingt steigt die Speicherfähigkeit von Nummern mit verzweigter Gliederung mit jeder zusätzlichen Stelle wesentlich stärker als bei Nummern mit unverzweigter Gliederung (Abbildung 3-39). Verzweigte Gliederung Unverzweigte Gliederung Pos. 0 Pos. 0 Pos. 0 Pos. 0 Pos. 0 Pos. 0 Pos. 0 Pos. 9 Pos. 9 Pos. 9 Pos. 9 Pos. 0 Pos. 0 Pos. 9 Pos. 9 Pos. 0 1. Stelle 2. Stelle 3. Stelle Pos. 9 Pos. 9 1. Stelle 2. Stelle 3. Stelle Abbildung 3-38: Gliederung von Nummernsystemen (VDI Richtlinie 2215, 1980) 66 66 3 Methoden des Produktdatenmanagements 1000 verzweigtes System Anzahl der Merkmale 400 300 gemischtes System 200 100 unverzweigtes System 20 1 2 3 4 5 6 7 8 Anzahl der Ziffernstellen 9 10 Abbildung 3-39: Speicherfähigkeit verschiedenartiger Nummernsysteme (VDI Richtlinie 2215, 1980) In der Praxis werden häufig gemischte Systeme angewendet, weil sie zwei Vorteile vereinigen: Sie haben bei mittlerer Merkfähigkeit noch eine ausreichende Speicherfähigkeit. 3.6.1 Sachnummern Die Sachnummer ist nach (DIN 6763, 1985) der Oberbegriff, der z. B. die Erzeugnisnummer, Teilenummer, Materialnummer und Unterlagennummer einschließt. Sachnummern müssen einen Gegenstand identifizieren, sie können ihn darüber hinaus auch klassifizieren. Ein Sachnummernsystem ist ein nach einheitlichen Gesichtspunkten aufgestelltes, aus verschiedenen Klassifizierungs- und Identnummern bestehendes Nummernsystem. Das Einsatzgebiet eines Sachnummernsystems umspannt den ganzen Bereich eines Unternehmens. Sachnummern werden in der Konstruktion als Zeichnungs- oder Teilenummer vergeben. Sie kehren in der Fertigung in Stücklisten und Arbeitsplänen wieder, werden bei der Materialwirtschaft und Qualitätssicherung bei der Kalkulation und im Vertrieb benötigt. Dementsprechend vielfältig sind die Aufgaben, die ein Sachnummernsystem erfüllen soll, und die daraus resultierenden Anforderungen (Abbildung 3-40). Sachnummern müssen ein Teil eindeutig identifizieren, müssen einfach zu verwalten und zu speichern sein, und müssen verschiedene Arten von Unterlagen (CAD-Modell, Zeichnung, Arbeitsplan, ...) eindeutig adressieren, wobei die Unterlagenart anhand der Sachnummern möglichst einfach erkennbar sein soll. Weiterhin sollen Sachnummern die benummerten Teile und Unterlagen klassifizieren. Der Aspekt der Klassifizierung ist in Kapitel 3.4 behandelt worden. Neben der Identifikation und Klassifikation soll eine Sachnummer zusätzlich Parallelinformationen bereitstellen. Anhand der Sachnummer soll möglichst die Verwendung eines Teils in übergeordneten Baugruppen abgeleitet werden können und die Art der Unterlage, die von der Sachnummer bezeichnet wird, soll erkennbar sein. Daraus ergeben sich teilweise widersprüchliche 67 Methoden des Produktdatenmanagements 3 Anforderungen an ein Sachnummernsystem: Ein Sachnummernsystem muss systematisch aufgebaut und dargestellt sein und die dahinter stehende Systematik erkennen lassen. Dadurch wird auch die Einprägsamkeit erhöht. Mit zunehmendem Umfang sinken die Merkbarkeit und die Handhabbarkeit des Systems, wogegen sich insbesondere bezüglich der Klassifizierung die Aussagefähigkeit erhöht. Wichtige Anforderungen sind noch die Erweiterungsfähigkeit und eine geringe Anfälligkeit gegen Fehler. Die Zusammenfassung von Nummern oder Nummernteilen im Interesse einer bestimmten Anwendung bezeichnet man als Nummernsystem. Ein Nummernsystem kann damit aus einer oder mehreren zusammengehörenden Nummern bestehen. Die Darstellung des formalen Aufbaus der Nummern in einem Nummernsystem wird als Nummernschema bezeichnet. Bezüglich der Sachnummern unterscheidet man im Wesentlichen zwischen zwei Systemformen: dem Verbundnummernsystem und dem System mit Parallelverschlüsselung. Diese werden im Folgenden erläutert. Abbildung 3-40: Aufgaben von Sachnummern 3.6.2 Sachnummernsysteme Beim Verbundnummernsystem handelt es sich um ein System, dessen Nummern aus starr verbundenen, klassifizierenden und zählenden Nummernteilen bestehen, wobei die zählenden von den klassifizierenden Nummernteilen abhängen. Abbildung 3-41 zeigt im oberen Bildteil das Nummernschema eines typischen Verbundnummernsystems. Im unteren Teil des Bilds ist ein Einzelteil nach diesem Schema benummert. Aus dem Beispiel der Verbundnummer des in Abbildung 3-41 verschlüsselten Bolzens wird deutlich: 68 68 3 Methoden des Produktdatenmanagements 1. Die gesamte zehnstellige Sachnummer identifiziert das Teil. 2. Aus der Nummer ist die hierarchische Einordnung des Bolzens in ein bestimmtes Produkt ersichtlich. Es wird jedoch keine Aussage über das Teil selbst gemacht (z. B. Form, Abmessung oder Werkstoff). 3. Das identische Teil erhielte bei Verwendung in einem anderen Erzeugnis oder auch nur einer anderen Baugruppe eine völlig andere Sachnummer. Gleiche oder ähnliche Teile in anderen Baugruppen oder Produkten sind daher nicht mit der Nummer zusammen zu finden. Die Vor- und Nachteile von Verbundnummern sind in Abbildung 3-42 dargestellt. Wie in Kapitel 3.7 dargestellt, kann die Sachnummer noch um eine Kennzeichnung der Version bzw. des Änderungszustands ergänzt werden. Nummernschema : SACHNUMMER Symbole B Buchstabe Z Ziffer verzweigt Beispiel: Identifizierung Klassifizierung Zähl- Nr. B Z Z Z Z Z Z Z Z Z H 1 6 2 8 0 3 0 2 8 PRODUKT: Kran 16 HAUPTGRUPPE : Oberwagen BAUGRUPPE : Drehantrieb EINZELTEIL : Bolzen Abbildung 3-41: Sachnummer als Verbundnummernsystem (Wiendahl, 2008) Verbundnummern Vorteile: Nachteile: „halbsprechende“ Nummer Nummernsystem neigt zum „Platzen“ Klassifizierung erkennbar Flexibilität eingeschränkt dezentrale Nummernvergabe möglich Erweiterbarkeit eingeschränkt relativ geringe Stellenzahl Änderung bei Klassifikation beeinflusst die Identifikation ohne EDV-System aussagefähig Abbildung 3-42: Vor-/Nachteile von Verbundnummern (Eigner, Hiller, Schindewolf, & Schmich, 1991) 69 Methoden des Produktdatenmanagements 3 Im Nummernsystem mit Parallelverschlüsselung wird im Gegensatz zum Verbundnummernsystem strikt zwischen Identifizierung und Klassifizierung getrennt. Der Identifizierungsnummer werden eine oder mehrere von dieser unabhängige Klassifizierungsnummern aus eigenständigen Nummernsystemen zugeordnet. Ein nach der Parallelverschlüsselung ausgeführtes Sachnummernsystem eignet sich eher für DV-spezifische Anwendungen. Manuell ist ein solches Nummernsystem schwer handhabbar, da die identifizierende Nummer keine Klassifikation enthält. In Abbildung 3-43 ist ein nach der Parallelverschlüsselung ausgeführtes Sachnummernsystem dargestellt. Man erkennt die beiden eigenständigen Nummernteile zur Identifikation und Klassifikation. Die Identifizierung erfolgt hier mit Hilfe einer sechsstelligen Zählnummer und einem davon unabhängigen zweistelligen so genannten Vergabebereich, der eine dezentrale Belegung von Nummernblöcken in verschiedenen Abteilungen des Unternehmens oder verschiedenen Gesellschaften eines Konzerns ermöglicht. Da die Zählnummer vor dem Vergabebereich steht, kann sie in jedem Unternehmensbereich uneingeschränkt wachsen. SACHNUMMER Identifizierung Vergabebereich Kennzahl Zähl.-Nr. Z Z Z Z Klassifizierung Z Z Z Z Feinklassifizierung Z Z Z Z ... ... 0 Anlagen und Geräte 0 frei 1 spezifische Baugruppen 1 frei 2 allgemeine Baugruppen 2 frei 3 Bauteile 3 MaschinenbauEinzelteile 4 Einzelteile 4 GenauformEinzelteile 5 Rohteile Halbzeuge 5 StahlbauEinzelteile 6 Stoffe Energie 6 GenaublechEinzelteile 7 Dokumentation 7 SchweißEinzelteile 8 Betriebsmittel 8 FügeEinzelteile 9 frei 9 frei Z Nummernschema: Symbole Z Ziffer verzweigt parallel Abbildung 3-43: Aufbau eines Sachnummernsystems mit Parallelverschlüsselung, nach WZLDEMAG zitiert in (Wiendahl, 2008) Auch die Sachnummer mit Parallelverschlüsselung wird sinnvollerweise um eine Kennzeichnung der Version bzw. des Änderungszustands ergänzt (siehe Kapitel 3.7). In Abbildung 3-44 sind die Vor- und Nachteile eines nach der Parallelverschlüsselung ausgeführten Sachnummernsystem dargestellt. Da Identifizierung und Klassifizierung voneinander unabhängig sind, können sie jeweils einzeln geändert und erweitert werden. Insbesondere ist ein "Platzen" des Systems nicht mehr dadurch möglich, dass die Zählnummer größer als die geplante Stellenzahl wird. Nachteilig für die 70 70 3 Methoden des Produktdatenmanagements Handhabung wirkt sich die gegenüber dem Verbundnummernsystem größere Stellenanzahl aus. Trotz des höheren Einführungsaufwands stellt die Parallelverschlüsselung die DV-gerechtere Lösung dar. Sachnummern mit Parallelverschlüsselung Vorteile: Nachteile: Identifizierungsnummer kurz hoher Einführungsaufwand Identifizierungsnummer eindeutig größere Stellenzahl bei gleicher Aussagefähigkeit wie Verbundnummer einheitliche Nummerung erweiterbar datenverarbeitungsgerecht Änderung einer Klassifikation ohne Rückwirkung auf Identifikation aussagefähig durch nebenstehende Klassifikation identifizierende Nummer kann selbständig verwendet werden Abbildung 3-44: Vor-/Nachteile von Sachnummern mit Parallelverschlüsselung (Eigner, Hiller, Schindewolf, & Schmich, 1991) 3.7 Freigabe- und Änderungswesen Im Rahmen der Produktentwicklung durchläuft ein Produkt verschiedene Phasen. Das Freigabewesen beschreibt die in der Produktentwicklung notwendigen organisatorischen Maßnahmen, die im Zusammenhang mit dem Übergang des Produkts von einer Phase in die nächste entstehen. Auch bei der sorgfältigsten Entwicklung lassen sich in Produktionsunternehmen technische Änderungen aus verschiedenen internen und externen Gründen nicht vermeiden. Dies können neben Weiterentwicklungen auch Richtigstellungen oder neue anerkannte Regeln der Technik sein. Die Festlegung von Maßnahmen im Zuge von Änderungen sowie die Festlegung des Ablaufs von Änderungen sind Gegenstände des betrieblichen Änderungswesens. Nach (DIN 199-4, 1981) umfasst das Änderungswesen „… die innerbetriebliche Organisation und die zugehörenden Organisationsmittel zur Änderung von Gegenständen, z. B. von Unterlagen und Teilen.“ Anhand des in Abbildung 3-45 dargestellten stark vereinfachten Phasenmodells von Freigaben, Änderungen und Verboten soll das Freigabe- und Änderungswesen grob erläutert werden und sich in diesem Zusammenhang ergebende Probleme angerissen werden. Die Produktkonstruktion beginnt mit dem Entwerfen, d. h. der Festlegung der Funktions- und Wirkstrukturen des Produkts. Nach einer erfolgreichen Prüfung des Entwurfs erfolgt die Freigabe zum Detaillieren. Hierbei entsteht die geometrische Gestalt des Produkts. Am Ende dieser Phase steht die Konstruktionsfreigabe des Produkts. Vor der eigentlichen Serienfertigung erfolgt die Erprobung und Optimierung der Fertigung in einer hier Industrialisierung genannten Phase. Am Ende dieser Phase stehen die Serienfreigabe und der Anlauf der Serienproduktion mit dem Änderungsindex n. Im Lauf 71 Methoden des Produktdatenmanagements 3 der Serienproduktion entsteht die Notwendigkeit zur Änderung des Produkts. Die Dokumentation der Notwendigkeit der Änderung erfolgt in dem Änderungsantrag "Ändern". Die Änderung der Produktunterlagen wird durchgeführt und nach erfolgter Prüfung freigegeben. Die Serienproduktion des geänderten Teils mit dem Index n+1 läuft an. Gleichzeitig muss sichergestellt werden, dass die Benutzung von Unterlagen, die das Produkt noch im Änderungszustand n beschreiben, verboten wird. Dies erfordert unter anderem eine Mitteilung an die betroffenen Stellen. Mit dem Ersetzen des Produkts durch ein nachfolgendes Produkt, in Abbildung 3-45 durch den Änderungsantrag "Ersetzen" gekennzeichnet, wird die Kette von Freigaben bei der Produktentwicklung erneut durchlaufen und das alte Produkt (Index n+1) nach Serienfreigabe des neuen Produkts (Index m) gesperrt. Entwurf Detaillierung 1 Entwurf 1 2 Detaillierung 2 Industrialisierung Änderungsantrag „Ersetzen“ Änderungsantrag „Ändern“ Serienproduktion Index n 3 Serienproduktion Index n+1 4 Industrialisierung 3 4 Serienproduktion Index m 5 Änderungsdurchführung Legende: 1 Freigabe zum Detaillieren 5 Änderungsfreigabe 2 Konstruktionsfreigabe 4 Verbot 3 Serienfreigabe Abbildung 3-45: Phasenmodell von Freigaben, Änderungen und Verboten Diese sehr vereinfacht dargestellten Beziehungen von Freigaben, Änderungen und Verboten veranschaulichen die hohe Komplexität des Gebiets. Insbesondere, wenn man sich vor Augen hält, dass die obige Darstellung nur an einem einzigen Produkt in einer einzigen Hierarchiestufe erfolgt ist, wird deutlich, wie sehr die Verschachtelung von Freigabe, Änderungen und Verboten bei einer mehrstufigen Produktstruktur und der Zugehörigkeit eines Bauteils zu mehreren Produkten eines definierten Ablaufs bedarf. 3.7.1 Freigaben Freigabe bezeichnet eine bestimmten Anweisungen entsprechende Genehmigung nach abgeschlossener Prüfung (DIN 6789-5, 1995). Für die Voraussetzungen, nach denen Freigaben erteilt werden gelten firmenspezifische Vorgaben. Je nach Lebensphase, Vorgang oder Komplexität des Ablaufs werden unterschiedliche Freigabearten unterschieden. In Tabelle 3-1 sind einige Beispiele aufgeführt. Da auch die Bezeichnungen für die Freigabearten oft firmenspezifisch gehandhabt werden, handelt es sich hier nur um Empfehlungen. 72 72 3 Methoden des Produktdatenmanagements Der Freigabeablauf umfasst die erforderlichen Schritte, die innerhalb eines Unternehmens durchlaufen werden müssen, bis eine Unterlage, Projekt oder Artikel einen bestimmten Status erreicht hat. Für den Einsatz eines Produktdatenmanagementsystems müssen die bestehenden Freigabeabläufe einmal untersucht und präzisiert sowie weiterhin für eine Abbildung der ablauforganisatorischen Verwaltung im Produktdatenmanagementsystem noch weiter strukturiert werden. Hilfsmittel dazu sind folgende Strukturierungselemente [EiSt09]: Status: Ein Status bezeichnet den momentanen Zustand einer Unterlage oder eines Artikels. Damit wird ein Freigabeablauf vor der eigentlichen Freigabe noch weiter gegliedert und präzisiert. Mögliche Status sind beispielsweise: "in Arbeit", "in Prüfung", "zurückgewiesen" und "freigegeben". Reifegrade: Ein Reifegrad kennzeichnet die Phasen des Produktanlaufs bzw. -durchlaufs eines Artikels oder einer Unterlage. Entsprechend der Organisation des betrieblichen Ablaufs können z. B. folgenden Phasen Reifegrade zugeordnet werden: Entwurf, Detaillierung, Prototyp, Fertigungsunterlagen, Null-Serie, Serie. Prüfabläufe: Prüfabläufe definieren den Übergang zwischen möglichen Kombinationen aus Status und Reifegrad. Dabei umfasst ein Prüfablauf alle erforderlichen Schritte, die durchlaufen werden müssen, damit eine Unterlage, ein Artikel oder ein Projekt einen anderen Status erreicht. So wird beispielsweise in einem Prüfablauf festgelegt, dass ein Dokument im Reifegrad Detaillierung zuerst den Status "in Prüfung" durchlaufen muss, bevor es den Status "freigegeben" erhalten kann. Die Status und Reifegrade eines Freigabeablaufs können mit dem festgelegten Prüfablauf in einer Matrix dargestellt werden (vgl. Abbildung 3-45). Diese Matrix wird auch Fortschrittskenner genannt (siehe Kapitel 4.3). Gegenstand Prüfen (Review) geänderter Gegenstand Befund Ändern zur Freigabe geeignet? Nein Ja Freigegeben Freigabe (Release) Abbildung 3-46: Freigabeablauf (DIN 6789-5, 1995) 73 Methoden des Produktdatenmanagements 3 Bezeichnung Definition (DIN 6789-5, 1995) Bemerkung [EiSt09] Generalfreigabe Die Generalfreigabe ist die Freigabe zur produktbezogenen uneingeschränkten Nutzung. Äquivalent auch „Freigabe“ Konstruktionsfreigabe Die Konstruktionsfreigabe ist die Freigabe für gestaltende Tätigkeiten zur Realisierung bestimmter Funktionen und/oder Formen nach vorgegebenen Bedingungen. Mit der Konstruktionsfreigabe übergibt die Entwicklung/ Konstruktion die erzeugnisspezifischen Dokumente der Fertigungsplanung. Um Risiken bei der Freigabe eines neuen Erzeugnisses zu minimieren, sollten folgende Kriterien erfüllt sein: Entwicklung und Erprobung im Wesentlichen abgeschlossen, Funktion und Qualität gesichert Stückzahlen, Entwurfs-, Werkzeug-, Vorrichtungs- und Anlagenkosten sind hinreichend genau bekannt, um den Ertrag zu bestimmen. Serienfreigabe Die Serienfreigabe ist die Freigabe zur wiederholten Fertigung von typgleichen Gegenständen Dokumentenfreigabe Die Dokumentenfreigabe ist die Freigabe zur Nutzung eines Dokumentes. Die Serienfreigabe erfolgt nach Überprüfung der Nullserie insbesondere hinsichtlich Kosten- und Qualitätsgesichtspunkten. Tabelle 3-1: Beispiele für Freigabearten (DIN 6789-5, 1995) und [EiSt09] 74 74 3 Methoden des Produktdatenmanagements Serie Nullserie Fertigungsunterlagen Industrialisierung Prototyp Entwurf Status Detaillierung Entwicklung Reifegrad freigegeben freigegeben reserviert 6 in Prüfung 7 3 zurückgewiesen 1 4 5 2 in Arbeit inaktiv Abbildung 3-47: Unterlagendurchlauf verschiedener Status/Reifegrade [EiSt09] Das in Abbildung 3-47 skizzierte Beispiel zeigt den Durchlauf einer Unterlage anhand der aus Status und Reifegrad gebildeten Matrix. Dabei wird folgender Vorgang beschrieben: 1. Nachdem ein 3D-Modell im Reifegrad "Entwurf" den Status "freigegeben" erhalten hat, "holt" sich ein Konstrukteur die Unterlage zur Detaillierung. Während der Bearbeitung erhält die Unterlage den Status "in Arbeit". 2. Nach Beendigung der Konstruktion schickt der Konstrukteur das 3D-Modell zur Prüfung; Status "in Prüfung". 3. Die Prüfstelle akzeptiert die Konstruktion nicht. Die Unterlage erhält den Status "zurückgewiesen". 4. Der Konstrukteur holt sich das Modell zum Ändern, der Status wechselt dabei auf "in Arbeit". 5. Nach Abschluss der Änderungen wird die Unterlage wieder zur Prüfung geschickt. Erneuter Status "in Prüfung". 6. Die Prüfstelle akzeptiert die Konstruktion und gibt sie frei. Die Unterlage erhält den Status "freigegeben". 7. Erst nach erfolgter Detaillierung kann mit der Erstellung eines Prototyps begonnen werden. 3.7.2 Änderungen Trotz größter Sorgfalt und Planung lassen sich Änderungen in Erzeugnissen und ihren Teilen nicht vermeiden. Wegen der großen Auswirkungen, die eine Änderung im Herstellprozess, aber auch im Gebrauch des Erzeugnisses nach sich ziehen kann, bedarf es einer konkreten Regelung der Zuständigkeit, der Verantwortlichkeit und des Ablaufs von Änderungen. Diese Regeln werden formal durch das Änderungswesen oder den Änderungsdienst festgelegt und gesteuert. 75 Methoden des Produktdatenmanagements 3 Die Notwendigkeit einer Änderung eines Produkts, eines Teils oder einer Unterlage ergibt sich nach (DIN 6789-3, 1990) aus folgenden Gründen: funktionelle Verbesserung, Fertigungsrationalisierung, Kundenwunsch, Marktbedürfnis, Behebung von Fehlern in technischen Dokumenten, Behebung von Ausschussursachen und gesetzliche Bestimmungen. Die Änderungsarten sind nach in (DIN 6789-3, 1990) definiert (siehe Tabelle 3-2). Nach (DIN 199-4, 1981) umfasst das Änderungswesen "die innerbetriebliche Organisation und die dazugehörigen Organisationsmittel zur Änderung von Gegenständen, z. B. von Unterlagen oder Teilen". Es schließt weiterhin in der Regel die Folgeänderungen von spezifischen Fertigungs-, Messund Prüfmitteln ein. Abbildung 3-48 zeigt den prinzipiellen Ablauf einer Änderung nach (DIN 199-4, 1981). Änderungswünsche, die von unterschiedlichen Seiten her auftreten können, werden in einem Änderungsantrag konkretisiert und dokumentiert. Die Änderungsanträge werden zunächst in der jeweiligen Abteilung diskutiert und bezüglich ihrer Dringlichkeit eingeordnet. Da eine Änderung im Regelfall Auswirkungen auf alle Abteilungen hat, muss die endgültige Entscheidung bezüglich der Durchführung der Änderung sowie über die Übernahme der anfallenden Kosten und den Änderungstermin in einer gemeinsamen Sitzung aller beteiligten Abteilungen getroffen werden. Nach erfolgtem Änderungsbeschluss müssen alle Abteilungen und dort jeder betroffene Sachbearbeiter von der Änderung in Kenntnis gesetzt werden. Dies geschieht über die Änderungsmitteilung. Dann erfolgt die Durchführung der Änderung, d. h. die Änderung der Zeichnungen, Stücklisten, Fertigungsunterlagen unter der Überwachung des jeweiligen Verantwortlichen. Zum festgelegten Termin tritt die Änderung in Kraft. Spätestens bei der Durchführung der Änderung ist damit der Änderungsablauf grundsätzlich mit einem Freigabeablauf vergleichbar. Die geänderten Teile und Baugruppen durchlaufen ähnliche Prozeduren wie bei einer Neufreigabe. Auch bezüglich des Änderungsablaufs können die bei der Behandlung des Freigabewesens besprochenen Strukturierungshilfen Status, Reifegrade und Prüfabläufe verwendet werden. 76 76 3 Methoden des Produktdatenmanagements Änderungsvorlauf Änderungsantrag schreiben Änderungsbeschreibung Änderungsantrag Antrag prüfen Änderungsvorgang Ablehnung Änderung durchführen nein Ablehnung begründen Abgelehnter Änderungsantrag Änderungsdurchführung Ja ÄnderungsAuftrag schreiben Änderungsbeschreibung Änderungsauftrag Zeichnung, Stücklisten ändern Änderungsbeschreibung Stückliste Zeichnung Änderungsdienst: Verteilen von geänderten Zeichnungen, Stücklisten usw. Abbildung 3-48: Änderungsablauf (DIN 199-4, 1981) 77 Methoden des Produktdatenmanagements 3 Änderung: Eine Änderung ist die vereinbarte Festlegung eines neuen anstelle des bisherigen Zustandes Austauschbarkeit: Die Austauschbarkeit eines Gegenstands ist seine Eignung, einen anderen Gegenstand zu ersetzen. Vollaustauschbarkeit Die Vollaustauschbarkeit ist die Eignung eines Gegenstandes, einen bisherigen Gegenstand zu ersetzen, oder durch diesen ersetzt zu werden. Vorwärtsaustauschbarkeit Die Vorwärtsaustauschbarkeit ist die Eignung eines Gegenstandes, einen bisherigen Gegenstand zu ersetzen, ohne jedoch durch diesen in jedem Fall ersetzt werden zu können. Eingeschränkte Austauschbarkeit: Die eingeschränkte Austauschbarkeit ist die nur bedingte Eignung eines neuen Gegenstands, einen bisherigen zu ersetzen oder durch einen bisherigen Gegenstand ersetzt werden zu können. Nichtaustauschbarkeit: Nichtaustauschbarkeit ist gegeben, wenn ein neuer Gegenstand einen bisherigen nicht ersetzen kann. Tabelle 3-2: Änderungsarten (DIN 6789-3, 1990) Verteiler: Konstruktion Vertrieb Fertigung sonstige Antragsteller Kunde ÄnderungsÄnderungsantrag Änderungsantrag antrag ÄnderungsÄnderungsantrag Änderungsantrag antrag ÄnderungsÄnderungsantrag Änderungsantrag antrag Vorklärung, Vorschlag der Dringlichkeitsstufe Fertigungsplanung Arbeitsvorbereit. Betriebsmittelplanung Vorklärung, Stellungnahme, Vorschlag Änderungsmitteil. Konstruktion Beschlussfassung: 1) Änderungsstufe 2) Kostenträger 3) Einsatztermin Stellungsnahme Vorschlag der Dringlichkeitsstufe Vertrieb Konstruktion Normenstelle Materialdisposition Arbeitsvorbereitung Lager Archiv ÄnderungsÄnderungsantrag Änderungsantrag mitteilung Erstellen der Änderungsmitteilung Überwachung der Durchführung Vertrieb Abbildung 3-49: Beispielhafter Ablauf einer Änderung (Wiendahl, 2008) In Abbildung 3-49 ist ein möglicher Ablauf einer Änderung dargestellt. Nicht aufgeführt ist die Dokumentation der durchgeführten Änderung, d.h. die Kennzeichnung der Änderung in den Unterlagen, sowie eine Verwaltung der gültigen Version der Unterlagen, die auch den Einzug noch im 78 78 3 Methoden des Produktdatenmanagements Umlauf befindlicher Unterlagen einer älteren Version beinhaltet. Die Dokumentation der Änderungen ist nicht zuletzt aufgrund des gestiegenen Produkthaftungsrisikos sowie des in der Norm ISO 9001 festgelegten Qualitätssicherungsmodells (siehe Kapitel 2.3) erforderlich. Die Kenntlichmachung einer Änderung geschieht in einem Dokument in der Regel durch das Anhängen oder Einbeziehen eines Änderungsindex in die Teile- oder Sachnummer, der meist in Form einer Zählnummer geführt wird (siehe Kapitel 3.6). Dabei werden zwei Arten von Änderungsindizes unterschieden [EiSt09]: passiver Änderungsindex: Der Änderungsindex ist nicht Bestandteil der das Teil eindeutig identifizierenden Sachnummer. Damit wird bei einer Erhöhung des Änderungsindex kein neuer Stammdatensatz angelegt. Befindet sich das geänderte Teil in einer Beziehung, z. B. einer Stückliste, wird automatisch der neue Änderungsstand übernommen, da ja unter der alten Identifikation das geänderte Teil angesprochen wird. aktiver Änderungsindex: In diesem Fall ist der Änderungsindex Teil der Identifikation des Stammdatensatzes. Das heißt, dass bei der Erhöhung des Änderungsindex dadurch, dass die Stammdaten des Teils durch eine neue Identifizierung angesprochen werden und sie damit quasi dupliziert werden, ein neuer Stammdatensatz entsteht. Die Auswirkungen auf die Beziehungen des Teils, d. h. seine Einordnung in die Erzeugnisstruktur, hängen von der definierten Referenzierung ab. Generell stellt sich bei der Durchführung von Änderungen an einem Teil die Frage, wie diese Änderungen gegenüber dem Ausgangszustand innerhalb der Beziehungen (Strukturdaten) des Teils, also seine Einordnung in die Erzeugnisstruktur, behandelt werden sollen. Die Art der Auswirkungen einer Änderung auf die strukturellen Beziehungen eines Teils müssen zusammen mit den Beziehungen definiert werden. Dabei lassen sich folgende Fälle unterscheiden [EiSt09]: Statische Referenzierung: Die Beziehung weist auf ein bestimmtes Element. Bei einer Änderung, d. h. einem Versionswechsel bleibt die alte Version in die Beziehungen eingetragen. Eine Übernahme der neuen Version muss manuell erfolgen. Beispiel: Nach Änderung eines in der Stückliste verwendeten Artikels wird weiterhin die Identifikationsnummer des alten Artikels in der Stückliste geführt und damit bleibt der alte Artikel in der Struktur. Dynamische Referenzierung: Bei einem Versionswechsel wird automatisch die aktuellste Version unabhängig vom jeweiligen Freigabestatus in einer Beziehung angezeigt. Zeitgesteuerte Referenzierung: Die Übernahme einer neuen Version in eine Beziehung erfolgt zeitgesteuert. Zum Beispiel kann durch Angabe eines Gültigkeitszeitraums der Zeitpunkt definiert werden, an dem die alte Version eines Teils ihre Gültigkeit verliert und durch eine neue ersetzt wird. Ereignisgesteuerte Referenzierung: Die Übernahme einer neuen Version in die Beziehungen ist an das Eintreten eines bestimmten Ereignisses geknüpft. Zum Beispiel kann die alte Version so lange Gültigkeit haben, bis der noch vorhandene Bestand an Teilen dieser Version aufgebraucht ist. Wie oben dargestellt, bewirkt der Einsatz eines passiven Änderungsindex im natürlichen Fall eine dynamische Referenzierung. Eine eventuell erwünschte zeit- oder ereignisgesteuerte Referenzierung muss "künstlich" erzeugt werden, indem die Freigabe der Änderung bis zum gewünschten Zeitpunkt bzw. dem Ereignis zurückgehalten wird. Der aktive Änderungsindex dagegen bewirkt von sich aus eine statische Referenzierung. Bei seinem Einsatz kann aber ohne einen "künstlichen" Umweg jede andere Art der Referenzierung definiert werden. 