Projektbeispiele Vom Bauer bis zum Bäcker Forscher finden Lösungsansätze zur Minimierung von Acrylamid Noch ist nicht vollständig geklärt, wie gefährlich Acrylamid in Lebensmitteln für die Gesundheit ist. Unbestritten ist jedoch, dass „weniger“ hier auf jeden Fall „mehr“ ist. Drei Forschungsteams haben sich die Reduktion von Acrylamid in Backwaren zur Aufgabe gemacht und suchen intensiv nach Vermeidungsstrategien vom Rohstoff über die Verarbeitung bis zum fertigen Produkt. ur mühsam gelingt es den beiden Wissenschaftlern, den Stolz auf ihre Leistung zu verbergen. In vergleichsweise kurzer Zeit haben sich der Lebensmittelingenieur Achim Claus und Privatdozent Andreas Schieber in das noch junge Forschungsthema >„Acrylamid in Lebensmitteln“ eingearbeitet und bedeutende Erkenntnisse gewonnen. N gesetzte Acrylamid auch in Lebensmitteln wie Chips oder Gebäck zu finden ist. Nicht etwa als Belastung von außen, sondern in erster Linie als Folge einer chemischen Reaktion, der die Kruste am Schweinebraten zu verdanken ist und frisches Brot besonders lecker duften lässt: Bei der sogenannten >Maillard-Reaktion werden >Aminosäuren und >re- ursachen, doch da Asparagin auf jeden Fall einen wesentlichen Anteil an der Entstehung hat, konzentrierten sich die in den Forschungsvorhaben eingeschlagenen VermeidungsStrategien zunächst vor allem auf diese Vorläufer-Substanz. Asparagin kommt in Pflanzen sowohl frei, als auch gebunden in Proteinen vor. „Je geringer der Asparagin-Gehalt ist, desto geringer ist die Chance, dass das Asparagin in der Maillard-Reaktion weiterreagiert und dann zu Acrylamid führt“, erklärt Andreas Schieber, „darum gilt es, den Asparagin-Gehalt zu verringern“. Ein Zielkonflikt Ein Bauer prüft den Reifegrad des Weizens. Bild: R. Löffler Unter Leitung von Professor Reinhold Carle am Hohenheimer Lehrstuhl für Lebensmittel pflanzlicher Herkunft und zusammen mit Dr. Pat Schreiter vom Chemischen und Veterinäruntersuchungsamt (CVUA) Stuttgart haben sie nicht nur die Analytik auf diesem Gebiet vorangebracht, sondern vor allem auch Neues über die Bildung von Acrylamid und – noch wichtiger – über Vermeidungsmöglichkeiten herausgefunden. Die Maillard-Reaktion Erst 2002 wurde von einer schwedischen Forschergruppe entdeckt, dass das in der Industrie vielfach ein- 8 duzierende Zucker unter Hitze zu unterschiedlichsten Verbindungen umgewandelt. Von diesen ist bislang hauptsächlich bekannt, dass zahlreiche geruchs- und geschmacksgebende Substanzen darunter vertreten sind – und eben auch Acrylamid. Das Amid entsteht insbesondere dann, wenn als Aminosäure im Prozess >Asparagin zur Verfügung steht. Einen Verdacht, den Dr. Pat Schreiter von der CVUA bereits zu Anfang des Projektes hatte und schon nach wenigen Monaten belegen konnte. Zwar führen noch weitere Wege zu dem problematischen Stoff, der im Verdacht steht, das Erbgut zu schädigen und Krebs zu ver- LANDESSTIFTUNG Baden-Württemberg 2006 Solange dabei das freie Asparagin reduziert wird, geht diese Rechnung auch für den Bäcker auf. Doch Asparagin ist auch Teil des sogenannten >Kleberproteins, das für den Zusammenhalt und zugleich das Aufgehen von Backwaren erforderlich ist. Ein Zielkonflikt, wie Achim Claus, Doktorand am Lehrstuhl, ausführt: „Gerade beim Weizen ist man auf den Kleber angewiesen. Doch das hat zwangsläufig zur Folge, dass beim Backen Acrylamid entsteht.“ Allerdings setzt er beruhigend hinzu: „Wenn es gelingt, das freie Asparagin zu reduzieren, dann ist das auch schon ein wesentlicher Beitrag dazu, das Acrylamid zu senken.