Wissen und Weisheit in Ägypten Interkulturelle und interreligiöse Perspektiven von Paul Imhof Mit allen Sinnen kommunizieren! Wer daran interessiert ist, für den ist die kulturelle und religiöse Welt der Ägypter eine Fundgrube. Das fruchtbare Niltal – hier ist Osiris zu Hause – und die endlose Wüste – der Bereich des Seth – und schließlich der gestirnte Himmel – symbolisiert durch die Nut – bilden einen Dreiklang, in dem eine Hochkultur entstand. Die Natur ist seit Jahrtausenden gleich geblieben. Jedem ist sie zugänglich. Da die Natur des Menschen – seine Freiheit und Vernunft – ebenfalls gleich geblieben ist, lassen sich Kultur, Land und Leute verstehen. Mit allen Sinnen sollte man sich den geistigen, seelischen und körperlichen Welten in Ägypten zuwenden.1 Welche Sinne sind damit gemeint? Mit den Augen lässt sich sehen (Sehsinn), mit den Ohren hören (Hörsinn), mit der Nase riechen (Geruchssinn), mit Mund und Zunge schmecken (Geschmacksinn), mit den Händen und den Fingerspitzen tasten (Tastsinn), mit der Haut und ihren erogenen Zonen fühlen (Fühlsinn), sodass die Seele voll von Empfindungen und Gefühlen werden kann. Die Kunst der Massage und der Einbalsamierung zeigen die Wertschätzung des Organs der Haut. Diesem sechsten Sinn entsprechen im Inneren des Bewegungsapparats die Röhrenknochen mit ihren Sensoren.2 Gleichsam mit dem siebten Sinn lässt sich die geistige Welt speziell wahrnehmen. Das geistige Sinnesorgan ist das sog. „Dritte Auge“ über der Nasenwurzel, hinter der sich hinter der Mitte der Stirn die Epiphyse befindet, deren physiologisches Aussehen dem Ra-Auge gleicht. Was hat es damit für eine Bewandtnis? Udjat – Das heilige Auge des Horus 1 Vgl. Simonetta Crescimbene und Patricia Balocco, Ägypten, Kairo 1996. Reiner Gebbensleben, Elektro-Smog, in: Raum&Zeit, Nr. 175, Jan/Febr 2012, 78-83, hier 80. 2 Horus wurde als Sonnengott verehrt, er galt als Sohn des Ra bzw. Re. Mit dem Horusnamen beginnen die Titel eines ägyptischen Königs. Dadurch wird er als Herrscher der beiden Länder legitimiert, nämlich über Oberägypten und Unterägypten. Im Schatten der Flügel des Horusfalken ist der König geborgen. Das Auge des Ra wacht darüber, dass der gesellschaftliche Organismus das Leben in Fülle hat. Die Ländersymbole Lotus (Süden) und Papyrus (Norden) sind durch Luftröhren zu einem einzigen Organismus verbunden. Auf das Individuum bezogen könnte man zunächst feststellen, dass der Bereich des Ra-Auges am menschlichen Leib ein Bereich der Kon-zentration ist. Gedanken finden hier ihre Mitte. Das physiologische Zentrum des Leibes hingegen ist die Leibmitte, das Sonnengeflecht. Mit dem dritten Auge wird geahnt und gespürt wie die Zukunft aussehen könnte (Spürsinn). Ein Kronreif oder Stirnband schützt manchmal den Radius um die Epiphyse. Religionsgeschichtlich werden Sinnerzählungen und Rituale an dem Punkt über der Nasenwurzel festgemacht. In Indien sieht man Menschen, die sich dort markieren. Gläubige Juden legen zum Gebet die Tefillin, die Gebetsriemen, an, durch die sich eine Gebetskapsel in der Stirnmitte befestigen lässt. Die jüdische Tradition weiß um das unsichtbare Kainszeichen, ein Taw. Der letzte Buchstabe des hebräischen Alphabets ist ein Kreuz bzw. ein Taw oder Tau. Es ist ein Siegel, das als Schutzzeichen gilt (vgl. Ez 9,4). Auch in der Johannesoffenbarung kehrt es wieder. Es ist das Zeichen Jesu Christi und kann als Heilszeichen verstanden werden. Denn im Ende der Welt liegt der verborgene Anfang eines neuen Himmels und einer neuen Erde, nämlich der Wirklichkeit der Auferstehung ins ewige Leben, so der christliche Glaube (vgl. Offb 9,4). Christen sprechen „Im Namen des Vaters“, wenn sie die Mitte ihrer Stirn berühren. Die Bewegung beim Kreuzzeichen geht weiter, indem die Hand an das Zentrum des Sonnengeflechts geführt wird. Dabei spricht man „und des Sohnes“. Der ganze Leib wird einbezogen, indem man sich mit den Worten „und des Heiligen Geistes“ an die linke und rechte Schulterseite langt. So macht man das Kreuzzeichen in den westlichen Kirchen. Der eigene Leib soll ein Tempel des Geistes sein, wie er sich nach christlichem Verständnis geoffenbart hat. Die Physis des Körpers möge durchsetzt sein von Gefühlen und durchgeistigt sein im Namen der Transzendenz und der Immanenz des Geistes. Beim kleinen Kreuzzeichen zeichnet man zunächst ein Kreuzchen auf die Stirn (Vater, der ungeschaffene Geist), dann auf den Mund (Christus, das Wort Gottes) und schließlich auf das Brustbein (Heiliger Geist, die Kraft des Großen Herzens). Bei strenggläubigen Muslimen sieht man auf ihrer Stirn manchmal einen bläulichen, dunklen Fleck, der von entsprechenden oft sehr intensiven Frömmigkeitsübungen stammt. Die Hingabe an Allah, den Geist, der alles geschaffen hat, soll so bezeugt werden. Zu guter Letzt sei noch auf eine weit verbreitete Rezeption des Ra-Auges in der säkularen Welt hingewiesen. Nimmt man einen Dollarschein in die Hand, so sieht man eine stilisierte Pyramide und an ihrer Spitze ein leuchtendes Auge. Der Aufdruck „Annuit coeptis“ bedeutet, dass das Begonnene gutgeheißen wird. Der Spruch geht wohl auf ein Vergilzitat zurück. „Iuppiter omnipotens, audacibus annue coeptis.