79 Methoden des Produktdatenmanagements 3 3.8 Literatur Online: Abgerufen am 19. 03 2008 von http://www.opel.de/res/download/pdf/0A_price.pdf Bernhard, R., & Bernhard, W. (1990). Nummerungssysteme. Ehningen bei Böblingen: expert Verlag. Daubechies, I. (1992). Ten lectures on wavelets. SIAM. DIN 1463-2. (1993). Erstellung und Weiterentwicklung von Thesauri; Mehrsprachige Thesauri. DIN 199-1. (2002). echnische Produktdokumentation - CAD-Modelle, Zeichnungen und Stücklisten Teil 1: Begriffe. DIN 199-4. (1981). Begriffe im Zeichnungs- und Stücklistenwesen; Änderungen. DIN 199-5. (1981). Begriffe im Zeichnungs- und Stücklistenwesen - Stücklisten-Verarbeitung, Stücklistenauflösung. DIN 2330. (1993). Begriffe und Benennungen; Allgemeine Grundsätze. DIN 2331. (1980). Begriffssysteme und ihre Darstellung. DIN 4000-1. (1992). Sachmerkmal-Leisten; Begriffe und Grundsätze. DIN 6763. (1985). Nummerung; Grundbegriffe. DIN 6789-1. (1990). Dokumentationssystematik - Aufbau Technischer Produktdokumentationen. DIN 6789-3. (1990). Dokumentationssystematik - Änderungen von Dokumenten und Gegenständen, Allgemeine Anforderungen. DIN 6789-5. (1995). Dokumentationssystematik - Freigabe in der Technischen Produktdokumentation. Eigner, M., & Stelzer, R. (2008). Produktdatenmanagement-Systeme (2. Aufl. Ausg.). Berlin: Springer. Enden, A. v. (1990). Digitale Signalverarbeitung. Braunschweig Wiesbaden: Vieweg. Eversheim, W. (1989). Simultaneous Engineering - eine organisatorische Chance. In VDI-Berichte Nr. 758 "Simultaneous Engineering". Düsseldorf: VDI-Verlag. Eversheim, W. (1996). Organisation in der Produktionstechnik (Bd. Band 1). Düsseldorf: VDI Verlag. Kuhlen, R. (1995). Informationsmarkt: Chancen und Risiken der Kooerzialisierung von Wissen. Konstanz: Universitätsverlag, Schriften zur Informationswirtschaft Nr.15. Rijsbergen, C. v., & Sparck Jones, K. (1973). A Test vor for the Separation of Relevant and Nonrelevant Documents in Exoerimental Retrieval Collections. Journal of Documentation 29. Schrüpfer, E. (1990). Signalverarbeitung: Numerische Verarbeitung digitaler Signale. München Wien: Hanser. VDI Richtlinie 2215. (1980). Datenverarbeitung: Organisatorische Voraussetzungen und allgemeine Hilfmittel. Düsseldorf: VDI Verlag. Wiendahl, H.-P. (2008). Betriebsorganisation für Ingenieure. München Wien: Carl Hanser. 80 80 4 Funktionen eines Produktdatenmanagementsystems 4 Funktionen eines Produktdatenmanagementsystems In den vorangegangenen Kapiteln wurde dargelegt, welche Ziele mit dem Einsatz von Produktdatenmanagementsystemen (PDM-Systemen) verfolgt werden und welche Technologien bzw. welche organisatorischen Voraussetzungen für ihren Einsatz erforderlich sind. In diesem Kapitel soll nun gezeigt werden, wie Produktdatenmanagementsysteme im Allgemeinen arbeiten und wie die mit dem Produktdatenmanagement verknüpften Ziele realisiert werden. Die Nutzungspotentiale von PDMSystemen werden in [Weh00] ausführlich dargestellt. Die wesentlichen Funktionen solcher Systeme, die in diesem Zusammenhang behandelt werden, sind 4.1 die Elementverwaltung, die Privilegienverwaltung, die Ablaufverwaltung und die Dateiverwaltung. Elementverwaltung Die Basisfunktionen von Produktdatenmanagement-Systemen sind die Speicherung und Verwaltung von Informationen, die einzelne Elemente beschreiben (Stammdaten), sowie der Aufbau und die Verwaltung von Beziehungen (Strukturen) zwischen den Stammdaten. Prinzipiell sind PDM-Systeme in der Lage, beliebige Arten von Informationseinheiten abzubilden. Aus Gründen der einfacheren Verarbeitung werden diese üblicherweise in Gruppen zusammengefasst, die durch gleiche Attribute beschrieben werden können (z. B. Projekt, Artikel/ Teil, Unterlage). Wie derartige Elemente, deren Stammdaten sowie die Beziehungen zwischen den einzelnen Elementen dieser Produktdatenmanagementsysteme verwaltet werden, wird in diesem Abschnitt beschrieben. Stammsatzverwaltung Elemente, die durch ein PDM-System, erfasst sind, werden üblicherweise mit ihren wichtigsten beschreibenden Merkmalen (Attribute) gespeichert und verwaltet. Die einem Element zugewiesenen Attribute werden in diesem Fall als Stammdaten bzw. Strukturdaten bezeichnet (siehe Kapitel 3.1), die Gesamtheit aller Daten als Stammsatz (vgl. [VDMA88]). Übliche Darstellungsformen für Stammsätze sind: Tabellarische Darstellung mehrerer Stammsätze in Form einer Liste und die Darstellung eines einzigen Stammsatzes in Form eines sog. Formulars (siehe Abbildung 4-1). 81 Funktionen eines Produktdatenmanagementsystems 4 Abbildung 4-1: Darstellung von Stammsätzen Die in einem Stammsatz enthaltenen Attribute können in zwei Gruppen unterteilt werden: Standardattribute mit identifizierenden Attributen und Verwaltungsattributen sowie anwenderspezifische Attribute (Abbildung 4-2). Als Attributtyp stellen PDM-Systeme verschiedene Standardtypen zur Verfügung, mit denen die gebräuchlichsten Merkmale abgebildet werden können. Diese sind z. B. Zeichenketten beliebiger Länge, reelle oder ganze Zahlen, logische Typen oder Spezialtypen sowie der Datumstyp. Im Folgenden werden die Eigenschaften der verschiedenen Arten von Attributen genannt und anhand einiger Beispiele beschrieben. Identifizierende Attribute Identifizierende Attribute werden vom PDM-System benötigt, um einzelne Elemente differenzieren und somit ordnungsgemäß verwalten zu können. Sie sind Bestandteil jedes Stammsatzes und müssen in jedem Fall mit Werten belegt werden. In der Regel existieren vier identifizierende Merkmale: Elementnummer: Die Elementnummer oder ID kann vom Anwender frei gewählt werden, muss aber eindeutig sein. Sie bildet in Verbindung mit der Versions- und der Revisionsnummer den identifizierenden Schlüssel des jeweiligen Stammsatzes. Versionsnummer: Die Versionsnummer dient der Kennzeichnung von Elementversionen und gibt den Änderungszustand infolge sog. Hauptänderungen wieder. 82 82 4 Funktionen eines Produktdatenmanagementsystems Revisionsnummer: Mit Hilfe der Revisionsnummer können kleinere Nebenänderungen (Bagatelländerungen) dokumentiert werden, die nicht zu einer neuen Version führen. Elementbezeichnung: Mittels der Elementbezeichnung können beschreibende Informationen in alphanumerischer Form (Name) dem Stammsatz hinzugefügt werden. Diese Informationen dienen in erster Linie der Überschaubarkeit des Datenvolumens durch den Anwender. Attribute des Stammsatzes Standardattribute ... werden vom System für die Elementverwaltung benötigt. ... sind fester Bestandteil jedes Stammsatzes. ... werden bei Elementanlage vom Benutzer gesetzt, danach vom System überwacht und ggf. an Zustandsänderungen angepasst. Identifizierende Attribute Verwaltungsattribute dienen der Differenzierung gespeicherter Elemente dienen der Verwaltung gespeicherter Elemente Beispiele: - Sachnummer - Elementnummer - Versionsnummer - Revisionsnummer - Elementbezeichnung Beispiele: - Strukturkennziffern - Prüfablauf - Fortschrittskenner - Gültigkeitszeitraum Anwenderspezifische Attribute Beschreibung der für den Benutzer wichtigen Elementeigenschaften nicht von vornherein Bestandteil des Stammsatzes Einrichtung durch den Benutzer (Customizing) Beispiele: - Werkstoff - Maße - Gewicht - Lieferant - Kosten - Termine Abbildung 4-2: Attribute des Stammsatzes (Stammdaten) Bei der Neuanlage eines Elements werden die identifizierenden Attribute vom Anwender gesetzt. Änderungen können je nach Status des Elements vom Benutzer selbst durchgeführt werden bzw. werden automatisch vom Managementsystem vorgenommen (z. B. Erhöhung der Versionsnummer bei Versionsänderungen). Verwaltungsattribute Als Verwaltungsattribute werden solche Merkmale bezeichnet, die neben den identifizierenden Merkmalen vom PDM-System für die Verwaltung der einzelnen Elemente benötigt werden. Wie die identifizierenden Merkmale sind sie fester Bestandteil der Stammsätze des jeweiligen Produktdatenmanagementsystems. Allgemein gebräuchliche Verwaltungsattribute für Informationseinheiten im Zusammenhang mit Industrieaufträgen (Projekt, Artikel, Unterlage) sind: Strukturkennziffern: Sie dienen der Kennzeichnung, wenn einzelne Elemente in hierarchischen Strukturen verwendet werden. Demzufolge gibt es eine Kennziffer, die angibt, wie viele Elemente einem Element direkt untergeordnet sind und eine weitere Ziffer für die Anzahl der unmittelbar übergeordneten Elemente. Prüfablauf: Dieser beschreibt alle möglichen Zustandsänderungen (Status, Reifegrad) eines Elements in Verbindung mit den Ablaufschritten, die hierfür in einem Unternehmen erforderlich sind (vgl. Kapitel 3.5, 4.3) Status: Der Status beschreibt den Zustand eines Stammsatzes innerhalb einer Lebensphase (auch Reifegrad). Beispiele für den Status sind ‚inaktiv’, ‚in Arbeit’, etc. 83 Funktionen eines Produktdatenmanagementsystems 4 Reifegrad: Der Reifegrad, auch Lebensphase genannt gibt an, in welcher Phase des Produktlebenszyklus sich das Objekt (z.B. Dokument oder Teil) befindet. Beispiel für den Reifegrad sind ‚Entwurf’, ‚Detaillierung’, etc. Fortschrittskenner: Dieser stellt eine systeminterne Kennzeichnung für den aktuellen Zustand (Kombination aus Status und Reifegrad) des Stammsatzes bezüglich des zugewiesenen Prüfablaufs dar [EiSt09] (vgl. Beispiel in Bild 4-3) Gültigkeitszeitraum: Der Gültigkeitszeitraum eines Elements setzt sich zusammen aus dem "Gültig ab"-Datum und dem "Gültig bis"-Datum und kennzeichnet denjenigen Zeitraum, innerhalb dessen das Element zur Produktion freigegeben ist. Verwaltungsattribute werden teilweise vom Anwender belegt, teilweise werden sie aber auch vom Informationssystem vorgegeben bzw. automatisch geändert (z. B. Strukturkennziffern nach Strukturierung oder Fortschrittskenner bei Zustandsänderungen). Anwenderspezifische Attribute Anwenderspezifische Attribute sind solche Merkmale, die Eigenschaften eines Elements beschreiben, die für den Anwender von besonderer Bedeutung sind, und die er außer in zugeordneten Unterlagen im Artikelstammsatz speichern möchte. Diese Attribute sind in der Regel nicht von vornherein Bestandteil der Stammsätze, sondern werden nach Bedarf durch den Benutzer eingerichtet. Einige Beispiele für anwenderspezifische Attribute werden im Rahmen der Erläuterung der Elementklassen "Artikel" und "Unterlage" beschrieben. Design (100) Entwurf (200) Muster (300) Detaillierung (400) Fertigungsunterlagen (500) Nullserie (600) Serie (700) Freigegeben (60) 160 260 360 460 560 660 760 Freigegeben reserviert (50) 150 250 350 450 550 650 750 in Prüfung (40) 140 240 340 440 540 640 740 zurückgewiesen (30) 130 230 330 430 530 630 730 in Arbeit (20) 120 220 320 420 520 620 720 inaktiv (10) 110 210 310 410 510 610 710 Abbildung 4-3: Status-Reifegrad-Matrix mit Fortschrittskenner Funktionen zur Manipulation der Stammsätze Die Zusammensetzung der im PDM-System gespeicherten Liste von Stammsätzen kann durch folgende Basisfunktionen manipuliert werden: Einfügen von Stammsätzen, Löschen von Stammsätzen, Ändern von Stammsätzen und Kopieren von Stammsätzen. 84 84 4 Funktionen eines Produktdatenmanagementsystems Im Zusammenhang mit diesen Funktionen werden von Produktdatenmanagementsystemen Mechanismen bereitgestellt, die dafür sorgen, dass innerhalb des Informationsvolumens keine Inkonsistenzen infolge der Manipulation auftreten. Im Folgenden sind einige dieser Schutzmechanismen aufgeführt: Es wird nicht zugelassen, dass neue bzw. kopierte Elemente mit einer bereits existierenden Elementnummer versehen werden. Es wird gewarnt, wenn Elemente gelöscht werden sollen, die in Strukturen verwendet werden oder auf die anderweitig referenziert wird. Änderungen am Stammsatz (z. B. Elementnummer) werden automatisch überall dort übernommen, wo auf das entsprechende Element referenziert wird (z. B. Stückliste). Änderungen am Stammsatz oder Löschvorgänge werden nur dann zugelassen, wenn dies mit den Rechten des Benutzers in Verbindung mit dem aktuellen Zustand im Prüfablauf vereinbar ist. Funktionen zur Darstellung der Stammsätze Neben den Manipulationsfunktionen stellen Produktdatenmanagementsysteme Funktionen bereit, die die Darstellung der gespeicherten Datensätze betreffen. Hierbei handelt es sich im Wesentlichen um Suchfunktionen und Versionssichten. Da das in einem PDM-System gespeicherte Informationsvolumen nahezu jede beliebige Größe annehmen kann (z. B. mehrere Tausend Datensätze), kommt effizienten Such- und Selektionsfunktionen eine besondere Bedeutung zu. Sie erlauben es, die Menge der dem Benutzer zur Verfügung stehenden Daten anhand von vorzugebenden Suchkriterien einzuschränken. Hierbei kann jedes Attribut des Stammsatzes zur Suchanfrage herangezogen werden, wobei attributsübergreifende Suchbedingungen in der Regel mit einem logischen "und" verknüpft werden. Für die Suche nach bestimmten Datensätzen stellen PDM-Systeme Vergleichsoperatoren, logische Operatoren und Ersatzzeichen bereit, die die Suche erleichtern bzw. Mehrfachselektionen ermöglichen (Abbildung 4-4). 85 Funktionen eines Produktdatenmanagementsystems 4 Artikelstamm A Gehäuse Antriebswelle Zahnrad Ankerwelle Schraube Stift Kollektor Lager B C D 20 25 35 40 60 65 75 95 180 150 145 135 120 115 110 90 1 1 2 1 2 1 1 1 Operator EingabeBeispiel Resultat Größer (>) B > 60 Stift Kollektor Kleiner (<) C < 130 Gleich (=) A = „Ankerwelle“ Ungleich (<>) D <> 1 UND (&) B > 30 & B < 70 ODER (|) B > 70 | C < 120 Ersatzzeichen (%) A = %welle% Lager 65 75 95 115 1 110 1 90 1 Schraube Stift Kollektor Lager 60 65 75 95 120 2 115 1 110 1 90 1 Ankerwelle 40 135 1 Zahnrad Schraube 35 60 145 2 120 2 Zahnrad 35 Ankerwelle 40 Schraube 60 Stift 65 Kollektor Lager Stift Antriebswelle Ankerwelle 145 135 120 115 2 1 2 1 75 95 65 110 1 90 1 115 1 25 40 150 1 135 1 Abbildung 4-4: Such- und Selektionsfunktionen [EHSS91]. Die Verwendung von Vergleichsoperatoren stellt eine andere Form der Suche nach einem oder mehreren Artikeln dar. Vergleichsoperatoren sind "größer", "kleiner", "gleich" oder "ungleich". Sie sind jedoch nur auf Attribute der Typen Ganze Zahl und Reelle Zahl anwendbar. Mit Hilfe der Vergleichsoperatoren ist es beispielsweise möglich, nur solche Elemente anzuzeigen, die einen bestimmten Reifegrad erreicht haben (z. B. ">=200") oder die eine vorgegebene Grenze der Herstellkosten nicht überschreiten. Logische Operatoren dienen der Verknüpfung von Suchkriterien innerhalb einer Attributsspalte mittels "und" bzw. "oder". Ersatzzeichen, sog. Wildcards, können benutzt werden, um einen Datensatz zu finden, dessen Attribute nicht genau bekannt sind, oder um mehrere Stammsätze zu selektieren, die gewisse Gemeinsamkeiten aufweisen. Wildcards existieren normalerweise als Platzhalter für genau ein Zeichen sowie auch als Platzhalter für eine beliebige Anzahl unbekannter Zeichen. So genügt als Suchkriterium beispielsweise die Angabe der bekannten Stellen der Artikelnummer, während die nicht bekannten oder nicht festzulegenden Stellen mit Wildcards angegeben werden (z. B. "1-234-%"). Beispiel für die Suche nach einem Stammsatz, von dem die Beschreibung („Zitronenpresse“) bekannt ist (Abbildung 4-5): Neben den Such- und Selektionsfunktionen stellen die so genannten "Benutzersichten" eine weitere Form der eingeschränkten Darstellung von Stammsätzen dar. Hierbei handelt es sich um eine globale Selektionsfunktion, wobei Gültigkeitszeitraum und Aktualität der Elementversion die Selektionskriterien darstellen. Grundsätzlich werden drei Sichten unterschieden: die globale Sicht, die Produktionssicht und die Entwicklungssicht. 86 86 4 Funktionen eines Produktdatenmanagementsystems Abbildung 4-5: Suche nach einem Produkt Die "globale Sicht" auf den Datenbestand ist mit keinerlei Selektion verbunden und kann als Standardeinstellung des PDM-Systems verstanden werden. In dieser Einstellung steht dem Benutzer der gesamte Datenbestand zur Verfügung, unabhängig davon, ob Elemente freigegeben sind oder in einer aktuellen Version vorliegen. Die "Produktionssicht" dient der Anzeige von Daten, die zu einem bestimmten Zeitpunkt freigegeben sind bzw. waren, also derjenigen Daten, die für die Produktion relevant sind. Der Zustand "freigegeben" kann sich in diesem Zusammenhang auf das aktuelle Datum beziehen oder aber auf ein beliebiges (in der Vergangenheit liegendes) vom Anwender anzugebendes Datum. Die Benutzersicht "Entwicklung" reduziert die Verfügbarkeit der Daten auf diejenigen Datensätze, die für die Unternehmensfunktion Entwicklung von Bedeutung sind. Sie dient somit der Darstellung der aktuellsten Produkt- und Entwicklungsdaten bezogen auf die Generierung von Produktversionen, d. h. es werden nur diejenigen Elemente (Artikel, Unterlagen) angezeigt, die den jeweils aktuellsten Zustand besitzen. Der Freigabezustand spielt in diesem Fall keine Rolle. Existieren von einem Element beispielsweise mehrere Versionen, so wird nur die neueste Version angezeigt, auch wenn diese im Gegensatz zur alten Version noch nicht freigegeben ist. 87 Funktionen eines Produktdatenmanagementsystems 4 Produktionssicht Entwicklungssicht Globale Sicht 001-0 001-0 001-0 002-0 002-1 002-0 002-1 003-0 003-0 003-0 004-0 Dem Benutzer werden alle Elemente angezeigt, unabhängig davon, ob sie freigegeben sind, oder in einer aktuellen Version vorliegen. 004-0 004-0 Dem Benutzer werden nur die neuesten (aktuellsten) Elemente angezeigt. Dem Benutzer werden nur die zur Produktion freigegebenen Elemente angezeigt. : Element freigegeben : Element in Arbeit Abbildung 4-6: Benutzersichten auf den Datenbestand [Kras-02] Strukturierung des Datenvolumens PDM-Systeme erlauben neben der Speicherung und Verwaltung von Stammdaten den Aufbau von Strukturen und Beziehungen zwischen einzelnen Stammsätzen. Hierbei kann es sich um zwei verschiedene Arten von Beziehungen handeln: einfache Zuordnungen und hierarchische Strukturen. Von Zuordnungen spricht man, wenn Beziehungen zwischen unterschiedlichen Elementklassen aufgebaut werden. So können beispielsweise Artikeln7 Unterlagen zugeordnet werden und Projekten einzelne Artikel. Der Vorgang der Zuordnung und die Darstellung bestehender Zuordnungen erfolgt über Listen, die an den jeweiligen Elementen angehängt sind. Hierarchische Strukturen werden stets innerhalb derselben Elementklasse angelegt. Sinnvoll sind Hierarchien z. B. innerhalb der Elementklasse "Projekt", wo über- und untergeordnete Projekte definiert werden können, bei Unterlagen für die Strukturierung von Montagezeichnungen oder in der Klasse "Artikel", wo derartige Strukturen als Stücklisten bezeichnet werden. 7 In einigen PDM-Systemen wird anstatt ‚Artikel’ der Begriff ‚Teile’ verwendet. 88 88 4 Funktionen eines Produktdatenmanagementsystems Elementklasse 1 Zuordnungen: Elementklasse 2 Beziehungen zwischen Elementen unterschiedlicher Elementeklassen (z.B. Projekt-Artikel-Unterlage). Hierarchien: Hierarchische Strukturen innerhalb einer Elementeklasse durch Festlegung über- und untergeordneter Elemente Elementklasse 3 Abbildung 4-7: Strukturierungsmöglichkeiten Die Strukturierung selbst erfolgt über Listen, die an ein Element angehängt werden und in die alle Elemente der nächst tieferen Hierarchiestufe mit der benötigten Anzahl eingetragen werden. Für die Darstellung von hierarchischen Strukturen gibt es verschiedene Möglichkeiten (Kapitel 3.2.2): Anzeige der einem Element direkt untergeordneten Elemente in Listenform (Baukastenstückliste) Anzeige der einem Element direkt übergeordneten Elemente in Listenform (Verwendungsnachweis) Anzeige der einem Element über alle Hierarchiestufen untergeordneten Elemente (Mengenübersicht) Anzeige der einem Element untergeordneten Elemente über alle Hierarchiestufen hinweg in semigraphischer Form (Strukturauflösung). Hierbei lässt sich auch die Änderungshistorie der Baugruppe anzeigen (vgl. Abbildung 4-8). 89 Funktionen eines Produktdatenmanagementsystems 4 Abbildung 4-8: Strukturstückliste und Änderungshistrorie In den folgenden Abschnitten werden einige der in PDM-Systemen üblicherweise verwalteten Elementklassen näher beschrieben. Hierbei handelt es sich um 4.1.1 Artikel/ Teile, Unterlagen/ Dokumente und Projekte. Artikelverwaltung Artikel (oder Teile) bilden die am häufigsten verwendeten Informationseinheiten, die in PDMSystemen gespeichert und verwaltet werden. Unter dem Begriff "Artikel" können in diesem Zusammenhang sowohl Produkte, Baugruppen und Einzelteile als auch Norm- und Zukaufteile verstanden werden, unabhängig von Strukturen, Beziehungen oder Abhängigkeiten, die zwischen diesen Elementen bestehen. Welche Arten von Elementen letztlich unter dem Oberbegriff "Artikel" zusammengefasst werden, ist unternehmensspezifisch festzulegen und wird nicht durch das PDMSystem vorgegeben. Abbildung 4-9 zeigt ein Beispiel für einen Stammsatz mit identifizierenden (z. B. Teilenummer, Version), anwenderspezifischen (z. B. Masseinheit, Bemerkung) und verwaltenden (z. B. Gültigkeit, Phase) Attributen. 