Manual zur Wundbehandlung

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Manual zur
Wundbehandlung
HOSPITALGESELLSCHAFT JADE-WESER mbH
Wir für die Gesundheit an Jade und Weser
Inhaltsverzeichnis
1.0 Vorwort...............................................................................................................................................3
1.1 Zielsetzung des Manuals im Klinikum.............................................................................................4
2.0
2.1
2.2
2.2.1
2.2.2
2.2.3
2.3 2.4.
2.5 2.6
2.6.1
2.6.2
2.6.3
2.6.4
2.6.5
2.6.6
2.6.7
2.6.8
2.7
2.7.1
2.7.2
2.7.3
2.7.5
Empfehlung zur primären Behandlung chron. Wunden.........................................................4
Begründung................................................................................................................................4
Allgemeines.................................................................................................................................4
Die AG Wundexperten..............................................................................................................5
Die Wunddokumentation, Fotografie und Wundanamnese................................................6
In den Anlagen finden sich:......................................................................................................7
Die Wundheilung........................................................................................................................8
Wundrandschutz.........................................................................................................................9
Allgemeine hygienische Anmerkungen................................................................................10
Wundzustände..........................................................................................................................11
Nekrose trocken........................................................................................................................11
Feuchte Nekrose + Fibrinbelag...............................................................................................12
Wundflächen mit Fibrinbelägen, Geweberesten.................................................................13
Fibrinbeläge + Granulation.....................................................................................................14
Granulation...............................................................................................................................15
Epithelisierung...........................................................................................................................17
Die infizierte Wunde..................................................................................................................18
Stark sezernierende, großflächige Wunde............................................................................20
Die Wundheilungsstörung........................................................................................................21
Aktive lokale Wundbehandlung bei Problemwunden........................................................22
Die Vakuumversiegelung........................................................................................................22
Protease modulierende Matrix...............................................................................................23
Madentherapie........................................................................................................................23
3.0
3.1
3.2
3.3
Die systemische Wunde...........................................................................................................25
Die chronische Wunde an der unteren Extremität...............................................................25
Diabetisches Fußsyndrom........................................................................................................30
Der Dekubitus............................................................................................................................35
4.0
Anlagen.....................................................................................................................................37
Manual zur Wundbehandlung
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Erstellt: Mai 2009
Verantwortlich: Wundmanagement AG
Freigabe durch: PDL
Seite: 2 von 44
Version: 3
Änderungsdatum: 01.03.2016
Vorwort
Sehr geehrte Patienten, Angehörige und Besucher,
in Deutschland leiden bis zu 5 Mio. Menschen an chronischen Wunden.
Unterschiedliche Behandlungsverfahren, mangelnde Absprachen zwischen Ärzten und Pflegekräften und eine Vielfalt an Produkten, Meinungen, Richtlinien und Standards erschweren oder verhindern einen kontinuierlichen Behandlungsweg für den Patienten.
Die Hospitalgesellschaft mit ihren verschiedenen Standorten begegnet dieser Situation durch den
Einsatz einer Projektgruppe, die zukünftig eine einheitliche, rationale und ökonomische Vorgehensweise durch Erarbeitung eines „Wundhandbuchs“ sicherstellt.
Die in diesem Handbuch erarbeiteten Standards, Richtlinien und Ckecklisten für die Wundbehandlung sind zukünftig verbindlich.
Die Projektgruppe hat sich bei der Erarbeitung den hohen Ansprüchen, das heißt, den entsprechend wissenschaftlichen Erkenntnissen der modernen Wundbehandlung gestellt.
Um für unsere Patienten ein optimales therapeutisches Ergebnis zu erzielen, arbeiten wir strukturiert
und interdisziplinär zusammen.
Die Projektgruppe hat einen Produktkatalog der zukünftig in den Einrichtungen der Hospitalgesellschaft zu verwendenden Wundauflagen festgelegt. Die Erstellung eines klinikübergreifenden
Wunddokumenationsbogens stellte eine besondere Herausforderung dar.
Das Ihnen nun vorliegende Wundhandbuch informiert Sie über alle Aspekte der modernen Wundversorgung und gibt Anleitung bei klinischen Fragestellungen.
Verschiedenen Publikationen aus Marburg und Hamburg und Internetrecherche unterstützten uns
bei der Erstellung.
Die Inhalte unterliegen einem kontinuierlichen Verbesserungsprozess.
Wir freuen uns daher über konstruktive Meinungen, Kritik und Weiterentwicklungen zur Thematik
und unserem Handbuch.
Nur gemeinsam erreichen wir für den Patienten das bestmögliche Ergebnis.
Wir freuen uns auf eine gute Zusammenarbeit.
Brita Rohlfs
Projektleiterin
Birgit Töben
Pflegedienstleitung
Dr. Wilhelm Krick
Chefarzt Allgemeinund Visceralchirurgie
Mathias Schulz
Chefarzt Unfallchirurgie
Manual zur Wundbehandlung
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Erstellt: Mai 2009
Ersteller: Wundmanagement AG
Freigabe: PDL
Seite: 3 von 44
Version: 4
Änderungsdatum: 02.03.2016
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1.1 Zielsetzung des Manuals im Klinikum
a) Qualitätssicherung in der Wundbehandlung:
Gleichbleibende bestmögliche Qualität zu möglichst niedrigen Kosten
b)
Sicherstellung eines adäquaten Informationsflusses innerhalb des Krankenhauses
und auch an die weiterbehandelnden Berufsgruppen außerhalb des Krankenhauses
c) Auf- und Ausbau einer „Interdisziplinarität“ in der Wundversorgung
d) Vereinheitlichung und Eingrenzung der Produktpalette
e) Transparenz in der Produktpalette
2.0 Empfehlung zur primären Behandlung chron. Wunden
2.1Begründung
Die Entwicklung der Behandlungsleitlinie „Chronische Wunde“ ist mit der zunehmenden Vielfalt an
Behandlungsmöglichkeiten für chronische Wunden und der daraus erwachsenen Unsicherheit in
der lokalen Behandlung dieser Wunden begründet. Die Wirksamkeit vieler lokaler Wundtherapeutika ist wissenschaftlich nicht belegt und wurde daher in den Vergangenen Jahren für die Wundversorgung nicht mehr zugelassen.
Die auf den einzelnen Stationen in unterschiedlichem Maße gelagerte Vielfalt an Verbandmittel
führt häufig zu unstrukturierter Polypragmasie in der Behandlung schlecht heilender Wunden.
Aufgrund fehlender oder nur schwacher wissenschaftlicher Evidenzen für die unterschiedlichen Behandlungsverfahren bleibt eine wesentliche Orientierungsmöglichkeit die praktische Erfahrung aller
mit der Wundversorgung befasster Berufsgruppen.
Grundlegende Informationsquellen für dieses Manual liegen in
1. begründeter wissenschaftlicher Expertenauffassung
2. der Expertise der einzelnen Arbeitsgruppenmitglieder
3.Expertenvoten
Über dieses rational begründbare Therapieschema soll eine einheitliche primäre Wundtherapie am
Krankenhaus etabliert werden.
Darüber hinaus bleibt es jeder Fachabteilung unbenommen, etablierte und bewährte, in der Wirksamkeit nachgewiesene, ökonomisch sinnvolle Behandlungskonzepte für spezielle Wunden, beizubehalten und weiter zu entwickeln.
Es konnte für die Wundtherapie gezeigt werden, dass interne Leitlinien oder Behandlungspfade zu
einer Beschleunigung der Wundheilung und zu einer erheblichen Kostenreduktion führen. (Dzwierzynski et al., 1998)
2.2Allgemeines
Dieses Manual ist als Empfehlung im Sinne eines konsiliarischen Therapievorschlages zu verstehen
und entbindet den behandelnden Arzt nicht von seine Anordnungsverantwortung und das Pflegepersonal nicht von seiner Durchführungsverantwortung.
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Erstellt: Mai 2009
Verantwortlich: Wundmanagement AG
Freigabe durch: PDL
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Version: 3
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Alleine der behandelnde Arzt ist für die Behandlungsstrategie verantwortlich, wobei es ihm unbenommen bleibt, auf die Erfahrungskompetenz, insbesondere Pflegender, zurückzugreifen.
Davon zu unterscheiden ist die Durchführungsverantwortung der den Verband anlegenden Person.
Die in diesem Behandlungsplan empfohlenen Verbandstoffe bilden die Grundlage für die Lagerungsbestände von Verbandmitteln auf der Station 1. Verbandspezialitäten sind über die Station
1 zu beziehen. Neue Präparate der routinemäßigen lokalen Wundversorgung sollen ausschließlich
nach ärztlicher Konsultation oder durch den Wundkonsildienst eingeführt werden.
Patienten und Angehörige sind ausreichend über die Maßnahmen zu informieren und
soweit möglich und nötig in die Behandlungsstrategie mit einzubeziehen.
Eine exakte Verlaufs- und Behandlungsdokumentation ist unabdingbar und juristisch vorgeschrieben. Sie erlaubt im Sinne einer Qualitätsevaluation die Überprüfung der Wirksamkeit und Effizienz
von Behandlungsstrategie und ist Nachweis für eine qualifizierte Tätigkeit. Die Dokumentation erfolgt mit einem standardisierten Instrument, innerhalb der EDV-gestützten Pflegedokumentation
und beinhaltet die regelmäßige fotographische Darstellung des Wundzustandes.
Allgemein ist neben der hier thematisierten lokalen Behandlung einer Wunde immer die systemisch,
adjuvante Therapie unter Berücksichtigung der Wundätiologie wesentlicher Bestandteil einer umfassenden unter ganzheitlichen Gesichtspunkten betrachteten Wundtherapie.
Dazu gehören beispielsweise die komplette Druckentlastung bei einem Dekubitus oder die suffiziente Kompressionstherapie beim Ulcus cruris venosum sowie Eingriffe zur Revaskularisierung arterio/
venöser Perfusionsstörungen.
Weiterhin sind Faktoren wie Ernährung, Mobilität und Patientenedukationin die Überlegungen über
die Versorgung einer chronischen Wunde mit einzubeziehen1.
2.2.1 Die AG Wundexperten
(Anlage 2)
Die Arbeitsgruppe Wundexperten hat folgende Aufgaben:
(1)Die AG ist als beratende und unterstützende Instanz zu verstehen, die bei komplexen Wundversorgungsstrategien und Verbandspezialitäten sowohl den behandelnden Arzt als auch
die Pflegenden mit Erfahrungs- und Durchführungskompetenz unterstützt, so dass langfristig
die Behandlungskompetenz für komplexe Wunden im Stationsteam steigt.
Patienten, Angehörige und behandelnde Berufsgruppen werden abteilungsübergreifend
durch Mitglieder der AG beraten. Hierdurch wird auch die Versorgungskontinuität im Bereich der Wundversorgung gesichert.
(2)
Detaillierte Aufgaben der Mitglieder der AG Wundexperten
• Festlegung des Therapieregimes – gemeinsam mit dem zuständigen Stationsarzt
• „Prozess-Überwachung“ des Wundmanagements
• Bedside teaching der Kolleginnen und Kollegen auf den Stationen
• Schulung der Patienten und Angehörigen in speziellen Fragen der Wundversorgung
• regelmäßige Teilnahme an Fortbildungen (1x im Jahr) zum Thema Wundmanagement
•gemeinsame Verantwortung mit den Ärzten und Stationsleitungen für die Einführung
des Wundmanagements auf den Stationen
• Vorbereitung der halbjährlich stattfindenden Fallkonferenz
1
Dzwierzynski WW, Spitzt K., Hartz A., Gnuse C, et al. Improvement in resourca utilization after development of a clinical pathway for
patients with pressure ulcers. Plast Reconstr. Surg 1998; 102: 2006-2011.
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• Halbjährliche Evaluation der Prozesse – Aufbereitung für das Reporting
• Vorbereitung der halbjährlichen Fallkonferenz. Hierbei werden positive wie negative Verläufe diskutiert. Der Wundkonsildienst bereitet das Bildmaterial und die Verlaufdarstellung vor – die Einladung übernimmt der zu-
ständige Arzt für das Wundmanagement. Dieser hat auch die Leitung der Sitzung.
•Teilnahme an den halbjährlich stattfindenden Fallkonferenzen. Die Vorbereitung und
Einladung obliegt der Pflegedienstleitung.
(3) Prüfung von neuen Produkten sowie die Entscheidung über die Einführung neuer Produkte.
Der AG werden die neuen Produkte durch Mitarbeiter der Wundprodukte herstellenden Firmen vorgestellt. Die Arbeitsgruppe Wundexperten prüft die Studienlage und die Sinnhaftigkeit des Einsatzes.
(4) Die AG beleuchtet die Wirtschaftlichkeit der Wundversorgung in den Kliniken. Hierzu werden jährliche Übersichten der verbrauchten Materialien und die dadurch entstandenen
Kosten interpretiert. Ziel soll nicht der Einsatz des billigsten Produktes sondern des effizientesten Produktes sein.
