4. Jg., Heft 1 Mai 1999 Walter Nägeli Entscheidungsketten Entwerfen Das Entwerfen, das Herstellen einer architektonischen Konzeption, wird uns hier beschäftigen. Allgemein gesprochen handelt es sich um einen Vorgang, der die Verdinglichung des Geistigen in der Architektur vorbereitet. Wir werden uns mit der Frage beschäftigen, worin das strukturell Eigentümliche des Entwerfens in der Architektur besteht. Zunächst aber setzen wir bei jenem metier-internen Mythos an, der da lautet: Das Entwerfen ist das Gebiet, das uns Architekten eigen ist, der tiefste und beste Grund unserer Existenz. Hier fühlen wir uns als "Generalisten", oder "Universalisten", die aus einem zusammenhanglosen Haufen von Bedingungen und Anforderungen unter Zuhilfenahme von totem Material mit künstlerischer Hand die lebendige Lichtgestalt formen, die Architektur heißt. Schauen wir uns Gebautes an, ob zeitgenössische oder historische Bauten, dann stellen wir fest, dass, selbst wenn wir nur jenen kleinen Teil betrachten, der tatsächlich von Architekten, die das klassischen Berufsbildes erfüllen, geplant wird, die verräumlichte technische und funktionale Ähnlichkeit des Gebauten offensichtlich dem Mythos des frei schöpferischen Handelns zuwiderläuft. Offenbar sind Kräfte beim Bauen am Werk, die stärker sind als die Schöpfungskraft des Einzelnen. Dies ist zwar an sich eine allgemein bekannte Feststellung, jedoch haben die Architekten sich auch heute noch nicht mit ihrer Methodik des Entwerfens auf diese Situation eingestellt. Sie glauben an ihre entwerferische Allmacht, sie erleben die von außen einfließenden Kräfte häufig als negativ, als das, was ihre Architektur verhindert, die persönliche ideale Architektur, die zu erreichen wäre, gäbe es da nicht die Sachzwänge. Sachzwänge wie Zeitmangel, Geldmangel, unverständige Partner beim Bauen, enge technische und funktionale Rahmenbedingungen usw. ... Oder die Zeit, das gerade Aktuelle fließt ein in Form von Stilen, besonderen Interessen etc. ... Aus dem Unvermögen, den entwerferischen Vorgang zu verstehen, entsteht möglicherweise ein Faktor, der zur heutigen Krise des Bauens beiträgt. Es könnte durchaus sein, dass in dem Prozess des Entwerfens selbst Schwierigkeiten verborgen liegen, die von den Architekten nicht wahrgenommen werden. Daher wollen wir uns hier mit dem Entwerfen auseinandersetzen. Doch zunächst müssen wir ein wenig weiter in unseren Köpfen aufräumen: Eine beliebte Annahme - mit weitreichenden Konsequenzen - besteht darin, Architektur sei Kunst, und das "Künstlerische" bedeute ein Feld von "Selbstverwirklichung", von "persönlichem Gestaltungsspielraum". An dieser Mär stricken wir Architekten selbst kräftig mit. In den letzten Jahrzehnten haben wir diesen Mythos des sich verwirklichenden persönlichen Gestaltungswillens wieder in vollem Glanz auferstehen lassen, wo er doch glücklicherweise für eine Zeit von der analytischen Schärfe einiger "Moderner" weggefegt worden war. Der Künstler-Architekt ist uns wieder vertraut: Er hat den genialen Einfall, macht die brilliante Skizze, die er und/oder seine Mitarbeiter dann "umsetzen". Dabei herrscht Wahlfreiheit bei Stilen und Techniken. Der Künstler-Architekt kann den "genius loci" erschmecken und dann "baulich reagieren". Analytische Arbeit - das umfassende Verstehen der Bedingungen der Aufgabe - beschränkt sich auf das Anwenden standardisierter Formeln, die mit gestalterischem Dekor überzogen werden. In der besonderen Auswahl zeigt sich die Persönlichkeit. Bloße Anschauung plus persönlicher Gestaltungswille genügen als Basis für die Lösung aller