ISSN 2190-4278 | Jahrgang 7 | Heft 3 (September) 2016 BAUSUBSTANZ Zeitschrift für nachhaltiges Bauen, Bauwerkserhaltung und Denkmalpflege Wohnen im Denkmal – Wiederbelebung eines Kulturgutes Modernisierung der Werkstätten DEULA 3-D-Fotogrammetrie für die Bestandsanalyse Erhaltung und Sanierung historischer Stadt- und Stützmauern 40 Jahre WTA e.V. Wissenschaftlich-Technische Arbeitsgemeinschaft für Bauwerkserhaltung und Denkmalpflege e. V. 1|2|3|4 2016 Denkmalpflege Abb. 1: Das Reihenhausensemble, Hauptstraße 4, 6 und 8 Tanja Eckert Wohnen im Denkmal Wiederbelebung eines leer stehenden Kulturgutes Als eines der ältesten Häuser der Gemeinde Beuren ist das dreiteilige Gebäudeensemble Zeuge einer langen und bewegten Geschichte. Für das seit Jahren leer stehende, denkmalgeschützte Objekt aus dem Jahr 1422 wurde ein ganzheitliches Energie- und Restaurierungskonzept entwickelt. Mithilfe dieser denkmalgerechten Planung entstehen in dem Gebäudekomplex drei neue Wohneinheiten, die die Baukultur vergangener Generationen bewahrt und mit den heutigen, modernen Wohnansprüchen verbindet. Erfolgsrezept für eine stimmige Restaurierung sind ein ganzheitlicher Ansatz und ein sensibles Vorgehen. Die Geschichte des Hauses Die idyllisch gelegene Gemeinde Beuren am Fuße des Hohen Neuffen, im Einzugsgebiet von Stuttgart, verfügt über die höchste Dichte geschützter Baudenkmale in Bausubstanz 3 | 2016 Baden-Württemberg. Das bedeutendste Gebäudeensemble des Ortes befindet sich in zentraler Lage im historischen Ortskern, in unmittelbarer Nähe des historischen Rathauses und weiteren imposanten Baudenkmalen, die teilweise bereits restauriert wurden. Die bauhistorische Untersuchung ergab, dass der Kernbau mit der Hausnummer 4 im Jahr 1422 errichtet wurde. Ursprünglich war das Gebäude ein einfaches Bauernhaus mit Scheune, und vorwiegend der landwirtschaftlichen Nutzung vorbehalten. Im Laufe des 18. Jahrhunderts gab es mehrere bauliche Eingriffe und immer wieder Anbauten und bauliche Ergänzungen. Erst 1858 wurde das einstige Bauernhaus zu einem anspruchsvollen, städtisch-bürgerlichen Wohnsitz umgebaut. Der letzte bedeutende Anbau wurde im Jahr 1863 realisiert. Diese späte und letzte Erweiterung wurde bis 1951 als Schulhaus der Gemeinde 61 Denkmalpflege 62 Abb. 2: Das Bürgermeisterhaus mit verschindeltem Quergiebel Abb. 3: Kunstvoll verzierter Balkon aus dem 19. Jahrhundert genutzt. In der Mitte des 19. Jahrhunderts erhielt das Gebäude sein heutiges Erscheinungsbild. Kennzeichnend sind hierbei der verschindelte Quergiebel (Abb. 2) und der verzierte Balkon aus Eisen (Abb. 3). Der erste und älteste Gebäudeteil wurde zu dieser Zeit auch im Innenraum modernisiert und diente bis zuletzt dem damaligen Bürgermeister als Wohnsitz. Die noch vorhandenen Ausstattungselemente in diesem Gebäudeteil stammen ebenfalls aus dieser Umbauphase und bezeugen den Reichtum des damaligen Eigentümers. Umlaufende Stuckprofile, Wandtäfer unter den Fenstern, Pitch-Pine-Massivholzdielen und einige historische Fenster (Abb. 4) sind noch in gutem Zustand erhalten. Die ursprüngliche Raumaufteilung ist zum Großteil auch heute noch vorhanden. Im Erdgeschoss aller drei Gebäudeteile befanden sich die untergeordneten Wirtschaftsräume wie Werkstätten oder Lagerräume. Der Wohnbereich beschränkte sich im ersten Nutzungszeitraum auf das Obergeschoss, erst ab Mitte des 19. Jahrhunderts wurde auch das erste Dachgeschoss um- und ausgebaut und ebenfalls als Wohnraum erschlossen. In den vergangenen Jahren gab es immer wieder Bemühungen seitens der Gemeinde, passende Käufer für das Objekt und dessen Restaurierung zu finden. Die letzten Entwürfe potenzieller Interessenten scheiterten leider immer wieder an Unstimmigkeiten