90 90 4 Funktionen eines Produktdatenmanagementsystems Abbildung 4-9: Attribute eines Artikelstamms Stammsätze, die Artikel repräsentieren, werden häufig durch anwenderspezifische Attribute ergänzt, um diejenigen Merkmale speichern zu können, die für den Benutzer im Rahmen der Artikelverwaltung von Bedeutung sind. Hierbei kann es sich z. B. um technologische Daten, dispositive Daten, Beschaffungs- oder Produktionsdaten handeln (vgl. Kapitel 2.4.2). Beispiele für anwenderspezifische Attribute des Artikelstammsatzes sind z.B.: - Werkstoff - Einheit - Herstellverfahren - Maße - Kosten - Fertigungsort - Gewicht - Zieltermin - Lieferant Prinzipiell ist es möglich, alle Merkmale von Artikeln als Attribute im Stammsatz zu erfassen. Aus Gründen der Überschaubarkeit und des Speicherbedarfs ist es jedoch sinnvoll, den Stammsatz auf die verwaltungstechnisch notwendigen Daten zu beschränken und alle weiteren Merkmale durch Referenzen auf entsprechende Dokumente verfügbar zu machen. Eine weitere Möglichkeit der Speicherung charakteristischer Merkmale stellt die Sachmerkmalleiste dar, die in den nachfolgenden Abschnitten detailliert beschrieben wird. 91 Funktionen eines Produktdatenmanagementsystems 4 Artikelmerkmale A B C D E 001 002 003 004 005 006 007 008 009 Einrichtung anwenderspezifischer Attribute im Stammsatz Speicherung in externen Unterlagen, auf die referenziert wird Sachmerkmalleisten in Verbindung mit Gegenstandsgruppen Abbildung 4-10: Verwaltung charakteristischer Merkmale Neben den im vorangegangenen Abschnitt genannten Strukturierungs- und Zuordnungsfunktionen sind im Rahmen der Artikelverwaltung zwei weitere Funktionalitäten von Bedeutung: Gruppenbildung (Kapitel 3.4) Variantenbildung (Kapitel 3.3) Welche Funktionen PDM-Systeme im Zusammenhang mit diesen Techniken anbieten, wird im Folgenden erläutert. Gruppenbildung Produktdatenmanagementsysteme erlauben die Bildung von Gegenstandsgruppen, innerhalb derer Artikel mit ähnlichen Merkmalen noch einmal gesondert zusammengefasst werden können. Ziel der Gruppenbildung ist das erleichterte Auffinden gleicher oder ähnlicher Teile, um unnötige Neukonstruktionen zu vermeiden und die Wiederverwendung bestehender Lösungen mit oder ohne Anpassungen zu verstärken. Prinzipiell ist es sinnvoll, Gegenstandsgruppen für alle Artikel anzulegen, die in ähnlicher Form mehrfach gespeichert werden. Je mehr ähnliche Artikel im Informationssystem erfasst sind, desto wichtiger wird die Verwaltung dieser Artikel über Gegenstandsgruppen. Besonders deutlich wird dies, wenn im PDM-System neben firmeneigenen Artikeln auch Norm- und Kaufteile erfasst werden sollen. Denkbare Gegenstandsgruppen sind in diesem Fall z. B. Eigenproduktion, Schrauben, elektronische Schaltungen, Sicherungselemente etc. 92 92 4 Funktionen eines Produktdatenmanagementsystems Um auch innerhalb der Gegenstandsgruppen eine verbesserte Überschaubarkeit zu gewähren, können diese Gruppen wie alle Informationseinheiten hierarchisch strukturiert werden, indem Ober- und Untergruppen definiert werden. Die in einer Gegenstandsgruppe der untersten Hierarchiestufe (bezüglich der Strukturierung) zusammengefassten Artikel werden dem Benutzer in der Regel in Form von Sachmerkmalleisten nach DIN 4000 (Kapitel 3.5.3) präsentiert, in der die erfassten Artikel mit ihren charakteristischen Merkmalen tabellarisch dargestellt werden. Die Suche nach wieder verwendbaren Lösungen wird durch die Verwendung von Gegenstandsgruppen und Sachmerkmalleisten insofern vereinfacht, dass nun nicht mehr die gesamte Artikelliste in Verbindung mit allen Unterlagen nach eventuell wieder zu verwendenden Teilen durchsucht werden muss. Bei der Verwendung von Gegenstandsgruppen genügt es viel mehr, die Liste der Gegenstandsgruppen aufzurufen, eine geeignete Gruppe auszuwählen, die entsprechende Sachmerkmalleiste zu laden und anhand der Sachmerkmale denjenigen Artikel (ins CAD-System) zu übernehmen, der den Anforderungen entspricht oder am nächsten kommt. Variantenbildung Viele Produkte werden heute nicht nur in einer Standardausführung, sondern in unterschiedlichen Varianten angeboten. Sollen derartige Produkte in PDM-Systemen abgebildet werden, so müssen neben denjenigen Teilen, die für alle Varianten identisch sind, auch alle diejenigen Einzelteile und Baugruppen erfasst werden, die alternativ oder optional zur Verfügung stehen. Alternative oder optionale Artikel werden im Datenbestand von PDM-Systemen zunächst auf die gleiche Weise wie alle anderen Artikel verwaltet, d. h. als Artikelstammsatz mit entsprechenden Attributen. Unterschiede zur regulären Artikelverwaltung ergeben sich erst bei der Strukturierung des Produkts in Form von Stücklisten. Bei der Bildung von Variantenstücklisten werden variierende Positionen im PDM-System durch die Verwendung eines speziellen Artikeltyps, des sog. Variantenplatzhalters, realisiert. In diesem Fall wird die entsprechende Position im Rahmen der Strukturbildung durch einen Platzhalter ersetzt, der ebenfalls als Artikel im Datenbestand angelegt wird. Zu jedem Variantenplatzhalter gehört eine sog. Variantenleiste, die alle diejenigen Artikel beinhaltet, die für diesen Platzhalter eingesetzt werden können. Wie bei der Sachmerkmalleiste handelt es sich bei der Variantenleiste um eine tabellarische Darstellung der entsprechenden Artikel mit denjenigen charakteristischen Merkmalen, die für die Auswahl als Variante relevant sind. Durch die Verwendung von Varianten in Strukturen sind PDM-Systeme in der Lage, auftragsneutrale Stücklisten mit variierenden und optionalen Positionen zu verwalten. Welche Konfiguration letztlich in der Stückliste abgebildet wird, ist abhängig vom Kundenwunsch und damit von einem spezifischen Auftrag, in dem die Anforderungen spezifiziert werden. Die Ableitung der auftragsspezifischen Stückliste, d. h. das Belegen von Variantenplatzhaltern mit konkreten Bauteilen, kann auf zwei Arten erfolgen (vgl. Abbildung 4-11): manuell oder 93 Funktionen eines Produktdatenmanagementsystems 4 halbautomatisch unter Nutzung von Entscheidungstabellen. Es sind aber auch Mischformen möglich, wenn z. B. mehrere Variantenplatzhalter existieren, die entweder manuell belegt werden oder denen eine Entscheidungstabelle zugeordnet ist. Beim manuellen Ableiten der Variantenstückliste wird dem Anwender für jeden Variantenplatzhalter die entsprechende Variantenleiste mit allen zur Verfügung stehenden Varianten angeboten. Aus dieser kann bzw. muss eine Variante ausgewählt werden. Bei der halbautomatischen Ableitung werden sog. Entscheidungstabellen genutzt, mit deren Hilfe die Auftragsdaten des Kunden im Dialog mit dem Benutzer in technische Parameter umgesetzt werden, anhand derer die Variantenauswahl vom System automatisch vorgenommen werden kann. Auftrag mit Kundendaten Auftragsneutrale Variantenstückliste Auftragsspezifische Stückliste T1 Ableitung T1 T2 T3 T4 T3a T3b T3c T5 T2 Manuelle Ableitung Halbautomatische Ableitung direkte Auswahl der Variantenpositionen über Auswahlfenster Bestimmung der Variantenpositionen mittels Entscheidungstabellen aus den Kundendaten T3b T4 T5 Abbildung 4-11: Ableitung der auftragsspezifischen Stückliste 4.1.2 Unterlagenverwaltung In einigen Systemen werden Unterlagen auch als Dokumente geführt. Die Unterlagenverwaltung stellt denjenigen Teil des Produktdatenmanagements dar, der der Verwaltung aller technischen Unterlagen dient, die im Verlauf des Produktentwicklungsprozesses anfallen. Mit dem Begriff "Unterlage" werden Träger von Informationen über ein bestimmtes Produkt bezeichnet. Hierbei kann es sich sowohl um die Produktrepräsentation als auch um die Produktpräsentation handeln. Diese Informationen können entweder auf Papier oder digital in Form einer Datei abgebildet sein. Aufgrund der Vielfältigkeit technischer Unterlagen wird die Informationseinheit "Unterlage" in PDMSystemen noch einmal in Untergruppen mit unterschiedlichen anwenderspezifischen Merkmalen unterteilt. Beispiele für solche Unterlagengruppen sind 3D-Modell, 2D-Zeichnung, NC-Programm oder 94 94 4 Funktionen eines Produktdatenmanagementsystems Arbeitsplan. Unabhängig von dieser inhaltlichen Klassifizierung werden Unterlagen zusätzlich danach unterschieden, ob sie als Datei vorliegen oder als konventionell erstellte Unterlage, d. h. auf Papier. Basierend auf diesen Unterscheidungsmöglichkeiten kann die Liste von Unterlagentypen in Form der folgenden Tabelle dargestellt werden. Typ der Unterlage 3D-Modell Art der Speicherung 2D-Zeichnung Arbeitsplan NC-Programm ... Angabe von Pfad und Dateiname Datei im Speicherbereich des PDMsystems Abbildung 4-12: Unterlagenverwaltung Die identifizierenden und Standardattribute von Unterlagen gleichen im Prinzip denen aller Elementeklassen. Ergänzt werden sie in der Regel durch folgende Attribute: Blattnummer: Angaben zur Blattnummer der Unterlage, Unterlagentyp: Kennzeichnung des Typs der Unterlagen, Reservierung: Falls die Unterlage zur Bearbeitung von einem Mitarbeiter reserviert wird, wird hier der Name oder eine andere Identifikationsform des Reservierenden eingetragen; Reservierungsdatum: Datum, an dem eine Reservierung vorgenommen wurde. Die anwenderspezifischen Attribute des Unterlagenstammsatzes können sich je nach Unterlagentyp unterscheiden. Allgemein gebräuchliche und typübergreifende anwenderspezifische Attribute sind: Ersteller der Unterlage und erzeugendes System. Wie alle Informationseinheiten, so können auch Unterlagen innerhalb ihrer Klasse hierarchisch strukturiert werden bzw. es können Zuordnungen zu anderen Klassen (Artikel, Projekte) hergestellt werden. Abbildung 4-1 (siehe Seite 81) zeigt einen Unterlagen-/Dokumentenstammsatz mit einer Dokumentenstruktur von CAD-Dateien und Unterordnern für Dokumentklassen. Eine Funktion, die die Unterlagenverwaltung von denen anderer Informationseinheiten unterscheidet, ist die Möglichkeit, auf Dateien zu referenzieren, und damit verbunden die Möglichkeit der Übernahme dieser Dateien in die angekoppelten CA-Systeme. Dieser Sachverhalt wird eingehend in Kapitel 4.4 "Dateiverwaltung" beschrieben. 95 Funktionen eines Produktdatenmanagementsystems 4 4.1.3 Projektverwaltung Als "Projekt" werden Auftragsschemata zur Abwicklung eines Auftrags bezeichnet, die auf einen bestimmten Prozess bezogen sind. Merkmale eines Projekts sind die Arbeitsschritte, der Zeitrahmen, Meilensteine sowie Verantwortlichkeiten und Kompetenzen. Projekte und deren Abläufe werden üblicherweise in speziellen Projektmanagementsystemen verwaltet. In PDM-Systemen dient die Informationseinheit "Projekt" dazu, eine ablauforientierte Strukturierung aller im Projekt anfallenden Daten in einzelne Teilaufgaben vorzunehmen. Projekte werden im Informationssystem wie alle anderen Informationseinheiten mit einem Stammsatz, bestehend aus identifizierenden, Standard- und anwenderspezifischen Merkmalen angelegt. Auch für diese Elemente gelten die genannten allgemeinen Strukturierungsmöglichkeiten, so dass die Gesamtplanung der Produktentwicklung in kleine, überschaubare Einheiten (Teilprojekte) aufgeteilt werden kann. Die Verbindung zwischen Teilprojekten und zugehörigen Artikeln bzw. Unterlagen erfolgt durch einfache Zuordnungen. So kann jedem (Teil-)Projekt eine beliebige Anzahl von Artikeln und Unterlagen zugeordnet werden, die ihrerseits hierarchisch strukturiert und miteinander verknüpft sein können (vgl. Abbildung 4-13). Elementklasse „Projekt“ Hauptprojekt Motorentwicklung Teilprojekt A Teilprojekt B Elementklasse „Unterlage“ Netzplan Elementklasse „Artikel“ Elektromotor Anker Gehäuse ... Ankerwelle 3D-Modell Fertigungszeichnungen NC-Programme Rundstahl Abbildung 4-13: Mehrdimensionale Strukturen zwischen Projekten, Artikeln und Unterlagen [EHSS91]. 4.2 Privilegienverwaltung PDM-Systeme erlauben verschiedenen Anwendern den gemeinsamen Zugriff auf gespeicherte Informationen. Aus diesem Grund müssen neben Artikeln, Unterlagen oder Projekten auch Benutzer sowie deren Zugriffsrechte auf Objekte und Funktionen des Informationssystems verwaltet werden. Diesem Zweck dient die sog. Privilegienverwaltung. Aufgaben der Privilegienverwaltung sind: 96 96 4 Funktionen eines Produktdatenmanagementsystems Verwaltung von Systembenutzern, Bildung von Benutzergruppen und Rechtevergabe, Kontrolle des Zugriffs auf Informationseinheiten und Kontrolle des Zugriffs auf Funktionen des Informationssystems. Verwaltung von Systembenutzern Personen, die mit dem PDM-System arbeiten, müssen als Benutzer registriert und mit Zugriffsrechten versehen werden, um den Datenbestand zu schützen. Benutzer werden daher in ähnlicher Art wie alle anderen Informationseinheiten verwaltet, d. h. mittels eines Stammsatzes (vgl. Abbildung 4-14). Ein Benutzerstammsatz besteht im Wesentlichen aus identifizierenden Attributen, wie dem Benutzernamen, einer Benutzernummer und ggf. einem Passwort. Benutzer können, nachdem sie im PDM-System registriert wurden, einer oder mehreren Benutzergruppen zugeteilt werden (Konstruktion, Arbeitsvorbereitung etc.). Die Zuordnung zu bestimmten Gruppen wirkt sich zum einen auf die Zugriffsrechte auf Objekte anderer Gruppenmitglieder aus (OGW-Zugriffscode), zum anderen werden Mitglieder einer Gruppe über Änderungen an Objekten ihrer Gruppe automatisch vom System informiert. Zusätzlich zur Steuerung der Zugriffsrechte durch eine Gruppenzuordnung, kann auch über die Zuteilung von Rollen das individuelle Zugriffsrecht eines Nutzers beeinflusst werden. Eine Rolle ist z. B. ‚Administrator’ oder ‚Projektleiter’. 97 Funktionen eines Produktdatenmanagementsystems 4 Abbildung 4-14: Verwaltung von Systembenutzern und Gruppenzuordnung Kontrolle des Zugriffs auf Objekte Sämtliche Informationseinheiten, die im Managementsystem erfasst sind, besitzen einen Zugriffscode, der die Zugriffsmöglichkeiten auf diese Objekte regelt. Folgende Zugriffsmöglichkeiten werden in PDM-Systemen verwendet: Keinerlei Zugriff (" "), 98 98 4 Funktionen eines Produktdatenmanagementsystems Lesemöglichkeit ("r"), Änderungsmöglichkeit ("w") und Löschmöglichkeit ("d"), Dabei schließen höhere Rechte-Codes alle vorhergehenden Rechte mit ein, d. h. wenn ein Benutzer das Recht hat, einen Datensatz zu löschen, so hat er gleichzeitig Lese- und Änderungsrechte. Heutzutage werden die Rechte allerdings aus Gründen der Anwenderfreundlichkeit meist in einer grafischen Bedieneroberfläche zugeteilt. Prinzipiell verbergen sich dahinter aber immer die oben genannten Zugriffsrechte. Bei der Vergabe von Zugriffsrechten wird darüber hinaus festgelegt, für wen diese Rechte Gültigkeit haben. In diesem Zusammenhang werden grundsätzlich drei Benutzertypen unterschieden: Eigentümer, der das Objekt angelegt hat (Owner), Mitglieder der Arbeitsgruppe des Eigentümers (Group) und Benutzer, die nicht zu dieser Gruppe gehören (World). Jedem dieser Benutzertypen kann eines der oben genannten Zugriffsrechte zugewiesen werden, so dass schließlich für jedes Objekt systemintern ein dreistelliger Code (OGW-Zugriffscode) existiert, der die Zugriffsmöglichkeiten für alle Benutzer des PDM-Systems festlegt. Unter dem Benutzertyp ‚World’ befinden sich nur die für das System berechtigte Nutzer. Zusätzlich kann die Berechtigung noch in Abhängigkeit von einer bestimmtem Rolle erfolgen Abbildung 4-15. 99 Funktionen eines Produktdatenmanagementsystems 4 Abbildung 4-15: Zugriffskontrolle auf Elemente 100 100 4 Funktionen eines Produktdatenmanagementsystems Bei der Neuanlage eines Objekts können die Zugriffsrechte vom Eigentümer (Erzeuger) festgelegt werden. Ändert sich der Zustand eines Objekts, z. B. durch Freigabe, so wird der Zugriffscode vom System entsprechend den Vorgaben des Prüfablaufs automatisch geändert (z. B. Rechteentzug für den Eigentümer). Die Rechte, die Benutzer in Bezug auf Objekte anderer Gruppenmitglieder haben, werden prinzipiell für jedes Element durch dessen objektbezogenen Zugriffscode festgelegt. Darüber hinaus bieten PDMSysteme im Rahmen der Zuweisung zu einer bestimmten Gruppe die Möglichkeit, diese Rechte je nach Status des Benutzers von vornherein durch ein allgemeines Gruppenrecht zu beschränken. Die Beschränkung erfolgt durch das Setzen von Maximalrechten (" ", "r", "w", "d"), die angeben, welche Zugriffsrechte der Benutzer auf Objekte anderer Gruppenmitglieder maximal haben kann. Handelt es sich bei einem Benutzer beispielsweise um einen Praktikanten, der für eine bestimmte Zeit einer Gruppe zugeordnet wurde, so ist es sinnvoll, dessen Zugriffsrechte auf Objekte anderer Sachbearbeiter der Gruppe zusätzlich zur ohnehin bestehenden Zugriffsbeschränkung durch den OGWCode mittels allgemeinem Gruppenrecht auf Leserecht zu begrenzen. Abbildung 4-16 zeigt graphisch, welche Zugriffsmöglichkeiten auf Systeminformationen sich einem Benutzer in Abhängigkeit von Benutzertyp, allgemeinem Gruppenrecht und objektbezogenem Zugriffsrecht bieten. Zugriffswunsch Eigentümer Super-User Gruppe _ d r Welt Maximales Zugriffsrecht innerhalb der Gruppe d w Benutzertyp _ r w d _ , r, w, d _ r, w, d _ r w, d _ r w d _ r w d Zugriffscode des Elements bezüglich des Benutzertyps _ _ r w d _ r w d _ r w d _ _ Art des gewährten Zugriffs r w d r w d r w d Abbildung 4-16: Zugriff auf Informationseinheiten Kontrolle des Zugriffs auf Funktionen Neben einem beschränkten Zugriff auf Informationseinheiten bieten PDM-Systeme die Möglichkeit, den Zugriff auf Funktionen des Systems zu beschränken. Dies ist insbesondere dort sinnvoll, wo die (unsachgemäße) Ausführung von Funktionen eine Gefährdung des Datenbestands oder des gesamten Systems darstellt (z. B. Manipulationen am 101 Funktionen eines Produktdatenmanagementsystems 4 Datenschema wie Anlegen oder Löschen von Entitäten oder Tabellen, das Einrichten oder Löschen von Benutzern oder das Ändern von Prüfabläufen). Zu diesem Zweck können die Benutzer in Abhängigkeit von Können oder Befugnis durch Zuordnung sog. Benutzerprofile klassifiziert werden. Die Funktionen des PDM-Systems können ihrerseits auf bestimmte Benutzerprofile beschränkt werden, so dass ihre Ausführung nur noch den entsprechend autorisierten Anwendern möglich ist. 4.3 Ablaufverwaltung Produkte durchlaufen im Rahmen der Produktentwicklung verschiedene Zustände und Reifegrade (siehe Kapitel 3.4) und können darüber hinaus in wechselnden Versionen vorliegen. Produktdatenmanagementsysteme unterstützen die damit verbundenen Zustandsänderungen durch integrierte Funktionen des Freigabe- und Änderungswesens sowie der Versionierung. Ausführlich wird auf die Ablaufverwaltung in Kapitel 6 eingegangen Prüfablauf Die organisatorischen Vorgaben für das Freigabe- und Änderungswesen liefert der den zu verwaltenden Elementen zugeordnete Prüfablauf, der die möglichen Zustände eines Produkts sowie dessen Zustandsänderungen im Laufe der Produktentwicklung beschreibt. Um einen entsprechenden Prüfablauf festlegen zu können, müssen zunächst die in einem Unternehmen auftretenden Produktzustände im Informationssystem definiert werden. Im Anschluss an die Definition der Ablaufzustände werden die benötigten Prüfabläufe für Artikel, Unterlagen, Projekte etc. festgelegt, indem ihnen eine Bezeichnung und entsprechende Ablaufschritte zugewiesen werden. Zustandsänderung Elemente, denen ein Prüfablauf zugewiesen wurde, wie z. B. Artikel, Unterlagen oder Projekte, können im Laufe der Produktentwicklung in nachfolgende Zustände überführt werden, wenn alle Vorleistungen hierfür erfüllt worden sind; zum Beispiel kann ein Artikel vom Status "Prüfung" in den Status "freigegeben" überführt werden, wenn der damit verbundene Prüfvorgang (nicht Teil des PDMSystems!) erfolgreich abgeschlossen wurde. Wer autorisiert ist, den Zustandswechsel durchzuführen (z. B. der Konstruktionsleiter), wird im Prüfablauf festgelegt. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass Freigaben etc. nicht von unbefugten Personen durchgeführt werden können. Der Zustandswechsel selbst kann im PDM-System durch Selektion des gewünschten Elements und Ausführen der Überführungsfunktion durchgeführt werden. In den entsprechenden Listen bzw. Formularen schlagen sich Zustandsänderungen durch veränderte Status und Lebensphasen (Fortschrittskenner), ggf. geänderte Benutzerrechte und ggf. angepasste Gültigkeitszeiträume nieder. Versionierung Erneute Serien-Freigaben, nachdem an einem Artikel Änderungen durchgeführt wurden, werden in der Regel in Form neuer Versionen dokumentiert. Innerhalb von PDM-Systemen besteht daher die Möglichkeit, von Artikeln, Unterlagen oder Projekten neue Versionen anzulegen, nachdem eine Änderung vorgenommen wurde. 102 102 4 Funktionen eines Produktdatenmanagementsystems Neue Versionen können nur dann angelegt werden, wenn sich das entsprechende Element im Zustand "in Änderung" befindet (vgl. Abbildung 4-17). Folglich muss das Element vor einer Versionsänderung in diesen Zustand überführt werden. Die Kopie des Elements auf eine neue Version kann dann mit bzw. ohne die Übernahme bestehender Strukturen erfolgen. Teil A Version 0 FK 240 „In Änderung“ Teil A Version 0 Teil A Version 0 FK 230 „Freigegeben“ FK 240 „In Änderung“ Teil A Version 0 FK 260 „Inaktiv“ Änderung mit neuer Version Teil A Version 1 Teil A Version 1 Teil A Version 1 FK 110 „In Arbeit“ FK 120 „In Prüfung“ FK 230 „Freigegeben“ Abbildung 4-17: Änderung/Versionierung Im Rahmen des Versionierungsvorgangs wird vom PDM-System ein neues Element mit identischer Elementnummer und nächst höherer Versionsnummer angelegt, das ursprüngliche Element bleibt mit allen damit verbundenen Informationen bestehen. Die Freigabe des neuen Elements erfolgt dann gemäß dem zugeordneten Prüfablauf, während die alte Version üblicherweise in den Status inaktiv überführt wird. Eine Freigabe beider Versionen wird vom PDM-System verhindert. Mitteilungswesen und Dokumentation Eine wichtige Aufgabe von PDM-Systemen ist die Sicherstellung eines verzögerungsfreien Ablaufs, insbesondere nach Zustandsänderungen, sowie die Protokollierung bzw. Dokumentation von Vorgängen im Allgemeinen und Änderungen im Speziellen. Diesen Anforderungen werden PDM-Systeme mittels folgender Funktionalitäten gerecht (vgl. Abbildung 4-18): Sammlung und Verteilung von Ablaufnachrichten, Dokumentation von Änderungen in sog. Historien. In der Ablaufnachrichtenverwaltung werden alle Status-/Reifegradänderungen, die im Rahmen des Freigabe-/Änderungswesens angestoßen werden, vom Informationssystem automatisch protokolliert. Die vom Informationssystem für den jeweiligen Benutzer aufgestellte Liste von Ablaufnachrichten gibt alle Zustandsänderungen wieder, die diejenigen Elemente der Datenbasis betreffen, die zur Gruppe des Benutzers gehören. Diese Form der Dokumentation dient somit in erster Linie der Information anderer Benutzer, die zur selben Gruppe, wie der die Änderung durchführende Bearbeiter bzw. die zu einer anderen Gruppe gehören, in die ein geändertes Element nach einer Änderung wechselt. Weiterhin verfügen PDM-Systeme über interne Mail-Systeme, die es erlauben projektbezogene Nachrichten an die Projektteilnehmer zu versenden. 103 Funktionen eines Produktdatenmanagementsystems 4 Ablaufnachrichten für Gruppe 2 Artikel 1 Gruppe 2 Änderung 1 Artikel 2 Gruppe 2 Änderung 1 Artikel 2 Gruppe 2 Änderung 2 Artikel 4 Gruppe 1 Änderung 1 Artikel 3 Gruppe 2 Änderung 2 Artikel 1 Gruppe 2 Änderung 2 Artikel 3 Gruppe 3 Änderung 4 Artikel 3 Gruppe 2 Änderung 1 Artikel 5 Gruppe 1 Änderung 1 Artikel 3 Gruppe 4 Änderung 5 Artikel 3 Gruppe 3 Änderung 3 Historie von Artikel 3 Menge aller Zustandsänderungen Abbildung 4-18: Mitteilungswesen/Dokumentation Auf diese Weise wird die Arbeit innerhalb der Gruppen transparenter und die Kommunikation zwischen verschiedenen Gruppen, die am selben Produkt arbeiten, verbessert. Mittels Historien werden Informationen über die Entstehung, Status-/Reifegradänderungen sowie Versionsänderungen eines Stammsatzes dokumentiert. Sie enthalten in tabellarischer Form: den Typ der Änderung, das Datum der Änderung, den Namen des Ändernden, den Status und Reifegrad nach der Änderung und bei Versionsänderungen zusätzlich die Elementnummer der vorhergehenden bzw. nachfolgenden Version. Historien sind immer an ein bestimmtes Element gebunden und beinhalten im Gegensatz zu Ablaufnachrichten nur solche Vorgänge, die den jeweiligen Stammsatz betreffen. Einträge in Historien werden vom System selbständig vorgenommen und können vom Anwender durch Kommentare ergänzt werden. Diese Form der Dokumentation ist besonders im Hinblick auf Produkthaftung und Qualitätssicherung von Bedeutung. 