architektonischen Aufgaben. Ergebnis ist die allzu bekannte internationale, durch Technik bewegte Sprachlosigkeit von Bauten, die nichts sagen über ihren räumlichen und kulturellen Zusammenhang, bestenfalls anregende Selbstgespräche führen. Man verwechselt in der Architektur Kunst mit Kunsthandwerk. Wir verzieren aber keine Tontöpfe sondern stellen hochkomplexe - vielleicht "kulturell" zu nennende Gebilde her, wo das Zusammenspiel der unterschiedlichen Wirkkräfte, von sozialen und gesellschaftlichen Einflüssen bis zur Materialtechnologie in einen zweckgerichteten Zusammenhang gestellt werden (sollten). Entscheidungen werden auf sehr unterschiedlichen inhaltlichen Ebenen mit unkontrollierbaren Auswirkungen auf das bauliche Ergebnis getroffen. Denn es gibt keine nachvollziehbare verallgemeinerbare Verständnisebene. "Wenn die Vernunft schläft wachen die Dämonen", heißt eine von Goyas Radierungen. Kein Wunder übrigens, dass wir nicht nur von Ingenieuren für schlechte Ingenieure, von Künstlern für unzureichende Künstler, sondern auch von Wissenschaftlern für unbrauchbare Wissenschaftler gehalten werden: Denn unsere Arbeit entbehrt jeder nachvollziehbaren und verallgemeinerbaren Grundlage. Es gibt keinen "body of knowledge", der eine Referenzebene bildet. Es gibt keinen, nicht einmal einem bestimmten Denksystem immanenten kumulativen Wissensfortschritt. Es gibt keine Kriterien, kaum substanzielle Kritik und kaum produktiven Diskurs. Dummköpfe werden für Genies und Genies oft für Dummköpfe gehalten. Wir haben unser eigenes musil´sches "Kakanien" bereitet. Eine kleine Vision Eine besondere Form von werkzeughafter Architektur entstünde aus der nachvollziehbaren Ergänzung der gebauten Umwelt mittels zweckgerichteter Eingriffe, mit dem Ziel der Verbesserung der "Kunst des Lebens" (im Sinne von A.N. Whitehead). Der Architekt versenkt sich in das Erforschen der gedanklichen Strukturen dieses Eingriffes, basierend auf seiner spezifischen Beziehung zu dem vorhanden baulichen wie kulturellen und historischen Kontexten und auf den besonderen Bedingungen seines Entstehens. Er löst das Persönliche aus dem Allgemeinen. Er liefert das Wissen für den nächsten Eingriff. Es entsteht Fortschritt. Wir müssen den "Bauch des Architekten", den persönlichen planlosen Gestaltungswillen, dorthin verbannen, wo er hingehört: in den Bereich der Tontöpfe. Architektur ist kein Kunsthandwerk. Architektur wird mit dem Kopf gemacht oder findet nicht statt. Entscheidungsketten Doch genug des Lamentierens. Wir setzen bei der unzeitgemäßen Vorstellung an: der Möglichkeit vernunftgemäßen Handelns in der Architektur. "Vernunft" wird hier nicht als Begriff mit philosophischer Breite gebraucht, sondern als sprachliches Vehikel zur Umschreibung einer zweckgerichteten Tätigkeit, die im weitesten Sinne zur "Verbesserung des Lebens" (nach A. N. Whitehead) führt. So kann man einen architektonischen Entwurf, der sich offenbar aus vielen Einzelgedanken und Entscheidungsschritten zusammensetzt, so entwickeln, dass eine zusammenhängende, auf den vorgenannten Zweck gerichtete und dabei nachvollziehbare gedankliche Struktur entsteht. Produkte eines solchen Entwerfens sind Gebäude, die sich durch eine hohe "Transparenz" auszeichnen, denn sie eröffnen dem Betrachter/Bewohner die Möglichkeit, in ihr "Inneres", in das tragende gedankliche Gerüst "hineinzuschauen". Sie sind damit dem Werkzeug verwandter als dem Werk. Diese Art des Entwerfen ist seltener anzutreffen als man annehmen könnte: Viele Architekten berufen sich zwar auf ihre "Entwurfskonzeption", ihr gedankliches Gerüst, wohinter