Nr. 52 - Europa EU

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Nr. 52 Juni 2007
research eu
Europäische Kommission
Polarjahr
Forschungsschiff „Polarstern“
Landwirtschaft
Grüne Rohstoffe
auf dem Vormarsch
Klimaerwärmung
Es ist höchste
Zeit
ISSN 1024-0810
Magazin des Europäischen Forschungsraums
research*eu, das Magazin des Europäischen Forschungsraums will zur Erweiterung der demokratischen Debatte
zwischen Wissenschaft und Gesellschaft beitragen. Es wird von unabhängigen Journalisten verfasst und analysiert
und stellt Forschungsprojekte, Ergebnisse sowie Initiativen vor, deren Akteure, Frauen und Männer, zur Stärkung
und Bündelung der wissenschaftlichen und technologischen Exzellenz Europas beitragen. research*eu wird auf
Englisch,Französisch, Deutsch und Spanisch – vom Referat Information und Kommunikation der GD Forschung der
Europäischen Kommission herausgegeben. Es erscheint zehn Mal im Jahr.
research*eu
Welche Klimapolitik?
Das Titelblatt der Nummer 52 kann zweifellos eine Überraschung für die Leser sein, die
das Magazin regelmäßig erhalten. FTE info hat sich einer Veränderung unterzogen
und heißt nun research*eu (siehe S. 4). Im neuen Gewand bringt es seine Zielsetzung
zur Geltung: ein Fenster zum Europäischen Forschungsraum und eine Plattform für
die von der Europäischen Union angeregte Debatte zwischen Wissenschaft und
Gesellschaft zu sein.
Das Dossier über die Klimaerwärmung ist in diesem Sinne in dieser Ausgabe auf eine „neue Art“ geschrieben.
Das Jahr 2007 ist tatsächlich ein Wendepunkt. Der Nachweis für den menschlichen Einfluss auf den globalen
Wandel des Ökosystems Erde ist inzwischen wissenschaftlich untermauert und die Klimapolitik erhält eine
gesellschaftliche Priorität, die das ganze 21. Jahrhundert bestimmen wird.
Drei europäische Persönlichkeiten, der Niederländer Paul Crutzen, der britische Ökonom Nicholas Stern und der
Schweizer Philosoph Dominique Bourg werfen Licht auf eine Frage, die uns alle angeht: Wie kann man dem entgehen, bevor es zu spät ist? Auch wenn heute Entscheidungen gefällt werden können und müssen, das Zeichen,
das alle 27 Länder der Union gegeben haben, indem sie sich zur drastischen Reduzierung ihrer Emissionen bis
2020 verpflichten, ist unter diesem Gesichtspunkt eine erste Antwort auf die Höhe des Einsatzes. Es gibt aber
keine Sicherheit darüber, dass sie ausreichen.
Aus diesen Gesprächen geht hervor, dass eine angemessene Steuerung auf globaler Ebene notwendig ist. Um
manche Verhaltensweisen von Umweltsündern zu „kriminalisieren“, wie es Dominique Bourg vorschlägt, oder
andere radikale Maßnahmen zu ergreifen, müssen die Entscheidungen gemeinsam von allen Ländern der Welt
getroffen werden, wobei die zu ergreifenden Maßnahmen sicherlich auch anzupassen sind. Aber angesichts der
Schwierigkeiten, die es zur Verabschiedung des bereits veralteten Kyotoprotokolls zu überwinden galt, sind wir
noch weit von diesem Ziel entfernt.
Michel Claessens
Chefredakteur
Die in diesem Editorial und den Artikeln wiedergegebenen Meinungen sind
nicht bindend für die Europäische Kommission.
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Falls Sie ein oder mehrere Exemplare älterer
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Chefredakteur
Michel Claessens
Lektorat der Sprachversionen
Julia Acevedo (ES), Stephen Gosden (EN),
Regine Prunzel (DE)
Allgemeine Koordination
Jean-Pierre Geets, Philippe Gosseries,
Flore Vaucelle
Redaktionelle Koordination
Didier Buysse, Christine Rugemer
Autoren
Paul Stuart Arinaga, James Binning,
Didier Buysse, Kirstine de Caritat,
Christopher de Oliveira, Stéphane Fay,
Carlotta Franzoni, Cyrus Paques,
François Rebufat,
Christine Rugemer, Yves Sciama,
Mikhaïl Stein, Alexandre Wajnberg
Übersetzungen
Elena Rista (Koordination der
Übersetzungen), Vicky Giougly
(Redaktionsleiterin – EN), Silvia Ebert (DE),
Consuelo Manzano (ES),
Karen Rolland (FR)
Graphik
Gérald Alary (Projektleiter),
Gregorie Desmons (Gestaltung),
François Xavier Pihen (Seitenlayout),
Gaëlle Ryelandt und Yaël Rouach
(Produktionskoordination und -ablauf),
Daniel Wautier (Korrektur der Druckfahnen)
Webversion
Carmen Lupea (Team-Koordinatorin
Webcontent),
Giannis Tsevdos (Webeditor)
Deckblatt
Wirbelsturm – Zeichnung (Ausschnitt)
eingesandt aus Belize von William Lopez,
12 Jahre, an die WMO
Gesamtproduktion
PubliResearch
Druck
Enschedé/Van Muysewinkel, Brüssel
Auflage dieser Nummer 322 000
Alle Ausgaben von research*eu sind auch
auf der Website der GD Forschung zu finden:
http://ec.europa.eu/research/research-eu
Für die Ausgabe verantwortlich:
Michel Claessens
Tel.:
+32 2 295 9971
Fax:
+32 2 295 8220
E-mail : [email protected]
© Europäische Gemeinschaften, 2007
Nachdruck mit Quellenangabe gestattet
Weder die Europäische Kommission
noch irgendeine Person, die im Namen
der Kommission handelt, sind für die
Verwendung der in dieser Publikation
enthaltenen Informationen oder für
eventuelle, trotz der sorgfältigen
Vorbereitung der Texte noch vorhandene
Fehler verantwortlich.
INHALT
18 In Kürze
Kurzer Ausblick auf den Europäischen
Forschungsraum
4 Schließen Sie FTE info und schlagen
Sie research*eu auf
5 Das Team von research*eu
2007, das Polarjahr
DOSSIER Klima
DOSSIER
KLIMA
Erde im Blickpunkt
Unter den sich überstürzenden Ereignissen, die die Menschheit an der
Schwelle des 21. Jahrhunderts prägen, wird das Jahr 2007 einen
Wendepunkt darstellen. Am 10. Februar dieses Jahres hat der
Zwischenstaatliche Ausschuss für Klimaveränderungen (IPCC) sehr
medienwirksam seinen fünften Bericht vorgestellt. In diesem werden zwei
Jahrzehnte multidisziplinärer Untersuchungen zusammengefasst.
Aus dem Bericht ist der formale Schluss zu ziehen, dass die durch
menschliche Aktivitäten hervorgerufenen Symptome einer globalen
Klimaerwärmung erwiesen sind und sich – schneller als erwartet –
unwiderruflich ausbreiten werden.
Es muss etwas geschehen. Es gibt eine Zeit vor und eine Zeit nach 2007.
Bereits im März hat jedenfalls die EU auf dem Europäischen Frühlingsrat
unter deutscher Präsidentschaft ein schnelles und beispielhaftes Zeichen
gesetzt. Ihr Ziel ist es, die Treibhausgasemissionen in Europa bis 2020
drastisch um 20 % zu senken.
Dieses Dossier greift erneut die wissenschaftlichen Untersuchungen
zum Klimawandel auf. Dabei werden insbesondere die Ansichten von
Paul Crutzen, Spezialist für Atmosphärenchemie, Nicholas Stern,
Wirtschaftswissenschaftler und Autor eines bahnbrechenden Berichts
über die Kosten der Erderwärmung und Dominique Bourg,
Vordenker der nachhaltigen Entwicklung, gegenübergestellt.
6
research*eu nr 52 I JUNI 2007
Eiszylinder mit
Einschlüssen der
Felsplatte, Bohrung
vom Standort Vostok
(Antarktis) aus 3 600 m
Tiefe. Studie des
Laboratoire de
glaciologie et de
géophysique de
l’environnement
des CNRS in
St-Martin d’Heres.
22 Forschungsschiff „Polarstern“
Bericht von Gauthier Chapelle von der
Internationalen Polarstiftung, Teilnehmer an
einer Forschungsexpedition des Eisbrechers
„Polarstern“ in der Antarktis während des
südlichen Sommers 2006-2007.
Medizin
© CNRS Bildarchiv/Laurence Medard
Die Zukunft der
DOSSIER KLIMA
research*eu nr 52 I JUNI 2007
7
8 Es ist höchste Zeit
Die vierte Auflage des Berichts des
Zwischenstaatlichen Ausschusses für
Klimaänderungen (IPCC), der im Februar
2007 erschienen ist, lässt keine Zweifel
mehr: Der Klimawandel ist da.
10 IPCC - Am Anfang steht die Wissenschaft…
Hintergründe zu einer wissenschaftlichen
Struktur außerhalb der Normen, die sich auf
der weltpolitischen Bühne durchgesetzt hat.
12 Hilft Geoengineering?
Nach Paul Crutzen, Chemienobelpreisträger,
müssen die Forscher die Möglichkeiten
eines menschlichen Eingriffs in die
Erdatmosphäre untersuchen. Eine solche
Lösung sollte nur im Notfall angewendet
werden… Ein Gespräch.
14 Das wirtschaftliche Argument
Gespräch mit Nicholas Stern, Autor eines
nachhaltigen Berichtes über die wirtschaftlichen Konsequenzen der Klimaerwärmung.
Eine Arbeit, die die Neubezifferung dieser
neuen, planetarischen Herausforderung
erlaubt.
16 Für eine planetarische Ethik
„Unsere Gesellschaft tritt die Flucht nach
vorn an in die Technologie. Das ist die ganze
Dramatik der nachhaltigen Entwicklung.“
Standpunkt von Dominique Bourg,
Philosoph und Umweltschützer.
25 Protokoll der Antibiotika-Resistenz
CombiGyrase, ein europäisches Projekt zur
Antibiotikaforschung weckt Hoffnungen im
Kampf gegen die bakterielle Resistenz.
Landwirtschaft
26 Grüne Rohstoffe auf dem Vormarsch
Können Landwirte angesichts der globalen
Erderwärmung und der Notwendigkeit, die
Abhängigkeit von den fossilen Brennstoffen
zu reduzieren, auch zu Erzeugern industrieller Rohstoffe werden? Analyse des euroamerikanischen Konsortiums Epobio.
Gemeinsame
Forschungsstelle
29 Atompolizei im weißen Kittel
Seit einem Vierteljahrhundert unterstützt die
Gemeinsame Forschungsstelle der
Europäischen Kommission mit ihrer logistischen Erfahrung die Internationale
Atomenergieorganisation (IAEO), deren
Auftrag es ist, gegen die Verbreitung von
Kernwaffen vorzugehen.
Porträt
34 Jerzy Buzek, ein Wissenschaftler
in der Politik
Die Befreiungsbewegung Solidarność hat
den Chemiker und Energiespezialisten Jerzy
Buzek zu einem der geachtetsten Politiker in
Polen gemacht. Heute ist er
Europaparlamentarier. Bei der Ausarbeitung
des RP7 war er Ansprechpartner der
Kommission.
Chancengleichheit
36 Geschlechtergleichstellung
in kleinen Schritten
Die Entwicklung der Chancengleichheit in
der europäischen Politik.
Das Projekt Equapol hat diesen gesellschaftlichen Ansatz in acht Ländern der
Europäischen Union untersucht.
Forschung & Medien
39 Mehr Wissenschaft auf dem Bildschirm
Großaufnahme zweier Initiativen zu
„Wissenschaft und Medien“ der Kommission:
Athena Web und Futuris.
Wissenschaft griffbereit
40 Kurz gefasst
Pädagogische Ecke
42 Publikationen, Meinungen, Agenda
Bild der Wissenschaft
44 Gletscherschmelze
Ein Beispiel aus der Ausstellung Kunstwerk
Erde, das von der Helmholtz-Gesellschaft
organisiert wird.
Nanotechnologien
32 Die Metamorphosen des Goldes
im Nanobereich
Wegen seiner funktionalen Eigenschaften ist
Gold bereits seit langem in den Mittelpunkt
des wissenschaftlichen Interesses gerückt.
Im Nanometer-Maßstab zeigt es neue physikalische und chemische Eigenschaften, die
besonders im medizinischen Bereich viele
neue Möglichkeiten eröffnen.
Das gibt’s
in der nächsten Ausgabe von research*eu
Dossier
Neue Viren
TIC
Computergestützte Übersetzung
research*eu Nr. 52 I JUNI 2007
3
Schließen Sie FTE info
und schlagen Sie
*
research eu auf
Dezember 2006
F
4
research*eu Nr. 52 I JUNI 2007
Zeitschrift kann man teilen, falten und mit sich
nehmen, man kann sie immer wieder lesen, sie
darf einen gewissen Platz und eine gewisse Zeit
einnehmen und den schönsten Teil der Grafik
widmen) erinnert research*eu auch an die
Effizienz des Internets, an das sich seine
Schreibweise anlehnt. Damit bezieht sie sich
auch auf ihr virtuelles Double, das von seinen
Besonderheiten profitieren wird und weiter
ausgebaut werden und auf andere Bedürfnisse
antworten kann (regelmäßige Nachrichten,
Links, die die Online-Artikel vertiefen, Lesermeinungen usw.)
Ein einziger Titel für alle Ausgaben in vier
verschiedenen Sprachen (auch das war
Gegenstand interner Debatten), wird Einige
sicherlich in Erstaunen versetzen oder vielleicht
auch schockieren. Ein kurzer Blick auf das
Deckblatt beruhigt jedoch… research*eu
bleibt ein mehrsprachiges Magazin. Die verschiedenen Ausgaben decken natürlich nicht
die sprachliche Vielfalt der Union ab, aber im
Rahmen unserer Möglichkeiten bezeugen sie
den Willen, die kulturelle Identität und
Vielfältigkeit zu respektieren und eine möglichst große Anzahl an Lesern zu erreichen. Das
heißt, dass im Moment vier Sprachversionen
komplett verfügbar sind. (1)
Die Wahl eines gemeinsamen Titels soll keinen
Akt des Vasallentums gegenüber der aktuellen
Lingua franca in Europa darstellen. Diese Wahl
sollte als pragmatisch hingenommen werden.
Man stelle sich die Verwirrung vor, die entstehen
könnte, wenn sich ein französischer Leser auf
Klima
Wissenschaftlicher
Notstand
IKT I
Der Mensch als Maschine 12
Medizin I
Diabetes und Obesität 29
Nr.° 52 Juni 2007
research eu
Europäische Kommission
Magazin des Europäischen Forschungsraums
Polarjahr
Forschungsschiff „Polarstern“
Landwirtschaft
Grüne Rohstoffe
auf dem Vormarsch
ISSN 1830-7361
TE info wurde vor mehr als 10 Jahren als
vorübergehender Informationsbrief der
Europäischen Kommission mit institutionellen Inhalten veröffentlicht. Er hat sich im
Laufe der Jahre zu einem Magazin entwickelt,
das mit einem journalistischen Ansatz die Akteure
der europäischen Forschung und deren Projekte
in den Mittelpunkt stellt. Dieser anfängliche Titel
erschien mehr und mehr unvollständig und
veraltet und stand in keinem Verhältnis zur
formalen und inhaltlichen Entwicklung.
Der Gedanke, ihn zu ändern, lag schon seit längerem in der Luft. Aber die Presse tut sich immer
sehr schwer bei einem solchen Schritt. Die mögliche Namensänderung einer regelmäßigen, viersprachigen Publikation, die seit vielen Jahren
eine starke Verbreitung genießt, zog viele
Abstimmungen, Beratungen und Leserumfragen
nach sich.
Nachdem ein Konsens gefunden war, brauchte
man nur noch einen „guten“ Namen: research*eu
wurde geboren. Wir hätten uns auch, wie es oft
der Fall ist, für einen Bezug auf die Mythologie
oder Antike oder für einige Variationen der
Vorsilbe eur- oder euro entscheiden können.
Wir haben einen kompakten Titel vorgezogen,
der der Art des Magazins gerecht wird, und der
gleichzeitig seinen Inhalt (research) und seinen
Ursprung (eu – 2006 eröffnete Web-Domain zur
Bezeichnung des geografischen Wirkungsfelds der
Europäischen Union) erkennen lässt. Die beiden
Begriffe sind durch ein Sternsymbol verbunden.
Unter Beibehaltung aller starken Aspekte einer
gedruckten Publikation (eine Zeitung oder
ISSN 1023-9006
Neuer Name, neue Grafik, mehr Seiten und Themen,
die mal knapper mal ausführlicher gestaltet sind, sowie
mehr Interaktivität mit unseren Lesern … Aber ein
unverändert doppeltes Ziel: das Magazin des
europäischen Forschungsraums zu sein und eine Brücke
zwischen Wissenschaft und Gesellschaft zu schlagen.
Klimaerwärmung
Es ist höchste
Zeit
research*eu, ein Deutscher auf Forschung*eu
und ein Spanier auf investigación*eu beziehen
würde.
(1) Die spanische Ausgabe, die vorher nur in elektronischer Form
existierte, wird es ab dieser Ausgabe ebenfalls in der Druckversion geben.
ec.europa.eu/research/research-eu
research
eueu
Das Team von research
*
*
Einmal ist keinmal. Hier die
Hauptakteure, die an der Realisation
von research*eu mitarbeiten.
EUROPÄISCHE KOMMISSION
Chefredakteur
Michel Claessens
Lektorat der Sprachversionen
Julia Acevedo (ES)
Stephen Gosden (EN)
Régine Prunzel (DE)
DESIGN
Gregorie Desmons – Gestaltung
François Xavier Pihen – Seitenlayout
Gaëlle Ryelandt und Yaël Rouach – Koordination und Produktionsablauf
ALLGEMEINE KOORDINATION
Jean-Pierre Geets
Philippe Gosseries
Flore Vaucelle
REDAKTION
Redaktionelle Koordination
Didier Buysse
Jean-Pierre Geets
Christine Rugemer
Autoren
Paul Stuart Arinaga
James Binning
Kirstine de Caritat
Christopher de Oliveira
Stéphane Fay
Charlotte Lemaître
Cyrus Pâques
François Rebufat
Yves Sciama
Mikhaïl Stein
Alexandre Wajnberg
KOORDINATION
DER ÜBERSETZUNGEN
Elena Rista
WEBSITE
Carmen Lupea
Team-Koordinatorin Webcontent
Giannis Tsevdos – Webeditor
research*eu Nr. 52 I JUNI 2007
5
DOSSIER
KLIMA
Die Zukunft der
Erde
Unter den sich überstürzenden Ereignissen, die die Menschheit an der
Schwelle des 21. Jahrhunderts prägen, wird das Jahr 2007 einen
Wendepunkt darstellen. Am 10. Februar dieses Jahres hat der
Zwischenstaatliche Ausschuss für Klimaveränderungen (IPCC) sehr
medienwirksam seinen fünften Bericht vorgestellt. In diesem werden zwei
Jahrzehnte multidisziplinärer Untersuchungen zusammengefasst.
Aus dem Bericht ist der formale Schluss zu ziehen, dass die durch
menschliche Aktivitäten hervorgerufenen Symptome einer globalen
Klimaerwärmung erwiesen sind und sich – schneller als erwartet –
unwiderruflich ausbreiten werden.
Es muss etwas geschehen. Es gibt eine Zeit vor und eine Zeit nach 2007.
Bereits im März hat jedenfalls die EU auf dem Europäischen Frühlingsrat
unter deutscher Präsidentschaft ein schnelles und beispielhaftes Zeichen
gesetzt. Ihr Ziel ist es, die Treibhausgasemissionen in Europa bis 2020
drastisch um 20 % zu senken.
Dieses Dossier greift erneut die wissenschaftlichen Untersuchungen
zum Klimawandel auf. Dabei werden insbesondere die Ansichten von
Paul Crutzen, Spezialist für Atmosphärenchemie, Nicholas Stern,
Wirtschaftswissenschaftler und Autor eines bahnbrechenden Berichts
über die Kosten der Erderwärmung und Dominique Bourg,
Vordenker der nachhaltigen Entwicklung, gegenübergestellt.
6
research*eu Nr. 52 I JUNI 2007
Eiszylinder mit
Einschlüssen der
Felsplatte, Bohrung
vom Standort Vostok
(Antarktis) aus 3 600 m
Tiefe. Studie des Labors
für Gletscherkunde und
Geophysik der Umwelt
des CNRS in St-Martin
d’Heres.
DOSSIER KLIMA
© CNRS Bildarchiv/Laurence Medard
im Blickpunkt
research*eu Nr. 52 I JUNI 2007
7
DOSSIER KLIMA
Es ist
höchste Zeit
© WWF/photos NASA
Wer könnte noch an der Klimaerwärmung
zweifeln? Die endgültige Beurteilung der
Wissenschaftler des IPCC (1) hat im Februar 2007
den Ernst der Lage herausgestellt
und zu schnellem Handeln aufgefordert.
Die Schmelze der polaren Eiskappen,
Beleg für die Klimaerwärmung. Packeis in der Arktis
und bei Grönland 1979 und 2005.
D
ie Klimaerwärmung ist eindeutig.“
Mit diesem kleinen, sachlichen
Satz, ausgesprochen vor einem
beeindruckenden Aufgebot von
„
Reportern und Kameras aus aller Welt, hat
Susan Solomon, Co-Präsidentin einer
Arbeitsgruppe des IPCC und Forscherin am
Earth System Research Laboratory von Boulder
(USA), den richtigen Tonfall für eine streng
wissenschaftliche Botschaft getroffen. Es ist
der 2. Februar 2007. Der IPCC veröffentlicht in
Paris den vierten Bewertungsbericht. Dieser
ist das Ergebnis sechsjähriger Arbeit der weltweiten Klimaforschungsgemeinschaft.
Wenn der Vortrag auch ziemlich sachlich ist,
so ist die Botschaft jedoch von höchster Brisanz.
„Wir sind der Meinung, dass die steigende,
globale Erwärmung seit Mitte des 20.
Jahrhunderts höchstwahrscheinlich auf die
Zunahme von Treibhausgas-Emissionen durch
menschliche Aktivitäten zurückzuführen ist“,
konstatiert die Wissenschaftlerin. „Das Wort
‚höchstwahrscheinlich’, das den Ausdruck
‚wahrscheinlich’ im vorherigen Bericht
ersetzt, muss als gravierende Änderung
8
research*eu Nr. 52 I JUNI 2007
gedeutet werden, wenn man bedenkt, dass er
von einer Gruppe eher konservativer Forscher
stammt“, gibt David Wratt, Direktor des
National Climate Centre in Wellington
(Neuseeland) zu bedenken.
Wratt weiß, wovon er spricht, denn er ist einer
von ungefähr vierzig leitenden Autoren, die
das Dokument ausgearbeitet haben. Er
betont, dass dieses höchstwahrscheinlich eine
Wahrscheinlichkeit von mehr als 90% zum
Ausdruck bringt. Achim Steiner, Vorsitzender
des Umweltprogramms der Vereinten Nationen
(UNEP), vertritt die gleiche Meinung: „Dieser
Tag wird vielleicht als der Tag in die
Geschichte eingehen, an dem die Frage nach
dem Einfluss des Menschen auf das Klima
geklärt wurde.“
Zuverlässige Modelle,
alarmierende Szenarien
Hier handelt es sich nicht um revolutionäre
Erkenntnisse, sondern um eine Bestätigung
und Bekräftigung dessen, was der IPCC seit
Jahren ankündigt. Unser Planet erwärmt sich,
weil die Temperatur im Laufe des 20. Jahrhunderts um ca. 0,7 °C angestiegen ist. Noch
gravierender ist die Tatsache, dass die
Erderwärmung immer schneller voranschreitet.
Aktuell erwärmt sich die Erde um jeweils 0,2 °C
pro Jahrzehnt. Und wie sieht es morgen aus?
„Die Antwort darauf geben uns globale
Modelle, die immer zuverlässiger werden“,
erklärt Susan Solomon. Zuverlässiger deshalb,
weil sie immer weiter verbessert werden und
deshalb die Natur der Phänomene immer besser darstellen können. Außerdem steigert sich
ihre Zuverlässigkeit durch ihre höhere Zahl
(im Moment gibt es ungefähr 25 Modelle im
Vergleich zu knapp zehn beim vorigen
Bericht). Und schließlich, weil man mehrere
zur gleichen Zeit anwenden kann: sieben oder
acht Simulationen geben natürlich mehr
Hinweise als nur eine.
Die wichtigsten Lektionen des Berichts sind eindeutig die alarmierenden Zukunftsaussichten:
werden keine besonderen Maßnahmen gegen
die Erderwärmung ergriffen, liegt die wahrscheinliche globale Erwärmung im 21.
Jahrhundert zwischen 1,8 und 4 °C. Dabei
muss man bedenken, dass die Entwicklungsprognose für die menschliche Gesellschaft
genauso schwierig ist wie die Klimaprognose.
Spezialisten haben demzufolge für die verschiedenen Szenarien zusammenhängende
Hypothesen über die Weltbevölkerung, die
Wahl der Technologien (mehr Kohle oder
mehr Nuklearenergien/erneuerbare Energien)
und die Art des Wachstums (z. B. stärkere
Orientierung in Richtung Dienstleistungen
und Information oder in Richtung materiellen
Konsums) aufgestellt. Die Klimaforscher stehen
nun vor der Aufgabe, die Konsequenzen dieser
verschiedenen Zukunftsmodelle auszuwerten.
Bei Betrachtung der Zahlen bewegen wir uns
auf einer Skala zwischen einem Anstieg um
1,8 °C im günstigsten (im weiteren B1) und
DOSSIER KLIMA
Das Katastrophenprogramm
Die angekündigten Temperaturanstiege stellen
jedoch Mittelwerte für den Planeten dar und
beschreiben keine einheitliche und kontinuierliche Erwärmung. Die mittlere Erderwärmung
ist nur ein mathematisches Beispiel, das dazu
dient, das Ausmaß der Zerstörung durch den
Menschen aufzuzeigen. Eine Voraussage der
exakten Ausmaße, die sie annehmen kann, ist
weitaus schwieriger. Auf regionaler oder lokaler
Ebene können kleinere oder mittlere
Phänomene die großen Tendenzen verschärfen
oder abschwächen. Mit den neuen Modellen ist
es jedoch möglich, verschiedene Entwicklungen
darzustellen.
Hitzewellen und sehr hohe Temperaturen
werden häufiger auftreten, länger anhalten
und intensiver sein. Das führt weltweit zum
Abschmelzen der Schneedecken und zum
Auftauen der Permafrostböden 2. In der Arktis
und in der Antarktis wird sich die Meereisdecke
stark zurückbilden und, einigen Simulationen
zufolge, ab 2050 im Sommer ganz von der
nördlichen Halbkugel verschwunden sein.
Ein sehr wichtiger Aspekt des Klimas für menschliche Aktivitäten ist die Niederschlagsmenge.
Hier rechnet man mit einer Steigerung in den
hohen Breitengraden und mit einer Abnahme
von bis zu 20 % in den meisten subtropischen
Gebieten. Im gesamten Mittelmeerbecken wird
es spürbar weniger Niederschläge geben, was
starke Auswirkungen auf alle südeuropäischen
Länder nach sich ziehen wird. Alle Modelle
zeigen eine Intensivierung von Orkanen und
Taifunen in den Tropen, während die Stürme
in den mittleren Breiten in Richtung der Pole
abgeleitet werden. Schließlich scheint der
Meeresspiegel im Laufe der letzten 20 Jahre um
ungefähr 3,1 mm pro Jahr angestiegen zu sein.