4.4 Dateiverwaltung Integrierte Dateiverwaltungsfunktionen ermöglichen es, dass PDM-Systeme als Bindeglied zwischen datenerzeugenden Applikationen wie z. B. CAD-Systemen und dem Speichermedium fungieren. Der Zugriff auf Dateien (Öffnen bzw. Speichern) erfolgt in diesem Fall nicht mehr über die CADsystemeigenen Verwaltungsfunktionen, sondern über das angekoppelte PDM-System (vgl. Abbildung 4-19). Auf diese Weise können neben den umfangreichen Such- und Selektionsfunktionen beim 104 104 4 Funktionen eines Produktdatenmanagementsystems Auffinden auch alle Strukturierungs- und Zuordnungsfunktionen der Speicherung und Verwaltung von CAD-Dateien genutzt werden. Zentrales Verbindungselement der Kopplung von CAD-Systemen mit PDM-Systemen ist der Elementtyp "Unterlage", der zum einen Referenzen auf konventionell erzeugte Dokumente (z. B. Zeichnungen auf Papier) anbietet, zum anderen aber auch die Zuordnung zu digital vorliegenden Daten ermöglicht (siehe Kapitel 4.1.2). Anders als andere Informationseinheiten werden Elemente vom Typ "Unterlage", die Dateien repräsentieren, nicht manuell vom Benutzer angelegt, sondern automatisch vom System, wenn der Benutzer Daten vom CAD-System aus im PDM-System ablegen möchte. Um die Integrität der vom PDM-System verwalteten Datenbasis zu gewährleisten, muss sowohl der direkte Zugriff auf die verwalteten Daten über die jeweilige Applikation verhindert werden als auch der Zugriff über Standard-Betriebssystemfunktionen. Aus diesem Grund arbeiten PDM-Systeme mit sog. elektronischen Aktenschränken (Electronic Vaults8). Ein solcher elektronischer Aktenschrank besteht aus speziell geschützten Arbeitsbereichen, welche auf dem jeweiligen Speichermedium für das PDMSystem reserviert sind. Auf Betriebssystemebene und für andere Applikationen erscheint dieser Arbeitsbereich als "Black-Box", deren Inhalt nicht eingesehen und auf den auch nicht zugegriffen werden kann. Der Zugriff auf diese Bereiche ist nur über die Dateiverwaltungsfunktionen des PDMSystems möglich. Abbildung 4-19: Dateiverwaltung ohne bzw. mit PDM-System 8 vault : Gewölbe, Tresor. 105 Funktionen eines Produktdatenmanagementsystems 4 Elektronic Vault Betriebssystemfunktionen der Dateiverwaltung Dateiverwaltungsfunktionen V3 V2 V1 Versionskontrolle Reservieren/ Sperren Transaktionsbearbeitung Schnittstelle zum Anwendungssystem Abbildung 4-20: Funktionen des "Elektronischen Aktenschranks" [EHSS91]. Abbildung 4-20 zeigt die wichtigsten Funktionsblöcke des Electronic Vaults, die für den Dateiverwaltungsmechanismus von Bedeutung sind und über die Dateiverwaltungsfunktionen des Betriebssystems hinausgehen: Versionskontrolle: Historienverwaltung und Archivierung verschiedener Versionen von Unterlagen bei Änderungen; Sperren von Dateien: Unterlagen werden bei Bearbeitung oder Änderung reserviert und für andere Benutzer gesperrt; Transaktionsbearbeitung: Mehrere Dateien einer Unterlage werden in einer Operation verwaltet, z. B. das Kopieren von zusammengehörigen Zeichnungen. 106 106 4 Funktionen eines Produktdatenmanagementsystems Abbildung 4-21: Anwendungsschnittstelle des "Elektronischen Aktenschranks"[EHSS91]. Neben diesen speziellen Electronic-Vault-Funktionen gelten beim Zugriff auf Dateien die im OGW-Zugriffscode festgelegten Zugriffsrechte. Für das Ablegen und Aufrufen von Dateien aus den geschützten Bereichen werden dem Benutzer vom PDM-System folgende Funktionen bereitgestellt: 4.5 Check-In-Funktion: Als Check-In-Funktion wird die Übergabe neuer oder geänderter Dateien an den geschützten Sperrbereich des PDM-Systems bezeichnet. Mit dieser Funktion werden die im Arbeitsbereich des Anwenders befindlichen Dateien in den Electronic Vault des PDM-Systems übertragen. Handelt es sich bei der abzulegenden Datei um Daten, die zur Änderung reserviert und kopiert wurden, so wird beim Zurückschreiben der aus der Reservierung resultierende Sperrvermerk zurückgesetzt und eine neue Version der Datei angelegt. Ältere Dateiversionen werden weiterhin im PDM-System verwaltet. Check-Out-Funktion: Die sog. Check-Out-Funktion dient dem Aufrufen von Dateien aus dem geschützten Speicherbereich. Mit dieser Funktion werden alle einer bestimmten Unterlage zugeordneten Dateien in den Arbeitsbereich des Benutzers kopiert. Werden die Dateien zur weiteren Bearbeitung geholt, so werden sie vom System zur Vermeidung von Inkonsistenzen für andere Anwender gesperrt (Reservierung). Dies ist nicht der Fall, wenn die Dateien nur zu Informationszwecken (Viewing) aufgerufen werden. Customizing und Datenaustausch Die in den PDM-Systemen hinterlegten Datenstrukturen und vorgegebenen Benutzeroberflächen sind keineswegs statisch, sondern müssen und werden je nach Anwender individuell angepasst. Dieser Vorgang der benutzer- und anwendungsspezifischen Anpassung des PDM-Systems an das Unternehmen wird ‚Customizing’ genannt [Kra02]. Für die Einführung der PDM-Systeme existieren Richtlinien als Empfehlungen, wie z. B. die VDI-Richtlinie 2219 [VDI2219]. 107 Funktionen eines Produktdatenmanagementsystems 4 Der oftmals sehr hohe Anteil von spezifischen Anpassungen von PDM-Systemen an ein Unternehmen erschwert den Datenaustausch und die Kopplung unterschiedlicher PDM-Systeme und Implementierungen (auch bei gleichen Herstellern der Systeme). Zum Austausch der allen PDM-Systemen gemeinen Daten und Informationen wurde im Umfeld von STEP in einer Arbeitsgruppe das so genannte PDM-Schema [PDM02] als gemeinsame Untermenge existierenden STEP Standards extrahiert und für die betroffenen Standards harmonisiert. 108 108 4 Funktionen eines Produktdatenmanagementsystems 4.6 Literatur [EHSS91]. Eigner, M, et al. Engineering Database: Strategische Komponente in CIM-Konzepten. München : Carl Hanser Verlag, 1991. [VDI2219]. Verein Deutscher Ingenieure Informationsverarbeitung in der Produktent-wicklung Einführung und Wirtschaftlichkeit von EDM/PDM-Systemen. VDI Richtlinie 2219, VDI, 2002. [VDMA88]. Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbauer Datenaustausch zwischen CAD- und PPS-Systemen. Frankfurt, 1988. [EiSt09]. Eigner, M. und Stelzer, R. Produktdatenmanagement-Systeme. 2. Aufl. Berlin : Springer, 2009. [Kra02]. Krastel, M. Integration multidisziplinärer Simulations- und Berechnungsmodelle in PDMSystemen. Aachen : Shaker, 2002. [PDM02]. PDM Implementors Forum: PDM-IF usage guide. http://www.pdm-if.org/pdm_schema/pdmug_release4_3.zip. 17.03.2004 [SaIm02]. Saaksvuori, A. und Immonen, A. Product Lifecycle Management. Springer, Berlin; Auflage: 1, 2003. [Schi02]. Schichtel, M. Produktdatenmodellierung in der Praxis. Carl Hanser Verlag München Wien, 2002 [Scho99]. Schöttner, J. Produktdatenmanagement in der Fertigungsindustrie. München : Hanser, 1999. [Weh00]. Wehlitz, P. Nutzungsorientierte Einführung eines Produktdatenmanagement-Systems, Herbert Utz Verlag, 2000 109 Datenbanktechnologie als Basis für die Realisierung eines PDM-Systems 5 5 Datenbanktechnologie als Basis für die Realisierung eines PDM-Systems Aufgrund ihrer Komplexität ist es bei der Realisierung von Produktdaten-managementsystemen sinnvoll, auf Basistechnologien zurückzugreifen, die neben einer hohen Sicherheit, Benutzerfreundlichkeit und Portabilität eine effizientere Entwicklung sowie ein gutes Laufzeitverhalten ermöglichen. Wesentliche Grundlage im Bereich der Produktdatenmanagementsysteme stellen hierbei graphische Benutzungsoberflächen sowie Datenbanksysteme zur Speicherung und Verwaltung der relevanten Produktdaten dar. Gegenstand dieses Kapitels ist es daher, die Datenbanktechnologie als Grundlage für Produktdatenmanagementsysteme vorzustellen. 5.1 Einführung in Datenbanksysteme Datenbanksysteme stellen heute eine weitgehend ausgereifte und akzeptierte Technologie zur Verwaltung größerer Datenbestände dar. Sie ermöglichen die anwendungsübergreifende Nutzung von Daten ("data sharing"). Die Verwaltung der Daten und der Zugriff auf sie erfolgt völlig unabhängig von den darauf arbeitenden Anwendungsprogrammen. Ein eigenständiges Softwaresystem, das Datenbankmanagementsystem, ist für die Verwaltung der gespeicherten Daten zuständig. 5.1.1 Definitionen Eine Datenbank (DB; engl. database) stellt nach [STS99] eine strukturierte Sammlung von Daten dar, welche Fakten über spezielle Anwendungen der modellierten Miniwelt repräsentiert, die dauerhaft (persistent) und weitgehend redundanzfrei gespeichert wird. Die zusammengehörig erstellte Datenmenge ist hierbei als Ganzes zu speichern und zu verwalten. Das Datenbankmanagementsystem (DBMS) ist die Software, die für die Verwaltung der gespeicherten Daten zuständig ist und die vom Benutzer bzw. von den Anwendungsprogrammen verlangten Zugriffe auf die Datenbank ausführt. Diese stellt eine Sammlung von Funktionalitäten bereit zur Erzeugung, zur Änderung und zum Löschen von Datenbanken. Die Kombination einer oder mehrerer Datenbanken mit einem Datenbankmanagementsystem bildet das Datenbanksystem (DBS). Abbildung 5-1: Grobarchitektur von Datenbanksystemen 110 110 5 Datenbanktechnologie als Basis für die Realisierung eines PDM-Systems 5.1.2 Aufgaben eines Datenbanksystems Ein Datenbanksystem ist als Komponente in einem Produktdatenmanagementsystem für die Speicherung und Verwaltung der Produktdaten zuständig. Aufgrund dieser zentralen Stellung werden vielfältige Anforderungen an Datenbanksysteme gestellt, die sowohl organisatorischer als auch informations- und systemtechnischer Art sind und ihren Ursprung entsprechend in unterschiedlichen Bereichen wie Management, Anwender (Ingenieure) und Systembetreuer haben. Wesentliche Anforderungen sind in Abbildung 5-2 dargestellt. Um diese an sie gestellten Anforderungen erfüllen zu können, zeichnen sich Datenbanksysteme durch eine Reihe von Charakteristika aus, die über den "klassischen" administrativ-betriebswirtschaftlichen Bereich hinaus zunehmend den Ingenieurbereich bei der Verwaltung größerer Datenbestände unterschiedlichster Anwendungen unterstützen. Die Gesamtaufgabe eines Datenbanksystems besteht nach [LoSc87] darin, Daten entgegenzunehmen, zu speichern, zu verwalten und auf Anforderung hin bereitzustellen. organisatorische Anforderungen Datenintegration informationstechnische Anforderungen Verfügbarkeit der Informationen Portabilität Vernetzbarkeit Datenintegrität/Datenkonsistenz systemtechnische Anforderungen online-Backup Wiederherstellungsverfahren/Recovery Transaktionssicherheit Trennung von SW und Daten Lockingmechanismen bei konkurrierendem Mehrbenutzerbetrieb Datensicherheit/Datenschutz redundanzfreie speicheroptimierte Datenhaltung Datentransparenz Datenunabhängigkeit Datenunabhängigkeit Benutzerfreundlichkeit Entwicklungswerkzeuge Releasefähigkeit Performance Verteilbarkeit in heterogenen Netzwerken Flexibilität Abbildung 5-2: Anforderungen an Datenbanksysteme Darüber hinaus muss der Datenbankbenutzer bei der Nutzung dieser Möglichkeiten angemessen unterstützt werden. Aus dieser Gesamtaufgabenstellung resultieren die im Folgenden beschriebenen Teilaufgaben bzw. Charakteristika eines Datenbanksystems: Datendefinition: Ähnlich wie bei der Variablendeklaration in höheren Programmiersprachen müssen der logische Aufbau einer Datenbank und die Konsistenzbedingungen, die die zu speichernden Daten zu erfüllen haben, vor ihrer Nutzung, d. h. vor dem erstmaligen Einfügen von Daten, festgelegt werden. Dieser logische Aufbau beschreibt nicht die physikalische Struktur der Datenbank. Die Datendefinitionssprache (DDL) eines Datenbankmanagementsystems bietet hierzu die erforderlichen Konstrukte an. Das während der Datendefinition festgelegte Informationsgerüst wird auch als Datenbankschema bezeichnet. Wird die Datenbank zur Integration verschiedener Anwendungen benutzt, so dass diese auf den gleichen Datenbeständen arbeiten, hat jede dieser Anwendungen in der Regel eine eigene Sicht (engl. view) auf den sie interessierenden Ausschnitt aus der Gesamtdatenbank. In dieser Sicht wird z. B. festgelegt, welche Teile der Datenbank eine Anwendung sehen darf. Die Definition solcher Sichten muss durch die DDL ermöglicht werden. 111 Datenbanktechnologie als Basis für die Realisierung eines PDM-Systems 5 Datenmanipulation: In das durch die Datendefinition festgelegte Datenbankschema können mit Hilfe der Datenmanipulationsoperatoren, welche mittels Datenmanipulationssprache (DML) zur Verfügung gestellt werden, Daten eingefügt, verändert oder gelöscht werden. Das Datenbanksystem selbst muss darüber hinaus Operatoren zum Zugriff auf die gespeicherten Daten zur Verfügung stellen. Im Einzelnen enthält die DML Operatoren zum o Einfügen neuer Daten (INSERT-Operator), o Löschen vorhandener Daten (DELETE-Operator), o Ändern vorhandener Daten (UPDATE-Operator) und o Auffinden vorhandener Daten nach unterschiedlichen Kriterien (RETRIEVE-Operator). o Durch Einfügen von konkreten Daten entsteht aus dem in der Definition festgelegten Datenbankschema eine Schemaausprägung. Abbildung 5-3 verdeutlicht die Begriffe Datenbank (DB), Datenbankmanagementsystem (DBMS), Datendefinitionssprache (DDL) und Datenmanipulationssprache (DML). Abbildung 5-3: Zusammenhang der Komponenten eines Datenbanksystems Vielfachverwendbarkeit: Ein breites Spektrum an anwendungsbezogenen Informationselementen soll in der Datenbank abgebildet bzw. gespeichert werden können. Datenunabhängigkeit: Datenunabhängigkeit ist die Eigenschaft eines DBS, Benutzer bzw. Anwendungsprogramme, die auf ihm arbeiten, vor irgendwelchen nachteiligen Auswirkungen bei Änderungen in der Systemumgebung zu schützen. Die Benutzung eines DBS ist unabhängig von Art und Anzahl der verwendeten Speichermedien oder von der Lokalisierung der gespeicherten Daten. Darüber hinaus sind die Datenstrukturen nicht in den auf ihnen arbeitenden Anwendungsprogrammen verborgen, so dass z. B. Änderungen in der Datenorganisation oder in der Art der verwendeten Speichermedien ohne Einfluss auf die Anwendungsprogramme möglich sind. Konsistenzsicherung: Die in der Datenbank gespeicherten Informationen sollen den interessierenden Sachverhalt möglichst vollständig und widerspruchsfrei repräsentieren. Dies ist durch die Datenstrukturierung allein nicht zu gewährleisten. Datenbanksysteme gestatten daher die Formulierung sogenannter Konsistenzbedingungen, deren Einhaltung während des Betriebs automatisch überwacht wird. Eine solche Konsistenzbedingung könnte z. B. festlegen, dass zu jedem in der Datenbank gespeicherten Dokument genau ein Ersteller mitgespeichert sein muss. Datenschutz und Datensicherung (Recovery): Große Datenbanken sind meist von unersetzlichem Wert für ihre Besitzer. Die darin gespeicherten Daten müssen daher z. B. vor unbefugtem Lesen und Schreiben geschützt werden. Datenbanksysteme enthalten dazu Mechanismen, die bei Fehlern in Verwendung, Hardware, Software und Bedienung die Unverletzlichkeit und den konsistenten Zustand der Datenbestände gewährleisten. 112 112 5 Datenbanktechnologie als Basis für die Realisierung eines PDM-Systems Datenkonsistenz und Datensicherung werden mit Hilfe der Transaktionsverwaltung sichergestellt. Eine Transaktion ist dabei eine Folge von Operationen, die die Datenbank in ununterbrechbarer Weise von einem konsistenten Zustand in den nächsten überführt. Eine Transaktion ist gekennzeichnet durch folgende Eigenschaften: o 5.1.3 Atomizität: Eine Transaktion wird entweder komplett durchgeführt oder hinterlässt keine Wirkung in der Datenbank ("Alles oder Nichts"). o Konsistenz: Am Ende einer Transaktion sind alle Konsistenzbedingungen erfüllt, während sie im Verlauf der Transaktion verletzt sein können. o Isolierter Ablauf: Alle von einer Transaktion benutzten Datenbankobjekte müssen von einem unkontrollierten Zugriff anderer Transaktionen isoliert werden. o Dauerhaftigkeit: Die Wirkung korrekt abgeschlossener Transaktionen bleibt auch bei evtl. Systemzusammenbrüchen erhalten. Mehrbenutzerbetrieb: Bei großen Datenbeständen ist es in der Regel erforderlich, dass sie von mehreren Benutzern gleichzeitig bearbeitet werden können. Datenbanksysteme stellen sicher, dass bei konkurrierendem Mehrbenutzerbetrieb die Integrität der Datenbank nicht beeinträchtigt wird. Geeignete Benutzungsschnittstellen und Benutzerfreundlichkeit: Zur Bedienung und zur Kommunikation mit dem Datenbanksystem sind Schnittstellen erforderlich, die den einzelnen Benutzer/-gruppen bzw. deren Kenntnissen und Arbeitsweisen angepasst sein müssen. Es werden dabei im Wesentlichen drei Benutzergruppen unterschieden. Ein Benutzertyp ist der sogenannte Datenbankadministrator, der u. a. das Datenbankschema und dessen Abbildung auf eine physische Speicherstruktur festlegt. Eine weitere Benutzergruppe sind die Programmierer von Anwendungsprogrammen, die auf die Datenbank zugreifen. Darüber hinaus gibt es die Gruppe der Endbenutzer, die Daten aus der Datenbank direkt verwenden oder in die Datenbank eingeben. Architektur von Datenbanksystemen Aufgrund der Vielfalt der gestellten Anforderungen besteht ein DBMS aus zahlreichen Einzelkomponenten, die bestimmte Teilaufgaben übernehmen. Im Folgenden sind einige dieser Komponenten beispielhaft aufgeführt: Der I/O-Prozessor nimmt Befehle bzw. Anfragen des Benutzers oder eines Anwendungsprogramms entgegen und gibt sie an die zuständigen Komponenten des DBMS weiter. Nach der Abarbeitung gibt er die Ergebnisse bzw. Meldungen über u. U. aufgetretene Fehler an den Benutzer zurück. Hauptaufgabe des Code-Generators ist es, den Benutzerauftrag in elementare Operationen (Lesen/Schreiben von Seiten im Plattenspeicher) zu übersetzen. Der Transaktionsmanager sorgt für die Abwicklung einer Sequenz von Lese-/Schreib-Kommandos als Transaktion. Jede Operation wird dabei in einem Logbuch festgehalten, so dass bei einem Fehler z. B. durch Systemabsturz wieder auf den Zustand vor Beginn der Transaktion zurückgesetzt werden kann. Bei Auftreten eines Fehlers wird hierzu der Recovery Manager aufgerufen. Aufgabe des Recovery Managers ist das Rücksetzen auf den konsistenten Zustand vor Transaktionsbeginn. Der Data Manager führt unter Kontrolle des Transaktionsmanagers den Zugriff auf die Daten aus. Unabhängig von der Vielzahl seiner Einzelkomponenten arbeitet ein DBMS nach einem 3-Ebenen-Modell, das von der ANSI/X3/SPARC Study Group on Database Management Systems (ANSI: American 113 Datenbanktechnologie als Basis für die Realisierung eines PDM-Systems 5 National Standards Institute) mit dem Ziel der Sicherstellung der Datenunabhängigkeit vorgeschlagen wurde. Der Benutzer und seine Anwendung sollen vor nachteiligen Auswirkungen durch Änderungen in der Systemumgebung geschützt werden, das bedeutet, dass z. B. neue Speichertechnologien oder veränderte Zugriffspfade keinen Einfluss auf die Benutzerschnittstelle haben. Vorteil dabei ist, dass bei einer Änderung im System keine Änderung der auf die Datenbank zugreifenden Anwendungsprogramme erforderlich wird. Die in Abbildung 5-4 dargestellte ANSI/SPARC-Architekur stellt durch Einführung einer Zwischenschicht zwischen Anwender- und Realisierungsebene die geforderte Datenunabhängigkeit sicher. reale Welt Benutzersicht auf die Informationen externes Modell externes Modell externes Modell logische Gesamtsicht konzeptionelles Modell physische Speicherform internes Modell physisches Dateisystem Abbildung 5-4: Ebenen-Modell nach ANSI/SPARC für die Architektur von DBS Es entsteht eine 3-Ebenen-Architektur mit den nachfolgend erläuterten Ebenen: Externe Ebene: Die externen Modelle beschreiben nach [ScSt83] die Daten so, wie die einzelnen Benutzer/-gruppen bzw. die einzelnen Anwendungsprogramme sie zu sehen wünschen. Sie definieren die sogenannten benutzerspezifischen Sichten auf die gespeicherten Daten, d. h. sie legen die Daten fest, die für den jeweiligen Benutzer von Bedeutung sind und die er auch sehen darf. Konzeptionelle Ebene: Das konzeptionelle Modell beschreibt die logische Gesamtsicht auf die in der Datenbank verwalteten Daten. Es gibt das Modell der Daten wieder, wie es nach Analyse und Modellierung der in der Datenbank abzubildenden Sachverhalte entstanden ist. Zur Erstellung des konzeptionellen Modells ist die Kenntnis aller Anwendungen, die die zu verwaltenden Daten benötigen, erforderlich. Zur Entwicklung des konzeptionellen Schemas müssen daher Personen einbezogen werden, die einen Überblick und ein (globales) Verständnis aller auf die Datenbank zugreifenden Anwendungen haben sowie die Bedeutung der von diesen benötigten Daten kennen. Interne Ebene: Das interne Modell legt fest, wie die im konzeptionellen Modell beschriebenen Daten physikalisch im Speicher abgelegt werden und welche Zugriffsmöglichkeiten auf sie bestehen sollen. Das interne Modell bestimmt wesentlich das Laufzeitverhalten des gesamten 114 114 5 Datenbanktechnologie als Basis für die Realisierung eines PDM-Systems Systems. Zur Definition des internen Modells benötigt der zuständige Datenbankadministrator z. B. Angaben über die Häufigkeit und evtl. anwendungsbedingte Zeitbeschränkungen beim Zugriff auf die beschriebenen Daten. Ebenso müssen auch die Eigenschaften der verfügbaren Hardware berücksichtigt werden. 5.2 Datenmodellierung und Datenbankentwurf In einer Datenbank werden alle von den Benutzern bzw. von den Anwendungsprogrammen benötigten Daten in einer einheitlichen Form unter der Kontrolle des Datenbankmanagementsystems zusammengefasst. Dieses Konzept der Datenintegration bietet zahlreiche Vorteile wie z. B. die Möglichkeit einer gemeinsamen Nutzung und damit einer redundanzfreien Speicherung der Daten. Voraussetzung zur Datenintegration in einem Datenbanksystem ist jedoch eine einheitliche, formalisierte und inhaltlich möglichst vollständige Beschreibung aller zu speichernder Daten, da die Datenbank die relevanten Sachverhalte so vollständig und genau wie möglich abbilden soll. Da eine direkte Implementierung der relevanten Sachverhalte in ein Datenbankschema aufgrund der Komplexität der meisten Anwendungsbereiche in der Regel nicht möglich ist, wird der Datenbankentwurf in verschiedenen Modellierungsschritten (nicht zu verwechseln mit Modellierungsverfahren am CAD-System) durchgeführt. Während dieser Modellierungsschritte kommen Datenmodelle und entsprechende Methoden unterschiedlicher Ausdrucksfähigkeit zum Einsatz. Mit einem Datenmodell, das aus einer Menge zusammengehöriger Beschreibungskonzepte gebildet wird, kann der interessierende Ausschnitt der realen Welt (Miniwelt) strukturiert und formal beschrieben werden. Ein Datenmodell legt hierzu die lexikalischen und syntaktischen Regeln fest. Dazu sind folgende Elemente notwendig: Elementare Grundeinheiten (z. B. Objektklassen, Beziehungsklassen) und ihre Strukturierungsmöglichkeiten zur Repräsentation der realen Objekte und ihrer Beziehungen untereinander; Ein wesentlicher Aspekt der Datenmodellierung liegt in der Gruppierung gleichartiger Objekte (bzw. Beziehungen) in Klassen, die jeweils die gemeinsamen Merkmale ihrer Mitglieder beschreiben. Operationen, die auf den Grundeinheiten arbeiten; Konsistenzbedingungen zur Festlegung geltender Randbedingungen. Zur Beschreibung bzw. Repräsentation des modellierten Sachverhalts (Schemas) kann das Datenmodell sprachliche oder graphische Konzepte enthalten. Durch die formale Beschreibung wird die Abbildung auf die Implementierung erleichtert. 5.2.1 Vorgehensweise beim Datenbankentwurf Im Verlauf des Datenbankentwurfs muss der abzubildende Sachverhalt zunächst eingegrenzt und dann schrittweise von einer unstrukturierten, meist verbalen Form in eine zunehmend formalisierte, rechner- bzw. implementierungsnahe Form überführt werden. Dabei ist insbesondere auf die Erkennung und Vermeidung von Redundanz z. B. durch überflüssige Informationselemente Wert zu legen, um zu einem möglichst eindeutigen Schema zu kommen. Dies kann nur durch enge Zusammenarbeit mit Anwendungsexperten für den abzubildenden Sachverhalt geschehen. 115 Datenbanktechnologie als Basis für die Realisierung eines PDM-Systems 5 Im Folgenden werden die Entwurfsschritte beim Datenbankentwurf erläutert, die im Überblick in Abbildung 5-5 dargestellt sind. Abbildung 5-5: Vorgehensweise beim Datenbankentwurf 5.2.1.1 Informationsbedarfsanalyse Innerhalb der Informationsanalyse ist zunächst festzulegen, welche Informationen für den geplanten Anwendungsbereich von Interesse sind, d. h. der interessierende Sachverhalt der Anwendung (die sogenannte Miniwelt) wird abgegrenzt. Dies geschieht meist durch Interviews mit den beteiligten Anwendern. Das Ergebnis der Informationsbedarfsanalyse liegt in der Regel in nicht-formaler Form vor und beschreibt den Inhalt der zu entwerfenden Datenbank. Es müssen dabei alle relevanten individuellen Sichten der auf die Daten zugreifenden Benutzer/-gruppen und Anwendungsprogramme erfasst werden. 