2.2.2 Die Wunddokumentation, Fotografie und Wundanamnese
Eine exakte Verlaufs- und Behandlungsdokumentation ist unabdingbar und juristisch vorgeschrieben. Sie erlaubt im Sinne einer Qualitätsevaluation die Überprüfung der Wirksamkeit und Effizienz
von Behandlungsstrategie und ist Nachweis für eine qualifizierte Tätigkeit.
Die Dokumentation erfolgt mit einem standardisierten Wunddokumentationsbogen und beinhaltet
auch die regelmäßige digitale fotographische Darstellung des Wundzustandes.
Die initiale Wundfotografie erfolgt durch Mitarbeiter der Zentralen Ambulanz.
Die Mitarbeiter der aufnehmenden Station erheben die Basiswerte (Ausdehnung, kurze Beschreibung) der Wunde.
Die weiterführende Wundfotografie erfolgt spätestens alle 4-5 Tage oder bei maßgeblicher Veränderung der Wundsituation und in jedem Fall auch bei Entlassung.
Eine umfassende Wundeinschätzung und -dokumentation findet zeitnah auf der peripheren Station
statt. Weitere Erhebungen erfolgen bei Veränderung der Wundsituation.
Digitalkamera´s für die Wundfotografie befinden sich auf den Stationen, wie in den Funktionsbereichen.
Die erstellten Fotografien werden digital in die Patientenakte eingepflegt.
Bei der Fotodokumentation ist auf Folgendes zu achten:
• Die Wunde vor der Fotografie gut mit Ringer Lösung reinigen.
• Die Ersterfassung erfolgt im ungereinigten Zustand.
• Ein gleicher Abstand zur Wunde sollte immer eingehalten werden.
• Eine gleicher Blickwinkel und eine gleiche Position sichern die Vergleichbarkeit der Fotos.
• Die Wunde sollte 1/3tel des Fotos einnehmen.
• Die Fotografie mit Blitzlicht sichert gleiche Lichtverhältnisse.
• Zwingendes Muss sind Zentimeterskala, Datum, Initialen und Wundnummer im Wundfoto, somit
auf dem Patienten. Die nachträgliche Beschriftung ist rechtlich nicht verwertbar.
Besondere Fragen in der Wundanamnese sind:
• Was ist die Ursache für die Wunde?
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• Welchen Einfluss hat die Lokalisation der Wunde auf die Behandlung?
• Welchen Einfluss hat die Wunde auf das Wohlbefinden des Patienten?
• Wie groß ist die Wundfläche?
• Sind Beläge auf der Wunde – Wenn Ja, welche?
2.2.3 In den Anlage findet sich:
ANLAGE 1
Mitglieder der AG Wundexperten
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2.3 Die Wundheilung
Der Ablauf der Wundheilung2
Die Schädigung und Zerstörung von Zellen und Gewebe löst im Körper eine sehr vielschichtige
Reparaturkaskade aus, an der über 30 verschiedene Mediatoren und Substrate beteiligt sind. Die
Reparatur (=Wundheilung) folgt dem schematisierten Ablauf (s.u.):
Trauma
Wichtig ist hierbei u.a. die saubere Definition des Begriffes „Ent↓
zündung“ als typische Körperreaktion („Hitze, Rötung, Schwellung,
„Entzündung“
↓
Schmerz“) und nicht als Prozess, bei dem Mikroorganismen eine
Exsudationsphase (Reinigungsphase)
Rolle spielen („Infektion“). In der Exsudationsphase reinigt der Kör↓
per die Wunde durch vermehrte Flüssigkeitsausschwemmung, in Granulationsphase (Gewebeneubildung)
↓
der Granulationsphase dringen unspezifische Zellen (Fibroblasten)
Epithelisierungsphase (Hautdeckung)
ins Wundgebiet vor und differenzieren dort zu Kollagengewebe.
In der Epithelisationsphase (Organisationsphase) schiebt sich eine zuerst einschichtige Hautepithelschicht vom Wundrand über die Wunde. Unter optimalen Bedingungen verschließt sich die Wunde,
die Epithelschicht differenziert zu kollagenösem Bindegewebe aus und erlangt nach Wochen bis
Monaten mechanische Stabilität und Reißfestigkeit.
Immer dann, wenn ein Stadium der Wundheilung unvollständig oder gar nicht verlassen wird (Durchblutungsstörung, Ernährungsstörung, mechanisches Aufreißen der Wunde, neue Traumata…) und
mehrere Wundheilungsphasen parallel vorliegen, die Wunde über viele Wochen keine Heilungstendenz zeigt, spricht man von chronischen Wunden (Ulcus cruris, Dekubitus, diabetische Ulcerationen..).
Als Wundheilung wird ein strukturierter Prozess bezeichnet, der über molekulare Signaltransduktion
mit entsprechender Zellantwort letztendlich zu Reparaturmechanismen führt, die eine vollständige
Abheilung geschädigter Gewebestrukturen möglich macht.
Eine fundamentale Erkenntnis in der Erforschung von Wundheilungsprozessen ist die Variabilität von
Wunden. Wunden können nach unterschiedlichen Kriterien eingeteilt werden: nach Größe, nach
Wundtiefe, nach Ätiologie und nach Erscheinung.
All diese Kriterien beeinflussen die Art der Wundheilung, deren Geschwindigkeit, die Dauer der unterschiedlichen Wundheilungsstadien und damit auch die Behandlung der Wunde.
Andere extrinsische Faktoren wie Ernährungsstatus, Alter, systemische Erkrankungen, Lebensweise
(Rauchen, Alkohol) und die persönliche Einstellung gegenüber der Wundheilung und die Behandlung der Wunde nehmen ebenfalls erheblichen Einfluss auf die Wundheilung.
Entsprechend der Variabilität der Wundzustände ist auch eine Variabilität in den Behandlungsstrategien zu erwarten. Allerdings gibt es Grundprinzipien, die als essentiell für eine optimierte Wundheilung nachgewiesen werden konnten.
Nachdem bis spät in die 70-80er Jahre traditionell gewebtes, steriles Baumwollmaterial als Wundabdeckung genutzt wurde, konnte in mehreren Studien die aktive Rolle moderner (semi- )okklusiver
Verbandmaterialien in der Wundheilung nachgewiesen werden.(Bradley et al. 1999, Werner et
al.,1991, Schultz et al, 2003, Selmer 1998, Anders et al, 1989, Jeffcoate et al.2003, Bishop et al. 2003),
Leitlinie Dekubitus (1998)
Eine physiologische temperaturadaptierte Wundfeuchte unterstützt die Wundheilung in hohem Maße:
1. Die Stabilität von essentiellen Proteinen (Wachstumsfaktoren) wird verlängert.
2. Die Funktion von Makrophagen und polymorpher Granulozyten wird unterstützt.
Damit ist die interne Infektionsgefahr deutlich niedriger
3. Die Migration von Zellen des Bindegewebes werden optimiert.
4. Die Infektionsgefahr durch externe Mikroorganismen sinkt deutlich
2
(Quelle: Werner Sellmer, Handout 02/2007)
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Angesichts einer zunehmenden Anzahl von Verbandstoffen gibt es einfache Konzepte, die ein moderner Verbandstoff erfüllen muss, um das geforderte physiologische Wundmilieu zu erhalten.
Die Wundverhältnisse werden durch zeitgemäße Verbandstoffe positiv unterstützt und stabilisiert.
Dies geschieht durch das durch die Produkte aufgebaute ideal feuchte Wundmilieu.
Ausnahme: Verbandstoffe für das trockene Gangrän! Hier ist in der Regel eine trockene Verbandtechnik indiziert.
Zeitgemäße Verbandstoffe sollten gute absorbierende und adhaesive Fähigkeiten aufweisen, um
für einen möglichst langen Zeitraum ein optimales Wundmilieu zu garantieren.
Die Adhäsionseigenschaften sollten die intakte Epidermis nicht schädigen und möglichst niedrige
allergene Eigenschaften haben.
Bei geschädigter Umgebungshaut ist auf klebende Eigenschaften der Produkte zu verzichten.
Ein primäres Wunddressing ist der Wundfüllstoff, der einen intensiven Kontakt zwischen Wundgrund
(Wundbasis) und Wunddeckmaterial herstellt.
Das sekundäre Wunddressing umfasst den, die Wunde nach außen abschließenden Teil des Wundverbandes, es hat direkten Kontakt mit dem primären Wundfüllstoff.
Als Kombinationswunddressing ist eine absorbierende Wundfläche mit Adhäsionsanteilen zu bezeichnen3.
2.4.Wundrandschutz
Eines der Grundprinzipien der modernen Wundbehandlung ist der Aufbau und Erhalt eines feuchten Wundmilieus mit geeigneten Verbandstoffen. Von wesentlicher Bedeutung ist daher die Beachtung der Grenzbereiche Wunde/intakte Hautoberfläche. Die aktiven Wundverbände können bei
unkorrekter Anlage oder bei Dislokation durch Bewegung oder mechanischer Beanspruchung gesunde intakte Hautareale schädigen. Daher ist der Wundrandbereich insbesondere dann zu schützen, wenn er Unregelmäßigkeiten oder stellenweise Epithelschäden aufweist.
Wundtamponaden sollten grundsätzlich nicht auf Wundrandepithel (Ausnahme Hydrofaser) aufgebracht werden.
Durch Aufbringen eines Schutzfilms (z.B. Cavilon® 3M), Applikation einer dünnen Polyurethan-Folie
oder eines dünnen Hydrokolloids müssen bei der dauerhaften Anwendung von feuchten Wundverbänden die Wundrandbereiche geschützt werden. Da die Hydrofaser ausschließlich vertikal Flüssigkeiten bindet, kann auch dieses Füllmaterial als Wundrandschutz eingesetzt werden. Bei intakten
Wundrändern und nur minimaler Exsudatmenge kann der Wundrandschutz entfallen.
Bradley M. et al.(1999) Systematic reviews of wound care management: (2) Dressings and topical agents used in the healing of chronic
woundstitle. Health Technology Assessment 17,2.
Werner G.T., Eisenmenger W., Gadomski M:; Goede G. Schmidt A.: Der Dekubitus: Ursachen, Therapie und Prophylaxe – forensische Aspekte. Dtsch. Ärztebl. 88 (1991), 3-6
Schultz GS., Sibbald RG., Falanga V., Ayello EA., Dowsett C., Harding K., Romanelli M., Stacey MC., Teot L., Vanscheidt W.:Wound bed
preparation: A systematic approach to wound management, Wound Repair Regen 2003 Mar; 11 Suppl 1: 1-28
Selmer W.: Wundbehandlung. Pflege aktuell 52 (1998): 426-429.
Anders A. Hornmark AM., Fall PA., Linder L., Bergstrand B. Ehrnebo M., Munk S. Setterberg G.: Care of pressure sores: A controlled study of
the use of a hydrocolloid dressing compared with wet saline gauze, Acta Dermato-Venerologica Supplement(Stockholm)149, 1989
Jeffcoate WJ., Harding KG: Diabetic foot ulcers, The Lancet, Vol 361, May 3, 2003, 1545-1551.
Bishop SM, Walker M., Rogers AA., Chen WY.: Importance of moisture balance at wound-dressing interface. J. Wound Care 2003, April;
12(4): 125-128.
Leitlinie Dekubitus. Initiative Chronische Wunden, 2. Auflage Köln 1998
AWMF –Leitlinie Ulkus Cruris
Auböck J: Synthetische Wundverbände in der Behandlung des ulcus cruris. Phlebol 1994;23:78-84
Leitlinie Dekubitus. Initiative Chronische Wunden, 2. Auflage, Köln 1998.
AWMF-Leitlinie Dekubitus, 1999
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2.5 Allgemeine hygienische Anmerkungen
Die Abstrichnahme bei neu aufgenommenen chronischen Wunden ist obligat! Die chronische
Wunde zählt zur MRSA Risikogruppe. Eine MRSA besiedelte Wunde muß der die Klinik betreuende
Hygienefachkraft gemeldet werden. Es gelten die im Intranet veröffentlichten Richtlinien zur MRSA
Therapie.
Spüllösungen
Für alle Wundversorgungsstrategien gelten die hygienischen Regeln die auch in hausinternen Standards hinterlegt sind. Im Falle einer Wundreinigung oder Wundspülung mit isothermen Lösungen
dürfen nur einmal aufgewärmte, sterile Lösungen verwendet werden, Restmengen sind zu verwerfen.
Antiseptika
Im stationären Bereich des Klinikums hat sich die Anwendung von Octenidin bei der Versorgung
chronischer Wunden bewährt. Wir wissen um die Problematik, daß der Zeit Octenidin und Polyhexanid Arzneimittelzubereitungen im post stationären Bereich nicht verordnungsfähig beziehungsweise
von den Krankenkassen nicht als Regelleistungen angesehen wird.