Diesen Ausführungen zufolge wird sich dieses
Phänomen im 21. Jahrhundert fortsetzen.
Drei Rätsel
Trotz des Wissensfortschritts bleiben einige
wichtige klimatologische Unsicherheitsfaktoren
bestehen. Während die allgemeine Tendenz
unumstritten ist, bemühen sich die Forscher
darum, einige Phänomene zufriedenstellend im
Modell darzustellen. Dabei stehen sie vor drei
großen Rätseln. Als Erstes wären die positiven
Rückführungen in den Kohlenstoffkreislauf zu
nennen. Hierbei stellt sich folgende Frage: in
welchem Maße tragen die Folgen der
Erwärmung auf die Pflanzenwelt zu einer
Verschärfung der Erwärmung insgesamt bei?
Zum Beispiel hat die Gluthitze 2005 in Europa
schwerwiegende Schäden in der Vegetation
verursacht. Die Pflanzen haben keinen atmosphärischen Kohlenstoff mehr absorbiert, sondern während ihres Absterbens sogar noch
Kohlenstoff freigesetzt. Diese Art der
Rückführung lässt sich allerdings sehr schwer
im Modell nachbilden.
Eine weitere Frage betrifft das Verhalten der
Aerosole in der Atmosphäre. Die kleinen Partikel
natürlichen (Feinstaub) oder menschlichen
Ursprungs
(insbesondere
industrielle
Sulfatabfälle) reflektieren oder absorbieren
das Licht, je nach Größe und Farbe. Das hat
verschiedene Folgen auf die Atmosphäre und
die Wolkendecke. Aerosole sind nämlich an der
Wolkenbildung beteiligt, die ihrerseits allerdings
schwer vorherzusagende Auswirkungen auf die
Strahlung hat. Je nach Wolkenbeschaffenheit,
ob dick oder dünn, ob sie sich in großen oder
weniger großen Höhen befinden, können diese
zur Abkühlung oder Erwärmung der Atmosphäre
beitragen.
Zuletzt stehen die Forscher der zukünftigen
Entwicklung der antarktischen und grönländischen kontinentalen Eiskappen ratlos gegenüber.
Möglicherweise
entsteht
durch
den
Erwärmungsprozess eine geschmolzene
Schicht, die sich wie ein Schmiermittel an der
Basis der gigantischen Eismassen bildet. Diese
Schicht könnte ihre natürliche Bewegung zum
Meer hin beschleunigen und sie auf lange
Sicht schmelzen lassen. Die daraus resultierenden Konsequenzen für den Meeresspiegel
wagt bis jetzt niemand vorauszusagen.
Yves Sciama
(1) Zwischenstaatlicher Ausschuss für Klimaänderungen
(2) Aus dem Englischen permafrost, bezeichnet permanent gefrorene
Böden.
Bei den möglichen Katastrophenszenarien würde das gesamte Mittelmeerbecken unter einer großen
Dürre leiden. Auf dem Bild ist der Einfluss der menschlichen Eingriffe in die Feuchtzonen der Camargue zu
sehen. Dieser wird vom Zentrum für funktionelle und evolutionäre Ökologie (CEFE) in Montpellier untersucht. Diese Arbeiten befassen sich mit den Mikroorganismen in den Sedimenten unter dem Aspekt der
Treibhausgas-Emissionen.
© CNRS/Gilles Pinay
4,0 °C im schlechtesten Fall (im weiteren A1
FI, für fossilintensiv). Die Angaben umfassen
auch eine mögliche Fehlerspanne. So könnte
A1FI den Prognosen des IPCC zufolge einen
Anstieg von +2,4 °C bis +6,4 °C verursachen.
Warum gibt es diese Differenz? Ein Merkmal
der Klimaerwärmung ist, dass sich ihre
Auswirkungen um so stärker bemerkbar
machen, je weiter man sich von der tropischen
Zone entfernt und sich auf die Kontinente und
hohen Breitengrade konzentriert. Man kann
insgesamt davon ausgehen, dass man 50 % zur
globalen Erwärmung dazurechnen muss, um
die Erwärmung in Westeuropa zu erhalten und
bis zu 300 %, um eine gültige Prognose für die
Polarregionen und die nördlichsten Teile des
Kontinents zu treffen. A1 FI beschreibt also
eine schwere Klimakatastrophe.
research*eu Nr. 52 I JUNI 2007
9
DOSSIER KLIMA
IPCC – Am Anfang steht
A
Wer sind die Forscher, die hinter der Abkürzung
IPCC (Zwischenstaatlicher Ausschuss für
Klimaänderungen) stehen, und warum gelten
sie als Autorität? Dieser höchste
Gelehrtenausschuss wurde 1988 als
Gemeinschaftsinitiative der Weltorganisation für
Meteorologie (WOM) und des Umweltprogramms
der Vereinten Nationen (UNEP) gegründet.
Für Michel Jarraud, Generalsekretär der WOM,
hat sich diese außerhalb der Normen stehende
Einrichtung in der weltpolitischen Szene
durchgesetzt, „weil hier der wissenschaftliche
Aspekt immer vorrang hat“.
uf Initiative der WOM – unbestritten
das universellste und kooperativste
wissenschaftliche Netz weltweit –
wurde vor zwei Jahrzehnten der
IPCC gegründet. Als den Meteorologen die
ersten Hinweise auf einen Zusammenhang
zwischen der weltweiten Klimaerwärmung und
menschlichen Aktivitäten vorlagen, hielten sie
es für notwendig, regelmäßige Beobachtungen
durchzuführen und Erkenntnisse über diese
beunruhigende Entwicklung zu gewinnen.
Aus diesem Grunde sollten hoch entwickelte
Modelle erarbeitet werden, anhand derer die
Entwicklungen in der Zukunft prognostiziert
werden sollten.
Der IPCC ist keine Forschungseinrichtung. Er
ist eher als international beauftragtes Gremium
zu sehen, das alle fünf bis sechs Jahre den
„Stand der Wissenschaft“ zur Klimaentwicklung
in einer für die Entscheidungsträger und für
die Öffentlichkeit verständlichen Sprache vorlegen soll. „Wenn die Angaben von Tausenden
Globale Erwärmung (°C)
Darstellung der mittleren globalen Temperatur gemäß der Szenarien
NORDAMERIKA
• Sinkende Wasserspiegel
in den Großen Seen
• Beeinträchtigung der
Landwirtschaft in den
großen Ebenen
• Gefährdete Ökosysteme:
Moore, Tundren
© IPPC 2007 WG-AR4
Jahr
Seit Beginn des 20. Jahrhunderts sind die Temperaturen merklich angestiegen. Besonders auffällig ist,
dass dies seit 1950 immer schneller geschieht. Das Phänomen El Niño bewirkt allgemein einen globalen
Temperaturanstieg. Dieser war im Jahr 1988 besonders heftig. Zweifellos wurde in diesem Jahr ein
Rekordanstieg gemessen. Einige Klimaforscher sagen bereits voraus, das der Rekord 2007 gebrochen
wird, denn El Niño 2007 ist wieder da.
10
POLARREGIONEN
• Rückgang der arktischen
Eiskappe
• Folgen für die
Fischgründe
research*eu Nr. 52 I JUNI 2007
LATEINAMERIKA
• Überschwemmungen,
tropische Wirbelstürme
• Gefährdete Ökosysteme:
Mangrovenwälder
DOSSIER KLIMA
die Wissenschaft…
von Wissenschaftlern zusammengetragen, diskutiert und zusammengefasst sind, werden sie zur
Freigabe an die einzelnen Regierungsvertreter
geschickt. Diese hoch offizielle Anerkennung
der Sachverhalte verleiht den Ergebnissen ein
enormes Gewicht. Kein Land der Welt hat die
Ergebnisse des letzten Berichts angezweifelt“,
teilt Michel Jarraud mit.
Politik unter falschem Verdacht
Dieses „Korrekturlesen“ durch staatliche
Vertreter wurde oft kritisiert. So warfen die
„Klimaskeptiker“ dem IPCC vor, eine politische
Organisation zu sein. „Am Anfang glaubten
einige, dass es schwer sei, ein Gleichgewicht
zwischen Politik und Wissenschaft herzustellen.
In der Tat gibt es ein sehr innovatives und
sehr effizientes Gleichgewicht. Es ergibt sich
aus der Tatsache, dass die wissenschaftliche
Objektivität immer im Vordergrund steht.“ (1)
Der Vorwurf der ‚Politisierung’ des IPCC wird
immer mehr entkräftet, je mehr der wissen-
schaftliche Konsens gestärkt wird. „Betrachten
Sie die Entwicklung der Berichte. Im ersten
wurde gesagt, dass es Indizien für einen
Klimawandel gäbe, im zweiten, dass eine Zahl
übereinstimmender Indizien vorhanden sei.
Der dritte Bericht sprach vom wahrscheinlichen
Klimawandel, und im jetzt vorliegenden wird
der Klimawandel als höchstwahrscheinlich
eingestuft. Heute steht fest, dass das
Klimasignal nicht mehr durch natürliche
Veränderung erklärt werden kann.“
Die aus der Klimaerwärmung entstehende
Verunsicherung führt in einem mehr und
mehr multidisziplinären Kontext zu neuem
Forschungs- und Datenbedarf. Man muss die
Atmosphäre, die Kryosphäre (Eisflächen des
Planeten), die Hydrosphäre (Flüsse und Meere),
die Biosphäre (Einheit der Lebewesen) usw.
untersuchen. Die Forscher bitten die WOM
um die unterschiedlichsten Beobachtungen.
Dazu gehören beispielsweise Spurengase mit
Treibhauseffekt, Vulkanpartikel, Wüstenstaub.
Während die Möglichkeiten der Satellitenbeobachtung auf spektakuläre Weise zunehmen,
werfen die unersetzbaren Beobachtungen am
Boden jedoch immer mehr Probleme auf. Sie
können, insbesondere in den Entwicklungsländern, lückenhaft sein, da dort weder die
Mittel für Instrumente aufgebracht noch die
Betriebskosten gedeckt werden können.
Besonders trifft das in wichtigen Gebieten
Afrikas, Asiens und der Pazifischen Inseln zu.
„Eine Hauptaufgabe der WOM besteht darin,
die Kapazitäten ihrer Mitglieder zu stärken.
Bei den Regierungen muss deshalb besonders
eindringlich darauf hingewiesen werden, dass
ein gutes Beobachtungsnetz keine unrentable
Investition ist, sondern sich ganz im Gegenteil
auszahlt. Dazu sollte man anmerken, dass 90%
der Naturkatastrophen meteorologischen oder
hydrologischen Ursprungs sind und dass eine
effiziente Prävention nur auf der Grundlage
präziser Beobachtungen möglich ist.“
Yves Sciama
(1) Alle Zitate von Michel Jarraud
EUROPA
• Mehr Regen im Norden,
Trockenheit im Süden
• Gletscherschmelze
• Auswirkungen auf den
Wintersport-Tourismus
Mögliche Folgen der Klimaerwärmung
(Zeitraum 2050-2100)
Anpassungsvermögen an den Klimawandel
ASIEN
• Migration von Millionen von
Menschen aufgrund des
steigenden Wasserspiegels
• Gefährdete Ökosysteme:
Mangrovenwälder,
Korallenriffe
Stark
Schwach
Verringerte Wasservorräte
AFRIKA
• Verwüstung
• Hungersnöte
• Gefahr von
Überschwemmungen und
Erosionen in Küstengebieten
• Fortbestand der
Unterentwicklung
AUSTRALIEN
NEUSEELAND
• Dürre
• Gefährdete Ökosysteme:
Korallenriffe, australische
Bergmassive
Entwicklung von Infektionskrankheiten
Vermehrtes Auftreten extremer Klimaereignisse
Verminderung der landwirtschaftlichen Ressourcen
Beeinträchtigung der biologischen Vielfalt
Gletscherschmelze
Quelle: IPPC Climate Change 2001
© La Documentation française, Cartothèque
research*eu Nr. 52 I JUNI 2007
11
DOSSIER KLIMA
Hilft Geoengineering?
Für Paul Crutzen, renommierter Spezialist für
Atmosphärenchemie am deutschen Max-Planck-Institut
und Träger des Nobelpreises (1995), geht der Bericht
2007 des IPCC „an der Realität vorbei“. Mit seinem
Vorschlag die Möglichkeiten eines direkten Eingriffs
auf die Erdatmosphäre zu untersuchen, spätestens
wenn das Klima anfängt, aus den Fugen zu geraten,
hat der Niederländer im letzten Jahr ein Tabu gebrochen.
Paul Crutzen – „Das Einzige, was man am Bericht
des IPCC bemängeln könnte, ist, dass er sich zu
vorsichtig ausdrückt.“
Was halten Sie von den
Schlussfolgerungen des neuesten
Berichts des IPCC?
Sie bringen nicht viel Neues für jemanden, der
diese Problematik verfolgt. Die Zahlen unterscheiden sich eigentlich kaum von jenen, die im
vorigen Bericht von 2001 veröffentlicht waren.
Das bedeutet keinesfalls, dass die Klimatologie
seitdem keine Fortschritte gemacht hat. Die
Entwicklungswahrscheinlichkeiten sind präziser
und fundierter geworden.
Der Widerspruch zwischen den Temperaturerhebungen in der Atmosphäre und den
Satellitendaten, bisher ein Besorgnis erregendes Problem, ist mit der Aufdeckung falsch
interpretierter Messdaten durch die Satelliten
beseitigt worden. Ein weiterer wichtiger Aspekt
ist die Erklärung, dass der Temperaturanstieg
die Kohlenstoffspeicher in den Ozeanen und
an Land reduzieren wird. Die Bestände würden
freigesetzt und zu CO2-Quellen werden. Diese
Frage ist im Bericht von 2001 offen geblieben.
Das Einzige, was man an den Ausführungen
des IPCC-Berichts bemängeln könnte, ist, dass
er sich zu vorsichtig äußert und etwas an der
Realität vorbeigeht. Die Situation ist möglicherweise viel kritischer, als sie hier dargestellt ist.
Beispielsweise wird der Anstieg des
Meeresspiegels unterschätzt. Das wurde
schon von mehreren Forschern betont.
12
research*eu Nr. 52 I JUNI 2007
Das Klima ist möglicherweise weniger stabil,
als wir es annehmen, und die Temperaturen
können schneller steigen als vorhergesehen.
Ich bin Spezialist auf dem Gebiet der
Erforschung der Ozonschicht und möchte
Ihnen hier ein Beispiel geben. In unseren
anfänglichen Auswertungen zum Ozonloch
haben wir das Problem eindeutig unterschätzt,
weil wir die Lage der Arktis nicht berücksichtigt
hatten. Wir hatten nicht bedacht, dass das
FCKW, welches in die mittleren und hohen
Breitengrade der Nordhalbkugel eingeleitet
wurde, katastrophale Auswirkungen hatte, die
zur Veränderung des Ozons am gegenüberliegenden Pol führen würden. Kann nicht auch
eine ähnliche „Überraschung“ bei der
Erwärmung auftauchen? Für diesen Fall muss
eine Strategie bereitstehen, die eine schnelle
Reaktion ermöglicht. Man kann in Erwägung
ziehen, dass eine kontrollierte Emission an
Schwefelaerosolen, ungefähr eine Million
Tonnen pro Jahr, den Prozess signifikant
verlangsamen würde.
Mit ihrer Behauptung, man könne das
Klima durch Einleitung von
Schwefelaerosolen in die Erdatmosphäre
„abkühlen“, haben sie eine kontroverse
Debatte eröffnet. Von einer Zustimmung
ist man noch weit entfernt.
Wenn sich das Klima zu sehr und zu schnell
erwärmt und untragbare Konsequenzen für
große Teile der Menschheit nach sich zieht,
besteht dringender Handlungsbedarf. Man weiß
jedoch, dass bei jedem großen Vulkanausbruch
große Mengen an Schwefelaerosolen auf natürlichem Wege produziert und in die
Atmosphäre katapultiert werden. Dieses
Phänomen sorgt für eine spürbare Abkühlung
der Atmosphäre, die sehr gut messbar ist. Der
Mechanismus ist denkbar einfach: die
Schwefelpartikel reflektieren die auftreffende
Sonneneinstrahlung und erhöhen die sogenannte Albedo (1) der Atmosphäre.
Haben Sie eine Vorstellung von den
Kosten dieser Strategie und der Technik,
die eingesetzt werden könnte?
Bezüglich der Technik kann ich mich nur
zurückhaltend äußern, weil ich kein Spezialist
auf dem Gebiet der Raumfahrt bin. Die amerikanische Akademie der Wissenschaften (NAS)
befasst sich bereits mit diesem Projekt. Eine
denkbare Vorgehensweise bestünde im
Einsatz von Raketen, die Kohlenwasserstoffe
verbrennen, wenn sie in die Troposphäre
eintreten und dann Schwefelsäure in die
Stratosphäre abgeben. Allerdings müssten die
Aerosole in die Stratosphäre eingebracht
werden, da sie sonst zu schnell durch den
Regen ausgewaschen würden.
Welche „Nebenwirkungen“ hätten diese
„provozierten“ Emissionen?
Ein Teil der Aerosole würde in Form von
Schwefelsäure wieder auf die Erde fallen, was
dann zu saurem Regen führen würde. Die
Säurebildung dürfte jedoch einen gewissen
DOSSIER KLIMA
Prozentzsatz nicht überschreiten, und es ist
wahrscheinlich, dass die Ökosysteme das
verkraften werden. Schwefelemissionen
menschlichen Ursprungs spielen bereits seit
zwanzig Jahren eine wichtige Rolle und haben
in keinem Fall so katastrophale Auswirkungen
gehabt wie der Treibhauseffekt. Man muss
jedoch einen weiteren Anstieg der Schwefelemissionen in stark industrialisierten Ländern,
wie China und Indien, beobachten und
berücksichtigen.
Einer der möglichen negativen Nebeneffekte
könnte auch die verschärft fortschreitende
Zerstörung des Ozons in der Stratosphäre
sein. Das muss geprüft werden. Schließlich
gibt es noch eine andere mögliche und unerwünschte Konsequenz, über die man sich im
Klaren sein muss: diese Aerosole könnten die
Bildung von Zirruswolken begünstigen. Diese
Wolken entstehen in großen Höhen und
könnten den Treibhauseffekt verstärken. Aus
diesem Grund müssen Forschungen unternommen werden.
In ihren Reaktionen bezeichnen
Ökologen Ihren Vorschlag als
Wissenschaft aus der „Hexenküche“.
Doch wie reagiert die Gemeinschaft der
Wissenschaftler auf Ihren Vorschlag?
Manche sind dafür, andere dagegen. Natürlich
wurde ich von einigen hart angegriffen, aber
es waren weniger, als ich erwartet hatte.
Letztlich hat die Debatte einen sehr nüchternen Verlauf genommen und ich glaube, dass
© U.S. Geological Survey
Der gigantische Ausbruch des
philippinische Vulkans Pinatubo
im Juni 1991 hat ein immenses,
natürliches Labor zur
Klimabeobachtung geschaffen.
Hier kann man die Auswirkungen
des massiven Gasausstoßes in die
Atmosphäre, insbesondere den
Einfluss des Schwefels auf den
Treibhauseffekt, untersuchen.
wir einen Konsens für die Finanzierung der
Forschungsarbeiten finden werden.
Die Arbeiten zur Modellbildung sind schon im
Gange. Sie wurden abgeglichen mit der
umfangreichen Sammlung neuester Daten, die
durch Messkampagnen nach dem Ausbruch
des Pinatubo (Philippinen) 1991 und des El
Chichon (Mexiko) 1982 zusammengestellt
wurden. Wenn es zu neuen Eruptionen in den
kommenden Jahren kommen sollte, werden
wir in der Lage sein, gründliche Untersuchungen
durchzuführen.
Gibt es auch noch andere erwähnenswerte Lösungen des „Geoengineering“,
die Ihrer Meinung nach untersucht werden sollten?
Natürlich. Da wäre etwa die geologische CO2Sequestrierung. Zu ihr liegen bereits einige
Forschungsergebnisse vor. Eine Überlegung
wäre die Ausstreuung von Eisen ins Meer. Auf
diese Weise könnte man die Photosynthese in
den Ozeanen anregen, die sehr viel
Kohlenstoff speichert. Es wurde auch schon
vorgeschlagen, Pumpen auf den Ozeanen zu
installieren, um gelöste Salzpartikel freizusetzen,
die dann die Albedo erhöhen sollen. Weiter
wurde in Erwägung gezogen, „Spiegel“ im All
zu installieren, die Sonnenstrahlen reflektieren
sollen.
Jede dieser Möglichkeiten muss wissenschaftlich untersucht werden. Außerdem bin ich
glücklich, dass ich mit der Publikation meines
Artikels im Jahr 2005 dazu beitragen konnte,
dass die Diskussion über das Geoengineering
in Gang gekommen ist.
Wäre es nicht besser, unsere Emissionen
zu reduzieren?
Absolut! Ich sage auch nicht, dass all das getan
werden muss, aber es müssen Untersuchungen
angestellt werden, um die Möglichkeiten zu
erforschen. Diese Arbeiten dürfen in keinem
Fall dazu animieren, die Verschmutzung wie
bisher fortzusetzen. Ich hoffe, dass der Einsatz
von Geoengineering niemals notwendig werden wird.
Die Vergangenheit hat mich jedoch pessimistisch
gemacht. Der neueste Bericht des IPCC scheint,
über die Wissenschaftler hinaus, endlich in das
Bewusstsein der breiten Öffentlichkeit und der
Industrie vorgedrungen zu sein. Aber man
muss sehen, wie lange das anhält. Es hat schon
öfter
eine
große
Aufbruchstimmung
geherrscht. Man denke an die Zeit nach dem
Gipfel von Rio oder nach dem Abkommen von
Kyoto und noch früher in den 70ern.
Letztendlich ist dabei nie etwas herausgekommen. Ich hoffe dennoch, dass wir jetzt das
wahre Ausmaß erkennen. Es sollte ausreichen, um endlich eine tief greifende
Kursänderung einzuleiten.
Yves Sciama
(1) Die Albedo ist das Verhältnis zwischen der Sonnenenergie, die
von einer Oberfläche reflektiert wird, und der auftreffenden
Sonnenenergie. Man verwendet eine Skala von 0 (für eine schwarze
Oberfläche ohne Reflexionseigenschaften) bis 1 (vollkommener
Spiegel, der alle auftreffenden, sichtbaren und elektromagnetischen
Strahlen ohne Absorption in alle Richtungen reflektiert).
research*eu Nr. 52 I JUNI 2007
13
DOSSIER KLIMA
Das wirtschaftliche Argument
Im vergangenen Oktober hat Nicholas Stern, ehemaliger Chefökonom der
Weltbank, der britischen Regierung einen Bericht über die wirtschaftlichen
Konsequenzen der Klimaerwärmung (1) vorgelegt. Daraufhin ging eine
Zahl um die Welt: wenn nichts zur Bremsung der Klimaerwärmung getan
werde, würden ab jetzt bis 2050 Ausgaben in Höhe von 5 500 Milliarden
Euro anfallen. Das wären mehr Kosten als für beide Weltkriege zusammen.
Diese These, die weniger abstrakt ist als ein paar °C Temperaturerhöhung,
zeigt, wie sehr der Klimakampf die Grundlagen der Gesellschaft erschüttert.
Nicholas Stern – „Es ist bekannt,
dass die südlichen Länder am
stärksten von der Erwärmung
betroffen sein werden, während im
Moment die nördlichen Länder die
größten Verschmutzer sind.“
Wie sind Sie bei der Berechnung der
Kosten der Klimaerwärmung vorgegangen
und welche Erkenntnisse lassen sich
daraus über die globale Entwicklung der
Weltwirtschaft ziehen?
Dieser Bericht stützt sich auf die übereinstimmenden Resultate verschiedener ökonomischer
Modelle, die aus wissenschaftlicher Sicht sehr
gut ausgearbeitet sind. Mit ihrer Hilfe konnte
man verschiedene klimatische, ökologische
und ökonomische Parameter und Hypothesen
testen. Alle Szenarien bestätigen, dass ohne eine
wirksame Energiepolitik zur Verminderung der
Treibhausgasemissionen, die durch die
Klimaerwärmung verursachten globalen
Kosten einen jährlichen Rückgang des
Bruttoinlandsprodukts (BIP) von mindestens
5 % weltweit zur Folge haben werden. Einige
Simulationen zeigen außerdem, dass einige
schwerwiegende Faktoren sogar einen Einbruch
um 20 % des BIP nach sich ziehen könnten.
Auf welche klimatologischen
Grundlagen stützt sich Ihr Bericht?
Zu den neusten wissenschaftlichen Leistungen
gehört die Beschreibung der möglichen
Temperaturspannen für jede atmosphärische
14
research*eu Nr. 52 I JUNI 2007
Treibhausgaskonzentration. Wenn wir nicht
handeln, könnte sich diese im Vergleich zum
vorindustriellen Niveau bereits im Jahr 2035
verdoppelt haben. Das würde sich in einer
Erhöhung der mittleren Erdtemperatur um
mehr als 2 °C zeigen. Bleiben wir passiv, d. h.
würden wir ein „Business as usual“ fortsetzen,
läge am Ende des 21. Jahrhunderts die
Wahrscheinlichkeit einer Temperaturerhöhung
um mehr als 5 °C bei über 50 %.
Ein solcher Anstieg würde nicht nur beachtliche
Folgen für die Umwelt nach sich ziehen,
sondern hätte auch extreme Auswirkungen
auf die Menschheit, weil er zu massiven
Völkerwanderungen führen würde. Die
Geschichte zeigt uns, dass Völkerwandungen
niemals friedlich abgelaufen sind. Angesichts
der Bevölkerungsdichte werden die erwarteten Wanderungen ein nie zuvor da gewesenes
Ausmaß annehmen.
Ihr Ansatz bestand nicht nur darin,
Katastrophenszenarien wirtschaftlich
auszuwerten, sondern auch eine
Folgenabschätzung durchzuführen, die
für die notwendigen politischen
Maßnahmen erforderlich ist, um die
Katastrophe zu vermeiden…
Die alarmierendsten Prognosen könnten
beträchtlich reduziert werden, wenn man eine
Stabilisierung der Treibhausgase in der
Atmosphäre zwischen 450 und 550 ppm (2) CO2
erreichen würde. Das aktuelle Niveau liegt bei
430 ppm und steigt jährlich um 2 ppm. Um
eine Stabilisierung innerhalb dieser Spanne zu
erreichen, müssten sich die Emissionen im
Jahr 2050 um mindestens 25 % unter dem aktuellen Niveau befinden oder vielleicht auch
darunter. Das ist ein hoch gestecktes Ziel,
wenn wir aber abwarten, können wir selbst
den gegenwärtigen Gehalt der Treibhausgase
in der Atmosphäre nicht halten.
Die Trägheit, mit der die internationale
Gemeinschaft die Vorgaben des Kyoto-Protokolls
umsetzt, zeigt nur allzu deutlich die große Angst
vor dem „Wachstumseinbruch“. Mittel- und
langfristig gesehen geht jedoch kein Weg daran
vorbei. Verglichen mit den ökonomischen
Erschütterungen, die uns erwarten, liegen die
Kosten der Aktion – der sofortigen radikalen
Reduzierung der Treibhausgasemissionen –
bei ungefähr 1 % des BIP weltweit. Das kann
die Wirtschaft verkraften und ist mit der
Entwicklung vereinbar. Kurz gesagt: packen
wir’s an, bevor die Kosten ins Unermessliche
steigen.
Besteht inzwischen die Einsicht, dass
gehandelt werden muss?