“3Ascanius, der Sohn des Aeneas, war davon überzeugt, dass sein Kampf gegen die Rutuler von den Göttern gebilligt werde. Das Pyramidenauge auf der Dollarnote zeigt etwas von der Doppeldeutigkeit des Symbols. Es kann einerseits als äußerer Ausdruck der Epiphyse gesehen werden, dem Organ des Spürsinns, der uns befähigt, Ahnungen wahrzunehmen. Sie kommen mittels Wellen zustande und werden in Gedankensprache umgesetzt, wenn Geist und Seele miteinander sprechen. Andererseits lässt sich das Pyramidenauge als böses Auge des Ra deuten, wenn man den Mythos berücksichtigt, nach dem Ra über das Treiben der Menschen so verärgert war, dass er der Löwengöttin freie Hand gab, um die Menschheit zu vernichten. Das Auge des Gottes Ra macht den Menschen also ein schlechtes Gewissen. Im Mythos ging die Sache nach einer grausamen Zeit dann doch gut weiter, die Menschheit blieb am Leben. In der Welt des Seth Seth, die Macht der Wüste, und Osiris, das Leben im fruchtbaren Land, sind die großen Gegenspieler im Alltag und in den Mythen der Ägypter. Am Rande der Wüste stehen die Pyramiden, die Denkmäler für die Gesetzmäßigkeiten des Lebens und der Gesetze des Todes. Zieht man weiter in die westliche Wüste Ägyptens hinein, gelangt man in die Schwarze und in die Weiße Wüste. In der Nähe der Oase 3 Vergil, Aeneis 9. Buch, Vers 625. Bahariya kann man das Geheimnis der kosmischen Frau meditieren, die mit ihrem Kind in die Wüste geflohen ist (vgl. Offb 12,1-6). Jeder Pharao ist in der ägyptischen Tradition ein Sohn Gottes. Er kehrt hinter die Sternenwelt zurück. Erst dort ist er vor den Nachstellungen auf Erden geborgen. Nur seine Mumie bleibt als Repräsentant seiner Geistseele auf Erden übrig. In der Oase Bahariya ist eine mit Blattgold überzogene Mumie aus dem 4. vorchristlichen Jahrhundert erhalten geblieben, die an einen jungen königlichen Prinzen erinnert, der vielleicht nur noch von wenigen Menschen in Ägypten als Pharao akzeptiert wurde. Denn seit Alexander dem Großen regierten die Ptolemäer als Pharaonen in Ägypten. Vielleicht musste eine Prinzessin der vorherigen Dynastie ihren Horusprinzen in der Einsamkeit der Wüste zur Welt bringen? Kulturgeschichtlich gesehen ist es spannend zu entdecken, wie aus den Mumienporträts die Ikonen entstanden. So zeigt die Christusikone den ganz anderen Pharao, den Sohn Gottes vor dem Goldhintergrund. Sohn Gottes ist der Spitzentitel für den königlichen Messias, der in Israel und bei den Völkern herrschen wird, so die jüdische und christliche Überlieferung (vgl. Ps 2,7). Markant sind in der Weißen Wüste die Steinformationen, die an die mit einem weißen Kalkmantel überzogenen Pyramiden erinnern. Die Welt des Lichtes, die sich goldgelb an den weißen Flächen spiegelt, findet ihr Gegenüber in den Basaltformationen der Schwarzen Wüste. Die Dialektik von Schwarz und Weiß, von Gut und Böse, von Michael und Luzifer, von Ahriman und seinem Gegenspieler zieht sich quer durch die Kulturen des Vorderen Orients. Sehr deutlich wird dies am Schachspiel, dem Königspiel, mit seinen 8 mal 8 Feldern. Nicht wer den zum Spiel gehörenden, sondern den das Spiel im Überblick habenden Großen Geist vertritt, gewinnt. Die Bezeichnung dieses Geistes heißt in der medisch-persischen Tradition Ahura Mazda. Über das Indogermanische ist das Wort Ahura mit unserem deutschen Wort Aura, das heißt Ausstrahlung, verwandt. Im letzten Buch der hebräischen Bibel, nämlich der Rolle Esther, wird der Bundesgott Israels, der den Eigennamen Jahwe trägt, mit Ahura Mazda gleichgesetzt. Es ist leicht ersichtlich, wie intensiv der kulturelle und religiöse Austausch in der Kommunikationsgemeinschaft der Völker im Vorderen Orient gewesen ist. Der persische Großkönig Darius I. (521-486 v.Chr.) ließ in der Oase Kharga den Tempel von Hibis errichten. Ein großes farbiges Relief im Amuntempel zeigt den göttlichen Pharao im Kampf mit der großen Drachenschlange. Das Chaos zu bändigen, darin sahen Pharaonen und Caesaren den Sinn ihrer Herrschaft. Mancher hielt sich für einen neuen Herakles, der versuchte, die vielköpfige Hydra, d.h. die Wasserschlange, auszurotten. Doch ihre Köpfe wuchsen immer wieder nach. Ganz anders als das Selbstverständnis der Caesaren war ihre Fremdwahrnehmung durch Juden und Christen. Die Zerstörung des Tempels in Jerusalem durch Titus und die Christenverfolgung in Kleinasien durch seinen Bruder Domitian (81-96 n. Chr.) waren der Grund dafür, dass die sogenannten Ordnungsmächte als Chaosmächte erlebt wurden. Die eigene Lebenswelt war durch sie tödlich bedroht. Als politische Realität kehrte wieder, was als kosmische Katastrophe die