Sarah Leib, Tischlein Deck dich - Ein Blick auf den Speisezettel des Klosters St. Peter in der frühen Neuzeit rekonstruiert anhand der botanischen Makroreste aus dem Fehlboden des Refektoriums. In: Sarah Leib (Hrsg.), Neue archäologische und kunsthistorische Forschungen zum Kloster St. Peter. Bludenzer Geschichtsblätter 92 (Bludenz 2009) 34-43. Tischlein deck dich … Ein Blick auf den Speisezettel des Klosters St. Peter in der frühen Neuzeit Rekonstruiert anhand der botanischen Makroreste aus dem Fehlboden des Refektoriums. Obst im Mittelalter und der frühen Neuzeit Schon seit jeher bilden diverse Sammelfrüchte, Obst, Gemüse und Nüsse einen wichtigen Teil der Ernährung. menschlichen Bevor aber in römischer Zeit auch in unseren Breiten vermehrt Obstbäume kultiviert wurden und neue Sorten Einzug hielten, bediente man sich ausschließlich der heimischen, wild wachsenden Arten. Erst im Mittelalter ging man vermehrt dazu über, im größeren Umfang Obstbau zu betrieben. Besonders beliebt waren Apfel- und Birnenbäume aber auch Steinobstgewächse, zu denen die Süß- Sauerkirsche, und Pflaumen, Zwetschgen aber auch Marille und Pfirsiche zählen. Abb. 1: Der St. Galler Klosterplan – Obst- und Gemüsegärten hervorgehoben. 1 Von diesen Früchten ist aus der frühen Neuzeit eine riesige Vielfalt an verschiedenen Sorten überliefert, die sich in Geschmack, Farbe und Haltbarkeit unterscheiden. Zucht und Vermehrung der Obstbäume waren in der frühen Neuzeit ein wichtiger Teil des Gartenbaus. Die Kenntnis der Veredelung durch das Pfropfen war zu dieser Zeit bereits weit verbreitet.1 In einem Kloster, wo oft besonderer Wert auf eine möglichst autarke Versorgung gelegt wurde, waren Gärten keine reine Zierde. Als vielleicht prominenteste und früheste Quelle für den Nachweis von gezieltem Gartenbau kann der Klosterplan von St. Gallen (entstanden um 826) angeführt werden. Der Plan beschreibt nicht nur die genaue Position der einzelnen Gebäude, sondern auch die Lage der zugehörigen Kräuter- und Obstgärten innerhalb der Klosteranlage (Abb. 1). Wie die Früchte zu verschiedenen, kreativen Gerichten verarbeitet wurden, ist durch historische Quellen und Kochbücher überliefert. Obst verarbeitete man hauptsächlich zu Mus, Fruchtmark oder Kompott, trocknete es oder legte es in Essig, Honig oder Wein ein. Außerdem wurden Fruchtsäfte, Fruchtweine und Obstbrände hergestellt. Bevor Rohrzucker zum Süßen der Speisen Verwendung fand, waren Honig und verschiedene getrocknete, zuckerhaltige oder kandierte Früchte einziges Süßungsmittel.2 Das botanische Atlaswerk des Johannes Wilhelm Weinmann (1. Hälfte 18. Jahrhundert) oder das Kochbuch und Gesundheitslexikon des Johann Elsholtz (1682) sind nur zwei der vielen historischen Werke, die uns über die Kochsitten und kulinarischen Vorlieben der Neuzeit berichten. Die Zubereitung und die verschiedenen Würzvarianten aus dem Mittelalter und der frühen Neuzeit muten heute ungewöhnlich und fremdartig an. So war zum Beispiel das Färben von Nahrungsmitteln besonders beliebt. Der Saft aus Kirschen, Maulbeeren, Brombeeren, Heidelbeeren usw. cholorierte das Essen braun, violett und schwarz. Für unser heutiges Empfinden ist ein schwarz gefärbtes Apfel- oder Birnenmus oder ein grüngefärbtes Spanferkel ein merkwürdiger Anblick, damals aber nicht ungewöhnlich.3 Allerdings sind die meisten erhaltenen historischen Kochbücher eine Ansammlung von Rezepten der gehobeneren Gesellschaft mit z.T. teuren und exotischen Zutaten. Einfache Gerichte wurden nicht schriftlich festgehalten, sondern vielmehr mündlich tradiert. 