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„Jetzt zahlen sich die
früheren Reformen aus“
Thomas Mayer, Chefvolkswirt der Deutschen Bank, warnt: Die Preise für
Rohstoffe und Energie steigen, die Euro-Krise ist noch nicht ausgestanden.
Doch er glaubt auch: Dank internationaler Spitzenstellung sind
deutsche Unternehmen den neuen Herausforderungen gewachsen
Deutsche Unternehmen verdienen wieder
glänzend, die Wirtschaft wächst.
Was haben wir hierzulande richtig gemacht?
FOTO: ALEXANDRA LECHNER
Zunächst einmal haben wir es natürlich auch
mit einem Nachholeffekt zu tun. In der Krise war die Wirtschaft um fünf Prozent geschrumpft. Das ist aber nicht der einzige
Grund. Wir sehen jetzt auch die Dividenden
der wirtschaftspolitischen Reformen von RotGrün. Die Schröder-Fischer-Regierung hat Unternehmenssteuern und Einkommensteuersätze gesenkt und die Zeitarbeit liberalisiert, was
meines Erachtens enorm viel dazu beigetragen hat, dass wir jetzt einen neuen Beschäftigungshochstand haben. Parallel dazu haben
Deutschlands Unternehmen sich im Laufe
des vergangenen Jahrzehnts neu aufgestellt.
Sie haben auf kostengünstige Just-in-timeProduktion umgestellt, Fortschritte in Logistik
und Informationstechnik genutzt. Dadurch
konnten sie den Produktionsprozess zerlegen
und einzelne Abschnitte jeweils dort positionieren, wo sie am kostengünstigsten sind.
Aber ein Teil des Erfolgs besteht ja gerade
darin, dass recht große Teile der industriellen
Wertschöpfung weiterhin in Deutschland
angesiedelt sind.
Genau. Weil der Standort Deutschland dank
der Reformen attraktiv genug geblieben ist.
Deutsche Unternehmen haben aber auch
enorm von der Öffnung der innereuropäischen
Grenzen profitiert. Zentral- und Osteuropa
befinden sich praktisch in Reichweite. Somit
fällt es leichter, auch Teile der Produktion auszulagern. In meiner weiteren Verwandtschaft
hat jemand ein Lederunternehmen. Das ist
aufgrund der Kostensituation, aber auch wegen der Umweltauflagen sehr schwierig in
Deutschland zu betreiben. Also befindet sich
in Deutschland nur das Head Office, die Unternehmensleitung und das Design. Die Produktion steht in Polen.
Auch nicht die Chinesen?
Und wie lange geht das noch gut?
Inzwischen haben wir in Deutschland
so konkurrenzfähige Löhne, dass mancher
EU-Politiker sich darüber beschwert.
Sind die Löhne in Deutschland zu niedrig?
Da mache ich mir wenig Sorgen. Vor der Finanzkrise waren manche Experten der Meinung,
dass Deutschland eine eher altmodische Wirtschaftsstruktur aufweist, mit einem zu großen
Anteil des verarbeitenden Gewerbes und einem
zu kleinen Dienstleistungssektor. Jetzt ist es
genau umgekehrt, und alle loben Deutschland. Die globale Nachfrage nach Investitionsgütern und Luxuskonsumgütern ist
sehr groß, insbesondere in den Schwellenländern. Hier ist Deutschland exzellent
positioniert. Und: Wir haben viele mittelgroße Unternehmen, die sich in ganz bestimmten Bereichen spezialisiert haben und
da Spitzenprodukte anbieten. Solche Firmen
müssen kaum befürchten, dass sich jemand
anders in ihren Markt drängt.
Nein. Selbst wenn ein Land insgesamt billiger
produzieren kann, heißt das ja nicht, dass es
alles herstellen sollte. Es wird sich auf die Produkte und Arbeitsschritte konzentrieren, bei
denen der eigene Vorteil am größten ist. Warum sollte die chinesische Industrie versuchen,
ein Produkt zu ersetzen, das ein deutscher Mittelständler im Verlaufe einer 40-jährigen Entwicklungsarbeit perfektioniert hat? Und selbst
wenn, dann werden deutsche Unternehmen
womöglich noch zuliefern.