Menschheit traumatisiert hatte. Der siebenköpfige Feuerdrache, der am Himmel als niederstürzender Komet erschienen war, fiel auf die Erde und ins Meer. Dadurch entstanden gewaltige Dampfwolken, die sich wie eine ungeheure Wasserschlange um die Erde wälzten. Zudem hatte der Rauch der Feuersbrünste den Himmel verdunkelt. Anschließend aber wurde die Erde neu fruchtbar. Die Schöpfungsberichte der Bibel verarbeiten diese Ereignisse theologisch. Die Ambivalenz der Wasserschlange lässt sich besonders eindrucksvoll an der Gestalt des Hl. Georg mit dem Drachen ablesen. Der Drache (griech. drakon, d.h. Wasserschlange) steht ursprünglich für die Wasserflut, die sich jedes Jahr wie eine gewaltige Schlange durch das Niltal schlängelte. Nach der Überschwemmung beginnt der Bauer, der Felllache (griech. georgos) mit seinem Grabstock das fruchtbare Land wieder zu bearbeiten. Georg und der Drache gehören zusammen. Dieses Motiv eignet sich bestens, um den Kampf der edlen Ritter gegen die Flut der feindlichen, zerstörerischen Reiterhorden propagandistisch zu nutzen. Die Zeit der Kreuzzüge hat davon reichlich Gebrauch gemacht. Ähnliches gilt auch für den hl. Sergius bzw. den armenischen Sarkis, der in Ägypten ebenfalls sehr verehrt wird. Ihm ist die Kirche im koptischen Viertel von Kairo geweiht, in deren Krypta Maria, Jesus und Joseph bei ihren jüdischen Stammesgenossen Zuflucht fanden. Der kosmische Thron Die Strahlen der Sonne sind für das Leben wesentlich. Pharao Amenophis IV. (Echnaton) zerstritt sich ca. 1340 v. Chr. mit der Priesterschaft des Amun. Nur noch Aton, die Sonnenscheibe, sollte verehrt werden. Am Ende der Sonnenstrahlen befinden sich Hände mit dem Lebenszeichen Anch. Nicht mehr von Amun, dem Unsichtbaren, dem Geheimnisvollen, sondern von Aton, gleichsam der naturwissenschaftlichen Seite der Sonne, sollte die Gesellschaftsordnung bestimmt werden. Der so genannte Monotheismus Echnatons ist eigentlich ein Sieg naturwissenschaftlichen Denkens in Ägypten. In der Kunst ging damit ein entsprechender Realismus einher. Berühmt ist die Kalksteinbüste der Gemahlin Echnatons, Nofretete. Von der neuen Residenz in Tell el-Amarma ist wenig übrig geblieben. Der Sohn Echnatons, Tutanchamun, musste wieder zur früheren Religion zurückkehren. Im Tal der Könige wurde seine Grabanlage weitgehend unversehrt entdeckt. Die kostbaren Funde sind im Ägyptischen Museum in Kairo aufbewahrt. Doch nicht nur Gutes, sondern auch Lebensfeindliches trifft aus dem Kosmos auf die Erde. Durch Meteoriteneinschläge gingen Lebensformen zugrunde. Andere Arten entwickelten sich in den freigewordenen Lebensräumen. Das Wissen um extraterrestrische Einflüsse auf das Leben, ja um die Herkunft des Lebens überhaupt, bestimmte das Bewusstsein vieler Völker. Aber auch das eigene Selbstbewusstsein hängt von der Antwort auf die Frage nach dem kosmischen Ursprung des Lebens ab. Stammen die Bausteine des Lebens, aus denen die Gene bestehen, von einem ewig schöpferischen Geist, dem Vater im Himmel ab? Wie haucht der Geist der gestalteten Materie das Leben ein? Welche Rolle spielt dabei die Erde, die wie eine Mutter immer neues Leben hervorbringt? Wodurch glückt die Selbstorganisation der Materie? Ein weites Feld für naturwissenschaftliche und religiöse Fragestellungen tut sich auf. Wie wird kultur- und kunstgeschichtlich zum Ausdruck gebracht, dass der Mensch ein kosmisches Wesen ist? Eine Spur führt in Ägypten in die Silica-Wüste, eine Hunderte von Quadratkilometern weite Ebene aus Kieselsteinen, über die goldgelbe Sanddünen wandern. Im engeren Sinn ist Silica ein besonderer Ort mitten im Großen Sandmeer. Von dort stammt das Libysche Glas, aus dem das Herzstück des Brustamuletts Tutenchamuns hergestellt wurde. Das smaragdähnliche Glas hat eine lange Geschichte. Vor etwa dreißig Millionen Jahren entstand es durch einen kosmischen Einschlag. Die Johannesoffenbarung spricht im Zusammenhang mit dem Himmlischen Jerusalem von einem gläsernen Meer (vgl. Offb 21,19). Für den Thronsockel Gottes eignet sich das extraterrestrische Glas ebenso als Metapher (vgl. Offb 4,1-6) wie als Schmuckstück für all diejenigen, die damit ihr kosmisches Bewusstsein zum Ausdruck bringen wollen. Die Grundlage des Zusammenlebens ist rücksichtsvolles Verhalten. Im englischen Wort für Rücksicht, consideration, stecken die lateinischen Wurzeln cum d.h. mit und sidera, d.h. Gestirne, Sternenwelt, also der Kosmos. In dieser Perspektive ist die Sitzstatue des Königs Djoser (ägypt. Dsr, d.h. der Starke), am Fuß seiner Pyramide in Sakkara – benannt nach dem memphitischen Totengott Sokar – besonders beeindruckend.4 Der König aus der Dritten Dynastie schaut durch einen Sehschlitz einer kleinen Steinkammer zu den Zirkumpolarsternen empor. Kehrten dorthin seine Ahnen zurück, in die himmlische Welt oder gar ins ewige Leben? Viele Sphären umgeben wie Zwiebelschalen unseren Planeten. Gestirne