sich aber oft ein undurchsichtiges Gewebe sich verbirgt, wo spontane Einfälle, Zeitgeistiges und Persönliches sich planlos vermischen mit objektivierbaren Sachentscheidungen. Ziel des Entwurfsprozesses ist nicht eine bestimmte Form, sondern die möglichst umfassende bauliche Präzisierung eines spezifischen Werkzeuges zu dem Zweck der "Verbesserung des Lebens". Selten findet man in der Architektur einen Zusammenhang, der nicht nur für andere nachvollziehbar ist, sondern wo das Nachvollzogene, das bloß Zusammengestellte wirklich übertroffen wird durch das Auftreten weiterreichender Bedeutungen, die der Verbesserung des Lebens dienen. Wir sehen das Persönliche, Künstlerische also primär in der Bewältigung von zweckgerichteten Entscheidungsschritten sich verwirklichen und weniger in der Entwicklung und Anwendung von eigenen Gestaltungsabsichten. Nur das Metier der Architektur ist durch das Mittel des konzeptionellen Denkens in der Lage, alle auf das Bauen einwirkenden Kräften und Faktoren zu einem bedeutungsvollen Ganzen im obengenannten Sinn zusammenzuführen. Die Umkehrung des Vorganges, das Rückführen des Wahrgenommenen auf ihm die zugrunde liegenden Strukturen, führt zu der Frage, welches die Mittel sind, um das einer Situation, einem Ort, innewohnende Architektonische, das auf seine Formulierung wartet, herauszuarbeiten und zur Entfaltung zu bringen. Entscheidungskette, ein Beispiel Die Konsequenzen für das architektonische Entwerfen möchte ich anhand eines Beispiels erläutern. Es beschreibt Ausschnitte aus einer entwurflichen Entscheidungskette zu einem realisierten Projekt. Diese Realisierung liegt nun schon einige Jahre zurück. Seitdem war es nicht mehr möglich, Entscheidungen beim Entwerfen auf diese radikale Weise zu fällen. (Ein solches Verfahren setzt z.B. wegen der bis zur letzten Minute zu wahrenden Offenheit der Entwurfsentscheidungen ein besonderes Vertrauen zwischen Bauherrn und Architekten voraus.) (Projekt: B. Braun A, Melsungen, Stirling-Wilford-Nägeli, (1987-92)) Ein Tal in einem typischen mitteldeutschen Hügelland, bebaut zwar, durch eine querende ICE-Trasse verunstaltet, aber noch ordentlich räumlich erhalten. Die Talsohle und der Hang sind bis zu einer gewissen Höhe von Wald gerodet und landwirtschaftlich genutzt. Die Hügelkronen sind bewaldet. Eine Fabrikanlage ist zu planen von einer Größe, die das Tal räumlich erheblich verändern wird, d.h. es in seiner Form beeinflussen wird. Bild - 1. Schritt: Es fällt die erste Entscheidung, der selbst erzeugten Formschwächung des Tales entgegenzuwirken, in dem Teile der zu implantierenden Gebäudeanlage die Talform im großen Maßstab mit dem Gegensatz Gerade - Gebogen unterstreichen und so der "störenden" Wirkung der baulichen Anlage entgegenwirken. Bild - 2. Schritt: Die Gebäudeanlage wird intern durch das gleiche Element - eine lange Wand - auch intern in ein "vor der Wand" und "hinter der Wand" unterteilt, was wiederum zur räumlichen Bestimmung von zwei "Territorien" - "internes Fabrikgelände" und "umgebende Landschaft" genutzt wird. Bild - 3. Schritt: In dieser Grundsituation fällt einem Gebäudeteil ergänzend die Aufgabe zu, die Form der Landschaft in einem bestimmten lokal wirksamen Bereich, weit sichtbar im Talraum nachzubilden. Dies dient dazu, den vorherigen Schritt zu verstärken und außerdem die Haltung zur Landschaft, sie als formal-geometrische Vorgabe zu begreifen, offenzulegen. Bild - 4. Schritt: Die sich ergebende Form für das betreffenden Gebäudeteil ist ein Kreisbogensegment. Der Kreisbogen leitet sich aus der Form eines ihm vorgelagerten