Märkte Interview 28 results Deutsche Bank 28_results_02-2011 28 23.05.11 08:40 Märkte Interview „Jetzt zahlen sich die früheren Reformen aus“ Thomas Mayer, Chefvolkswirt der Deutschen Bank, warnt: Die Preise für Rohstoffe und Energie steigen, die Euro-Krise ist noch nicht ausgestanden. Doch er glaubt auch: Dank internationaler Spitzenstellung sind deutsche Unternehmen den neuen Herausforderungen gewachsen Deutsche Unternehmen verdienen wieder glänzend, die Wirtschaft wächst. Was haben wir hierzulande richtig gemacht? FOTO: ALEXANDRA LECHNER Zunächst einmal haben wir es natürlich auch mit einem Nachholeffekt zu tun. In der Krise war die Wirtschaft um fünf Prozent geschrumpft. Das ist aber nicht der einzige Grund. Wir sehen jetzt auch die Dividenden der wirtschaftspolitischen Reformen von RotGrün. Die Schröder-Fischer-Regierung hat Unternehmenssteuern und Einkommensteuersätze gesenkt und die Zeitarbeit liberalisiert, was meines Erachtens enorm viel dazu beigetragen hat, dass wir jetzt einen neuen Beschäftigungshochstand haben. Parallel dazu haben Deutschlands Unternehmen sich im Laufe des vergangenen Jahrzehnts neu aufgestellt. Sie haben auf kostengünstige Just-in-timeProduktion umgestellt, Fortschritte in Logistik und Informationstechnik genutzt. Dadurch konnten sie den Produktionsprozess zerlegen und einzelne Abschnitte jeweils dort positionieren, wo sie am kostengünstigsten sind. Aber ein Teil des Erfolgs besteht ja gerade darin, dass recht große Teile der industriellen Wertschöpfung weiterhin in Deutschland angesiedelt sind. Genau. Weil der Standort Deutschland dank der Reformen attraktiv genug geblieben ist. Deutsche Unternehmen haben aber auch enorm von der Öffnung der innereuropäischen Grenzen profitiert. Zentral- und Osteuropa befinden sich praktisch in Reichweite. Somit fällt es leichter, auch Teile der Produktion auszulagern. In meiner weiteren Verwandtschaft hat jemand ein Lederunternehmen. Das ist aufgrund der Kostensituation, aber auch wegen der Umweltauflagen sehr schwierig in Deutschland zu betreiben. Also befindet sich in Deutschland nur das Head Office, die Unternehmensleitung und das Design. Die Produktion steht in Polen. Auch nicht die Chinesen? Und wie lange geht das noch gut? Inzwischen haben wir in Deutschland so konkurrenzfähige Löhne, dass mancher EU-Politiker sich darüber beschwert. Sind die Löhne in Deutschland zu niedrig? Da mache ich mir wenig Sorgen. Vor der Finanzkrise waren manche Experten der Meinung, dass Deutschland eine eher altmodische Wirtschaftsstruktur aufweist, mit einem zu großen Anteil des verarbeitenden Gewerbes und einem zu kleinen Dienstleistungssektor. Jetzt ist es genau umgekehrt, und alle loben Deutschland. Die globale Nachfrage nach Investitionsgütern und Luxuskonsumgütern ist sehr groß, insbesondere in den Schwellenländern. Hier ist Deutschland exzellent positioniert. Und: Wir haben viele mittelgroße Unternehmen, die sich in ganz bestimmten Bereichen spezialisiert haben und da Spitzenprodukte anbieten. Solche Firmen müssen kaum befürchten, dass sich jemand anders in ihren Markt drängt. Nein. Selbst wenn ein Land insgesamt billiger produzieren kann, heißt das ja nicht, dass es alles herstellen sollte. Es wird sich auf die Produkte und Arbeitsschritte konzentrieren, bei denen der eigene Vorteil am größten ist. Warum sollte die chinesische Industrie versuchen, ein Produkt zu ersetzen, das ein deutscher Mittelständler im Verlaufe einer 40-jährigen Entwicklungsarbeit perfektioniert hat? Und selbst wenn, dann werden deutsche Unternehmen womöglich noch