Mit Spannungen leben: Agonien in human- und geisteswissenschaftlicher Forschung Konkurrierende Deutungsansprüche und Definitionsmächte im Kontext religiöser Pluralisierung: Agonien in historisch-kulturwissenschaftlicher Perspektive (Teilprojekt im Arbeitsbereich Geschichte) Ausgehend von der Reformation als historisches Phänomen und dem anstehenden Jubiläum 2017 wird es in verschiedenen Lehr-/Lernformen forschungs- und projektorientierter Lehre um mehrere Ebenen konkurrierender Deutungsansprüche und Definitionsmächte gehen: zum einen um (religiöse) Pluralisierungen und damit zusammenhängend um konkurrierende religiöse Deutungsangebote, die sich seit 1517 intensivieren (u.a. Religionskriege, Märtyrer, Widerstandstheorien, Freiheit des religiösen Gewissens usw.); zum anderen um konkurrierende Formen des Gedenkens (Reformationsjubiläen in der Geschichte und aktuell 500 Jahre Reformation 2017) vor dem Hintergrund theoretischer und methodischer Reflexion von Erinnerungskultur. Einen weiteren Aspekt stellen geschichtspolitische und konfessionspolitische Deutungskonflikte (also kritische wissenschaftsgeschichtliche Perspektiven im internationalen Vergleich) dar sowie Konflikte in der alltäglichen Praxis religiösen Lebens im Kontext religiöser Pluralisierung und Konfessionalisierung, insbesondere am Beispiel von Generationenkonflikten. Einen besonderen inhaltlichen Forschungsschwerpunkt innerhalb dieser Ebenen konkurrierender Deutungsansprüche und Definitionsmächte wird das Thema „Generation“ und „Gender“ einnehmen. Die Angebote der forschungsorientierten Lehre zu dem oben skizzierten Thema werden eingebunden sein in ein Forschungsprojekt (Qualifikationsarbeit) zu dem Thema „Reformation und Generation“, das zusammen mit einer britischen Kollegin, Prof. Dr. Alexandra Walsham, University of Cambridge/UK durchgeführt werden wird. Das Forschungsfeld Die Perspektive der „Religiösen Pluralisierung“ hat in der Geschichtswissenschaft einen Paradigmenwechsel eingeleitet und die vor allem in Deutschland lange dominierende Konfessionalisierungsforschung um wichtige neue kulturwissenschaftliche Fragestellungen nach der religiösen Praxis, dem Wechselverhältnis von Theologie und alltäglichen Glaubensvorstellungen sowie den Aneignungsprozessen und Umdeutungen theologischer Glaubensinhalte ermöglicht. Ziel dieser Ansätze ist es, eine Brücke zu schlagen zwischen langfristigen konfessionellen Entwicklungsdynamiken und religiösen Kulturen auf der Ebene gelebter konfessioneller Erfahrungen. Gruppen Entsprechend hinterfragt und wird nicht die mehr Homogenität ausschließlich innerhalb nach der Herausbildung von eindeutigen Identitäten gesucht. Identität kann vielmehr als ein Marker verstanden werden, der aus Prozeduren der Selbstwahrnehmung und Fremdzuschreibung entsteht. Damit stellt sich für die jüngere Forschung weniger die Frage nach religiösen Identitäten, sondern vielmehr diejenige nach Prozessen religiöser Subjektivierung im Kontext religiöser Pluralisierung. Diese Forschungsfragen und Erkenntnisse sind von hoher Relevanz nicht nur mit Blick auf aktuelle Forschungstendenzen im internationalen Kontext, sondern auch bezogen auf gegenwärtige Herausforderungen. Nicht nur in den Medien, sondern auch in einer Reihe aktueller Studien wird die hohe politische und gesellschaftliche Relevanz religiöser Pluralisierung, religiöser Deutungsmacht und der Politisierung des Religiösen in unserer Gegenwart betont. Davon zeugt nicht zuletzt eine wachsende Zahl nicht nur geschichtswissenschaftlicher und kirchengeschichtlicher, sondern auch soziologischer Studien zu religiöser Pluralisierung und deren gesellschaftlicher Auswirkungen. Soziologen haben in ihren Forschungen aufgezeigt, dass es in der gegenwärtigen oft als richtungs- und haltlos wahrgenommenen Gesellschaft ein zunehmend starkes individuelles Bedürfnis nach Religion gibt. Allerdings ist dies nicht zwingend an bestimmte