Anwendung von Octenidin:
Die klassische Spülung von Wunden und Wundtaschen sollte mit isotonen Lösungen erfolgen. Octenidin sollte man in Form einer mit Octenidin getränkten sterilen Kompresse auf die Wunde aufbringen und 2-3 Minuten dort verweilen lassen. Erst dann kann man davon ausgehen, daß auch ein
Wirkungseintritt auf Grund der Kontaktdauer eingetreten ist.
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2.6Wundzustände
2.6.1 Nekrose trocken
Definition:
Trockene Wunde, die durch einen nekrotischen trockenen Wundabschluss nach außen gekennzeichnet ist („schwarzer Wunddeckel“). Epidermis und subkutisches Gewebe sind avital und indolent.
Ziel:
Abklärung der Wundätiologie und Behandlung der primär ursächlichen Systemerkrankung (Diabetes mellitus, arterio-venöse Durchblutungsstörung, Druckentlastung)
vor jeder lokalen Behandlung; ggf.Entfernung der Nekrose und aller avitalen Gewebeanteile.
Eine trockene Nekrose ist häufig Ausdruck einer zugrunde liegenden Systemerkrankung wie Diabetes mellitus mit Angiopathien, arterio-venöse Perfusionsstörungen, permanent, mechanischer
Druck oder Infektionen. Die pathophysiologischen Mechanismen der Chronizität sind trotz sehr unterschiedlicher Erscheinungsformen ähnlich. Alle zugrunde liegenden Gefäßschäden führen zu Ernährungsstörungen des Hautgewebes mit zunehmender Ischämie, Hypoxie und Nekrose.
Ein chirurgisches oder pharmakologisches Nekrosedebridement führt ohne ursächliche Behandlung
der Systemerkrankung zu einer offenen, chronischen Wunde mit durch die unbehandelte Grunderkrankung erheblich reduzierter Heilungschance.
Keine Lokalbehandlung ohne Kausaltherapie!
In diesem Fall sollte die trockene Nekrose, da sie als ein geschlossener Wundzustand zu bezeichnen
ist, lokal zunächst nicht behandelt werden.
Lokale Behandlung:
umfassende Nekrosektomie, die vorzugsweise chirurgisch erfolgen sollte.
Daneben ist in nahezu allen Fällen der trockenen Nekrose eine trockene Wundbehandlung mit
sterilen Kompressen indiziert.
Ein wesentlicher Bestandteil der Behandlung trockener Nekrosen ist der Schutz von intakten Haut­
arealen. Durch die Perfusionsstörungen neigen diese Bereiche zur Exsikose mit Bildung von Rhagaden und trockener Hautschuppung. Durch Anwendung einer einfachen Fettsalbe kann die Gefahr
von sekundären Epidermisschäden gesenkt werden.
Falls ein konservativer Therapieansatz von ärztlicher Seite ausdrücklich gewünscht wird und ätiologische Faktoren wie arterio-venöser Perfusionsstörungen und Angiopathien ausgeschlossen werden
können, ist folgender konservativer Therapieansatz sinnvoll:
Trockene Nekrose:
Diese Nekrose sollte belassen werden, solange sie trocken ist und keine Entzündungszeichen (z.B.
rote Ränder) aufweist.
Feuchte Nekrose:
Aufweichen und Lösen der Nekrosen durch Zufuhr von Feuchtigkeit in Form von Hydrogelen oder
feuchten Tamponaden. Dieser konservative Behandlungsansatz ist im Vergleich zum chirurgischen
Debridement wesentlich zeitaufwändiger. Durch Anritzen der Nekrose kann der Prozess der Nekrolyse unterstützt werden.
Die Nekrolyse sollte immer unter dem Schutz von Antiinfektiva durchgeführt werden.
Antiseptika
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Im stationären Bereich des Klinikums hat sich die Anwendung von Octenidin bei der Versorgung
chronischer Wunden bewährt. Wir wissen um die Problematik, daß der Zeit Octenidin und Polyhexanid Arzneimittelzubereitungen im post stationären Bereich nicht verordnungsfähig beziehungsweise von den Krankenkassen nicht als Regelleistungen angesehen wird.
2.6.2 Feuchte Nekrose + Fibrinbelag
Definition:
Feuchte Wunde mit nekrotischen, avitalen Gewebeanteilen und graugelben Fibrinbelägen.
Dieser Wundzustand ist durch graugelbe fibrinöse Beläge, Nekrosereste und hohes
Sekretaufkommen charakterisiert. Avitale Gewebereste und Zelltrümmer stellen einen idealen Nährboden für Wundinfektionen dar, deshalb besteht in diesem Stadium in hohem Maße die Gefahr einer Wundinfektion.
Die Beläge verhindern das Zellwachstum und den Aufbau einer strukturierten Granulationsschicht.
Ziel:
Konsequentes Wunddebridement, d.h. die Entfernung der avitalen Gewebereste
vorzugsweise chirurgisch, in mehreren Sitzungen und die Wundreinigung, d.h. die
wirksame Ableitung von Zelltrümmern und avitalen Zellen, um damit den Einstrom
von Makrophagen und neutrophilen Granulozyten und die daraus resultierende
Proteasenaktivierung, zu stoppen. Autolytische und mechanische Wundreinigung.
Lokale Behandlung
Die autolytische oder chirurgische Wundreinigung kann konservativ durch eine konsequent feuchte
Wundbehandlung unterstützt werden, sofern moderate Sekretmengen diese Behandlungsstrategie
zulassen. Die geschlossene Wundbehandlung unterstützt durch den Aufbau eines physiologischen
Milieus (PH, Temperatur, Wundfeuchte) die Makrophagenaktivität und Funktion polymorphkerniger
Granulozyten.
Die Zufuhr von Feuchtigkeit ist häufig wegen hoher Sekretionsaktivität nicht notwendig, weshalb
der Einsatz von Wundfüllstoffen wie Calciumalginate oder Hydrofasern das feuchte Wundmilieu
stabilisieren und eine Matrix bilden, die der Aufnahme von avitalen Zelltrümmern dient. Wegen der
erhöhten Infektionsgefahr und den in diesem Wundstadium in der Regel hohen Mengen an multiplen bakteriellen Kontaminationskeimen ist die Anwendung von Silberpräparaten als Tamponade
bei tiefen Wunden oder als Wundauflagen bei oberflächlichen Wunden anzudenken.
Bei einer entsprechenden Disposition soll hierzu der Wundkonsildienst konsultiert werden.
Insbesondere sind Wunden in diesem Stadium in kurzfristigen Intervallen zu kontrollieren (mind. jeden 2. Tag). Bei zunehmenden lokalen Infektzeichen ist eine Semi-Okklussion kontraindiziert.
Zu Beachten ist insbesondere bei tiefen Wunden die Anwendung ausreichender Füllstoffe, die einen Kontakt von Wundbasis und Deckmaterial (Hydrokolloid) gewährleisten (Transportfunktion).
Die Größe der Wundabdeckung sollte exakt der Wundgröße angepasst sein, um den Kontakt zwischen Wundsekreten und intakter Epidermis zu minimieren.
Bei sehr hohem Sekretaufkommen in der Wunde und/oder Anzeichen einer Wundinfektion kann
kurzfristig eine offene, feuchte Wundbehandlung notwendig werden, da eine geschlossene Verbandtechnik nur dann Sinn macht, wenn das feuchtwarme Wundmilieu mindestens 24 Stunden
aufrechterhalten bleiben kann. Andernfalls ist eine entsprechend geschlossene Behandlung sowohl therapeutisch als auch ökonomisch nicht sinnvoll.
Faustregel:Ein geschlossener Verband sollte mindestens 24 Stunden die geschlossene Charakteristik halten können.
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2.6.3 Wundflächen mit Fibrinbelägen, Geweberesten Definition:
Feuchte Wunde mit Gewebeanteilen und graugelben Fibrinbelägen.
Dieser Wundzustand ist durch graugelbe, fibrinöse Beläge, Gewebereste sowie reduziertes Sekretaufkommen gekennzeichnet. Es finden sich keine Nekrosen oder
großflächige Gewebereste. Punktuell sind bereits Granulationsinseln erkennbar.
Häufig sistieren chronische Wunden in dieser Situation bei unzureichender Kausaltherapie. Die fortlaufende Gewebeschädigung induziert den permanenten Einstrom von neutrophilen Granulozyten und Makrophagen mit hoher Zytokininaktivität, die Proteinasen aktiviert und damit den Abbau extrazellulärer Matrix induziert.
Primäres Ziel:
Kausaltherapeutisches Vorgehen mit Wirkungsevaluation.
Konsequentes Wunddebridement, d.h. die Entfernung der avitalen Gewebereste
vorzugsweise chirurgisch in mehreren Sitzungen und die Wundreinigung, d.h. die
wirksame Ableitung von Zelltrümmern und avitalen Zellen im Sinne einer auto-lytischen und mechanischen Wundreinigung.
Die autolytische oder chirurgische Wundreinigung kann konservativ durch eine konsequent feuchte
Wundbehandlung unterstützt werden. Die geschlossene Wundbehandlung unterstützt durch den
Aufbau eines physiologischen Milieus (pH, Temperatur, Wundfeuchte) den Aufbau von Granulationsgewebe und schafft ein ideales Milieu für Regenerationsprozesse und immunologische Wundkompetenz.
Lokale Wundbehandlung
Gründliche Wundbettsanierung mit wiederholten Debridements unterstützt durch eine konsequent
okklusiv-feuchte Wundbehandlung.
Je nach Wundtiefe sollten interaktive Wundauflagen (Calciumalginate, Hydrofasern) eine Sekretaufnahme ermöglichen und damit keimbelastete Sekrete und abgestorbene Zellstrukturen von der
Wundoberfläche zurückhalten. Essentiell ist in dieser Phase eine lückenlose Tamponade des Gewebedefektes, um eine sichere Transportfunktion von der Wundbasis in den sekundären Verbandstoff
zu gewährleisten.
Die Abdeckung mit einer semipermeablen Wundauflage (Hydrokolloid/Pu-Schaumverband) ermöglicht bei eingeschränktem Gasaustausch ein physiologisch feuchtes Wundmilieu über längere
Zeit.
Auch hier sollte bei höheren Sekretmengen die offene Wundbehandlung (Tamponade mit Ringerlösung, Mullkompressen, offene Wundauflagen wie Wundgaze, nicht adhaesive PU-Schaumverbände) durchgeführt werden.
Faustregel:
Ein geschlossener Verband sollte mindestens 24 Stunden die geschlossene Charakteristik halten können.
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2.6.4 Fibrinbeläge + Granulation
Definition:
Die Wunde ist gelblich-weiß belegt und zeigt rötlich glänzendes Granulationsgewebe. Das Sekretaufkommen kann unterschiedlich von trocken bis hoch sezernös
ausgeprägt sein. In der Regel zeigt sich jedoch in diesem Wundstadium ein mäßiges Sekretaufkommen, so dass in den meisten Fällen eine okklusiv-feuchte Wundbehandlung indiziert ist.
Die Fibrinbeläge erschweren das Zellwachstum und behindern damit eine strukturelle Granulation. Anteiliges Granulationsgewebe ist äußerst vulnerabel und gegen mechanische Einflüsse sehr
empfindlich. Man findet diesen Wundtyp häufig bei chronischen Wunden mit noch unzureichender
Kapillarisierung unterschiedlicher Genese. Häufig sistieren Wunden in dieser Phase für längere Zeit.
Primäres Ziel:
Verbesserung des Ernährungszustandes der Wunde durch Behandlung der zugrunde liegenden Systemerkrankung, Aufrechterhaltung eines feuchten Wundmilieus, Verhinderung einer Wundinfektion, Schutz des empfindlichen Granulationsgewebes.
Lokale Wundbehandlung
Konsequentes Entfernen von Fibrinbelägen (mechanisch-autolytisch). Der Einsatz von Hydrogelen
erleichtert die Ablösung von Fibrinbelägen.
Erhalt eines feuchttemperierten Wundmilieus durch okklusiv-feuchte Lokalbehandlung. Trockene
Wunden profitieren von einer induzierten Wundfeuchte (Hydrogele).
Defektrekonstruktion durch Füllstoffe wie Calciumalginate und/oder Hydrofaser unterstützt das
Mikroklima der Wunde und ermöglicht eine langfristige Wundkonditionierung durch verlängerte
Verbandwechselintervalle.
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2.6.5Granulation
Proliferationsphase = Granulationsphase
(Wundverschluss, Gefäßneubildung)
Diese Wundheilungsphase ist geprägt von Aufbau und Differenzierung neuer Gewebe. Die Wund­
reinigung tritt in den Hintergrund. Die Differenzierung und Ausreifung von Proliferationszellen wie
Fibroblasten und Histiozyten werden durch die Konstanz eines physiologischen Milieus unterstützt
und gefördert. Die ungestörte Angiogenese sowie die Phagozytose sind ebenfalls Voraussetzung
für eine ungestörte Wundheilung.