zuliefern. In den vergangenen Jahren haben sich die Gewerkschaften zu Recht in Lohnzurückhaltung geübt. Es wird heute oft vergessen, dass wir zu Beginn der Währungsunion Leistungsbilanzdefizite hatten. Es war wichtig, dass die deutschen Unternehmen konkurrenzfähiger wurden. Jetzt allerdings ernten wir die Früchte dieser Anstrengungen. Wir sind nahe an der Normalauslastung, die Investitionen ziehen an, es wird weniger Produktion als in der Vergangenheit ins Ausland verlagert. Die Aussichten für die Schaffung neuer Arbeitsplätze sind gut. Also können die Löhne durchaus wieder mit der Produktivität steigen. Es kann aber nicht R results Deutsche Bank 29_results_02-2011 29 29 23.05.11 08:40 Märkte Interview R sein, dass wir jetzt plötzlich das Erreichte wieder zurückdrehen, weil Deutschland wettbewerbsfähiger ist als mancher europäische Nachbar. Denn die Europäische Union ist eben eine „Gesellschaft mit beschränkter Haftung“, wie sie es genannt haben Ja. Wir sind keine politische Union. Jedes Land ist für seine Fiskalpolitik selbst verantwortlich. Und es ist essenziell, diesen Charakter zu bewahren, um in Deutschland die politische Basis für die Währungsunion nicht zu zerstören. Die ist schon angeknackst. Die meisten Menschen sind der Meinung, dass es nicht die Aufgabe der Europäischen Zentralbank ist, versteckt als Staatsfinanzierer aufzutreten. Oder dass wir andere EU-Länder aus dem deutschen Bundeshaushalt unterstützen sollten. Also soll jedes Land für seine finanziellen Verfehlungen selbst geradestehen? Ein EU-Staat muss wie ein Privatunternehmen in die Insolvenz gehen können. Denn ansonsten habe ich immer jemanden, dem ich – wenn ich selbst nicht mehr zahlen kann – die Rechnungen schicke. Eine solche geordnete Insolvenz ist ja nun im neuen europäischen Stabilitätsmechanismus ab 2013 vorgesehen. Welche Folgen hätte es für deutsche Exporteure, wenn man ein Land pleitegehen lässt? Unternehmen müssten eigentlich ein großes Interesse an einer geordneten Staatsinsolvenz haben. Denn derzeit sind sie diejenigen, die am meisten unter den Zahlungsproblemen der Regierungen leiden. Staatliche Stellen versuchen in der Regel als Erstes, die Bezahlung von Lieferantenrechnungen zu verschleppen. Bei 30 results Deutsche Bank 30_results_02-2011 30 23.05.11 08:40 Märkte Interview „Ein EU-Staat muss wie ein Privatunternehmen in die Insolvenz gehen können“ nur gemeinsame Regeln, sondern er wird auch besser funktionieren, wenn er eine gemeinsame Währung hat. Natürlich ist seit der Euro-Einführung auch einiges schiefgelaufen: Aufgrund der Zinskonvergenz auf das niedrige deutsche Niveau haben einige Länder – insbesondere an der Peripherie – einen zu starken Wachstumsimpuls erhalten. Der hat zu einem Überkonsum geführt, zu einem Immobilienboom und einer Überschuldung. FOTO: ALEXANDRA LECHNER Von den positiven Effekten der Währungsunion haben deutsche Unternehmen sogar überproportional profitiert, oder? einer geordneten Insolvenz dagegen werden die Lieferanten als Erste bedient. War die Einführung des Euro angesichts solcher Probleme aus heutiger Sicht überhaupt eine gute Idee? Ja. Erstens hat man Europa eigentlich immer politisch vorangetrieben, indem man die wirtschaftliche Integration vertieft hat. Und in dieser Tradition steht auch der Euro. Und auch rein ökonomisch hat der Euro Sinn. Nationale Volkswirtschaften wachsen regional zusammen, zu einem amerikanischen, einem asiatischen und eben zu einem europäischen Block. Wir sollten hier also einen möglichst großen gemeinsamen Markt schaffen, damit Unternehmen mit den