Skepsis ist nicht länger angemessen. Der erste
Teil unseres Berichts weist deutlich die
Einwände derer zurück, die immer noch
Zweifel an der Klimabedrohung hegen. Wir
widerlegen hauptsächlich zwei Arten der vorgebrachten Argumente.
Das erste: die Nichtbeachtung der wissenschaftlichen Grundlagen der Erderwärmung.
Der letzte Bericht des IPCC beweist, dass das
nicht haltbar ist. Das zweite: die irrige
Meinung, dass der Mensch anpassungsfähig
DOSSIER KLIMA
CO2-Emissionen in 2004 (in Tonnen / Einwohner)
© French documentation
▲ 49,6
11,5
5,6
1,8
▲
●
0,04
ohne Angaben
Statistik: geschachtelte Mittelwerte
▲
▲
▲▲
▲ ▲▲
●
▲
MAXIMA
Katar
Kuweit
Luxemburg
Vereinigte Arabische Emirate
●
●
●
●
●
▲
●
49,6
26,4
24,9
23,9
Bahrein
USA
Australien
Kanada
23,7
19,7
17,5
17,2
●
●
▲
Quelle: Internationale Energieagentur – IEA Key World Energy Statistics
2006, division des statistiques – www.iea.org/
ist und sich so auf die eine oder andere Weise
an die Veränderungen anpassen wird. Auch
das ist ein Trugschluss, sowohl aus ethischer
als auch aus sachlicher Sicht. Wie kann man
von „Anpassung“ reden, wenn immer klarer
wird, dass wir klimatischen Auswirkungen
entgegengehen, mit denen die Menschheit bis
heute nicht konfrontiert worden ist.
Da eine gewisse Erwärmung – auch
unter Kontrolle – unvermeidbar ist,
könnte man jedoch auch annehmen,
dass die Bevölkerung Interesse daran
hat, sich für die Anpassung zu wappnen.
Was wir auch immer tun werden, das Klima
wird sich wegen der Treibhausgasmengen,
die wir in der Vergangenheit freigesetzt
haben, und die wir weiter freisetzen werden,
in der Tat immer weiter erwärmen. Unsere
Kostenrechnungen enthalten die Anpassungsmaßnahmen und -investitionen, die auch in
der Politik eine wichtige Rolle spielen sollten.
Die Einschätzung der Investitionskosten für die
neuen Infrastrukturen ist nicht leicht – z. B., um
dem Anstieg des Meeresspiegels entgegenzuwirken – man kann dennoch abschätzen, dass
sich die Ausgaben allein für die OECD-Länder
auf etwa 150 Milliarden US-Dollar im Jahr
belaufen werden. Gleichwohl ist es unmöglich,
sich an alle Bedrohungen anzupassen. Man
kann zum Beispiel nichts gegen die unvermeidbaren Störungen der Ökosysteme tun.
Wie kann man die Reduktionsmaßnahmen
für Treibhausgase, die nach langwierigen
Vorarbeiten im Abkommen von Kyoto
angedeutet wurden, umsetzen?
Es ist bekannt, dass die südlichen Länder am
stärksten von der Erwärmung betroffen sein
werden, während im Moment die nördlichen
Länder die größten Verschmutzer sind. Nach
Kyoto ist es nun an der Zeit, dass die
„Verschmutzerstaaten“ zur Kasse gebeten
werden. Der Preis für Kohlenstoffemissionen
muss festgelegt werden, und ab da müssen
flexible Regelungen für die Industrie geschaffen
werden. Der Handel mit Emissionszertifikaten
ist zu entwickeln, und es müssen Kohlenstoffsteuern eingeführt werden. Das System für
den Emissionshandel, zu dem sich Europa
verpflichtet, ist ein guter Ausgangspunkt.
Aber im Gegensatz zu dem, was die
Verfechter der Chicagoer Schule behauptet
haben, sind die Marktmechanismen nicht ausreichend. Man muss gleichzeitig neue, rechtliche Bestimmungen in Erwägung ziehen,
damit die Industrien in saubere Technologien,
wie Elektroautos, Nuklearenergie, BioKraftstoffe, saubere Kohletechnologien usw.
investieren. Zur Durchführung dieser
Initiativen ist Einigkeit auf internationaler
Ebene erforderlich.
In dieser Beziehung hat Ihr Bericht,
der von der britischen Regierung in
Auftrag gegeben wurde, auf Anhieb
ein weltweites Echo ausgelöst.
Ja, weil er zum ersten Mal einen Überblick
in Zahlen über die wirtschaftlichen Herausforderungen durch die Klimaerwärmung gibt
und sich dabei auf immer fundiertere
Prognosen der Klimaforscher stützt. Ich habe
den Bericht dem G8-Gipfel, dem Präsidenten der
Europäischen Kommission, der Organisation für
Afrikanische Einheit sowie in Japan, Indien
und China vorgelegt. Wie Sie wissen, ist die
Union nunmehr entschieden zu Veränderungen
bereit.
Ich nehme persönlich auch die Bewußtseinsbildung in Ländern wie Indien wahr. Dort
habe ich dreizehn Jahre lang gearbeitet. Die
indische Regierung nimmt dieses Problem
sehr ernst. Sie hat mit Aufforstungsmaßnahmen begonnen und es sich zum Ziel
gesetzt, ihren Energieverbrauch trotz eines
jährlichen Wirtschaftswachstums von 9 % zu
stabilisieren. Das gleiche gilt für China. Im
Gegensatz zu dem, was man so hört, sind die
Chinesen nicht inaktiv. Sie wollen ihr
Wachstum nicht der Ökologie opfern, doch
auch sie beginnen damit, die Debatten zu diesem
Thema anzupassen. Sie haben das wirtschaftliche Argument, die Bedrohung durch eine
Rezession, als auch die Umweltrisiken verstanden.
Wie sieht es in den Vereinigten Staaten
aus?
Noch vor zwei Jahren konnte man dort hören,
dass die Klimaerwärmung ein Scherz sei. Das
sind längst verklungene Töne. Beachten Sie,
welche Positionen Demokraten wie der
Ex-Vizepräsident Al Gore und auch die neue
Politik von Arnold Schwarzenegger in
Kalifornien in letzter Zeit eingenommen
haben. Er und seine Republikaner engagieren
sich im Bündnis mit den Demokraten
dafür, im Jahr 2020 Treibhausgaswerte von
1990 zu erreichen. Dies ist eine wichtige
Entscheidung, weil dieser Staat unter den
Wirtschaftsmächten an sechster Stelle steht.
Sie sind also grundsätzlich optimistisch?
Wir haben eine schwere Zeit vor uns. Ich bin
Anhänger der politischen Philosophie von
John Stuart Mill und seiner Auffassung des
Regierens durch Diskutieren. Wir haben die
öffentliche Debatte dadurch genährt, dass wir
die Notwendigkeit zum Handeln aufgezeigt
haben. Von der Bedrohung für das Wachstum
und den Risiken der Rezession zu sprechen,
ist Sache der politischen und industriellen
Spitzen, wenn ihnen die Argumente ausgehen. Sie werden sich langsam der Problematik
bewusst, und das stimmt mich ein wenig optimistischer. Aber geht dieser geistige Wandel
intensiv und schnell genug vor sich, um zu
handeln? Das kann ich nicht sagen. Ich fungiere nur als Wortführer in einem Plädoyer,
das sich auf die ökonomische Ratio in einer
weltpolitischen Diskussion stützt.
Mikhaïl Stein
(1) The Economics of Climate Change, 2006, The Economist print edition
(2) ppm = Teile pro Million = 10-6
www.sternreview.org.uk
research*eu Nr. 52 I JUNI 2007
15
DOSSIER KLIMA
Für eine planetarische
„Es müssen neue Formen der ökonomischen und
politischen Regulierung geschaffen werden“.
Für Dominique Bourg, Philosoph und Umweltschützer,
Direktor des Institut des Politiques Territoriales et
d’Environnement Humain (IPTEH) an der Universität
Lausanne, verlangt die Klimaerwärmung die ethische
Neuformierung einer Gesellschaft, die ihre Grenzen
entdeckt.
Dominique Bourg – „Unsere
Zivilisation zerstört sich selbst, weil sie
glaubt, alle Grenzen auf jedem Gebiet
überschreiten zu können.“
Wird das Klima zur wichtigsten
Herausforderung für den gesamten
Planeten?
Man muss die Dinge globaler sehen. Unsere
Erde weist zwei Ungleichgewichte auf, die
sich beide in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entwickelt haben. Wir müssen sie
abbauen, wenn wir eine nachhaltige Entwicklung
der Menschheit erreichen wollen. Das erste
betrifft die Verteilung des globalen Reichtums.
In den Zeiten Adam Smiths lag die Kluft zwischen
den großen Zivilisationen hinsichtlich des
Wohlstands bei 1 zu knapp 2. Im Jahr 2000 lag
dieses Verhältnis laut Entwicklungsprogramm der
Vereinten Nationen (UNPD) bei 1 zu 74.
Das Ungleichgewicht hat sich also verschärft.
Die Abstände sind genau in dem Moment so
groß geworden, als sich zum ersten Mal eine
nie da gewesene Transparenz in der
Geschichte der Menschheit gezeigt hat. Es gibt
keinen Flecken auf der Erde, wo die Leute
nicht wissen, wie gut man mit Wohlstand lebt
– so wie Sie und ich in Europa zum Beispiel.
Wenn man dieses wichtige konfliktgeladene
Ungleichgewicht nicht im Hinterkopf hat,
kann man die heutige Zeit nicht verstehen,
insbesondere nicht den „Hyperterrorismus“.
Das zweite Ungleichgewicht, das sich genau
im gleichen Zeitraum entwickelt hat, betrifft
die weltweite Veränderung der Umwelt. In
dieser Hinsicht hat der Mensch immer schon
16
research*eu Nr. 52 I JUNI 2007
Schaden angerichtet und durch manche seiner
Eingriffe in die Umwelt wurden schon ganze
Kulturen dahingerafft. Aber heute sind diese
Probleme globaler Natur und sie entwickeln
sich rapide weiter, weil der Mensch die Hand
im Spiel hat. Die Herausforderung ist groß,
weil man vielleicht ein lokales Ökosystem
wiederherstellen kann, jedoch niemand in der
Lage ist, die gesamte Biosphäre zu sanieren.
Sie scheinen nicht viel vom technischen
Fortschritt zu halten …
Man muss aus dem 20. Jahrhundert lernen. Als
man die Radioaktivität entdeckte, hielt man sie
für ungefährlich. Sie hat sich als krebserregend
erwiesen – das war die erste Überraschung!
Als man FCKW (Fluorchlorkohlenwasserstoff)
erfunden hatte, freute man sich über seine
chemische Trägheit. Das war die Garantie für
seine Sicherheit und man produzierte es in
Massen. Jahrzehnte später fiel auf, dass FCKW
die Ozonschicht schädigt – das war die nächste
Überraschung! DDT wurde als die Entdeckung
des Jahrhunderts vorgestellt, sehr effizient und
ungefährlich. Aber dieses Pestizid ist nicht nur
schädlich für die Umwelt, in bestimmten
Konzentrationen ist es auch gesundheitsschädlich – noch eine Überraschung! Und ich
habe noch nicht vom Asbest und anderen
Dingen gesprochen. Und schließlich hat sich
auch die Verwendung von Kohlenwasserstoffen als Gefahr für das Klima herausgestellt.
All das zeigt, dass unsere Technologien nur
teilweise hilfreich sind und keinesfalls das
ganze System beherrschen können. Es hat
sich gezeigt, dass sie sogar große Schäden
anrichten können. Je leistungsfähiger diese
Technologien sind, desto schwerwiegender
können die Folgeschäden sein.
Wären nicht die technologischen
Modelle des Geoengineering eine
Möglichkeit, wie sie von dem
Klimaforscher Paul Crutzen (1)
vorgeschlagen werden? Hier verspricht
man sich durch den Einsatz der
Atmosphärenchemie eine Abschwächung
des Treibhauseffekts.
Meiner Meinung nach ist das wieder eine
technologische Flucht nach vorne, wenn man
Aerosole in die hohe Atmosphäre pumpt, um auf
chemischem Wege das CO2 zu neutralisieren.
Auch hierbei könnte es wieder böse
Überraschungen geben und das auf globaler
Ebene. Crutzen selbst zieht diese Lösung nur im
Extremfall in Betracht, wenn die Katastrophe
uns dazu zwingt oder das System zusammenbricht. Aber ich halte es für inakzeptabel, die
heutige Untätigkeit damit zu rechtfertigen,
dass man morgen angeblich auf globaler
Ebene handeln könne. Mit dieser Option im
Nacken laufen wir Gefahr, dass Bedingungen
geschaffen werden, die uns keine andere
Wahl mehr lassen, als sie einzusetzen.
Welche Lösungen wären in diesem Fall
sinnvoll?
Zu den Voraussetzungen für Nachhaltigkeit
gehört die wesentliche Reduktion des Rohstoffund Energiestroms. Man muss schrittweise
vorgehen, über Jahrzehnte hinweg, weil damit
beträchtliche Veränderungen einhergehen.
DOSSIER KLIMA
Die von dem IPCC definierten klimatischen
Ziele, in die die Union eingewilligt hat, sind
folgende: die Reduktion der globalen CO2Emissionen auf die Hälfte und auf mindestens
ein Viertel – für die OECD-Länder für die
Vereinigten Staaten müsste das ein Zehntel
sein, wenn man genau wäre. Für die entwikkelten Länder bedeutet das eine jährliche
Reduzierung der Treibhausgasemissionen um
3%, und das über mehrere Jahrzehnte. Zum
Vergleich sollte man anführen, dass die heutige
Tendenz einer Erhöhung um 2 % pro Jahr entspricht.
Eine weitreichende, kostensparende Abnahme
ist keine Lösung. Wir werden nie ohne Geld
und ohne Neuerungen zum Ziel kommen,
deshalb muss man eine ernsthafte Abnahme des
Zustroms erreichen, indem man weiterhin
Wohlstand schafft. Wir werden unsere Ziele auch
nicht ohne Veränderung des Lebenswandels
erreichen. Vor dieser Wahrheit haben unsere
Gesellschaften allerdings Angst. Sie treten lieber
die Flucht nach vorn an in die Technologie.
Das ist der heikle Punkt der nachhaltigen
Entwicklung.
Aber wie schaffen wir es, unseren
Lebenswandel so umzustellen, wie Sie es
sich wünschen?
Eine nachhaltige Entwicklung ist nur möglich,
wenn man an die ethischen Grundlagen geht.
Bis jetzt lautete die „goldene Regel“: Was du
nicht willst, dass man dir tu’, das füg’ auch
keinem Anderen zu. Diese Ethik der Nähe, die
früher ausreichte, ist der heutigen Welt nicht
angepasst. Sie berücksichtigt weder die künftigen Generationen noch die geografisch weit
entfernt lebende Menschheit. Jedes Mal, wenn
ich heute in mein Auto steige, beeinflusse ich
das Ökosystem sowie die Menschen, die
räumlich und zeitlich weit von mir entfernt
sind.
Diese neue Art der Ethik hat politische Folgen.
Unsere Gesellschaft stützt sich auf die
Perspektive des Kontraktualismus. Nach
Hobbes und Locke organisiert diese unsere
Gesellschaft so, dass jeder seine Interessen
verfolgen kann. Unter diesem Aspekt war das
„Es gibt keinen Flecken
auf dem Planeten, wo
die Leute nicht wissen,
wie gut man mit
Wohlstand lebt.“
© Michel Meuret/INRA
„Wenn man auch
vielleicht ein lokales
Ökosystem wiederherstellen kann, so ist doch
niemand in der Lage,
die gesamte Biosphäre
zu sanieren.“
Hauptziel, immer mehr zu produzieren und zu
konsumieren. So darf man heute aber nicht mehr
denken. Die liberale Gesellschaftsorganisation
und die Verwaltung der ökologischen
Gemeingüter laufen in entgegengesetzte
Richtungen. Man muss neue ökonomische
Regulierungsmöglichkeiten
und
neue
Strategien entwickeln.
Wie könnte diese neue Ethik konkret
aussehen?
Ich gebe ein Beispiel: Durch die Kohlenstoffsteuer, die ich allen Einwänden zum Trotz
befürworte, würden die Emissionen über den
Preis, also über den Markt, geregelt. Die Idee
ist einfach: die Autofahrer würden ihre
Fahrten verringern, weil sie zu teuer wären.
Das würde aber noch nicht ausreichen:
Zugegebenermaßen würden einige Aspekte
unseres Lebenswandels am Ende „kriminalisiert“
oder, um mich weniger dramatisch auszudrücken, könnten als schwere Verfehlungen
betrachtet werden. Schließlich regelt man einen
Mord nicht über den Markt, man verbietet ihn
per Gesetz. Die Rolle des Marktes ist es, ökonomische Anreize zu schaffen. Das ist der Preis,
den man zahlen muss, um die neuen, ethischen
Werte zu schaffen, die die Weltbevölkerung
so nötig braucht.
Ist jetzt die Zeit für radikale
Maßnahmen gekommen?
Für eine Reaktion bleiben uns nur noch zehn
oder fünfzehn Jahre. Die Klimaprozesse laufen
sehr langsam ab und sind unwiderruflich. Das
© Jean-Paul Chassany/INRA
Ethik
CO2, das wir jeden Tag ausstoßen, bleibt in
der Atmosphäre und wird das Klima jahrhundertelang erwärmen. Wenn wir den Ozean
erwärmen, braucht er Jahrtausende, um seinen Urzustand wiederzuerlangen. Und die
Schäden, die wir der Artenvielfalt zufügen,
werden die Lebewesen für Millionen Jahre
schwächen. Das ist ein hoher Preis für das
Autofahren während eines Jahrhunderts.
Glauben Sie, dass der Wohlstand aus der
aktuellen Krise herausführen kann?
Auf gewisse Weise kann sich diese Konfrontation
mit den Grenzen des Planeten als außergewöhnliche Chance herausstellen. Unsere
Zivilisation zerstört sich selbst, weil sie glaubt,
alle Grenzen auf jedem Gebiet überschreiten
zu können. Wir haben alle Regeln der Kunst
durchbrochen, haben totalitäre Regime
hervorgebracht, haben gezeigt, dass es weder
physische Grenzen – wie es der moderne
Sport zeigt – noch ethische Grenzen, z. B. das
Klonen, gibt. Der Konsum ist ausgeufert und
natürliche Grenzen haben wir schon längst
überschritten. Wir sind besessen: wir wollen
mehr und noch mehr. Die gesamte Neuzeit
verrennt sich auf irgendeine Weise in den
Gedanken, den Platz ihres Schöpfers einnehmen zu wollen. Und schließlich stehen wir vor
einem Phänomen, das uns den Sinn wiederfinden lässt und den Sinn des Sinns.
Hoffentlich verpassen wir die Gelegenheit
nicht.
Yves Sciama
(1) S. Seiten 12-13.
research*eu Nr. 52 I JUNI 2007
17
IN KÜRZE
NACHRICHTEN
Nanodialogue
verlängert
Nanoroboter im Blut.
Schon bald Wirklichkeit?
Die wissenschaftliche und
industrielle Revolution der
Nanotechnologie setzt sich fort.
Sie verspricht unzählige
Innovationen, die sich in vielen
verschiedenen Bereichen
(Gesundheit, neue Werkstoffe
usw.) als nützlich erweisen können.
Aber die Fortschritte, die im
atomaren Gerüst der Materie erzielt
werden, werfen auch zahlreiche
ethische Fragen über die möglicherweise risikoreichen Folgen
auf, die bislang kaum untersucht
wurden. Welche Ansichten vertritt
die Gesellschaft derzeit zu diesen
Fragen? Die von der EU geförderte
Initiative Nanodialogue, die von
der Fondazione IDIS-Città della
Scienza (IT) koordiniert wird, hat
eine Debatte auf europäischer
Ebene zu dieser Frage eingeleitet.
Die Moderatoren haben durch
Veranstaltungen wie Ausstellungen
und Diskussionsforen in acht
Mitgliedstaaten den Herzschlag
der verschiedenen Meinungen,
Hoffnungen und Bedenken ermittelt, die angesichts der neuen
Dynamik der Nanowissenschaften
entstanden sind.
Im Februar 2007 wurde
Nanodialogue im politischen
Rahmen des Europäischen
Parlaments verlängert, wo
verschiedene an diesem Projekt
beteiligte Akteure – die
18
research*eu Nr. 52 I JUNI 2007
Geisteswissenschaften waren
dabei sehr stark vertreten – den
Wissenschaftlern,
Entscheidungsträgern aus Politik
und Industrie sowie assoziierten
Organisationen ihre
Schlussfolgerungen über die
gesellschaftliche Dimension des
Zeitalters der Nanotechnologie
vorlegten. Ihr Bericht plädiert
dafür, die Bürger auf transparente
Weise zu informieren und an den
großen Forschungsmöglichkeiten
teilhaben zu lassen. Weiterhin fordert er die Weiterentwicklung des
Zugangs zu Wissensdatenbanken
und eine Vertiefung der ethischen
Aspekte in den Forschungsansätzen.
www.nanodialogue.org/
Die
Herausforderung
der trickreichen
Objekte
Mikrochips sind überall. Immer mehr
Objekte des Alltagsgebrauchs
enthalten winzig kleine
Mikroprozessoren, die diesen eine
gewisse „Intelligenz“ verleihen. Sie
handeln automatisch, ohne dass
der Benutzer etwas davon merkt,
über vorgeschlagene
Wahlmöglichkeiten. Diese sogenannten „eingebetteten“ (aus dem
Englischen embedded) Systeme
finden sich in vielen geläufigen
Produkten wieder – in Telefonen,
medizinischen Innovationen,
Haushaltsgeräten, Spiel- und
Fahrzeugen usw.
Die europäische Industrie steht
heute an der Spitze der
Innovationen und Entwicklungen
dieses Sektors. Um diese Position
zu halten und zu stärken, haben
die wichtigsten Akteure aus
Technologie und Fertigung, die an
der Weiterentwicklung und
Verbreitung dieser Systeme
arbeiten, eine erste Gemeinsame
Technologieinitiative gestartet,
die im Rahmen des 7.
Rahmenprogramms (RP7) ins
Leben gerufen wurde. Artemis
(Advanced R&D on Embedded
Intelligent Systems) vereinigt
mehrere europäische
Industrieunternehmen, zu denen
Nokia, Philips, Thales,
DaimlerChrysler oder auch
STMicroelectronics gehören.
Zielsetzung: den Know-howTransfer zwischen den verschiedenen Unternehmen und Disziplinen
zu koordinieren und Ressourcen,
von denen die Fortschritte in
diesem Bereich abhängen, für
alle zugänglich zu machen.
Das Budget von Artemis liegt bei
ungefähr 3 Milliarden Euro über
sieben Jahre. 50 % der Mittel
stammen von den Unternehmen,
der Rest wird über das RP7 und
von den Mitgliedstaaten finanziert.
www.artemis-office.org/
Erawatch –
Das Europa der
Online-Forschung
Im Januar 2007 hat die
Europäische Kommission eine
neue zentralisierte
Informationsquelle über
Forschungssysteme und -politiken
ins Internet gestellt, die den
gesamten Europäischen
Forschungsraum umfasst. Durch
Erawatch haben Analytiker und
politische sowie wissenschaftliche
Entscheidungsträger über ein
einziges Portal Zugang zu konzentrierten und aktualisierten
Informationen – Strategiepapiere,
Ergebnisse, Förderformen, neuste
Indikatoren – sowie zu Analysen
über den Fortschritt der
Forschungssysteme in und
außerhalb der Mitgliedstaaten.
cordis.europa.eu/erawatch/
Die Atmosphäre
aus der Sicht des
„Grünen Horns“
Auf der kapverdischen Insel Sao
Vicente, gegenüber von
Mauretanien, wurde eine neue
internationale Station zur
Beobachtung der Atmosphäre in
Betrieb genommen, an der sich
Forschungseinrichtungen aus
Deutschland, dem Vereinigten
Königreich und der Republik Kap
Verde beteiligen. Sie soll zu einem
besseren Verständnis der
Interaktionen zwischen Ozean und
Atmosphäre und ihrer Rolle bei
der Klimaänderung beitragen.
Dieses Observatorium hat die
Aufgabe, die Veränderungen der
chemischen, biologischen und
physikalischen Zusammensetzung
der Luft bei Kontakt mit tropischen
Gewässern zu kontrollieren und zu
messen. An dieser Schnittstelle, die
wissenschaftlich als „marine
Grenzschicht“ bezeichnet wird, findet
der Prozess der atmosphärischen
IN KÜRZE
Selbstreinigung durch freie
Hydroxylradikale statt. Sie besitzen
die Fähigkeit, Treibhausgase
(Methan, Distickstoffmonoxid
usw.) zu zersetzen. Es wird
geschätzt, dass ca. 75 % der
Methanzersetzung in tropischen
Zonen erfolgen. Bis heute wurden
nur sehr wenige wissenschaftliche
Untersuchungen in dieser Region
durchgeführt. Sie wären allerdings
hilfreich, um Informationen über
das besonders große
Veränderungspotenzial durch das
Zusammenspiel zwischen
Atmosphäre und Ozean in diesen
heißen Breitengraden zu erhalten.
Protein sorgt für die menschliche
Abwehr gegen die parasitäre
Erkrankung.
www.ird.fr/fr/actualites/fiches/
2005/fiche230.htm
www.nottingham.ac.uk/schoolm3/
Neutralisierung des
Denguefiebers
Die WasserstrahlTechnologie
www.york.ac.uk/capeverde/
Mutation der
Schlafkrankheit in
Indien entdeckt
An den beiden einzigen traditionellen Krankheitsherden auf der
Welt der menschlichen
Trypanosomiasis – die eher „selten“
vorkommende Schlafkrankheit in
Afrika und die Chagas-Krankheit in
Lateinamerika – ist hinlänglich
bekannt, dass diese parasitäre
Erkrankung durch Hausvieh
übertragen wird. Bei einem Bauern
in Indien wurde nun erstmals ein
isolierter Fall dieser Krankheit
festgestellt. Er hat die Neugier
seiner Entdecker, dem Team von
Philippe Truc vom Institut de
Recherche pour le Développement
(IRD-FR) geweckt, dem sich die
Arbeitsgruppe von Etienne Pays
von der Freien Universität in
Brüssel angeschlossen hat. Mithilfe
der Blutanalysen des Patienten
konnte festgestellt werden, dass die
Krankheit durch eine genetische
Mutation ausgelöst wurde, die zur
Abwesenheit des Antikörpers
Apolipoprotein L führte. Dieses
Raumfahrtallianz der Midlands.
Es soll zur Stärkung der Position
Europas auf dem weltweiten
Markt für Luft- und
Raumfahrttechnologie beitragen.
Ein neues Wasserstrahltechnologiezentrum
– das erste seiner Art in Europa –
hat an der Universität Nottingham
(UK) seinen Betrieb aufgenommen.
Bei der Wasserstrahltechnologie
(Waterjet technology – WT) handelt
es sich um ein sehr genaues
Schnittverfahren, bei dem ein mit
extrem feinem Sand gemischter
Wasserstrahl eingesetzt wird. Es
eignet sich für verschiedene
Werkstoffe, vor allem für Metalle.
Die europäischen WT-Anlagen
konnten bisher nur flaches
Werkmaterial bearbeiten, zum
Beispiel Metallbleche schneiden.
Die neue britische Anlage kann
auch dreidimensionale Objekte
zerschneiden. Dieses in der Luftund Raumfahrtindustrie eingesetzte Verfahren ist äußerst präzise
und auch umweltfreundlich. Bei
den alternativen, klassischen
Schnittmethoden werden in der
Regel ätzende Säuren verwendet,
wogegen das Wasserstrahlverfahren
keine Verschmutzung verursacht.