5.2.1.2 Konzeptioneller Entwurf Beim konzeptionellen Entwurf wird die während der Informationsbedarfsanalyse erfasste logische Gesamtstruktur der abzubildenden Informationen in formalisierter Form dargestellt. Das auf dieser Ebene entworfene konzeptionelle Schema beschreibt die Gesamtsicht der abzubildenden Daten unabhängig von irgendwelchen Implementierungsgesichtspunkten, d. h. programmiersprachen-, datenbanksystemund rechnerunabhängig. Konzeptionelle Datenmodelle, die die Konzepte zur Beschreibung konzeptioneller Schemata zur Verfügung stellen, müssen eine möglichst naturgetreue und für den Anwender leicht verständliche Abbildung eines Ausschnitts der realen Welt ermöglichen. Sie ermöglichen die Abbildung der Informationen mit ihrer inhaltlichen Bedeutung und ihren Beziehungen zueinander aus der Sicht der verschiedenen Benutzer. 116 116 5 Datenbanktechnologie als Basis für die Realisierung eines PDM-Systems 5.2.1.3 Logischer Entwurf Das konzeptionelle Schema als Ergebnis des konzeptionellen Entwurfs enthält die Ergebnisse der Informationsbedarfsanalyse in formalisierter, aber völlig implementierungsunabhängiger Form. Im nächsten Schritt, dem logischen Entwurf, muss es in ein rechnerinterpretierbares Schema, das sogenannte logische Schema, abgebildet werden. Hierzu werden die Beschreibungsmöglichkeiten genutzt, die das logische Datenmodell bietet. Das logische Datenmodell weist im Gegensatz zum konzeptionellen Datenmodell eine größere Rechnernähe aus, was sich oft durch einen eingeschränkten Vorrat an Beschreibungskonzepten ausgewirkt hat. Durch die Auswahl eines DBMS legt dessen Datendefinitionssprache das logische Datenmodell, das auf dieser Ebene zur Beschreibung der Miniwelt eingesetzt werden muss, fest. Leistungsgesichtspunkte werden beim logischen Entwurf nur insoweit berücksichtigt, als sie sich auf Strukturen der logischen Ebene beziehen. Erst wenn das logische Modell feststeht, können Leistungsgesichtspunkte bezüglich der Ausnutzung der vorhandenen Hardware oder weitere Implementierungsdetails in die Entwurfsentscheidungen einbezogen werden. 5.2.1.4 Physischer Entwurf Beim physischen Entwurf wird festgelegt, wie die durch den logischen Entwurf beschriebenen Daten in eine möglichst effiziente physische Speicherstruktur abgebildet werden, und welche Zugriffsmöglichkeiten auf diese Daten vorhanden sind. Der Datenbankadministrator benötigt hierzu statistische Informationen z. B. über die Häufigkeit von Anwendungen oder von Zugriffen auf einzelne Datensätze. Ergebnis dieses Entwurfsschritts ist das physische oder interne Modell. Es enthält alle Informationen über den Aufbau der abgespeicherten Daten, deren Speicherungsorganisation, die Zugriffspfade etc. Das interne Modell bestimmt damit wesentlich das Leistungsverhalten (Performance) eines Datenbanksystems. 5.2.2 Methoden zur konzeptionellen Datenbankmodellierung Während der Informationsbedarfsanalyse werden die für den Problembereich (Miniwelt) relevanten Objekt- und Beziehungsklassen, Attribute, Operationen und Ereignisse in nicht formaler, z. B. natürlichsprachlicher Form, erfasst. Oft erfolgt die Sammlung der Informationsanforderungen mit Hilfe von Interviewtechniken. Das Ergebnis wird dann z. B. auf Datenblättern oder Formularen dokumentiert. Im Rahmen der Vorlesung soll hierauf nicht näher eingegangen werden, sondern direkt der nächste Schritt, die konzeptionelle Modellierung diskutiert werden. In diesem Entwurfsschritt sollen die in der Informationsanalyse erfassten Sachverhalte implementierungsunabhängig, aber formal und für den Anwender leicht verständlich beschrieben werden. Diese Beschreibung erfolgt mit den Mitteln eines auf konzeptioneller Ebene eingesetzten (konzeptionellen) Datenmodells. Es existiert eine Vielzahl von Ansätzen zur Beschreibung von Informationsmodellen für die konzeptionelle Ebene. Zugehörige Beschreibungshilfsmittel können eine graphische oder eine textuell formale Repräsentation besitzen. Graphisch orientierte Sprachen verschaffen einen besseren Überblick über das gesamte Modell als die sehr präzisen und mächtigen textuellen Modellierungssprachen. Diese hingegen sind im Hinblick auf eine syntaktische und semantische Korrektheit leichter mit Hilfe des Rechners überprüfbar. 117 Datenbanktechnologie als Basis für die Realisierung eines PDM-Systems 5 Im Folgenden werden das Entity-Relationship-Modell, NIAM sowie EXPRESS bzw. EXPRESS-G als Alternativen für die konzeptionelle Datenmodellierung vorgestellt. Diese Vorstellung erfolgt anhand eines Beispiels, das im Folgenden beschrieben wird: Die Informationsbedarfsanalyse in einem Unternehmen ergibt, dass in der zu entwerfenden Datenbank die produzierten Baugruppen und Einzelteile gespeichert werden sollen. Dabei soll auch abgebildet werden, aus welchen (Unter-)Baugruppen und Einzelteilen sich eine Baugruppe zusammensetzt. Für die Einzelteile sollen darüber hinaus die ihnen zugeordneten Fertigungspläne verwaltet werden. Es ergibt sich grob die im Abbildung 5-6 dargestellte Miniwelt. Man erkennt, dass die betrachteten Objekte der realen Welt, die sogenannten Objektinstanzen, bereits zu Klassen (Objektklassen oder Objekttypen) gleichartiger Objekte zusammengefasst sind (analog gilt dies auch für die Beziehungen zwischen den Objekten). Diese Klassenbildung ist eine unabdingbare Voraussetzung zur Datenmodellierung. Die Elemente einer Klasse lassen sich durch die gleichen Merkmale beschreiben, unterschiedlich sind nur die Werte, die diese Merkmale für die einzelnen Elemente annehmen. Abbildung 5-6: Beispiel-Miniwelt Nachdem die Beispielminiwelt mit den zu beschreibenden Objekt- und Beziehungsklassen grob abgegrenzt ist, wird z. B. anhand einer konkreten Baugruppe (Abbildung 5-7) überlegt, welche Informationen in der zu entwerfenden Datenbank abgebildet werden müssen. 118 118 5 Datenbanktechnologie als Basis für die Realisierung eines PDM-Systems Abbildung 5-7: Beispielbaugruppe 2 BG Verbindungs stange L-BG Grundplatte 2 2 BG Mutter - Bolzen L-Winkel Mutter Einzelteil Baugruppe 2 Kantenbewertungen, Anzahl der Komponenten in der übergeordneten Baugruppe Mutter Bolzen Abbildung 5-8: Struktur der Beispielbaugruppe Verbindungs stange 119 Datenbanktechnologie als Basis für die Realisierung eines PDM-Systems 5 Aus den Überlegungen anhand der konkreten Baugruppe(n) geht hervor, dass in der zu entwerfenden Datenbank folgende Sachverhalte über Baugruppen gespeichert werden sollen: Elemente der Objektklassen "Baugruppe" und "Einzelteil" werden jeweils durch ihre Sachnummer und ihren Namen beschrieben, ein Einzelteil zusätzlich durch sein Gewicht. Die Sachnummer ist dabei jeweils innerhalb der Baugruppen bzw. innerhalb der Einzelteile eindeutig. Zusammensetzung der Baugruppen aus (Unter-)Baugruppen und Einzelteilen mit Angabe der jeweiligen Menge. Aus Abbildung 5-8 wird klar, dass dabei gilt: Eine übergeordnete Baugruppe kann aus mehreren (N) Baugruppen bestehen, wobei eine Baugruppe in mehreren (M) übergeordneten Baugruppen vorkommen kann. Analoges gilt für Baugruppe-Einzelteil-Beziehung. Aus Abbildung 5-9 wird klar, dass für die Zuordnung von Fertigungsplänen zu Einzelteilen gilt: Einem Einzelteil können mehrere Fertigungspläne zugeordnet sein, wobei umgekehrt ein Fertigungsplan genau einem Einzelteil zugeordnet sein muss. Ein Fertigungsplan wird beschrieben durch eine (über alle existierenden Fertigungspläne eindeutige) Nummer, durch ein Erstellungsdatum sowie durch den Fertigungsort (diese Attribute seien hier beispielhaft zur Beschreibung eines Fertigungsplans ausgewählt). Die in der Datenbank abzubildende Beispielminiwelt wird im Folgenden alternativ mit Hilfe der zuvor genannten konzeptionellen Modelle dargestellt. Abbildung 5-9: Mengendiagramm der Einzelteil-Fertigungsplan-Zuordnung 5.2.2.1 Entity-Relationship-Modell Das Entity-Relationship-Modell (ERM) geht auf Chen zurück [Chen76]. Es unterscheidet zwischen Entities, Attributen und Relationships. Entities sind reale oder abstrakte Dinge (Objekte), die für einen betrachteten Ausschnitt der realen Welt von Interesse sind. Werden Entities in Klassen zusammengefasst, so werden sie als Entitytypen bezeichnet, deren einzelne Ausprägungen die Entities sind. In der Beispielminiwelt kommen die Entitytypen Baugruppe, Einzelteil und Fertigungsplan vor. Entities (Ausprägungen) des Entitytyps Baugruppe sind beispielsweise die Mutter-Bolzen-Baugruppe 120 120 5 Datenbanktechnologie als Basis für die Realisierung eines PDM-Systems oder die L-Baugruppe des Entitytyps Einzelteil, beispielsweise Mutter, Bolzen oder Grundplatte. Attribute beschreiben Eigenschaften von Entities wie z. B. Name, Sachnummer oder das Erstellungsdatum. Jedes Attribut kann Werte aus einem bestimmten Wertebereich annehmen. Damit lassen sich für konkrete Entities, z. B. für den Bolzen, Aussagen der Form: "Attribut Sachnummer hat den Wert 1-94-0004" oder "Attribut Gewicht hat den Wert 0.02" machen. Hierbei wird wieder das wesentliche Merkmal der Klassenbildung deutlich: Jedem Entitytyp wird eine Kombination von Attributen mit bestimmten Wertebereichen, jedem Entity dieses Entitytyps eine Kombination von Attributwerten zugeordnet. Ein Relationshiptyp (Beziehungstyp) ist eine logische Verknüpfung zwischen zwei oder mehreren Entitytypen. Im Rahmen des ERM können 1:1-, 1:N-, M:1- sowie N:M-Beziehungen zwischen Entitytypen dargestellt werden (Abbildung 5-10). 1:1, 1:N, M:1 und N:M werden hierbei als Kardinalität der Beziehung (genauer: des Beziehungstyps) bezeichnet. Bei einer 1:1-Beziehung wird jedem Element der ersten Menge genau ein Element der zweiten Menge zugeordnet und umgekehrt. Bei einer 1:N-Beziehung werden jedem Element der ersten Menge N Elemente der zweiten Menge zugeordnet, jedem Element der zweiten Menge aber genau ein Element der ersten Menge. Die N:1Beziehung drückt den gleichen Sachverhalt in umgekehrter Reihenfolge aus. Beispiel für Beziehungstypen ist die Zuordnung von Fertigungsplänen zu Einzelteilen (1:N-Beziehung), die besagt, dass jedem Einzelteil (genauer: jedem Entity des Entitytyps Einzelteil) N Fertigungspläne (genauer: N Entities des Entitytyps Fertigungsplan) zugeordnet sind und dass umgekehrt jeder Fertigungsplan zu genau einem Einzelteil gehört. Beispiel für eine konkrete Ausprägung dieses Beziehungstyps ist die Zugehörigkeit des Fertigungsplans mit der FP-Nummer 3-94-0001 zum Einzelteil mit der Sachnummer 1-94-0002. Die Kardinalität des Beziehungstyps wird an den Kanten des ER-Diagramms eingetragen. Abbildung 5-10: Mengenbeziehungen -ihre Notation im Entity-Relationship-Modell Abbildung 5-11 zeigt das ER-Modell zur Beschreibung der Beispielminiwelt. 121 Datenbanktechnologie als Basis für die Realisierung eines PDM-Systems 5 übergeordnet BG-BGM Beziehung Baugruppe N untergeordnet N BG-ETBeziehung Menge Sachnummer Name Menge M Einzelteil Sachnummer Name Gewicht 1 Legende: ET-FPBeziehung Entity-Typ Beziehung N Attribut Fertigungsplan FP-Nummer Erstellungsdatum Fertigungsort Abbildung 5-11: Entity-Relationship-Modell der Beispielminiwelt 5.2.2.2 NIAM (Nijssen Information Analysis Method) NIAM wurde Mitte der siebziger Jahre von Prof. G. M. Nijssen zur konzeptionellen Datenmodellierung entworfen. Die NIAM-Methodik unterstützt im gleichen Maße wie ERM die graphische Modellierung von Objekt- und Beziehungsklassen. NIAM unterstützt jedoch komplexere Strukturierungsmethoden und Konsistenzbedingungen. NIAM unterscheidet zwei verschiedene Objekttypen, nämlich LOTs und NOLOTs. LOTs (Lexical Object Types) entsprechen Attributen im ERM. NOLOTs (Non Lexical Object Types) entsprechen den Entitytypen im ERM. Beziehungstypen werden in NIAM FACTs genannt. Wie im ERM können in NIAM ebenfalls die Kardinalitäten der Beziehungstypen abgebildet werden. Es gelten die in Bild 5.12 dargestellten NIAM-Notationen. Abbildung 5-12 stellt das NIAM-Modell für die Beispielminiwelt dar. Die beschriebenen Eigenschaften von NIAM sind denen des ERM sehr ähnlich. Darüber hinaus bietet NIAM jedoch weitere, für eine realitätsnahe Datenmodellierung sehr vorteilhafte Konzepte. Dazu zählt die Generalisierung und Spezialisierung von Objekttypen. Die Generalisierungs- und Spezialisierungsbeziehung von Objekttypen (Vererbung) erlaubt eine sehr präzise Klassifikation von Objekten der realen Welt über sogenannte Vererbungshierarchien. Betrachtet man in unserem Beispiel Baugruppe und Einzelteil, so sieht man, dass beiden die Merkmale "Sachnummer" und "Name" gemeinsam sind. Unter diesem Gesichtspunkt kann man Baugruppe und Einzelteil zu einem Supertyp "Artikel" generalisieren, der diese gemeinsamen Merkmale seiner Subtypen beschreibt (Abbildung 5-14). Die speziellen Eigenschaften wie z. B. Gewicht verbleiben bei den Subtypen. Durch die Generalisierungsbeziehung erhält bzw. erbt ein Subtyp die bei seinem Supertyp definierten Merkmale. 122 122 5 Datenbanktechnologie als Basis für die Realisierung eines PDM-Systems Mengen - Diagramme Beziehungstyp Menge A NIAM Notation Menge B 1 : 1 - Beziehung A B 1 : N - Beziehung A B N : 1 - Beziehung A B N : M -Beziehung A B Abbildung 5-12: Mengenbeziehung - ihre Notation in NIAM NIAM erlaubt darüber hinaus die Beschreibung komplexer Zwangsbedingungen und Ableitungsregeln für Attribute, worauf an dieser Stelle jedoch nicht weiter eingegangen werden soll. Sachnummer Baugruppe Name Sachnummer Einzelteil Name Gewicht Legende: NOLOT (Objekttyp) FPNummer LOT (Attribut) M:N-Beziehung Fertigungsplan Erst.datum 1:N-Beziehung 1:1-Beziehung Fert.ort Abbildung 5-13: Modell der Beispielminiwelt in NIAM 123 Datenbanktechnologie als Basis für die Realisierung eines PDM-Systems 5 Sachnummer Artikel Name Baugruppe Einzelteil Legende: FPNummer NOLOT (Objekttyp) LOT (Attribut) Gewicht Fertigungsplan Erst.datum M:N-Beziehung 1:N-Beziehung Fert.ort 1:1-Beziehung Supertyp Vererbung (Generalisierung/Spezialisierung) Subtypen Abbildung 5-14: Modell der Beispielminiwelt in NIAM mit Vererbung 5.2.2.3 EXPRESS EXPRESS [EXPR94] ist eine Datenmodellierungssprache, die im Rahmen der ISO-10303-Entwicklung (Product Data Representation and Exchange, auch als STEP - Standard for the Exchange of Product Model Data bekannt) genormt wird. Zielsetzung der Entwicklung dieser Modellierungssprache ist es, eine Methode zur konzeptionellen Modellierung zur Verfügung zu stellen, die die rechnerunterstützte Weiterverarbeitung der mit EXPRESS formal spezifizierten Modelle erlaubt (z. B. Parser, Compiler zur Generierung des physikalischen Schemas). Für die Formulierung der Modelle stehen folgende Sprachelemente zur Verfügung: Ein SCHEMA bildet in EXPRESS ein Modul, das eine Gruppe semantisch zusammengehöriger Informationseinheiten umschließt und den Gültigkeitsbereich der in ihm spezifizierten Konstrukte (Deklaration von Konstanten, Definition von benutzerdefinierten Typen, Definition von Entities, Definition von Funktionen und Prozeduren) begrenzt. Ein ENTITY in EXPRESS wird zur Modellierung von Objekt- und Beziehungstypen verwendet. Im Vergleich zu ERM oder NIAM existieren hierfür keine getrennten Abbildungskonzepte. Die Beschreibung von Vererbung zwischen Entities wird in EXPRESS unterstützt. Attribute bezeichnen die Merkmale der Entities. Auch Beziehungen werden als Attribute von Entities abgebildet. Die Kardinalitäten der Beziehungstypen werden durch die Typen der Attribute (optionale Attribute, inverse Attribute) und durch Zwangsbedingungen auf die Attribute abgebildet. Zur Vermeidung von impliziten Redundanzen ist durch das DERIVE-Konstrukt die Evaluierung von Attributwerten (z. B. durch Funktionen und Prozeduren) möglich. In EXPRESS müssen für die Attribute von Entities deren Typen angegeben werden (vergleichbar mit einer Variablendeklaration in einer Programmiersprache). Zu den vordefinierten Datentypen gehören INTEGER, REAL, NUMBER, STRING, BOOLEAN und LOGICAL. Als vordefinierte Aggregationstypen sind ARRAY, BAG, SET und LIST verfügbar. Mit Hilfe des TYPE-Konstrukts können neben den vordefinierten einfachen Typen von EXPRESS zusätzlich benutzerdefinierte Datentypen vereinbart werden. 124 124 5 Datenbanktechnologie als Basis für die Realisierung eines PDM-Systems Mit Hilfe sogenannter RULEs werden Zwangsbedingungen für die Menge der Ausprägungen der Entities formuliert. Dabei wird zwischen globalen Regeln, die Zwangsbedingungen für mehrere Entities innerhalb eines Schemas spezifizieren, und lokalen Regeln, die Zwangsbedingungen innerhalb eines einzelnen Entities aufstellen, unterschieden. Durch FUNCTIONs und PROCEDUREs ist die Formulierung prozeduraler Algorithmen zur Berechnung von Attributwerten oder zur Auswertung von RULEs möglich. Die Schnittstellenkonstrukte USE und REFERENCE erlauben die Einbindung von außerhalb des aktuellen SCHEMAs definierten Entities. Dadurch wird der Aufbau von komplexeren Datenmodellen aus einzelnen Modulen möglich. Neben der Möglichkeit der textuellen Repräsentation von konzeptionellen Schemata ist auch eine graphische Notation, EXPRESS-G, entwickelt worden, die eine Untermenge von EXPRESS darstellt (Abbildung 5-15). Abbildung 5-15: EXPRESS-G Symbole Die Bilder in Abbildung 5-16 und Abbildung 5-17 zeigen die Modelle zur Beschreibung der Beispielminiwelt in EXPRESS bzw. EXPRESS-G jeweils unter Verwendung der Vererbungsbeziehung. 125 Datenbanktechnologie als Basis für die Realisierung eines PDM-Systems 5 Sachnummer Baugruppe_Schema STRING Artikel Name 1 Einzelteil Baugruppe uebergeordnet STRING BG untergeordnet ET BG_ET_Beziehung Gewicht Menge BG_BG_Beziehung REAL INTEGER FP-Nummer STRING ET_Zuordnung Erstellungsdatum Menge INTEGER STRING Fertigungsort Fertigungsplan STRING Abbildung 5-16: Modell der Beispielminiwelt in EXPRESS-G mit Vererbung SCHEMA Baugruppe_Schema; ENTITY Baugruppe; SUBTYPE OF (Artikel); END_ENTITY; ENTITY Einzelteil; SUBTYPE OF (Artikel); Gewicht : REAL; END_ENTITY; ENTITY Artikel Sachnummer Name END_ENTITY; : : STRING; STRING; ENTITY BG_BG_Beziehung; uebergeordnet : Baugruppe; untergeordnet : Baugruppe; Menge : INTEGER; END_ENTITY; ENTITY BG_ET_Beziehung; BG : Baugruppe; ET : Einzelteil; Menge : INTEGER; END_ENTITY; ENTITY Fertigungsplan; FP_Nummer : STRING; Erstellungsdatum : STRING; Fertigungsort : STRING; ET_Zuordnung : Einzelteil; END_ENTITY; END_SCHEMA; Abbildung 5-17: Modell der Beispielminiwelt in EXPRESS mit Vererbung 5.2.2.4 Die Modellierungsmethode UML Die Unified Modeling Language (UML) hat sich als Quasi-Standard zur Informationsmodellierung in objektorientierten Softwaresystemen durchgesetzt. Sie ist in erster Linie die Beschreibung einer einheitlichen Notation und die Definition eines Metamodells. UML bietet ein Satz von graphischen Notationen, die in der Regel in verschiedenen Diagrammtypen zur Anwendung kommen. Speziell im 126 126 5 Datenbanktechnologie als Basis für die Realisierung eines PDM-Systems Datenbankumfeld spielen Klassendiagramme eine wichtige Rolle zum Entwurf komplexer objektorientierter (vgl. Kapitel 5.2.3.4) Datenbankschemas. Der für den objektorientierten Entwurf wichtigste Begriff ist der des Objekts. Objekte sind in sich abgeschlossene Komponenten mit einer definierten Grenze gegenüber ihrer Umwelt und ihrer eigenen Identität. Dies wird auch als gekapselter, im Allgemeinen nicht direkt sichtbarer Zustand bezeichnet. Objekte haben strukturelle Eigenschaften, sie können insbesondere aus Teilobjekten zusammengesetzt sein [GeDV10]. Klassendiagramme beschreiben die Typen von Objekten in einem System und die verschiedenen Arten von Beziehungen zwischen diesen. Eine Klasse beschreibt die Struktur und das Verhalten von Objekten, die sie erzeugt. Objekte werden aus vorhandenen Klassen instanziiert (produziert) und sind die in einer Anwendung agierenden Einheiten. Die Definition einer Klasse setzt sich aus Attributen und Operationen zusammen. Die UML-Notation für die Abbildung einer Klasse im Klassendiagramm ist in Abbildung 5-18 zu sehen. Klasse -Attribut:Typ +Methode:Typ Abbildung 5-18: Eine Klasse in UML mit Attributen (Zustand) und Methoden (Verhalten) Zwischen Klassen und Objekten können Beziehungen definiert werden. Zu diesen zählen folgende Beziehungstypen: Generalisierung Assoziation Aggregation Komposition Die Generalisierung ist ein Konzept, bzw. ein Umsetzungsmechanismus, in dem die Relation zwischen einer Ober- und einer Unterklasse hergestellt wird. Bei einer Generalisierung werden die Eigenschaften der Oberklasse bei der Instanziierung der Unterklasse vererbt. OberKlasse -Attribut:Typ +Methode:Typ UnterKlasse -Attribut:Typ +Methode:Typ Abbildung 5-19: Darstellung der Vererbungsbeziehung zwischen Klassen in UML-Notation Die Assoziation stellt eine bidirektionale Beziehung zwischen Objekten dar. Dies bedeutet, dass beide Objekte in einer solchen Beziehung voneinander wissen. Assoziationen ermöglichen die Kommunikation der Objekte miteinander durch Methodenaufrufe. Spezielle Varianten von Assoziationen stellen die Aggregation und die Komposition dar. 127 Datenbanktechnologie als Basis für die Realisierung eines PDM-Systems 5 Eine Aggregation ist eine Assoziation, deren beteiligte Klassen eine Ganzes-Teile-Hierarchie darstellen. Unter der Aggregation versteht man die Zusammensetzung eines Objektes aus einer Menge von Einzelteilen. Die Aggregation ist – anders wie bei der Assoziation – eine unidirektionale Beziehung. Eine Komposition ist eine strenge Form der Aggregation, bei der Teile vom Ganzen existenzabhängig sind. Es gelten die meisten Aussagen über die Aggregation auch für die Komposition. Allerdings kann die Kardinalität (Anzahl der Elemente) auf der Seite des Aggregats nur 1 sein. Jedes Teil ist nur Teil genau eines Kompositionsobjektes, sonst würde die Existenzabhängigkeit widersprüchlich. Kla sse 2 Kla sse 2 -Attribut:Typ Kla sse 1 -Attribut:Typ 1..* Kla sse 1 1..* +Methode:Typ -Attribut:Typ 1..* -Attribut:Typ Kla sse 1 1..* +Methode:Typ -Attribut:Typ +Methode:Typ Kla sse 2 Kla sse 3 +Methode:Typ +Methode:Typ -Attribut:Typ 1..* Kla sse 3 +Methode:Typ 1..* Kla sse 3 -Attribut:Typ -Attribut:Typ -Attribut:Typ +Methode:Typ +Methode:Typ +Methode:Typ Abbildung 5-20: (v. l nach r.) Assoziation, Aggregation und Komposition in UML-Notation Artikel -name: String -sachnummer: St ring + löschen:void Bau g ru p p e -unterBaugruppen: Baugruppe[ ] -einzelt eile: Einzelteil[ ] + Baugruppe: void + berechneG ewicht :double 0..* 0..* Ein zel teil F erti gu n g spl an -gewicht: double -nummer:String -erstDatum:St ring -f ertigungsort:St ring + Einzelteil + verwNachweis: List Abbildung 5-21: Darstellung eines komplexen Schemas im Klassendiagram nach UML (Das Artikel-Beispiel) 5.2.3 Klassische Datenbankmodelle In Kapitel 5.2.2 wurden Modelle bzw. Modellierungssprachen besprochen, die auf der Ebene des konzeptionellen Datenbankentwurfs zur implementierungsunabhängigen Beschreibung des in der Datenbank abzubildenden Sachverhalts eingesetzt werden. Diese konzeptionellen Modelle müssen nun im logischen Entwurfsschritt in das Datenmodell der ausgewählten Datenbank (Datenbankmodell) überführt werden. Aufgrund der Verbreitung kommerzieller Datenbanksysteme und der in ihnen implementierten Datendefinitionssprachen unterscheidet man vier wesentliche Datenbankmodelle (bzw. Typen von Datenbanksystemen), die im industriellen Umfeld zum Einsatz kommen: das hierarchische Datenmodell, das Netzwerkdatenmodell, das relationale Datenmodell sowie in jüngerer Zeit objektorientierte Datenmodelle. 128 128 5 Datenbanktechnologie als Basis für die Realisierung eines PDM-Systems Entsprechend bezeichnet man Datenbanksysteme nach dem ihnen zugrundeliegenden Datenmodell als hierarchische Datenbanken, Netzwerkdatenbanken, relationale Datenbanken oder objektorientierte Datenbanken. Während das hierarchische sowie auch das Netzwerkdatenmodell im Bereich technischer Anwendungen von geringerer Bedeutung sind, sind nach [EHSS91]. relationale Datenbanksysteme im Bereich der Produktdatenmanagementsysteme momentan Stand der Technik. Objektorientierte Datenbanksysteme gewinnen mit der Verfügbarkeit leistungsfähiger Systeme im ingenieurwissenschaftlichen Bereich jedoch zunehmend an Bedeutung. Im Folgenden sollen die Konzepte der genannten Datenmodelle kurz erläutert werden. 