ziehen unsere Bahnen, kreisrund oder elliptisch. Kosmische, himmlische und spirituelle Sphären umgeben die Erde und durchdringen sie. So ist die Malkut, das Reich Gottes auf Erden erschienen. Es bleibt weithin unsichtbar, ebenso wie der neue Himmel und die neue Erde. Der ganze Kosmos existiert in immer neuen Wandlungen. So sind Blitz und Donner, Kometen und Meteoriten konkrete Symbole für die gewaltigen Mächte, die am Wirken und Werken sind. Die natürlichen Phänomene sind die Basis für kulturelle und religiöse Deutungen. Die Tradition der Pyramiden Aus der Savanne des Gilf Kebir wanderten neolithische Gruppen in das Niltal ein. Denn um ca. 5000 v.Chr. kam es zu einem Klimawechsel. Das versumpfte Niltal wurde besiedelbar. Nach einer langen vordynastischen Periode entstanden die ersten Dynastien. König Narmer ist der erste geschichtlich greifbare Herrscher der beiden Länder. Er trägt die weiße Krone Oberägyptens und die rote Krone Oberägyptens. Die Vereinigung der Nil-Länder wird durch zwei pantherköpfige Wasserdrachen symbolisiert, die ihre Hälse umschlingen. Solche Symboltiere werden in der babylonischen Kunst ebenso mit Füßen dargestellt, z.B. der Muschuschu. Auf der nach Narmer benannten Schminkpalette im Eingangsbereich des Ägyptischen Museums wird über seine Taten berichtet. In der Dritten Dynastie entstand die älteste Pyramide, die Stufenpyramide von Sakkara, unter dem Baumeister Imhotep, der den Stein als Material für die Bauten der Ewigkeit zur Geltung brachte. Pyramiden sind Gedächtnisspeicher für mathematisches Wissen. Aus der vierten Dynastie stammt die Rote Pyramide in 4 Vgl. Essam Amin Abuo Alika, Die Schätze von Sakkara, Kairo 2012. Dashur. Sie wird „Erscheinung des Snofru“ genannt, er war der Vater des Cheops. Die Pyramiden von Gizeh heißen nach den Königen Cheops (ägypt. hwfw, bzw. khnomkhuefwi, d.h. der Gott Chnum ist derjenige, der mich beschützt) und Chefren (he.fRe, d.h. er erscheint namentlich Re) und Mykerinos (Mn-K³w-Re, d.h. stark sind die Double des Re). Die Grabkammer des Cheops liegt inmitten des Sonnenkegels seiner Pyramide. Am Morgen leuchtet zunächst die Pyramidenspitze, das Pyramidion und dann der ganze weiße Kalkmantel in Gelb und Gold, den Farben des Sonnenlichts. Cheops (Khu-fu) verstand sich als Reinkarnation des Ra. Seine Söhne Chefren und Mykerinos sind Söhne des Ra. Deutet man das griechische Wort Pyramide ägyptisierend, könnte man es auf Py (Gebäude) – Ra (Sonnengott) – mis (wiedergeboren werden) zurückführen. Ein Mammisi ist ein Geburtshaus. Im Gelände des Hathortempels von Dendera ist ein solcher Tempel bestens erhalten. Der Pharao (Per-aa, d.h. das Große Haus) hält als Horuskönig mit seiner Lanze die zerstörerischen Kräfte des Seth nieder. Manchmal sieht man Seth als männliches Nilpferd dargestellt. Ebenso gilt das Krokodil als Symbol des Gefährlichen, des Bösen. In der Mastaba des Ka-Gem-Ni kann man sehen, wie sich Nilpferd und Krokodil bekämpfen. Das Reich des Bösen scheint in sich uneins zu sein.5 Psychologisch gesehen wirkt das Krokodil mit dem aufgerissenen Maul so bedrohlich wie ein Drache, eine große Wasserschlange. Im Tempel des Sobek, dem heiligen Krokodil, fällt während der Sommersonnenwende am nördlichen Wendekreis bei Kom Ombo kein Schatten auf den Grund des Tempelbrunnens. Die Sonne, Ra, siegt restlos. Aus der Himmelszentriertheit ergeben sich Möglichkeiten von Berechnungen, mit denen man irdische Verhältnisse bestimmen kann. Die Kosmologie liefert wesentliche Bausteine für das menschliche Selbstverständnis. Der Kreis der Sonnenscheibe gleicht dem Umfang des Pyramidenquadrats. Seine Diagonalwinkel sind genauso groß wie der Winkel der Sonneneinstrahlung am nördlichen Wendekreis, der durch Oberägypten läuft. Der Umfang, griechisch Perimeter – daher doppelter Radius mal pi – lässt sich nach der Formel U = pi x 2r berechnen. Die Pyramide ist die Quadratur des Kreises! Der jahreszeitliche Lauf der Sonne am Firmament wird in der Architektur der Pyramiden dargestellt. 5 Francesco Tiradritti, Ägyptische Wandmalerei, München 2007, 56. Die Pyramide neben dem Schachtgrab des Im– Pepi aus dem Alten Reich (6. Dynastie) in der Oase Dachla zeigt den ursprünglichen Zusammenhang zwischen der Pyramide als Grabdenkmal und dem Grab. Wie die Sonne wiederkehrt, so möge der Verstorbene im Kosmos wiedergeboren werden! Dazu gehören die fünf Elemente, die seine Wiedergeburt ermöglichen: - der Ba-Vogel, das Symbol der Seele - das Ka, das Ebenbild der Person, - das Ren, der Name des Menschen, - das Chet, der physiologische Körper des Menschen, - das Akh, der Schatten. Der Tempel in Hibis (Oase Kharga) für Amun, wurde während der 22. Dynastie begonnen und unter Darius I. fertiggebaut. Das große Wandrelief zeigt den falkenköpfigen Horus, wie er mit seinem Speer das dämonische Schlangenwesen Apophis, den Gegner des Ra und der Toten, auf ihrer Jenseitsreise