2 Internationale Klimapolitik Internationale Klimapolitik 3 Internationale Klimaverhandlungen – Im Spannungsfeld von Treibern und Bremsern von Lutz Weischer Kann das Pariser Klimaabkommen die globale Energiewende beschleunigen und Gerechtigkeit beim Umgang mit Klimafolgen sicherstellen? Die bisher vorgelegten Klimaziele r­ eichen noch nicht, um den Klimawandel auf unter 2 oder sogar 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Das Abkommen muss Mechanismen schaffen, damit diese Obergrenze noch eingehalten werden kann und die Klimaauswirkungen beherrschbar ­bleiben. ­Zusätzlich muss Unterstützung für Anpassung und den ­Umgang mit Schäden und Verlusten durch den Klimawandel fest­geschrieben werden. 2014 war das wärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen; 2015 wird diesen Spitzenwert wohl übertreffen – spürbare Folgen der Erderwärmung. Im Oktober dieses Jahres trat mit Hurrikan Patricia in Mexiko der stärkste jemals in der westlichen Hemisphäre gemessene Tropensturm auf, gerade mal zwei Jahre nachdem Supertaifun Haiyan über die Philippinen hinwegfegte. Ein einzelnes Extremwetterereignis ist noch lange kein Beweis. Dass die Wetterextreme in Häufigkeit und Stärke zunehmen, liegt jedoch nachweisbar am Klimawandel. Ernteausfälle, Überflutungen und die Versalzung von Böden sind nur einige Klimaauswirkungen, die heute und in Zukunft Armut und Krisen verstärken und Menschen zwingen, ihre Heimat zu verlassen. Es trifft nicht länger nur kommende Generationen – es betrifft uns schon heute. Daher müssen wir eine internationale Antwort auf den Klimawandel finden. Das neue Abkommen soll erstmals Verpflichtungen für alle Staaten enthalten. Nach dem gescheiterten Versuch in Kopenhagen 2009 könnte dieses Mal der Durchbruch gelingen. Es gibt Anzeichen einer Trendwende. Denn erneuerbare Energien werden weltweit wettbewerbsfähig. In China wurde 2014 erstmals seit Jahrzehnten weniger Kohle als im Vorjahr verbrannt; in Indien verlangsamt sich das Wachstum der Kohleverstromung. Gleichzeitig bauen beide Länder erneuerbare Energien aus. Im Jahr 2014 sind die globalen Emissionen laut Internationaler Energieagentur erstmals nicht mehr gestiegen, obwohl es keine globale Wirtschaftskrise gab, die eine solche Entwicklung ansonsten erklären könnte. Doch all das ist noch kein stabiler Trend. Die Kernaufgabe des Pariser Abkommens muss daher sein, die globale Energie- und Klimawende zu stabilisieren und zu beschleunigen. Die Welt auf den 2-Grad-Pfad bringen Anfang Oktober hatten gut 150 Staaten, die fast 90 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen verursachen, Klimaziele bei den Vereinten Nationen eingereicht. Wenn diese vollständig umgesetzt werden, wäre bis Ende des Jahrhunderts eine Erwärmung zwischen 2,2 und 3,4 Grad zu erwarten gegenüber den globalen Durchschnittstemperaturen vor Beginn der Industrialisierung. Ein Fortschritt, verglichen mit dem Wert, auf den die Welt ohne diese neuen Klimaziele zusteuern würde. Es geht in die richtige Richtung, aber viel zu langsam und mit zu wenig Ambition. Das Pariser Abkommen muss über die bislang vorliegenden Ziele hinausgehen und Ergebnisse auf vier Ebenen bringen: 1. Verbindliche Minimal-Klimaschutzziele für alle Staaten für die Zeit zwischen 2020 und 2025/30. 2. Begrenzung der globalen Erwärmung auf unter 2 oder 1,5 Grad als Ziel. Heißt konkret: Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas bis Mitte des Jahrhunderts. Außerdem muss das Abkommen Nachbesserungsrunden im Fünf-Jahres-Rhythmus vorsehen, um die Lücke zwischen den nationalen Zielen und dem Langfristziel schrittweise zu schließen. Teil dieser Runden müssen auch Zusagen zur finanziellen und technologischen Unterstützung des Klimaschutzes in ärmeren Ländern sein. 3. Einzelentscheidungen: etwa dazu, wie die Industrieländer den Ausbau der internationalen Klimafinanzierung organisieren oder welche Schritte zum Ausbau der erneuerbaren Energien bereits kurzfristig ergriffen werden können (für die Zeit, bevor das Abkommen 2020 in Kraft tritt). 