nötigen Skalengrößen entstehen können, um weltweit konkurrenzfähig zu sein. Ein solcher Markt braucht nicht Bretton-Woods-Systems: Wir hatten die Kopplung, dieses System hat den Asiaten viel zu niedrige Zinsen beschert, was wiederum zu einer Überhitzung ihrer Volkswirtschaften und zu Inflation geführt hat. Wir brauchen mehr Flexibilität bei den Wechselkursen. Was bedeutet es für deutsche Exporteure, wenn etwa die chinesische Währung aufwertet? Das bedeutet eine größere Kaufkraft für chinesische Konsumenten. Für deutsche Unternehmen, die nach Asien liefern, wäre das eine gute Nachricht. In Zukunft würde die inländische Nachfrage in China ein größerer Treiber als die Exporte. Das ist genau der Umbau, den die chinesische Führung eigentlich will. Allerdings scheut sie noch davor zurück, ihre Währung aufwerten zu lassen. Das stimmt, aber auch kleinere Länder wie Österreich, die Niederlande oder Belgien waren Nutznießer. Die Verflechtungen von Unternehmen dort mit der deutschen Industrie sind enger geworden, der Industrieraum hat sich also über die Landesgrenzen hinweg erweitert. Das Thema Inflation bewegt deutsche Selbst Norditalien ist eine Erweiterung dieses Gemüter traditionell. Wie schätzen Sie im Moment das Inflationsrisiko ein? Industrieraums. Wir haben weltweit eine zu lockere GeldInzwischen werden Stimmen lauter, die politik, weil die Federal Reserve alles tut, um Exportnationen wie Deutschland und China voreine Deflation in den USA zu verhindern. Das werfen, dass ihre Währungen unterbewertet kommt in einer ersten Runde zu uns nach seien. Das sorge für Wettbewerbsverzerrungen. Europa, weil die Preise für Nahrungsmittel, Die französische Regierung fordert gar ein Energie und Rohstoffe steigen. Und dann neues internationales Währungssystem mit fes- noch einmal in einer zweiten Runde, weil ten Wechselkursen. Was halten Sie davon? durch die geringere Niedriglohnkonkurrenz, Wir hatten ja de facto lange feste Wechsel- insbesondere in Asien, bei uns ein Spielraum kurse, denn die Chinesen haben ihre Währung für Lohnerhöhungen entsteht. Hinzu kommen an den US-Dollar gekoppelt, so wie Deutsch- steigende Strompreise durch die Atomdebatte land und Japan ihre Währungen im alten und ein Risikoaufschlag auf den Ölpreis wegen Bretton-Woods-System an den Dollar gekoppelt der Unruhen in Nordafrika. Im Vergleich dazu hatten. Anfang der 70er Jahre dann weiteten ist der hausgemachte Inflationsdruck bei uns die Amerikaner die Geldmenge massiv aus, bescheiden. das ließ die Inflationsrate weltweit ansteigen, Deutschland und Japan wollten das nicht mehr Also droht in den nächsten Jahren Inflation? mitmachen, und Bretton Woods brach zusam- In welcher Höhe? men. In der Folge werteten viele Währungen Als ich diesen Job Ende 2009 antrat, habe ich gegenüber dem Dollar auf. Was wir jetzt brau- prognostiziert, dass wir mittelfristig fünf Prochen, ist also exakt das Gegenteil eines neuen zent Inflation bekommen würden. Das hat R results Deutsche Bank 31_results_02-2011 31 31 23.05.11 08:40 Märkte Interview FOTO: ALEXANDRA LECHNER „Wir werden in Richtung sechs Prozent Inflation gehen“ R damals kaum jemand geglaubt. Inzwischen liegt die globale Inflationsrate schon bei vier Prozent. Im Verlauf der nächsten ein bis zwei Jahre werden wir Richtung sechs gehen. Wie hoch müssten die Zinsen im Euroraum da mittel- bis langfristig steigen? In den Industrieländern wird man irgendwo zwischen zwei und vier Prozent landen. Wenn wir eine Inflationsrate von 2,5 Prozent unterstellen und ein Realwachstum von 1,5 Prozent, dann läge ein