www.sicht-sonnenschutz.com 8. Jahrgang 2010 4 sicht sonnenschutz Technik in der Fassade . Tageslichttechnik . Bauelemente . Rollladen . Tore Menschen, Tore, Variationen Serie „Aus der Praxis, für die Praxis“ Neues auf der Light+Building Gestalten mit Sonnenschutz Außen liegender Sonnenschutz Schöner Schutz im technischen Gewand Sonnenschutzkonstruktionen bestimmen die Wirkung eines Gebäudes Außen liegender Sonnenschutz lässt nicht mehr solare Wärmeenergie als gewünscht in die Räume eines Gebäudes. Er ist ein wesentliches Gestaltungselement. Eine architektonisch gelungene Lösung berücksichtigt außer der Optik technische, klimatische, ergonomische und emotionale Aspekte. Um das geeignete System zu finden, gilt es eine ganze Zahl an Fragen zu beantworten. Geht es um ein großes oder kleines, altes oder neues Gebäude? Wird es privat, gewerblich oder öffentlich genutzt? Was soll es ausstrahlen? Welche Anforderungen werden an den Sonnenschutz gestellt? In welcher Himmelsrichtung liegen welche Räume? Ist überall gleich viel Sonnenschutz vonnöten? Mit welchen Wind- und Wetterverhältnissen ist in Abhängigkeit von der Lage des Gebäudes zu rechnen? Welche Bebauung findet sich in der Nachbarschaft? Welche Antriebsmöglichkeiten bieten sich für die Sonnen- Die Lamellen an der Südfassade des Bürogebäudes Las Palmas in Rotterdam lassen sich um ihre Längsachse drehen. 16 Foto: Colt sicht+sonnenschutz 4/2010 Außen liegender Sonnenschutz schutzanlagen an? Wie lassen sie sich ins Gebäude integrieren? Welche Vorund Nachteile haben die jeweiligen Spielarten? Bei der Suche nach den Antworten geht es nicht darum, die günstigste oder einfachste Lösung zu finden. Vielmehr gilt es, die funktionalen Anforderungen mit einer logischen und deshalb eleganten Integration, einer emotionalen Wirkung und plausiblen Optik zu verbinden. Ausrichtung und Lage des Gebäudes In welchen Himmelsrichtungen die einzelnen Räume liegen sollen, ist während des Entwurfs zu klären. Unter energetischen und nutzerischen Aspekten empfiehlt sich eine Anordnung und gestaffelte Öffnung der Hausseiten, so dass schon von baulicher Seite für Schutz vor zu viel Licht und Aufheizung gesorgt ist. Dann muss das Gebäude nicht auf allen Seiten verschattet werden, und der Sonnenschutz setzt punktuell Akzente. Nur in eingeschränktem Maße möglich ist dies, wenn gleichmäßige Lichtverhältnisse gefragt sind – in Bürogebäuden oder Produktionsstätten. Dann ist die Fassade meist zur Gänze geöffnet und erfordert die vollständige Verschattung, um Blendung an den Arbeitsplätzen vorzubeugen. Zu berücksichtigen ist die Lage des Gebäudes. Welches Sonnenschutzsystem eingesetzt werden kann, ist wetterabhängig. Auf dem Berg, am Meer oder in den Obergeschossen von Hochhäusern ist es windig. Da eignen sich nicht alle Konstruktionen. Raffstores oder textiler Sonnenschutz sind zu fragil. Klapp- und ausstellbare Faltläden bieten dem Wind eine zu große Angriffsfläche. Feststehende Systeme funktionieren, wenn sie sich drehen lassen, um den Lichteinfall zu regulieren, weil der Wind sie nicht gegen das Gebäude drückt oder an ihnen zerrt. Auch die bauliche Struktur in der Nachbarschaft spielt eine Rolle. Große Gebäude und Bäume werfen Schatten, vielleicht ist gar kein Sonnenschutz nötig. Doch Vorsicht: Erstens haben Verschattungsanlagen weitere nützliche Eigenschaften wie Sicht- oder Wärmesicht+sonnenschutz 4/2010 schutz. Zweitens können Gebäude abgerissen, Bäume gefällt werden. Lichtverhältnisse im Inneren Welche Ansprüche an Sonnenschutzsysteme gestellt werden, richtet sich nach der Nutzung. So stehen bei Wohnhäusern Sonnen- und Hitzeschutz, aber auch Sichtschutz, Einbruchshemmung und Lärmschutz im Vordergrund. In öffentlichen Einrichtungen geht es häufig um Blendschutz und Energieeinsparung. Auch die Ansprüche an die Helligkeit im Gebäudeinneren sind unterschiedlich. Mag es manch einer an einem Sommernachmittag zu Hause sicher auch mal dunkler, schalten Werktätige bei zu viel Verschattung am Arbeitsplatz schnell das Licht an. Der Stromverbrauch für Leuchten steigt. Oder bei Verzicht auf Sonnenschutzanlagen die benötigte Energie für die Klimatisierung der Büros. Idealerweise schirmt Sonnenschutz Wärmeenergie ab, lässt ausreichend blendfreies Licht in den Innenraum und bietet Möglichkeiten, die Lichttransmission zu regulieren. Dies eröffnet