niederhält. Das Thema der Drachenschlange nahm in Europa viele Wendungen. So waren die Wikinger mit ihren Drachenbooten eine tödliche Gefahr für die christlichen Kelten, die in Irland, Schottland, Wales, England, der Bretagne und in der Normandie lebten. Selbst nach der Christianisierung der Normannen kam es noch nicht zu einem friedlichen Miteinander im Abendland. Der König in Ägypten ist der Repräsentant des Horus, des Sohnes von Isis und des Osiris. Erst im Neuen Reich wird der König als Pharao bezeichnet. Seine Aufgabe besteht darin, das Leben, ja das ewige Leben, zu garantieren und alle bösen Mächte und Gewalten von sich und seinem Volk fernzuhalten. Kommunikationstheoretische Perspektiven im Blick auf den Pyramidenbezirk von Sakkara Wenn man sich in das Grabungsgelände auf der westlichen Nilseite begibt, sieht man wie abrupt der Übergang zwischen der Welt des Seth und der fruchtbaren Niloase ist. Sie ist der Bereich, in dem später Osiris verehrt wurde. Hier ist die Lebenswelt. Hier glückt die natürliche Kommunikation. Wie anders ist die Welt am Rande der Wüste, die an das Niltal heranreicht! Sobald ein Pharao gestorben ist, wurde er an seinem Totentempel angelandet. Sein Gehirn wurde entfernt. Es gibt keine Hirnströme mehr. Ist dies die ägyptische Weise den Totenschein auszustellen? Jedenfalls soll das Gehirn nicht in den Bereich der ewigen Dauer mitgenommen werden. Soll der Geist, der seinen Sitz im Gehirn hat, unendlich weiterleben? Gehört er also zur natürlichen Lebenswelt? In die Erde, in die Luft, in das Wasser, in das Plasma? Denn Leben ohne Leben ist kein Leben, könnte man in dieser Perspektive sagen. Im Taltempel wurde mit der Mumifizierung des Königs begonnen. Einen Aufweg entlang wurde er in Richtung seiner Pyramide begleitet. So wie die vier natürlichen Triebe für die Kommunikation, nämlich der Kommunikationstrieb, der Nahrungstrieb, der Spieltrieb und der Geschlechtstrieb, im Bereich des Lebens wirken, so werden die vier Scheintriebe, nämlich der Scheinkommunikationstrieb, der Todestrieb, der Geltungstrieb und der Machttrieb, in der Welt des Alten Ägyptens architektonisch perfekt figuriert. In den Tempeln werden alle Triebe zur Darstellung gebracht. Denn sie wirken im Land der Lebenden.6 Nun zu den Architekturfragmenten im Grabungsgelände der Pyramiden. Die Pyramide des Djoser (3. Dynastie, 3600 v. Chr.) ist in einmaliger Weise dafür geeignet, um das System der Scheinkommunikation architektonisch zu begreifen. 1. Man gelangt zunächst an eine meterhohe und viele Meter breite Umfassungsmauer des Djoserkomplexes. Es handelt sich dabei um ein großes quadratisches Mauerwerk aus Scheintüren, geöffneten Scheintüren, Säulen und Balustraden. In unüberblickbarer Weise wird zum Ausdruck gebracht, dass man sich nun im Bereich des Scheinkommunikationstriebes befindet. Was heißt das? Der Scheinkommunikationstrieb entsteht durch den Versuch, die Angst vor Vereinsamung durch Kommunikation zu überwinden, was aber in dem Bereich des Nichtlebens prinzipiell nur zu einer Scheinbefriedigung führt. Die Angst vor Vereinsamung kann religionsphilosophisch auch zu dem Glauben an ein zweites oder ewiges Leben transformiert werden. Vielleicht aber ist es gerade umgekehrt, nämlich, dass der Glaube an ein ewiges Leben die Antwort auf das Ende des natürlichen Lebens ist. Wir kennen weder den Glauben noch die Ängste von König Djoser und seinen Zeitgenossen, kommen aber nicht umhin festzustellen, dass wir uns in einer perfekten, in Stein gemeißelten Welt der Scheinkommunikation befinden. 6 Vgl. Reinhard Brock & Paul Imhof, Menschenrecht Kommunikation, Neckenmarkt 2011, 2751. 2. Der erste Subtrieb des Scheinkommunikationstriebes ist der Todestrieb. Er kommt zu Stande, wenn der Nahrungstrieb nicht befriedigt werden kann. Es stellt sich die Angst vor Verhungern und Verdursten ein. Wie lässt sich dieser Angst und dem damit verbundenen Trieb, nämlich dem Todestrieb, zumindest zum Schein entkommen? Die 40.000 Schalen und Steingefäße, die im Pyramidenbezirk und in der Pyramide gefunden wurden, geben ein beredtes Zeugnis davon. Im ewigen Leben soll es dem König an nichts mangeln. Besonders beeindruckend sie die Reliefs der umliegenden Mastabas, in denen sich die Großen des Reiches mit allen möglichen Getränken und Speisen versorgen lassen. Auch hier wird deutlich, dass entweder die Angst oder der Glaube die Triebfeder dieser Scheinwelt gewesen sein muss. Die Grabanlage des Ka–Gem–Ni ist dies bezüglich besonders beeindruckend. 