In den vergangenen Jahren haben sich die Gewerkschaften zu Recht in Lohnzurückhaltung
geübt. Es wird heute oft vergessen, dass wir
zu Beginn der Währungsunion Leistungsbilanzdefizite hatten. Es war wichtig, dass die
deutschen Unternehmen konkurrenzfähiger
wurden. Jetzt allerdings ernten wir die Früchte
dieser Anstrengungen. Wir sind nahe an der
Normalauslastung, die Investitionen ziehen an,
es wird weniger Produktion als in der Vergangenheit ins Ausland verlagert. Die Aussichten
für die Schaffung neuer Arbeitsplätze sind gut.
Also können die Löhne durchaus wieder mit
der Produktivität steigen. Es kann aber nicht R
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R sein, dass wir jetzt plötzlich das Erreichte
wieder zurückdrehen, weil Deutschland wettbewerbsfähiger ist als mancher europäische
Nachbar.
Denn die Europäische Union ist eben eine
„Gesellschaft mit beschränkter Haftung“, wie
sie es genannt haben
Ja. Wir sind keine politische Union. Jedes Land
ist für seine Fiskalpolitik selbst verantwortlich.
Und es ist essenziell, diesen Charakter zu bewahren, um in Deutschland die politische Basis
für die Währungsunion nicht zu zerstören. Die
ist schon angeknackst. Die meisten Menschen
sind der Meinung, dass es nicht die Aufgabe
der Europäischen Zentralbank ist, versteckt als
Staatsfinanzierer aufzutreten. Oder dass wir
andere EU-Länder aus dem deutschen Bundeshaushalt unterstützen sollten.
Also soll jedes Land für seine finanziellen
Verfehlungen selbst geradestehen?
Ein EU-Staat muss wie ein Privatunternehmen
in die Insolvenz gehen können. Denn ansonsten habe ich immer jemanden, dem ich –
wenn ich selbst nicht mehr zahlen kann – die
Rechnungen schicke. Eine solche geordnete
Insolvenz ist ja nun im neuen europäischen
Stabilitätsmechanismus ab 2013 vorgesehen.
Welche Folgen hätte es für deutsche Exporteure,
wenn man ein Land pleitegehen lässt?
Unternehmen müssten eigentlich ein großes
Interesse an einer geordneten Staatsinsolvenz
haben. Denn derzeit sind sie diejenigen, die
am meisten unter den Zahlungsproblemen der
Regierungen leiden. Staatliche Stellen versuchen in der Regel als Erstes, die Bezahlung von
Lieferantenrechnungen zu verschleppen. Bei
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„Ein EU-Staat
muss wie ein
Privatunternehmen
in die Insolvenz
gehen können“
nur gemeinsame Regeln, sondern er wird
auch besser funktionieren, wenn er eine gemeinsame Währung hat. Natürlich ist seit der
Euro-Einführung auch einiges schiefgelaufen:
Aufgrund der Zinskonvergenz auf das niedrige
deutsche Niveau haben einige Länder – insbesondere an der Peripherie – einen zu starken
Wachstumsimpuls erhalten. Der hat zu einem
Überkonsum geführt, zu einem Immobilienboom und einer Überschuldung.
FOTO: ALEXANDRA LECHNER
Von den positiven Effekten der Währungsunion
haben deutsche Unternehmen sogar überproportional profitiert, oder?
einer geordneten Insolvenz dagegen werden
die Lieferanten als Erste bedient.
War die Einführung des Euro angesichts
solcher Probleme aus heutiger Sicht überhaupt
eine gute Idee?
Ja. Erstens hat man Europa eigentlich immer politisch vorangetrieben, indem man die
wirtschaftliche Integration vertieft hat. Und
in dieser Tradition steht auch der Euro. Und
auch rein ökonomisch hat der Euro Sinn. Nationale Volkswirtschaften wachsen regional
zusammen, zu einem amerikanischen, einem
asiatischen und eben zu einem europäischen
Block. Wir sollten hier also einen möglichst
großen gemeinsamen Markt schaffen, damit
Unternehmen mit den nötigen Skalengrößen
entstehen können, um weltweit konkurrenzfähig zu sein. Ein solcher Markt braucht nicht
Bretton-Woods-Systems: Wir hatten die Kopplung, dieses System hat den Asiaten viel zu
niedrige Zinsen beschert, was wiederum zu
einer Überhitzung ihrer Volkswirtschaften und
zu Inflation geführt hat. Wir brauchen mehr
Flexibilität bei den Wechselkursen.