1 Wiethold 2004, 26. Sillmann 1992, 294. 3 Wiethold 2004, 30. 2 2 Die archäologische Grabung im Refektorium Als im Zuge der Renovierungsarbeiten im Kloster St. Peter sich die einmalige Chance bot, einzelne Gebäudeteile wissenschaftlich genauer zu untersuchen, wurde diese Gelegenheit gerne ergriffen. Im Zuge der archäologischen Arbeiten im Refektorium konnten mehrere Fußbodenhorizonte dokumentiert werden. Unter Boden 1, dem rezenten Fußboden, kam ein präzise gelegter Firschgrätenboden hervor. Der nächst ältere Boden (Boden 3) setzt sich aus vier Bahnen von Bohlenbrettern zusammen und ist ebenso wie die beiden darüber liegenden jüngeren Fußböden längs orientiert. Schließlich stieß man unter Boden 4, einem Bohlenboden, auf eine z.T. recht mächtige Fehlboden- bzw. Gewölbezwickelverfüllung, die zum größten Teil aus Holzkohle und Bauschutt bestand. Bei der systematischen Entfernung des Verfüllmaterials stellte sich schnell heraus, dass neben den anthropogenen Hinterlassenschaften auch einige Pflanzenreste im Schutt enthalten waren. Das trockene Milieu des Fehlbodens bot den botanischen Resten eine gute Erhaltungsbedingung. Eingebettet zwischen Holzkohleresten und Bauschutt blieben sie weitgehend von mechanischer Zerstörung und ungünstigen Witterungseinflüssen verschont. Der mikrobielle Abbau und eine Remineralisierung setzten nur wenig ein, wodurch sich die Pflanzenreste größtenteils in einem sehr guten Zustand präsentieren.4 Einige wenige Nussschalen und Obstkerne dürften unmittelbar mit dem Brandereignis von 1552 in Zusammenhang stehen, da sie zur Gänze verkohlt waren. Auffällig ist des Weiteren der große Anteil an angefressenen Nussschalen und Kernen. Mehr als die Hälfte der botanischen Reste war durch die Fresstätigkeit von Kleinnagern mehr oder weniger stark in Mitleidenschaft gezogen (Abb. 2). 4 Genauer dazu siehe: Oeggl 1998. 3 Abb. 2. Die Nagespuren an den Nussschalen und Obstkernen. Die wissenschaftliche Bearbeitung der archäologischen Grabungsbefunde und des Fundmaterials durch Christoph Walser ergab, dass die Gewölbezwickelverfüllung in einem einmaligen Ereignis verfüllt worden sein dürfte.5 Ältere und jüngere Schichten (mit allen anthropogenen und botanischen Funden) wurden durchmischt und sekundär beim Wiederaufbau nach dem Klosterbrand von 1552 im Fußboden deponiert. Die regelmäßige Verteilung der archäologischen und botanischen Funde unterstützt diese Annahme. Die Streuung der verschiedenen Arten von Samen und Früchten bot durch alle Sektoren und Schichten hindurch ein recht homogenes Bild. Weiters konnten verkohlte und unverkohlte Pflanzenreste unterschiedlichen Erhaltungszustands nebeneinander geborgen werden, was auf eine sekundäre Durchmischung des Materials hinweist. Die verkohlten Obstkerne und Nussschalen etc. stehen mit dem Brand von 1552 in Zusammenhang. Im Zuge der Baumaßnahmen kurz nach diesem Zerstörungsereignis wurden die Zwickel und Böden mit Holzkohle, Bauschutt und Abfall verfüllt. 