5.2.3.1 Das hierarchische Datenmodell Im hierarchischen Datenmodell stehen Entitytypen und hierarchische Beziehungen (von Vater zu Sohn) zur Abbildung des gewünschten Sachverhalts zur Verfügung. Es existieren nur hierarchische Beziehungen zwischen Entities (Baumstruktur), dabei gilt: Jeder Entitytyp (mit Ausnahme des Wurzeltyps) hat genau einen Vorgänger (Vater). Der Wurzeltyp hat keinen Vorgänger, bei ihm beginnt die Hierarchie. Jedem Wurzeltyp einer Hierarchie ist ein Primärschlüssel zugeordnet. Jeder Entitytyp gehört zu genau einer Hierarchie. N:M-Beziehungen müssen damit in zwei 1:N-Beziehungen aufgelöst werden, was zu entsprechender Redundanz bei den Enitites in der Datenbank führt. Für die Datenmanipulation sind in hierarchischen Datenbanken Befehle vorhanden, um auf ein Wurzelentity direkt zuzugreifen, vom Vaterentity auf den jeweils ersten Sohn eines Nachfolgers und dann sequentiell auf das nächste Entity der Hierarchieebene zuzugreifen. Ein in einer hierarchischen Datenbank gespeichertes Entity ist damit nur über sein zugehöriges Wurzelentity der Hierarchie bzw. über einen von diesem aus gerichteten Pfad erreichbar. Die Konzepte des hierarchischen Datenmodells im Überblick zeigt Abbildung 5-22. 129 Datenbanktechnologie als Basis für die Realisierung eines PDM-Systems 5 Informationen werden in einer hierarchischen Baumstruktur dargestellt. 1 Wurzelobjekt (Vater) Jedes Objekt kann nur einem Baum angehören. N : M-Beziehungen müssen in zwei Hierarchien dargestellt werden. Baugruppe N BG-ETBeziehung M Baugruppe Einzelteil 1:N 1:N Einzelteil Baugruppe Einzelteil Abbildung 5-22: Konzepte des hierarchischen Datenmodells 5.2.3.2 Das Netzwerkdatenmodell Beim Netzwerkdatenmodell stehen für die Modellbildung Entitytypen (als Recordtypen bezeichnet) und Beziehungstypen (als Set-Typen bezeichnet) der Kardinalität 1:N zur Verfügung. Ein Set-Typ von Entitytyp E1 nach E2 (1:N) wird als von E1 nach E2 gerichtet angesehen und als Pfeil dargestellt. E1 wird als "Ownertyp", E2 als "Membertyp" des Set-Typs bezeichnet. Der Zugriff auf ein Entity (Record) erfolgt entweder direkt über einen systemweit eindeutigen Identifikator (Schlüssel) des Entities oder aber ausgehend von einem Einstiegspunkt durch "Navigieren" durch die Datenbank, d. h. für jeden Record muss durch den Benutzer ein Zugriffspfad angegeben werden. Bei Netzwerkdatenmodellen wurde nach dem Vorschlag der CODASYL (COnference on DAta System Languages) Data Base Task Group ein zusätzlicher Linktyp zur Abbildung von N:M-Beziehungstypen eingeführt. Auf diese Art lassen sich auch hierarchische Datenmodelle in Netzwerkmodelle überführen. Aus heutiger Sicht ist eine Unterscheidung zwischen hierarchischen und netzwerkartigen Datenmodellen unbedeutend (hierarchisches Datenmodell kann als Spezialfall des Netzwerkdatenmodells betrachtet werden). Die Konzepte des Netzwerkdatenmodells im Überblick zeigt Abbildung 5-23. 130 130 5 Datenbanktechnologie als Basis für die Realisierung eines PDM-Systems 5.2.3.3 Das relationale Datenmodell Das relationale Datenmodell wurde erstmals von Codd formuliert [Codd70]. Es basiert auf dem mathematischen Begriff der Relation. Mathematisch gesehen gilt: Seien D1, ..., Dn beliebige Wertemengen (Domänen), dann heißt jede Teilmenge R des kartesischen Produkts: R D1 x D2 x D3 x ... x Dn (n-stellige) Relation über D1, ..., Dn. Abbildung 5-23: Konzepte des Netzwerkdatenmodells Eine Relation entspricht damit einer Menge von n-Tupeln, wobei man unter einem n-Tupel ein Element des kartesischen Produkts versteht. Als bildhafte Darstellungsform eignet sich eine Tabelle. Für jede Domäne Di (engl.: Domain) wird darin eine Spalte angelegt. Gefüllt wird diese Tabelle mit den n-Tupeln der Relation. Ein n-Tupel entspricht dabei einer Zeile der Tabelle. Auf den Bereich der Datenmodellierung übertragen, beschreibt ein n-Tupel ein Objekt (z. B. Einzelteil "Grundplatte", Fertigungsplan mit Nr. "3-94-0001") oder eine Beziehung zwischen Objekten (z. B. Fertigungsplan mit Nr. "3-94-0001" ist dem Einzelteil "Grundplatte" zugeordnet). Sowohl Objekt- als auch Beziehungstypen werden im relationalen Modell als Relationen abgebildet. Für jede Relation ist eine (minimale) Attributkombination (Primärschlüssel) anzugeben, deren Attributwerte ein Datenobjekt (Tupel) der Relation eindeutig identifizieren. Dieser Schlüssel wird in der Regel unterstrichen dargestellt. Die Konzepte des relationalen Datenmodells verdeutlicht Abbildung 5-24 am Beispiel der Relation "Fertigungsplan", die durch den Fremdschlüssel "ET-Sachnummer" auch gleichzeitig die Beziehung des Objekttyps "Fertigungsplan" zum Objekttyp "Einzelteil" abbildet. Eine Darstellung der aus dem 131 Datenbanktechnologie als Basis für die Realisierung eines PDM-Systems 5 konzeptionellen Modell für die Beispielminiwelt resultierenden Relationen mit Angabe der Attributwerte für einzelne ausgewählte Entities bzw. Tupeln zeigt Abbildung 5-25. Wertebereich (Domain) STRING Merkmalsausprägung (Attributwert) Primärschlüssel (Primary Key) FP-Nummer Erstellungs -datum Merkmale (Attribute) Relation R Domain1 x Domain 2 x .. x Domain n Fremdschlüssel (Foreign Key) Fertigungsort ET- Sachnummer 3-94-0001 01.02.1994 Frankfurt 1-94-0002 3-94-0002 02.02.1994 Darmstadt 1-94-0002 Element (Tupel) Abbildung 5-24: Konzepte des Relationenmodells Relation Baugruppe Sachnummer Relation BG-BG-Beziehung Name Übergeordnete BG Untergeordnete BG Menge 2-94-0001 Beispiel-BG 2-94-0001 2-94-0002 2 2-94-0002 ... L-BG ... 2-94-0001 ... 2-94-0004 ... 1 ... Relation Einzelteil Sachnummer 1-94-0001 1-94-0002 ... Relation BG-ET-Beziehung Name Gewicht [kg] Baugruppe Einzelteil Menge Grundplatte 3.2 2-94-0001 1 -94-0001 1 L-Winkel ... 0.8 ... 2-94-0002 ... 1 -94-0002 ... 1 ... Relation Fertigungsplan FP-Nummer Erstelldatum Fertigungsort 3 -94-0001 01.02.1994 Frankfurt 1 -94-0002 3 -94-0002 ... 02.02.1994 ... Darmstadt ... 1 -94-0002 ... ET-Sachnr. Abbildung 5-25: Tabellendarstellung der Beispielminiwelt mit konkreten Objekten Operationen im relationalen Datenmodell können relationen- oder mengenorientiert sein. Beispiele für relationenorientierte Operationen sind: Selektion: Auswahl einer Anzahl von Tupeln (Zeilen) aus einer Tabelle, Projektion: Auswahl einer Anzahl von Domänen (Spalten) aus einer Tabelle, Join: Verbinden zweier Tabellen zu einer neuen Tabelle. 132 132 5 Datenbanktechnologie als Basis für die Realisierung eines PDM-Systems Basis für die mengenorientierten Operationen ist die Mengenalgebra, in der auf Mengen von Datenelementen die Operationen Durchschnitt, Vereinigung und Differenz angewandt werden können. 5.2.3.4 Objektorientierte Datenmodelle Die Idee der objektorientierten Datenmodellierung verbreitet sich etwa seit Beginn der 80er Jahre und hat mittlerweile sowohl im Programmiersprachen- als auch im Datenbankbereich zunehmend Bedeutung erlangt. Obwohl bisher noch kein standardisiertes objektorientiertes Datenmodell vereinbart werden konnte, sind den verschiedenen Ansätzen doch bestimmte Konzepte gemeinsam [Ditt-89]. Den unterschiedlichen Ansätzen liegt ein weitgehend einheitlicher Objektbegriff zugrunde. Ein Objekt dient aus modellierungstechnischer Sicht zur Beschreibung eines (abstrakten oder konkret vorhandenen) Gegenstands der realen (Mini-)Welt. Objektorientierte Datenmodelle sollen in der Lage sein, Struktur und Verhalten von Umweltobjekten möglichst realitätsgetreu (1:1) auf Objekte des Datenmodells abzubilden. Eine realitätsnahe Sichtweise fördert eine natürlichere und damit leichter verständliche Repräsentation der gegebenen Miniwelt und erleichtert neben dem Entwurfsprozess auch die Datenmanipulation, weil z. B. komplex zusammengesetzte Objekte und ihre Komponenten in Bezug auf Zugriff, Speicherung etc. vom Benutzer als Einheit behandelt werden können. Im Folgenden werden die als grundlegend erachteten Konzepte objektorientierter Datenmodelle, die in Abbildung 5-26 im Überblick dargestellt sind, erläutert. Repräsentation komplexer Objekte (Objektbeziehungen) Kennzeichen vieler Anwendungsbereiche (z. B. CAD-Bereich) ist das Vorkommen komplexer Objekte, die in beliebiger Weise aus anderen Objekten zusammengesetzt (Assoziation vgl. 5.2.2.4) sein können. Die entsprechenden Modellobjekte können damit außer den gewöhnlichen Attributen Bestandteile haben, die ihrerseits (u. U. komplexe) Objekte sind. Die Struktur solch eines komplexen Objekts, z. B. der vorgestellten Beispielbaugruppe, entspricht damit einer Hierarchie von Objekten. Oft existieren zu einem Objekt mehrere unterschiedliche Repräsentationsformen, die erst in ihrer Gesamtheit vollständig die Anforderungen der geplanten Anwendung(en) beschreiben. Beispiel hierfür ist ein Fertigungsprodukt, zu dessen Beschreibung Konstruktionszeichnungen, Stückliste sowie Arbeitsplan erforderlich sind. Die Abbildung solch komplex aufgebauter Umweltobjekte auf Modellobjekte erfordert insbesondere in den zuvor genannten "klassischen" Datenmodellen eine sehr umfangreiche Datenstruktur, weil dort eine Zerlegung in eine Menge von Objekten unterschiedlichen Typs (z. B. Tupel unterschiedlicher Relationen, die über Fremdschlüssel verknüpft sind) notwendig ist. Dies bedingt einen hohen Entwurfsaufwand sowie ein oftmals ungenügendes Leistungsverhalten bei der Verwaltung im DBS. Ein wichtiges Kriterium zur Klassifizierung und Beurteilung objektorientierter Datenmodelle ist deshalb die Tatsache, ob es ein Konzept zur "natürlichen" Modellierung komplexer Objekte gibt, also einfache Darstellungsmethoden sowie Operatoren (z. B. zum Auffinden, Lesen, Löschen), die in der Lage sind, mit dem komplexen Objekt als Einheit umzugehen. Objektidentität Im relationalen Datenmodell erfolgt die Identifizierung eines Elements durch die aktuellen Werte seines Primär-Schlüssels bzw. seiner identifizierenden Attribute, d. h. die Identität eines Elements ändert sich mit dem Ändern dieser Attribute. Eine Unterscheidung zwischen zwei Objekten mit gleichen Attributwerten ist dort unmöglich. 133 Datenbanktechnologie als Basis für die Realisierung eines PDM-Systems 5 In einem objektorientierten Modell besitzt jedes Objekt eine durch das System vergebene eindeutige Kennzeichnung (Objektidentität, Surrogat), die es während seiner gesamten Lebensdauer unabhängig von seinen Attributwerten identifiziert. Datenkapselung Durch die Datenkapselung (vergleichbar mit dem Prinzip des abstrakten Datentyps ADT in Programmiersprachen) bleibt die interne Repräsentation der (Daten-) Strukturen und Operationen eines Objekts dem Benutzer verborgen. Die Schnittstelle eines Objekttyps spezifiziert diejenigen Operationen (Methoden), die ein Objekt dieses Typs nach außen hin anbietet. Der Zugriff auf die Struktur bzw. der Aufruf "privater" Funktionen kann nur durch Aufruf einer nach außen hin sichtbaren Methode erfolgen. Da die Implementierung von Datenstrukturen und Operationen dem Benutzer verborgen bleibt ("information hiding"), kann sie bei Beibehaltung der Schnittstellenspezifikation beliebig verändert werden. Typen und Klassen Eine Klasse (Typ) beschreibt die gemeinsamen Eigenschaften (Attribute) und Verhaltensweisen (Methoden) einer Menge von Objekten (vgl. 5.2.2.4). Eine Klassendefinition beinhaltet dem Prinzip der Datenkapselung entsprechend einen Schnittstellenund einen Implementierungsteil. Ein Objekt einer Klasse (Instanz) wird erzeugt durch Aufruf der Konstruktormethode dieser Klasse. Vererbung Die Vererbung stellt eine Generalisierungs- oder Spezialisierungsbeziehung wie im Kapitel 5.2.2.4 bereits beschrieben. Objekttypen (Klasse), die gleiche Eigenschaften und gleiches Verhalten aufweisen, können unter einem Supertyp zusammengefasst werden, der genau diese Gemeinsamkeiten beschreibt. Ergebnis ist eine Typ-Hierarchie, in der jeweils die Subtypen Attribute und Methoden von ihren Supertypen erben. Benutzerdefinierte Typen Zum Aufbau bzw. zur Repräsentation komplexer Umweltobjekte sind oftmals die einfachen vom Datenmodell vorgesehenen, vordefinierten Datentypen nicht ausreichend. Es sollte dann für den Benutzer die Möglichkeit geben, den vom Datenmodell bereitgestellten Typenvorrat um eigene Typen zu erweitern. Dies geschieht durch die Implementierung eigener Klassen, dessen Objekte in einem komplexen System in Beziehung gesetzt werden. Dem Prinzip der Datenkapselung entsprechend umfasst die Definition eines benutzerdefinierten Datentyps außer seiner internen Datenstruktur auch die Spezifikation und Implementierung von Operationen auf dieser. Klassifikation objektorientierter Datenmodelle Objektorientierte Datenmodelle lassen sich nun danach klassifizieren, welche der vorgenannten Konzepte sie unterstützen. Nach [Ditt89] lassen sich drei Klassen objektorientierter Datenmodelle unterscheiden: Strukturell objektorientierte Datenmodelle unterstützen im Wesentlichen den Aufbau komplexer Objekte unter Berücksichtigung des Vererbungskonzepts. Die zugehörigen Operationen zur Handhabung der komplexen Objekte wie Lesen, Auffinden, Löschen oder Kopieren des Gesamtobjekts sind generisch, d. h. auf alle vorschriftsmäßig aufgebauten Objekttypen anwendbar. Der Benutzer selbst hat allerdings keine Möglichkeit zur Definition eigener Operationen. 134 134 5 Datenbanktechnologie als Basis für die Realisierung eines PDM-Systems • Strukturierte (komplexe) Objekte Abstraktionsprinzip "Aggregation" • Objektidentitäten (Surrogate) Objekte sind unabhängig von ihren Attributwerten adressierbar. • Typisierung von Objekten (Klassenbildung) Beschreibung der gemeinsamen Eigenschaften (Attribute) und Verhaltensweisen (Methoden) einer Menge von Objekten • Datenkapselung, "information hiding" Zugriff auf Struktur eines Objekts über nach außen hin "sichtbare" Methoden (Operationen) Senden von Nachrichten zum Aufruf von Methoden Struktur Nachricht bzw. Methodenaufruf Methode komplexes Objekt • Vererbung Abstraktionsprinzip "Generalisierung" bzw. "Spezialisierung": - Definition gemeinsamer Eigenschaften bei der Superklasse - Definition der Unterschiede bei den Subklassen • Benutzerdefinierte Typen Erweiterung des Typenvorrats durch den Benutzer Abbildung 5-26: Konzepte objektorientierter Datenmodelle 5.2.4 Verhaltensmäßig objektorientierte Datenmodelle erlauben dem Benutzer, eigene Datentypen mit anwendungsspezifischen Operatoren zu definieren. Dadurch wird es möglich, das Verhalten eines Objekts in der Datenbank abzubilden. Die Datenbankobjekte haben in verhaltensmäßig objektorientierten Datenmodellen flache Strukturen, die Abbildung komplexer Objekte wird nicht unterstützt. Voll objektorientierte Datenmodelle vereinigen die Konzepte der strukturellen und verhaltensmäßigen Objektorientierung und sind damit in der Lage, Struktur und Verhalten komplexer Objekte zu modellieren. Relationale vs. objektorientierte Datenbanken In diesem Abschnitt sollen anhand eines einfachen Beispiels Unterschiede und Gemeinsamkeiten bei der Entwicklung relationaler bzw. objektorientierten Datenbanken aufgezeigt werden. Die konzeptionelle Vorgehensweise ist bei beiden Datenbanktypen gleich. Nach einer Informationsbedarfsanalyse folgt die Erstellung von konzeptionellen und logischen Modellen und abschließend die Implementierung im physikalischen Modell. 5.2.4.1 Informationsanalyse Im Beispiel soll eine Datenbank erzeugt werden, die einfache Artikeldaten (z. B. für eine Lagerverwaltung) abbildet und verwaltet. In der Datenbank soll zwischen Baugruppen und Einzelteilen unterschieden werden. Sowohl Einzelteile als auch Baugruppen sind durch ihren Namen und ihre Seriennummer gekennzeichnet. Baugruppen haben beliebig viele Bestandteile, die Unterbaugruppen oder Einzelteile (also Artikel) sein können. Einzelteile haben als zusätzliche Eigenschaft ein Gewicht. 135 Datenbanktechnologie als Basis für die Realisierung eines PDM-Systems 5 Diese Darstellung für Artikeldaten ist extrem vereinfacht und eignet sich nicht für die praktische Anwendung. Sie reicht aber aus, um einen Vergleich zwischen relationalen und objektorientierten Datenbanken vornehmen zu können. 5.2.4.2 Konzeptionelles Modell Das konzeptionelle Modell formalisiert die zuvor informell beschriebenen Artikeldaten mittels einer formalen Sprache. Für dieses Beispiel, wird die Sprache EXPRESS-G gewählt, da sie in der Praxis häufig eingesetzt wird, um sowohl relationale, als auch objektorientierte Datenbanken zu entwickeln. Abbildung 5-27 zeigt das konzeptionelle Modell für die Artikeldaten. Preis REAL Artikel besteht_aus List [2:?] Baugruppe Name. Einzelteil STRING Gewicht REAL F CP 00001-1 Abbildung 5-27: EXPRESS-G Darstellung des Artikel Beispiels Da Baugruppen und Einzelteile jeweils die Attribute Preis und Name gemeinsam haben, wird eine Oberklasse mit diesen Attributen angelegt. Die Attribute Preis und Gewicht werden als Fließkommazahl und der Name als Zeichenkette dargestellt. Die Relation besagt, dass Bestandteile von Baugruppen jede Art von Artikel sein können, also (Unter)-Baugruppen oder Einzelteile. 5.2.4.3 Logische Modelle Aus dem konzeptionellen Modell leitet man die logischen Modelle für eine relationale und objektorientierte Datenbank ab. Das logische Modell für die relationale Datenbank besteht aus drei Tabellen (Baugruppe, Einzelteil, Beziehung) und wird in der Sprache SQL (Structured Query Language) definiert (Abbildung 5-28). Die Relationen (Tabellen) Baugruppe und Einzelteil entsprechen den gleichnamigen Entities aus dem EXPRESS-G-Modell. Die Relation Beziehung entspricht keinem Entity im konzeptionellen Modell. Sie muss eingeführt werden, um die 1:N-Listenbeziehung zwischen Baugruppen und Artikeln darzustellen. Das objektorientierte logische Modell ist nahezu eine 1:1-Abbildung des konzeptionellen Modells und wird in C++ beschrieben (Abbildung 5-29). Das Entity Artikel wird hier als Oberklasse dargestellt. Es vererbt - wie in EXPRESS-G - seine Attribute an die abgeleiteten Klassen Baugruppe und Einzelteil. Im Gegensatz zum relationalen Ansatz muss hier keine neue Klasse für eine besteht_aus-Beziehung angegeben werden, da objektorienierte Datenbanken die Listen-Relation bereitstellen. 136 136 5 Datenbanktechnologie als Basis für die Realisierung eines PDM-Systems 5.2.4.4 Implementierung Die in Abbildung 5-28 dargestellten SQL-Anweisungen können vom SQL-Interpreter der relationalen Datenbank verarbeitet werden. Die Datenbank erzeugt daraus ein physikalisches Modell, auf das mittels der datenmanipulierenden Anweisungen von SQL zugegriffen werden kann. Baugruppe Name Preis SQL Anweisungen: Rad 200.- ... ... Einzelteil Name Preis Gewicht ET1 Felge 95.- 5 ... ... ... Baugruppe Einzelteil Unterbaugruppe Rad Felge --- BG1 ... ... Beziehung BZ1 CR EATE DATABASE Filename Artikel; CR EATE TABLE Baugruppe ( Name CHAR (20), Preis R EAL, ); CR EATE TABLE Einzelteil ( Name CHAR (20), Preis R EAL, Gew ic ht REAL, ); CR EATE TABLE Bez iehung ( Baugruppe CHAR (20) REF Baugruppe (Name), Einz elteil CHAR (20) REF Einzelteil (Name), Unterbaugruppe C HAR (20) R EF Baugruppe (Name), ); F C P 00002-1 Abbildung 5-28: Relationales logisches Modell der Artikeldatenbank Die C++-Anweisungen in Abbildung 5-29 können mit einem entsprechenden Compiler in eine physikalische Datenbank übersetzt werden. Die Datenbank kann über eine OQL-Schnittstelle manipuliert werden. Des Weiteren besteht die Möglichkeit von externen Applikationen aus auf die Methoden der Klassen in der Datenbank zuzugreifen. Die Vorteile von objektorientierten Datenbanken liegen in der (nahezu) 1:1-Abbildung der realen Verhältnisse im Datenbankschema. Die Klassen entsprechen dabei in der Regel realen Vorbildern. Das hat zur Folge, dass Daten die intuitiv zusammengehören auch zusammen in der Datenbank, also in einem Objekt gespeichert werden können. Dadurch lassen sich insbesondere komplexe Modelle besser verifizieren und weiterentwickeln. Einen weiteren Vorteil stellt die Möglichkeit dar, die Objekte mit Methoden zu versehen. Diese Methoden werden mit den Klassen kompiliert und in der Datenbank gespeichert. Sie können beispielsweise Suchalgorithmen enthalten, die spezielle Aspekte der Datenbankstruktur berücksichtigen und somit sehr effizient arbeiten. Diese Eigenschaft objektorientierter Datenbanken wird beispielsweise in Proteindatenbanken angewendet, wo sehr aufwendige Suchverfahren auf komplexen Objekten (hier Proteinen) arbeiten. Die Kompilation des Datenbankschemas bei objektorientierten Datenbanken hat jedoch den Nachteil, dass bei bestimmten Änderungen des Modells jedes Objekt aus der Datenbank ausgelagert, das komplette Schema rekompiliert und die ausgelagerten Objekte auf das neue Modell abgebildet werden müssen. Dieser Nachteil wirkt sich besonders in der Entwicklungsphase der Datenbank aus, da die Gefahr besteht, dass Fehler im Modell erst dann bemerkt werden, wenn bereits Objekte in der Datenbank erzeugt worden sind. In relationalen Datenbanken können Änderungen am Modell effektiver vollzogen werden. In der Praxis haben relationale Datenbank momentan weitere Vorteile, da 137 Datenbanktechnologie als Basis für die Realisierung eines PDM-Systems 5 die verfügbaren Produkte ausgereifter und besser bedienbar sind als vergleichbare objektorientierte Datenbanken. Dieses Problem sollte aber durch die Weiterentwicklung der objektorientierten Datenbanken in absehbarer Zeit behoben sein. C++ - Anweisungen BG001 : Name „Rad“; Preis 200; besteht_aus ET001,ET002; class Artikel { String Name; float Preis; // Methoden ... ET002 : } Name „Reifen“; Preis 105; Gewicht 15; class Baugruppe : public Artikel { List (Artikel) besteht_aus; // Methoden ... ET001 : } Name „Felge“; Preis 95; Gewicht 5; class Einzelteil : public Artikel { float gewicht; // Methoden ... F C P 00003-1 } Abbildung 5-29:Objektorientiertes logisches Modell der Artikeldatenbank 5.3 Datenbanksprachen Im Rahmen des bisherigen Kapitels wurde vorgestellt, welche Entwurfsschritte beim Datenbankentwurf durchgeführt werden, welche Modelle zur Abbildung des gewünschten Sachverhalts auf konzeptioneller Ebene eingesetzt werden können, und welche Datenmodelle kommerzielle Datenbankmanagementsysteme dazu (auf der Ebene des logischen Entwurfs) anbieten. Im Folgenden wird eine Datenbanksprache, die ein solches Datenmodell realisiert, vorgestellt. Aufgrund des verbreiteten Einsatzes relationaler Systeme als Basistechnologie in Produktdatenmanagementsystemen wurde hierzu die Datenbanksprache SQL (Structured Query Language) ausgewählt, die für relationale Datenbanksysteme entwickelt wurde. 5.3.1 Die Datenbanksprache SQL Die DDL in SQL beinhaltet als Konstruktor für die Datenstruktur, also zum Anlegen von Relationen bzw. Tabellen, den Befehl CREATE TABLE. Zunächst werden die Attribute (Spalten) der Relation mit den zugehörigen Attributtypen aufgezählt, wobei durch NOT NULL angegeben werden kann, dass für das so gekennzeichnete Attribut beim Einfügen eines Tupels in die Relation immer ein Datenwert eingetragen werden muss. Nach Aufzählung der Attribute wird in der PRIMARY KEY-Klausel der Primärschlüssel, d. h. die Attributkombination zur eindeutigen Identifikation eines Tupels innerhalb der Relation, angegeben (da für den Primärschlüssel immer ein Wert eingetragen sein muss, wird für dessen Attribute immer NOT NULL angegeben). In UNIQUE-Klauseln können weitere identifizierende Attributkombinationen spezifiziert werden. 138 138 5 Datenbanktechnologie als Basis für die Realisierung eines PDM-Systems Enthält die Relation auch Fremdschlüssel, d. h. Attribute, die Primärschlüssel anderer Relationen sind, können diese in FOREIGN KEY-Klauseln unter Angabe der jeweils referenzierten Relation angegeben werden. Die Werte in den Fremdschlüsselattributen können entweder Nullwerte sein oder müssen als Primärschlüsselwerte in den referenzierten Relationen vorhanden sein (Referentielle Integrität). Relationen, die Fremdschlüssel enthalten, bilden Beziehungstypen zwischen Entitytypen ab. In der SQL-Definition der Beispielminiwelt, die in Abbildung 5-30 dargestellt ist, kommen Relationen mit Fremdschlüsseln zur Abbildung der Baugruppe-Baugruppe-Beziehung, der Baugruppe-EinzelteilBeziehung oder der Einzelteil-Fertigungsplanzuordnung vor. CREATE DATABASE Filename 'Baugruppe'; CREATE TABLE Baugruppe ( Sachnummer CHAR(9) PRIMARY KEY, Name VARCHAR(20) NOT NULL ); CREATE TABLE BG_BG_Beziehung ( uebergeordnet CHAR(9) REFERENCES Baugruppe (Sachnummer), untergeordnet CHAR(9) REFERENCES Baugruppe (Sachnummer), Menge INTEGER, PRIMARY KEY (uebergeordnet, untergeordnet) ); CREATE TABLE Einzelteil ( Sachnummer CHAR(9) PRIMARY KEY, Name VARCHAR(20) NOT NULL, Gewicht REAL ); CREATE TABLE BG_ET_Beziehung ( Baugr CHAR(9) REFERENCES Baugruppe (Sachnummer), Einzelt CHAR(9) REFERENCES Einzelteil (Sachnummer), Menge INTEGER, PRIMARY KEY (Baugr, Einzelt) ); CREATE TABLE Fertigungsplan ( FP_Nummer CHAR(9) PRIMARY KEY, Erstelldatum DATE ANSI, Fertigungsort VARCHAR(20), ET-Sachnr CHAR(9) REFERENCES Einzelteil (Sachnummer) ); COMMIT; Abbildung 5-30: Datendefinition für die Beispielminiwelt in SQL Die DDL von SQL enthält außerdem Operationen DROP TABLE zum Löschen von Tabellen sowie ALTER TABLE zum Ändern von Attributtypen oder Hinzufügen neuer Attribute (Spalten) in eine Relation. Darüber hinaus bietet sie Operationen zur Definition externer Sichten auf die verwalteten Daten an. Die DML von SQL enthält Befehle zum Einfügen, Löschen und zum Verändern von Tupeln sowie umfangreiche Operationen zum Abfragen des Datenbankinhalts. Das Einfügen von Tupeln für das definierte Schema des Baugruppenbeispiels zeigt Abbildung 5-31. 