religiöse Institutionen oder Lehrmeinungen gebunden. Stattdessen legen sich die Menschen, so die Thesen, ihre individuelle Religion zurecht. Die Forschung spricht in diesem Zusammenhang von einer „Hybridität des religiösen Konsumverhaltens“. Andere Wissenschaftler sprechen von „Fluiden Religionen“. Im Zuge religiöser Pluralisierung sind neu entstehende religiöse Bewegungen zugleich Innovatoren und Indikatoren des religiösen Wandels moderner Gesellschaften. Unter den Vorzeichen von Individualisierung und Pluralisierung Gemeinschaften ist gegenwärtig zugunsten ein Bedeutungsverlust unverbindlicher Formen totaler religiöser religiöser Zugehörigkeit („Spiritualität“) zu beobachten. Dies führt zu einer Zunahme religiöser Alternativen und einer wachsenden gesellschaftlichen und kognitiven Komplexität, die nicht selten konfliktgeladen ist und zu Agonien bis in die kleinste gesellschaftliche Einheit, die Familie und Lebenspartnerschaften führt, sich aber auch in politischen Debatten um die Integrationsfähigkeit von Migranten, die an ihrem Glauben festhalten, entlädt. Auf einer anderen gesellschaftspolitischen und politischen Ebene stellt sich somit die breit diskutierte Frage, ob (religiöse) Pluralisierung aufgrund einer Vielfalt von Deutungsansprüchen, der Entstehung neuen Wissens und neuer Teilwirklichkeiten und der wachsenden Komplexität von kognitiven und sozialen Ordnungen vor allem Konflikte bis hin zu kriegerischen Auseinandersetzungen provoziert oder ob religiöse Pluralisierung eine Voraussetzung für ein friedliches Zusammenleben bedeutet. Zu verweisen sei an dieser Stelle exemplarisch auf Religionskriege und auf die Politisierung des Religiösen bis in unsere Gegenwart. Forschungsorientierte Erschließung Vor diesem Hintergrund sollen die in diesem Kontext geplanten forschungsorientierten Veranstaltungen einen ergänzenden praktischen, gesellschaftspolitischen Fokus erhalten. Geplant ist eine kritische Auseinandersetzung mit den bereits begonnenen und kontrovers diskutierten Jubiläumsvorbereitungen für das Gedenken an 500 Jahre Reformation im Jahre 2017. So werden die geschichtswissenschaftlichen Erkenntnisse einer international aufgestellten Forschung religiöser Pluralisierung in Beziehung gesetzt zu Jubiläumsvorbereitungen, die eine einseitig konfessionelle Handschrift tragen. Den Studierenden wird so ermöglicht, ihre eigenständig gewonnenen Erkenntnisse in Auseinandersetzung mit internationaler Forschung und interdisziplinären Fragestellungen auf die gegenwärtige Jubiläumsplanung anzuwenden. Geplant ist die Entwicklung eines alternativen Jubiläumskonzepts, dass sich aus den wissenschaftlichen Erkenntnissen speist und zusammen mit Kolleginnen anderer Fachdisziplinen unserer Fakultät und insbesondere auch aus dem Ausland erarbeitet werden soll. Gedacht ist an einen 2 Austausch mit Prof. Dr. Lyndal Roper, University of Oxford, die derzeit ein Buchmanuskript zu Martin Luther abschließt sowie mit Prof. Dr. Alexandra Walsham, die an dem Projekt „Reformation and Generation“ beteiligt sein wird. Mit Blick auf das Jahr 2017 sind eine internationale Tagung und eine virtuelle Ausstellung geplant. Die Erträge der forschungsorientierten Lehrveranstaltungen werden hier einfließen. Das komplexe und arbeitsteilige Projekt forschenden Lernens trägt der Heterogenität der Studierenden Rechnung, so dass verschiedene Vorkenntnisse und Fertigkeiten eingebracht werden können. Zur Zielgruppe gehören alle B.A.- und M.A.