kleinen Hügels ab, der wie eine Verkehrsinsel in der Talsohle liegt und im kleine das räumlich nachbildet, was im Großen, im Maßstab des Tales, vorgenommen wird. Das Kreisbogensegment ist im Tal weithin sichtbar auf Stützen gestellt und verweist so auf die gestalterischen Grundlagen. Bild - 5. Schnitt: Der Kreisbogen verdankt seine Entstehung also einer Entscheidung im landschaftlichen Maßstab. Seine Form hat daher für die interne Geometrie der restlichen Anlage keine Bedeutung. Dies wird folglich darin gezeigt, daß man die unterschiedlichen Geometrien - Kreisbogen der Landschaft und Rechteckgeometrie der internen Anlage - aufeinanderprallen lässt, d.h. sie nicht vermittelt. Bild - 6. Schritt: Der Kreisbogen hat eine Sonderstellung in der Anlage: Er ist "nach außen gerichtet", und steht zwischen den Territorien "interne Fabrik" und "Landschaft". Er bildet eine räumliche Brücke zwischen den beiden Territorien. Daher wird das Gebäude selbst als eine Brücke entwickelt, eine Brücke über die Geometrie der internen Anlage und in der Form der Landschaft. Beide werden so miteinander räumlich verschränkt. Bild - 7. Schritt: Die Brückenfunktion wird in ein konstruktives Tragsystem umgesetzt. Der Bau muss technisch wie eine Brücke funktionieren. Hier wird die Analogie einer Straßenbrücke angewendet: Das Band der Straße setzt mittels beweglicher Lager auf die Pfeiler auf: ein vertrautes Bild. Der Bau macht das Gleiche: Alle Kräfte aus dem Baukörper werden auf punktförmige Lager zusammengeführt und visualisiert durch eine Kegelform. Das Tragwerk entspricht technisch dem eines Straßenbauwerks. Bild - 8. Schritt: Da die Form des Gebäudes offenbar wichtig ist im Gefüge der Gesamtanlage, muss diese auch in allen Witterungslagen und Lichtverhältnissen, tags wie nachts, gleichermaßen wahrnehmbar sein. Dies geschieht einerseits durch eine bestimmte Wahl von Öffnungen (Fenstern), andererseits durch die Behandlung seiner Oberfläche. Das Gebäude beherbergt eine Anzahl von flexibel zu unterteilenden Büroräumen. Das bedeutet, dass die Fenster auf der Raumseite im Abstand halber Büroachsen Anschlüsse von Trennwänden ermöglichen müssen, also im Idealfall eine bandartige Struktur mit vielen Anschlussmöglichkeiten aufweisen sollten, auf der Außenseite aber dürfen die Fenster des in der Landschaft sich weithin zeigenden Baukörpers - auch nachts - nicht störend ihn zerteilen. Die Entscheidung ist folglich, eine Fenstergeometrie zu entwickeln, die beide Fenstertypen - Bandfenster und Einzelfenster - miteinander verbindet. Bild - 9. Schritt: Aus 8 folgt, dass ein Material zu wählen ist, das gegen Veränderungen unempfindlich ist, in diesem Fall Edelstahl. Zur Oberfläche fällt folgende Entscheidung: Die klimatischen Verhältnisse verlangen eine gedämmte Hülle für den Baukörper. Diese wird gezeigt, indem die äußere Hülle als Haut sich zuerkennen gibt: Die Verkleidungsbleche werden so aufgebogen, dass sie als Schuppung sich zu erkennen geben. Die Schuppung wird dadurch unterstrichen, dass die Bleche der Verkleidung nicht gebogen, als abgeleitet, sondern gerade, also eigenständig sind. Die Haut unterstreicht die tektonische Bedeutung des dahinterliegenden Baukörpers. Bild - 10. Schritt: Die eigentliche Oberfläche wird durch verschiedene Bestrahlungsverfahren so aufgeraut, dass das auftreffende Licht gleichmäßig in allen Winkeln reflektiert wird. Dies führt dazu, dass das Sonnenlicht den Baukörper nicht "zerteilt", sondern die Form stets gleichmäßig sich abzeichnet. Eine Kette Dies sind einige ausgewählte Schritte aus einem spezifischen Entwurfsprozess. Sie