Dieses neue Zentrum, das mit
1,6 Millionen Euro gefördert wird,
ist eine Partnerschaft zwischen der
Universität Nottingham, Rolls-Royce,
der Entwicklungsagentur der East
Midlands und der Luft- und
Beim Denguefieber, das vor allem
in tropischen Zonen verbreitet ist,
handelt es sich um eine von
Mücken übertragene
Virusinfektion, die zum Verlust des
Blutplasmas führen kann. Um die
Ursachen dieses Plasmaverlusts
besser verstehen zu können,
haben französische, britische und
thailändische Forscher die Rolle
bestimmter Enzyme,
Metalloproteasen genannt, nachgewiesen, die im Organismus in
schwacher Konzentration natürlich
vorkommen. Diese Enzyme greifen
vor allem den interzellulären
Zement der Zellwände an und
können bei der Entwicklung
bestimmter Krebsformen eine
Rolle spielen. Bei einer in vivo
durchgeführten Versuchsreihe
konnten die Forscher den dem
Plasmaverlust zugrunde liegenden
Gefäßbruchmechanismus und
vor allem seine Neutralisierung
reproduzieren. Ist dies möglicherweise ein neuer Weg zu einer
Therapie oder einem Impfstoff?
www.ird.fr/fr/actualites/fiches/
2006/fas254.pdf
Gesünderes Wasser
Die Trinkwasserqualität ist ein
hygienisches Muss. Wenn das
kostbare Nass in den
Wassernetzen zirkuliert, ist sie aber
auch sehr angreifbar. Wasser ist
nicht steril. Auch Wassernetze sind
es nicht. Um Risiken mikrobieller
Verunreinigungen zu verhindern,
muss man diese also ständig
überwachen. Nach vier Jahren der
Forschung hat das europäische
Konsortium Safer, an dem sich
Hochschulen und
Wasserversorgungsunternehmen
aus sechs Ländern (FR, PT, UK, DE,
FI, LV) beteiligen, seine Arbeiten
über neue Überwachungs- und
mikrobiologische
Kontrollmethoden des
Leitungswassers beendet. Die
Forscher haben Kriterien und
Frühwarnsysteme für möglicherweise auftretende pathogene
Mikroorganismen in Biofilmen
eingesetzt. Sie konnten Verfahren
für die nachträgliche Desinfektion
entwickeln, die den Einsatz
traditionell genutzter chemischer
Produkte verringern.
www.safer-eu.com/
research*eu Nr. 52 I JUNI 2007
19
IN KÜRZE
SCHLÜSSEL ZUM RP7
den europäischen Regionen oder
auch zu Ländern, die am RP7
beteiligt sind.
CORDIS:
Teilnahmeportal
Anlässlich des Starts des Siebten
Forschungsrahmenprogramms
2007-2013 erhält CORDIS, das
Internetportal für alle Akteure des
Europäischen Forschungsraums,
ein neues Gesicht. Die Benutzer
können hier vor allem die ständig
aktualisierte Liste aller thematischen
Arbeitsprogramme der Europäischen Kommission und der
Aufrufe zur Einreichung von
Projektvorschlägen einsehen.
Außerdem bietet CORDIS
zahlreiche Online-Hilfen für die
Gründung von Forschungskonsortien an, die allen potenziellen
Teilnehmern und Interessenten
offen stehen.
Das Portal bietet auch:
• thematisch ausgerichtete Seiten,
die verschiedenen Forschungssektoren (Informations- und
Kommunikationstechnologien
sowie Informationsgesellschaft,
Nanotechnologien, Sicherheitsforschung) sowie übergreifenden
Ansätzen (KMU, Innovation,
internationale Kooperation,
Forschermobilität, Wissenschaft
in der Gesellschaft, Frauen in der
Wissenschaft) gewidmet sind;
• zahlreiche Seiten zu den
Strategien der Europäischen
Union und den Forschungsaktivitäten des Landes der
Ratspräsidentschaft sowie zu den
verschiedenen Mitgliedstaaten,
20
research*eu Nr. 52 I JUNI 2007
RP7 Portal
cordis.europa.eu/fp7
Themenseiten und nationale oder
regionale Seiten
cordis.europa.eu/fr/sitemap.htm#eu
-activities
Aus den Helpdesks
wird Europe Direct
Für alle allgemeinen oder besonderen Fragen zur europäischen
Forschung – und ganz speziell zum
RP7 – wurde jetzt durch das Europe
Direct Contact Centre ein neuer
Dienst für die GD Forschung der
Europäischen Kommission eingerichtet. Er ersetzt die bisherigen
verschiedenen Help-Desk-Dienste,
die nach Forschungsthematik
aufgeteilt waren.
Mit Ausnahme besonders komplizierter Fragen antwortet dieses
Zentrum auf alle Anfragen
innerhalb von durchschnittlich
drei Werktagen. Wenn Sie es aber
eilig haben, sollten Sie sich
zunächst die Seite mit den Häufig
gestellten Fragen (FAQ) anschauen,
auf der Sie bereits zahlreiche,
immer wieder gesuchte
Antworten finden werden.
Portal der GD Forschung
ec.europa.eu/research/
Forschung auf Europe Direct
ec.europa.eu/research/
index.cfm?pg=enquiries/
Häufig gestellte Fragen
ec.europa.eu/research/
faq/index.cfm
Descartes-Preis 2007
Im März 2007 verlieh eine internationale Jury den mit insgesamt
einer Million Euro dotierten
Descartes-Preis für europäische
Forschung. Drei Siegerteams, die
aus 66 Kandidaten und 13 Finalisten
ausgewählt wurden, teilten sich
diesen Preis. Das HochenergieStereoskopiesystem ist das
Ergebnis einer Kooperation von
etwa 100 Wissenschaftlern aus der
EU (Deutschland, Frankreich,
Großbritannien, Irland, Polen,
Tschechien) sowie aus Armenien,
Südafrika und Namibia. Dieses
Teleskopsystem hat die bisherigen
Beobachtungsmethoden der
Astronomen in den vergangenen
Jahren revolutioniert. Die Teams
des Hydrosol-Projekts, an dem
Hochschulen und Unternehmen
aus Griechenland, Deutschland,
Dänemark und dem Vereinigten
Königreich beteiligt waren, haben
eine Methode zur Herstellung von
Wasserstoff durch Wasserspaltung
mit dem Einsatz von Solarenergie
entwickelt. Diese Methode könnte
zur umweltfreundlichen Herstellung des Energiespeichers
Wasserstoff beitragen. Die dritte
ausgezeichnete Forschungsarbeit
(AT, DK, IT, SE), Apoptosis, hat
wesentliche Erkenntnisse über
den programmierten Zelltod
(Apoptose) gebracht, die zu neuen
Entwicklungen bei Krebs- und
Aids-Therapien führen könnten.
Der Descartes-Preis für
Wissenschaftskommunikation ging
an fünf Preisträger: an Sheila
Donegan für Eureka, einer wissenschaftlichen Jugendzeitschrift; an
die Dokumentarreihe Europe,
Janez Potočnik bei der Verleihung
der Descartes – Preise
A Natural History, einer Koproduktion
von ORF, BBC und ZDF; an Professor
Vittore Sivestrini von der Città
della Scienza (Stadt der Wissenschaft)
in Neapel; an Odd Askel Bergstad
und andere Forscher des Netzwerks
Mar-Eco für ihre Arbeiten zur
Beteiligung der Öffentlichkeit an
der „Volkszählung im Meer“ sowie
an Wendy Sadler für die Schulprojektreihe Science Made Simple.
http://ec.europa.eu/research/
descartes/index_en.htm
Der Aufstieg des
modernen Europas
Attilo Stajon, ein ehemaliger
Europabeamter, der am EspritProgramm und an den Programmen zu Informations- und
Kommunikationstechnologien
beteiligt war, unterrichtet an der
Universität von Bologna (IT). Seine
langjährige Erfahrung, die
besonders in den USA geschätzt
wird – er wurde von verschiedenen Universitäten bereits mehrmals eingeladen – hat er jetzt in
einem Buch zusammengefasst,
das bei Springer veröffentlicht
wurde. In diesem Werk analysiert
er, warum die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen
Wirtschaft im Vergleich zu ihren
größten Konkurrenten so sehr von
ihrer Fähigkeit abhängt, die
Chancen der Informationsgesellschaft zu nutzen und hinsichtlich der Qualität einen
dauerhaften strategischen Vorteil
aufzubauen. „Das Werk bietet
einen guten Überblick über die
Dinge, die für den Aufstieg des
modernen Europas bestimmend
sind“, meint Luc de Brabandere,
Vizepräsident der Boston
Consulting Group.
stajano.deis.unibo.it/index.htm
IN KÜRZE
PROJEKTSTARTS
Umweltfreundlichere und leisere
Flugzeuge
Der Kampf gegen die größten
Imissionen der Luftfahrt –
Lärmbelästigung und CO2Emissionen – stellt eine politische
und wirtschaftliche Herausforderung dar, der man sich nicht
entziehen kann, und mit der alle
großen Motorenentwickler
konfrontiert sind. In diesem
Bereich geht das führende Luftund Raumfahrtunternehmen
Snecma Moteurs mit bestem
Beispiel voran. Dieses Unternehmen, das einer die Umwelt
direkt beeinflussenden Innovationspolitik stark verpflichtet ist
(20% des FuE-Budgets sind dafür
bestimmt), war beim Start des
Projekts Vital (EnVIronmenTALly
Friendly Aero Engine) im Januar
2005 unter dem 6. Rahmenprogramm die treibende Kraft.
Das Projekt, das sich mit umweltfreundlichen Motoren für die
Luftfahrtindustrie befasst, hat eine
Dauer von vier Jahren. Ihm steht
ein Budget von 90 Millionen Euro
zur Verfügung, das zur Hälfte von
der Union finanziert wird. Unter
der Leitung von Snecma Moteurs
beteiligen sich 53 Partner an
diesem Projekt, darunter auch die
wichtigsten europäischen Motorenhersteller wie Rolls-Royce Plc,
Volvo Aero und der Flugzeughersteller Airbus, sowie
zahlreiche KMU aus der Zulieferbranche, Hochschulen und
Forschungszentren.
Das Projekt hat sich zum Ziel
gesetzt, bis 2009 den Lärmpegel
von Motoren um 6 dB und die
CO2-Emissionen um 7 % zu senken.
Außerdem sollen innovative
technische Lösungen für die
Herstellung leichterer Turbinen
gefunden werden, wodurch der
Treibstoffkonsum erheblich
gesenkt würde. Zusammen mit
anderen europäischen
Forschungsprojekten – Silence
(Significantly Lower Communit to
Aircraft Noise) oder EEFAE (Efficient
Environmental Friendly Aero-engine)
gehört Vital zu einer Reihe von
Initiativen, die zur Durchführung
der Ziele des beratenden
Ausschusses Acare (Beratender
Ausschuss für die Luftfahrt in
Europa) eingeführt wurden. Sie
sehen vor, die größten Emissionen
durch den Luftverkehr bis 2020
um die Hälfte zu senken.
www.project-vital.org
große europäische Werften
zu einem Konsortium zusammen,
um die Entwicklung eines Schiffes
zu untersuchen, das Schwerölschichten „verschlingen“,
am Unglücksort selbst eingesetzt
werden und schwerer See trotzen
kann. Das Projekt Oil Sea Harvester
(OSH) möchte einen neuartigen
Trimaran (138 m lang und 38 m
breit) bauen, der den Ölteppich in
seinen riesigen mittleren Rumpf
absaugt, während ihm die seitlichen Rümpfe Stabilität verleihen.
Damit kann er auch bei Stürmen
der Stärke 9 und Seegang der
Stärke 7 eingesetzt werden. Das
OSH könnte bis zu 6 000 Tonnen
Schweröl, bei einer Kapazität von
250 Tonnen pro Stunde, aufnehmen. Das Rettungsschiff, das eine
Reisegeschwindigkeit von 20
Knoten erreicht, muss schnell am
Unglücksort ankommen und dort
für den Betrieb beim Aufsaugen
des Öls seine Geschwindigkeit
sofort auf 1 Knoten drosseln können.
www.osh-project.org/
Rettungsschiff
gegen Ölteppiche
Schnüffelroboter
für die Feuerwehr
Können Katastrophen bei
Tankerunfällen auf dem offenen
Meer verhindert werden? Man
kann diesen sicherlich vorgreifen,
indem die maritime Sicherheitstechnologie maßgeblich verstärkt
wird, aber ein Risiko existiert
immer. Man muss auch gegen die
desolaten Zustände bei der
Reaktion auf Tankerunfälle
ankämpfen, wie sie beispielsweise
in den Fällen der Erika 1999 und
der Prestige 2002 herrschten, als
die untergehenden, sturmgepeitschten Tanker unerbittlich ihr
schwarzes Gift ausspuckten.
Mit Unterstützung der Europäischen Union schlossen sich
Ein Konsortium aus
Hochschulwissenschaftlern und
Unternehmen hat unter der
Leitung der Sheffield Hallam
University (UK) zwei von der EU
finanzierte Projekte in die Wege
geleitet, die eine Reihe kleiner
Roboter für die Absicherung von
Feuerwehreinsätzen entwickeln
sollen. Um Gas in den Stollen festzustellen, nahmen die Bergleute
Kanarienvögel mit unter Tage –
sang der Votgel nicht mehr, war er
am Gas erstickt. Heute gibt es
dafür automatische Mini-Aufklärer
im Spielzeugformat, die mit
Infrarotkameras, Ladaren (laserradars) und Spürgeräten für
chemische und toxische Substanzen ausgestattet sind. Sie könnten
als Erste die Brandstellen betreten,
und die Feuerwehrleute direkt über
verschiedene Gefahren informieren.
www.shu.ac.uk/mmvl/research/
guardians/
www.shu.ac.uk/mmvl/research/
viewfinder/
Zelltherapien:
Hoffnung
für Patienten
Für die erlaubten Stammzellentherapien ist die Duchenne
Muskeldystropie, eine Erbkrankheit,
die über 30 000 Menschen in
Europa mit einer schweren
Behinderung belastet, ein wichtiges
und innovatives Einsatzfeld. In
diesem Bereich machen die
Forschungen große Fortschritte
insbesondere jene, die sich mit der
Technik des „exon skipping“ befassen (1). Dem von der EU geförderten
Projekt Myoamp wurde jetzt grünes
Licht erteilt, um das noch zerstreute
Wissen in einem neuen Best-PracticeModul zur Validierung der Transfermodi myogener (aus Muskeln
stammender) Stammzellen zu
systematisieren. Nach diesem
Schritt werden dann auch die ersten
klinischen Versuche möglich sein.
Eine innovative Besonderheit von
Myoamp liegt in der Absicht der
Forscher, die Patientenvertreter in
die Ausarbeitung dieser Praktiken,
die für sie bestimmt sind,
eng einzubeziehen.
(1)Das Exon ist ein bestimmter Bereich eines Gens,
der ein Protein codiert.
ec.europa.eu/research/headlines/
news/article_07_03_05_en.html
research*eu Nr. 52 I JUNI 2007
21
2007, DAS POLARJAHR
© Stephanie Langner/Alfred Wegener Institute
Forschungsschiff
„Polarstern“
Gauthier Chapelle bei der Arbeit in einer Kolonie von Kaiserpinguinen.
Das Leben unter dem Schelfeis
Im März 2002 brachen unter dem Einfluss der
globalen Erwärmung mehr als 3 000 km2 des
Larsen B-Schelfeises an der Antarktishalbinsel
ab und legten ein neues, unerforschtes
Meeresgebiet frei. Die Polarstern, ein Eisbrecher
des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und
Meeresforschung (AWI), Deutschland,
unternahm die erste intensive, biologische
Forschungsexpedition in diese unbekannten
Meeresgründe. Sie fand im Vorfeld des
Programms Census of Antarctic Marine Life
(CAML), einem Projekt des Internationalen
Polarjahres, statt. Gauthier Chapelle von der
International Polar Foundation berichtet von
dieser Expedition, die im südlichen Sommer
2006-2007 stattfand.
1.
Dezember 2006. Es sind jetzt 8 Tage
vergangen, seit unser Schiff Kapstadt
in Richtung Südpol verlassen hat.
Eine Woche auf einem fast durchgehend unruhigen Meer (insbesondere mit
Windstärken von 12 Beauforts bis zu einem
heftigen Sturm bei den „rasenden Fünfzigern“).
Aber die Polarstern ist ein solider Eisbrecher
von ungefähr 120 m Länge. Sie ist das größte,
europäische Forschungsschiff – und an Polargebiete gewöhnt.
In dieser Woche konnten sich die Wissenschaftler beim Auspacken von Containern, der
Einrichtung von Laboren und bei den
Präsentationen der verschiedenen, geplanten
Forschungsmissionen besser kennen lernen.
22
research*eu Nr. 52 I JUNI 2007
Von den ca. fünfzig Forschern an Bord, zum
größten Teil Spezialisten der Meeresbiologie,
kommen 40 aus acht Ländern der Europäischen
Union, darunter 27 aus Deutschland. Die Übrigen
stammen aus sechs außereuropäischen Ländern.
Wir befinden uns mitten im Geschehen. Nach
der ersten Bekanntschaft mit einem Eisberg
erreichen wir das Packeis unter einem endlich
ruhigen Himmel. Im Morgengrauen fahren wir
mitten durch die Eisschollen, aber sehr schnell
wird die Eisschicht, die das Meer bedeckt,
immer dicker. Zur gleichen Zeit tritt die polare
Tierwelt in Erscheinung. Wir sehen die ersten
Zügelpinguine und die erste Robbe. Dieser
Anblick, auf den die Forscher seit Monaten
gewartet hatten, lockte alle auf die Brücke.
Jede wissenschaftliche Expedition kann erst
nach langen Vorbereitungs- und Koordinationsarbeiten durchgeführt werden, bei denen die
Programme der verschiedenen Biologenteams
angepasst und miteinander verbunden werden.
Das globale, gemeinsame Ziel dieser Forschungsexpedition ist die ausführliche Untersuchung
der Lebensformen auf dem Meeresgrund, die
bisher wenig erforscht und jetzt durch die
Auswirkungen der Klimaerwärmung „freigesetzt“
wurden: Im Laufe der vergangenen Jahrzehnte
sind riesige Eisflächen an der Küste der
Antarktischen Halbinsel (in Richtung Feuerland)
abgebrochen.
Dieses Schelfeis besteht aus riesigen
Eismassen, die seit mehreren Jahrtausenden
von den Gletschern an der Küste des südlichen
Kontinents „abfließen“ und Flächen auf dem
Meer bilden. Diese können sich Hunderte
Kilometer weit in den Ozean hinein erstrecken.
An ihrem äußersten Rand brechen Eisberge ab.
Im letzten halben Jahrhundert erfuhr diese
Halbinsel eine ungewöhnliche Erwärmung
von mehr als 2 °C – das ist eine der größten
Temperaturerhöhungen, die auf der Erdoberfläche gemessen wurden. Seit den Siebziger
Jahren haben die Temperaturerhöhungen
einen fortschreitenden Zerfall der 13 500 km²
großen Oberfläche in zwei Zonen herbeigeführt,
die ganz nüchtern Larsen A und Larsen B
genannt werden. Sieben Jahre nach der vollständigen Auflösung von Larsen A hat sich nun
auch das Eisschelf Larsen B im Februar 2002
vollständig abgelöst. Dieses ist das aktuellste
und wichtigste Ereignis in der Endzeit des
Schelfeises. Dabei wurde eine Meeresoberfläche
von 3 250 km² freigelegt, die seit mindesten
12 000 Jahren durch eine 200 m dicke
Eisschicht versiegelt war. Dieses Naturereignis,
von dem die Wissenschaftler überrascht wurden,
hat den auf die Meeresfauna spezialisierten
Neue Küstenlinie bei
Larsen B nachdem sich die
Eisfläche aufgelöst hat.
Biologen ein wunderbares Forschungsterrain
eröffnet.
Marmorbarsch
im Schleppnetz.
© Gauthier Chapelle (IPF)/Alfred Wegener Institute
© Gauthier Chapelle (IPF)/Alfred Wegener Institute
© Gauthier Chapelle (IPF)/Alfred Wegener Institute
2007, DAS POLARJAHR
Eine Fundgrube der Erkenntnisse
„Die Lebensformen unter den Eisschollen
gehören zu dem am besten erhaltenen
Ökosystem des Planeten, das bisher unzugänglich
war“,
betont
Julian
Gutt,
Meeresökologe des AWI und wissenschaftlicher Leiter der Expedition. „Das Wissen um
die Artenvielfalt unter dem Eis und die
Entwicklung der Fauna seitdem sich das Eis
aufgelöst hat, sind eine Fundgrube für wichtige wissenschaftliche Erkenntnisse. Außerdem
kann es ein aufschlussreiches Barometer für
die Klimaveränderungen in den Polarmeeren
sein.“
6. Januar 2007. Am Spätnachmittag liefert ein
letztes Schleppnetz seine Beute auf dem
Arbeitsdeck ab. Als Erste bedienen sich die
Ichthyologen, die schnell die Fische aussortieren, die sie für ihre Studien benötigen (siehe
Kasten). Aber die Schleppnetze haben wie
immer auch andere Organismen aufgesammelt, während sie über den Meeresgrund
schleiften, den sogenannten Beifang. So werden auch die Benthos-Spezialisten (Benthos =
lebende Organismen auf dem Meeresgrund)
mit Proben und Typisierungsarbeiten versorgt. Dieser Fang besteht hauptsächlich aus
einer beeindruckenden Menge enormer
Kieselschwämme und der gesamten mit ihnen
in Symbiose lebenden Fauna.
„Es gibt eine Vielzahl von Organismen, die von
den Höhlen in den Schwämmen profitieren“,
erklärt Armin Rose vom Forschungsinstitut
Senckenberg (DE). „Bei der Analyse dieser filtrierenden Tiere haben wir mehrere Arten von
Copepoden [Ruderfußkrebse] gefunden – eine
sehr artenreiche Gruppe kleiner Krebstiere,
von denen einige in Symbiose mit
Schwämmen leben.
Das Ökosystem am Punkt Null
Die Hauptaufgabe der Polarstern-Expedition ist
ein erster Beitrag zur Zählung der antarktischen
Meereslebewesen, Census of Antarctic Marine
Life (CAML), dem größten internationalen,
biologischen Forschungsprojekt während des
Internationalen Polarjahres 2007-2008. Zwölf
weitere Expeditionen werden unter seiner
Schirmherrschaft bis zum Ende des
Polarjahres folgen. CAML muss die großen
Lücken in unserem Wissensstand über die
antarktischen Meeresorganismen schließen. Das
Ziel der Forscher ist es, über ein ausreichendes
Inventar des „Nullzustands“ des Ökosystems zu
verfügen. Das ist notwendig, um in Zukunft die
Einflüsse des Klimawandels zu erfassen.
„In der Gruppe der amphipoden Krebstiere
sind mindestens 15 von 150 auf dieser
Expedition bereits identifizierten Arten neu“,
erklärt Cédric d’Udekem vom Institut Royal
des Sciences Naturelles in Belgien. „Das heißt,
wir müssen weiter forschen, denn über die
Indentifikation der Arten hinaus, müssen jetzt ihre
geografische Verteilung, ihre Fortpflanzungsart,
ihre Ernährungsweise und vieles andere mehr
beschrieben werden.“
23. Januar 2007. Wir sind an einem unserer
letzten Fanggebiete angelangt, das wir ausgewählt haben, um eine Vergleichsmöglichkeit
zwischen den gesammelten Daten der Zonen
Larsen A und Larsen B zu erhalten. Wir werden dieses Gebiet nach zwei intensiven
Arbeitswochen verlassen. Das Team um Julian
Gutt lässt gerade den ROV (aus dem Englischen:
Remotely Operated Vehicle) zu Wasser. Das
ist ein kleines, ferngesteuertes Unterseeboot,
das mit mehreren Videokameras und
Große Kieselschwammausbeute
auf Deck der Polarstern
Das Schicksal des
Marmorbarsches
er erste Teil der Expedition der
Polarstern befasste sich mit der
Auswertung der Fischbestände um
die südlichen Shetland-Inseln in der Nähe
der Antarktischen Halbinsel. Die russischen
Fischkutter führten hier Ende der Siebziger
bis Anfang der Achtziger Jahre einen intensiven kommerziellen Fischfang durch, der
hauptsächlich zwei Arten betraf: den
Marmorbarsch (oder antarktischen Kabeljau)
und den antarktischen Eisfisch. Der rapide
Einbruch der Barschbestände führte dazu,
dass das Übereinkommen über die Erhaltung
der lebenden Meeresschätze der Antarktis
(CCAMLR) den Fischfang in diesen Gebieten
untersagt hat.
Mehr als 20 Jahre danach sind die
Fischbestände immer noch nicht vollständig
wiederhergestellt, wie Karl-Hermann Kock
vom Institut für Seefischerei in Hamburg
berichtet. „Die Entnahmen, die wir gemacht
haben, sind immer noch unbedeutend. Ich
denke, dass wir veranlasst sein werden, von
einer Wiedereinführung des Fischfangs
abzuraten, wenn wir unsere vollständige
Analyse der Ergebnisse auf der nächsten
Versammlung der CCAMLR vorstellen, die in
sechs Monaten in Hobart in Australien
stattfinden wird.“
D
research*eu Nr. 52 I JUNI 2007
23
2007, DAS POLARJAHR
einem Fotoapparat ausgestattet ist. Nach
ungefähr zehn Minuten Tauchfahrt ist die
Begeisterung bei den Biologen, die erwartungsvoll vor den Kontrollbildschirmen stehen,
groß: Schwämme, Korallen, Seeanemonen,
Seesterne, Seeigel gesellen sich zu anderen
Kreaturen mit exotischeren Namen wie
Bryozoen,
Ascidiae,
Crinoiden
oder
Pycnogonidae. Sie bilden eine farbenprächtige und komplexe Landschaft, die fast die
gesamten Bodensedimente in einer Tiefe von
300 m überdeckt. Welch ein Kontrast zu den
vorangegangenen Tauchgängen!
IPF, Schnittstelle Pole und
Gesellschaft
ie International Polar Foundation (IPF) wurde als Schnittstelle
zwischen der Wissenschaft und der Gesellschaft auf dem Gebiet
der Forschung in den Polarregionen und der Auswirkungen des
Klimawandels in diesen Regionen gegründet. Ziel der IPF ist auch die
Einrichtung einer neuen, ökologisch konzipierten Forschungsstation
auf dem antarktischen Kontinent.
Sie hat sich im Rahmen des Internationalen Polarjahres (1. März 20071. März 2009) dem Alfred-Wegener-Institut, dem CAML, der CousteauGesellschaft und der Polar Embassy angeschlossen, um der Expedition
der Polarstern eine größtmögliche Öffentlichkeit zu geben.
D
Die Lehren aus der Meerestiefe
Die Beobachtungen des Meeresgrundes in
dem Gebiet, in dem sich das frühere Eisschelf
Larsen B bereits aufgelöst hat, sind sehr unter-
© Gauthier Chapelle (IPF)/Alfred Wegener Institute
Das ferngesteuerte
U-Boot wird mit seinen
Videokameras zu
Wasser gelassen
© Julian Gutt/Alfred Wegener Institute
Tiefsee-Meergurke,
aus dem Gebiet von
Larsen B.