4. Konkrete Initiativen von nationalen Regierungen, Regionen, Städten, Unternehmen und zivilgesellschaftlichen Akteuren, etwa zu klimagerechter Stadtentwicklung oder zur Nutzung von 100 Prozent erneuerbaren Energien. Es geht in die richtige Richtung, aber viel zu langsam und mit zu wenig Ambition. Unterstützung für die Verletzlichsten sicherstellen Ein weiterer Diskussionspunkt für die Verhandler in Paris: die Unterstützung ärmerer Länder durch internationale Finanzierung. Ehrgeizige Klimaschutz- und Anpassungspolitik in d­ iesen ­Ländern sollte zu höherer Unterstützung durch reiche Länder führen und höhere Finanzierung wiederum zu ehrgeizigeren ­Plänen. Selbst bei einer Begrenzung auf 2 Grad werden die ­Auswirkungen in vielen Ländern dramatisch sein; Anpassung gerät an ihre Grenzen. Daher sollte „Resilienz“ als langfristiges g In Zhangbei trifft moderne Windkraft auf das ländliche China Ziel formuliert werden, d. h. alle Menschen zu befähigen, ­Klimaveränderungen und deren Auswirkungen zu bewältigen. Bei einem dramatischen Temperaturanstieg könnten dicht ­besiedelte Küstenregionen unbewohnbar werden, Ernten in verheerendem Ausmaß ausfallen. Deswegen muss das Thema „Schäden und Verluste“ auf die Agenda. Den reichen Staaten mit hohen Emissionen muss klar werden: Wenn es nicht gelingt, die globale Erwärmung zu begrenzen, muss deutlich mehr Unterstützung für die Betroffenen geleistet werden. Verhandlungspositionen kurz vor Paris Trotz positiver Bewegung in der Klimapolitik haben alle großen Emittenten auch mit großen Herausforderungen zu kämpfen, die wirklich ambitionierter Klimapolitik im Wege stehen. Die USA haben mit einer Verdoppelung des Reduktionstempos zwar ein Klimaschutzziel vorgelegt, die republikanische Opposition verhindert jedoch u. a. jegliche Bewegung bei der Klimafinanzierung. China betreibt zwar eine beeindruckende Politik zur Eindämmung der Kohle und für Investitionen in erneuerbare Energien. Wie andere Schwellenländer auch will es jedoch inter­ national weniger zusagen, als sich national abzeichnet. Und die EU hat ihre internationale Führungsrolle abgegeben. Ihr Ziel, die Emissionen in der EU bis 2030 um 40 Prozent gegenüber 1990 zu reduzieren, ist nicht ausreichend für einen 2-GradPfad. Dafür wären Reduktionen von 55 Prozent erforderlich. Einige Gruppen von Entwicklungsländern, etwa die kleinen Inselstaaten, die afrikanische Gruppe oder die am wenigsten entwickelten Länder, hoffen auf ein starkes Ergebnis in Paris. Häufig fehlen ihnen aber die Ressourcen und Verbündeten, um in den Verhandlungen durchzudringen. Staaten wie Saudi-­ Arabien oder Russland, die ein schwaches Abkommen anstreben, werden alles tun, um die Verhandlungen zu verzögern. Denn dann kommt es unweigerlich am Ende der Konferenz zu einem Deal zwischen den großen Ländern auf Basis des kleinsten gemeinsamen Nenners. Wenn es nicht gelingt, die globale Erwärmung zu begrenzen, muss deutlich mehr Unterstützung für die Betroffenen geleistet werden. Kommt es dann zu einer Allianz p­ rogressiver Entwicklungsund ­Industrieländer, die ein ambitioniertes Ergebnis ermöglichen und gemeinsam Druck auf die Bremser machen? Zivilgesellschaftliche Beobachter spielen in dem Spannungsfeld von Treibern und Bremsern eine wichtige Rolle, um mögliche Klimachampions zu bestärken, Bremser zu entlarven und innerhalb der Verhandlungen für ambitionierte Ergebnisse zu werben. Gleichzeitig müssen sie außerhalb des Verhandlungszentrums deutlich machen: Die Menschen weltweit fordern Klimagerechtigkeit und eine Zukunft mit 100 Prozent erneuerbaren Energien. Daran müssen sich Regierungen und Unternehmen messen – in Paris und darüber hinaus. f 