zwischen den Vorstellungen der Bauherren und den Belangen des Denkmalamtes. Es konnte keine Einigung gefunden werden, die für beide Parteien tragbar war. Nutzungskonzept Das historische Reihenhausensemble (Abb. 1) besticht durch seine noch erhaltene bauzeitliche Originalität und die noch vorhandene ursprüngliche Raumstruktur. Gemeinsam mit der Gemeinde, den zuständigen Baubehörden und dem Landesamt für Denkmalpflege, wurde ein denkmalgerechtes Planungskonzept entwickelt (Abb. 5). Das Gebäude wird seinen Reihenhauscharakter auch bei der zukünftigen Nutzung beibehalten. Die ursprüngli- Abb. 4: Historische Fenster Bausubstanz 3 | 2016 Denkmalpflege Abb. 5: Geplante bauliche Änderungen che Trennung der drei Reihenhäuser wird wiederhergestellt, sodass drei separate Wohneinheiten entstehen. Der großzügige Wohnraum aller drei Einheiten erstreckt sich auch zukünftig über mehrere Geschosse. Die ursprüngliche Raumstruktur bleibt dabei weitestgehend erhalten. Das Erdgeschoss wird weiterhin für die Unterbringung der Nebenräume vorgesehen und bietet zudem Platz für je eine Garage. Der eigentliche Wohnraum erstreckt sich über das Oberund Dachgeschoss. Im Obergeschoss befinden sich bei allen drei Einheiten Wohn- und Esszimmer sowie die Küche. Im ersten Dachgeschoss liegen die Schlafräume und das private Badezimmer. An der Nordwestseite des Gebäudes werden im Obergeschoss drei neue Balkone realisiert. Die neuen Balkone werden zurückhaltend aus einer verzinkten Stahlkonstruktion gefertigt. Die Optik der bestehenden Fenster bleibt bei dem gesamten Ensemble erhalten. In dem ehemaligen Bürgermeisterhaus werden die historischen, einfachverglas- Bausubstanz 3 | 2016 Bestand Abbruch ten, zweiflügeligen Fenster restauriert und mit neuen, innenliegenden Isolierglasfenstern zu Kastenfenstern umgebaut. In den beiden Gebäudeteilen Nr. 6 und 8 stammen die Fenster aus einer der späteren Umbauphasen. Hier werden neue Holzfenster mit Sprossenteilung nach vorhandenem Vorbild eingebaut. An der Außenfassade wird der vorhandene Zementkalkputz entfernt und ein neuer Dämmkalkputz aufgetragen, dessen genaue Farbe und Struktur mit dem Denkmalamt abgestimmt und nach historischem Vorbild ausgeführt werden. Der verschindelte Quergiebel wird restauriert und prägt auch weiterhin das äußere Erscheinungsbild des Gebäudes. Der historische Gewölbekeller unter dem ehemaligen Bürgermeisterhaus wird ebenfalls instandgesetzt und bleibt auch weiterhin von außen zugänglich. Jeder Gebäudeteil hat durch seine ursprüngliche Nutzung einen ganz eigenen Charakter und unterscheidet sich in Zustand und noch vorhandener Ausstattung. Dieser jeweilige Charakter wird bei der geplanten Neuplanung Sanierung natürlich berücksichtigt und entsprechend hervorgehoben. Der Innenraum des ehemaligen Bürgermeisterhauses (Abb. 6) beispielsweise wird durch die noch zahlreich vorhandenen Einbauten und Ausstattungsgegenstände geprägt. Eine einfach gehaltene Stuckkehlung, von profilierten Fensterbegleitleisten gerahmte Wandtäfer unterhalb der Fenster, profilierte Sockelbretter und profilierte Türbegleitungen (Abb. 7) sind noch in gutem Zustand erhalten und erzeugen einen einzigartigen Charme. Diese charakteristischen Merkmale sollen natürlich auch zukünftig erhalten bleiben und prägen maßgeblich den Charakter dieser Wohneinheit. Es wurden restauratorische Befunduntersuchungen im Innenraum durchgeführt, die Aufschluss über Bauzeit und verwendete Materialien geben. Diese Untersuchungen dienen als Leitfaden für die geplanten Maßnahmen. Eingriffe in die historische Subs­tanz erfolgen in bestandsgleichen Materialien und entsprechenden historischen Handwerkstechniken. Wo es 63 Denkmalpflege Abb. 6: Empfangsbereich des