5 Siehe dazu ausführlich: Walser 2007. 4 Ein Teil der botanischen Reste dürfte aber durch ganz andere Prozesse und Ereignisse in die Verfüllung gelangt sein. Gerade kleinere Nussschalen und Obstkerne können durch Ritzen im Fußboden fallen und sich so im Zuge eines über einen längeren Zeitraum hinweg andauernden Ablagerungsprozess ansammeln. Kleinnager, wie Mäuse, tragen ihrerseits zu einer Ansammlung von diversen Samen, Früchten, Nüssen, Kernen und anderem Pflanzenmaterial in der Gewölbezwickelverfüllung bei. Die Genese der Ablagerung des Fundmaterials ist also letztlich durch eine Reihe von unterschiedlichen Faktoren zu erklären. Die botanischen Reste Welche botanischen Reste haben sich nun aber in der Gewölbezwickelverfüllung des Refektoriums erhalten und wie können wir und den Speiseplan der Klosterbewohnerinnen in der frühen Neuzeit vorstellen? Um diese Frage zu beantworten, liefern botanische Reste, wie Samen, Kerne, Früchte, Pollen, Getreidekörner und deren Spelzen, einen wichtigen Hinweis zur Rekonstruktion eines realistischen Bildes der Ernährung. Sie geben einen Einblick in den Speiseplan der Bewohner und den damaligen Gartenbau, die Landwirtschaft und die Landschaft im Umfeld der Klosteranlage. Reich im Fundgut vertreten sind die Schalen der Walnuss (Juglans regia, Abb. 3). Sie sind in der gesamten Fußbodenverfüllung flächig verteilt und finden sich in fast jedem Sektor des Refektoriums. Die Walnuss, die seit römischer Zeit auch nördlich der Alpen kultiviert wurde, aß man frisch oder sie wurde zu Öl verarbeitet.6 Die Haselnuss (Corylus avellana) ergänzt als Wildfrucht, die man von natürlich vorkommenden Sträuchern sammelte, den Speisezettel (Abb. 4). Sie ist über ganz Europa verbreitet und war schon seit dem Mesolithikum eine beliebte Sammelfrucht.7 Sowohl die Haselnuss als auch die Walnuss können von kultivierten als auch von verwilderten Bäumen und Hecken stammen.8 6 Schoch/Pawik/Schweingruber 1998, 96. Schoch/Pawik/Schweingruber 1998, 65. 8 Ich bedanke mich für die freundliche Zurverfügungstellung der botanischen Vergleichssammlung durch Mag. Claus-Stephan Holdermann (Fa. Context). 7 5 Abb. 3: Walnuss (Juglans regia). Abb. 4: Haselnuss (Corylus avellana). Zahlenmäßig am häufigsten vertreten sind die verschiedene Steinobstgewächse (Abb.5), wie die Kirsche (Prunus avium), Pflaume (Prunus domestica), der Pfirsich (Prunus persica) und die Marille (Prunus armeniaca). Die Kirsche ist unter den angeführten Steinobstarten die einzige, die in unseren mitteleuropäischen Wäldern ursprünglich beheimatet ist und in nahezu ganz Europa Verbreitung fand.9 In der frühen Neuzeit verfügte man über eine bunte Palette unterschiedlichster Kirscharten, wie historische Bildquellen überliefern. Alle anderen Prunus-Arten stammen ehemals aus z.T. weit entfernten Gebieten und erfuhren erst ab römischer Zeit auch nördlich der Alpen allmählich ihre Verbreitung. Das trifft z.B. auf den ursprünglich in China heimischen Pfirsich zu. Dieser wurde zwar schon seit römischer Zeit kultiviert, aber erst seit dem späten Mittelalter in unserem Gebiet auch häufiger angebaut wurde. Auch im Fundgut von St. Peter ist der Pfirsich durch einige erhaltene Kerne vertreten. Da diese Früchte für einen Transport nicht geeignet sind, dürfte sie kaum weither importiert worden sein. Vielmehr spricht diese Tatsache für einen Abbau in der Nähe des Klosters, vielleicht sogar im eigenen Garten. 