3. Wenn der Spieltrieb nicht befriedigt werden kann, entsteht die Angst zu versagen. Zumindest zum Schein möchte man sein Spiel gewinnen. Wer nicht genügend spielerisch lernen kann, versucht zumindest gegenüber den Anderen als jemand zu erscheinen, der seine Angst zu versagen kompensieren kann. Der Geltungstrieb nimmt seinen Lauf. Schaut man sich den archäologischen Bestand im Grabungsgelände an, der als Kulisse für das Heb-Sed-Fest dient, dann wird folgendes deutlich: Durch den Kultlauf des Pharao wird er gleichsam alle dreißig Jahre in alle Ewigkeit als König von Unter- und Oberägypten installiert. Sein Geltungsbedürfnis kann so immerwährend befriedigt werden. Archäologisch gehören dazu die Wendemarken für den Kultlauf, der Innenhof mit der Bühne, auf der der König die Vereinigung der beiden Länder zelebriert, und die Seitenkapellen, die für die Gaue Ägyptens stehen. Die hohen Beamten werden durch alterslose, überindividuelle Ersatz- bzw. Scheinköpfe ohne Ohren vergegenwärtigt. Sie haben ja alles gehört, was wichtig ist. Nun brauchen sie keine neuen Befehle zu vernehmen. Einige solcher Ersatzköpfe aus der Zeit des Cheops und Chefren sind erhalten geblieben. Und wer keine Ohren hat, kann selbstverständlich auch nichts Falsches sagen. Denn zum Sprechenlernen gehört das Hörenkönnen. 4. Da der natürliche Geschlechtstrieb durch den toten König nicht mehr befriedigt werden kann, sodass es zu keinen weiteren natürlichen Nachkommen im Land der Lebenden mehr kommen kann, ist die Frage zu beantworten, wie mit der Angst vor Verletzung umgegangen werden kann. Denn die Geburtsstunde des Machttriebes ist dann gegeben, wenn der Geschlechtstrieb durch die Angst vor Verletzung nicht mehr befriedigt werden kann. Die Macht des Pharaos reicht soweit, dass seine Mumie als Repräsentant seines Leibes möglichst perfekt vor Zerstörung geschützt wird. In einem tiefen Schacht wird sie versenkt und durch eine gewaltige Pyramide dem Zugriff entzogen. Sie ruht gleichsam in einem unterirdischen Palast für das ewige Leben, der aufgrund der Gänge und Scheintüren nur für die Scheinseele zugänglich ist. Es handelt sich dabei um den Ba-Vogel bzw. das Ka, den Stellvertreter des Königs. Konsequenterweise ließ König Djoser auch die Mumien seiner Vorfahren in seine Pyramide bringen, um sie zu schützen. Aufs Ganze gesehen lässt sich also die ägyptische Architektur außerhalb der natürlichen, lebendigen Welt als eine perfekte Illusion, als Produkt des Scheinkommunikationstriebs mit seinen drei Subtrieben, nämlich dem Todestrieb, dem Geltungstrieb und dem Machttrieb deuten. Um das pyramidale Gesamtprojekt des Alten Reiches angemessen zu deuten, muss man darauf hinweisen, dass der Pharao dies nicht nur für sich selbst, sondern für sein ganzes Volk inszenierte. Alle Ägypter, die ja genetisch eine Einheit bilden, sollen an der Überwindung der Angst – wenn auch nur zum Schein – bzw. durch den Glauben an das ewige Leben eine kommunikative Zukunft haben. Kommunikationstheoretische Perspektiven der altägyptischen Religion im Kontext des christlichen Glaubens In triebtheoretischer Perspektive kehrt die Fragestellung nach den Ängsten und dem Glauben im heilsgeschichtlichen Kontext des 1. Jahrhunderts in Ägypten wieder. Nicht zuletzt aufgrund der Verkündigung des Evangeliums durch den Evangelisten Markus, der sich zwischen 61 und 62 nach Christus in der christlichen Gemeinde in Ägypten aufhielt, sowie aufgrund der Johannesoffenbarung, die wegen der Städtepartnerschaft zwischen Ephesus und Alexandrien, der damaligen Hauptstadt von Ägypten, für das Glaubensverständniss bzw, für das Angstpotenzial besonders relevant ist. 1. In der Johannesoffenbarung heißt es im 12. Kapitel, dass die kosmische Frau in die Wüste geführt wurde, um dort ihren himmlischen Prinzen zur Welt zu bringen, der unmittelbar nach der Geburt in die Ewigkeit entrückt wurde, sodass seine ewige Existenz gesichert ist. Durch die Anbetung Gottes ist die ewige Kommunikation mit dem Ewigen gewährleistet. Der Kommunikationstrieb wird also entweder in alle Ewigkeit befriedigt werden können oder der Scheinkommunikationstrieb, der aufgrund der Angst vor Vereinsamung zu Stande kam, fand in der natürlichen Welt ein übernatürliches Ende. 2. Christus gibt vom Baum des Lebens zu essen (vgl. Offb 2,7;3,20). Der Nahrungstrieb und der Todestrieb werden durch die Verheißung des himmlischen Festmahles wirklich befriedigt bzw. die Verheißung erweist sich als eine Illusion, die aufgrund des Todestriebes zum Vorschein gebracht wurde. 3. Da im Himmel die Thora bzw. das ewige Evangelium immer weiter erzählt wird, ist das himmlische Lernen und die damit verbundene Glückseligkeit optimal erfüllt. Das Lehrhaus ist das himmlische Jerusalem, der neue Tempel (vgl. Offb 3,12). Der Spielbzw. Lerntrieb wird in alle Ewigkeit befriedigt. Es gibt kein Versagen mehr, da ewig Zeit zum Lernen ist. Der Geltungstrieb spielt keine Rolle mehr. 4. Das Thema Geschlechts- bzw. Machttrieb wird durch die Braut-Bräutigam-Mystik bzw. die ewige Herrschaft des Geistes der Liebe beantwortet. Die Basis dafür ist das 1. Kapitel der Johannesoffenbarung, das so gebaut ist, dass die fünf Namen des Pharao ausdrücklich auf den wiederkehrenden Jesus Christus angewendet werden (vgl. Offb 1,5-6). Der Mann aus Nazareth ist der