Was bedeutet es für deutsche Exporteure, wenn
etwa die chinesische Währung aufwertet?
Das bedeutet eine größere Kaufkraft für chinesische Konsumenten. Für deutsche Unternehmen, die nach Asien liefern, wäre das eine gute
Nachricht. In Zukunft würde die inländische
Nachfrage in China ein größerer Treiber als die
Exporte. Das ist genau der Umbau, den die
chinesische Führung eigentlich will. Allerdings
scheut sie noch davor zurück, ihre Währung
aufwerten zu lassen.
Das stimmt, aber auch kleinere Länder wie
Österreich, die Niederlande oder Belgien waren Nutznießer. Die Verflechtungen von Unternehmen dort mit der deutschen Industrie sind
enger geworden, der Industrieraum hat sich
also über die Landesgrenzen hinweg erweitert. Das Thema Inflation bewegt deutsche
Selbst Norditalien ist eine Erweiterung dieses Gemüter traditionell. Wie schätzen Sie im Moment
das Inflationsrisiko ein?
Industrieraums.
Wir haben weltweit eine zu lockere GeldInzwischen werden Stimmen lauter, die
politik, weil die Federal Reserve alles tut, um
Exportnationen wie Deutschland und China voreine Deflation in den USA zu verhindern. Das
werfen, dass ihre Währungen unterbewertet
kommt in einer ersten Runde zu uns nach
seien. Das sorge für Wettbewerbsverzerrungen.
Europa, weil die Preise für Nahrungsmittel,
Die französische Regierung fordert gar ein
Energie und Rohstoffe steigen. Und dann
neues internationales Währungssystem mit fes- noch einmal in einer zweiten Runde, weil
ten Wechselkursen. Was halten Sie davon?
durch die geringere Niedriglohnkonkurrenz,
Wir hatten ja de facto lange feste Wechsel- insbesondere in Asien, bei uns ein Spielraum
kurse, denn die Chinesen haben ihre Währung für Lohnerhöhungen entsteht. Hinzu kommen
an den US-Dollar gekoppelt, so wie Deutsch- steigende Strompreise durch die Atomdebatte
land und Japan ihre Währungen im alten und ein Risikoaufschlag auf den Ölpreis wegen
Bretton-Woods-System an den Dollar gekoppelt der Unruhen in Nordafrika. Im Vergleich dazu
hatten. Anfang der 70er Jahre dann weiteten ist der hausgemachte Inflationsdruck bei uns
die Amerikaner die Geldmenge massiv aus, bescheiden.
das ließ die Inflationsrate weltweit ansteigen,
Deutschland und Japan wollten das nicht mehr Also droht in den nächsten Jahren Inflation?
mitmachen, und Bretton Woods brach zusam- In welcher Höhe?
men. In der Folge werteten viele Währungen Als ich diesen Job Ende 2009 antrat, habe ich
gegenüber dem Dollar auf. Was wir jetzt brau- prognostiziert, dass wir mittelfristig fünf Prochen, ist also exakt das Gegenteil eines neuen zent Inflation bekommen würden. Das hat R
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FOTO: ALEXANDRA LECHNER
„Wir werden
in Richtung
sechs Prozent
Inflation gehen“
R damals kaum jemand geglaubt. Inzwischen
liegt die globale Inflationsrate schon bei vier
Prozent. Im Verlauf der nächsten ein bis zwei
Jahre werden wir Richtung sechs gehen.
Wie hoch müssten die Zinsen im Euroraum da
mittel- bis langfristig steigen?
In den Industrieländern wird man irgendwo
zwischen zwei und vier Prozent landen. Wenn
wir eine Inflationsrate von 2,5 Prozent unterstellen und ein Realwachstum von 1,5 Prozent, dann läge ein neutraler Leitzins bei vier
Prozent. Davon sind wir aber weit entfernt.