“ Ein Weg, auf den sich die Wissenschaftler seit Ende 2003 gemacht haben. Bereits im Getreide liegt die Aminosäure Asparagin in unterschiedlichen Mengen vor. Agraringenieur Albrecht Weber hat diesen ersten Ansatzpunkt für die Verminderung der Aminosäure aufgegriffen. In Projektbeispiele Dinkel, Roggen und Weizen (v.l.n.r.) auf den Hohenheimer Versuchsfeldern Bilder: A. Weber Zusammenarbeit mit Dr. Wolf-Die- teilten verschiedenen Weizenklaster Koller von der Bundesanstalt für sen berücksichtigt und für jede der Ernährung und Lebensmittel (BfEL) in Klassen einige gängige Sorten ausKarlsruhe erforscht er – unter Leitung gewählt. Neben den 16 Winterweivon Prof. Wilhelm zensorten prüfen „Bei einem hohen AusClaupein vom Institut die Wissenschaftler mahlungsgrad bzw. einer für Pflanzenbau und zwei Dinkel- und niedrigen Mehltype sinkt Grünland der Unizwei Roggensorten, der Acrylamid-Gehalt.“ versität Hohenheim die hierzulande beund in Absprache mit den Kollegen sondere Anbaubedeutung haben von der Lebensmitteltechnologie – beziehungsweise an die Bedingundie anbautechnischen Möglichkeiten, gen im „Ländle“ gut angepasst sind. um den Asparagin-Gehalt und somit das Acrylamid-Bildungspotenzial im Korn so gering wie möglich zu halten. Dabei ist ein Teil seiner Fragestellung, herauszufinden, wie eng der Zusammenhang zwischen der Menge der Aminosäure und dem Anteil des gewünschten Rohproteins im Erntegetreide ist. Ließe sich das eine beeinflussen, ohne das andere zu stören, wäre bereits „Land in Sicht“. In einem zweijährigen Feldversuch auf der universitätseigenen Versuchsstation Ihinger Hof bei Renningen wurden darum die Auswirkungen verschiedener StickstoffDüngermengen in unterschiedlicher zeitlicher Verteilung und in unterschiedlichen Formen auf die Gehalte von einerseits Asparagin und andererseits dem Rohprotein im Korn untersucht. Da nicht für jedes Gebäck ein maximaler Eiweiß-Ge- Inzwischen ist das erste Versuchshalt erwünscht ist, sondern zum jahr ausgewertet: Zwar kann und Beispiel beim Keks-Getreide der Ge- sollte man bei pflanzenbaulichen halt keinesfalls hoch sein darf, da- Versuchen zu einem so frühen Zeitmit das Gebäck möglichst schön punkt noch sehr vorsichtig mit Ausflach bleibt – wurden die in der Pra- sagen sein, doch zumindest kann xis nach diesem Kriterium einge- bereits festgehalten werden, dass mit zunehmender Stickstoff-Aufnahme des Getreides die Gehalte sowohl an Protein als auch an Asparagin im Korn ansteigen. Da das eine in vielen Fällen erwünscht ist, das andere aber vermieden werden soll, lässt dieses Ergebnis keine einfache Lösung des Zielkonflikts auf pflanzenbaulicher Ebene erhoffen. Doch ein hoffnungsvolles Versuchsergebnis kann Albrecht Weber immerhin präsen- tieren. Mit der gebotenen Vorsicht formuliert er: „Wenn wir die 16 angebauten Sorten anschauen, sehen wir, dass es in jeder Qualitätsklasse Sorten gibt, die sich durch geringere Asparagin-Gehalte signifikant von den anderen Sorten unterschei- LANDESSTIFTUNG Baden-Württemberg 2006 9 Auch der Bäcker kann seinen Teil dazu beitragen, den Acrylamid-Gehalt so klein wie möglich zu halten. Bild: CMA-Fotoservice Projektbeispiele Projekt 1: Ermittlung von Einflussfaktoren auf die Bildung von Acrylamid in Getreide und Getreideprodukten mit dem Ziel der Gehaltsminimierung – Studien an Modellsystemen und Lebensmitteln Institution: Universität Hohenheim Institut für Lebensmitteltechnologie, Lehrstuhl Lebensmittel pflanzlicher Herkunft August-von-Hartmnn-Str. 3 70599 Stuttgart www.uni-hohenheim.de Projektleitung: Prof. Dr. Reinhold Carle PD Dr. Andreas Schieber Tel.: 0711/459-2314 [email protected] Projekt 2: Einfluss pflanzenbaulicher Maßnahmen bei Getreide zur Reduzierung von Acrylamid-Vorstufen im Korngut von Getreide Institutionen: Universität Hohenheim, Institut für Pflanzenbau, Fachgebiet Allgemeiner Pflanzenbau und Bundesforschungsanstalt für Ernährung und Lebensmittel, Institut für Verfahrenstechnik Fruwirthstr. 23 70599 Stuttgart www.uni-hohenheim.de Projektleitung: Prof. Dr. Wilhelm Claupein Dr. W.-D. Koller Tel.: 0711/459-2380 [email protected] Projekt 3: Ermittlung von Einflussfaktoren auf die Bildung von Acrylamid in Getreide und Getreideprodukten mit dem Ziel der Gehaltsminimierung – Studien an Modellsystemen und Lebensmitteln Institution: CVUA Stuttgart Abt. I – Zentrale Messtechnik Schaflandstr. 