alternative Sohn Gottes und repräsentiert für das natürliche und das ewige Leben ein entsprechendes mystisches und politisches Programm. Die Angst vor Verletzung wirkt nicht mehr. An ihre Stelle ist die erfüllte Hoffnung getreten, als freier Mann, bzw. freie Frau in Ewigkeit zu existieren. Jede Person lebt in einem auferstandenen Leib. Der Glaube der Christen in Babylon Was ist das Ewige Leben? Ist damit das unendlich wiederholte Auftreten von individuellen Lebewesen gemeint, die zwar einsam sterben, aber aufgrund genetischer Fortpflanzung ihren Beitrag dazu geleistet haben, dass ein Geist mit einem Körper ident werden kann, sodass weitere Einzelseelen entstehen? Von welchen Geistern ist die Rede? Wer oder was ist Geist? Die christliche Botschaft gibt auf die Frage nach dem Ewigen Leben und dem göttlichen Geist eine klare Antwort: „Dies ist das ewige Leben, dich, den einzigen und wahren Gott zu erkennen und Jesus Christus, den du gesandt hast. Ich habe dich auf der Erde verherrlicht und das Werk vollendet, das du mir aufgetragen hast“ (Joh 17,3-4), spricht der Johanneische Christus. Die Vollendung besteht in der Auferstehung. Am Ende seines natürlichen Lebens rief Jesus laut: „Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist“ (Lk 23,46; vgl. Ps 31,6). Sein Geist kehrt in die Wirklichkeit des ungeschaffenen Geistes zurück: „Gott ist Geist“ (Joh 4,24). Das Leben Jesu zeigt die Geschichte des Geistes in der Welt. An der Wirkungsgeschichte lässt sich die Frage nach Glaube und Angst in seiner Gemeinde festmachen. Um Erkenntnis geht es also, um den Glauben an die schöpferische Wirklichkeit des göttlichen Geistes, durch den ein zweites, ewiges Leben in der übernatürlichen Wirklichkeit geschaffen werden kann! Der Glaube an Gott, seinen Geist und den auferstandenen, in Ewigkeit lebenden Christus ist das Herzstück des Glaubens der christlichen Gemeinde, die sich im 1. Jahrhundert n.Chr. in Ägypten gebildet hatte. Markus lebte in den Jahren 61-63 n. Chr. in dem Land am Nil. Doch auch von anderen Jüngern wird von einem Aufenthalt in Ägypten berichtet. So von Bartholomäus und Petrus. In der Pfingstpredigt des Petrus, die er in Jerusalem hielt, heißt es: „Darum will ich euch verbannen bis über Babylon hinaus“ (Apg 7,43 vgl. Apg 7,34-42; Amos 5,25-27). Und am Ende des 1. Petrusbriefes lesen wir: „Es grüßt euch die mit euch auserwählte Kirche von Babylon und Markus, mein Sohn. Grüßt einander mit dem Kuß der Liebe! Friede sei mit euch allen, die ihr in der Gemeinschaft mit Christus lebt!“ (1 Petr 5,13-14). Von Babylon war die Rede. Was hat dies mit Ägypten zu tun? Auf zwei Traditionen muß man dabei hinweisen. So überliefert der griechische Geograph Strabo, der in den Jahren 24-20 v.Chr. Ägypten bereiste, dass sich im heutigen Alt-Kairo einst Flüchtlinge aus Babylon, der Hauptstadt des babylonischen Reiches angesiedelt hätten. Vielleicht waren sie unter dem Perserkönig Darius ins Land gekommen? Jedenfalls bauten die römischen Kaiser als Pharaonen ihre Festung Babylon mit dem Nilhafen immer weiter aus, zuletzt Kaiser Diokletian. Zwischen den Festungstürmen errichteten die koptischen Christen im 4. Jahrhundert die hängende Kirche al-Moallaka. Der andere Versuch den Namen Babylon zu erklären, besteht darin, mögliche ägyptische Wurzeln zu rekonstruieren: Pa (Platz) - Hapi (Nilgott, Erscheinung des Nils) – Ion (Heliopolis). Der griechische Name Heliopolis (Sonnenstadt) bezieht sich auf den großen Sonnentempel im Norden von Kairo. Ion gilt als der südliche Prototyp des großen Amuntempels von Karnak. Interessant ist das dortige ptolemäische Relief, auf dem Chons „mit der Mondscheibe auf dem Kopf den König Philometor führt. In der dritten Reihe von unten ist der König unter dem heiligen Baum von Heliopolis dargestellt, in dessen Blätter die Göttin Seschet seinen Namen einschreibt.“7 Noch zur Zeit Strabos stand der Tempel von Heliopolis. Einer der Obelisken (Benben) – die Erhöhung des Erdhügels zur Sonne – der altägyptischen GauHauptstadt befindet sich heute auf der Piazza del Populo in Rom. Religionsgeschichtlich gesehen ist es nahe liegend, dass sich die Ägypter dem Evangelium Jesu Christi zuwandten, denn dort wird explizit ins Wort gebracht, was ihre Selbstbezeichnung nahe legt. In dem griechischen Wort „Aigyptoi“ stecken die hieroglyphischen Wurzeln Hut-Ka-Ptah. Hut heißt Tempel. Die Hieroglyphe Ka ist das Zeichen der erhobenen Hände und steht für das Double, den Stellvertreter. Ptah bezeichnet ursprünglich einen Schöpfergott, der mit seinem Zepter, dem Djedpfeiler (ägypt. djed heißt Ewigkeit, Dauer) dargestellt wird. Welche Identifizierungsmöglichkeit: Im Tempel des Leibes ist das Ich mit ausgebreiteten Armen vor dem Schöpfergott da! So lebt der betende Mensch angesichts Jesu Christi, dem neuen, ganz anderen König, dem Repräsentanten des ewigen Schöpfers. Die fünf Namen Jesu Christi stehen gleich zu