© Julian Gutt/Alfred Wegener Institute
Eine amphipode
Krebstierart, 10 cm
lang, noch nicht
beschrieben.
www.polarfoundation.org
© Cédric d'Udekem/Royal Belgian Institute for Natural Sciences
schiedlich. Die Fauna ist hier weniger reichlich und das felsige oder schlammige Substrat
ist immer gut sichtbar. Die Biologen hatten
das erwartet: Vor fünf Jahren war hier noch eine
Eisdecke von rund 200 m Dicke vorhanden, die
den Lichteinfall auf die Wasseroberfläche verhinderte und gleichzeitig jegliches Wachstum
von Phytoplankton (pflanzlichem Plankton) und
Zooplankton, das sich vom Phytoplankton
ernährt, hemmte. Genau diese an der
Wasseroberfläche lebende Gemeinschaft ernährt
normalerweise mit ihren Ausscheidungen und
Überresten das Ökosystem am Meeresgrund.
Was jedoch die Forscher in der Zone Larsen B
überraschte, war die Anwesenheit mehrerer
Arten, die eigentlich der Tiefsee angehören.
„Wir haben mindestens eine Seeigelart, zwei
Holothurienarten (Seegurken) und eine
Crinoidenart (oder Seelilien) gefunden, die
man normalerweise nur in Meerestiefen von
2 000 m oder mehr antrifft“, bemerkt Thomas
24
research*eu Nr. 52 I JUNI 2007
Saucède von der Universität in Dijon, der sich
auf Echinodermata (Stachelhäuter) spezialisiert
hat. „Es ist möglich, dass das Zusammenwirken
der niedrigen Temperaturen (sie schwanken
um die 0 °C-Marke) und der Nährstoffarmut –
die Zufuhr wird nur durch seitliche Zuströme
gewährleistet – für diese Arten ausreichende
Tiefseebedingungen schaffen“, fügt Enrique
Isla von der Universität Barcelona hinzu. Er ist
Spezialist für die Wechselwirkungen zwischen
Wasser und Meeresgrund.
Aber die andere wichtige Entdeckung wurde
im Hinblick auf die Evolution dieser
Gemeinschaften gemacht. Seitdem sich diese
Eisflächen aufgelöst haben, ist das Licht
zurückgekehrt und mit ihm das Plankton und
sein Ökosystem. Deshalb kommen auch die
vom „Planktonregen“ abhängigen Arten des
Meeresbodens zurück.
„In der Zone Larsen B haben wir eine große
Population einer neuen Art von Manteltieren
beobachtet, die schnell heranwächst. In der
Zone Larsen A, wo die Eisfläche seit mehr als
zehn Jahren verschwunden ist, gibt es auch
schon wieder Kieselschwämme, die sehr langsam heranwachsen“, betont Julian Gutt. „Wir
werden so direkt Zeugen der Einflüsse der
Klimaveränderung, die sich in dem Übergriff
der einen Lebensgemeinschaft auf eine andere zeigen. Andere Expeditionen werden unsere
Befürchtungen
hinsichtllich
der
Artenvielfalt vielleicht bestätigen, nämlich,
dass die ursprüngliche Fauna komplett von
den neuen Arten verdrängt wird.“
www.awi.de/en/home/
www.sciencepoles.org.
MEDIZIN
Protokoll der
Antibiotika-Resistenz
D
ie Feinde sind bekannt. Man
bekämpft sie, aber sie werden
von Mal zu Mal widerstandsfähiger. „Sie“, das sind zum Beispiel
MRSA, Methicillin-resistente Staphylococcus
aureus (Staphylokokken) und andere
„Super-Bakterien“.
Diese
pathogenen
Bakterien haben eine Antibiotika-Resistenz
entwickelt. „Das Problem ist in den
Krankenhäusern sehr akut, vor allem auf den
Intensivstationen“, erklärt Lutz Heide,
Professor an der Universität Tübingen (DE),
Koordinator des Projekts CombiGyrase.
„Ältere Patienten und Transplantations- und
Implantationspatienten, die gerade eine
Operation hinter sich haben, sind besonders
anfällig.“
Das Problem, das man in den Industrieländern
aus der Nähe verfolgt, existiert bereits seit
einem halben Jahrhundert und hat sich in den
letzten Jahren verschärft. „Wir kennen die
wachsende Resistenz gegen unsere letzten
Waffen unter den Antibiotika, das Methicillin
und das Vancomycin. Die pathogenen
Mikroben, insbesondere die grampositiven
Bakterien, darunter die Enterokokken und
Staphylokokken, haben eine Resistenz angenommen, die bei sonst harmlosen Infektionen
eine Sepsis oder Lungenerkrankung mit oft
tödlichem Ausgang verursachen können. Das
ist einer der Hauptgründe für die hohe
Mortalität in den Risikogruppen.“
Ungleichgewicht bei Mikroben und
Forschung
Auf der Resistenzebene ist die Situation nicht
einheitlich, weshalb das European Antimicrobial Resistance Surveillance System (EARSS)
mit der Verfolgung des Resistenzverlaufs in 31
Ländern beauftragt wurde. Seine Aufgabe
besteht darin, für bestimmte Bakterien und in
bestimmten Ländern die über 50 % liegenden
Resistenzwerte zu erfassen. „So erhält man
einen guten Überblick über das Verordnungsverhalten. Je mehr Antibiotika (über-) konsumiert
werden, desto höher ist der selektive Druck
auf die Mikroben, und das fördert das
Resistenzverhalten.“ Das ist darwinistisch…
und deshalb ist es notwendig, pausenlos nach
neuen Molekülen zu suchen, dabei den
Einsatz der bereits vorhandenen zu begrenzen
und diese nur im Ernstfall einzusetzen.
Die großen Pharmakonzerne haben im
Großen und Ganzen ihre Forschungen auf
diesem Gebiet eingeschränkt oder sogar
gestoppt. Hält man sich die astronomischen
Entwicklungskosten für ein neues Medikament
vor Augen, versteht man, dass Investitionen in
den Kampf gegen Diabetes, Bluthochdruck
oder andere Leiden, die ein Leben lang
behandelt werden müssen, ertragreicher sind,
als die Suche nach einem neuen Antibiotikum,
das nur von Zeit zu Zeit verschrieben wird.
Gyrase auf dem Prüfstand
Kleinere bis mittlere Biotechnologiefirmen
haben allerdings noch nicht aufgegeben. Zwei
davon sind Partner im CombiGyraseKonsortium. An diesem Konsortium, das von
der Europäischen Kommission mit 1,56 Millionen
Euro über einen Zeitraum von drei Jahren
gefördert wird, sind sieben Partner aus fünf
Ländern beteiligt. Das Ziel ist, eine bislang
unveröffentlichte Methode zur Entwicklung
neuer Antibiotika anzuwenden.
CombiGyrase kann bereits drei Erfolge vorweisen. Der erste ist die Entwicklung einer
Technologie, die durch Gentechnik die
Chancen zur Entdeckung neuer Antibiotika
aus natürlichen Verbindungen steigert. Diese
Bei der Gyrase handelt
es sich um ein Enzym,
das für Bakterien
lebenswichtig ist.
Menschen besitzen
es allerdings nicht.
Daher stellt es ein
ideales Ziel bei der
medikamentösen Behandlung mit Antibiotika
dar (dargestellt durch farbige Punkte).
© Bentham Science Publishers
Das europäische Antibiotika-Forschungsprojekt
CombiGyrase, weckt Hoffnungen im Kampf
gegen die bakterielle Resistenz, die ein großes
Problem in den Krankenhäusern Westeuropas
darstellt.
Methode ist auf industrielle Maßstäbe übertragbar und spart Zeit bei der Suche nach
geeigneten Molekülen.
Der zweite Erfolg, der dieser Strategie zu verdanken ist, ist die Auswahl von fünfzig
Verbindungen aus der Stoffgruppe der Aminocumarine. Diese hemmen das Enzym Gyrase, das
für die Zellteilung und damit die Vermehrung
der Bakterien verantwortlich ist. Damit steht
eine große mögliche Auswahl für ein neues
Antibiotikum zur Verfügung, dessen Interaktion
mit seinem „Ziel“ erwiesen ist.
Schließlich wurde bei diesem Projekt auch ein
Gyrase-Hemmer entwickelt: das Symocyclinon,
dessen Aktionsmechanismus ebenso neu wie
vielversprechend ist. Das nährt die Hoffnung,
dass neue Antibiotika gegen die multiresistenten
Pathogene entdeckt werden, und Europa in
seiner Unterstützung zur Entwicklung herausragender Techniken bestärkt wird. „Mit
Spitzenteams und einem leistungsstarken
Forschernetz nimmt Europa eine Führungsposition auf diesem Gebiet ein“, schließt Lutz
Heide.
Kirstine de Caritat
CombiGyrase
(Development of New Gyrase Inhibitors by
Combinatorial Biosynthesis)
www.combigyrase.org
Dr. Lutz Heide – [email protected]
European Antimicrobial Resistance Surveillance
System (EARSS)
www.rivm.nl/earss
research*eu Nr. 52 I JUNI 2007
25
© Alain Riaublanc/INRA
LANDWIRTSCHAFT
Grüne Rohstoffe
auf dem Vormarsch
Rapsfelder in Lothringen.
Theoretisch können fast alle Erdölderivate aus
Pflanzen im Großanbau erzeugt werden.
Können Landwirte angesichts der globalen
Erderwärmung und der Notwendigkeit, die
Abhängigkeit von den fossilen Brennstoffen zu
reduzieren, auch zu Erzeugern industrieller
Rohstoffe werden? Das europäisch-amerikanische
Konsortium Epobio analysiert die Aussichten
und die Grenzen dieser möglichen Umstellung.
S
eit 1993 fördert die gemeinsame Agrarpolitik die Entwicklung nachwachsender Rohstoffe. Die Bezeichnung
mag neu sein, die Praxis ist es nicht.
Immer schon haben Landwirte Pflanzen angebaut, die beispielsweise Fasern für Bekleidung
oder Industrie lieferten, wie etwa Leinen oder
Hanf. Die Ausstattung der Ford-Automobile in
den 30er Jahren wurde aus Soja-Kunststoff
gefertigt. Daran erinnert sich kaum noch
26
research*eu Nr. 52 I JUNI 2007
jemand. Die „Jahre des Erdöls“, von denen
man allmählich in der Vergangenheitsform
sprechen darf, brachten den Boom auf diesem
Gebiet. Derzeit sind 97 % der chemischen
Produkte Erdölderivate, 1950 waren es nur
4 %. Es ist also ein enormer Forschungs- und
Entwicklungsaufwand erforderlich, damit es
die grüne Chemie aus landwirtschaftlichen
Produkten mit ihrer schwarzen Konkurrentin
aufnehmen kann.
Aber in welche Richtung soll gearbeitet werden?
Welche Produkte sind heute ausgereift? Mit
welchen technologischen Engpässen haben es
die Ingenieure und Forscher heute zu tun? Und
unter welchen Bedingungen können diese
Innovationen wettbewerbsfähig werden? Auf
diese Fragen will Epobio, ein Konsortium aus
zwölf europäischen und US-amerikanischen
Labors, eine Antwort geben.
Eine europäisch-amerikanische
Taskforce
Die Idee für dieses mit Mitteln des 6. Rahmenprogramms finanzierten Projekts stammt aus
der EU/US-Taskforce für Biotechnologien (1).
Auf beiden Seiten des Atlantiks zeigte sich
dasselbe Anliegen, nämlich die Entwicklung
landwirtschaftlicher Produkte im Bereich der
nachwachsenden Rohstoffe voranzutreiben,
und damit sowohl für den Verbraucher als
auch für die Umwelt Vorteile zu erzielen.
Dianna Bowles, Professorin am Centre for
Novel Agricultural Products an der Universität
York (GB) und Koordinatorin von Epobio,
drückt es so aus: „Diese Forschungsarbeiten
© Michel Adiran/INRA
Emulsion aus Lipidtröpfchen mit
einer Tensid-Proteinhülle,
komplett biologisch abbaubar
(hergestellt aus Rapstrester).
LANDWIRTSCHAFT
Natürliche Polymere
Alle Kunststoffe, so unterschiedlich sie erscheinen mögen, sind Polymere, d. h. langkettige
Moleküle, die durch die Wiederholung desselben chemischen Musters gebildet werden.
Kann man für diesen Zweck die zahlreichen
pflanzlichen Polymere verwenden? Bis zum
heutigen Tag ist Stärke das einzige lebensfähige und rentable Beispiel, auch wenn
Kunststoffe aus Stärke noch sehr feuchtigkeitsempfindlich sind. Die Verwendung anderer
pflanzlicher Polymere ist noch wenig erforscht
und oft bleibt die Qualität hinter der von
Produkten aus der Petrochemie zurück. Zudem
bedarf der ökologische Nutzen der Biokunststoffe
einer aufmerksamen Überprüfung.
Auf den ersten Blick scheinen sie besonders
umweltfreundlich zu sein, denn sie sind zu
100% biologisch abbaubar. Aber bleibt die
Ökobilanz auch dann noch zufriedenstellend,
wenn man die gesamte Produktionskette
betrachtet einschließlich des eingesetzten
Düngers (der wiederum Treibhausgase freisetzt),
der Pestizide und des Transports? Sollte nicht
eher das Recycling der existierenden
Kunststoffe gefördert werden? Sollte das Erdöl
künftig nicht lieber ausschließlich für die
Herstellung von Kunststoffen eingesetzt werden, da dieser Bereich weniger als ein
Zwanzigstel der Weltproduktion in Anspruch
nimmt und die erzeugten Produkte volle
Zufriedenheit gewährleisten?
Die Antwort hängt von den Forschungsergebnissen über die Verbesserung des
Guayule, die andere Kautschukpflanze
D
er Hevea-Baum ist bekannt, aber wer kennt Guayule? Dieser in trockenen Regionen
vorkommende Strauch könnte eines Tages auch im Süden Europas intensiv angebaut
werden. Das ist jedenfalls die Schlussfolgerung eines Expertenberichts von Epobio,
der im November 2006 veröffentlicht wurde und der die Qualitäten des Guayule für die
Gewinnung von Elastomer unterstreicht. Dieser Bericht baut auf zwei Feststellungen auf.
Zum einen ist die Europäische Union hochgradig abhängig von den Importen von HeveaKautschuk aus drei Ländern Südostasiens mit gigantischen, extrem schädlingsgefährdeten
Monokulturen. Zum anderen sind immer mehr Menschen (1 bis 6 % der Europäer) allergisch gegen
Latex. Daher entspricht die Suche nach neuen Quellen für Gummi ebenso den strategischen
Interessen der Europäischen Union wie den Bedürfnissen der Verbraucher.
Die Experten von Epobio haben verschiedene Elastomerpflanzen untersucht, wie eine russische
Löwenzahnart (Taraxacum koksaghys) und die Goldrute (Solidago virgaurea), und haben sich
schließlich darauf geeinigt, dass Guayule die meisten positiven Eigenschaften aufweist:
Anpassung an das halbtrockene Klima der Regionen im Süden Europas, Erfahrungen im
Anbau aus den USA und Mexiko, geringe Anforderungen
hinsichtlich der Nährstoffzufuhr für eine zufriedenstellende
Ernte in der Größenordnung von einer Tonne Kautschuk
pro Hektar. Was nach Ansicht der Experten noch zu tun
bleibt, ist eine genetische Verbesserung der Pflanze, die
bislang von den Züchtern verschmäht wurde, sowie die
Entwicklung wirtschaftlicherer Möglichkeiten der
Gewinnung des Rohstoffs.
© University of Arizona & USDA-ARS.
verdienen eine vorrangige Behandlung. Unsere
Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen und
der Klimawandel stellen eine besondere
Bedrohung für unsere Gesellschaft dar. Doch
gibt es zahlreiche Pflanzen, die Erdölprodukte
ersetzen können.“
Hauptgegenstand dieser Forschungsarbeiten
sind Produkte für die Industrie, die aber noch
eine wissenschaftliche Herausforderung darstellen und einer fundierten Einschätzung
bezüglich der wirtschaftlichen Machbarkeit
und etwaiger Risiken bedürfen. Für drei
Themengruppen aus diesem Bereich soll bis
2020 eine Prospektion versucht werden: für
Biopolymere, vor allem zur Produktion von
Kunststoff, für Pflanzenöle und schließlich für
Produkte, die aus der Verarbeitung von
Pflanzenzellwänden hervorgehen.
Wirkungsgrads von Biopolymeren ab. Zu den
verfolgten Ansätzen gehören unter anderem
die Manipulation des Pflanzenstoffwechsels
zur Erhöhung des Polymergehalts, die
Verbesserung der Extraktionsverfahren und
die Untersuchung neuer Biopolymerquellen,
wie beispielsweise Inulin aus Zichorien, oder
die Proteinpolymere.
Was versprechen Pflanzenöle?
Dort, wo die Forschungsarbeit zur industriellen
Anwendung von Polymeren noch stockt, zeigen
sich bei der Verwendung von Pflanzenölen
bereits einige gute Erfolge. Wie der an Epobio
beteiligte schwedische Forscher, Anders
Carlsson,
zurecht
erinnert,
„verfügen
Pflanzenöle über eine ähnliche chemische
Struktur wie die Kohlenwasserstoffe des Erdöls“.
Schon heute werden 15 – 20 % der Pflanzenölproduktion außerhalb des Nahrungsmittelsektors eingesetzt. Es geht also nur darum,
bereits existierende Industrieverfahren an neue
Rohstoffe anzupassen.
Beispiele: Der aus Raps hergestellte Biodiesel
kostet 78 US-Dollar pro Barrel. Das ist ein
Preis, der den Biobrennstoff fast schon kon-
kurrenzfähig gegenüber dem Erdöl macht.
Über ein Drittel der US-amerikanischen
Tageszeitungen wird mit Druckertinten auf
Sojabasis gedruckt. Oder Rizinusöl: Es ist als
einer der besten Industrieschmierstoffe
bekannt. Für den Absatz von Produkten aus
Ölpflanzen ergeben sich also immer mehr und
unterschiedliche Möglichkeiten. Um diese vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten noch zu
fördern und beispielsweise Lösungsmittel,
Farben oder Oberflächenbeläge zu erzeugen,
müssen die Möglichkeiten der Synthese von
Fettsäuren in den verschiedenen Pflanzen
intensiv erforscht werden, da sich jede für eine
bestimmte Art der Anwendung besonders eignet.
Kann Gentransfer dazu beitragen, die Qualität
oder Menge der von einer Pflanze produzierten
Fettsäuren zu beeinflussen? Die Fachleute bei
Epobio beharren darauf, dass es wichtig ist, ein
Projekt mit Durchschlagskraft durchzuführen,
das die Machbarkeit eines solchen Ansatzes des
Gentransfers unter Beweis stellen kann, denn
auch die traditionelle Landwirtschaft steht vor
großen Aufgaben. Die europäische
(1) Siehe FTE Info, Sonderausgabe „Forschung und
Zusammenarbeit“, Juli 2005.
research*eu Nr. 52 I JUNI 2007
27
LANDWIRTSCHAFT
Samen von Melonen und Ringelblumen –
Pflanzen, die für die Herstellung von Pflanzenölen
infrage kommen.
Landwirtschaft zeichnet sich durch die
Besonderheiten ihrer Ölpflanzenproduktion
aus. Spitzenreiter in der weltweiten Pflanzenölproduktion sind Soja-, Palm- und Kokosöl.
Diese Pflanzen sind in der Europäischen
Union praktisch unbekannt, wo das
Spitzentrio Raps, Sonnenblume und Olive
heißt. Es geht also darum, neue Non-FoodAbsatzmöglichkeiten für die in Europa angebauten Ölsorten zu erschließen, die agronomische
Forschung bei vielversprechenden, aber heute
vernachlässigten Ölpflanzen (Leinen, Rizinus
usw.) zu verstärken oder auch die landwirtschaftliche Nutzung von neuen Ölpflanzen,
wie Wolfsmilchgewächse oder Ringelblume,
ins Auge zu fassen.
Biomasse: die pflanzliche
Herausforderung
Die erwartete intensive Entwicklung der
Anwendungsmöglichkeiten von Pflanzenölen
könnte zudem die oben erwähnte, noch
stockende Entwicklung der Biopolymere
beschleunigen. Denn bei der Gewinnung von
Öl aus Ölpflanzen bleibt ein großer Anteil der
Biomasse zurück, die aus Protein- und
Zuckerpolymeren besteht und deren Nutzung
sich lohnen könnte.
Diese umfassende Sichtweise, bei der alle
Bestandteile der Pflanze genutzt werden, wird
mit dem Konzept der Bioraffinerie auf die
Spitze getrieben, in der, ausgehend von pflanzlichen Zellwänden, Dutzende chemischer
Produkte erzeugt werden sollen. Das ist eine
umfangreiche Aufgabe, denn diese widerstandsfähige Membran, welche die Pflanzenzelle
umschließt, stellt 85% der von der Landwirtschaft erzeugten Biomasse dar. „Die
pflanzliche Zellwand hat für die Pflanze eine
Stütz- und Schutzfunktion und ist daher gegen
die Beschädigung durch Mikroorganismen
resistent. Daher sind energieaufwändige
28
research*eu Nr. 52 I JUNI 2007
chemische Verfahren oder eine Enzymbehandlung erforderlich, um die drei
Polymerarten abzubauen, aus denen die
Zellwand besteht: Zellulose, das auf der Erde
am häufigsten vorkommende organische
Molekül Hemizellulose und Lignin. Das unterstreicht der am Projekt teilnehmende deutsche
Forscher Ralf Möller. Bei dieser chemischen
oder enzymatischen Aufspaltung sollen die
Polymere in kleine Moleküle zerlegt werden,
die später nach den Vorstellungen der
Chemiker wieder zusammengesetzt werden:
Dabei erhält man Biokraftstoffe aus der in der
Zellulose enthaltenen Glukose, Harze und
Die Zukunft der Krambe
N
Lösungsmittel aus der in der Hemizellulose
enthaltenen Xylose oder Emulgatoren und
Klebstoffe aus den Phenolen des Lignin.
Bevor sich dieses große Projekt einer grünen
Chemie verwirklichen lässt, ist jedoch noch
Grundlagenarbeit zum Verständnis der Struktur
der Pflanzenzellwand und vor allem zur Klärung
der Möglichkeiten ihrer aus wirtschaftlicher
Sicht ertragreichen Nutzung erforderlich. Die
Bioraffinerien, die vielleicht eines Tages die
petrochemischen Raffinerien der Erdölterminals
ersetzen werden, werden heute in den Labors
der Grundlagenforschung für die Pflanzenbiologie vorbereitet.
Mikhaïl Stein
EPOBIO
( realising the Economic POtential of sustainable
resources - BIOproducts from Non-Food Crops )
www.epobio.net
[email protected]
© Dr. Win Phippen, Western Illinois University
© CNAP (UK)
Schnitt durch eine
Kiefernnadel, bei der
die pflanzliche
Zellwand sichtbar ist.
ach Ansicht der Ingenieure gehören Wachsester
zu den besten industriellen Schmiermitteln, vor
allem in der Automobilindustrie. Sie haben allerdings auch einen gewaltigen Nachteil: Die einzigen
bekannten Quellen sind Walrat (ein Organ im Kopf des
Pottwals) und Jojoba, eine tropische Pflanze. Aber
Walfang ist verboten und eine Tonne Jojobaöl kostet die Crambe abyssinica
astronomische Summe von 5 000 Euro.
Damit es die Wachsester mit den derzeit gebräuchlichen, aus Erdöl gewonnenen Mineralölen
aufnehmen können, schlagen die Wissenschaftler von Epobio einen gewagten Ansatz vor: die
genetische Veränderung der Krambe (Crambe abyssinica), einer in Europa selten angebauten
Ölpflanze. Diese Wahl basiert auf drei Vorteilen, welche die Pflanze gegenüber ihren potenziellen Konkurrenten Raps und Sonnenblume auszeichnet. Zunächst die landwirtschaftlichen
Vorteile: Die Krambe benötigt nur wenig Wasser und Dünger, sie eignet sich nicht zum Verzehr
und das ist für Experten eine wichtige Voraussetzung, damit die europäische Öffentlichkeit
Genmanipulationen an dieser Pflanze akzeptiert. Der letzte Vorteil betrifft die Tatsache, dass
eine Verbreitung der eingeschleusten Gene auf Wildpflanzen unmöglich ist, und damit das oft
kritisierte Risiko einer genetischen „Verschmutzung“ umgangen wird.
Berechnungen von Wirtschaftswissenschaftlern haben gezeigt, dass sich die Erzeugung von
Wachsestern aus Crambe abyssinica wirtschaftlich lohnen würde – vor allem, wenn die nach
der Extraktion verbleibende Biomasse für die Erzeugung von Strom oder Wärme verwendet
werden könnte. Jetzt sind die Molekularbiologen und die Spezialisten für industrielle
Eigentumsrechte an der Reihe. Erstere, weil die Pflanzen mit den für die Biosynthese von
Wachsestern notwendigen Genen ausgestattet werden müssen, und letztere, weil die erforderlichen Verfahren durch zahlreiche Patente geschützt sind.
© Institut für Transurane
GEMEINSAME FORSCHUNGSSTELLE
Atompolizei
im weißen Kittel
Teilchendetektoren, Satellitenüberwachung,
Lasersensoren, Expertensoftware für exotische
Sprachen, Ausbildung von Atominspektoren…
Seit einem Vierteljahrhundert unterstützt die
Gemeinsame Forschungsstelle der Europäischen
Kommission mit ihrer logistischen Erfahrung die
internationale Atomenergieorganisation (IAEO),
deren Auftrag es ist, gegen die Verbreitung von
Kernwaffen vorzugehen.
D
er 1968 von den Vereinten
Nationen verabschiedete Atomwaffensperrvertrag
soll
die
Abrüstung fördern, erkennt aber
gleichzeitig das Recht der Nationen an,
Kernkraft für friedliche Zwecke zu nutzen.
Unter diesem Abkommen ist die überragende
Mehrheit der Staaten der ganzen Erde vereint.
Es fehlen aber einige Schwergewichte: vor
allem die Atommächte Indien, Pakistan und
Israel. Auch Nordkorea, das im Oktober 2006
einen unterirdischen Atomversuch durchführte,
lehnte 2003 die Unterzeichnung des Vertrags
ab. Und der Iran, der sich weigert, die
Urananreicherung einzustellen, verwies die
Inspektoren der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO) des Landes. Ihre Aufgabe
ist die Überwachung der weltweiten atomaren
Aktivitäten, die Rüstungszwecken dienen
könnte.
Die in Wien ansässige Behörde beschäftigt über
2 200 Personen aus 90 Ländern und feiert am
29. Juli 2007 ihr 50jähriges Bestehen. Jedes Jahr
führen 250 Inspektoren rund 10 000 Besuche in
Versuche mit Nuklearbrennstoffen
im Aktinidenlabor.
900 Anlagen in 71 Ländern durch. Ziel dieser
Inspektionen ist es, alle geheimen Rüstungsprogramme aufzuspüren und gegen den illegalen
Handel mit radioaktivem Material vorzugehen,
das für militärische und zivile Zwecke eingesetzt werden kann – das sind vor allem Uran,
Plutonium und Thorium. Im Jahr 2005 wurden
die Behörde und ihr Leiter, der Ägypter
Mohamed El Baradei, vor dem Hintergrund
steigender Spannungen für ihre Bemühungen
mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.
„Unsere Prüfungsmission steht unentwegt
unter Druck“, stellt Olli Heinonen, stellvertretender Leiter der IAEO und Chef der für die
Umsetzung des Atomwaffensperrvertrags verantwortlichen Abteilung, fest. „Der Zugang zu
Bildung und wissenschaftlichen Erkenntnissen
und die sinkenden Technologiekosten
machen die Kernwaffenoption in einigen
Spannungsgebieten attraktiver.“
Die wichtigsten Aufgaben der
Gemeinsamen Forschungsstelle
Um ihrer Aufgabe gerecht zu werden, benötigen
die Inspektoren neueste Hightech-Mittel
research*eu Nr. 52 I JUNI 2007
29
© Institut für Transurane
und eine ständig aktualisierte Ausbildung. Um
beide Voraussetzungen zu erfüllen, ist die
IAEO auf diesbezügliche Anstrengungen der
Unterzeichnerstaaten
angewiesen.