Diese Phase ist gekennzeichnet durch Proliferations- (Vermehrung von Gewebe durch Wucherung
oder Sprossung) und Differenzierungsprozesse von Histiozyten zu Fibroblasten (Grund-, Kittsubstanz,
Bindegewebsfasern) bzw. die Proliferation von Kapillaren. Dadurch wird die ursprüngliche Gewebefunktion nahezu wiederhergestellt. Entzündungszellen nehmen in der Wunde zahlenmäßig ab und
es lassen sich vermehrt Proliferationszellen an der Wundoberfläche nachweisen.
Alle im Wundbereich auftretenden Zellen haben ihre spezielle Funktion:
Makrophagen koordinieren den Heilungsablauf, Fibroblasten schließen entstandene Gewebslücken und ersetzen untergegangene Zellstrukturen, Angioblasten bilden neue Kapillaren und bauen
so das Granulationsgewebe auf. Kennzeichnend ist die Defektauffüllung der Wunde mit neuen Gewebestrukturen. Fibroblasten sezernieren Kollagenfasern und Proteoglykane, die als gallertartige
Substanz den extrazellulären Raum ausfüllt.
Das Granulationsgewebe ist eine vorübergehende primitive Gewebeeinheit, die von einem feinen
Netz von Mikrokapillaren durchzogen ist. Differenzierte Myofibroblasten induzieren eine Wundkontraktion, die zu einer Verkleinerung der Wundfläche führt.
Zunehmender Gewebeumbau mit abnehmender Gefäßdichte und zurückgehender Wassereinlagerung führt zu stabilem Narbengewebe.
Definition:
Lachsrote, feucht-glänzende Wundoberfläche mit hellroten transparenten Körnchen. Die Wunde ist sauber, Granulationsgewebe ist vorhanden.
Es ist keine Nekrose oder avitale Gewebereste vorhanden.
Bei chronischen Wunden mit persistierenden trophischen Ernährungsstörungen
findet man auch blass-rosige oder bläuliche Verfärbungen mit schmierigen Auflagerungen.
Primäres Ziel:Erhalt eines möglichst konstanten feucht-temperierten Milieus um die Wundkonditionierung zu fördern und Epithelisierungsprozesse (Zellmigration) zu unterstützen.
Schutz des Granulationsgewebes
- Wundverschluss, durch Auffüllen des Hautdefektes
- Schutz vor eindringenden Keimen und Flüssigkeitsverlust
- Förderung der Angiogenese, um das neue Gewebe zu ernähren und mit Sauerstoff zu versorgen
- Unterstützung der beginnenden Epithelisierung vom Wundrand ausgehend
Der Verband soll den Gewebsaufbau fördern und schützen. Das Granulationsgewebe kann sich
nur dann gut entwickeln, wenn in ausgewogenem Maße physiologisches Sekret vorhanden ist, das
ein feuchtes Wundmilieu kreiert, in dem sich die Zellaktivitäten entfalten und die nutritiven Vorgänge ablaufen können.
Das Wundbett darf nie austrocknen und muss permanent feucht gehalten werden. Die zur Verfügung stehenden hydroaktiven Wundauflagen ermöglichen es dabei, die Wunde problemlos feucht
zu halten.
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Faustregel:
Belassen Sie den Verband so lange wie es die Umstände zulassen auf dem Wundbereich. Die Wunde benötigt nun ihre Wundruhe!
Trockene Wunden
PU- Schaumverbände oder vorzugsweise Hydrokolloidverbände in Verbindung mit Hydrogelen und
Tamponaden (z.B. Calciumalginate) oder Kombinationsauflagen (kolloidaler Außenabschluss mit
polymeren Wundkissen) erreichen dieses Ziel optimal. Sie nehmen einen Teil der Feuchtigkeit auf
und lassen sich insbesondere problemlos wieder von der Wunde entfernen, ohne schon entstandenes Granulationsgewebe zu schädigen.
Feuchte Wunden/nasse Wunden
Bei feuchten Wunden sollten PU-Schaumverbände oder Superabsorber in Kombination mit Füllstoffen (Calciumalginate, Hydrofaser) angewendet werden, damit die übermäßige Sekretion aufgenommen werden kann und Stoffwechselprodukte oder Zelltrümmer in der Matrix gebunden werden können.
Eine schnellere Erschöpfbarkeit des Verbandes ist zu erwarten, und somit häufiger ein Verbandwechsel durchzuführen.
Hier helfen extrem quellfähige Wundfüllstoffe aus Hydrofaser mit hohem Aufnahmevermögen für
Sekrete die Wechselintervalle zu verlängern und möglichst lange ein physiologisches Wundmilieu
aufzubauen.
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2.6.6Epithelisierung
Die Epithelisierung als Überhäutung der Wunde ist sehr eng mit der Ausbildung von Granulationsgewebe verknüpft. Dieses Gewebe ist rosa und findet sich an den Wundrändern und in kleinen
Bezirken im gesamten Bereich der Wunde.
Nur auf intaktem Granulationsgewebe ist die für die Epithelisierung notwendige Zellmigration vom
Wundrand ausgehend möglich. Voraussetzung dafür ist eine ausreichende Wundfeuchte. Das Resultat dieser Re-Epithelisierung ist die Ausbildung eines dünnen gefäßarmen Ersatzgewebes mit fehlenden Epidermisbestandteilen wie Drüsen, Pigmentzellen, ... .
Definition:
Dünne Epithel überzogene Granulationsschicht
Merkmale diese Phase
- Rückbildung des Granulationsgewebes
- Narbenbildung durch Ausreifen der Kollagenfasern
- Re-Epithelisierung der Wundoberfläche wird abgeschlossen
- Wundkontraktion Verkleinerung der Wundfläche
Primäres Ziel: Schutz dieser sehr vulnerablen Epithelschicht.
Erhalt eines feuchten Wundmilieus.
Probleme dieser Phase
1. Neu gebildete Zellen brauchen Feuchtigkeit.
Bei der normalen Wundheilung wird das frische Granulationsgewebe mit einer neuen feinen Hautschicht überzogen. Epithelisierende Wunden brauchen ein feuchtes Wundmilieu, weil die neu gebildeten Epithelzellen vom Wundrand aus über das
feuchte Granulationsgewebe wandern und so die Wunde verschließen.
2. Verzögerung der Wundheilung.
Ein Austrocknen der Wunde, das in diesem Stadium besonders bei großflächigen
Wunden häufig vorkommt, behindert die Zellwanderung. So wird eine abschließende
Wundheilung verzögert.
Lokale Behandlung:
Bei noch feuchten Wundbereichen Erhalt dieses feuchten Milieus durch eine entsprechend dünne
Wundauflage (Hydrokolloid).
Bei Ausbildung einer trockenen Epithelschicht kann mit dünner lokaler Salbenbehandlung die Geschmeidigkeit der Epithelschicht unterstützt werden.
Zeitgemäßes Wundmanagement heißt:
Die Wunde in ihrer jeweiligen Heilungsphase unterstützen.
Alles zu unterlassen, was diese Phasen stören könnte.
Schaffen eines physiologischen, feucht-warmen Klimas.
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2.6.7 Die infizierte Wunde
Definition einer mit Mikroorganismen besiedelten Wunde
Wundkontamination: Mikroorganismen sind vorhanden (jede chron. Wunde)
Wundkolonisation:
Mikroorganismen sind vorhanden, Keimzahl steigt
Kritische Kolonisation Mikroorganismen sind vorhanden, Keimzahl steigt, Wundheilung stagniert
Wundinfektion:
Mikroorganismen sind vorhanden sowie lokale und systemische Infektions­
zeichen.
Kritische Kolonisation
Wenn die bakterielle Kolonisation einer chronischen Wunde eine kritische Grenze erreicht (> 105
Bakterien), wird das Gleichgewicht zwischen Keimbesiedelung und Abwehrreaktion des Patienten
gestört und die Wunde zeigt eine Heilungsverzögerung. Klinische Zeichen dieser so genannten „kritischen Kolonisation“, die eine Zwischenstufe zwischen Kolonisation und Wundinfektion darstellt, sind
vermehrte Schmerzen und Exsudatmenge, fragiles Granulationsgewebe und Stagnation der Wundheilung. In diesen Fällen ist der vorübergehende Einsatz von wenig gewebetoxischen Antiseptika
oder von silberhaltigen Wundverbänden indiziert.
Diagnostik:
- Rötung der Wundumgebung
- Spannung in der Wunde
- Wundschmerz (fakultativ, cave bei Neuropathien)
- Starke Sekretion übelriechende Sekrete
- Keimzahlen in der Wunde >105 KBE
-
Die Abstrichnahme bei neu aufgenommenen chronischen Wunden ist
obligat! Die chronische Wunde zählt zur MRSA Risikogruppe.
Ätiologie:
Begünstigung
durch: Interne Infektion durch Fistelgänge zu interstinalen Organen
Externe Infektion durch patienteneigen (interne) /externe Mikroorganismen
Eingeschränkte oder fehlende lokale Immunreaktion
-
-
-
-
neurotische, avitale Gewebereste in der Wunde
Wundtaschen, Wundhöhlen und schwer zugängliche Wundbereiche
geschwächten immunologischen Status
tropische lokale Ernährungsstörungen (Diabetes mell., Ulkus cruris)
Behandlungsziel:
Dekontamination der Wunde
Reduktion des hohen Sekretaufkommens
Entfernung von avitalen Geweberesten und Nekrosen
Förderung der Wundgranulation
Behandlungsstrategie:
-
Eröffnung der Wunde (bei primär geschlossenen Wunden)
-
weitreichendes chirurgisches Debridement ggf. „second-lock-OP”
-
bei jedem Verbandwechsel Wundspülungen mit einem Antiseptikum
(Octinedin, Polyhexanid)
-
permanente Spülungen mit Polihexanid-haltiger Lösung über einen kurzen Zeitraum
(2-3 Tage) bei hohen Wundsekretmengen und ausgedehnten Wundverhältnissen
-
Einsatz von Silberpräparaten
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bei hohen Sekretionsraten: offene Wundbehandlung mit dem Ziel einer schnellen Wundsäuberung und Dekontamination
- tägliche Verbandwechsel, bei Bedarf häufiger
- häufige Kontrollen auf ausreichende Wundfeuchte
- nach ausgiebiger Wundreinigung Einlage von mit isothermer Ringerlösung
oder kurzfristig polihexanidhaltige Lösungen (Lavanid©, Prontosan©)
getränkten Kompressen, die trocken steril abgedeckt werden
- gegebenenfalls permanente Wundspülung mit Ringerlösung/Polihexanid
bei abnehmenden Sekretionsraten und Rückgang der Infektionszeichen und Keimzahlen:
geschlossene Wundbehandlung mit dem Ziel des möglichst langen Erhaltes eines physiologischen
feuchtwarmen Wundmilieus.
- Unterstützung der Funktion von Granulozyten, Phagozyten und Histiozyten
- Unterstützung der Wirksamkeit von Zytokinen (Interkeukin-1, TNF-a) und Wachstumsfaktoren (bFGF, EGF, PDGF)
- Förderung der Zellmigration zur Angiogenese und Gewebeneubildung
- Reduktion der Keimzahlen
Nach Debridement und Wundreinigung mit NaCl 0,9% und octenisept, Einlage einer trockenen
Saugkompresse (Calciumalginat) oder bei hoher Sekretionsrate/tiefer Wunde einer Hydrofaserwundeinlage. Bei noch hohen Keimzahlen oder/und hochresistenten Wundkeimen empfiehlt sich
die primäre Anwendung einer mit einer Silberschicht bedampften Wundauflage direkt auf der
Wundoberfläche (G. Müller et al.).
Unter Okklusivverbänden werden die Keimzahlen durch Unterstützung immunkompetenter Zellen
reduziert (Hutchinson J.J. et al. 1989).
Merke:
Nur dann eine geschlossene Verbandtechnik einsetzen, wenn der Verband mindestens 24 Stunden
auf der Wunde belassen werden kann und die Keimzahl im Wundbereich abnimmt.
Auch die Verbandwechsel infizierter Wunden sind grundsätzlich unter hygienischen Bedingungen
durchzuführen!
Lokale Antibiotika sind insbesondere für die Anwendung in chronischen Wunden nicht indiziert und
daher abzulehnen. Sie verursachen zunehmende Multiresistenzen (Niedner R. t al., Modak S. et al.,
Mückley T. et al.) und haben häufig Lücken im Wirkungsspektrum. Hinzu kommt eine zunehmende
Unverträglichkeitsproblematik, die durch den Einsatz von Kombinationspräparaten noch verschärft
wird.
Lokalantibiotika zeigen in vitro Untersuchungen ausgeprägte Wundheilungsstörungen (Sellmer
W.2000). Nach entsprechender Resistenzprüfung sollten bei generellen Infektionszeichen (Fieber,
Leukozytose, CRP hoch) Antibiotika systemisch eingesetzt werden4.
