Drucksache 18/5499 - Bundesanzeiger Verlag

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Deutscher Bundestag
Drucksache
18. Wahlperiode
18/5499
02.07.2015
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Peter Meiwald, Christian Kühn (Tübingen), Oliver Krischer,
Annalena Baerbock, Harald Ebner, Bärbel Höhn, Sylvia Kotting-Uhl,
Steffi Lemke, Dr. Julia Verlinden weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Gesundheitsgefahren durch Holzschutzmittel und andere Biozide
Biozide werden zur Desinfektion verwendet, aber auch, um Fassaden von Gebäuden zu schützen, um den Pflanzenbewuchs bei Schiffen zu verhindern und
Nagetiere zu bekämpfen. Doch die Mittel bergen auch Gefahren für Mensch und
Umwelt, die auch die Bundesregierung nach Auffassung der Fragesteller selbst
lange Zeit unterschätzt hat. Dies spiegelt sich auf europäischer Ebene wider: Die
aktuelle EU-Biozid-Verordnung (Verordnung (EU) Nr. 528/2012) erfasst bisher
nur das Inverkehrbringen von Biozidprodukten, nicht aber, wie diese verwendet
werden dürfen. Häufig erfüllen Biozide nicht nur den ihnen zugedachten Zweck,
sondern schädigen auch Lebewesen im Boden und in Gewässern. Gelangen Biozide bei ihrer Verwendung in die Umwelt und die Umgebung von Menschen,
werden sie zu einem Risiko für die Gesundheit und die Umwelt. Um dieses
Risiko zu minimieren, müssen gesetzliche Regelungen auf nationaler und auf
europäischer Ebene weiterentwickelt werden.
Biozidaltlasten in Form von gesundheitsschädlichen Holzschutzmitteln, die
lange Zeit im Bau eingesetzt wurden, bereiten seit Jahren Probleme und machen
deutlich, dass von Seiten der Bundesregierung ein Handeln erforderlich ist. So
wurden zum Beispiel bei Messungen in einem Zweifamilienhaus durch das
Bremer Umweltinstitut im April 2015 teilweise sehr hohe Belastungen mit den
stark gesundheitsschädlichen Holzschutzmittelbestandteilen Pentachlorphenol
(PCP), Polychlorierte Naphthaline (PCN) und Lindan gemessen. Diese Mittel
können unter anderem zur Reizung der Schleimhäute, Übelkeit, Erbrechen,
Muskelschwäche und in schweren Fällen zu Überhitzung, Krampfanfällen und
Atemlähmung führen. Bei langfristiger Exposition können Gewichtsverlust, Leber-, Nieren- und Knochenmarkschäden auftreten. Im Ergebnis wurden die betroffenen Räume 55 Jahre nach der Verwendung der Holzschutzmittel als „für
einen dauerhaften Aufenthalt nicht geeignet“ eingestuft und vom Bremer Umweltinstitut eine Sanierung des Dachstuhls empfohlen.
Vor dem Hintergrund, dass nach DIN 68800 alle Häuser in den Jahren von 1956
bis 1990 verpflichtend mit pentachlorphenol- und lindanhaltigen Holzschutzmitteln behandelt werden mussten, ist davon auszugehen, dass diese auch heute
noch von massiven Belastungen dieser Wirkstoffe betroffen sind.
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Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welche krebserregenden, mutagenen oder reproduktionsbeeinträchtigenden
Substanzen und Substanzen mit endokrinen Eigenschaften sowie beständige,
bioakkumulative und toxische Substanzen wurden nach Kenntnis der
Bundesregierung über die Ausnahmeregelungen des Artikels 5 Absatz 2 der
Verordnung (EU) Nr. 528/2012 als Bestandteile von Biozidprodukten genehmigt?
Die Verwendung welcher Biozidprodukte wurde darüber hinaus durch die zuständige Behörde in Deutschland als eine Ausnahme im Sinne der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 genehmigt (bitte nach Produkt, Wirkung auf Mensch
sowie Umwelt, jeweiligem Ausnahmetatbestand und Begründung der Ausnahme aufschlüsseln)?