Die
Europäische Union unterstützt die Behörde
mit etwa sechs Millionen Euro im Jahr, indem
sie vor allem speziell durch ihre Gemeinsame
Forschungsstelle (GFS) entwickelte wissenschaftliche und technologische Dienste bereitstellt.
„Die verschiedenen Institute der GFS spielen
seit 1981 eine entscheidende Rolle für den
Betrieb der Behörde“, erklärt Olli Heinonen.
Von der Ausbildung der Inspektoren über die
Entwicklung von Informationssoftware im
Internet oder Satellitenüberwachung bis hin
zu Laboranalysetechniken unterstützen rund
hundert Forscher und Techniker der GFS die
Arbeit der IAEO in 25 Bereichen.
Das Institut für Transurane (ITU) in Karlsruhe
(DE) etwa unterstützt die Inspektoren der
IAEO. Das mit elektrischen Sicherheitszäunen
umgebene Institut beherbergt das einzige
Labor für die Erforschung von Aktiniden,
einer Reihe radioaktiver Elemente, zu denen
Uran, Plutonium und Thorium gehören.
Roboter bei der Arbeit mit radioaktiven Stoffen
in einer heißen Zelle (Hot Cell).
Ausgestattet mit Elektronenmikroskopen,
abgeschirmten Behältern, Massenspektrometern und anderen Geräten für die Analyse
von Radionukleiden beherrschen die
Detektive im weißen Kittel die Analyse der
von den Inspektoren gewonnenen Proben bis
ins Detail. Bereits 1990 wurde ein
Laborroboter entwickelt, der die notwendigen
hochpräzisen Analysen, wie z. B. die chemische
Trennung von Uran und Plutonium, automatisiert. Dadurch wird nicht nur sehr viel Zeit
gespart, die Forscher sind dadurch auch weniger Radioaktivität ausgesetzt.
30
research*eu Nr. 52 I JUNI 2007
Auswertung radioaktiver Fingerabdrücke
Eine der Techniken besteht z. B. darin, ein
Element einer Probe zu verdampfen, um die
daraus resultierenden Dämpfe durch
Vergleich ihrer Zusammensetzung mit den
Referenzmaterialien zu untersuchen. Bei
einem anderen, besonders effizienten
Verfahren wird den Inspektoren ein
Baumwollgewebe zur Verfügung gestellt, das
speziell dafür konzipiert ist, Milliarden von
Partikeln aufzunehmen, die auch in den
geringsten Staubablagerungen einer Anlage
zu finden sind. Mithilfe der Massenspektrometrie isolieren die Forscher des ITU kleinste
radioaktive Teilchen und bestimmen die isotopische Zusammensetzung der Uranpartikel.
„Jegliche nukleare Aktivität hinterlässt
Spuren“, erklärt Klaus Mayer, Leiter des
Labors. „Jedes Element eines technischen
Verfahrens entspricht einem Fingerabdruck
voller Informationen über das Produktionsverfahren und sogar über die mögliche
Verwendung. Ebenso wie ein Polizeilabor
eine Vielzahl von Indizien analysiert, um
einen Kriminalfall aufzuklären (Haare, Fingerabdrücke, Sprengstoffspuren, Fasern, usw.),
analysieren wir sorgfältig die Zusammensetzung
des Isotops, Verunreinigungen, seine makroskopische Erscheinungsform und die Mikrostruktur eines jeden vorliegenden Elements.
Unsere äußerst leistungsfähigen Werkzeuge
erkennen den Ursprung und die beabsichtigte
Verwendung des von den Inspektoren
beschlagnahmten Materials. Einige an einem
Standort aufgenommene Partikel erlauben uns
bisweilen, mehrere Jahre zurückzuverfolgen.“
Die Spürhunde des ITU haben seit den 90er
Jahren rund dreißig Fälle von Kernmaterialschmuggel aufgedeckt. Sie haben es 1994 z. B.
geschafft, am Flughafen München Plutonium
in einem Aktenkoffer auszumachen. Im gleichen
Jahr wurden mehrere Pastillen nuklearen
Brennstoffs sowie ein kleiner Zylinder aus
99,7% reinem Plutonium analysiert, der bei
einer Razzia gegen Geldfälscher beschlagnahmt
wurde.
Referenzmaterialien
Ein anderer Standort der GFS, das Institut für
Referenzmaterialien und Referenzmessungen
(IRMM) in Geel (BE), ist ein weiterer Akteur
der europäischen Zusammenarbeit mit der
IAEO. Dieses Institut beschäftigt sich mit der
© Institut für Transurane
GEMEINSAME FORSCHUNGSSTELLE
Das ITU besitzt das einzige Labor, das für die friedliche
Erforschung der Aktinide eingesetzt wird. Inspektion der
Analysekammer eines Photoelektronenspektrometers.
Qualitätskontrolle bei den Nuklearmessungen
in den europäischen und außereuropäischen
Labors. Hierbei handelt es sich um eine wichtige Aktivität, um die Vergleichbarkeit der
Messergebnisse zu gewährleisten. Das IRMM
hat auch „Normen“ entwickelt, die bei den
Analysen von nuklearem Material als
Vergleichsskalen eingesetzt werden.
Die dritte europäische Einrichtung, das
Institut für Schutz und Sicherheit des Bürgers,
befindet sich in Ispra (IT) und hat zahlreiche
Hilfsmittel entwickelt, die etwa zur Schulung
der Inspektoren oder zur Überwachung ihrer
Mission in der Russischen Föderation dienen.
Dieses Institut führt auch Tests an transportfähigem Material durch, das die Inspektoren der
IAEO mitunter auch unter extremen
Betriebsbedingungen einsetzen.
Inspektor Roboter
Das Institut hat ein Prüfsystem für komplexe
Installationen entwickelt, das unter Einsatz der
Lasertechnologie für Entfernungsmessungen die
herkömmliche Methode der Bestandsaufnahme
verbessert. Videoaufnahmen oder klassische
Fotografien sind nicht präzise genug, um
Veränderungen an kleineren, schlecht
beleuchteten oder selbst gut verborgenen
Orten erkennen zu können. Doch die
Inspektoren müssen jede Veränderung an
einem nuklearen Hochsicherheitssystem ausfindig machen können, die sich als kritisch
erweisen oder sogar auf ein illegales
Programm hindeuten könnte.
Dieses Lasersystem ist mit zahlreichen
Sensoren ausgestattet und kann ein millimetergenaues, dreidimensionales Modell eines
Rohrsystems, eines Reservetanks, einer
Maschinenhalle oder eines ganzen Gebäudes
erstellen. Wenn diese Abtastungen regelmäßig
durchgeführt und die Bilder übereinandergelegt
© Dean Calma/IAEA
© Petr Pavlicek/IAEA
GEMEINSAME FORSCHUNGSSTELLE
Entgegennahme von Proben
in der Abschirmkammer der
IAEO-Labors in Seibersdorf (AU).
Messung der Radioaktivität im Gelände in Georgien
(2002).
werden, lassen sich Veränderungen an einer
Anlage automatisch erkennen.
„Warum wurde der Durchmesser dieses
Rohres verändert? Können Sie diese
Änderungen dokumentieren? Die kleinste
nicht gemeldete Änderung weckt die Neugier
der Inspektoren“, erklärt Willem Janssens,
Leiter der Abteilung für nukleare Sicherheit
bei der GFS.
Im Jahr 2006 wurde dieses System in der
gigantischen Wiederaufbereitungsanlage im
japanischen Rokkasho-mura installiert (38
Gebäude, 1 700 Kilometer Rohrleitungen). Die
GFS hat bereits viele Erfahrungen in den
Wiederaufbereitungsanlagen von La Hague
(FR) und Sellafield (UK) gesammelt und unterstützt auch den Überwachungsauftrag der
IAEO in diesem riesigen Komplex. Europa hat
an diesem Standort auch einen wesentlichen
Beitrag zum Aufbau eines Labors für analytische
Messung und Kontrolle geleistet.
Auf der Suche nach Informationen
Das Konzept der nuklearen Sicherheit hat sich
in den letzten Jahren deutlich verändert.
Grund hierfür waren die Entdeckung eines
geheimen Atomprogramms im Irak (1991), die
Zerschlagung von kriminellen Netzen, denen
Inspektorenweiterbildung
W
enn die 250 Inspektoren der IAEO sicherstellen wollen, dass die Staaten ihren
Verpflichtungen im Rahmen des Atomwaffensperrvertrags nachkommen, müssen sie
die modernsten Techniken und Ausrüstungen kennen, präzise Analysen durchführen
und mit extrem komplexen Informationen und Daten umgehen können.
Zur Unterstützung dieser Aufgabe der IAEO hat das Institut für Schutz und Sicherheit des
Bürgers der GFS unter Einbeziehung aller hohen Verantwortlichen für nukleare Sicherheit der
EU 2005 das Internetportal Surveillance and Information Retrieval entwickelt und verwaltet es
seitdem. Dieses Portal befasst sich mit den technischen Systemen und Neuerungen auf dem
Gebiet der nuklearen Sicherheit (3D-Ansicht, integrierte Kontrollen aus der Ferne, Sicherung
des Informationsaustauschs zwischen Aufsichtsorganen, Suche nach Informationen).
Seit vielen Jahren bietet die GFS auch den Inspektoren der IAEO Schulungen auf höchstem Niveau
an. Ihr Generaldirektor Roland Schenkel macht noch einmal deutlich, dass derzeit
„Weiterbildungsmaßnahmen zur Erweiterung der Kenntnisse über sensitive Anlagen,
Waffenschmuggel und radioaktive Stoffe, Analysetechniken und Kenntnisse für Entscheidungen
über den Standort von Atomkraftwerken“ erforderlich sind. Eine neue Bildungsmaßnahme
ermöglicht ebenfalls die Perfektionierung der Beobachtungs- und Untersuchungsfähigkeiten der
Inspektoren der IAEO, damit diese in die Lage versetzt werden, illegale Aktivitäten zu ermitteln.
Die Kurse der GFS, die das gesamte Spektrum der nuklearen Sicherheit abdecken, sind jedoch
nicht nur für diese Organisation vorgesehen. Einige der Schulungen wenden sich an offizielle
nationale oder internationale Organe, wie z. B. Europol und Interpol, an Zoll- und
Sicherheitsbeamte. Hier können diese sich das notwendige Wissen für die Verhütung und
den Schutz sowie für Aufkärungs- und Identifizierungstechniken aneignen.
auch europäische Unternehmer angehörten,
sowie der blühende Schmuggel nach dem
Zusammenbruch des Sowjetregimes. In dem
Versuch, die Kontrollmechanismen diesen
neuen kriminellen Machenschaften anzupassen, hat die IAEO 1997 ein zusätzliches
Protokoll verabschiedet, das zehn Jahre
danach in 78 Staaten gilt, darunter die 27
Mitgliedstaaten der EU. Dieses Protokoll
erweitert die Ermittlungsbefugnisse der
Inspektoren beträchtlich, denn sie können
von an den Informationsfluss in Bezug auf
potenziell verbotene kerntechnische Aktivitäten
überwachen.
Hierfür bildet die Nachrichtensuchmaschine
Europe Media Monitor (EMM), die ebenfalls
von der GFS entwickelt wurde, ein einzigartiges
Hilfsmittel zur Sichtung von Informationen
weltweit auf diesem heiklen Gebiet (1). EMM
analysiert rund um die Uhr die Presseaktivitäten
von 800 Websites und 25 Presseagenturen in
30 Sprachen, einschließlich Farsi. Das Programm
sammelt, indiziert und analysiert sowohl
Presseartikel als auch zahlreiche Spezialberichte. Diese Informationen werden oftmals
noch durch online verfügbare Satellitenfotos
ergänzt. Filter verknüpfen die Informationen,
werten sie hinsichtlich ihres Interesses aus
und erfassen zusätzliche Analysehilfsmittel,
wie Satellitenbilder. Im Kampf gegen illegale
Machenschaften gibt es keine bessere Strategie
als alles zu wissen.
Cyrus Pâques
(1) Mit etwa 10 000 Schlüsselwörtern bietet EMM eine umfassende
Informationsdatenbank in zahlreichen Gebieten: dazu gehören
Politik, Gesellschaft, Wirtschaft, Technologie und Wissenschaft.
Die Website wird von etwa 20 000 aktiven Benutzern konsultiert.
Sie liefert täglich 25 000 Artikel und versendet rund
4 000 Benachrichtigungen täglich per E-Mail.
AIEA
www.iaea.org/
Websites der GFS
Allgemeine Website
www.jrc.cec.eu.int/
Zusammenarbeit GFS IEAO
http://npns.jrc.it/IAEA-25
Abteilung nukleare Sicherheit
http://nuclearsafeguards.jrc.it/
Surveillance and Information Retrieval
http://sir.jrc.it/
ESARDA
www.jrc.cec.eu.int/esarda/
Europe Media Monitor
http://press.jrc.it/NewsExplorer/
research*eu Nr. 52 I JUNI 2007
31
NANOTECHNOLOGIEN
Die Metamorphosen des
Goldes im Nanobereich
Gold, das seit Jahrtausenden als das „wertvolle“ Metall schlechthin gilt,
rückt immer mehr in den Mittelpunkt des wissenschaftlichen Interesses
allerdings eher wegen seiner funktionalen Eigenschaften als wegen seines
Symbolgehalts. Im Nanobereich zeigt es neue physikalische und chemische
Eigenschaften, die Wissenschaft und Industrie schwärmen lassen.
Krebstherapie, Kampf gegen Umweltverschmutzung oder
Miniaturisierung elektronischer Bauteile sind die
Kernbereiche dieses neuen „Goldrausches“.
100 nm
© Mass Spectrometry Laboratory - Universität Lüttich (BE)
Es wurde allerdings festgestellt, dass bei der
Isolierung von Gold-Nanopartikeln die
Elektronen ihre Bewegungen an die begrenzten Dimensionen und Formen im Nanobereich
anpassen und sehr interessante elektromagnetische Eigenschaften aufweisen. Dadurch eröffnen sich zahlreiche Anwendungsmöglichkeiten
im opto-elektronischen Bereich.
Projekt Adonis – Durch opto-akustische Erregung
von Gold-Nanopartikeln, die biofunktionalisiert und
Ähnlichkeit mit dem Lebenden
an bestimmten Zellen abgelagert sind, wird ein
Gold wird bereits seit der Antike in der
Ultraschall erzeugt, mit dem der Aufbau krankhafter
Medizin eingesetzt, da es bei Kontakt mit dem
Zellen festgestellt werden kann.
Organismus reaktionsträge und korrosionsbeas reaktionsträge und oxidations- ständig ist. Darüber hinaus wird schon heute die
beständige Metall wird seit der Tatsache genutzt, dass Gold biofunktionalisiert
Antike zu medizinischen Zwecken werden kann, sodass es Antikörperproteine
eingesetzt. Es weist eine gute oder Antigene an seiner Oberfläche adsorbieren
elektrische Leitfähigkeit auf und ist wegen kann. Werden die Goldpartikel in den Körper
seiner Farbvariationen und seiner Fähigkeit, eingeimpft, lagern sie sich an bestimmten
Verbindungen mit organischen Molekülen Stellen ab und reagieren auf spezielle
einzugehen, interessant. Soweit zu den klassi- Proteine, mit denen sie verbunden sind. So
schen Attributen des Goldes. Wenn man sich können Krebszellen entdeckt und sogar zerjedoch auf die Ebene der Nanopartikel begibt, stört werden, indem die Goldpartikel mit
offenbart das Edelmetall Eigenschaften, die Infrarotstrahlen erhitzt werden (siehe Kasten).
noch vor kurzem niemand geahnt hätte. In Diese Fähigkeit der Goldpartikel, sich an
diesem Bereich hat man festgestellt, dass es organischem Material abzulagern, wird auch
unerwartete Katalysatorfähigkeiten aufweist eingesetzt, um Schnelltests zur Untersuchung
von Körperflüssigkeiten (Blut, Speichel) auf
und sogar zum Halbleiter wird.
Substanzen,
Allergene
oder
In einer Goldmasse entsteht der Fluss des toxische
elektrischen Stroms durch die Bewegung der Mikroben herzustellen. Die biofunktionalen
frei im Metall beweglichen Leitungselektronen. Goldpartikel lagern sich dabei an den gesuchten
D
32
research*eu Nr. 52 I JUNI 2007
A
B
Im MINT-Projekt soll in integrierten Transistorschaltkreisen im
Nanobereich die Bildung von Nanoverbindungen aus leitfähigen
Gold-Nanopartikeln erforscht werden. Dazu werden
Werkzeuge zur molekularen RNA-Erkennung verwendet,
mit deren Hilfe ein adäquater und kontrollierter
Substanzen ab. Dank ihrer roten Farbe lassen
sie sich schließlich auf einem Teststreifen
sichtbar machen.
Giftgase erkennen und beseitigen
Man hat entdeckt, dass Gold im Nanobereich
auch ein sehr guter Katalysator ist. Die katalytischen Mechanismen sind zwar noch nicht
vollständig erforscht, jedoch wird diese
Eigenschaft bereits zur Verbesserung von
Gasdetektoren eingesetzt. Das europäische
Konsortium Nanogas hat beispielsweise
Folgendes entdeckt: Wenn man Zinkoxid, mit
dem sich geruchloses und doch tödliches
Kohlenmonoxid (CO) aufspüren lässt,
Goldpartikel hinzufügt, erhöht sich die
Empfindlichkeit des Sensors, weil die
Elektronenübertragung beschleunigt wird.
NANOTECHNOLOGIEN
C
D
Selbstaufbauprozess der Nanopartikel hervorgerufen werden
kann (Abbildung C). In Abbildung D ist zu sehen, wie dieser
Selbstaufbau bei zwei im Nanobereich getrennten
Nanoelektroden erreicht wird.
Und dann kommt die Nanoelektronik
Ein weiterer nicht unwichtiger Bereich, in
dem der Nanometer zur Maßeinheit wird, ist
die Elektronik. Für David Cumming,
Koordinator des europäischen Projekts MINT
(Molecular Interconnect for NanoTechnology)
„werden integrierte Schaltkreise den Bereich
von rund zehn Nanometern erreichen. Neue
Herstellungsmethoden werden bereits untersucht“. Aus diesem Zusammenhang stammt
die Idee, Proteine wie DNA oder RNA einzusetzen, die sich falten und selbst organisieren
können, um elektronische Schaltkreise in diesem
Maßstab aufzubauen. Die Herstellung von
Nanokabeln aus mit RNA-Ästen verbundenen
Goldpartikeln oder die Verwendung von
RNA-Netzen als Masken vor der Metallisierung
mit Gold sind nur einige Forschungsbeispiele.
Nun muss nur noch die elektrische Leitfähigkeit
dieser Hybridmaterialien geprüft werden, bevor
vielleicht sogar das Silizium entthront werden
kann.
Pierre-François Brevet, Leiter des Themenbereichs Methoden zur Charakterisierung der
Gold-Nanopartikel der Forschungsgruppe
Gold-Nano (CNRS, FR), ist zwar der Meinung,
dass die Goldpartikel „inert sind und keine
chemischen Reaktionen im biologischen
Milieu auslösen, was ihre biomedizinische
Verwendung rechtfertigt.“ Aber sind sie deshalb
auch ungefährlich? Für den Forscher läge das
Risiko eher bei den bei der Biofunktionalisierung
eingesetzten Molekülen, einem Verfahren, das
anhand von Vorschriften für Experimente mit
neuen Molekülen oder Medikamenten streng
überwacht wird. Um die Unschädlichkeit einer
Anhäufung von Gold im Organismus garantieren zu können, ist es allerdings noch zu früh.
François Rebufat
Nanogas
http://ec.europa.eu/research/industrial_technologies/impacts/article_3011_en.html
MINT
www.elec.gla.ac.uk/mint/
Or-Nano
www.insp.jussieu.fr/or-nano/index.htm
Mit Klang und Licht gegen Krebs
I
m massiven Zustand ist es gelb. Rot, violett oder gar blau wird es, wenn es auf
Partikel im Nanobereich reduziert wird. Diese Eigenschaft ist unter Handwerkern, die
feinstes Goldpulver verwenden, um Glas eine lichtabhängige Färbung zu verleihen,
seit Jahrhunderten bekannt. Sie wird heute zur
Entdeckung von Krebszellen eingesetzt. In sehr
präzisen Dimensionen (5 bis 10 nm) reagieren
die Goldpartikel auf Laseremissionen im
Infrarotbereich, indem sie einen Teil der Energie
als Licht reflektieren, den anderen in Wärme
umwandeln. Nachdem sie mit speziellen
Antikörpern auf die für kranke Zellen spezifischen
Projet Adonis – Durch opto-akustische
Antigene biofunktionalisiert wurden, können sie
Erregung von Gold-Nanopartikeln, die
biofunktionalisiert und an bestimmten Zellen
mit infraroten Strahlen, die das biologische
abgelagert sind, wird ein Ultraschall erzeugt,
Gewebe durchdringen, angestrahlt werden.
mit dem der Aufbau krankhafter Zellen
Auf diese Weise können die Partikel mithilfe
festgestellt werden kann.
der Magnetresonanztomographie sichtbar
gemacht werden. Jedoch bleiben „diese Techniken in Fällen wie dem Prostatakrebs zu
ungenau, um Zustand und Entwicklung zu bestimmen“, erläutert Robert Lemor,
Koordinator des europäischen Projekts Adonis, das sich dieser typischen
Männerkrankheit widmet.
Dieses europäische Projekt läuft seit einem Jahr und verwendet ebenfalls Ultraschall
zur Lokalisierung der Gold-Nanopartikel. Werden diese bestimmten Infrarotfrequenzen
ausgesetzt, senden sie einen bestimmten Ton aus, der durch Ausdehnen und
Zusammenziehen des Materials verursacht wird. „Die Verbindung optischer und akustischer Detektoren bietet größere Präzision, weil die akustischen Methoden viel tiefer
in das Gewebe eindringen“, erläutert Robert Lemor.
Die Erkennung ist lediglich eine erster Schritt und das Konsortium plant auch
Therapieverfahren. Durch Veränderung der Wellenlänge des Lichts sowie der Größe
und Form der Nanopartikel kann der reflektierte thermische Energieanteil im
Vergleich zur Lichtemission erhöht werden. Das an der Krebszelle abgelagerte Partikel
wird erhitzt. Unter 60 °C wird die Durchlässigkeit der Membran verändert und die Zelle
zerstört. Dieses Verfahren wird derzeit in vitro getestet und könnte bei verschiedenen
Tumoren eingesetzt werden, nachdem für jeden einzelnen diejenigen Zellen ermittelt
wurden, an denen sich die Goldpartikel ablagern müssen.
www.fp6-adonis.net
©Institute of Applied Physics – University of Bern (CH)
Tritt der Sensor mit einem CO-Molekül in
Kontakt, erhält er ein Elektron, ändert seine
elektrische Leitfähigkeit und überträgt ein Signal.
Die Katalysefähigkeit der Gold-Nanopartikel
wird auch dazu genutzt, Kohlenmonoxid oder
bestimmte andere toxische Gase zu verändern
und somit zu filtern. In Gegenwart von
Sauerstoff ist Gold das einzige Metall, das CO
bei Umgebungstemperatur oxidieren kann,
wodurch das weniger toxische CO2
(Kohlendioxid) gebildet wird. Andere Verfahren
zur Reduktion von Stickoxiden oder zur
Oxidation von Methan werden derzeit untersucht. Die Industrie hofft, damit die Leistung
von Auspuffkatalysatoren oder von Filtern für
Gasmasken erhöhen zu können. Schon heute
werden Goldpartikel in geruchsbindenden
Filtern eingesetzt, wie zum Beispiel zur
Verbesserung der Luft in japanischen Toiletten.
research*eu Nr. 52 I JUNI 2007
33
PORTRÄT
Jerzy Buzek, ein
Wissenschaftler D
in der
Politik
Es gibt Zeitabschnitte, die uns ein
Leben lang prägen. Für Jerzy Buzek
waren das die 13 Monate zwischen
der Gründung von Solidarność am
31. August 1980 und dem ersten
Kongress der Gewerkschaft, der am
10. Oktober 1981 zu Ende ging.
Dreizehn Monate, die die
Geschichte Europas verändert
haben. Dreizehn Monate des
Aufruhrs, die Jerzy Buzek, damals
Direktor eines Instituts der
Wissenschaftsakademie, dazu
brachten, zu einem der
angesehensten Politiker Polens
und schließlich zu einem
einflussreichen Mitglied im
Europäischen Parlament zu werden.
34
research*eu Nr. 52 I JUNI 2007
Jerzy Buzek – „Der
Verfassungsentwurf ist
gescheitert, weil er die
Bürger nicht
angesprochen hat.
Diese brauchen konkrete
Projekte, die ihre
Lebensqualität
verbessern können.“
en Wendepunkt seiner Laufbahn
sieht Jerzy Buzek jedoch an einem
früheren Zeitpunkt, nämlich im Jahr
1972. Als junger Forscher am
Institut für chemische Verfahrenstechnik in
Gliwice geht er nach Cambridge, um dort ein
wissenschaftliches Praktikum zu absolvieren.
Von der Royal Society wir ihm ein Stipendium
angeboten, mit dem er in England bleiben könnte. Zur großen Überraschung seiner Kollegen
lehnt er das Angebot ab. „Ich möchte nach Polen
zurückkehren, da der Sozialismus nur dort
gestürzt werden kann. Das will ich nicht verpassen.“ Ein Visionär? Vielleicht, aber auf jeden Fall
einer mit Geduld. Die 70er Jahre verbringt er in
der „grauen Tristesse“ des sozialistischen Polens,
in seiner Geburtsregion Oberschlesien. Dort
erforscht er die energetische Optimierung der
Kohleindustrie und die Chemie von
Schwefeldioxyd. Auch hier ist er Visionär und
legt die theoretischen Grundsteine für eine
Reduzierung der Schadstoffemissionen durch die
Industrie, die von der damaligen Regierung vollständig vernachlässigt wurden.
Der Aufstieg von Solidarność
Mit der Reise von Papst Johannes Paul II. nach
Polen wird die Gesellschaft aufgerüttelt.
Diskussionen kommen in Gang, Verbindungen werden geknüpft, ein kräftiger
Wind der Freiheit weht durch das Land. Obwohl er evangelisch ist – er gehört
zu den 80 000 Polen lutherischer Konfession, die meistens aus Oberschlesien
stammen, – nimmt Jerzy Buzek an einer gigantischen Messe teil, einem
sowohl politischen als auch religiösen Ereignis, zu dem sich 2 Millionen
Menschen in Krakau versammelt haben. Im darauf folgenden Sommer
kommt es in Danzig zu den ersten Streiks. Jerzy Buzek verfolgt die
Entwicklung im Fernsehen, jedoch vorwiegend über parallele
Informationskanäle. Nach Legalisierung von Solidarność übernimmt er die
Leitung der Gewerkschaft in seinem Institut und engagiert sich bei ihrer
Entwicklung. Er reist durchs Land, leitet Hunderte von Versammlungen
und arbeitet an der Struktur der untypischen Organisation, die er heute als
„ein Netz der Netze der Zivilgesellschaft“ bezeichnet. Seine Energie, seine
Entschiedenheit und seine Überzeugungskraft wirken Wunder. Als
Solidarność mit bereits 10 Millionen Mitgliedern im Herbst 1981 ihren ersten nationalen Kongress abhält, wird er zum Präsidenten des Kongresses
gewählt. „Das war das wichtigste Ereignis in meinem Leben, von dem sich
dann alles Weitere abgeleitet hat.“
13. Dezember 1981. In Polen wird das Kriegsrecht verhängt. Buzek weiß,
dass er verhaftet werden kann. Das Institut bietet ihm ideale Deckung,
denn für die Staatspolizei erscheint er als hervorragender Wissenschaftler, der
sich in seine Arbeit stürzt. Das stimmt natürlich, allerdings nimmt er auch
an der geheimen Leitung von Solidarność teil. „Eine außergewöhnliche
Lehrzeit, in der ich wirklich gelernt habe, was Politik ist.“ Professor Buzek
am Tag und Karol – sein Pseudonym – in der Nacht. Ein irres Arbeitstempo,
PORTRÄT
das noch durch eine harte private Prüfung verschärft wird: Seine Tochter wird schwer krank
und er muss zusammen mit seiner Frau nach
Deutschland reisen, um sie behandeln zu lassen.