139 Datenbanktechnologie als Basis für die Realisierung eines PDM-Systems 5 Insert Into Baugruppe Values ('2-94-0001','Beispiel-BG'); Insert Into Baugruppe Values ('2-94-0002','L-BG'); Insert Into Baugruppe Values ('2-94-0003','BG Mutter-Bolzen'); Insert Into Baugruppe Values ('2-94-0004','BG Verbindungsstange'); Insert Into Einzelteil Values ('1-94-0001','Grundplatte',3.2); Insert Into Einzelteil Values ('1-94-0002','L-Winkel',0.8); Insert Into Einzelteil Values ('1-94-0003','Mutter',0.005); Insert Into Einzelteil Values ('1-94-0004','Bolzen',0.02); Insert Into Einzelteil Values ('1-94-0005','Verbindungsstange',0.2); Insert Into BG_BG_Beziehung Values ('2-94-0001','2-94-0002',2); Insert Into BG_BG_Beziehung Values ('2-94-0001','2-94-0004',1); Insert Into BG_BG_Beziehung Values ('2-94-0002','2-94-0003',3); Insert Into BG_ET_Beziehung Values ('2-94-0001','1-94-0001',1); Insert Into BG_ET_Beziehung Values ('2-94-0002','1-94-0002',1); Insert Into BG_ET_Beziehung Values ('2-94-0003','1-94-0003',1); Insert Into BG_ET_Beziehung Values ('2-94-0003','1-94-0004',1); Insert Into BG_ET_Beziehung Values ('2-94-0004','1-94-0003',2); Insert Into BG_ET_Beziehung Values ('2-94-0004','1-94-0005',1); Insert Into Fertigungsplan Values ( '3-94-0001', Date '1994-2-1','Frankfurt','1-94-0002'); Insert Into Fertigungsplan Values ( '3-94-0002', Date '1994-2-2','Darmstadt','1-94-0002'); Insert Into Fertigungsplan Values ( '3-94-0003', Date '1994-5-16','Frankfurt','1-94-0001'); Insert Into Fertigungsplan Values ( '3-94-0004', Date '1994-3-3','Mannheim','1-94-0003'); Abbildung 5-31: Erzeugen von Datensätzen für die Beispielbaugruppe in SQL Beispiele für Abfragen des Datenbankinhalts zeigen die nachfolgende Abbildung 5-32 und Abbildung 5-33. Die Abfragen enthalten dabei Operationen zur Selektion, Projektion und Join. SQL enthält außerdem Operationen zur Vereinigung, Schnitt- oder Differenzbildung zweier Relationen. Finde alle Baugruppen und gib sie vollständig aus: Select * From Baugruppe; SACHNUMMER 2-94-0001 2-94-0002 2-94-0003 2-94-0004 NAME Beispiel-BG L-BG BG Mutter-Bolzen BG Verbindungsstange Finde alle Einzelteile und gib sie vollständig aus: Select * From Einzelteil; SACHNUMMER 1-94-0001 1-94-0002 1-94-0003 1-94-0004 1-94-0005 NAME Grundplatte L-Winkel Mutter Bolzen Verbindungsstange GEWICHT 3.2000000E+00 8.0000001E-01 4.9999999E-03 2.0000000E-02 2.0000000E-01 Finde alle Baugruppe-Baugruppe-Beziehungen und gib sie vollständig aus: Select * From BG_BG_Beziehung; UEBERGEORDNET UNTERGEORDNET MENGE 2-94-0001 2-94-0002 2 2-94-0001 2-94-0004 1 2-94-0002 2-94-0003 3 Abbildung 5-32: Anfragen an das Datenbanksystem für das Baugruppen-Bsp. in SQL (1) 140 140 5 Datenbanktechnologie als Basis für die Realisierung eines PDM-Systems Finde alle Baugruppe-Einzelteil-Beziehungen und gib sie vollständig aus: Select * From BG_ET_Beziehung; BAUGR 2-94-0001 2-94-0002 2-94-0003 2-94-0003 2-94-0004 2-94-0004 EINZELT 1-94-0001 1-94-0002 1-94-0003 1-94-0004 1-94-0003 1-94-0005 MENGE 1 1 1 1 2 1 Finde alle Fertigungspläne und gib sie vollständig aus: Select * From Fertigungsplan; FP_NUMMER 3-94-0001 3-94-0002 3-94-0003 3-94-0004 3-94-0005 3-94-0006 3-94-0007 ERSTELLDATUM 1994-02-01 1994-02-02 1994-05-16 1994-03-03 1993-12-31 1993-06-24 1993-11-09 FERTIGUNGSORT Frankfurt Darmstadt Frankfurt Mannheim Karlsruhe Mannheim Darmstadt ET_SACHNR 1-94-0002 1-94-0002 1-94-0001 1-94-0003 1-94-0001 1-94-0004 1-94-0003 Finde alle Fertigungspläne, die dem Einzelteil mit Sachnummer '1-94-0003' zugeordnet sind, und gib jeweils Nummer des Fertigungsplans und den Fertigungsort aus: Select FP_Nummer, Fertigungsort From Fertigungsplan Where ET_Sachnr = '1-94-0003'; FP_NUMMER 3-94-0004 3-94-0007 FERTIGUNGSORT Mannheim Darmstadt Abbildung 5-33: Anfragen an das Datenbanksystem für das Baugruppen-Bsp. in SQL (2) 5.3.2 Datenbankneutrale Schnittstellen Die Vielzahl der am Markt verfügbaren DBMS, die zudem auf unterschiedlichen Datenmodellen basieren, hat auch zu einer Vielfalt an Datenbanksprachen geführt. Dadurch entstehen mehrere Nachteile. Zunächst muss ein Benutzer, will oder muss er mit verschiedenen DBMS arbeiten, unterschiedliche Datenbanksprachen beherrschen. Auf einem DBS aufsetzende Anwendungsprogramme können nicht ohne weiteres auf ein anderes DBS portiert werden (selbst, wenn dieses das gleiche Datenmodell unterstützt), sondern müssen für dessen Datenbanksprache umgeschrieben werden. Um diese Nachteile zu beheben, wurden verschiedene Bemühungen zur Standardisierung unternommen, die sich zunächst auf Sprachen mit Unterstützung bestimmter Datenmodelle konzentrierten: Für Netzwerkdatenbanken entwickelte die CODASYL-DBTG eine Spezifikation für DML und DDL. Im Bereich relationaler DBMS wurde durch den amerikanischen Normungsausschuss ANSI die Sprache SQL als Standard festgelegt, der zur Berücksichtigung neuerer Techniken ständig weiterentwickelt wird. Dieser Standard ist mit ein Grund für die mittlerweile große Verbreitung relationaler DBMS. Es hat sich jedoch gezeigt, dass die meisten Anbieter relationaler DBMS eigene SQL-Dialekte unterstützen, so dass trotz des Standards ein - wenn auch zumeist geringer – Unterschied in der angebotenen Datenbanksprache besteht und deshalb keine vollkommene Unabhängigkeit der Anwendungsprogramme von dem darunter liegenden DBS gewährleistet ist. Auch für objektorientierte DBMS wurde bereits ein Standard entwickelt. Der Object Database Standard (ODMG) ist ein Herstellerstandard, d. h. er wurde nicht durch eine öffentliche Normungseinrichtung, sondern durch die Mitglieder der Object Database Management Group mit Vertretern aller namhaften Anbieter objektorientierter DBMS erarbeitet. [Catt00] enthält die 141 Datenbanktechnologie als Basis für die Realisierung eines PDM-Systems 5 Object Definition Language zur Datendefinition sowie die Object Query Language (OQL) zur Datenmanipulation. Neben den datenmodellspezifischen Standards für Datenbanksprachen soll im Rahmen der ISO-10303Entwicklung neben den konzeptionellen Datenmodellierungssprachen EXPRESS und EXPRESS-G auch die datenbankneutrale Zugriffsschnittstelle SDAI (Standard Data Access Interface, ISO 10303-22) genormt werden. Diese umfasst momentan Datenmanipulationsoperationen auf Daten, deren Schema in EXPRESS bzw. EXPRESS-G modelliert wurden. SDAI ist damit unabhängig von einem bestimmten Datenbankmodell und kann daher für den Zugriff z. B. auf Datenbestände relationaler wie objektorientierter Systeme verwendet werden. 5.4 Verteilung von Daten Ein wichtiges Kriterium für den Einsatz von Datenbanksystemen in Produktdatenmanagementsystemen stellt die Möglichkeit zur Verteilung von Daten dar. Innerhalb einer durchgängigen Prozesskette werden die in den Datenbanken gespeicherten Datenbeständen zumeist von mehreren Anwendungen, die in der Regel auch auf unterschiedlichen Rechnern installiert sind, genutzt. Dabei können unterschiedliche Formen der Verteilung auftreten. Eine Möglichkeit besteht darin, dass die Datenbestände von einem DBMS zentral verwaltet werden und die Anwendungen verteilt sind und über das Netz auf die Daten zugreifen (Abbildung 5-34). Client Anwendung A Client Anwendung B Client Anwendung C Server DBMS Zentrale DB Abbildung 5-34: Möglichkeiten der Verteilung (1): Verteilte Anwendungen Hierbei bildet das DBMS, durch das die Daten in diesem Fall "durchgeschleust" werden müssen, den Flaschenhals. Für einen schnelleren Zugriff kann es daher sinnvoll sein, die Daten von mehreren, auf unterschiedliche Rechner verteilten, untereinander jedoch vernetzten DBMS verwalten zu lassen (Abbildung 5-35). Dies ist in vielen Fällen schon dadurch erforderlich, dass die Datenbestände in unterschiedlichen, oft auch geographisch getrennten Unternehmensbereichen erzeugt und gespeichert werden. Um auf ein Datum zugreifen zu können, ist jedoch die Kenntnis erforderlich, auf welchem Rechner (bzw. in welchem DBS) es gespeichert ist. 142 142 5 Datenbanktechnologie als Basis für die Realisierung eines PDM-Systems Rechner A Anwendung A Lokale DB DBMS A Rechner D Rechner B Anwendung D Anwendung B DBMS B DBMS D Rechner C Anwendung C Lokale DB DBMS C Lokale DB Lokale DB Abbildung 5-35: Möglichkeiten der Verteilung (2): Vernetzte Datenbanksysteme Um auch diesen Nachteil zu umgehen, kann ein sogenanntes verteiltes (distributed) DBMS (DDBMS) eingesetzt werden. Hierbei werden Datenbanken auf unterschiedliche Rechner verteilt und von den dort installierten DDBMS-Komponenten verwaltet (Abbildung 5-36). Dabei verhält sich das System nach außen hin für den Benutzer wie ein DBMS mit einer zentral verwalteten Datenbank, d. h. er kann auf das gewünschte Datum zugreifen, ohne zu wissen, auf welchem Rechner sich dieses befindet. Darüber hinaus kann er verteilte Abfragen starten, die über mehrere Rechnerknoten hinweg die gewünschten Daten zusammentragen. Rechner A Anwendung A DDBMS Rechner B Rechner D Anwendung B Anwendung D DDBMS DDBMS Rechner C Anwendung C DDBMS - Distributed Data Base Management System DDBMS Abbildung 5-36: Möglichkeiten der Verteilung (3): Verteiltes Datenbanksystem Alle vorgestellten Techniken der Verteilung arbeiten nach dem Client-Server-Prinzip. Die Anwendungen, die Daten im DBS speichern oder abfragen wollen, haben dabei die Rolle des "Kunden" (Client), dem das DBS als Server seine Dienste über eine festgelegte Schnittstelle anbietet. 143 Datenbanktechnologie als Basis für die Realisierung eines PDM-Systems 5 5.5 Literatur [Chen76]. Chen, P. "The Entity-Relationship Model - Towards a Unified View of Data". In: ACM Transactions on Database Systems, Vol. 1, No. 1, März 1976. [Codd70]. Codd, E. F. "A Relational Model for Large Shared Data Banks". In: Communications of the ACM, Vol 13, No. 6, 1970. [Ditt89]. Dittrich, K. R. "Object-oriented Database Systems: the Notion and the Issues". In: Proc. 1986 International Workshop on Object-Oriented Database Systems, Pacific Grove 1986. [EHSS91]. Eigner, M. et al. Engineering Database: Strategische Komponente in CIM-Konzepten. München : Carl Hanser Verlag, 1991. [EXPR94]. N.N. "The EXPRESS Language Reference Manual". ISO CD TC184/SC4/WG5/N55, 21.01.94. [GeDV10]. Anderl, R. Grundlagen der elektronischen Datenverarbeitung, 2010. [LoSc87]. Lockemann, P. C.; Schmitt, J. W. (Hrsg.) "Datenbankhandbuch". Springer Verlag, 1987. [Catt00]. Cattell, R.G.G. (ed.) The Object Database Standard: ODMG 3.0. Morgan Kaufmann Publishers, 2000. [Rumb91]. Rumbaugh, J. et al. "Object-Oriented Modeling and Design". Prentice Hall, 1991. [ScSt83]. Schlageter, G.; Stucky, W. "Datenbanksysteme: Konzepte und Modelle". Teubner Verlag, Stuttgart, 1983. [STS99]. Saake G.; Türker C.; Schmid I. „Objektdatenbanken. Konzepte, Sprachen, Architek-turen“. Redline, 1999. 144 144 6 Ablaufmanagement (Workflowmanagement) 6 Ablaufmanagement (Workflowmanagement) In den letzten Jahren sind die Abläufe in Unternehmen zunehmend komplexer geworden, so dass insbesondere die Informations- und Dokumentenströme auf konventionellem Wege kaum noch bzw. nur unter erheblichem zeitlichen und personellen Aufwand bewältigt werden können. Zur Verbesserung dieser Situation können zur Ablaufsteuerung Ablaufmanagement-Systeme eingesetzt werden. Diese Systeme unterstützen die Vorgangsbearbeitung in Geschäftsprozessen mit Hilfe der Informationsverarbeitung. Sie stoßen einzelne Vorgänge halbautomatisch, bzw. automatisch an, stellen die für die Ausführung der Aufgabenausführung benötigten Informationen digital zur Verfügung und steuern den Arbeitsablauf [ScSe06]. Ablaufmanagement-Systeme existieren als eigene Systeme oder eingebettet in z.B. Produktdatenmanagementsysteme. Ziel ist die Bearbeitung von Geschäftsprozessen und insbesondere im Engineering die Steuerung des Entwicklungsablaufs. Die Ablauforganisation bestimmt die erforderlichen Prozesse des Unternehmens [Lind05]. 6.1 Ablaufbeschreibung (Workflow) Für den verwendeten Begriff Ablauf wird auch der Begriff Arbeitsablauf oder der Begriff Vorgang und synonym die englische Bezeichnung „workflow“ verwendet. Ein Arbeitsablauf (Workflow) ist nach der Definition der Workflow Management Coalition [Fisc05] wie folgt definiert: Definition Arbeitsablauf ("Workflow"): The automation of a business process, in whole or part, during which documents, informations or tasks are passed from one participant to another for action according to a set of procedural rules [Fisc05]. Das folgende Abbildung 6-1 zeigt ein Beispiel für einen Workflow, wie er im PDM- System Smarteam [Smar10] als Vorschlag definiert ist. Der dargestellte Vorgang besitzt verschiedene Merkmale, die für Geschäftsvorgänge typisch sind [Heil94]: 1. Ein Arbeitsablauf wird immer durch einen Auslöser initiiert. Dies kann ein bestimmtes Ereignis sein, wie z. B. ein Kunden- oder Änderungsauftrag, oder auch das Erreichen eines bestimmten Zeitpunkts. 2. Ein Arbeitsablauf besteht immer aus mehreren (sequentiellen) Vorgangsschritten. 3. Die einzelnen Vorgangsschritte können auf mehreren Ebenen weiter zerlegt werden. 4. Ein Arbeitsablauf kann (in Abhängigkeit von Bedingungen) ganz oder in Teilen alternativ ausgeführte Schritte enthalten. 5. Neben sequentiellen Schritten Vorgangsschritte enthalten. kann ein Arbeitsablauf auch parallel ausgeführte 145 Ablaufmanagement (Workflowmanagement) 6 6. Arbeitsabläufe werden immer durch einen eindeutigen Abschluss beendet. Neben einem Abschluss mit entsprechenden Ergebnissen ist auch ein Abschluss durch Abbruch möglich. Abbildung 6-1: Workflow am Beispiel des Freigabe-Prozesses In der Praxis existieren viele verschiedene Arten von Geschäftsvorgängen, die durch unterschiedlich ausgeprägte Attribute gekennzeichnet sind. Im Folgenden werden die wichtigsten, einen workflowkennzeichnenden Attribute kurz beschrieben [Heil94]: Der Strukturierungsgrad (Komplexität) eines Vorgangs wird durch Anzahl und Verschiedenheit der Vorgangsschritte sowie durch die zwischen diesen bestehenden Abhängigkeiten bestimmt. Der Strukuturierungsgrad ist z. B. hoch, wenn parallele oder alternative Schrittfolgen gegenüber sequentiellen Schritten dominieren. Der Detaillierungsgrad beschreibt die Zerlegung von Vorgängen in Teilschritte. Beinhalten die Vorgangsschritte des Workflows noch umfangreiche Teilaufgaben, dann wird der Detaillierungsgrad als niedrig bezeichnet. Der Arbeitsteilungsgrad gibt an, ob an einem Vorgang viele oder wenige Bearbeiter mitwirken. Die Prozessverflechtung kennzeichnet die Menge von Schnittstellen, die zwischen unterschiedlichen Vorgängen existieren (gemeinsame Daten, Ressourcen, Bearbeiter). Die Dynamik eines Workflows kennzeichnet den umfeldbedingten Änderungsanfall eines Vorgangstyps. Die Anzahl der Vorgänge je Zeiteinheit bildet ein weiteres Attribut, durch welches beschrieben wird, wie häufig ein bestimmter Workflow durchlaufen wird. Abbildung 6-2 zeigt an zwei Beispielen, wie bei unterschiedlichen Typen von Vorgängen die genannten Attribute unterschiedlich ausgeprägt sein können: 146 146 6 Ablaufmanagement (Workflowmanagement) Ausprägung niedrig mittel hoch Kennzeichen Vorgangstyp 1: Strukturierungsgrad typischer Routinevorgang auf operativer Ebene, z. B. Bearbeitung eines Kundenauftrags im Versandhandel Detaillierungsgrad Arbeitsteilungsgrad Vorgangstyp 2: Prozessverflechtung Dynamik komplexe Aufgabe für wenige Bearbeiter, z. B. Abwicklung eines Forschungsauftrags. Vorgänge je Zeiteinheit Abbildung 6-2: Kennzeichen verschiedener Geschäftsvorgänge [Heil94] 6.2 Anforderungen an die Ablaufbearbeitung im Engineering-Bereich Die Situation im Engineering-Bereich, d. h. bei der Abarbeitung von Aufgaben in Entwicklung, Konstruktion, Änderungswesen oder Arbeitsplanung, ist durch eine Reihe effektivitäts- und produktivitätshemmender Probleme gekennzeichnet: Lange Durchlaufzeiten durch unverhältnismäßig hohe Zeitanteile für Neben- und Hilfstätigkeiten, wie o Recherchen, Rückfragen, Kommunikation, o Sortiertätigkeiten, Dokumentations- und Ablagetätigkeiten, sowie durch lange Transport-, Warte- und Liegezeiten der Dokumente. Mehrfacharbeit, die im Wesentlichen auf eine unzureichende Informationsverfügbarkeit zurückzuführen ist. Der Grund hierfür ist in der Regel das Fehlen leistungsfähiger Ablage- und Recherchesysteme (Dokumentenmanagementsysteme), die eine vereinfachte Wiederverwendung bereits vorhandener Lösungen ermöglichen würden. Erschwerte Sachbearbeitung durch ständig steigende Anzahl von Dokumenten. Im Bereich der technischen Dokumentation kommen regelmäßig neue Dokumente dazu, wobei es sich zum einen um unternehmensintern erzeugte Unterlagen wie z. B. Zeichnungen, Spezifikationen und Stücklisten handelt und zum anderen um eine erhebliche Menge an Dokumenten von Partnerunternehmen, Zulieferern, Verwaltungsbehörden oder auch von Standardisierungsgremien. In vielen Unternehmen ist mittlerweile ein erheblicher zeitlicher und personeller Aufwand für Koordinationstätigkeiten notwendig, um den Schwierigkeiten durch die stark ausgeprägte Arbeitsteilung zu begegnen. Geschäftsvorgänge werden heute in eine Vielzahl von Einzelschritten zerlegt und von verschiedenen Abteilungen bearbeitet, die durch eine ausgeprägte funktionale Abgrenzung gekennzeichnet sind (Taylorismus). Ein weiteres Problem stellt die mangelnde Transparenz der Vorgangsbearbeitung bei den heute üblichen Organisationsformen dar. Vorgänge können nur unter erheblichem Aufwand verfolgt und nachvollzogen werden, ausgegebene Dokumente sind nur schwer wiederzufinden und eine Auskunftsfähigkeit der an der Vorgangsbearbeitung beteiligten Bearbeiter ist nur in sehr begrenztem Umfang gegeben. Folgen der genannten Probleme sind ein Anstieg der Kosten im Bürobereich bei gleichzeitigem Rückgang von Effektivität und Qualität der Vorgangsbearbeitung. 6.3 Verbesserungsmöglichkeiten im Engineering-Bereich Verbesserungen im Engineering-Bereich können durch zwei Arten von Maßnahmen erreicht werden: 147 Ablaufmanagement (Workflowmanagement) 6 Organisatorische Maßnahmen und technische Maßnahmen. Die Verbesserungen auf organisatorischer Ebene umfassen im Wesentlichen die folgenden Punkte: Übergang von der ausgeprägten Arbeitsteilung zu verstärkter Teamarbeit, Flexibilisierung der starren Organisationsformen, Stärkung der Eigenverantwortlichkeit der Bearbeiter statt streng hierarchischer Strukturen, Ersetzen der funktionalen und abteilungsorientierten Organisation der Vorgangsbearbeitung durch eine prozessorientierte und "ganzheitliche" Arbeitsorganisation, Verbesserung des Zeitmanagements. Diese Ziele werden im Allgemeinen unter dem Schlagwort "lean office" zusammengefasst und kennzeichnen den Trend der Umstrukturierung, der langfristig zu einer effektiveren und vereinfachten Arbeit führen soll. Neben den genannten organisatorischen Verbesserungen ist die umfassende Einführung von Hilfsmitteln der Informationstechnik eine weitere Voraussetzung für eine verbesserte Sachbearbeitung im Engineering-Bereich. Hierzu zählen insbesondere digitale Ablage- und Recherchesysteme, CSCW-Techniken und vorgangsunterstützende Systeme. Digitale Ablage- und Recherchesysteme ersetzen die Papierablage in Aktenschränken und Kellerarchiven durch die digitale Speicherung von Dokumenten und Unterlagen in Datenbanken. Gespeichert werden sowohl ehemalige Papierdokumente, die mittels Scanner in eine digitale Form gebracht werden als auch solche Dokumente, die bereits rechnerunterstützt erstellt wurden und daher digital vorliegen. Ebenfalls Teil dieser Systeme sind leistungsfähige Recherchefunktionen, die ein leichtes Wiederauffinden archivierter Dokumente bzw. Textstellen ermöglichen. CSCW-Techniken (Computer Supported Cooperative Work, siehe Kapitel 2.2.3) unterstützen die Kooperation und den Informationsaustausch zwischen Personen oder Teams, die an gemeinsamen Aufgaben arbeiten. Sie bieten unter anderem Werkzeuge wie E-Mail, Konferenzsysteme und gruppenweite Termin- und Zeitplanung. Ein anderer Begriff für derartige Systeme ist "Groupware". Vorgangsunterstützende Systeme haben die Aufgabe, den Ablauf von Geschäftsvorgängen zu beschreiben, zu verwalten und zu steuern und Arbeitsflüsse zu automatisieren. Auf diese Weise unterstützen sie die Bearbeiter und ermöglichen eine integrierte und ganzheitliche Bearbeitung von Vorgängen und Dokumenten ("workflow automation"). Beide Arten von Verbesserungsmaßnahmen - organisatorische wie technische - bilden die Grundlage für ein erfolgreiches Ablaufmanagement (vgl. Abbildung 6-3). 148 148 6 Ablaufmanagement (Workflowmanagement) Technische Maßnahmen Organisatorische Maßnahmen verstärkte Teamarbeit Nutzung von ... erhöhte Flexibilität ... Ablage- und Recherchesystemen mehr Eigenverantwortlichkeit prozessorientiertes Arbeiten verbessertes Zeitmanagement ... CSCW-Techniken, Groupware ... vorgangsunterstützenden Systemen „Lean Office“ „Workflow-Automation“ Workflowmanagement Abbildung 6-3: Verbesserungsmöglichkeiten im Engineering-Bereich 6.4 Ablaufmanagementsysteme Ablaufmanagementsystem ist nach der Definition der Workflow Management Coalition [Fisc05] wie folgt definiert: Definition Ablaufmanagementsystem ("Workflowmanagementsystem"): A system that defines, creates and manages the execution of workflows though the use of software, running one or more workflow engines, which is able to interpret the process definition, interact with workflow participants and, where required, invoke the use of IT tools and applications [Fisc05]. Um dieser Aufgabe gerecht werden zu können, müssen für den Einsatz von Ablaufmanagementsystemen die folgenden Voraussetzungen erfüllt sein: Vorhandensein eines verteilten Informationssystems, Nutzung digitaler Dokumente. Diese Erfordernisse resultieren im Wesentlichen aus dem Prinzip der gemeinsamen, aber räumlich und zeitlich getrennten Bearbeitung eines Vorgangs durch mehrere Bearbeiter und der Nutzung von elektronischen Ablage- und Recherchesystemen, die allen Bearbeitern zugänglich sein müssen. 6.4.1 Einsatzgebiete von Ablaufmanagementsystemen Ablaufmanagementsysteme werden in erster Linie für die Bearbeitung sich wiederholender, dokumentenintensiver, räumlich und zeitlich getrennt durchgeführter und unterschiedliche Informationsquellen nutzender Geschäftsvorgänge eingesetzt. 149 Ablaufmanagement (Workflowmanagement) 6 Innerhalb eines Unternehmens können prinzipiell drei Einsatzebenen des Ablaufmanagements mit jeweils unterschiedlichen Einsatzzielen unterschieden werden, wobei insbesondere die Analyse und Neumodellierung von Vorgängen die Ablauf- und Aufbauorganisation beeinflussen [Heil94]: 6.4.2 Auf der Strategischen Ebene soll das Ablaufmanagement zu einer Reorganisation der Kernprozesses des Unternehmens führen, die für die Erfüllung der kritischen Erfolgsfaktoren entscheidend sind. Wesentlicher Punkt ist hierbei die zeit- und kostenbezogene Straffung der Prozesse. Diese Zielsetzung wird durch die Begriffe "Business Process-Reengineering" und "Lean Management" ausgedrückt. Auf der Taktischen Ebene geht es um die Reorganisation ausgewählter Teil- und Nebenprozesse, wobei sich die Auswahl in der Regel an bekannten organisatorischen Schwachstellen orientiert. Ziel auf dieser Ebene ist neben der Erhöhung der Flexibilität eine Verbesserung des Arbeitsteilungsgrads (i. d. R. Verkleinerung). Auf der Operativen Ebene werden überschaubare Standardvorgänge analysiert, reorganisiert und mittels Ablaufmanagementsystemen automatisiert bearbeitet. Hauptziele sind hierbei: Erhöhung der Prozesstransparenz, Automatisierung von Routinetätigkeiten sowie eine einheitliche und personenunabhängige Vorgangsabwicklung. Aufbau und Funktion von Ablaufmanagementsystemen Ablaufmanagementsysteme dienen der Abbildung und Steuerung von Geschäftsvorgängen mit Hilfe der Informationstechnik. Hieraus ergeben sich für derartige Systeme im Wesentlichen fünf Module bzw. Funktionsgruppen. Hierbei handelt es sich um Werkzeuge für die Analyse, Modellierung, Simulation, Steuerung und Dokumentation von Geschäftsvorgängen. Aus diesen Modulen kann der sogenannte Ablaufmanagementzyklus (Abbildung 6-4) gebildet werden [Heil94], nach dem Ablaufmanagement idealerweise gesteuert wird. Einstiegspunkt in den Zyklus ist die Analyse des abzubildenden Vorgangs, an die sich Modellierung und Simulation anschließen. Zusammen bilden diese Module den Teilzyklus "Abbildung des Arbeitsablaufs", der so lange durchlaufen wird, bis die Modellierung und damit verbunden die Reorganisation des Arbeitsablaufs in der Simulation zu optimalen Ergebnissen führt. 