verbinden die Maßstabsebenen 1/100 000 mit der Maßstabsebene 100 000/1. Sie ergeben aneinandergereiht, eine Kette von Entscheidungen, die, soweit möglich, auch durch den Betrachter nachvollziehbar wird. (Die Nachvollziehbarkeit verlangt gelegentlich, dass zusätzliche, eigentlich für die Sache nicht wesentliche Maßnahmen ergriffen werden müssen. Diese in der Architekturtheorie oft untersuchte Komplikation soll uns hier nicht beschäftigen.) Es kommen noch viel weitere, hier nicht explizit dargestellte Entscheidungen und Zwischenschritte hinzu. Sie alle unterstützen den Grundgedanken indem sie sich innerhalb einer vorgegebenen Struktur bewegen. .... Die Konsequenzen einer solchen Vorgehensweise sind vielfältig. Eine aktuelle sei hier erwähnt, gibt es Entscheidungsketten beim Entwerfen, wird es auch die Möglichkeit der analytischen Arbeit geben und hier sehe ich besondere Möglichkeiten für die Zukunft. Aktualität des Themas Der Entwicklung von nachvollziehbaren Entscheidungsketten bekommt Aktualität, wenn wir uns zukünftige Aufgaben unseres Metiers anschauen. Kurz lässt sich die heutige bauliche Umwelt-Situation so charakterisieren: Unsere Lebensumwelt wird überwiegend bestimmt durch eine stetig zunehmende Masse von Bauten, denen nicht nur eigene gestalterische Qualitäten fehlen, sondern die auch nicht auf das Erzeugen eines baulichen Zusammenhang ausgelegt sind. Diese gewaltige, kaum gestalterisch beeinflussbare Masse stellt ein großes materielles Kapital einer Gesellschaft dar, aber auch eine extreme Belastung. Diese Bau-Masse muss, da sie im Allgemeinen weder in Bezug auf ihre Lebensdauer oder auf ihre Weiterverwendung bewusst geplant wurde, sondern einzig auf die Optimierung der momentanen Befriedigung der individuellen Bedürfnisse ausgelegt ist, entweder erhalten, nach und nach modifiziert oder abgebrochen und ersetzt, ihre Materialen recycelt werden. Das alles muss unter marktwirtschaftlichen Bedingungen realisiert werden. Die Bau-Masse hat ein räumlich stark ausgedehntes, in Zentraleuropa beinahe schon vollständig zusammenhängendes Gebiet unklarer Lebensqualität erzeugt. Die technische und nutzungsbedingte Notwendigkeit des Ersetzens/Veränderns dieser Masse, ein gigantisches quantitatives Problem, birgt nun die Chance, auch qualitative Verbesserungen zu erreichen. Die jährliche Zunahme des Baubestandes von ca. 1-2%, sofern sie überhaupt weiter anhält, wird aber nicht ausreichen, diese ungeheure und alles erdrückende Masse entscheidend zu verändern und zu verbessern. Man muss folglich unmittelbar an ihrer Qualitätsverbesserung arbeiten (unter Berücksichtigung eines angemessenen Einsatzes der Mittel). Auf eine Formel gebracht: Die Optimierung der Interessen des Einzelnen, der einzelnen Organisation bestimmt in hohem Maße den Lebensraum der Gemeinschaft. Diese Verhältnisse müssen umgekehrt werden. Wenn schon unter den Gegenwarts- (Gegenwerts-?) Architekten die Meinung herrscht, das Bauen diene der Verwirklichung privater Gestaltungsabsichten, so kann doch bei der Diskussion über eine generelle Verbesserung der Umwelt eine rationale Beurteilungs- und Handlungsebene installiert werden. Die Frage nach der Qualität (oder der Quantität der Qualität nach van Eyck) erzwingt eine weitgehend objektive Behandlung des Gegenstandes. Wir können diesen riesigen Baubestand analytisch erfassen und an Methoden und Wegen der Verbesserung seiner Qualität arbeiten. Entscheidungsketten sind hier, als analytisches Instrument angewendet, ein Hilfsmittel. nä 4/99 Literatur: Nägeli/Vallebuona: "Eine Fabrik in Melsungen"; Wasmuth, Tübingen 1992