Die Tochter wird zwar wieder gesund, aber aufgrund dieser harten Prüfung kann er bei den
Umwälzungen im Sommer 1989 nicht dabei sein.
Anfang der 90er Jahre ist Lech Walesa Präsident
und die UdSSR gibt es nicht mehr. Jerzy Buzek
arbeitet in seinem Labor und interessiert sich für
saubere Kohle und Treibhausgase.
Ein Ministerpräsident auf dem
Weg in die EU
Als die ehemaligen Kommunisten 1996 wieder in
der Regierung sitzen, wenden sich seine Freunde
von Solidarność an Jerzy Buzek. Die
Gewerkschaft begibt sich auf das politische
Parkett und gründet hierfür auch eine Partei, die
„Wahlaktion Solidarność” (AWS). Er überwacht
die Ausarbeitung des Wirtschaftsprogramms und
erklärt sich „aus Gefälligkeit“ dazu bereit, ohne
vorherigen Wahlkampf als Kandidat bei den
Parlamentswahlen anzutreten. Dann fährt er
nach Spanien in den Urlaub. Dort erhält er einen
Telefonanruf: „Wärst du bereit, Premierminister
zu werden?“ Die AWS hat im Bündnis mit etwa
30 anderen Parteien die Wahl gewonnen und
seine Freunde von Solidarność setzen auf seine
moralische Autorität als Verbindungsglied zwischen den verschiedenen politischen Strömungen
dieser Mitte-Rechts-Koalition. Obwohl er bis zu
jenem Zeitpunkt auf der nationalen politischen
Bühne unbekannt ist, wird er doch aufgrund
seiner menschlichen Wärme und moralischen
Strenge von der Öffentlichkeit positiv aufgenommen. Die vier Jahre, ein Rekordzeitraum in Polen
seit dem Demokratisierungsprozess 1989, die er
im Posten des Premierministers verbracht hat,
waren kein Spaziergang. „Reformen waren dringend notwendig und sie mussten schnell durchgeführt werden gleich in den ersten Monaten.“
Gebiets- und Verwaltungsreform des Landes
mit Verringerung der Wojewodschaften von 49
auf nur noch 16; Neustrukturierung des
Steinkohlebergbaus, wodurch die Anzahl der
Bergleute halbiert wird; zahlreiche Privatisierungen usw. Jerzy Buzek zieht sich den wachsenden öffentlichen Unmut zu, verfolgt aber
weiter seinen Kurs, überzeugt, dass dies die
einzige Strategie ist, mit der sich sein großes Ziel,
nämlich der Beitritt Polens zur Europäischen
Union, verwirklichen lässt.
Politik und Energie
2001 erleidet die AWS eine verheerende
Wahlniederlage. Nach vier Jahren an der Spitze
des Landes ist es für Jerzy Buzek fast unmöglich,
wieder in sein Institut zurückzukehren. Er gibt
Konferenzen „ich werde viel öfter darum gebeten, über die internationale Politik zu reden als
über Energie, die beiden Gebiete sind aber auch
eng miteinander verknüpft...“ Er macht sich
Gedanken über die Fragen zur Energiesicherheit
und gründet eine Stiftung, um die Entwicklung
der polnischen Zivilgesellschaft zu fördern. 2004
wird er als Abgeordneter in das Europäische
Parlament gewählt, wo er seine Kameraden aus
den
abenteuerlichen
Solidarność-Jahren,
Bronisław Geremek, Jan Kułakowski und Jacek
Saryusz-Wolski, wiedertrifft. „Alle waren
Mitglieder meiner Regierung und wurden mit
den besten Wahlergebnissen des Landes
gewählt. Die Polen haben endlich den Sinn unserer Aktion verstanden“, sagt er, als wolle er die
Blessuren der aufreibenden Jahre an der Spitze
des Landes vergessen machen.
Der Rückschlag, den das Projekt „Europa“ in jüngerer Zeit erlitten hat, betrübt ihn, ohne ihn
jedoch niederzuschlagen. „Der Verfassungsentwurf ist gescheitert, weil er die Bürger nicht
angesprochen hat. Diese brauchen konkrete
Projekte, die ihre Lebensqualität verbessern können. Frieden in Europa, eine gemeinsame
Währung, freier Personenverkehr das waren
solche Projekte.“ Und jetzt? „Ein konkretes und
mobilisierendes Ziel für den europäischen
Aufschwung wäre eine gemeinsame Energiepolitik. In Anbetracht der Probleme mit
Gaslieferungen aus Russland und dem Kampf
gegen den Treibhauseffekt erscheint diese als
immer wichtiger.“ Hinter dem Europaabgeordneten tritt deutlich der Professor Buzek mit
seinen 200 Veröffentlichungen und seinen drei
Patenten im Bereich Energie zum Vorschein.
Mikhaïl Stein
Jerzy Buzek
Kurzbiographie
1940 geboren in Śmiłowice, das damals dem
Deutschen Reich angeschlossen war
1963 Abschluss an der Fakultät für
Energiewirtschaft der Technischen
Universität in Schlesien
1981 Vorsitzender des ersten
Solidarność-Kongresses
1996 Ministerpräsident Polens
2004 Mitglied des Europäischen Parlaments
2006 vom Parliament Magazine zum besten
europäischen Abgeordneten des Jahres
in der Kategorie Forschung und
Technologie gewählt
www.buzek.pl/index.php
Einer der Akteure des 7. Rahmenprogramms
m Europäischen Parlament war Jerzy Buzek der Ansprechpartner der Kommission bei der
gemeinsamen Erarbeitung des 7. Rahmenprogramms. Er ermöglichte die kurzfristige
Annahme bereits in erster Lesung (Juni 2006) des Projekts der Kommission , deren
Berichterstatter er ist. Die Europaabgeordneten haben jedoch bedauert, unzureichende
Mittel bereitgestellt zu haben: 50 Milliarden Euro sind für den Zeitraum 2007-2013 vorgesehen. Das entspricht einem Anstieg um 40% im Vergleich zum Vorgängerrahmenprogramm.
„Wir hätten gerne die doppelte Summe gehabt. Wahrscheinlich haben wir hier unsere
Chance verpasst.“ Auch wenn er sich in diesem Punkt nicht durchsetzen konnte, hat das
Europäische Parlament doch etwa 700 Änderungen vorgeschlagen. Die wichtigsten
davon sind: die Definition neuer vorrangiger Themenbereiche, wie z. B. Weltraum und
Sicherheit; die Rahmenbedingungen für die Stammzellenforschung, einschließlich des
Verbots der Zerstörung von Embryonen zu Forschungszwecken; der Schwerpunkt auf
der Chemie oder die Erweiterung der Energieforschung um drei Prioritäten
(Energieeffizienz, nachhaltige Energien, Forschungen auf dem Gebiet sauberer
Kohletechnologien und der Kohlenstoffbindung). In den beiden letzten Bereichen lässt
sich unschwer der Einfluss des Wissenschaftlers Jerzy Buzek erkennen. Auf dem heiklen
Terrain der Stammzellenforschung kam sein Verhandlungstalent zum Einsatz.
I
research*eu Nr. 52 I JUNI 2007
35
CHANCENGLEICHHEIT
Geschlechtergleichstellung
Welche Entwicklung lässt sich bei der
Berücksichtigung der Gleichstellung der
Geschlechter in der öffentlichen Politik in Europa
erkennen? Welchen Einfluss hat das von der EU
befürwortete Prinzip der Chancengleichheit
auf die nationalen Strategien? Wie wirkt es sich
in der Realität auf die jeweilige Stellung von
Frauen und Männern in der Gesellschaft aus?
Das Equapol-Projekt hat den Ansatz des
„Gender-Mainstreamings“ in acht europäischen
Ländern (1) untersucht. Hierbei lag der
Schwerpunkt auf zwei großen Bereichen:
der Einkommensverteilung und der Bildung.
Momentaufnahme einer vielschichtigen
Landschaft.
A
ngesichts der geschlechtsspezifischen Benachteiligung sind Männer
und Frauen, je nachdem in welchem
Land sie leben, noch lange nicht
gleichgestellt. Von den acht Ländern, die von
fünf Forscherteams im Rahmen des EquapolProjekts zwei Jahre lang untersucht wurden,
ist Schweden das Musterbeispiel. Dort wird
„Alles“ unternommen, um die Unterschiede
bei Rechten, Status und Behandlung zu überwinden. Man kann hier von einem wahren
„integrierten Konzept“ der Gleichstellung der
Geschlechter sprechen. Mit diesem systematischen Ansatz sollen die strukturellen Wurzeln
der geschlechtsspezifischen Benachteiligung
zwischen den Welten von Männern und
Frauen bekämpft werden.
Das schwedische Modell
Die geschlechtsspezifische Benachteiligung
wird hier als ein Problem der Machtverhältnisse
verstanden, von dem kein Bereich ausgenom-
men ist. Das Gender-Mainstreaming nach
skandinavischem Modell durchzieht folglich
das ganze sozialökonomische Leben, die
staatlichen Maßnahmen, die Zivilgesellschaft,
die Organisationen und Vereinigungen und
im weiteren Sinne auch die Werte und
Einstellungen, von denen die Privatsphäre
geprägt wird – wie z. B. häusliche Gewalt.
Diese Philosophie funktioniert, da sie einen
breiten Konsens widerspiegelt und sie förmlich
an die politischen Prozesse gebunden ist.
Ministerien (von denen sich eines ausschließlich
mit der Gleichstellung von Männern und
Frauen beschäftigt), Behörden auf sämtlichen
Ebenen, Unternehmen und Vereinigungen
sind an diesen Bestrebungen beteiligt. Eine
zentrale Rolle kommt den Experten zu, deren
Studien und Meinungen insbesondere bei
öffentlichen Ausgaben großen Einfluss auf
wichtige Entscheidungen haben. „Geschlechterforschung“ hat sich zu einem eigenständigen
Forschungsgebiet entwickelt, das seit Ende
(1) Belgien, Frankreich, Griechenland, das Vereinigte Königreich, Irland, Schweden, Litauen, Spanien.
36
research*eu Nr. 52 I JUNI 2007
der 70er Jahre von der Regierung unterstützt
wird. Fast alle Universitäten bieten
Studiengänge zu dieser Problematik an.
Diese stark institutionalisierte Berücksichtigung
ist hier, ganz anders als in fast allen anderen
untersuchten Ländern, ein langfristiges
Engagement. Zur Bewertung der Auswirkungen
wird die 3-R-Methode herangezogen. R steht
dabei für Repräsentation (Männer und Frauen
teilen sich die Rollen in Politik, Unternehmen
usw.), für Ressourcen (Löhne und Gehälter,
Renten, Subventionen für kulturelle bzw.
sportliche Aktivitäten usw.) und für Realität
(qualitative Analyse der Situation sowie der
eventuellen kulturellen Unterschiede).
„Einer der hier greifenden Erfolgsfaktoren ist
die Zeit“, bemerkt Mary Braithwaite, technische
Koordinatorin von Equapol. „Schweden kann
auf eine lange Tradition bei der Gleichstellung
der Geschlechter und auch bei der Gleichstellung
im Allgemeinen zurückblicken. Das nordische
Modell ist für das übrige Europa von großer
Bedeutung, selbst wenn die skandinavische
Praxis auch mögliche Übertreibungen der
Technokratie, des Legalismus und der
Bürokratie zeigt. Es wäre jedoch eine schlechte
Ausrede, diese Hemmnisse vorzuschieben,
um dieses Konzept nicht gutzuheißen oder
anzunehmen.“
Transversalität
Andere Länder wenden ein „transversales“
Modell der Chancengleichheit an, das sich
durch die verschiedenen Regierungsebenen
zieht. Dies trifft besonders auf Staaten bzw.
Regionen zu, die durch eine Tradition positiver
Maßnahmen geprägt sind, wie Belgien und in
gewissem Maß auch Frankreich oder auch
Andalusien.
„Frankreich und Belgien unterscheiden sich
voneinander. In Frankreich kamen die
Initiativen aus der Zivilgesellschaft und wurden
dann von der Regierung aufgegriffen und
berücksichtigt. Das erfolgte jedoch mehr in
Form von Prinzipien als in Form von Taten,
wodurch zwischen Theorie und Praxis eine
CHANCENGLEICHHEIT
in kleinen Schritten
tiefe Kluft besteht. In Belgien gingen die
Initiativen, oftmals im Rahmen positiver
Maßnahmen, von politischen Instanzen aus,“
erklärt Salimata Sissoko, Forscherin an der
Freien Universität Brüssel.
Die belgische Bundesregierung hat 1999 „ihre
Rolle bei der Durchsetzung der Gleichstellung
von Frauen und Männern“ anerkannt. Dieser
Initiative liegt die Forderung zugrunde, dass
der übergreifende Charakter der Gleichstellung
anerkannt werden muss. Zwei Jahre später
nahm die Regierung einen strategischen Plan
für die Gleichstellung an und schuf eine
Mainstreaming-Einheit (inzwischen abgeschafft). Sie bestand insbesondere aus wissenschaftlichen Sachverständigen, welche die auf
diesem Gebiet zutreffenden Maßnahmen
ermitteln und bewerten sollten. Seit
Dezember 2002 ist das Institut pour l’égalité
des femmes et des hommes (Institut für
Gleichstellungsfragen) die öffentliche bundesländerübergreifende Institution. Ihre Aufgabe
ist es, die Gleichstellung von Frauen und
Männern zu gewährleisten und zu fördern
sowie jegliche Form von Diskriminierung und
Benachteiligung aufgrund des Geschlechts zu
bekämpfen. Als föderal organisiertes Land profitiert Belgien auch von der Dezentralisierung,
die besondere Initiativen auf dem Gebiet der
Gleichstellung der Geschlechter möglich
macht – Flandern beispielsweise hat zahlreiche Maßnahmen im Bereich der Bildung ausgearbeitet.
„Folglich wurde in Belgien ein institutioneller
Rahmen geschaffen: Gründung des Instituts,
kürzlich vorgenommene Änderungen des
Rechtsrahmens, Projekte zur geschlechtlich
neutralen Formulierung bei der Klassifizierung
von Funktionen bzw. Berufen, Projekte zur
Gleichstellung usw.“, fügt Salimata Sissoko
hinzu. „Was fehlt, sind die Verpflichtungen,
die über die einfachen formellen Antworten
auf supranationale Anforderungen (Europa,
Vereinte Nationen und andere) hinausgehen.
Außerdem scheinen die Akteure vor Ort nicht
unbedingt über die notwendigen Kenntnisse
und ausreichenden Finanzmittel zu verfügen.“
Impuls durch die Europäische Union
Das von der EU angeregte Modell wird von
den Forschern von Equapol als ein dritter Weg
angesehen. Die Einbeziehung der Gleichstellungsthematik in die Politik ist nämlich
eine Forderung der EU, die an die im Rahmen
der europäischen Struktur- und Sozialfonds
angebotenen Finanzierungen gebunden ist.
„Dieser Impuls von oben konnte nur umgesetzt werden, weil eine derartige Politik mit
den formellen und informellen Erwartungen
der Basis, insbesondere denen der Frauenrechtsorganisationen und Netzwerke, zusammentraf“, bemerkt Mary Braithwaite.
„Die Intervention der Europäischen Union,
insbesondere die Finanzierungspolitik des
Europäischen Sozialfonds, war für Griechenland
von großer Bedeutung“, meint Maria
Stratigaki, Professorin an der PanteionUniversität Athen und wissenschaftliche
Koordinatorin von Equapol. „Auch wenn das
europäische Aufbauwerk in erster Linie wirtschaftlicher Art ist, können wir dennoch durch
die Unterstützung der sozialen Chancengleichheit
auf dem Arbeitsmarkt auch auf der
Bildungsebene, bei der Chancengleichheit in
Schulen, bei der Berufsausbildung, der
Schaffung von Kinderbetreuungseinrichtungen
usw. tätig werden. Ich weiß nicht, wo wir
heute ohne Europa wären.“
In Griechenland wie auch anderswo hat dieser
externe Impuls nicht wirklich zu einem „integrierten Konzept“ geführt.“ Für die Forscher
von Equapol wird das EU-Modell in den meisten Fällen auf der bürokratischen bzw. technologischen Seite als Selbstzweck
research*eu Nr. 52 I JUNI 2007
37
CHANCENGLEICHHEIT
Mit oder gegen den
Strom?
ender-Mainstreaming. Diese unnatürliche Formulierung erinnert an den
Hauptstrom eines Flusses, der die
„Hydrologie“ der Gesellschaft strukturiert. Sie
bezieht sich nicht auf die biologischen
Unterschiede sondern auf die sozialen, die
Männer und Frauen trennen können. Das
Mainstreaming beinhaltet eine globale Strategie, welche diese Gender-Dimension berücksichtigt,
um existierende bzw. potenzielle Benachteiligungen zu beseitigen. Eine derartige Strategie
unterstützt idealerweise alle Maßnahmen, Aktionen bzw. Politiken, die Diskriminierung zur
Folge haben könnte, und wird auf ein breites Spektrum von Bereichen angewandt (Governance,
Bildung, Wandel der Einstellungen usw.).
Das Gender-Mainstreaming kam 1995 nach der dritten Weltfrauenkonferenz der Vereinten
Nationen (Peking) auf und wird seit 1991 in den Maßnahmenprogrammen der Europäischen
Union in Bezug auf die Chancengleichheit berücksichtigt. Zum Gender-Mainstreaming hat die
Kommission eine Mitteilung und der Europarat eine Empfehlung verfasst. Bereits im Vertrag von
Amsterdam von 1997 wird die Gleichstellung von Frauen und Männern „zu einer besonderen
Aufgabe der Gemeinschaft erklärt und als horizontales Ziel festgeschrieben, das alle
Gemeinschaftsaufgaben berührt“.
G
umgesetzt. Der umfassende Ansatz wird verfehlt und es wird keine Verbindung zu den
anderen Elementen hergestellt, die ebenfalls
auf Chancengleichheit abzielen. Trotz der
Grundsätze, die der Europäischen Union
wichtig sind, lässt das wahre GenderMainstreaming offensichtlich auf sich warten.
Gleichstellung über das
Geschlechterproblem hinaus
Andere Strategien sind auf dem Vormarsch.
Ausgehend von dem Prinzip, dass die
Probleme der Benachteiligung sich nicht auf das
Geschlecht beschränken, werden seit einigen
Jahren im Vereinigten Königreich, insbesondere
in Schottland, Nordirland und Wales,
Gleichstellungskonzepte auf allen Gebieten
umgesetzt. Diese politischen Maßnahmen zur
„Wiederherstellung des Gleichgewichts“
berücksichtigen Situationen, bei denen das
Geschlecht eine Rolle spielt, genauso wie
Behinderungen,
Rasse
oder
sexuelle
Ausrichtung. Ihre Befürworter sind davon
überzeugt, dass dadurch die Unterstützung,
die Mittel, aber auch die Möglichkeiten für
den Aufbau von Verbindungen über
„Identitätsschnittpunkte“ (Geschlecht und
Rasse, Geschlecht und Alter) möglich sind.
38
research*eu Nr. 52 I JUNI 2007
„Ob es uns gefällt oder nicht, ein generelleres
Gleichstellungskonzept ist auf dem Vormarsch“,
erklärt Mary Braithwaite. „Einige Anhänger des
Gender-Mainstreamings sehen im Übrigen
auch Vorteile in dieser globalen Furcht vor
Benachteiligungen, unter der Bedingung, dass
die Frage der Gleichstellung von Frauen und
Männern nicht verblasst und ihre ganz speziellen Probleme berücksichtigt werden.“ Für
Maria Stratigaki ist es jedoch nicht unbedingt
positiv, wenn „die Gleichstellung der
Geschlechter in den anderen Benachteiligungsproblemen untergeht“. „Frauen sind keine
Minderheit… Die Struktur und die Art der
geschlechtsspezifischen Benachteiligung sind
völlig anders, sodass andere Strategien und
andere Projekte zum Tragen kommen müssen.“
Mehr Forschung …
Wenn auch die europäische Politik generell
die Rechtmäßigkeit und die Glaubwürdigkeit
der nationalen Bemühungen bei der
Chancengleichheit bestätigt hat, so „scheint
doch die Unterstützung positiver Maßnahmen
durch die Europäische Union zu versiegen“,
kann man im Bericht von Equapol lesen. Was
sind die Gründe für diesen Abwärtstrend? Die
allgemeinen Ziele der Gleichstellung wurden
zu einem Zeitpunkt ausgearbeitet, zu dem das
internationale und das skandinavische
Konzept großen Einfluss auf die Gleichstellung
der Geschlechter hatten, während die aktuelle
Bildungs- und Sozialschutzpolitik (und die
Sozialpolitik generell) im Rahmen der Prioritäten
von Lissabon berücksichtigt werden. Diese sind
viel stärker auf „Wettbewerbsfähigkeit“ und den
„Arbeitsmarkt“ ausgerichtet.
Die Forscher von Equapol plädieren für eine
Konzentration der Maßnahmen auf die vorrangigen Bereiche unter Einbeziehung weiterer Interessengruppen, ohne sich dabei auf
kurzfristige Projekte zu beschränken. In ihrem
Abschlussbericht kommen sie zu dem Schluss,
dass „die Politik der Gleichstellung von
Frauen und Männern sowie das Konzept der
Integration nicht nur den Politikern oder den
politischen Strukturen, in denen Männer
dominieren, überlassen werden dürfen.“
Weiterhin kommen sie zum Schluss, dass
zusätzliche Kenntnisse über die Gleichstellung
der Geschlechter, die Benachteiligung sowie
die Auswirkung der politischen Maßnahmen
auf diesem Gebiet erforderlich sind. Daher
wären weitere Beurteilungen, Statistiken,
Datensammlungen, Forschungen nötig. „Wie
lässt sich erklären, dass die Unterschiede bei
Löhnen und Gehältern von Frauen und
Männern weiter bestehen, obwohl wir doch
Belege dafür haben, dass diese Benachteiligung
nicht auf den beruflichen Fähigkeiten von
Männern und Frauen beruht? Wie kommt es,
dass Medien und Werbung auch weiterhin ein
derart konservatives und sexistisches Bild der
Frauen und Männer und ihrer Beziehung
untereinander
verbreiten?
Zahlreiche
Forschungsstudien müssten noch durchgeführt werden, wie z. B. die Untersuchung der
unsichtbaren Barrieren (psychologischer, kultureller, sozialer oder religiöser Art), die einer
Gleichstellung der Geschlechter im Weg stehen“,
schlussfolgert Mary Braithwaite.
Christine Rugemer
www.equapol.gr/
Maria Stratigaki
[email protected]
Mary Braithwaite
[email protected]
FORSCHUNG UND MEDIEN
Mehr Wissenschaft auf
dem Bildschirm
die Eröffnung mehrerer pädagogisch und wissenschaftlich orientierter Zonen sowie eine Reihe
innovativer Dienstleistungen für interessierte
Jugendliche und Fachleute.
Sind Form und Inhalt „gut konzipiert“, können
Wissenschaft und Technik im Fernsehen Erfolg haben.
Einige Wissenschaftsmagazine im Fernsehen haben
bemerkenswerte Einschaltquoten allerdings sind diese
oftmals auf die landesweite Forschung beschränkt.
Um die Bedeutung der europäischen Dimension in
diesem Bereich zu veranschaulichen, hat die
Kommission vor zwei Jahren eine Reihe von Initiativen
ins Leben gerufen. Hervorzuheben sind hier insbesondere
AthenaWeb, die professionelle Online-Plattform für wissenschaftliche Fernsehprogramme, und Futuris, das
neue mehrsprachige Magazin zur europäischen
Forschung, eine Gemeinschaftsproduktion mit dem
Sender Euronews.
AthenaWeb online
Nur sehr wenige europäische Wissenschaftssendungen berichten über die jeweiligen
Landesgrenzen hinaus. „Die Produzenten kennen
die Forschungserfolge und die Wissenschaftler
ihres eigenen Landes und die der USA, wissen aber
oft nicht, was in den anderen europäischen
Ländern passiert“, betont Patrick Vittet-Philippe,
Medienkoordinator in der Generaldirektion
Forschung und Initiator dieser beiden Projekte.
„Wir möchten erreichen, dass die Forschung auch
in ihrer europäischen Dimension gezeigt wird.
Über viele Jahre hinweg konnte mithilfe der
Forschungsrahmenprogramme in ganz Europa und
sogar weiteren, darüber hinausgehenden Ländern
ein Kooperationsnetzwerk zwischen Universitäten,
Forschungsinstituten und Unternehmen aufgebaut
werden. Das wissenschaftliche Fernsehen muss
dieser Tatsache unbedingt Rechnung tragen.“ (1)
Damit mehr audiovisuelle Dokumente in Europa
zirkulieren und der Zugang zu wissenschaftlichen
Bildern erleichtert wird, hat die Kommission vor
zwei Jahren die Plattform AthenaWeb ins Leben
gerufen. Diese wendet sich an Kommunikationsfachleute im Bereich des wissenschaftlichen
Fernsehens. Mithilfe dieses Netzwerks konnte eine
Online-Datenbank eingerichtet werden, die heute
über 750 verfügbare Titel umfasst. Das Beste, was
das wissenschaftliche Fernsehen in Europa zu bieten hat, ist per Webstreaming in hoher Qualität
abrufbar. Gegenwärtig sind 7 500 Fachleute auf
dieser Website registriert. Hier können sie ihre
Produktionen anbieten, nach Projekten suchen,
Bilder kaufen und austauschen, aber vor allem
auch neue Programme produzieren.
Nachdem es bereits mit dem Preis QuickTime 2006
ausgezeichnet wurde, hat AthenaWeb bei den
Rencontres Internationales Image et Science (Paris
im Oktober 2006) den Argos-Preis für die beste wissenschaftliche Website erhalten. Es wurden besonders
„die Qualität des pädagogischen und kulturellen
Ansatzes, die Reichhaltigkeit und Vielfalt der Inhalte,
die elegante Form und die stringente Anordnung
der angebotenen Navigationsmöglichkeiten“
gewürdigt. Damit ist auch schon alles gesagt…
oder fast alles, denn AthenaWeb blickt in die
Zukunft und bereitet aktiv die Revolution des
„Breitbandfernsehens“ vor. AthenaWeb beabsichtigt nämlich, 2007 der ultimative europäische
Fernsehsender für Wissenschaft im Internet zu werden.
Die Website bietet Fachleuten und der breiten
Öffentlichkeit neue Funktionen. Dazu gehören u. a.
Futuris auf dem Bildschirm
Im letzten Jahr hat die Generaldirektion Forschung
mit einer wissenschaftlichen Gemeinschaftsproduktion mit Euronews einen weiteren originellen
Weg beschritten. Die Programme dieses Senders
werden gleichzeitig in sieben Sprachen ausgestrahlt
und können in 120 Ländern von 188 Millionen
Haushalten empfangen werden. Täglich sehen
mehr als 7 Millionen Fernsehzuschauer diesen
Sender. Futuris ist ein Magazin zur europäischen
Forschung, das zweimal in der Woche ausgestrahlt
und täglich wiederholt wird (2). Es besteht aus
8-minütigen Sequenzen, in denen Projekte aus allen
Bereichen der Forschung vorgestellt werden
(Gesundheit, Umwelt, Industrietechnologien usw.),
die direkten Einfluss auf den Alltag nehmen bzw.