In den USA liegt der Zins momentan bei null.
Die Zentralbanken befinden sich in einem Konflikt. Wenn sie die Zinsen zu weit heraufsetzen,
dürfte der politische Druck steigen, weil die
überschuldeten Einheiten Probleme bekommen – und das sind der Staat und die privaten
Haushalte. Ein gewisses Maß an Inflation ist
momentan unvermeidlich.
Für Unternehmen, die nach wie vor stark auf
eine Finanzierung über Kredite setzen, sind das
keine allzu guten Nachrichten. Gibt es bei der
Versorgung mit Darlehen im Moment Probleme?
Ich sehe makroökonomisch keine Anzeichen
für eine Kreditklemme. Die Investitionen entwickeln sich positiv, die Kreditflüsse haben sich
erholt. Die Tatsache, dass einzelne Unternehmen Schwierigkeiten haben, billig an Kredite
zu kommen, ist eigentlich nicht verwunderlich.
Denn die Vergangenheit war untypisch: Kredit
war zu billig und zu leicht zu haben.
Man hat bisweilen sogar das Gefühl,
Unternehmen verfügten wieder über sehr viel
Liquidität. Entschulden sich Unternehmen
jetzt und steigern ihre Eigenkapitalquote?
Die eigentliche, große Entschuldung fand nach
der letzten Rezession statt, als die DotcomBlase geplatzt war. Damals gab es wirklich
einen deutlichen Abbau der Verschuldung im
Unternehmenssektor. Ich sehe auch gar keine
Notwendigkeit, dass der Unternehmenssektor
sich jetzt entschuldet. Das Problem sind eher
die öffentlichen Haushalte – in den südlichen
Ländern.
Wirkt sich die neue Bankenregulierung Basel III
bereits aus? Immerhin wird der Finanzsektor
damit gezwungen, künftige Kredite mit noch mehr
Eigenkapital zu hinterlegen.
Soweit ich sehe, wirkt es sich noch nicht aus.
Aber Basel III macht uns große Sorgen. Es
sind ja nicht nur die erhöhten Eigenkapitalbedingungen, sondern auch die erhöhten Liquiditätsanforderungen. Kreditinstitute sollen
das über niedrig verzinste Regierungsanleihen
abdecken, der Staat schafft sich also indirekt
eine Investorenbasis für seine Schulden. Hinzu
kommen die vielfältigen Steuern, die auf den
Finanzsektor zukommen. All das führt dazu,
dass Banken Kredite weniger großzügig vergeben können.
Schon heute ist die Beziehung zwischen
Kreditinstituten und Unternehmenskunden ja
nicht mehr einfach nur die von Produktanbieter und Nachfrager. Die Betriebe nehmen
strukturierte Finanzierungen in Anspruch,
platzieren selbst Anleihen am Kapitalmarkt.
Inwiefern werden Banken dadurch noch
mehr zu Beratern, als sie es jetzt schon sind?
Es ist ganz klar: Wenn man es Banken immer
schwerer macht, Kredite über die eigene Bilanz
zu vergeben, wird man Disintermediation erzwingen. Banken helfen Kreditnehmern dann,
sich am Kapitalmarkt zu verschulden. Und der
Druck in diese Richtung wird stärker. Banken
werden also vermehrt in der Begleitung von
Emissionen aktiv sein, egal ob von Anleihen
oder Aktien. Die Deutsche Bank ist da sehr gut
positioniert. Aber trotz aller Hindernisse: Der
Kredit bleibt auch in Zukunft die wichtigste
Finanzierungsform für Unternehmen.
DAS GESPRÄCH FÜHRTE DAVID SELBACH
Zur Person
Dr. Thomas Mayer ist seit Ende 2009
Chefvolkswirt der Deutsche Bank
Gruppe und Leiter von Deutsche Bank
Research – als Nachfolger von
Norbert Walter. Mayer begann seine
Karriere beim Institut für Weltwirtschaft
in Kiel, wechselte dann zum
Internationalen Währungsfonds nach
Washington. Nach Stationen bei
Salomon Brothers und Goldman Sachs
war der heute 57-Jährige von 2002
bis 2009 als Chief European Economist
der Deutschen Bank in London tätig.
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