2. Wie sind die in Frage 1 genannten Produkte nach Ansicht der Bundesregierung im Hinblick auf ein hohes Schutzniveau für die Gesundheit von Mensch
und Tier und für die Umwelt zu bewerten?
Wie viele dieser Biozidprodukte sind heute noch für die Verwendung zugelassen?
3. Wie beurteilt die Bundesregierung die geltenden Anforderungen an die Überwachung des Umgangs mit Bioziden und an die Wartung der dazu verwendeten technischen Ausrüstung, insbesondere bezüglich Sprühgeräten für Insektizide, biozidhaltige Fassadenschutzfarben, Antifoulinganstrichen oder
Holzschutzmitteln?
Welche Daten bezüglich Fehlanwendungen in diesem Bereich sind der Bundesregierung bekannt?
4. Welche Daten zu Bioziden liegen der Bundesregierung in den Bereichen des
Gewässermonitorings und des Human-Biomonitorings vor, und wie tragen
diese Daten dazu bei, das erklärte Ziel der Verordnung (EU) Nr. 528/2012,
ein hohes Schutzniveau für die Gesundheit von Mensch und Tier und für die
Umwelt, zu gewährleisten?
Sieht die Bundesregierung die Notwendigkeit gegeben, dass das angesprochene Monitoring weiter ausgebaut wird, und welche Planungen bestehen
diesbezüglich?
5. Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung vor dem Hintergrund, dass
Holzschutzmittel, die zeitweise gesundheitsschädliche Stoffe beinhalteten,
häufig außen an Gebäuden verarbeitet wurden, über die Verunreinigung von
Oberflächengewässern durch Biozidprodukte einschließlich Holzschutzmittel vor?
Sollten der Bundesregierung hier keine Erkenntnisse vorliegen, warum ist
aus Sicht der Bundesregierung eine entsprechende Datenerhebung aus Gründen des Gesundheits- und Umweltschutzes notwendig oder nicht notwendig?
6. Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung bezüglich des Einsatzes
von Bioziden in Textilien und Haushaltswaren vor, und wie bewertet sie das
Schutzniveau für die Gesundheit von Mensch und Tier und für die Umwelt in
diesem Zusammenhang?
7. Inwieweit sind die vom Umweltbundesamt im März 2014 angekündigten
Studien zur Erarbeitung konkreter Vorschläge, um Risiken bei der Anwendung von Bioziden zu vermeiden, bereits als Teil gesetzlicher Regelwerke in
Kraft getreten?
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a) Was beinhalten die angekündigten konkreten Vorschläge bezüglich der
Verkaufs- und Anwendungsbeschränkungen besonders risikobehafteter
Produkte, der Aus- und Weiterbildung von professionellen Anwendern,
der guten fachlichen Praxis der Anwendung von Biozidprodukten und
der Information und Sensibilisierung der Öffentlichkeit über die Risiken
der Biozidverwendung und mögliche Alternativen?
b) Sollten die Vorschläge noch nicht gesetzlich verankert sein, wie sieht
diesbezüglich die Planung der Bundesregierung aus?
Wie sollen diese konkreten Vorschläge auf nationaler oder europäischer
Ebene gesetzlich umgesetzt werden, wie sieht diesbezüglich die zeitliche
Planung der Bundesregierung aus, oder welche Kenntnisse hat die Bundesregierung bezüglich dieser Planungen?
8. Welche gesetzlichen Vorgaben bestehen nach Kenntnis der Bundesregierung für den Fall einer Umnutzung eines möglicherweise mit gesundheitsschädlichen Holzschutzmitteln belasteten Dachgeschosses zu Wohnzwecken?
Sieht die Bundesregierung hier Handlungsbedarf, um einen effektiven Verbraucherschutz zu gewährleisten?
Wenn nicht, aus welchen Gründen?