neutraler Leitzins bei vier Prozent. Davon sind wir aber weit entfernt. In den USA liegt der Zins momentan bei null. Die Zentralbanken befinden sich in einem Konflikt. Wenn sie die Zinsen zu weit heraufsetzen, dürfte der politische Druck steigen, weil die überschuldeten Einheiten Probleme bekommen – und das sind der Staat und die privaten Haushalte. Ein gewisses Maß an Inflation ist momentan unvermeidlich. Für Unternehmen, die nach wie vor stark auf eine Finanzierung über Kredite setzen, sind das keine allzu guten Nachrichten. Gibt es bei der Versorgung mit Darlehen im Moment Probleme? Ich sehe makroökonomisch keine Anzeichen für eine Kreditklemme. Die Investitionen entwickeln sich positiv, die Kreditflüsse haben sich erholt. Die Tatsache, dass einzelne Unternehmen Schwierigkeiten haben, billig an Kredite zu kommen, ist eigentlich nicht verwunderlich. Denn die Vergangenheit war untypisch: Kredit war zu billig und zu leicht zu haben. Man hat bisweilen sogar das Gefühl, Unternehmen verfügten wieder über sehr viel Liquidität. Entschulden sich Unternehmen jetzt und steigern ihre Eigenkapitalquote? Die eigentliche, große Entschuldung fand nach der letzten Rezession statt, als die DotcomBlase geplatzt war. Damals gab es wirklich einen deutlichen Abbau der Verschuldung im Unternehmenssektor. Ich sehe auch gar keine Notwendigkeit, dass der Unternehmenssektor sich jetzt entschuldet. Das Problem sind eher die öffentlichen Haushalte – in den südlichen Ländern. Wirkt sich die neue Bankenregulierung Basel III bereits aus? Immerhin wird der Finanzsektor damit gezwungen, künftige Kredite mit noch mehr Eigenkapital zu hinterlegen. Soweit ich sehe, wirkt es sich noch nicht aus. Aber Basel III macht uns große Sorgen. Es sind ja nicht nur die erhöhten Eigenkapitalbedingungen, sondern auch die erhöhten Liquiditätsanforderungen. Kreditinstitute sollen das über niedrig verzinste Regierungsanleihen abdecken, der Staat schafft sich also indirekt eine Investorenbasis für seine Schulden. Hinzu kommen die vielfältigen Steuern, die auf den Finanzsektor zukommen. All das führt dazu, dass Banken Kredite weniger großzügig vergeben können. Schon heute ist die Beziehung zwischen Kreditinstituten und Unternehmenskunden ja nicht mehr einfach nur die von Produktanbieter und Nachfrager. Die Betriebe nehmen strukturierte Finanzierungen in Anspruch, platzieren selbst Anleihen am Kapitalmarkt. Inwiefern werden Banken dadurch noch mehr zu Beratern, als sie es jetzt schon sind? Es ist ganz klar: Wenn man es Banken immer schwerer macht, Kredite über die eigene Bilanz zu vergeben, wird man Disintermediation erzwingen. Banken helfen Kreditnehmern dann, sich am Kapitalmarkt zu verschulden. Und der Druck in diese Richtung wird stärker. Banken werden also vermehrt in der Begleitung von Emissionen aktiv sein, egal ob von Anleihen oder Aktien. Die Deutsche Bank ist da sehr gut positioniert. Aber trotz aller Hindernisse: Der Kredit bleibt auch in Zukunft die wichtigste Finanzierungsform für Unternehmen. DAS GESPRÄCH FÜHRTE DAVID SELBACH Zur Person Dr. Thomas Mayer ist seit Ende 2009 Chefvolkswirt der Deutsche Bank Gruppe und Leiter von Deutsche Bank Research – als Nachfolger von Norbert Walter. Mayer begann seine Karriere beim Institut für Weltwirtschaft in Kiel, wechselte dann zum Internationalen Währungsfonds nach Washington. Nach Stationen bei Salomon Brothers und Goldman Sachs war der heute 57-Jährige von 2002 bis 2009 als Chief European Economist der Deutschen Bank in London tätig. 32 results Deutsche Bank 32_results_02-2011 32 23.05.11 08:40