Einleitung Den Studien dieses Heftes steht Wolfgang Hubers Gedenkvorlesung für Stephan Pfürtner (1922– 2012) voran. Sie würdigt die in Teilen dramatische Biographie und das engagierte Werk, die zugewandte Persönlichkeit und den konsequenten Denkweg dieses katholischen Theologen und ehemaligen Dominikaners, der sich im Konflikt mit der Sexualmoral seiner Kirche laisieren ließ, seit 1974 bis über seine Emeritierung im Jahr 1988 hinaus in ökumenischer Gesinnung Sozialethik an der protestantischen Theologischen Fakultät der Universität Marburg lehrte und dessen Name in der Gedenkstätte Yad Vashem als »Gerechter unter den Völkern« verzeichnet ist. Die übrigen drei Studien dieser Ausgabe der ZEE zeigen, dass normative Fragen, die durch Entwicklungen im kirchlich-diakonischen Bereich aufgeworfen werden, zunehmend Relevanz für die ethische Reflexion gewinnen: Im Heft 3 des vorigen Jahrgangs haben wir bereits den 1. Teil einer sozialhistorischen Studie von Günther Wienberg zum Umgang mit Menschen mit Behinderungen seit Beginn der Neuzeit veröffentlicht. Dieser Teil betraf die ersten drei Phasen, die der Vf. im Blick auf sein Thema idealtypisch unterscheidet: »Exklusion«, »Separation« und »Extinktion«. Der jetzt folgende 2. Teil behandelt abschließend die Phasen bzw. Paradigmen der »Integration« und der »Inklusion«. War nach Ende des 2. Weltkriegs vor allem in der Anstaltspsychiatrie zunächst ein Wiederaufleben des Separationsparadigmas zu verzeichnen, so bildeten das Bundessozialhilfegesetz von 1961 und die Psychiatrie-Enquête von 1975 Marksteine zur Durchsetzung des Integrationsgedankens und der Enthospitalisierung von psychisch und geistig Behinderten. Allerdings sei das Integrationsversprechen bei schwer gestörten Menschen nach wie uneingelöst. Der Beitrag würdigt abschließend den 2009 mit der Behindertenrechtskonvention der UN vorangebrachten, qualitativ weiterführenden Ansatz der menschenrechtsbasierten »Inklusion« als konkrete Utopie – nicht ohne auf die finanziellen und mentalen Schwierigkeiten ihrer Umsetzung hinzuweisen, die als besondere Herausforderung konfessioneller Träger zu betrachten sind. In einem weiteren Sinn leitet die Inklusionsthematik unmittelbar zur nächsten Studie über. Dierk Starnitzke, theologischer Vorstand der Diakonischen Stiftung Wittekindshof, schlägt vor, die aktuellen Identitätsprobleme diakonischen Hilfehandelns im Zusammenhang mit der Durchsetzung einer am menschenrechtlichen Universalismus orientierten inklusiven Gesellschaft zu verstehen. Angesichts der Ungewissheit, ob der deutsche Sonderweg des kirchlich-diakonischen Arbeitsrechts gegenüber der einheimischen Rechtsprechung, aber auch den europäischen Entwicklungen aufrechterhalten werden kann, fragt er nach Möglichkeiten, die Eigenständigkeit der diakonischen Praxis ebenso zu wahren wie ihre gesamtgesellschaftliche Anschlussfähigkeit. »Diakonische Identität in einer pluralen Gesellschaft« bedeute, das exklusive christliche Selbstverständnis mit dem Einsatz für Inklusivität zu verbinden. Vor dem Hintergrund eines an Röm 7–11 orientierten, theologisch vertieften Inklusionsgedankens plädiert der Beitrag für eine interkulturelle und interreligiöse Öffnung diakonischer Arbeit: Diese solle sich einerseits an alle Unterstützungsbedürftigen wenden und andererseits auf eine erzwungene konfessionelle Exklusivität der Mitarbeitenden verzichten zugunsten freiwilliger Akzeptanz der Deutungshoheit christlichen Hilfehandelns. 81 Der Mikroebene des diakonischen Handelns der Kirche ist die vierte Studie gewidmet. Henning Theißen, Privatdozent für Systematische Theologie in Greifswald, bemüht sich um die Grundlagen einer theologischen Ethik der Adoptionsberatung. Der Autor kritisiert die Zuordnung des Adoptionsthemas zum ethischen Leitbild der ehelichen Familie, wie sie für repräsentative Stellungnahmen der Evangelischen Kirche in Deutschland charakteristisch ist bzw. bis vor kurzem war – die »Orientierungshilfe« »Zwischen Autonomie und Angewiesenheit« (2013) ist im Beitrag noch nicht im Blick (vgl. dazu den Kommentar in ZEE 57, 2013, 243ff.). Als Alternative zu einer normativen, auf die institutionelle Vorzugswürdigkeit von Ehe und Familie bezogenen Leitbild-Ethik favorisiert Theißen ein hermeneutisches Ethikmodell, das den Klienten zur Klärung ihres Selbstverständnisses verhilft und damit einem systemischen Beratungsverständnis entspricht. Gegenstand einer Ethik der Adoption in evangelischer Perspektive sei demnach vorrangig eine professionelle Adoptionsvermittlung, der es (als qualifizierender Beratung) um die Befähigung der beteiligten Familien zur reziproken Offenheit für die Orientierungen der jeweils anderen zu tun ist. Außer dem einleitenden Kommentar zur Ethik im Zeitalter der Authentizität und dem abschließenden ethischen Stichwort, die wie immer aus dem Herausgeberkreis der ZEE beigesteuert werden, bietet dieses Heft den Rückblick von Julia Nigmann auf eine Heidelberger Tagung, die dem Thema »Anthropologie und Ethik« im hellenistisch-jüdischen Kontext der neutestamentlichen Schriften gewidmet war. Ihr Bericht unterstreicht, dass unserer Zeitschrift verstärkt daran gelegen ist, den Austausch der Ethik mit den anderen theologischen Disziplinen – hier der Exegese – zu fördern. Hans-Richard Reuter 82