9. In wie vielen Haushalten wurden, nach den der Bundesregierung und ihren
Behörden (insbesondere Bundesgesundheitsamt, Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin, Bundesinstitut für
Risikobewertung) vorliegenden Informationen, PCP-, PCN- oder lindanhaltigen Holzschutzmittel zwischen den Jahren 1956 und 1986 verwendet?
Sollten der Bundesregierung hier keine Informationen vorliegen, aus welchen Gründen hält die Bundesregierung eine Erhebung oder Schätzung für
unmöglich bzw. unnötig?
Wie viele Baugenehmigungen wurden in dem genannten Zeitraum nach
Kenntnis der Bundesregierung erteilt?
10. Beabsichtigt die Bundesregierung vor dem Hintergrund, dass derzeit in
Deutschland mit umfangreichen Förderprogrammen auch die zwischen den
Jahren 1956 und 1986 gebauten Häuser wärmeisoliert und luftdicht abgeschlossen werden, sodass die Gefahr des Einschlusses möglicherweise gegebener gesundheitsschädlicher Holzschutzmittel besteht, die Förderungsbedingungen der KfW dahingehend zu ergänzen, dass vor einer förderfähigen Wärmeschutzmaßnahme ein Schadstoffscreening zu erfolgen hat?
Wenn nicht, aus welchen Gründen?
11. Sieht die Bundesregierung vor dem Hintergrund, dass von einem in
Frage 10 erwähnten Einschluss auch andere gesundheitsschädliche Immissionsquellen wie beispielsweise Flammschutzmittel, Aldehyde, flüchtige
organische Verbindungen, polychlorierte Biphenyle oder Nanopartikel aus
Tonerstäuben betroffen sind, die Notwendigkeit, die Belastung der Luft in
Gebäuden oder Teilen von Gebäuden gesetzlich oder in Form von Verwaltungsvorschriften zu regeln?
Wenn nein, warum nicht?
12. Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung, um sicherzustellen, dass es
durch Abdichtung des Daches oder der sonstigen Gebäudehülle im Zuge
einer Gebäudesanierung nicht zu einer durch Holzschutzmittel verursachten
erhöhten Schadstoffkonzentration in der Raumluft kommt?
Sollte die Bundesregierung hier keine Maßnahmen planen, warum nicht?
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13. Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung bezüglich eines Zusammenhangs zwischen bioziden Holzschutzmitteln als Nervengift und neurologischen Erkrankungen, wie Alzheimer, Parkinson oder multipler Sklerose, vor?
Sind Forschungsvorhaben geplant, um einen möglichen Zusammenhang zu
untersuchen?
Wenn nein, warum nicht?
Wenn ja, in welchem Jahr sollen dafür Mittel im Haushalt festgeschrieben
werden?
14. Liegen der Bundesregierung und insbesondere dem bundeseigenen Johann
Heinrich von Thünen-Institut Erkenntnisse vor, die eine Holzschutzmittelbelastung (insbesondere Dichlordiphenyltrichlorethan, PCP, Lindan und
PCN) von Innenräumen im Gebiet der neuen Bundesländer anzeigen?
In welchem Umfang wurden hierzu Untersuchungen angestellt (bitte Anzahl der untersuchten Gebäude oder Gebäudeteile angeben)?
Welche Untersuchungen sind hierzu nach Kenntnis der Bundesregierung
geplant?
Sollten hierzu keine Untersuchungen geplant sein, aus welchen Gründen?
15. Welche Bedeutung haben nach Kenntnis der Bundesregierung Dioxine als
Bestandteil von Holzschutzmitteln für die Schadstoffbelastung von Innenräumen?
16. Wo werden nach Kenntnis der Bundesregierung die Akten des XylamonProzesses und die bundeseigenen Akten mit Bezug zum Xylamon-Prozess
aufbewahrt, in welchem Umfang sind diese der Öffentlichkeit zugänglich,
und wie lange werden diese aufbewahrt?
Berlin, den 30. Juni 2015
Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion
Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de
Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de
ISSN 0722-8333
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