Bürgermeisterhauses erhalten. Kombiniert wird die historische Bausubstanz und bauzeitliche Konstruktion mit modernen Ausstattungselementen. Dabei müssen die zukünftigen Bewohner auf keinerlei Komfort verzichten. Wer in einem Haus aus dem Mittelalter wohnt, muss dies nicht in mittelalterlichen Verhältnissen tun. Moderne Badausstattungen, stilvolle Designküchen, ein zeitgemäßer Energieverbrauch und moderne Technik sind auch in einem denkmalgeschützten Objekt mit bestandsschonenden Eingriffen zu realisieren. Erfolg durch Kommunikation und Zusammenarbeit Abb. 7: Noch vorhandene Innentür möglich ist, wird die noch vorhandene Substanz wieder freigelegt und sichtbar belassen. Markante, gut erhaltene Einbauten und Bauteile wie die noch vorhandene Holztreppe im ehemaligen Bürgermeisterhaus und die charakteristisch breite Treppe im alten Schulhaus werden als zentrale Gestaltungselemente restauriert und 64 Das Ziel der Denkmalämter ist die möglichst unveränderte Erhaltung der denkmalwerten Substanz, des äußeren Erscheinungsbildes sowie der noch vorhandenen denkmalbestimmenden Eigenschaften des betreffenden Objektes. Dabei ist nicht nur die Tatsache von Bedeutung, dass ein Gebäude unter Denkmalschutz steht, sondern auch die Information, warum es denkmalgeschützt ist. Dieses Wissen ermöglicht von Beginn an eine bestandsschonende und konservierende Restaurierungsplanung mit dem Augenmerk auf die wesentlichen Bauteile. Denkmalschutz kann nur durch frühzeitige konstruktive Zusammenarbeit aller Beteiligten zielführend umgesetzt werden. Jedes geschützte Objekt verlangt eine denkmalverträgliche individuelle Lösung, eine ganzheitliche Betrachtungsweise und eine substanzschonende Instandsetzung. Die geplante Nutzung darf nicht im Widerspruch zu den Anforderungen stehen, die das Gebäude durch seine Geschichte und Konstruktion bereits vorgibt. Um persönliche Ansprüche durchzusetzen, werden viel zu oft standardisierte Rundumsanierungen durchgeführt, wobei dem Gebäude eine völlig unpassende Nutzung aufgezwungen wird und man keine Rücksicht auf bestehende Gegebenheiten nimmt. Neben der noch vorhandenen Gebäudestruktur und Ausstattung sind die statische Belastbarkeit der historischen Konstruktion und die Nutzungsverteilung ebenso zu beachten wie die Anforderungen an energetische und haustechnische Standards, die durch eine Nutzungsänderung eintreten können. Jede Maßnahme, die zu einer energetischen Ertüchtigung des Objektes beitragen soll, verändert das bauphysikalische Gleichgewicht eines so alten Hauses. Ist man sich dieser Abhängigkeiten nicht bewusst, kann eine unüberlegte Teilmaßnahme schnell ungewollte Nebenwirkungen im gesamten Gebäude hervorrufen. Unerlässlich für eine fachgerechte Instandsetzung und ein ganzheitliches Energie- und Restaurierungskonzept sind eine ausführliche Bestanderfassung und Bestandsanalyse. Fundierte Kenntnisse über die vorhandene Kons­ truktion, die verwendeten Materialien und die bauphysikalischen Eigenschaften des vorhandenen Gefüges sind im Umgang mit einem Kulturdenkmal und für dessen zukünftigen Erhalt entscheidend. Grundlage jeder stimmig ausgeführten Baumaßnahme ist eine fachkundige Planung. Um dies zu erreichen ist es erforderlich, gleich zu Beginn der Konzepterstellung alle zuständigen Fachplaner und Energieberater mit einzubeziehen und das Konzept frühzeitig mit dem Denkmalamt Bausubstanz 3 | 2016 Denkmalpflege und den zuständigen Fachbehörden abzustimmen. So lassen sich schnell und ohne große Schwierigkeiten stimmige Lösungen finden, die allen entsprechenden Belangen und Anforderungen gerecht werden. Bevor es in die Abstimmungsphase geht, muss der zukünftige Nutzer des denkmalgeschützten Objektes prüfen, ob seine