-Studierenden mit dem Berufziel Lehramt, da im neuen Kerncurriculum für Geschichte an Gymnasien die Schwerpunkte Reformation, Identitäten, Toleranz vorgesehen sind; angesprochen sind ebenfalls Studierende des forschungsorientierten Fachmasterstudienganges, da die kritische Auseinandersetzung mit der Konfessionalisierungs-forschung und die Fokussierung auf religiöse Pluralisierung ein lebendiges und breit diskutiertes neues Forschungsfeld eröffnet haben, das viele internationale Anknüpfungspunkte bietet. Das Lehrkonzept setzt auf eine kritische inhaltliche Auseinandersetzung mit der Jubiläumsvorbereitung (500 Jahre Reformation 2017), mit der Vermarktung dieses historischen Ereignisses und den damit verbundenen Kontroversen und Ansprüchen auf Deutungshoheit etc. Es fordert somit konzeptionelle Überlegungen zur Erinnerungskultur als methodisch-theoretischem Hintergrund für eine fundierte Reflexion der bereits anlaufenden Jubiläumsvorbereitungen sowie eine kritische Reflexion der Beziehung zwischen „public history“ (vor dem Kontext der Vermarktung des Jubiläums) und akademischer Forschung, Jubiläumskonzepts mit so dass deutlich die Entwicklung anderen Akzenten eines eigenen (religiöse (alternativen) Pluralisierung als Forschungsperspektive; Oekumene) möglich wird. Alexandra Walsham plant ebenfalls, ihre Forschungsergebnisse in Lehr-Lernprozesse einzubeziehen und einer breiteren Öffentlichkeit in Kooperation mit dem „Institute for the Public Understanding of the Past“ (University of York) zugänglich zu machen, so dass auch auf dieser Ebene die internationale Kooperation zum Tragen kommen kann. Um die forschungsorientierte Arbeit der Studierende weiter zu stärken, ist zudem eine Art Lehr-Lern-Labor geplant: Nach einer erfolgreichen Bewerbung als Forschungsstudierende können die Betreffenden eingebunden in den Forschungsdiskurs der Abteilung und ihre Kooperationen und intensiv betreut durch die Doktoranden des Lehrstuhls erste eigene Projekte verfolgen. Konkret werden in dem skizzierten forschungsorientierten Lehrprojekt folgende Produkte erstellt: – Vorbereitung und Durchführung einer internationalen Konferenz, an der die Studierenden aktiv teilhaben (u.a. durch Posterpräsentationen), – Publikation, – ggfs. Symposia oder Diskussionsrunden in Kirchengemeinden, – Präsentation in Schulen und Erstellen von Unterrichtsmaterialen (Quellen- und Materialsammlung zu Erinnerungskultur und Reformation), – Realisierung einer Website, auf der das Alternativkonzept in Form einer virtuellen Ausstellung präsentiert wird. 3 Damit ergibt sich für die Studierenden ein breiter Kompetenzgewinn in drei zentralen Bereichen: – Förderung fachlich-inhaltlicher Qualifikationen / forschungsorientierter Ertrag: Recherche, Organisation Argumentation und des erworbenen Interpretation; kritische Wissens, Reflexion theoriegestützte des Umgangs mit historischen Ereignissen in der Geschichtswissenschaft, in der Kirchengeschichte sowie in der medialen und öffentlichen Erinnerungskultur; kritische Auseinandersetzung mit der Breite der internationalen „Reformationsforschung“ und mit Deutungstraditionen, -mächten und -formen; kritische Auseinandersetzung mit Formen der Erinnerungskultur im Allgemeinen und vor diesem Hintergrund mit den Jubiläumsvorbereitungen im Besonderen; Entwicklung einer anderen Perspektive auf das Jubiläum vor dem Hintergrund internationaler Forschung, neuer wissenschaftlicher Forschungsansätze (religiöse Pluralisierung), Konzepte von Erinnern und Erinnerungskultur unter Einbeziehung auch regionaler Erinnerungsorte und –formen; Entwicklung eines eigenen Modells der Erinnerungskultur am konkreten historischen und zeitgenössischen Beispiel. – Aneignung fach-organisatorischer (Forschungsphasen, (wissenschaftlichen) Fähigkeiten: Publikationsschritte Öffentlichkeit etc.); Arbeitsprozesse kennenlernen Forschungsergebnisse vermitteln (Tagung, Poster, einer Web); Selbstverortung als Teil einer forschenden Gemeinschaft (nicht zuletzt dadurch, dass Studierende und Nachwuchswissenschaftler gleichermaßen ihre Forschungsperspektiven und -ergebnisse einbringen). – Stärkung von allgemeinen und sozialen Kompetenzen: Strukturierung von Wissen und Informationen (Tagung, Publikation); Präsentationstechniken, Teamarbeit (Tagung); Umgang mit modernen Medien (Web); Ressourcen- und Zeitmanagement, Organisation von Arbeitsprozessen. 4