meist auch den Blick nach draußen. Gegenwärtig sehr beliebt ist Sonnenschutz aus Glas. Eine zweite, eben gläserne Ebene lenkt einen Gutteil der direkten Sonneneinstrahlung ab. Sind die Gläser satiniert oder mit Mustern bedruckt, wird dies noch verstärkt. Letzteres verleiht der Fläche Struktur und stellt den Durchblick sicher. Der Nachteil feststehender Systeme: Auch im geöffneten Zustand lassen sie weniger Licht in den Innenraum. Die rahmenlosen Glasprofile der Stuttgarter Königsbau Passagen passen sich dem bogenförmigen Verlauf der Fassade an. Die Lamellenfelder lassen sich sonnenstandsabhängig in einem Schwenkwinkel von sechs bis 90 Grad justieren. Foto: Colt Integration des Antriebs Elektrisch steuerbare Sonnenschutzanlagen lohnen erst richtig, wenn große Flächen zu bewegen sind. Ungeachtet dessen setzen sie sich auch in Privathäusern zusehends durch. Dabei ist es sinnvoll, die Steuerung in eine Gesamtinstallation zu integrieren, die auch Lüftung und Klimatisierung regelt. Das empfiehlt sich aus architektonischer Sicht, weil sichtbare Antriebselemente wie Gurte und Kurbeln dann wegfallen. Auch Wärmebrücken an den Elektrisch gesteuerte Sonnenschutzanlagen kommen ohne sichtbare Antriebselemente wie Gurte und Kurbeln aus; auch ein architektonischer Aspekt. Foto: Lucas 17 Außen liegender Sonnenschutz Die Faltläden vor den Fenstern mehrerer Arztpraxen und einer Bankfiliale in Hall legen sich je nach Lichtverhältnissen entweder wie eine Hülle vor die Fassade oder ziehen sich so zusammen, dass sie aus dem Gebäudeinneren kaum mehr sichtbar sind. Fotos: Colt Durchgängen lassen sich so vermeiden. Ein wichtiger Aspekt, wenn kalkuliert wird, wie viel Strom manuelle Antriebe sparen. Nicht vergessen werden sollte die Notwendigkeit, dass erreichbare Revisionsöffnungen zur Verfügung stehen. Deshalb sollte der Sonnenschutz vollständig und permanent von außen zugänglich sein. Im architektonischen Das Grimm-Zentrum ist die Zentralbibliothek der Berliner Humboldt-Universität. Die Nutzung des öffentlichen Gebäudes hatte Einfluss auf die Ausstattung mit dem Bussystem Animeo IB+, das die Senkrechtmarkisen abends um 20 Uhr nach oben fährt. Foto: Somfy 18 Entwurf sind geschützte Parkpositionen vorzusehen, sei es im Sturzbereich für Raffstores, Markisen und Rollläden oder seitlich für Klapp- und Schiebeläden. Gelungene Lösungen integrieren beide Zustände – offen und geschlossen – in den Entwurf. Das Aussehen gezielt steuern Natürlich spielen auch optische Aspekte eine wichtige Rolle, immerhin nimmt der Sonnenschutz einen Großteil der Fassade ein. Falsche oder unbedachte Gestaltung (zer-)stört den Eindruck eines Gebäudes nachhaltig. Das gilt für das Einfamilienhaus ebenso wie für den Bürokomplex. Ist die Gestaltung dagegen geglückt, wertet eine Fassade durch den Sonnenschutz ein ganzes Stadtviertel auf. Deshalb sollten die entsprechenden Anlagen von Beginn an Bestandteil der Planung sein. Dabei ist es ein Unterschied, ob der Bauherr privat oder für sein Unternehmen baut. Für die Größe, Form, Fassadenaufteilung und für das Dach. Sonnenschutzkonstruktionen können eine bestimmte Designsprache unterstreichen, aber auch für ein kontrastierendes Element sorgen (siehe archi- tektur+sonnenschutz 3/08 „Rollladen und Fenster als gestalterische Einheit“, sicht+sonnenschutz 1/10 „Sonnenschutz für Wintergärten“ und sicht+sonnenschutz 2/10 „Klapp- und Schiebeläden“). Oftmals dienen sie sogar dazu, das Selbstverständnis etwa eines Unternehmens nach außen zu tragen. Gefragt ist dabei momentan eine technisch geprägte Anmutung. Große Gebäude sind in ihrer Form und Funktionseinheit oftmals sehr selbstbezogen. Dann entscheidet die Fassadengestaltung darüber, ob eine Interaktion mit Bauten in der Nachbarschaft stattfindet. Eine stark geschlossene Fassade schottet sich durch ein flächiges Sonnenschutzsystem weiter von der Umgebung ab. Eine bewegte und flexible Verschattung erweckt den Eindruck von Leben hinter dem Sonnenschutz. Viel dazu bei tragen Materialien und Farben. Elemente der Umgebung lassen sich aufgreifen und als Teil der eigenen Architektur interpretieren. Wie für das große Ganze gilt dabei auch für den Sonnenschutz: Nicht Imitation ist gefragt, selbstbewusstes Einfügen oder Abgrenzen lauten die Ziele anspruchsvoller Gestaltung. Dipl.-Ing. Dagmar Ruhnau sicht+sonnenschutz 4/2010