Beginn der Johannes-Offenbarung, dem ewigen Evangelium. Der alttestamentliche Langtext verdeutlicht den Kontext der Herkunft der Titel: „Er ist der treue Zeuge (vgl. Ps 89,37-38; Gen 9,12-13) der Erstgeborene von den Toten (vgl. Ps 89,28a; Jes 56,4-5) der Herrscher über die Könige der Erde (vgl. Ps 89,28b). Er liebt uns und hat uns durch sein Blut befreit von unseren Sünden (vgl. Ps 130,8; Jes 53,11). Er hat uns die Würde von Königen gegeben und uns zu Priestern gemacht für den Dienst vor seinem Gott und Vater (vgl. Ex 19,6; Jes 61,6)“ (Offb 1,5-6). Als der Forscher Jean-François Champollion anhand des Steins von Rosetta die Hieroglyphen entziffern konnte, verwendete er das französische Wort cartouche, d.h. Zierleiste, für die Einkreisung der beiden letzten Namen der fünf Königstitel. Durch eine Kartusche soll die Bedeutung des Genannten besonders hervorgehoben werden. So lauten die fünf Namen von Pharao Ramses II (13. Jh. v.Chr.): 1. Starker Stier, geliebt von Maat (Horusname); 2. Beschützer Ägyptens, der die Fremdvölker niederwirft (Herrinnenname); 3. Mächtig an zahlreichen (Regierungs)jahren (Goldhorusname); 4. Mächtig ist die Maat des Re, Erwählter des Re, König von 7 Baedeker, Ägypten, 12. Aufl., Ostfildern 2010, 395. Ober- und Unterägypten (Thronname); 5. Re hat ihn geboren, geliebt von Amun (Geburtsname, Sohn-des-Re-Name). Die Mandorla ist die Kartusche Jesu Christi. Sein Thronname und sein Geburtsname machen seine Sendung offenbar. Die koptischen Priester, die Bischöfe und der Papst, sind gleichsam Wesire des neuen Pharao. Die Osterliturgie ist das neue Totenbuch, der Jenseitsführer in Wort und Bild zur Auferstehung. Das Buch Exodus, das Buch des Auszugs aus Ägypten, d.h. aus Mizrajim (arab. misr, d.h. Land) behandelt auf vielen Deutungsebenen, wie Israel ins Gelobte Land kam. Es gibt einen Ausweg aus der Dimension der Entfremdung, wie Mizrajim gedeutet wird (hebr. zar, d.h. Form, zur d.h. Fels und bedeutet die Welt der festen, starren Formen), so der Glaube Israels. Geschichte wird heilsgeschichtlich gedeutet. Fragen werden durch die Offenbarungen Gottes beantwortet. In der Offenbarung, die Johannes auf Patmos erhielt, wird das Buch Exodus häufig zitiert. Wie Amun, das unsichtbare, geheimnisvolle Herrschaftsprinzip mit seiner doppelfedrigen Krone, so gehört auch Re bzw. Ra, die Sonnenkraft, unbedingt zum Götterhimmel der alten Ägypter. Die Wände der Tempel sind übersät mit Götterfiguren, die das Selbstverständnis der pharaonischen Welt widerspiegeln. Den Amuntempel in der Oase Dachla (Deir el-Hagar) errichteten im ersten Jahrhundert römische Kaiser, verehrt wie Pharaonen. Der Polytheismus eines Nero oder Domitian war problemlos mit der religiösen Vorstellungswelt der Ägypter vereinbar. Die Oasen in der westlichen Wüste bildeten den Limes der Römer in Ägypten. Auch armenische Truppenteile waren dort stationiert. Außer armenischen Symbolen, etwa das Sonnenrad, sind vor allem die Traditionen um den Apostel Bartholomäus bemerkenswert. Dieser Jünger Jesu gilt neben Judas Thaddäus als einer der Gründer der armenischen Kirche. Kamen die in den Oasen lebenden Soldaten aus Armenien durch Bartholomäus zum ersten Mal mit dem Christentum in Berührung? Denn der Apostel soll in den ägyptischen Oasen missioniert haben. Wie sein Name Bar(p)tolomäus nahe legt, war er der Sohn eines Ptolemäus. So wie die Kinder nach berühmten Persönlichkeiten benannt werden, geschah es vielleicht auch mit dem Vater des Bartholomäus. Die letzte Dynastie der Pharaonen, die Ptolemäer endete mit der Königin Kleopatra. Die Ptolemäer ließen den Hathortempel von Dendera bauen. Das große Eingangsportal dazu stiftete Kaiser Domitian. Im Mammisi, dem Geburtshaus, zeigen Reliefs, wie Ihi, der Gott der Musik, durch seine Mutter Hathor von Dendera und seinen Vater Horus von Edfu als göttliches Kind den Göttern vorgestellt wird, bis er auf einem eigenen Thron in ihrem Kreis seinen Platz findet. In den Tempelreliefs wird die ägyptische Auffassung vom Leben abgebildet. Mit einem solchen Bildprogramm waren die kaiserlichen Pharaonen höchst zufrieden. Denn ihrem eigenem Interesse zur Vergöttlichung war damit bestens gedient. Wie groß der Kontrast zum Judentum und Christentum ist, wird an vergleichbaren Kultgegenständen und Festen deutlich. Man denke nur an die Kultbarke der Hathor und die Bundeslade Israels. Der Evangelist Lukas berichtet ausführlich von der Darstellung Jesu im Tempel. Anstelle der Akzeptanz durch Götter segnen Hanna und Simeon (Lk 2,21-40). Für die koptischen Christen ist Jesus Christus die wahre Sonne der Gerechtigkeit. In ihm und mit ihm und durch ihn entdeckten sie ihr Gerechtfertigsein. Das Fest im schönen Wüstental, bei dem man den Kindern bunte Eier schenkte, ließ sich bestens in den Osterkreis einbauen. Christus lebt im Osterlicht. Er ist aus einem Kalkgrab in Jerusalem auferstanden, so der Glaube der Kopten.