3/2 70736 Fellbach www.cvua-stuttgart.de Projektleitung: Dr. Pat Schreiter (seit 6/2005) Tel.: 0711/3426-1029 [email protected] Asparagin (mg/100 g) bzw. Acrylamid (ng/g) PROJEKTDATEN den lassen.“ Ließe sich dies im zwei- sammenarbeiteten, ist es gelungen, ten und dritten Versuchsjahr bestä- eine ganze Reihe interessanter Vertigen, könnte sich hier ein gangba- meidungsstrategien auszumachen. rer Weg für einen ersten Minimie- Bereits mit dem Mahlen des Getreirungsansatz des Acrylamid-Bildungs- des, so die Erkenntnis, werden die potenzials auf Rohstoff-Ebene erge- ersten Weichen gestellt: Bei einer ben. Allerdings niedrigen >Mehl„Bei gleichem Geschmack und müssten diese Sortype sinkt der Bräunungsgrad ist es besser, ein ten zugleich in eiAcrylamid-Gebisschen länger bei niedrigerer ner Reihe anderer halt. Temperatur zu backen.“ Kriterien den AnDas heißt allersprüchen der Landwirtschaft genü- dings auch, dass ernährungsphygen, etwa der Verarbeitungsqualität, siologisch empfehlenswertes VollKrankheitsresistenz oder dem Ertrag. korn in dieser Hinsicht besonders schlechte Karten hat. Glücklicherweise gibt es weitere Kein Königsweg Möglichkeiten, die Acrylamid-VorAn den einen Königsweg zur Aspa- läufersubstanz Asparagin zu reduragin- und damit Acrylamid-Ver- zieren. So sorgt der Gärprozess eimeidung glauben die Wissen- nes Hefeteigs ganz automatisch für schaftler des Lehrstuhls Lebensmit- die Verminderung der problematitel pflanzlicher Herkunft und ihre schen Aminosäure. Praktischerweimit dem Projekt befasste Kollegin se wird Asparagin neben Glutamin an der CVUA sowieso nicht, eher von den Hefen bevorzugt abgebaut. setzen sie auf die Strategie der vie- „Wir haben vermutet, dass wenn len „Nadelstiche“. Mit der immen- wir länger gären lassen, die Hefe sen analytischen Erfahrung und der mehr Wachstum zeigt und deshalb wissenschaftlichen Kompetenz al- auch mehr Aminosäuren und Zukler beteiligten Forscher, die im Rah- ker verstoffwechselt werden,“ ermen des Projektverbundes eng zu- läutert Claus. Im Nachhinein sei das Asparagin im Teig (TM) Asparagin im Brot (TM) Die in der Literatur publizierte Strategie, den Acrylamidgehalt über eine Senkung der Vorläuferverbindungen (freies Asparagin und reduzierende Zucker) zu minimieren, erwies sich vor allem bei Kartoffelprodukten als praktikabel. Völlig überraschend war jedoch der vom Lehrstuhl für Lebensmittel pflanzlicher Herkunft in Kooperation mit Prof. Dietrich Spitzner vom Fachgebiet Bioorganische Chemie nachgewiesene neue Bildungsweg von Acrylamid aus isoliertem Weizenkleberprotein. Damit konnte erstmals gezeigt werden, dass Acrylamid aus Proteinen auch unabhängig von der Maillard-Reaktion entstehen kann. Durch Studien an Modellsystemen konnte die von den Hohenheimer Forschern aufgestellte Hypothese untermauert werden. Damit wird auch deutlich, dass eine vollständige Vermeidung der Acrylamid-Entstehung in Getreideprodukten nicht möglich ist. 10 LANDESSTIFTUNG Baden-Württemberg 2006 alles plausibel, meint Schreiter vom CVUA, aber bis dieser Wissensstand erreicht war, musste sie zusammen mit ihrer Assistentin viele kleine Brötchen backen. Um genau zu sein: an jedem Versuchstag 100 Brötchen aus 20 Gramm labortechnisch hergestelltem Mehl. Die Verwendung der künstlich aus Weizenstärke und Weizeneiweiß gemischten Mehle sei zwar ein bisschen praxisfern, sagt Pat Schreiter, aber zur Vereinfachung der komplexen Zusammenhänge eines Backprozesses und zur Untersuchung des Einflusses einzelner Parameter sind sie eine wichtige Hilfe. Mit der am Untersuchungsamt seit den ersten Meldungen über Acrylamid in Lebensmitteln in kurzer Zeit entwickelten Analysetechnik konnten zuverlässige Ergebnisse erzielt und unter anderem die These der Hohenheimer bestätigt