150 150 6 Ablaufmanagement (Workflowmanagement) Modellierung Analyse Teilzyklus Abbildung des Arbeitsablaufs Simulation Teilzyklus Ablauf des Arbeitsablaufs Dokumentation Steuerung Abbildung 6-4: Ablaufmanagementzyklus Der zweite Teilzyklus innerhalb des Ablaufmanagementzyklus betrifft den tatsächlichen Ablauf des Workflows. Stationen innerhalb dieses Zyklus sind die Steuerung des Vorgangs und die Dokumentation bzw. Protokollierung. Diese Tätigkeitsfolge wird dadurch zum Zyklus, dass Vorgänge des entsprechenden Typs nach einmaliger Abbildung des Workflows mehrfach auftreten. Die protokollierten Ergebnisse dieses Teilzyklus können nach ausreichend häufigem Durchlaufen des Zyklus zum Zweck der weiteren Optimierung des Vorgangs in den Teilzyklus "Abbildung" zurückgeführt werden. 6.4.2.1 Abbildung des Arbeitsablaufs Die Abbildung eines Workflows umfasst im Wesentlichen die Module Analyse und Modellierung. Zum Zweck der Validierung kann im Abbildungszyklus auch ein Simulationsmodul enthalten sein. Die Analyse von Geschäftsvorgängen dient in erster Linie der Ermittlung der organisatorischen Struktur des Vorgangs, der Tätigkeitsfolge innerhalb des Vorgangs, des Informationsflusses während des Vorgangs, der Mengenstruktur der benötigten Ablagen und Archive, der Häufigkeit des Auftretens des Vorgangs sowie der Verflechtung mit anderen Vorgängen. Daneben muss im Zuge der Analyse auch die rechnerunterstützte Bearbeitbarkeit des Vorgangs untersucht werden. Die anschließende Modellierung des Workflows kann prinzipiell in fünf Arbeitsschritte unterteilt werden [Rath93]: Zunächst muss die Ablaufstruktur des Arbeitsablaufs abgebildet werden. Die theoretische Modellierung, d. h. auf Papier, kann mit einer der in Abschnitt 3.2.2. beschriebenen Modellierungsmethoden erfolgen (z. B. UML). Die Modellierung am System wird derzeit entweder auf der Basis von Prozedurbeschreibungssprachen oder ähnlichen rein textuellen Werkzeugen durchgeführt oder aber mit graphisch-interaktiven Tools, die eine Modellierungstätigkeit unterstützen, die derjenigen auf Papier sehr nahe kommt. 151 Ablaufmanagement (Workflowmanagement) 6 Im zweiten Schritt erfolgt die Zuordnung der verantwortlichen Bearbeiter. Das heißt, es müssen für die Abwicklung der Aktivitäten bzw. Vorgangsschritte verantwortliche Personen bestimmt werden, was durch die Eintragung entsprechender Stellenbezeichnungen in die Aktivitätenlisten und die Vergabe von Zugriffsrechten geschieht. Als nächstes muss die Weiterleitung und Verteilung von Informationen und Dokumenten bestimmt werden. Dies erfordert z. B. Adresseinträge zur Festlegung der Empfänger von Arbeitsergebnissen oder die Vorbereitung von Verbindungen zwischen verwendeten Formularen und solchen Informationen der Datenbank, die automatisch in die Formulare einzutragen sind. Der vierte Schritt umfasst die Einrichtung von digitalen Ablagen und Archiven. Auch hierbei müssen Zugriffsrechte eingetragen werden und es wird die Verbindung zwischen Ablage und elektronischer Umlaufmappe hergestellt, damit bestimmte gespeicherte Dokumente bei Aufruf einer Aktivität automatisch der Umlaufmappe hinzugefügt werden können. Die Gestaltung der Rechnerunterstützung des Workflows stellt die letzte Tätigkeit im Rahmen der Modellierung dar. Sie umfasst die Ausstattung und Konfiguration der den einzelnen Tätigkeiten zugeordneten Arbeitsplätze mit verfügbaren Anwendungen der Bürokommunikation und Datenverarbeitung (z. B. Standardsoftware). Abbildung 6-5 zeigt beispielhaft einen analysierten und graphisch dargestellten Geschäftsvorgang. Organisationsstruktur Bearbeiter 1 Bearbeiter 2 Bearbeiter 3 Bearbeiter 4 D F G B Tätigkeitsfolge Auslöser Ende A C E Informationsfluss Ablagestruktur Abbildung 6-5: Graphische Darstellung eines anlysierten Geschäftsvorgangs 6.4.2.2 Steuerung des Arbeitsablaufs Der tatsächliche Ablauf eines zuvor auf das System übertragenen Arbeitsablaufs stellt den zweiten Teilzyklus des Ablaufmanagementzyklus dar. Hierfür stellen Ablaufmanagementsysteme Module für die Steuerung der Vorgänge und deren Dokumentation bzw. Protokollierung zur Verfügung. Steuerung von Arbeits- und Informationsfluss Die wichtigsten Funktionen, mit denen das Ablaufmanagement die Steuerung des Arbeits- und Informationsflusses unterstützt, werden im Folgenden vorgestellt [File91]: 152 152 6 Ablaufmanagement (Workflowmanagement) Prioritätenvergabe: Vorgänge werden nach Priorität oder Arbeitsanfall in Warteschlangen gestellt bzw. zur Bearbeitung freigegeben. Kapazitätsausgleich: Der Arbeitsanfall für die einzelnen Bearbeiter wird der Belastung entsprechend geregelt. Automatische Weiterleitung: Informationen bzw. Dokumente werden nach ihrer Bearbeitung automatisch von einem Arbeitsplatz zum nächsten weitergeleitet. Elektronische Umlaufmappe: Den Bearbeitern werden alle benötigten Unterlagen mittels einer sog. elektronischen Umlaufmappe zur Verfügung gestellt. Dokumenten-Rendezvous: Dokumente unterschiedlicher Art und Herkunft werden vor der Bearbeitung automatisch zusammengestellt. Elektronische Heftklammer: Es wird verhindert, dass zusammengehörende Unterlagen oder Vorgänge getrennt werden. Terminkontrolle: Die Vorgangsbearbeitung wird in jeder Phase überwacht und die Einhaltung von Terminen wird sichergestellt. Automatische Dokumentation: Der Werdegang eines Workflows wird von seiner Initiierung bis zum Abschluss dokumentiert (Historie). Produktivitätsbericht: Dieser ermöglicht die Beurteilung der Produktivität an einzelnen Arbeitsplätzen und somit eine optimale Arbeitszuteilung. Elektronische Umlaufmappe Von besonderer Bedeutung für den rechnerunterstützen Ablauf von Arbeitsabläufen ist die sogenannte "elektronische Umlaufmappe" (engl.: electronic circulation folder). Von der Funktion her entspricht sie einer konventionellen Umlaufmappe, mit dem Unterschied, dass sie alle Dokumente in digitaler Form beinhaltet. Eine Umlaufmappe enthält alle notwendigen Dokumente, die während des Durchlaufs durch die Bearbeitungskette von den Bearbeitern für einen Geschäftsvorfall benötigt werden, also Auftrags- und Angebotstexte, Tabellen, Stücklisten, Zeichnungen, Spezifikationen etc. Dadurch, dass die Dokumente in elektronischer (digitaler) Form vorliegen, besteht außerdem die Möglichkeit, neben z.B. 3D-CAD Geometriemodellen, der Umlaufmappe multimediale Dokumente beizufügen (Video, Audio). Die Verteilung der elektronischen Umlaufmappe von einem Bearbeiter zum nächsten erfolgt nach erfolgreicher Bearbeitung automatisch über das Rechnernetz an die nächste bearbeitende Stelle. Der jeweilige Bearbeiter findet in seiner Umlaufmappe nur diejenigen Dokumente, die er für die Bearbeitung tatsächlich benötigt; d. h. Dokumente, die er, anders als der Vorbearbeiter, nicht benötigt, werden vom Steuerungssystem vor der Weitergabe automatisch aus der Mappe entfernt, während zusätzlich erforderliche Informationen entsprechend der Konfiguration des Workflows aus dem Ablagebereich automatisch der Umlaufmappe hinzugefügt werden. Werden bestimmte Unterlagen in parallelen Arbeitsschritten von mehreren Bearbeitern benötigt, so wird die Umlaufmappe mit den entsprechenden Dokumenten dupliziert und an die entsprechenden Stationen verteilt. 153 Ablaufmanagement (Workflowmanagement) 6 An dem in Abbildung 6-6 dargestellten Arbeitsablauf wird der Werdegang einer elektronischen Umlaufmappe von der Initiierung des Vorgangs bis zu seinem Abschluss im Folgenden beispielhaft beschrieben: Der Arbeitsablauf wird z. B. durch einen Kundenauftrag initiiert. Die Umlaufmappe für diesen Vorgang wird generiert und initialisiert. Sie ist zunächst leer. Im ersten Schritt wird die Mappe mit den für die erste Bearbeitungsstation (S1) benötigten Unterlagen gefüllt. Da nur Dokumente in digitaler Form transportiert werden können, wird der vom Kunden eingesandte Auftrag mit Hilfe eines Scanners digitalisiert (D1). Ein weiteres Dokument (D2) wird automatisch vom Ablagebereich in die Mappe kopiert, wobei es sich beispielsweise um eine Lagerbestandsliste handeln kann, die für den vorliegenden Typ von Vorgang immer von der ersten Station benötigt wird. Während der Bearbeitung des Vorgangs wird in der ersten Bearbeitungsstation ein weiteres Dokument (D3) generiert, das für die folgenden Stationen von Bedeutung ist. Dieses wird der Umlaufmappe hinzugefügt. Es folgen zwei parallel auszuführende Vorgangsschritte, wobei Station S2 die Dokumente D1 und D3 benötigt, Station 3 die Dokumente D1 und D2. Vom System wird daher eine zweite Umlaufmappe angelegt, Dokument D1 wird dupliziert und die beiden Mappen werden entsprechend den Erfordernissen mit Dokumenten bestückt. Während der Bearbeitung des Vorgangs wird in der Bearbeitungsstation S3 ein weiteres Dokument (D4) generiert, das für die folgenden Stationen von Bedeutung ist. Dieses wird der Umlaufmappe hinzugefügt. Nach der parallelen Bearbeitung durch die Stationen S2 und S3 erfolgt die Weiterbearbeitung nur noch in Station S4. Die von den Stationen S2 und S3 kommenden Umlaufmappen werden daher wieder zusammengeführt und auf eine einzige Mappe reduziert. Da Dokument D2 im weiteren Verlauf nicht mehr benötigt wird, wird es im Ablagesystem gespeichert und aus der Mappe entfernt. Station S4 erhält also eine Umlaufmappe mit den Dokumenten D1, D3 und D4. Nach der Bearbeitung durch Station S4 erfolgt keine weitere Bearbeitung. Da der Kunde die Dokumente D3 und D4 erhalten soll, werden diese ausgedruckt. Alle Dokumente, die Station S4 mit der Umlaufmappe erhalten hat, werden nun im Ablagesystem gespeichert und aus der Mappe herausgenommen. Nach der vollständigen Abarbeitung des Arbeitsablaufs enthält die Unterlagenmappe keine Dokumente mehr und der Arbeitsvorgang kann abgeschlossen werden. 154 154 6 Ablaufmanagement (Workflowmanagement) Abbildung 6-6: Dokumentenverteilung mit elektronischer Umlaufmappe Ablaufmanagement am Arbeitsplatz Ablaufmanagmentsysteme unterstützen nicht nur den Arbeitsfluss an sich, sondern bieten auch Hilfsmittel für eine verbesserte Sachbearbeitung am Arbeitsplatz. Wichtigstes Mittel zur Einbindung des Sachbearbeiters in den Arbeitsablauf sind die sogenannten elektronischen Postkörbe. Jeder Arbeitsplatz ist mit drei elektronischen Postkörben ausgestattet: "Eingang", "Ausgang" und "in Arbeit". Das System legt dem Bearbeiter die Dokumente der elektronischen Umlaufmappe, die für eine bestimmte Teilaufgabe erforderlich sind, in den Eingangskorb. Diese Dokumente werden vom Bearbeiter in den Status "in Arbeit" überführt und bearbeitet. Nach der Bearbeitung werden die bearbeiteten bzw. neu generierten Dokumente in den Ausgangskorb gelegt, von wo aus sie vom System automatisch weiter verteilt werden. Im Zusammenhang mit der Anbindung des Arbeitsplatz an den Arbeitsablauf ist auch die automatisierte Terminüberwachung durch das System zu sehen, welches u. a. noch zu erledigende Aufgaben beim Bearbeiter anmahnt. Im Rahmen der Einrichtung von Ablaufmanagementsystemen werden die einzelnen Bearbeitungsstationen mit arbeitsplatzbezogener Standardsoftware ausgestattet, die die Sachbearbeitung erleichtern. Hierbei kann es sich z. B. um Applikationen wie Computer Aided Design (CAD), Simulationssysteme, Textverarbeitungssysteme oder Tabellenkalkulationsprogramme handeln. Ablaufmanagement am Arbeitsplatz bedeutet ebenfalls eine verbesserte Informationsverfügbarkeit, die zum einen durch rechnergestützte Recherchesysteme garantiert wird und zum anderen durch die Möglichkeit, zusätzliche Informationen oder Dokumente von anderen Bearbeitungsstationen anzufordern, ohne exakt zu wissen, wo sich diese Dokumente derzeit befinden. Ein weiteres Hilfsmittel am Arbeitsplatz stellen die rechnergestützten Kommunikationstechniken dar, welche Gespräche oder Nachfragen durch Standardwerkzeuge wie E-Mail oder 'talk' oder auch durch CSCW-Techniken wie z. B. Telekonferenz unterstützen. 155 Ablaufmanagement (Workflowmanagement) 6 Abbildung 6-7: Ablaufmanagement am Arbeitsplatz 6.5 Verbesserung durch Ablaufmanagement Die Verbesserungen, die durch den Einsatz der Techniken des Ablaufmanagements erreicht werden können, beziehen sich im Wesentlichen auf vier Bereiche: Im Bereich der Organisation führt Ablaufmanagement unter anderem zu klareren Strukturen durch eine exakte Identifizierung der bearbeitenden Stellen und hierdurch als auch durch die meist erforderlichen Reorganisationstätigkeiten zu einer Vereinfachung der Arbeitsabläufe. Die Bearbeitung von Vorgängen wird durch ständige Überprüfung der Einhaltung von Bearbeitungsterminen und damit verbunden durch einen reibungsfreieren Durchlauf durch alle bearbeitenden Stellen stark beschleunigt. Vorteile ergeben sich auch in Bezug auf die Archivierung. Die integrierten Ablage- und Recherchesysteme garantieren eine leichte Auffindbarkeit von Dokumenten und Vorgängen sowie eine schnelle Verfügbarkeit von Informationen und Daten. Auch abgeschlossene Vorgänge können jederzeit rekonstruiert und zur Informationsgewinnung herangezogen werden. Darüber hinaus entstehen durch konsequentes Produktdatenmanagement keinerlei redundante Ablagen und Archive, und die Vollständigkeit und Konsistenz der Ablage ist garantiert. Die Dokumentation stellt den vierten Bereich dar, in dem sich durch Ablaufmanagement beachtliche Vorteile ergeben. Hier ist besonders die Nachweisbarkeit aller Postein- und -ausgänge zu nennen sowie der Verbleibnachweis für alle ausgegebenen Dokumente. Hierdurch bleibt die Vorgangsabarbeitung nachvollziehbar, und es wird außerdem die Konformität mit den Vorgaben der Qualitätssicherung nach ISO 9000 sichergestellt. Gerade im Bereich der unternehmensübergreifenden Kooperation können durch standardisierte Workflows verteilte Entwicklungsteam koordiniert werden. Jedoch werden im EngineeringWorkflowgebiet meist sensible und geheime Entwicklungsdaten übertragen, die nach hohen Sicherheitsansprüchen gehandhabt werden müssen. Um den Ansprüchen im Simultaneous Engineering gerecht zu werden, müssen in Zukunft neue Firewall-Konzepte entworfen werden. 156 156 6 Ablaufmanagement (Workflowmanagement) 6.6 Literatur [File91]. FileNet: Das Workflow Business-System - elektronisches Schriftgut-Management. F-H & Westermann GmbH, 1991. [Heil94]. Heilmann H. Workflow Management: Integration von Organisation und Informationsverarbeitung. In Handbuch der Modernen Datenverarbeitung Nr. 176, März 1994, Forkel-Verlag Heidelberg, 1994. [Lind05]. Lindemann U. Methodische Entwicklung technischer Produkte. Methoden flexibel und situationsgerecht anwenden. Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York, 2005. [Rath93]. Rathgeb M. Workflow Management auf der Basis verteilter Informationssysteme. In IAOForum Dokumentenmanagment, Springer-Verlag Berlin, 1993. [Schn99]. Schnetzer, R. Workflow-Management kompakt und verständlich. Vieweg Verlag, Wiesbaden, 1999. [ScSe06]. Schmelzer, H.J. und Sesselmann, W. Geschäftsprozessmanagement in der Praxis. Hanser Verlag, 2006. [Smar10]. Dassault Systems: Enovia SmarTeam Homepage. http://www.3ds.com/products/ enovia/welcome/. 30.03.2010. [Fisc05]. Fischer, L. Workflow Management Coalition: Workflow Handbook 2005. Lighthouse Point, USA: Future Strategies Inc., Book Devision, 2005. 157 7 Glossar 7 Glossar AFNOR Association Francaise de Normalisation, französische Normungsorganisation. ANSI American National Standards Institute, Normungsorganisation der USA. ASCII American National Standard Code for Information Interchange; amerikanische Norm zur Zeichencodierung. BoM Bill of Material, dt.: Stückliste (im Sinne der Mengenübersichtsstückliste). BOTTOM UP Bezeichnung einer Vorgehensweise bei der Produktentwicklung. Entwicklung und Konstruktion von innen nach außen. BREP Boundary Representation, dt.: topologisch-geometrisches Strukturmodell. Browser Bezeichnung eines Programms, das die Daten einer Datei so aufbereitet und darstellt, dass die Struktur sichtbar wird und man sich in dieser Struktur bewegen kann. BSI British Standards Institute, Normungsorganisation von Großbritannien. CAD Computer Aided Design, dt.: rechnerunterstütztes Konstruieren. CAE Computer Aided Engineering, dt.: rechnerunterstützte Berechnung und Analyse. CAM Computer Aided Manufacturing, dt.: rechnerunterstütztes Fertigen. CAP Computer Aided Planing, dt.: rechnerunterstützte Arbeitsplanung. CA-System Computer Aided – System, dt.: rechnerunterstütztes System; kennzeichnet als allgemeiner Begriff ein Anwendungssoftwaresystem. Dazu zählen z. B. CAD-, CAP- , CAMSysteme, aber auch z. B. FEM- und MKS-Systeme. CAT Computer Aided Testing, dt.: rechnerunterstütztes Testen. CD Concurrent Design, Bezeichnung einer Methode mit dem Prinzip der Zerlegung der Entwicklungsaufgabe in Teilaufgaben. Die Bearbeitung der Teilaufgaben erfolgt in getrennten Projektteams. 158 158 7 Glossar CEN Comité Européen de Normalisation CEN ELEC Comité Européen de Normalisation Electrique CIM Computer Integrated Manufacturing, dt.: rechnerintegriertes Konstruieren und Herstellen. Client Baustein einer Client/Server-Umgebung; hierbei kennzeichnet ein Client ein Programm oder einen IT-Arbeitsplatz, der von einem Server eine Dienstleistung in Anspruch nimmt. CSCW Computer Supported Cooperative Work; dt. rechnerunterstützte Gruppenarbeit CSG Constructive Solid Geometry, dt.: Verknüpfungsmodell; Erzeugung von Geometrie durch Verknüpfung von Volumenprimitiven durch Bool’sche Operatoren. DB Database (Datenbank) DBMS Datenbankmanagement-System; Programme zur Koordination des Zugriffs auf Datenbasen DBS Database-System DDL Data Definition Language Digital Mockup Repräsentation der Produktstruktur mit Baugruppen und Einzelteilen und deren Geometrie mit dem Ziel, Optimierungen über Modifikationen in der Baugruppenstruktur und Simulationen wie Ein- und Ausbauuntersuchungen durchzuführen. Digital Prototype Dt.: digitaler Prototyp; Repräsentation eines Produkts durch seine Produktmerkmale, in denen neben der Produktstruktur und – geometrie auch physikalische und logische Merkmale abgebildet sind. Ziele sind beispielsweise, durch Simulation des Produktverhaltens Optimierungen durchzuführen und mit Hilfe digitaler Prototypen die Begutachtung (engl.: design review) und Freigabe von Produktentwicklungsergebnissen zu unterstützen. DIN Deutsches Institut für Normung e.V. DKE Deutsche Kommission für Normung DMU Digital Mockup; digitales Modell mit besonderem Schwerpunkt auf visuellen Eigenschaften. DV Datenverarbeitung 159 7 Glossar DVS Dokument Verwaltungssystem DXF Data Exchange File, dt.: Datenaustauschdatei; Bezeichnung der Schnittstelle der Firma Autodesk zum Austausch von CAD-Daten. EDB Engineering Database EDM Engineering Data Management, dt.: Management von Ingenieurdaten. EDV Elektronische Datenverarbeitung. ERM Entity Relationship Model ERP Enterprise Resource Planing, dt.: Planung von Unternehmensressourcen. FEA Finite Element Analysis, dt.: Finite-Elemente-Analyse. FEM Finite Element Method, dt.: Finite- Elemente-Methode. GUI Graphical User Interface, dt.: graphische Benutzungsoberfläche. HTML Hyper Text Markup Language; Bezeichnung der Beschreibungssprache zur Erstellung hypermedialer Dokumente. http Hyper Text Transfer Protocol; Bezeichnung des Protokolls zum Transfer hypermedialer Anwendungen in Rechnernetzen. IEC International Electrotechnical Standardization Committee, dt.: Internationales Normungskomitee für Elektrotechnik. IGES Initial Graphics Exchange Specification, Bezeichnung der USamerikanischen Norm ANSI Y 14.26 M für den CADDatenaustausch. IP Internet Protocol, Bezeichnung der Spezifikation des Protokolls zur Kommunikation im Internet. IP ist Teil des Netzwerkprotokolls TCP/IP. ISO International Standardization Organisation, dt.: Internationale Normungsorganisation. IT Information Technology, dt.: Informationstechnologie. MKS Mehrkörpersimulation. Nativ-Format proprietäres Datenformat, „Eigenformat“ eines Softwarepakets. 160 160 7 Glossar NC Numerically Controlled, dt.: numerisch gesteuert. NURBS Non-Uniform Rational B-Spline; Bezeichnung eines mathematischen Beschreibungsverfahrens für Freiformkurven und –flächen. OEM Original Equipment Manufacturer, dt.: Hersteller originaler Güter. OQL Objekt Query Language; eine an SQL angelehnte Abfragesprache für Objekte, Objektmengen und -strukturen in einer Datenbank PDF Portable Document Format, Bezeichnung der Schnittstelle der Firma ADOBE zum Austausch von Dokumentdaten. PDM Product Data Management, dt.: Produktdatenmanagement. PDT Product Data Technology, dt.: Produktdatentechnologie. PLM Produkt Lifecycle Management Postscript Bezeichnung einer Seitenbeschreibungssprache, die primär für die Ausgabe von Daten auf Druckern und Bildschirmen verwendet wird. PPS Produktionsplanungs- und –steuerungssystem. Prä-/Preprozessor Bezeichnung eines Softwarebausteins, der CAD-Daten liest, diese in eine Schnittstelle transformiert und sie in Form einer sequentiellen Datei ausgibt. Produktdefinition Menge der administrativen und organisatorischen Produktdaten. Produktpräsentation Menge der Produktdaten zur graphischen oder textuellen Darstellung einer Produktrepräsentation. Produktrepräsentation Menge der Produktdaten zur rechnerverarbeitbaren Abbildung von Produktmerkmalen, wie z.B. Produktgeometrie, Produktstruktur etc. RPD Rapid Prototyping Development; Bezeichnung einer Methode zur Herstellung realer Prototypen aus den Daten der Produktrepräsentation. SDAI Standard Data Access Interface SE Simultaneous Engineering; Bezeichnung einer Methode des Entwicklungsmanagements, bei der Entwicklungstätigkeiten zur Produkt- und Produktionsverfahrensentwicklung zeitlich und inhaltlich aufeinander abgestimmt sind. 161 7 Glossar Server Baustein einer Client/Server-Umgebung; hierbei kennzeichnet ein Server ein Programm oder einen Rechner, der eine Dienstleistung bereitstellt. SQL Structured Query Language; Sprache zur Definition und Manipulation relationaler Datenbanken STEP Standard for the Exchange of Product Model Data, dt.: Norm zum Austausch von Produktmodelldaten; Arbeitstitel der Normenreihe ISO 10303. TDM Team Data Management, dt.: Teamdaten Management. TIS Technisches Informationssystem TOP DOWN Vorgehensweise bei der Produktentwicklung. Entwicklung und Konstruktion von außen nach innen. TPD Technische Produktdokumentation. UML Unified Modeling Language; grafische Standardnotation zur Beschreibung objektorientierter Modelle UNIX Bezeichnung einer Klasse von Multiuser-, MultitaskingBetriebssystemen zum Betrieb von Arbeitsplatzrechnern. Virtual Product dt.: virtuelles Produkt; Repräsentation aller relevanten Produktmerkmale in einem Produktmodell. Das virtuelle Produkt besteht in der Regel aus den in digitalen Prototypen repräsentierten Produktmerkmalen. VR Virtual Reality, dt.: Virtuelle Realität. Windows Allgemeine Bezeichnung der Betriebssysteme der Firma Microsoft. Spezielle Varianten von Windows liegen z. B. als Win 98 oder Win NT (Network Technology) vor. WWW World Wide Web, dt.: Weltumspannendes Rechnernetz. WYSIWYG What You See Is What You Get; Bezeichnung eines Verfahrens für Benutzungsoberflächen. X-WINDOWS Bezeichnung der Schnittstelle zur Erstellung graphischer Benutzungsoberflächen unter dem Betriebssystem UNIX.