Sedlarik KM, Piatek S. Lippert H. (1998) Wunden und Wundheilungsstörungen. In: Lippert H. (Hrsg.) Praxis der Chirurgie Allgemein- und
Visceralchirurgie, Thieme, Stuttgart, New York, 190-207.
Hutchinson J.J : Prevalence of wound infection under occlusive dressings: a collective survey of reported research. Wounds (1989): 123-133
G. Müller, Y. Winkler und A. Kramer, The Journal of Hospital Inektion, Volume: 53/3 Seite 211-214
Niedner R. et al. Zytotoxizität und Allergisierungsproblematik häufig eingesetzter antiinfektiver Lokaltherapeutika
Modak S. Fox, CL. (1981) Sulfadiazine-silver-resistant pseudomonas in burns. Arch surg; 116:854-857
Mückley T., Lassner F (2001) Untersuchungen zu antibakteriellen Wirksamkeit von Lavasept und Mafenid bei Verbrennungswunden, ZfW,
Juni,20. Ausgabe
Sellmer W. (2000) Pharmakokinetische, pharmakodynamische und ökonmische Aspekte von lokalen Antiseptika und Antibiotika. Krhs.-Hyg.
+ Inf. Verh. 22 Heft 4: 118-121.
Niedner, R.: Inhibition of wound healing by topical antimicrobial agents. In: Altmeyer, P. (Ed.): Wound healing and skin physology. Springer,
Berlin 1995, S. 435 - 448.
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2.6.8 Stark sezernierende, großflächige Wunde
Feuchte offene Wundbehandlungen
Indikation:
Wundverhältnisse, die aufgrund hoher Sekretionsraten eine geschlossene
Behandlung nicht länger als 24 Stunden tolerieren.
Infizierte Wunden mit hohem Interventionsbedarf (z.B. hohe Sekretmengen)
Wunden mit Fisteln, die hohe Sekretmengen fördern oder/und Wunden mit sehr
aggressiven Sekretcharakteristika (interstinale Sekrete)
Wunden, die wegen ihres Zustandes (großflächig Beläge, Nekrosen) einer täglichen chirurgischen Intervention (ggf. Debridement) bedürfen.
Auch für diese Verbandtechnik gilt insbesondere der Grundsatz:
Eine Wunde darf nicht austrocknen, sondern muss im Falle einer nicht geschlossenen Epithelschicht
immer feucht gehalten werden.
Procedere:
Reinigung der Wunde (mechanisch)
Anfeuchtung der Wunde mit getränkten Wundfüllstoffen wie Baumwollgaze und/oder hochsaugfähiger Hydrofaser. Als Feuchtmedium sollte Ringerlösung verwendet werden.
Wundabdeckung mit trockenem saugfähigem Verbandstoff.
Verbandwechsel mindestens zweimal in 24 Stunden.
Häufige Verbandkontrollen auf ausreichende Feuchtigkeit und Erreichen der Sättigungsgrenze bei
hohen Sekretmengen, ggf. Verbandwechsel.
(Wenn Wundsekrete den Verband durchtränkt haben ist diese Grenze erreicht.)
Ggf. Flüssigkeitssubstitution bei hohen Sekretmengen.
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2.7
Die Wundheilungsstörung
Definition:
Ziel:
Stagnation der Wundheilung > 7 Tage
Trotz Stadiumsadaptierter lokaler Behandlung und erfolgreicher kausaler Therapie
einer ursächlichen Systemerkrankung sind keine erkennbaren lokalen Heilungsfortschritte vorhanden oder der Wundzustand verschlechtert sich ohne erkennbare
Ursache (Infektion, Verschlechterung des kausalen Grundleidens).
Häufig sind unzureichend behandelte oder nicht therapierbare Grunderkrankungen (Tumorleiden, fortgeschrittene Arteriosklerose, schwerer Diabetes mellitus mit
Angiopathien) Ursache für solche Wundzustände.
Resultierende Gewebeschäden in der Wunde führen immer wieder zum Einstrom
immunogener Zellen, (Granulozyten, Magrophagen) die Zytokinine produzieren,
die extrazelluläre Matrix abbauen und damit Zellwanderung und die Bildung von
Bindegewebe unterbinden.
Unterstützung der Wundheilung durch aktive lokale Therapeutika.
Verbesserung der Wundperfusion.
Hemmung der lokalen Entzündungsreaktionen.
Optimierung der Stoffwechselsituation
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2.7.1 Aktive lokale Wundbehandlung bei Problemwunden
Aktive auf die Wundintegrität einwirkende Substanzen interagieren physikalisch, biologisch oder
chemisch mit der Wunde und können so die Wundheilung maßgeblich beeinflussen.
Da diese Therapieformen sehr kostenaufwändig und spezielle Kenntnisse in der Anwendung erforderlich sind, ist die Initiation und primäre Durchführung speziell geschulten Experten (Wundkonsildienst) oder dem speziell geschulten Arzt vorbehalten. Der Wundkonsildienst regelt ebenso die Materiallogistik und Überprüfung der Wirksamkeit durch ein engmaschiges Dokumentationsprozedere.
Zur Grundauffassung bezüglich der Anwendung moderner High-Tech-Produkte gehört es, die außerordentlich wirksamen Produkte in der Wirksamkeit kontinuierlich zu überprüfen. Stellt sich nach
kurzer Zeit (2-3 Tage) die gewünschte Wirkung nicht ein, so muß man die Anwendung des Produktes dringend hinterfragen und ggf. einen Therapiewechsel einleiten.
2.7.2 Die Vakuumversiegelung
Indikation:
Komplexe Wundverhältnisse mit tiefgehenden Wunden
Hohe Wund-Flächenausdehnung
Hohe Sekretionsraten
Kontamination/Infektion mit Problemkeimen (MRSA, VRE)
Meshed grafts
Relative Kontraindikation (Anwendung durch Experten in besonders gelagerten Fällen)
Fistel von Organen oder in großen Körperhöhlen
Freiliegende Sehnen, Gefässe
Nekrotische Wundoberfläche
pAVK (wichtig ist die Kausaltherapie !)
Tumorwunden (palliative Behandlung)
Absolute Kontraindikation
Osteomyelitis (unbehandelt; - wichtig ist die Kausaltherapie !)
Tumorwunden (kurative Behandlung – Ausnahme die palliative Versorgung)
Zur Vakuumversiegelung dürfen keine Redon Drainagen genutzt werden ! Im Rahmen der Anwendung der Vakuumversiegelung sind die Richtlinien des MPG zu beachten
Merkmale
Durch Applikation eines permanenten Vakuums auf die Wundoberfläche wird eine Beschleunigung
der Wundkonditionierung um bis das Zehnfache erreicht. Die geschlossene Behandlungscharakteristik unterbindet jegliche sowohl endogene als auch exogene mikrobiologische Kontamination. Die
Interventionsnotwendigkeit nimmt durch Verbandwechselintervalle von 3-7 Tagen erheblich ab.
Prozess
Die Wunde wird mechanisch gereinigt und falls notwendig weitgehend debridiert.
Ein Polyurethanschwamm (PU) oder alternativ ein Polyvinyl-Alkohol-Schwamm (PVA) wird den
Wundkonturen entsprechend zugeschnitten und in die Wunde eingelegt. Wundränder können bei
Bedarf (z.B. bei Epidermisschäden) durch dünne Hydrokolloidauflagen geschützt werden.
Komplett luftdichter Verschluss der Wunde. Applikation eines negativen Druckes über ein in die
Versiegelungsfolie integrierten Saugpatch der über ein Schlauchsystem mit einem in der Vakuumpumpe integrierten Auffangbehälter verbunden ist.
Die Sogstärke beträgt in der Regel zwischen 125 mmHG (PU-Schwamm) – 250 mmHG (PVASchwamm). Die Behandlungsdauer ist vom Zustand der Wunde abhängig und richtet sich nach
der Sekretionsmenge und dem Konditionierungsgrad der Wunde.
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Hat die Wunde etwa Hautniveau erreicht und liegen die Sekretionsraten in einem niedrigen Bereich, kann auf die okklusiv-feuchte Wundversorgung übergegangen werden5.
2.7.3 Protease modulierende Matrix
Der Einsatz von oxydierter regenerierter Cellulose in Verbindung mit Kollagen in der Wundversorgung hat in klinischen Studien im Vergleich zu Feuchtverbänden mit kristalliner Kochsalzlösung signifikante Vorteile gezeigt. Bei exzessiver, extrazellulärer Proteolyse kommt es zur Dysregulation von
Gewebeabbau und Gewebeaufbau und damit zu einem verstärkten Gewebeuntergang. Die in
chronischen Wunden in hohem Maße nachzuweisende Proteaseaktivität ist ein Hinweis auf ein sistieren der Wunde im Zustand der inflammatorischen Phase. Die Protease modulierende Matrix ist
in der Lage überschüssige Proteasen zu inaktivieren und damit die Wunde aus dem Zustand der
andauernden Inflammation herauszuführen6.
Die Matrix wird angefeuchtet (Ringerlsg.) und in die Wunde eingebracht und mit einer geeigneten
Wundabdeckung (Polyurethanschaum, Kombinationsauflage) abgedeckt. Sie ist selbstresorbierend weshalb sich das Entfernen von Restmaterialien erübrigt7.
2.7.5Madentherapie
Wichtige Richtlinien zur Madentherapie
Biochirurgie-Verbände unterstützen das Debridement und die Behandlung von Problemwunden.
Anwendungsgebiete:
• Diabetische Wunden
• Dekubitus
• Dehiszente oder auch sekundär abheilende Wunden
• Venöse Ulcera
• Die Biochirurgie ist indiziert für die Reduktion von Wundinfektionen, einschließlich MRSA.
Gegenindikationen:
Maden dürfen nicht auf Wunden mit:
• Blutungsneigung oder auf Wunden die in der Nähe eines frei liegenden großen Gefäßes liegen, verwendet werden.
• bei Wunden die durch ein extensives chirurgisches Debridement therapiert werden
• nicht einzusetzen bei Wunden mit unzureichender Durchblutung zur Unterstützung der Wundheilung
5
Fleischmann W, Strecker W, Bombelli M, Kinzl L. [Vacuum sealing as treatment of soft tissue damage in open fractures]. Unfallchirurg1993; 96(9): 488-92.
Fleischmann W, Lang E, Kinzl L. [Vacuum assisted wound closure after dermatofasciotomy of the lower extremity]. Unfallchirurg 1996; 99(4): 283-7 4. Banwell P, Withey S, Holten
I. The use of negative pressure to promote healing. Br J Plast Surg 1998; 51(1): 79.
Morykwas MJ, Argenta LC, Shelton-Brown EI, McGuirt W. Vacuum-assisted closure: a new method forn wound control and treatment: animal studies and basic foundation. Ann Plast
Surg 1997; 38(6): 553-62.
Philbeck TE, Whittington KT, Millsap MH, Briones RB, Wight DG, Schroeder WJ. The clinical and cost effectiveness of externally applied negative pressure wound therapy in the
treatment of wounds in home healthcare Medicare patients. Ostomy Wound Manage 1999; 45(11): 41-50.
Collier. Know-how: A guide to vacuum-assisted closure (VAC). Nurs Times 1997; 93(5): 32-3.
Tang AT, Ohri SK, Haw MP. Novel application of vacuum assisted closure technique to the treatment of sternotomy wound infection. Eur J Cardiothorac Surg 2000; 17(4): 482-4.Muller
G. [Vacuum dressing in septic wound treatment]. Langenbecks Arch Chir Suppl Kongressbd 1997; 114: 537-41.
Kovacs L, Kloppel M, Geishauser S, Schmiedl S, Biemer E. Vacuum sealing: a new and promising
regimen in the therapy of radiation ulcers. Br J Surgery 1998; 85: 70.
Mullner T, Mrkonjic L, Kwasny O, Vecsei V. The use of negative pressure to promote the healing of tissue defects: a clinical trial using the vacuum sealing technique. Br J Plast Surg
1997; 50(3): 194-9.
6
Ghatnekar et al. 2002, Cullen et al.2002 Veves A. et al. 2002
7
CB., Smith D., Mucculloch E., Silcock D., Morrison L. Mechanism of action of Promogran, a protease modulating matrix, for the treatment of diabetic foot ucers; Wound Rep Reg
2002; 10:16-25
Ghatnekar O., Willis M., Cost-effectiveness of treating deep diabetic foot ulcers with Promogran in four European countries, J. of wound care 11(2) Feb 2003-06-06
Veves A. Sheenan P., Pham HT., Randomized controlled trial of Promogran vs standard treatment in the management of diabetic foot ulcer; Arch Surg 137, July 2002
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Darreichungsformen:
Vita Pad ist ein steriler Verband mit einer Außenschicht aus Polyvinylalkohol Material und einem inneren abgeschlossenem Nylonnetz mit Abstandshalter aus Polyester.