werden. Doch als Königsweg ist auch dieser Pfad ungeeignet: Parallel zum Abbau der Stärke, die während der Hefegärung ebenso wie Zucker und Aminosäuren umgebaut wird, verliert der Teig zunehmend seine Struktur. Brote, deren Teig zu lange „ging“, laufen im Backprozess „breit“ und fallen in sich zusammen. Auch die Hohenheimer Forscher erprobten derweilen – mit „realen“ Mehlen aus den Versuchen des Instituts für Pflanzenbau – ihre Fähigkeiten als Bäcker. Bereits im Vorfeld war es ihnen gelungen, die Einstellung des vorhandenen >HPLC-- Massenspektrometers so zu optimieren, dass Acrylamid im Backwerk selbst Projektbeispiele im Spurenbereich gemessen werden kann. So konnten die weiteren Backversuche zu Temperaturhöhe und Backdauer sowie verschiedenen Ofentypen und Mehl-Zusammensetzungen (unterschiedliche Getreide-Sorten und StickstoffDüngung) äußerst exakt bewertet Eindeutig konnten Claus und Schieber nachweisen, dass ein das Backwerk schnell erhitzender und austrocknender Umluft-Ofen zu mehr Acrylamid führt als ein Etagenofen. werden. Neben dem Acrylamid bestimmten die Wissenschaftler an der Universität Hohenheim und am CVUA weitere 20 Parameter wie Zuckergehalte, Enzymaktivitäten, Aschegehalte für alle 36 verwendeten Mehle. schiedenen Backtemperaturen erzielten gleichen Bräunungsgrad der Brötchen mit dem Acrylamid-Gehalt in Verbindung zu bringen. Achim Claus: „Bei gleichen sensorischen Eigenschaften, also Geschmack und Bräunungsgrad, ist es Bild: P. Fendrich Zu ebenso eindeutigen Ergebnissen führte auch der Ansatz, den mit ver- Köstliches Brot frisch aus dem traditionellen Holzofen im Backhaus. Bemehlt oder unbemehlt macht allerdings einen entscheidenden Unterschied. besser, ein bisschen länger bei niedrigerer Temperatur zu backen.“ Durch die Zusammenführung der analytischen Ergebnisse der Hauptakteure im Projekt, ergänzt durch Messungen an der BfEL in Karlsruhe, bekamen die ermittelten Daten eine besondere Aussagekraft. Bemehltes Brot Auf eine weitere ganz einfach umsetzbare Vermeidungs-Möglichkeit ist Pat Schreiter gestoßen. Die Tatsache, dass in trocken erhitztem Mehl wegen der fehlenden Reduzierung des Asparagins durch Gärung viel mehr Acrylamid gemessen wird als im fertigen Brot, brachte sie auf die Idee, Brote zu untersuchen, die vor dem Backen mit Mehl überstäubt wurden. Zum Teil mit schnell im Laden eingekauften Broten gingen die Experten der Sache auf den Grund und testeten das „bemehlte“ Brot einmal mit Mehl und einmal vom Mehl befreit. Pat Schreiter: „Abgesehen von zwei Ausnahmen, die im Bereich der Messunsicherheit lagen, konnten wir tatsächlich feststellen, dass in dem von Mehl befreiten Brot immer weniger Acrylamid nachweisbar war.“ Insgesamt lässt sich zum aktuellen Zeitpunkt festhalten, dass sich das Acrylamid in Backwaren zwar sicher nicht ganz beseitigen lässt, es jedoch möglich ist, die Belastung wesentlich zu reduzieren. Welcher Weg dabei welchen Erfolg bringt, können die Wissenschaftler noch nicht schlussendlich sagen. Doch ein guter Anfang ist gemacht. Iris Lehmann LANDESSTIFTUNG Baden-Württemberg 2006 11 Albrecht Weber, Achim Claus, Andreas Schieber und Reinhold Carle von der Uni Hohenheim und Pat Schreiter vom CVUA Stuttgart Bilder: I. Lehmann DEFINITIONEN Probiotika: Definierte lebende Mikroorganismen, die in ausreichender Menge in aktiver Form in den Darm gelangen und dadurch positive gesundheitliche Wirkungen erzielen (Berliner Arbeitskreis Probiotika). Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen (CED): Chronische oder chronisch rezidivierende (wiederkehrende) Entzündung der Dickdarmschleimhaut (Colitis ulcerosa) oder des gesamten MagenDarm-Traktes mit Tendenz zur Diskontinuität und Befall aller Wandschichten (Morbus Crohn). Die Ursachen von CED sind weitgehend unbekannt. Epithel: Die Schleimhaut bedeckende Zellschicht. Weitere Begriffsdefinitionen im Glossar, S. 37ff