Vorstellungen und Ansprüche überhaupt passend und verträglich für das gewählte Denkmal umgesetzt werden können. Als Denkmaleigentümer muss einem klar sein, dass das Gebäude bestimmte Nutzungen von vornherein ausschließt und nicht alle Konzepte ohne Kompromisse umsetzbar sind. Vor Projektstart muss daher mit den Bauherren geklärt werden, welche Vorstellungen und Wünsche sie für ihren zukünftigen Wohnraum haben und welche Grenzen das Gebäude aufzeigt. Die Erfahrung zeigt, dass sich bei kooperativer Zusammenarbeit die Anforderungen der Nutzer in den meisten Fällen mit den Vorgaben des Gebäudes und des Denkmalamtes vereinen lassen. Durch eine frühzeitige Abstimmung entstehen sehr gelungene Ergebnisse, die die vorangegangenen Erwartungen sogar oft übertreffen. Für die Ausführung einer stimmigen Restaurierungsplanung und die fachgerechte Umsetzung des energetischen Sanierungskonzeptes sind unterschiedliche Gewerke notwendig. Gerade bei einer denkmalgerechten Restaurierung ist es erforderlich, dass die beteiligten Handwerker eine entsprechende Qualifikation für Baudenkmale besitzen oder über die notwendigen Erfahrungen im Umgang mit historischen Gebäuden verfügen. Neben der Beherrschung ursprüng- Bausubstanz 3 | 2016 licher Handwerkstechniken ist eine Sensibilität für den historischen Bestand erforderlich. Den jeweiligen Handwerkern muss bewusst sein, dass ihr Gewerk nur ein Teil einer ganzheitlichen Gesamtmaßnahme ist. Nur wenn die Schnittstellen klar definiert und kommuniziert werden, können die einzelnen Gewerke sinnvoll ineinandergreifen. Alle am Bau beteiligten Fachleute müssen nicht nur ihr eigenes Gewerk verstehen, sie müssen vor allem das Gebäude verstehen und sich auf die Individualität des Objektes einlassen können. Vorteil Denkmal Viele Immobilienkäufer schrecken leider immer noch vor dem Erwerb eines denkmalgeschützten Objektes zurück. Trotz zahlreicher gelungener Beispiele ist der allgemeine Tenor oft negativ. Die Denkmalämter werden beschuldigt, geplante Veränderungen verhindern zu wollen, ohne vorab überhaupt das Gespräch gesucht zu haben, und die Kosten für eine Sanierung gelten als unkalkulierbar. Dabei bringt der Kauf eines Denkmals viele Vorteile mit sich. Es können beispielsweise finanzielle Fördergelder in Anspruch genommen werden und steuerlich sind hohe Abschreibungen für die Restaurierung eines Denkmals möglich. Natürlich ist eine von vornherein belastbare Finanzierungsplanung eine große Erleichterung für die Interessenten eines restaurierungsbedürftigen Objektes. Zum Glück gibt es aber auch immer mehr Bauherren, die sich ganz bewusst für ein Denkmal entscheiden oder sogar gezielt nach einem historischen, geschützten Objekt suchen. Für diese Menschen bedeutet das anders Woh- nen, abseits der gängigen Industrienormen, eine bestimmte Lebensqualität. Sie entscheiden sich bewusst für eine individuelle Wohnform mit nicht immer geraden Wänden und Böden, und sind bereit, Kompromisse einzugehen. Dafür wohnen sie in einzigartigen Objekten mit viel Charme und Charakter, den man in einem Neubau vergeblich sucht. Zahlreiche, schon realisierte Beispiele zeigen, dass es möglich ist, vorhandene Bauwerke substanzschonend zu restaurieren und mit modernen Wohnanforderungen zu kombinieren. Die Bausubstanz wird das Projekt in den nächsten Ausgaben weiter begleiten. INFO/KONTAKT Tanja Eckert M.A. Architektur Studium der Architektur an der Hochschule Wismar; seit 2013 zuständige Architektin für die Gesamtrestaurierung von historischen Gebäuden und seit 2014 außerdem Leiterin der Planungs­ abteilung bei JaKo Baudenkmalpflege GmbH. JaKo Baudenkmalpflege GmbH Emishalden 1 88430 Rot an der Rot Tel.: 07568 96060 Internet: www.jako-baudenkmalpflege.de 65