Antwort auf allgemeine Fragen der Gesellschaft
geben.
Mit insgesamt 15 Millionen Fernsehzuschauern in
zwei Wochen (1,5 bis 2 Millionen über Euronews
und 12 bis 14 Millionen bei den Wiederholungen
auf anderen Sendern) ist Futuris grandios gestartet
und die Einschaltquoten steigen weiterhin konstant
an. Außerdem sind eine japanische Version und
eine Version in Mandarin für die Ausstrahlung in
China in Vorbereitung. „Die öffentlichen
Fernsehanstalten müssen im Prinzip einen Dreisatz
respektieren: informieren, bilden, unterhalten.
Häufig kommt jedoch die Wissenschaft im
Lastenheft der Fernsehsender gar nicht vor. Durch
Initiativen wie Futuris und die Gemeinschaftsproduktion von wissenschaftlichen Filmen, die vor
einem Jahr von der Generaldirektion Forschung
gestartet wurden, kann diesem Trend etwas entgegengesetzt, und Wissenschaft und europäische
Forscher einem breiten Publikum besser bekannt
gemacht werden.“
Christine Rugemer
(1) Alle Zitate stammen von Patrick Vittet-Philippe.
(2) Futuris ist auch den 74 Sendern der European Broadcasting
Union (EBU), privaten Fernsehsendern sowie professionellen
Vertretern aus dem wissenschaftlichen Medienbereich zugänglich,
die es als Bilddatenbank und Informationsquelle nutzen können. Die
Episoden von Futuris sind im Webstreaming auf verschiedenen
Websites abrufbar (Euronews, GD Forschung usw.). Außerdem ist
eine Auswahl kostenlos auf DVD erhältlich (auf Anfrage per E-Mail
bei <[email protected]>)
www.athenaweb.org
www.euronews.net/index.php?page=futuris&lng=2
www.euronews.net
research*eu Nr. 52 I JUNI 2007
39
KURZ GEFASST
WISSENSCHAFT GRIFFBEREIT
Warum, wie und mit wem kommunizieren?
Wenn Wissenschaft und Forschung anerkannt werden wollen,
müssen sie sich nach außen öffnen und bekannt machen.
Zwei Bücher über die Wissenschaftskommunikation wollen
zusätzliche Aufklärung bieten. Das Ganze wird von einer DVD
der Europäischen Organisation für Molekularbiologie EMBO
perfekt ergänzt.
Communicating European
Research 2005 sammelt Beiträge
von Experten, die an der von der
Europäischen Kommission zu
diesem Thema organisierten
Konferenz (Brüssel, November
2005) teilgenommen haben.
Darunter sind Analysen von
Wissenschaftlern und europäischen
„Vermittlern“ zum Sinn der
Wissenschaftskommunikation zu
finden, zu den Pflichten und den
neuen dazugehörigen Strategien
sowie zu den manchmal
schwierigen Beziehungen zwischen
den an diesem Prozess beteiligten
Akteuren. Ist es so schwierig
„wissenschaftlich“ zu Laien zu
sprechen? Wie steht es mit den
wahren und falschen Auffassungen
über die Beziehungen zwischen
Forschern und Journalisten?
Kann die Medialisierung den
Wissenschaftlern eine Falle stellen?
Müssen Sie dennoch die
Kommunikation als eine
40
research*eu Nr. 52 I JUNI 2007
Zwangsaufgabe ihres Metiers
ansehen? In Rund vierzig Artikeln
werden einige wichtige Ansätze
der Wissenschaftskommunikation
behandelt, während Beispiele für
die Verbreitung der Wissenschaft
in speziellen Gebieten (Umwelt,
Nanotechnologien usw.) diesen
Rundgang abschließen.
„Die Teilnehmer an von der Union
geförderten Projekten sind seit
dem 6. Rahmenprogramm 2002
bis 2006 zur Verbreitung der
Ergebnisse verpflichtet“, bemerkt
Michel Claessens, Konferenzleiter
und Herausgeber des Buches. „Ziel
ist es, die Wissensverbreitung zu
fördern, die Öffentlichkeit für die
Forschung stärker zu sensibilisieren sowie das Niveau der
Transparenz und der Ausbildung
zu erhöhen. Kommunikation ist
der Schlüssel für eine Gesellschaft
des Wissens.“
Communicating European
Research 2005 – Herausgegeben
von Michel Claessens, 248 Seiten,
Springer 2007
www.springer.com
Hands-On Guide for Science
Communicators: A Step-by-Step
Approach to Public Outreach
stellt sich als ein (sehr) praktischer
Führer durch die Wissenschaftskommunikation dar. „Der Kampf
um ein offenes Ohr bei den
Medien ist endlos. Wissenschaft
konkurriert mit politischen
Ereignissen und spannenderen
Themen. Die beiden Hauptakteure,
Forscher und Journalisten, haben
viele Gemeinsamkeiten, beispielsweise die Objektivität und die
Neugier. Aber es gibt auch viele
Unterschiede, die zu Konflikten
führen können. Deshalb wird die
Rolle des Referenten für
Öffentlichkeitsarbeit (PIO) als professioneller Vermittler immer wichtiger
und trägt zur bestmöglichen
Wissenschaftskommunikation
bei“, erklärt Lars Lindberg
Christensen von der Europäischen
Weltraumorganisation (ESA).
Mit oder ohne PIO, mit seinem
Werk kann man in die Geheimnisse
der „Öffentlichkeitsarbeit“
vordringen: Methoden, Strategien,
Budgets, Zielgruppen, verschiedene Akteure, „Produktarten“,
Krisenkommunikation, Werbung.
Hier findet man nützliche Links
und ein Glossar (Terminologie und
Konzepte). Eine Fallstudie zum
Hubble, Spezialgebiet des Autors,
der bei dieser Gelegenheit
außerdem spannende Bilder aus
der Astrophysik vorstellt, ist auch
dabei. Eine „Gebrauchsanweisung“
für einen wirksamen Sprung ins
kalte Wasser, der auch noch jene
überzeugen wird, die bislang
davor zurückschreckten.
Lars Lindberg Christensen,
Hands-On Guide for Science
Communicators: A Step-by-Step
Approach to Public Outreach,
270 Seiten, Springer 2007
www.springer.com
Your Science in Their Hands. Das
ist der direkte und ausdrucksreiche
Titel einer DVD, die von der
Europäischen Organisation für
Molekularbiologie EMBO
herausgegeben wurde. Sie soll die
Wissenschaftler im Umgang mit
Kommunikationsstrategien vertraut
machen. 45 Minuten Argumente,
Beispiele und Ratschläge, um
ihnen Appetit auf ein Interview zu
machen und sie zu ermutigen, an
Debatten teilzunehmen und ihre
Forschungen vorzustellen. Andrew
Moore, der für das Programm
Wissenschaft und Gesellschaft der
EMBO verantwortlich ist, hat sich
nicht ohne Erfahrung in dieses
audiovisuelle Abenteuer gestürzt.
Bereits seit Jahren veranstaltet er
Workshops und Konferenzen über
die Beziehung zwischen Forschern
und Medien und arbeitet dazu mit
Bernard Dixon Obe (Chefredakteur
des Magazins New Scientist und
anerkannter britischer
Wissenschaftsautor) zusammen.
In diesem Dokument werden auch
Auszüge aus einem von Dixon
Obe moderierten Workshop der
EMBO aufgenommen und durch
weiteres didaktisches Material
ergänzt, mit dem das Thema
zusammenhängend dargestellt
werden kann.
KURZ GEFASST
DVD
www.embo.org/scisoc/media_dvd.htm
Workshops
www.embo.org/scisoc/media.html
Darwins gesammelte Werke
online. Das Gesamtwerk von
Charles Darwin im Internet zu
veröffentlichen, ist die Aufgabe,
die sich die renommierte britische
Universität Cambridge gestellt hat.
The Complete Work of Charles
Darwin Online umfasst derzeit
über 50 000 Seiten Texte
(Manuskripte, Originalausgaben
und spätere Ausgaben, Kataloge
usw.) und 45 000 Bilder. Bislang
unveröffentlichte Werke sollen
ebenso der breiten Öffentlichkeit
zugänglich gemacht werden.
Darunter fallen Expeditionsberichte
© Abdruck mit der
freundlichen
Genehmigung der
Cambridge University
Library und William
Darwin
http://darwin-online.org.uk/
Wissenschaftsläden bilden eine
Brücke. Anwohner eines Viertels
beschweren sich über die
Wasserqualität. Studenten bestätigen dies, nehmen Kontakt mit den
Verantwortlichen der städtischen
Versorgungsbetriebe auf und
schlagen technische Lösungen
vor, mit denen die Lage verbessert
werden kann. Dies ist ein Beispiel
für die Dienstleistungen, die ein
Wissenschaftsladen anbieten kann.
Diese „Läden“ schlagen auf ihre
Weise eine Brücke zwischen der
Zivilgesellschaft und der Welt der
Forschung. Sie sind häufig mit
Universitäten verbunden und ihre
Verantwortlichen beantworten die
eingebrachten Fragen zum größten
Teil kostenfrei oder in seltenen
Fällen gegen ein geringes Honorar.
Das zugehörige internationale
Netzwerk Living knowledge stellt
eine Website vor, deren Besuch
sich lohnt. Dort findet man
Fallstudien, Veröffentlichungen,
Datenbanken, nützliche Adressen,
einen Newsletter des Netzwerkes
und die Möglichkeit, an Foren teilzunehmen. Die Initiative wird von
der Europäischen Kommission
gefördert.
Experimente bei sich zu Hause
machen, durch die
Forschungseinrichtungen in aller
Welt wandeln und sich über aktuelle Neuigkeiten informieren können. Sie können zum Beispiel im
Rahmen eines Detektivspiels die
Hintergründe der DNA erkunden
oder in spielerischen
Experimenten feststellen, dass
Hefe lebt.
www.scienceshops.org/
[email protected]
Ein Kinderspiel… TryScience ist
ein interaktives Werkzeug, mit
dem (selbst junge) Kinder
www.tryscience.org/
Dauerausstellung
© MHN
von Darwin in Südamerika,
Australien und auf den
Galapagosinseln aus der Zeit
zwischen 1831 und 1836. Dieses
Projekt wird von John van Wyhe,
leidenschaftlicher Forscher am
Christ College, geleitet. Aus dem
Erfolg dieser Website ist ersichtlich,
dass er seine Leidenschaft mit vielen
Menschen teilt: sie ist seit dem
Oktober 2006 online und wird
täglich von 25 000 Besuchern
besucht. Voraussichtlich bis zum
Jahr 2009 (zweihundert Jahre nach
der Geburt dieses Visionärs und
150 Jahre nach der Veröffentlichung
des Werks On the Origin of Species)
wird die darwinsche Enzyklopädie
mit Übersetzungen, neusten
Ausgaben und den meisten
Archivbildern der Universität
Cambridge erweitert worden sein.
Brrrr … die Eiszeit ist da Ist
der Erde sind. Aber man erfährt vor
allem, wie sich diese geheimnisvollen Eismassen „bewegen“
und wodurch das Packeis bedroht
wird, vor allem durch den
schlimmsten Feind, den
Klimawandel.
Gleichzeitig wird in dem Schweizer
Museum die Ausstellung Die Zeit
des Mammuts präsentiert, die das
nationale naturgeschichtliche
Museum von Paris verwirklicht hat.
Ihnen der Name Louis Agassiz ein
Begriff? Der schweizer Zoologe,
Paläontologe und Gletscherforscher
(1807-1873), passionierter und
sehr produktiver Naturgeschichtler
(über 20 Werke mit 2 000
Zeichnungen in 14 Jahren),
interessierte sich erst für die
Gletscher seines Landes, bevor er
eine steile Karriere in den USA
machte. Auf beiden Seiten des
Atlantiks gründete er Museen: das
Museum für Naturgeschichte von
Neuchâtel (CH) und das Museum
für vergleichende Zoologie von
Cambridge (USA). Das erste würdigt
ihn nun mit einer Lehrausstellung
über Gletscher. Man erfährt was
Findlinge, Moränen und die Albedo
Die Ausstellung läuft bis zum
21.10.07 (16.09.07 für die Mammuts).
www.museum-neuchatel.ch
[email protected]
Gletscher Zermatt, von Joseph
Bettanier (im Hintergrund).
Der Rückzug der alpinen Gletscher
ist ein Beweis für die heutige
Klimaerwärmung.
Der Aletschgletscher (Wallis)
1900 und 2004.
© WWF/Gesellschaft für ökologische Forschung
„Dieser Film ersetzt keine Treffen,
Workshops und praktische
Übungen, aber er sensibilisiert für
das Thema“, erläutert Andrew
Moore. „Ich beobachte bereits seit
Jahren, dass junge Wissenschaftler
an der Kommunikation mit Laien
interessiert sind, aber dass ihre
Vorgesetzten damit oft eine große
Wertminderung verbinden.
Außerdem ist es für den jungen
Wissenschaftler oft schwer, das
Labor zu verlassen, um an einem
Workshop zu diesem Thema teilzunehmen. Ich hoffe, dass unsere
DVD dabei hilft, dieses Problem
ein wenig zu kompensieren…“
Der nächste Media Workshop,
den die EMBO anbietet, hat den
Titel Fun and games with media
communication und wird im
kommenden Juli stattfinden.
Hielo Norte glacier
(Patagonien, Chile).
© Christophe Dufour
research*eu Nr. 52 I JUIN 2007
41
KURZ GEFASST
PÄDAGOGISCHE ECKE PUBLIKATIONEN
Plopp! (rechts) und platsch! (links): die
Oberfläche der Bälle, die in der gleichen
Geschwindigkeit auf die Oberfläche auftreffen,
macht den Unterschied.
European
Information
Technology
Observatory 2006
Aktualisiert im Oktober 2006 –
44 Seiten – ISSN 0947-4862
World Energy
Technology
Outlook – 2050
(WETO-H2)
2006 – 161 Seiten –
ISBN 92-79-01636
www.eito.com/order.html
Jährlicher Leitfaden zur
Markttendenz in der Wirtschaft der
EU, nach Produkt-Typ.
Platsch! oder plopp?
Was gibt es Unspektakuläreres
als das Platschen, das hörbar ist,
wenn man einen Kieselstein ins
Wasser wirft und häufig von
aufspritzendem Wasser begleitet
wird. Aber manchmal hört man
auch nur ein leises „Plopp“,
wenn der Kieselstein eintaucht,
und die Wasseroberfläche
bewegt sich kaum.
Wo liegt der Unterschied in diesen
beiden Fällen? Die Forscher des
Labors für Festkörperphysik und
Nanostrukturen (CNRS/Universität
Lyon 1) haben gezeigt, dass die
Eintrittsgeschwindigkeit eine
bestimmte Schwelle überschreiten
muss, damit man ein „Platsch“
hört. Das Geräusch entsteht, wenn
sich das Luftloch, das sich beim
Eintreten des Kieselsteins ins
Wasser bildet, verschließt. Diese
Erkenntnis ist nicht neu.
Das Bemerkenswerte an dieser
Forschungsarbeit ist die
Feststellung, dass der Wert der
Eintrittsgeschwindigkeit von der
Oberflächenbeschaffung des
Kieselsteines abhängt. Mit anderen
Worten: Eine hydrophile, das
Wasser anziehende Kugel, zum
Beispiel eine spiegelblanke
Glaskugel, gibt selbst bei hoher
42
research*eu Nr. 52 I JUNI 2007
Geschwindigkeit nur ein kleines
„Plopp“ von sich, während eine
hydrophobe, Wasser abweisende
Kugel, eine Kugel mit einem
mehrere Nanometer dicken
Silanschichtmantel beispielsweise,
mit einem großen „Platsch“
eintaucht, egal bei welcher
Eintrittsgeschwindigkeit.
Die Forscher haben den Versuch
mit zwei Kugeln unter gleichen
Geschwindigkeitsbedingungen
durchgeführt (siehe Abbildung).
Die Eintrittseigenschaften sind
also durch die Veränderung der
molekularen Eigenschaften der
Oberfläche des Festkörpers
steuerbar. Man hatte nicht erwartet,
dass solche winzig kleinen Details
auch Phänomene auf der
Makroebene beeinflussen können,
weil das den bisherigen
physikalischen Erklärungen zur
Beschreibung dieser Phänomene
entgegensteht. Die Bildung von
Luftlöchern steuern zu können, vor
allem von unerwünschten, wenn
z. B. Schiffe die Wellen brechen,
könnte sich als nützlich erweisen.
Lydéric Bocquet
[email protected]
Mit freundlicher Genehmigung des
Pressedienstes des CNRS (FR).
www2.cnrs.fr/presse/
Nanomedicine –
Nanotechnology
for Health
2006 – 39 Seiten –
ISBN 92-79-02203-2
publications.europa.eu/opoce/
index_en.htm
Eine Vorschau zur Entwicklung der
Energiefrage in der Welt bis 2050, die
ein grundlegendes Szenarium und zwei
Alternativen anbietet: die Zwänge der
Kohle und die Wasserstoffwirtschaft.
An einem Modell zur Simulation der
globalen Energieversorgung
unterstreicht der Bericht die Aufgaben
im Bereich Energie, Umwelt und
Technologie, denen Europa in den
kommenden Jahren gegenübersteht
[email protected]
Marine-related
Research
and the Future
European
Maritime Policy
Strategische Forschungsagenda der
Europäischen Technologieplattform
zur Nanomedizin.
Sustainable
Agriculture,
Fisheries and
Forestry – FP5
Research Results
1998-2006
2006 – 630 Seiten –
ISBN 92-79-02243-1
publications.europa.eu/opoce/
index_en.htm
Katalog mit 305 Projekten und
Forschungsnetzwerken, die über das
RP5 finanziert werden.
2006 – 56 Seiten –
ISBN 92-79-02687-9
publications.europa.eu/opoce/
index_en.htm
Eine Zusammenfassung der
Beiträge, die im Rahmen der
Europäischen
Forschungsrahmenprogramme zur
Marine- und Meeresforschung bis
jetzt verfasst wurden, aktualisierte
Fragen und Maßnahmen.
Errata (Druckfehler)
In unserer Sonderausgabe „Das Abenteuer der Materie und des Lebens“ –
die den Forschungen des Eiroforum gewidmet ist – ist der letzte Satz des
Interviews mit David Ward (UK-AEA) über die „Wette“ der Kernfusion (S. 13)
beim Seitenlayout verschoben worden. Es muss heißen:
„Und um auf ihre anfängliche Frage zurückzukommen, ich glaube, dass es sich für
dieses Ziel lohnt.“
Ein weiterer Fehler ist uns am Ende der Seite 2 bei den Referenzen zum Bild
auf dem Deckblatt unterlaufen. Es handelt sich nicht, wie angegeben, um
ein „Hubble-Bild des Kugelsternhaufens 47 Tuc“ sondern um ein Bild eines
Galaxienhaufens, aufgenommen vom VLT der ESO in Chile.
(www.eso.org/outreach/press-rel/pr-1999/phot-16-99.html).
KURZ GEFASST
MEINUNG
Das verborgene Gesicht des europäischen Paradoxons
Dass es Europa nicht gelungen sein soll, aus
den maßgeblichen Investitionen in Forschungsprojekte, die von Universitäten und öffentlichen Forschungseinrichtungen durchgeführt
wurden, auch einen kommerziellen Nutzen zu
ziehen, ist eine geläufige Meinung. Das nennt
man das europäische Paradoxon. Die
Vereinigten Staaten scheinen da viel besser
abzuschneiden. Ihre öffentlichen Forschungseinrichtungen sind direkt mit der Gründung
von
weltweit
wettbewerbsfähigen
Unternehmen und erfolgreichen Produkten
verbunden. Im Gegensatz dazu gelten die
europäischen Hochschulforscher als weniger
„unternehmerisch“ und das führt zu einem
Defizit bei Technologietransfer zwischen
Hochschulen und Unternehmen.
Bis vor kurzem verhinderte ein Mangel an
Vergleichswerten eine geeignete Bewertung
der reellen Situation. Eine jüngst veröffentlichte
Studie von Cataline Bordoy und Anthony
Arundel, Forscher bei UNU-MERIT in den
Niederlanden – ein Forschungs- und Bildungszentrum der Universität der Vereinten Nationen
(UNU) – zeigt allerdings, dass Europa zumindest hinsichtlich des formellen Technologietransfers besser abschneidet als bisher
angenommen. Bei zwei von drei Indikatoren
für die aktuelle kommerzielle Verwertung der
öffentlichen Forschung – erteilte Lizenzen
und Start-ups – liegen Europas öffentliche
Forschungseinrichtungen vor denen der USA,
mit 20% mehr Lizenzen und 40% mehr
Firmenneugründungen pro Millionen Dollar
Forschungsausgaben in 2004. Bei einem dritten
Indikator – Lizenzeinnahmen als Anteil der
Forschungsausgaben – liegt Europa mit 10%
weniger Lizenzeinnahmen als amerikanische
Universitäten knapp hinter den USA.
Die Vergleichbarkeit amerikanischer und
europäischer Daten ist problematisch, und das
gute Abschneiden Europas bei den Einnahmen
aus Lizenzen geht auf die gute Leistung der
staatlichen Forschungseinrichtungen zurück.
Außerdem, so die Forscher von Unu-Merit, sei
keiner der drei Indikatoren Maßstab für die
erfolgreiche kommerzielle Verwertung öffentlicher Forschung. „Ein junges Unternehmen
kann auch bankrott gehen. Eine Lizenz kann
unbrauchbar sein und Einnahmen aus Lizenzen
können auch erzielt werden, ohne dass ein
Unternehmen eine Erfindung kommerzialisiert
oder Gewinne daraus erzielt.“ Gleichwohl
sind die Ergebnisse faszinierend und zeigen,
dass die europäischen Hochschulforscher
einen weitaus besseren Geschäftssinn besitzen,
als gemeinhin angenommen.
Offene Wissenschaft
Arundel und Bordoy betonen, dass die
Unternehmen von Forschungsergebnissen
nicht nur über die direkten und formalen
AGENDA
„Jacques Monod Conference“ –
Umweltgenomik
European BioPerspectives –
En Route to the
Knowledge-Based Bioeconomy
9.-13.06.2007 – Roscoff (FR)
Die Konferenz wird vom
französischen nationalen
Forschungszentrum CNRS
veranstaltet. Bei dieser 3. Konferenz
der Begegnungsreihe Jacques
Monod über Biowissenschaften
und die nachhaltige Umwelt stehen
Beiträge von 29 Referenten im
Vordergrund. Sie befassen sich mit
genomischen Ansätzen, die auf
unterschiedliche Modelle angewandt werden, von Bakterien über
Mikroalgen oder Pflanzen bis zu
den Fischen. Der letzte Termin mit
dem Thema: „Evolutionäre Genetik
der Beziehungen zwischen Wirt
und Parasit“ ist für September
(22.-26.09.2007) vorgesehen.
30.05 – 01.06.2007 – Köln (DE)
Im Rahmen der deutschen
Ratspräsidentschaft wird diese
Veranstaltung die wichtigsten
Veränderungen vorstellen, die die
Biotechnologien bei allen größeren
industriellen Aktivitäten im Laufe
der nächsten 25 Jahre bewirken
werden. Abschluss wird die
Präsentation einer EntwicklungsCharta in der Form des „Kölner
Appells“ sein.
www.bioperspectives.org/
Verbindungen zu den Forschungsinstituten (auf
Vertragsbasis und durch Lizenzvergabe) profitieren können, sondern auch durch die sogenannte
„offene“ Wissenschaft. Dabei wird Wissenschaft
über wissenschaftliche Zeitschriftenartikel kommuniziert, es werden Konferenzen besucht
und lockere Kontakte zu Wissenschaftlern
gepflegt.
„Eine zu starke Fokussierung auf Indikatoren
des formellen Technologietransfers könnte
die politischen Entscheidungsträger dazu verleiten, diesen auf Kosten eines Technologietransfers über Medien der offenen Wissenschaft
stärker zu unterstützen. Das könnte sich als
Irrtum herausstellen. Das europäische Paradoxon
geht vielleicht eher auf eine schwache Leistung
des Systems der offenen Wissenschaft zurück,
da der formelle europäische Technologietransfer im Großen und Ganzen recht gut
abschneidet. Da offene Wissenschaft aber keine
klaren Spuren hinterlässt, im Gegensatz zu
Patenten, Lizenzverträgen und Firmenneugründungen, sollten neue Indikatoren entwickelt werden, mit denen man die
Auswirkungen der offenen Wissenschaft auf
die kommerzielle Verwertung der öffentlichen
Forschung messen kann.
EuroNanoForum 2007 Nanotechnology in Industrial
Application
19.-21. 06. 2007 – Düsseldorf (DE)
Der große jährliche Termin des
EuroNanoForum 2007
www.euronanoforum2007.eu/
8th EMBO/EMBL Conference
on Science and Society –
‘The Future of our Species –
evolution, disease and
sustainable development’
2.-3.11.2007 – Heidelberg (DE)
Diese multidisziplinäre Konferenz
befasst sich mit Überlegungen
über das evolutionäre Schicksal
der Menschheit und dem
Zusammenhang mit der
Biosphäre, auf die sie einen immer
Wangu Mwangi
Unu-Merit, Maastricht (NL)
[email protected]
größeren Einfluss nimmt – wie es
die Klimaerwärmung zeigt.
www.embo.org/scisoc/
conference07.html
TSCF 2007 Hawaii Conference
on Ethnic Diversity
15.-19.11.2007 –
Oahu, Hawaii (USA)
Diese Konferenz über die wachsende multiethnische Dimension
der Gesellschaft wird von der
Social Capital Foundation (TSCF),
einer unabhängigen internationalen
gemeinnützigen Organisation mit
Sitz in Brüssel, veranstaltet.
www.socialcapital-foundation.org/
conferences/2007/aboutus.htm
research*eu Nr. 52 I JUNI 2007
www.cnrs.fr/sdv/cjm/cjmyoung.html
43
COMMUNICATION
BILD
DER WISSENSCHAFT
DE LA SCIENCE
Auf dieser Falschfarbenaufnahme ist der große Gletscher San-Quintin
im Süden Chiles abgebildet. Er erstreckt sich bis in die Ebene.
Die Vegetation auf den Hängen ist rot dargestellt. Die Gletscherzunge
mündet in einen See (im Bild links). Sie ist umgeben von Endmoränen,
die sie vor sich herschiebt.
Tal- und Muldengletscher reagieren sehr viel schneller auf
Temperaturschwankungen als polare Gletscher. Bei einigen
Andengletschern wurde ein starker Rückgang festgestellt.
In der Mitte des Bildes ist ein Gebiet zu sehen, das 1994 noch
zu einem großen Teil mit Eis bedeckt war.
Auf dieser Seite zeigen sich die Wissenschaften von einer ihrer schönen Seiten. Die Abbildung verweist indirekt auf das Dossier
zum Klima und auf den Start des Polarjahres. Sie ist Teil der Ausstellung Kunstwerk Erde. Diese Wanderausstellung wird von der
Helmholtz-Gesellschaft
organisiert und in ganz Europa zu sehen sein. Eine Sonderausgabe unseres Magazins wird demnächst
44 research*eu Nr. 52 I JUNI 2007
ganz dem Thema „Die Erde aus der Weltraumperspektive“ gewidmet sein.
© Nasa
KI-AB-06-052-DE-C
Gletscherschmelze
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