9 Schoch/Pawik/Schweingruber 1998, 164. 6 Abb. 5: Kirsche (Prunus avium), Pfirsich (Prunus persica), Pflaume (Prunus domestica) und Marille (Prunus armeniaca) Pflaumen und Zwetschgen, die sich ebenfalls im Fundgut nachweisen lassen, gibt es in vielen verschiedenen Sorten, die kultiviert und als Wildformen in Hecken vorkommen. Die Früchte wurden gerne zu Mus verarbeitet oder getrocknet. In dieser Form waren sie als Süßungsmittel von großer Bedeutung, vor allem da Honig und Zucker lange Zeit sehr teuer waren. Neben den Obstsorten und den Nüssen sind noch andere pflanzliche Reste, wie Grashalme oder das Fragment einer Fruchtschale und der Fruchtbecher einer Eichel im Fundgut enthalten. Eichen befinden sich oft in Siedlungsnähe, da deren Früchte als Viehfutter oder Nahrung Nutzen fanden. Eine Interpretation in die eine oder andere Richtung ist aber auf Grund der Singularität des Fundes kaum zu treffen. Eine Verschleppung durch Mäuse ist in diesem Fall sehr wahrscheinlich. Auf Grund der Singularität dieses Fundes kann eine Verschleppung durch Kleinnager, die im Befund als mumifizierte Mäuse nachgewiesen sind, angenommen werden. Ob die vorgestellten Früchte und Nüsse aus dem klostereigenen Garten stammten oder angekauft wurden, kann derzeit nicht beantwortet werden. Eine Schriftquelle des 18. Jahrhundert, die über den Vermögensbesitz, den Erträgnissen und Ausgaben des Klosters St. Peter berichtet, berichtet über einem Obst- und Krautgarten, der sich im Eingangsbereich des Kloster befandet.10 Zumindest für die fortgeschrittene Neuzeit ist damit der Nachweis auf einen klostereigenen Obstbau erbracht. Leider geht aus der Aufzeichnung jedoch nichts über den Umfang des Gartens und die angebauten Obstsorten hervor. 10 Rapp/Ulmer/Schöch 1998, 50. 7 Die geborgenen botanischen Reste geben uns nur einen ausschnitthaften Einblick in den Speiseplan während der frühen Neuzeit, da die angeführten Obstsorten und Nüsse nur einen Teil der Lebensmittel bildeten. Sicher ergänzten verschiedenes Blatt- und Wurzelgemüse, diverse Getreidearten sowie Fleisch und Fisch das Nahrungsangebot und sorgten für eine abwechslungsreiche Ernährung im Kloster St. Peter. Abbildungsverzeichnis Abb. 1: Nagespuren an Obstkernen, Foto und Bearbeitung S. Leib. Abb. 2: St. Galler Klosterplan, www.wikipedia.org Abb. 3: Walnuss, www.streubostalternative-hersbruck.de Abb. 4: Haselnuss, www.wikipedia.org Abb. 5: Kirschen und Pflaumen, www.streubostalternative-hersbruck.de Pfirsich, www.chine.informations.com Marille, www.wikipedia.org Literatur Elsholz, Johann, Diaetecticon, Das ist newes Tisch=Buch oder Unterricht von der Erhaltung guter Gesundheit durch eine ordentliche Diät / und insonderheit durch rechtmäßigen Gebrauch der Speisen / und des Getränks, Cölln an der Spree 1682, Reprint Leipzig 1984. Oeggl, Klaus, Rekonstruierte Flora des 13./14. Jahrhunderts um Schloss Tirol. In: Das Geheimnis der Turris Parva. Spuren hochmittelalterlicher Vergangenheit in Schloss Tirol. Landesmuseum Schloss Tirol 04.04.-08.11.1998, Nearchos Sonderheft 1, 1998, 107-127. 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