Biobag besteht aus einem abgeschlossenen Polyesternetz mit Polyvinylalkohol-Schwamm als Abstandshalter.
Die Auswahl der Verbandgröße ist entsprechend der Wundgröße zu bemessen!
Vita Pad und Biobag enthalten lebende Organismen. Es ist daher darauf zu achten, ideale Lebensbedingungen für die Larven aufrecht zu erhalten.
Richtlinien zur Verwendung von Larven in Form von Vita Pad oder Biobag:
•Der Verband muss feucht, aber nicht nass sein
•Die Wunde muss ausgespült werden, um alle Fremdmaterialien oder Salben zu entfernen
•Ausreichende Luftzirkulation durch den Verband sicherstellen
•Der Verband darf nicht gequetscht werden (z. B. indem der Patient auf den Verband tritt)
•Die Larvenaktivität muss regelmäßig kontrolliert werden
Vermeiden Sie:
•Die gleichzeitige Verwendung von Produkten, die für die Maden schädlich sind
(z. B. Antiseptika, lokale Antibiotika oder Wundtherapeutika)
•Die Verwendung von okklusiven Verbänden über den Larven
•Zu festes Anlegen des Sekundärverbands.
Bei Rückfragen bitte an die Arbeitsgruppe Wundexperten wenden.
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3.0 Die systemische Wunde
Folgende diagnostische Grunderhebungen sind bei Wunden der unteren Extremität durchzuführen:
•
•
•
•
•
Tasten der Fußpulse – arterieller Status – und Dokumentation des Ergebnisses
Abklärung des Venenstatus und Dokumentation des Ergebnisses
neurologischer Status – und Dokumentation des Ergebnisses
orthopädischer Status – und Dokumentation des Ergebnisses
internistischer Status – und Dokumentation des Ergebnisses (kardiologisch / nephrologisch)
Bei Auffälligkeiten der Basisdiagnostik ist eine weitere Diagnostik vorzunehmen oder konsiliarisch einzufordern. Insbesondere: internistischer Status – kardiologisch/nephrologisch
3.1
Die chronische Wunde an der unteren Extremität
Für den Erfolg einer lokalen Therapie ist eine exakte Ursachenanalyse eines Ulcus von entscheidender Bedeutung, da systemische Komponenten der Therapie unbedingt berücksichtigt werden
müssen.
Formen:
Arterielle Ulzera sind ursächlich Folge eines insuffizienten arteriellen Blutflusssystems. Die Folge der
arteriellen Durchblutungsstörung sind Ischämien und lokale Nekrosen. Die Erhebung des arteriellen
Gefäßstatus ist für die Festlegung der geeigneten Therapie (Angioplastik, Amputationschirurgie)
unerlässlich. Die Ulzera sind häufig an der Fuß-Außenseite lokalisiert und imponieren durch schmerzhafte Nekrosen, Häufig findet man die Claudicatio intermittens. (Schaufensterkrankheit).
Nach dem Schweregrad der Symptome wird die pAVK in verschiedene Stadien eingeteilt. Die häufigste Klassifikation ist die nach Fontaine und bezieht sich auf die Gehstrecke, die ohne Schmerzen
bewältigt werden kann:
• Stadium I: keine Einschränkung der Gehstrecke
• Stadium IIa: schmerzfreie Gehstrecke länger als 200 Meter
• Stadium IIb: schmerzfreie Gehstrecke kürzer als 200 Meter
• Stadium III: Schmerzen in Ruhe, vor allem nachts in horizontaler Lage in Zehen,
Ferse und Fußsohle
• Stadium IV: Absterben von Gewebe, Ausbildung von Nekrosen, offenen Geschwüren oder
einer Gangrän. Endpunkt ist das Absterben der Extremität mit drohender Sepsis und schließlich Amputation.
Diabetische Ulzera findet man häufig über Knochenvorsprüngen oder unter den Metatarsal-Knochen. Sie zeigen häufig Verhornung assoziiert mit dichten Nekrosen. Diese Ulzera haben häufig drei
ätiologische Komponente mit unterschiedlicher Gewichtung: neuropathische, venöse und/oder
arterielle Komponente. Diese Patienten benötigen wegen der Komplexizität des Krankheitsbildes
eine umfassende systemisch, lokale Therapie und Aufklärung durch geschulte Spezialisten.
Rheumatoide Ulzera sind tiefe, gut demarkierte Fußulzera die in der Regel auf dem Fußrücken oder
an der Wade wie ausgestanzt erscheinen. Die Patienten mit rheumatoider Arthritis entwickeln auch
häufig Ulzera mit venöser Komponente.
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25
Ulcus cruris venosum
Pathogenetisch liegt dem Ulcus cruris venosum eine primäre oder sekundäre chronisch-venöse
Insuffizienz zugrunde. Etwa ein Drittel der Frauen und (etwas weniger) der Männer in den westlichen Industriestaaten leiden unter relevanten Varizen. Die Inzidenz nimmt mit steigendem Alter
zu. Bei der Entstehung spielen Alter, familiäre Disposition und die hormonelle Situation eine entscheidende Rolle. Pathophysiologisch kommt es zu einer Abnahme kontraktiler und einer Zunahme
bindegewebiger Elemente, was zur Venendilatation und Klappeninsuffizienz führt. Minimalformen
der Varikosen finden sich in Form von Besenreiser-Varizen und retikulären Varizen. Eine epifasziale
Stammveneninsuffizienz ist in ca. 40% Ursache von venösen Ulzera (Grad III bis IV nach Hach). Bei einer Stammvarikose der Vena saphena magna finden sich die Ulzera an der Innenseite des distalen
Unterschenkeldrittels. Häufig bilden sich mehrere Ulzera, die durch Größenzunahme verschmelzen
können. Sehr große Ulzera können manschettenartig den ganzen Unterschenkel umgreifen (Gamaschenulcus). Bei einer Stammvarikosis der Vena saphena parva finden sich die Ulzera hingegen
an der Außenseite des distalen Unterschenkels. Besiedlung der fibrinösen und nekrotischen Beläge
mit Keimen sind die Regel. In der Ulcusumgebung kommt es durch die Ulcussekrete zu einer periulcerösen Ekzematisierung mit Streuphänomenen. Nicht selten finden sich bei diesen Patienten
Sensibilisierungen mit der Konsequenz von allergischen Kontaktekzemen an den Unterschenkeln.
Pathogenetisch ebenfalls von herausragender Bedeutung sind die sekundären Varikosen auf dem
Boden eines postthrombotischen Syndroms. Hier bilden sich multiple Hautveränderungen, die in der
klinischen Klassifikation der CVI nach der CEAP beschrieben werden.
Klinische Klassifikation (C) der CVI nach CEAP
Grad
Ausprägung
C0
Keine sichtbaren oder tastbaren Zeichen
C1
Teleangiektasien oder retikuläre Varizen
C2
Varizen
C3
Ödem
C4
Hautveränderung verursacht durch venöse Erkrankung (wie Pigmentierung,
venöses Ekzem, Lipdermatosklerose)
C5
Hautveränderung wie oben beschrieben mit abgeheilter Ulceration
C6
Hautveränderung wie oben beschrieben mit aktivem Ulcus
Klassifikation nach Widmer
Grad
Klinik
1
Ödem, subfaziale Stauung,
Corona phlebectatica: (Lokale Gefüßerweiterung in der Knöchelregion und
2
oberhalb des Fußgewölbes)
Unterschenkelödem, Hyperpigmentierung der Haut, Ekzem, Induration
Dermatoliposklerose: (Haut und Beinmuskulatur bilden eine verhärtete, glänzende Einheit)
Atrophie blanche:
(weiße Hautstellen am Knöchel oder im Fußrückenbereich)
Purpura jaune d´ocre:(ockerfarbene Veränderungen der Haut aufgrund
wasserun­löslicher Eisen-Eiweiß-Verbindungen)
3
Stark entwickeltes (florides) oder abgeheiltes Ulkus
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26
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Erstellt: Mai 2009
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Seite: 26 von 44
Version: 3
Änderungsdatum: 01.03.2016
Der pathogene venöse Reflux mit Hypervolämie und Hypertension führt zu Gefäßdilatationen in
den Kapillaren, zu einer erhöhten transkapillären Passage von Flüssigkeit (Ödem), Erythrozyten (Hämosiderinablagerung) und Proteinen ins Interstitium. Durch die Stimulation von Fibroplasten und
der konsekutiven Kollagensynthese kommt es zur klinisch imposanten Dermatofaszioliposklerose.
Die Störung der Mikrozirkulation führt zu einer endothelialen Expression von Adhesionsmolekülen
und Einwanderung von Leukozyten. Inflammatorische Zytokine werden hochreguliert und die proteolytischen Enzyme der Leukozyten führen kontinuierlich zum Gewebeschaden und fibrotischen
Umbau. Zumeist langsam fortschreitend entwickelt sich so das Ulcus cruris venosum. Die häufigsten
Differentialdiagnosen für chronisch-venöse Ulzera sind arterielle Ulzera, mikroangiopathische Ulzera, Livedo-Vaskulopathien, post-traumatische Ulzera, Pyoderma gangraenosum und Hauttumore.
Therapeutisch steht bei suffizientem tiefen Leitvenensystem zunächst die Sanierung der chronischvenösen Insuffizienz durch einen primär operativen Ansatz im Vordergrund. Eine Kompressionstherapie ist über die gesamte Zeitdauer der Behandlung notwendig.
Die Chronizität der Erkrankung führt zu erheblichen Kosten durch häufige Pflegeeinsätze, hohe Materialkosten und Folgekosten. Etwas 4/5 der Patienten werden im ambulanten Pflegeumfeld behandelt.
Autoimmunerkrankung Pyoderma gangraenosum:
Bei rasch fortschreitenden therapieresistenten Ulzera in Verbindung mit einem unauffälligen Gefäßstatus sollte differentialdiagnostisch an ein Pyoderma gangraenosum gedacht werden. Das Pyoderma gangraenosum imponiert klinisch als polyzyklisch begrenzte, z. T. sehr tief gehende Ulzera mit
düster-roten, teils matschig unterminierten Wundrändern, welche eine rasche Progression zeigen.
Teilweise können auch Pusteln im Randbereich des Ulcus auftreten. Klassischerweise findet sich
bei den Patienten kein Hinweis auf eine chronisch-venöse Insuffzienz oder eine periphere arterielle
Verschlusskrankheit. An assoziierten Grunderkrankungen finden sich Colitis ulcerosa bzw. Morbus
Crohn sowie die chronische Polyarthritis, monoklonale Gammopathien, myeloproliferative Prozesse
und Lymphome. Histologisch zeigt sich meist eine diffus abzedierende leukozytäre Durchsetzung
der Dermis mit einer epidermalen und dermalen Nekrose verschiedenen Ausmaßes. Die klassischen
Zeichen einer nekrotisierenden Vaskulitis fehlen hingegen. Das Pyoderma gangraenosum bedarf
einer immunsuppressiven Therapie, wobei sich die Kombination aus systemischen Kortikosteroiden
mit Ciclosporin A als ausgezeichnet und schnell wirksam etabliert hat.
Cave: Debridement: Beim Pyoderma Gangraenosum ist solange keine immunsuppressive Therapie
mit Corticosteroiden durchgeführt wird ein Debridement kontraindiziert, da jedes Debridement die
lokale Symptomatik verschlechtert.
Ulzera bei Vaskulitiden und Livedo-Syndromen:
Auch im Verlauf von Vaskulitiden, wie z. B. der leukozytoklastischen Vaskulitis der Haut sowie auch
nekrotisierenden Systemvaskulitiden kann es zu Ulzerationen im Bereich der unteren Extremität kommen. Hierbei finden sich aber zumeist andere klinische Zeichen der Vaskulitis, wie z. B. petechiale
Einblutungen der Haut oder eine typische Livedo-Zeichnung. In diesen Fällen ist immer eine histologische und immun-histologische Abklärung indiziert. Bei der Livedo-Vaskulitis handelt es sich
streng genommen nicht um eine Vaskulitis, sondern um eine, auf die untere Extremität beschränkte,
thrombotische Vaskulopathie dermaler Gefäße, die durch die Trias von Arthrophie blanche, Livedo racemosa sowie schmerzhafte und schlecht heilende Ulzera gekennzeichnet und wegen ihrer
hohen Schmerzhaftigkeit und Langwierigkeit gefürchtet ist. Therapeutisch kommen hier Bettruhe,
Analgetika sowie eine low-dose Heparinisierung in Frage. Zur Dauerbehandlung bzw. Prophylaxe
können Thrombozytenaggregationshemmer eingesetzt werden. Bei größeren Ulzera ist die Exzision
und plastische Deckung kaum vermeidbar.