2 Internationale Klimapolitik Internationale Klimapolitik 3 Internationale Klimaverhandlungen – Im Spannungsfeld von Treibern und Bremsern von Lutz Weischer Kann das Pariser Klimaabkommen die globale Energiewende beschleunigen und Gerechtigkeit beim Umgang mit Klimafolgen sicherstellen? Die bisher vorgelegten Klimaziele r­ eichen noch nicht, um den Klimawandel auf unter 2 oder sogar 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Das Abkommen muss Mechanismen schaffen, damit diese Obergrenze noch eingehalten werden kann und die Klimaauswirkungen beherrschbar ­bleiben. ­Zusätzlich muss Unterstützung für Anpassung und den ­Umgang mit Schäden und Verlusten durch den Klimawandel fest­geschrieben werden. 2014 war das wärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen; 2015 wird diesen Spitzenwert wohl übertreffen – spürbare Folgen der Erderwärmung. Im Oktober dieses Jahres trat mit Hurrikan Patricia in Mexiko der stärkste jemals in der westlichen Hemisphäre gemessene Tropensturm auf, gerade mal zwei Jahre nachdem Supertaifun Haiyan über die Philippinen hinwegfegte. Ein einzelnes Extremwetterereignis ist noch lange kein Beweis. Dass die Wetterextreme in Häufigkeit und Stärke zunehmen, liegt jedoch nachweisbar am Klimawandel. Ernteausfälle, Überflutungen und die Versalzung von Böden sind nur einige Klimaauswirkungen, die heute und in Zukunft Armut und Krisen verstärken und Menschen zwingen, ihre Heimat zu verlassen. Es trifft nicht länger nur kommende Generationen – es betrifft uns schon heute. Daher müssen wir eine internationale Antwort auf den Klimawandel finden. Das neue Abkommen soll erstmals Verpflichtungen für alle Staaten enthalten. Nach dem gescheiterten Versuch in Kopenhagen 2009 könnte dieses Mal der Durchbruch gelingen. Es gibt Anzeichen einer Trendwende. Denn erneuerbare Energien werden weltweit wettbewerbsfähig. In China wurde 2014 erstmals seit Jahrzehnten weniger Kohle als im Vorjahr verbrannt; in Indien verlangsamt sich das Wachstum der Kohleverstromung. Gleichzeitig bauen beide Länder erneuerbare Energien aus. Im Jahr 2014 sind die globalen Emissionen laut Internationaler Energieagentur erstmals nicht mehr gestiegen, obwohl es keine globale Wirtschaftskrise gab, die eine solche Entwicklung ansonsten erklären könnte. Doch all das ist noch kein stabiler Trend. Die Kernaufgabe des Pariser Abkommens muss daher sein, die globale Energie- und Klimawende zu stabilisieren und zu beschleunigen. Die Welt auf den 2-Grad-Pfad bringen Anfang Oktober hatten gut 150 Staaten, die fast 90 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen verursachen, Klimaziele bei den Vereinten Nationen eingereicht. Wenn diese vollständig umgesetzt werden, wäre bis Ende des Jahrhunderts eine Erwärmung zwischen 2,2 und 3,4 Grad zu erwarten gegenüber den globalen Durchschnittstemperaturen vor Beginn der Industrialisierung. Ein Fortschritt, verglichen mit dem Wert, auf den die Welt ohne diese neuen Klimaziele zusteuern würde. Es geht in die richtige Richtung, aber viel zu langsam und mit zu wenig Ambition. Das Pariser Abkommen muss über die bislang vorliegenden Ziele hinausgehen und Ergebnisse auf vier Ebenen bringen: 1. Verbindliche Minimal-Klimaschutzziele für alle Staaten für die Zeit zwischen 2020 und 2025/30. 2. Begrenzung der globalen Erwärmung auf unter 2 oder 1,5 Grad als Ziel. Heißt konkret: Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas bis Mitte des Jahrhunderts. Außerdem muss das Abkommen Nachbesserungsrunden im Fünf-Jahres-Rhythmus vorsehen, um die Lücke zwischen den nationalen Zielen und dem Langfristziel schrittweise zu schließen. Teil dieser Runden müssen auch Zusagen zur finanziellen und technologischen Unterstützung des Klimaschutzes in ärmeren Ländern sein. 3. Einzelentscheidungen: etwa dazu, wie die Industrieländer den Ausbau der internationalen Klimafinanzierung organisieren oder welche Schritte zum Ausbau der erneuerbaren Energien bereits kurzfristig ergriffen werden können (für die Zeit, bevor das Abkommen 2020 in Kraft tritt). 