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Änderungsdatum: 02.03.2016
27
Diagnostik
Bei der Anamneseerhebung sollten erfragt werden:
die familiäre Belastung, Begleiterkrankungen, Risikofaktoren wie die berufliche Belastung und sportliche Aktivitäten, Operationen und Traumatisierungen der unteren Extremitäten und der Beckengürtelregion, Anzahl und Komplikationen von Schwangerschaften, Thrombosen und subjektive
Symptome.
Therapieresistente und morphologisch ungewöhnliche Ulzerationen müssen histologisch abgeklärt
werden (z.B. Malignom-Verdacht).
Besondere Strategien beim Ulcus cruris venosum
Folgende Strategien werden für diese spezielle Art einer chronischen Wunde vom RCN (Royal College of Nurses) empfohlen.
-
Abschließende unzweifelhafte Diagnostik s.o. und initiale Wunddokumentation.
-
Nach sicherem Ausschluss einer arteriellen Genese Anlage eines mehrlagigen unterpolsterten Kompressionsverbandes mit Kurzzugbinden durch geschulte Pflegende. (Evidenz-Level I)
-
Suffizientes Schmerzassessment und adäquate Schmerztherapie.
-
Einmaliger Abstrich zur Überprüfung des Kolonisationsprofils der Wundfläche
-
In Abhängigkeit vom Kolonisationsprofil Reinigung der Wunde mit Antiseptika (Octenidin)
oder thermoadaptierter Ringerlösung.
-
Konsequentes chirurgisches oder autolytisches Debridement vorhandener Beläge, Nekrosen
vor aktiver Lokalbehandlung.
- Lokale Stadien-adaptierte Wundtherapie nach den aufgeführten Prinzipien und unter Berücksichtigung der folgenden Punkte:
Die Ursachensuche soll durch die spezielle Diagnostik der gefäßchirurgischen Abteilung komplettiert werden. Dazu gehört auch die Klärung der OP Frage.
Kompressionstherapie
Eine weitere unverzichtbare Begleitmaßnahme speziell beim Ulkus cruris venosum ist die kontrollierte
Kompression der betroffenen Extremität. Während bei der rein chronisch venösen Insuffizienz ohne
Gewebedefekt eine Kompression mit einem speziell angepassten Strumpf (Kompressionsklasse II/III)
sinnvoll ist, sollte bei großflächigen Ulcera eine adaptiert/kontrollierte Kompression mit elastischen
Kurzzugbinden erfolgen. Die Bindetechnik ist dabei nicht entscheidend sondern die Konstanz einer
gleichmäßig starken Kompression. Es ist auf eine ausreichende Polsterung von Knochenvorsprüngen zu beachten. Vor der Maßnahme sollte der Patienten mindestens 30 min gelegen haben, um
belastungsbedingte Ödeme in den unteren Extremitäten weitestgehend zu vermeiden.
Wegen der starken Entfeuchtung der Haut durch die Kompressionsbinden ist vor Anlegen der Kompression eine intensive Hautpflege obligat. Nach Anlage eines Baumwollschlauchverbandes wird
zur besseren Druckverteilung die betroffene Extremität mit einer Wattebinde umwickelt. Nun kann
in definierten Tourenzügen die Kurzzugbinde angewickelt werden.
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28
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Kontraindikationen Kompressionstherapie laut AWMF Leitlinie 37/005
Ergänzt durch Expertenwissen des Klinikums
absolute:
ofortgeschrittene periphere arterielle Verschlusskrankheit
odekompensierte Herzinsuffizienz
oPhlegmasia coerulea dolens
oStadium III und IV nach Fontaine (pAVK-Klassifikation)
relative:
oschwere Sensibilitätsstörungen der Extremitäten
ofortgeschrittene periphere Neuropathie (z.B. bei Diabetes mellitus)
oUnverträglichkeit auf Bindenmaterial
onoch kompensierte periphere arterielle Verschlusskrankheit
oStadium IIa nach Fontaine mit der Tendenz eher die Kompression durchzuführen
oStadium IIb nach Fontaine mit der Tendenz eher die Kompression abzulehnen
Physikalische Therapie
o ein intensives kontrolliertes Gehtraining (Wadenpumpe + Kurzugtherapie)
o die krankengymnastische Mobilisierung der bzw. des Betroffenen unter besonderer Beachtung der Sprunggelenksbeweglichkeit
o die manuelle Lymphdrainage (Abhängigkeiten: kardiologisch, lymphologisch, Infektstatus)
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Seite: 29 von 44
Version: 4
Änderungsdatum: 02.03.2016
29
3.2
Diabetisches Fußsyndrom
Das diabetische Fußsyndrom entsteht in den meisten Fällen aufgrund eines multifaktoriellen Geschehens, welches dann zur Ulzeration des Hochrisikofußes führt. Die distale sensible Polyneuropathie mit eingetretenem Sensibilitätsverlust wird erst dann ein Ulkus zur Folge haben, wenn andere
extrinsische Faktoren wie Verletzungen, Verbrennungen durch Bettflaschen usw. und – als Hauptgrund – nicht passendes Schuhwerk oder intrinsische Faktoren, wie biomechanische Fußdeformitäten, hinzukommen. Die motorischen Neuropathien bewirken eine Flexionsdeformität der Zehen
mit abnormalen Gehmustern mit der Folge der Ausbildung von Arealen erhöhter Druckbelastung
(pathologisch erhöhter plantarer Druck). Die autonome Neuropathie führt zu Hautveränderungen
mit Trockenheit und der Ausbildung von Rissen und Rhagaden.
Selbst die pAVK allein ist eher selten mit spontaner Nekrotisierung verbunden, auch hier führen
durch den Sensibilitätsverlust nicht bemerkte Druckschäden zu Läsionen, deren Infektion septische
Thrombosen der versorgenden Gefäße und damit den Untergang des Gewebes bedingt.
Weitere Risiko- oder Auslösefaktoren: Insuffiziente Maßnahmen der Fußpflege oder andere Traumata, Non-Compliance, Wissensdefizite, Mykosen.
Diagnostik:
Eine moderne Wundbehandlung kann Heilungshindernisse (Ischämie, ständige Traumatisierung
und Infektion) nicht kompensieren. Daher müssen folgende 6 Fragen bei der Behandlung des DFS
geklärt sein.
1)
2)
3)
4)
5)
6)
Wundausmaß? Osteomyelitis?
Infektion?
Ischämie?
Polyneuropathie (PNP)?
Biomechanische Fußdeformität?
Stoffwechsel?
1. Wie ist das Ausmaß der Wunde? Besteht eine Osteomyelitis?
Eine Wunde muß zu Therapiebeginn sorgfältig untersucht werden, um festzustellen, wie tief eine
eventuelle Infektion ausgebreitet ist, ob nekrotisches Material vorhanden ist und ob der Knochen
mitbeteiligt ist.
Sofern knöcherne Strukturen frei liegen oder auch sondiert werden können („probe to the bone“) ist
die Wunde wahrscheinlich mit einer Osteomyelitis vergesellschaftet. Wunden, die tief bis zur Ebene
von Knochen und Gelenken gehen nach Wagner als Stadium 3 klassifiziert. Dieses Stadium ist in der
Regel mit einer akuten Osteomyelitis vergesellschaftet.
Ggf. weitere radiologische Untersuchung zum Nachweis einer Osteomyelitis (Rö + MRT).
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30
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Erstellt: Mai 2009
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Seite: 30 von 44
Version: 3
Änderungsdatum: 01.03.2016
Wagner Stadium 0 entspricht einem Risikofuß (d.h. Diabetiker mit Fußfehlstellungen oder Hyperkeratosen; Pat. mit sensomotorischer Neuropathie mit erhöhten plantaren Drücken als auch Pat. mit
stattgehabtem Ulcus). -> siehe unten bei Prävention!
2. Besteht eine Infektion?
Die Diagnose einer Infektion wird klinisch anhand lokaler und systemischer Zeichen gestellt. Lokale
Zeichen einer Infektion sind: Rötung, Schwellung, Schmerz und Gerüche. Rötung kann aber auch
bei einer chronischen Wunde Zeichen einer fortgesetzten Druckbelastung sein. Schmerzen sind
beim neuropathischem Ulcus nicht zu erwarten. Sichere lokale Zeichen sind Pus und Crepitationen
beim Vorliegen gasbildender Keime. Systemische Zeichen einer Infektion sind: Fieber, BKS-Erhöhung,
Leukozytose oder CRP. Diese systemischen Zeichen sind bei älteren und multimorbiden Patienten
zur Infektionsdiagnostik verhältnismäßig unzuverlässig.
Schweregrad der Infektion:
Das Abschätzen des Schweregrades der Infektion bei DFS ist essenziell für die Auswahl eines antibiotischen Regimes. Die Schwere der Infektion beeinflusst die Applikationsart des Antibiotikums, die
Notwendigkeit einer Hospitalisierung und den Einsatz chirurgischer Maßnahmen.
Abstrich:
Eine mikrobiologische Diagnostik mit Entnahme tiefer Proben zur Keimgewinnung ist bei der Erstvorstellung obligat.
Mykose:
Liegt eine therapiepflichtige Mykose vor?
3. Besteht eine Ischämie?
Es muß sofort geklärt werden, ob eine relevante pAVK vorliegt. Die pAVK ist ein wesentlicher Risikofaktor für die Entstehung oder zumindest Prognose von mindestens 50 % der diabetischen Fußläsionen und ist wesentliche Ursache für schlechte Heilung, Progredienz der Wunde und Majoramputation.
Pulsstatus:
Ist ein kräftiger Puls über der A. dorsalis pedis oder A. tibialis posterior tastbar, erübrigen sich zunächst
weitere diagnostische Maßnahmen. Ggf. Dopplerdokumentation aus forensischen Gründen.
Bei nicht oder schlecht tastbarem Fußpuls sowie therapierefraktärem Verlauf weitere Diagnostik
erforderlich! (Dopplerstatus, Duplex, Gefäßdarstellung, ...)
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Seite: 31 von 44
Version: 4
Änderungsdatum: 02.03.2016
31
4. Besteht eine Polyneuropathie (PNP)?
Lange Diabetesdauer, lokale Symptome an den Füßen (Wahrnehmungsverlust, brennende oder
stechende Schmerzen, Parästhesien, vermehrte Berührungsempfindlichkeit), Krallenzehenbildung,
trockene Haut sowie Hyperkeratosen weisen auf eine PNP hin.
Screening-Untersuchung mit Stimmgabel, Monofilament und Achillessehnenreflex.
5. Bestehen biomechanische Deformitäten?
z.B. Krallenzehen? Hinweis auf pathologisch erhöhten plantaren Druck? Ungeeignetes Schuhwerk?
Hallux valgus oder rigidus? Hohl- Knick- oder Senkfuß? Hinweis auf Charcot-Fuß (Diabetische Neuroosteoarthropathie DNOAP)?
Therapieprinzipien:
„D I W R O S S“
1. Druckentlastung
2. Infektbehandlung
3. Wundbehandlung: stadiengerecht
4. Revaskularisierung: chirurgisch oder interventionell
5. OP: orthopädische Korrektur, Resektion oder Minor- oder Major-Amputation
6. Stoffwechseloptimierung (Glucose, Malnutrition)
7. Schulung und Sekundärprophylaxe
1. Druckentlastung:
Druckentlastung ist wie eine gute Sauerstoffversorgung essenziell für die Wundheilung. Bei der akuten plantaren Läsion sowie der akuten DNOAP (Charcot-Fuß) ist möglichst eine vollständige Entlastung anzustreben. Bei Druckentlastung ist die konsequente Daueranwendung entscheidend (auch
der kleine „ungeschützte“ Gang zur Toilette sollte vermieden werden). Die Patienten werden individuell nach funktionellen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten therapiert. Therapieoptionen sind:
Entlastungsschuhe, konfektionierte oder individuell hergestellte Orthesen, Total Contact Cast, Rollstuhl oder Immobilisation.
Bei Orthesen und Immobilisation sollte eine Thromboseprophylaxe durchgeführt werden! Ein weiter
zu berücksichtigender Aspekt ist die Gangsicherheit (ggf. zusätzliche Gehstützen). Zur Schuhversorgung zu unterschiedlichen Risikogruppen gibt es Versorgungsrichtlinien der AG Fuss der DDG.
2. Infektionsbekämpfung und -prophylaxe:
Das diabetische Fußulcus fungiert als Portal für die Invasion einer systemischen Infektion (ausgehend
von der Weichteilbegleitinfektion der Wunde oder der Osteomyelitis). Bei dem Systemcharakter des
Diabetes mellitus besteht eine Infektabwehrschwäche auf zellulärer Ebene.
Die Infektion (Vorliegen der klassischen Entzündungszeichen in der Wunde) ist ein gliedmaßenbedrohender Zustand und erhöht die Wahrscheinlichkeit für eine Amputation. Die Behandlung muss
unverzüglich und aggressiv durchgeführt werden.
Die nicht beherrschte Infektion führt zu den meisten beim Diabetes notwendigen Amputationen. Lipsky BA 2004
Bei unkritischer Anwendung von okklusiven Verbänden sind immer wieder Infektionen zu beobachten, sodass diese nur unter enger klinischer Überwachung und entsprechender Erfahrung des
Therapeuten zur Anwendung kommen sollten.
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32
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Erstellt: Mai 2009
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Seite: 32 von 44
Version: 3
Änderungsdatum: 01.03.2016
Die Indikation zur Antibiose ist u.a. von dem Wagner-Stadium abhängig. Ab Stadium 2 Antibioseindikation überprüfen.
Bei den meisten Patienten beginnt die antibiotische Therapie mit einem empirischem Regime.
Nach Eingang der mikrobiologischen Diagnostik erfolgt eine Therapieanpassung.
Häufig liegt eine polymikrobielle Besiedelung vor. Der häufigste Keim in chronischen Wunden und
bei Ostitiden ist Staphylokokkus aureus (~ 50 %), allein oder kombiniert mit Staph. epidermidis (25
%), Enterobacter (40 %), Streptokokken (30 %). Ein Antibiotikaregime sollte ein Mittel mit Wirksamkeit
gegen Staphylokokken und Streptokokken beinhalten.
Antibiotisch vorbehandelte Patienten bzw. schwere bereits länger bestehende Infektionen (> 4
Wochen) müssen mit Breitspektrum-AB gegen gramnegative Bakterien und Enterokokken-Spezies
abgedeckt werden. Bei nekrotischen, gangränösen oder übelriechenden Wunden ist im Regelfall
auch die Wirksamkeit gegen Anaerobier mit zu berücksichtigen.
Wenn Infektionen tief ins Weichteilgewebe oder in den Knochen vorgedrungen sind, ist im Regelfall
eine Kombination aus Antibiotikatherapie und extensivem Debridement notwendig. Knochenresektion bzw. Partielle Amputationen werden hier bei nahe zu 2/3 der Patienten notwendig.
3. Wundbehandlung: stadiengerecht
“It is generally not what you put on these wounds that heals them, but rather what you take off.” Armstong u. Athanasiou 1998
Debridement chirurgisch (auch autolytisch, biochirurgisch) als auch eine konsequente Kallusentfernung gilt als Voraussetzung für einen schnellen Wundverschluss.
 Reinigung mit neutraler Ringerlösung bei infektfreien Ulzera, bei Vorliegen eines Infektes konsequente Infektbehandlung mit Antiinfektiva (Octenidin, Polyhexanid), bei schweren Wundinfektionen und /oder systemischen Indikatoren ist eine systemische Antibiotikatherapie indiziert (siehe
oben).
 Lokale Wundbehandlung nach den Prinzipien der modernen feuchten Stadienadaptierten
Wundtherapie, wo zurzeit die Studienlage keine eindeutigen Auflagenpräferenzen zulässt.
 Bei unzureichender Durchblutung werden die Nekrosen zunächst trocken versorgt. Eine Abdeckung mit silberhaltigen Wundauflagen ist möglich. Bei lokalchirurgischen Maßnahmen ist ferner
darauf zu achten, dass eine ausreichende Menge lebensfähiges Weichteilgewebe vorhanden
ist, um nicht Knochen freizulegen.
 Behandlung von Beinödemen
4. Revaskularisierung: chirurgisch oder interventionell
Für die Heilung einer (infizierten Wunde) ist eine optimale arterielle Perfusion Voraussetzung.
5. OP: orthopädische Korrektur oder Resektion; Minor- oder Major-Amputation
Minor oder Majoramputation als ultima ratio nach gemeinsamen Entscheid.
6. Stoffwechseloptimierung
Hyperglykämie sowie fördert bakterielle Aktivität und stört zusammen mit anderen Störungen des
Stoffwechsels die Wundheilung, ebenso wie eine Malnutrition.
Eine Optimierung des gesamten Stoffwechsels und Verbesserung der Ernährungssituation tragen
zur Verbesserung der Wundheilung bei.
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Erstellt: Mai 2009
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Seite: 33 von 44
Version: 4
Änderungsdatum: 02.03.2016
33
7. Schulung und Sekundärprophylaxe
Je nach Diagnoseergebnis Information von Betroffenen und Angehörigen über risikobewusstes Verhalten:
 Die Notwendigkeit einer außerordentlich sorgfältigen Beobachtung der Füße, die regelmäßige podologische Inspektion und Behandlung sowie der regelmäßige Besuch beim Facharzt
muss den Betroffenen drastisch vor Augen geführt werden.
 Das Erkennen von kleinsten Veränderung im Bereich der unteren Extremitäten und das Einleiten sofortiger Maßnahmen kann häufig den Erhalt der Extremität bedeuten.
 regelmäßige med. Fußpflege durch Spezialisten
Eine Schulung des Patienten bzgl. der Füße (Schulungsprogramm „Barfuss“) sensibel, individuell und
konsequent muß mittelfristig eingeplant werden.
Prävention des DFS:
-
Jährliche Inspektion und Untersuchung bei Diabetikern mit dem Ziel Neuropathien,
Ischämien oder Deformationen rechtzeitig zu erkennen durch geschulte Diabetologen
oder Podologen.
-
Beim Risikofuß (Wagner Stadium 0) besondere Schuhversorgung (siehe Versorgungsrichtlinien AG Fuß der DDG). Prophylaktische OP möglich?
-
Bei Diagnose einer Polyneuropathie professionelle Fußpflege alle 4-12 Wochen
-
Bei Vorliegen einer Fußschädigung Betreuung der Patienten durch eine Diabetes-Fußambulanz
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34
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Änderungsdatum: 01.03.2016
3.3
Der Dekubitus
Definition
Gewebeschädigung infolge zu hoher Druckeinwirkung und daraus resultierender Minderdurch­
blutung.
Ursache
Druck + Zeit !
Oft in Verbindung mit Reibungs- und Scherkräften oder anderen Risikofaktoren wie Immobilität,
höheres Lebensalter, Feuchtigkeit der Haut, Kachexie usw.
Längere Druckwirkung schädigt die Haut und die darunter liegenden Weichteile direkt mechanisch
oder sekundär durch Ischämie. Es entstehen vollständige oder partielle Nekrosen der Weichteile.
Da Fettgewebe und Muskulatur empfindlicher auf Druck reagieren als die Haut, ist die Nekrose
daher oft in der Tiefe ausgedehnter, als der an der Haut sichtbare Schaden vermuten lässt!
Risikofaktoren
• Immobilität
• Mangelernährung (Diabetes mellitus, Anämie, Flüssigkeitsmangel, Fieber)
• Tumorerkrankungen
• Kachexie
• Adipositas
• Skelettdeformation (Rheuma, Frakturfolgen).
• Fehlende Compliance (Demenz)
• Paresen
• Spastikbedingte Kontrakturen
• Durchblutungsstörungen
• Zentral sedierende Medikamente
• Katecholamine
• Chirurgische Eingriffe (Narkose, OP-Dauer, lange Aufwachphase)
• Inkontinenz, Dauerkatheter,
• Vorgeschädigte / trockene Haut ....
Diagnostik
 Anamnese (Risikofaktoren)
 Vollständige Inspektion der Haut, ggf. Fingertest
Spezielle-Diagnostik
 Nativbild- Röntgen
 Fisteldarstellung
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35
Fingerdrucktest:
Unterscheiden lässt sich eine reaktive Rötung von einer irreversiblen Schädigung durch den Finger­
drucktest. Er ist bei einem Dekubitalulkus positiv.
Durchführung:
Man drückt leicht auf die zu sehende Hautrötung und achtet auf dies Veränderung dieser. Der
Fingerdrucktest ist positiv, wenn sich die Rötung n i c h t wegdrücken lässt. Die Haut muss ab jetzt
vollständig druckentlastet werden.
Dekubitusklassifikation nach Grad (Seiler 1979)
Grad
I
Hautrötung, die auf Druck nicht weiß wird (Fingertest)
Grad II
Oberflächenläsion der Haut (Blase, Hautabschürfung oder flaches Geschwür)
Grad III
Tiefenschädigung des Gewebes mit Muskel-, Sehnen-, Bänderbeteiligung
(offenes, tiefes Geschwür)
Grad IV
Schädigung aller Schichten (Nekrosen, Osteomyelitisgefahr)
Kausaltherapie
Druckentlastung nach individuellem Bewegungsplan ggf. unter Einsatz der nötigen Hilfsmittel
(Wechseldruck-, Superweichmatratze, DeCube, Lagerungskissen und -keile usw.)
Beseitigung und / oder Reduzierung der Risikofaktoren.
Weitere spezielle Aspekte sind dem hauseigenen Dekubitusprophylaxestandard zu entnehmen
(siehe Anlage).
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36
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Änderungsdatum: 01.03.2016
Besondere Strategien beim Dekubitus
Folgende Strategien werden für diese spezielle Art einer chronischen Wunde empfohlen.
- Abschließende unzweifelhafte Diagnostik der eindeutigen Entstehungsursache und initiale
Wunddokumentation.
-
Suffizientes Schmerzassessment und adäquate Schmerztherapie.
-
Einmaliger Abstrich zur Überprüfung des Kolonisationsprofils der Wundfläche
-
In Abhängigkeit vom Kolonisationsprofil Reinigung der Wunde mit Antiseptika (Octenidin)
oder thermoadaptierter Ringerlösung.
-
bei schweren Wundinfektionen mit systemischen Indikatoren (BSG hoch, Leukozytose, Keimnachweis, Fieber) ist eine systemische Antibiotikatherapie indiziert.
- Konsequentes Debridement (1. Wahl: chirurgisch; 2. Wahl: autolytisch) vorhandener Beläge,
Nekrosen vor aktiver Lokalbehandlung gelten als Voraussetzung für eine rasche Wundheilung.
- Konsequente Druckentlastungals Voraussetzung für eine Vermeidung weiterer Nekrosen.
Erstellen eines individuellen Bewegungs- und Mobilisationsplans.
- Lokale Wundbehandlung nach den Prinzipien der modernen feuchten stadienadaptierten
Wundtherapie.
-
Intensivpflichtige Patienten, die eine Katecholamintherapie erhalten, sollen auf spezielle
Lagerungssysteme gelagert werden. Beachten Sie den internen Standard.
- Lagerungssysteme sind IMMER in Abhängigkeit des tatsächlichen Körpergewichtes auszuwählen.
_________________
4.0Anlagen
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Erstellt: Mai 2009
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Freigabe: PDL
Seite: 37 von 44
Version: 4
Änderungsdatum: 02.03.2016
37
Anlage 1
Mitglieder der AG Wundexperten
Frau Birgit Töeben
Pflegedienstleitung
Herr Dr. Jürgen Oberüber
Oberarzt Chirurgie
Herr Dr. Peter Nordmeyer
Chefarzt Innere Medizin
Frau Britta Rohlfs
Assistentin der Pflegedienstleitung
Frau Irja Otto
Wundexpertin St. Marien-Stift
Frau Wilma van Rahden-Grötschel
Wundexpertin Station 1
Frau Kerstin Lane
Wundexpertin Station 2
Frau Brigitte Elberling
Frau Galina Schäfer
Wundexpertin Station 2
Frau Nathalia Schwarzkopf
Wundexpertin Station 3
Frau Christine Siegenthaler
Wundexpertin Station 5
Frau Petra Siebels-Röbken
Wundexpertin Station 6
Frau Sandra von Häfen
Wundexpertin Station 7
Frau Charlene Jürgens
Wundexpertin Station 8
Frau Urte Niemeyer
Wundexpertin Zentrale Ambulanz
Frau Tekla Michel
Wundexpertin Intensivstation
Wundexpertin Station 2
Manual zur Wundbehandlung
38
Datei: Wundmanual
Erstellt: Mai 2009
Verantwortlich: Wundmanagement AG
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Seite: 38 von 44
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Manual zur Wundbehandlung
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Ersteller: Wundmanagement AG
Freigabe: PDL
Seite: 39 von 44
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39
Manual zur Wundbehandlung
40
Datei: Wundmanual
Erstellt: Mai 2009
Verantwortlich: Wundmanagement AG
Freigabe durch: PDL
Seite: 40 von 44
Version: 3
Änderungsdatum: 01.03.2016
Manual zur Wundbehandlung
Datei: Wundmanual
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Seite: 41 von 44
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41
Hospitalgesellschaft Jade-Weser mbH
Ansgaristraße 12
26382 Wilhelmshaven
www.hgjw.de
Tel.: 0 44 21/208-1206
Fax: 0 44 21/208-1318
St. Bernhard-Hospital gGmbH
Claußenstraße 3
26919 Brake
www.sbhospital.de
Tel.: 0 44 01/105-0
Fax: 0 44 01/105-217
St. Johannes-Hospital gGmbH
Bleichenpfad 9
Tel.: 0 44 51/920-0
26316 Varel
Fax: 0 44 51/920-2215
www.krankenhaus-varel.de
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