4. Konkrete Initiativen von nationalen Regierungen, Regionen, Städten, Unternehmen und zivilgesellschaftlichen Akteuren, etwa zu klimagerechter Stadtentwicklung oder zur Nutzung von 100 Prozent erneuerbaren Energien. Es geht in die richtige Richtung, aber viel zu langsam und mit zu wenig Ambition. Unterstützung für die Verletzlichsten sicherstellen Ein weiterer Diskussionspunkt für die Verhandler in Paris: die Unterstützung ärmerer Länder durch internationale Finanzierung. Ehrgeizige Klimaschutz- und Anpassungspolitik in d­ iesen ­Ländern sollte zu höherer Unterstützung durch reiche Länder führen und höhere Finanzierung wiederum zu ehrgeizigeren ­Plänen. Selbst bei einer Begrenzung auf 2 Grad werden die ­Auswirkungen in vielen Ländern dramatisch sein; Anpassung gerät an ihre Grenzen. Daher sollte „Resilienz“ als langfristiges g In Zhangbei trifft moderne Windkraft auf das ländliche China Ziel formuliert werden, d. h. alle Menschen zu befähigen, ­Klimaveränderungen und deren Auswirkungen zu bewältigen. Bei einem dramatischen Temperaturanstieg könnten dicht ­besiedelte Küstenregionen unbewohnbar werden, Ernten in verheerendem Ausmaß ausfallen. Deswegen muss das Thema „Schäden und Verluste“ auf die Agenda. Den reichen Staaten mit hohen Emissionen muss klar werden: Wenn es nicht gelingt, die globale Erwärmung zu begrenzen, muss deutlich mehr Unterstützung für die Betroffenen geleistet werden. Verhandlungspositionen kurz vor Paris Trotz positiver Bewegung in der Klimapolitik haben alle großen Emittenten auch mit großen Herausforderungen zu kämpfen, die wirklich ambitionierter Klimapolitik im Wege stehen. Die USA haben mit einer Verdoppelung des Reduktionstempos zwar ein Klimaschutzziel vorgelegt, die republikanische Opposition verhindert jedoch u. a. jegliche Bewegung bei der Klimafinanzierung. China betreibt zwar eine beeindruckende Politik zur Eindämmung der Kohle und für Investitionen in erneuerbare Energien. Wie andere Schwellenländer auch will es jedoch inter­ national weniger zusagen, als sich national abzeichnet. Und die EU hat ihre internationale Führungsrolle abgegeben. Ihr Ziel, die Emissionen in der EU bis 2030 um 40 Prozent gegenüber 1990 zu reduzieren, ist nicht ausreichend für einen 2-GradPfad. Dafür wären Reduktionen von 55 Prozent erforderlich. Einige Gruppen von Entwicklungsländern, etwa die kleinen Inselstaaten, die afrikanische Gruppe oder die am wenigsten entwickelten Länder, hoffen auf ein starkes Ergebnis in Paris. Häufig fehlen ihnen aber die Ressourcen und Verbündeten, um in den Verhandlungen durchzudringen. Staaten wie Saudi-­ Arabien oder Russland, die ein schwaches Abkommen anstreben, werden alles tun, um die Verhandlungen zu verzögern. Denn dann kommt es unweigerlich am Ende der Konferenz zu einem Deal zwischen den großen Ländern auf Basis des kleinsten gemeinsamen Nenners. Wenn es nicht gelingt, die globale Erwärmung zu begrenzen, muss deutlich mehr Unterstützung für die Betroffenen geleistet werden. Kommt es dann zu einer Allianz p­ rogressiver Entwicklungsund ­Industrieländer, die ein ambitioniertes Ergebnis ermöglichen und gemeinsam Druck auf die Bremser machen? Zivilgesellschaftliche Beobachter spielen in dem Spannungsfeld von Treibern und Bremsern eine wichtige Rolle, um mögliche Klimachampions zu bestärken, Bremser zu entlarven und innerhalb der Verhandlungen für ambitionierte Ergebnisse zu werben. Gleichzeitig müssen sie außerhalb des Verhandlungszentrums deutlich machen: Die Menschen weltweit fordern Klimagerechtigkeit und eine Zukunft mit 100 Prozent erneuerbaren Energien. Daran müssen sich Regierungen und Unternehmen messen – in Paris und darüber hinaus. f