Substitutionseffekt: Zukunft mit Bestand

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BESTANDSBEWIRTSCHAFTUNG Zukunft mit Bestand
Rückbau und
Ergebnis in
Düsseldorf
Fotos: Archiv Autor
Nach dem Umbau Düsseldorf
Substitutionseffekt:
Zukunft mit Bestand
Von Büroimmobilien lernen: Im Zuge des sogenannten Flächenumschichtungsphänomens kommen regelmäßig Flächen auf den Markt, die durchaus einen modernen bzw. „normalem“ Standard
aufweisen. Was geschieht mit den frei gewordenen Flächen, die vor ein paar Jahren neu errichtet wurden und trotz der noch guten Bauqualität Leerstand aufweisen? Und was kann die
Wohnungswirtschaft daraus lernen?
Architekt Dipl.-Ing. Peter Bieker, Frankfurt/Main
32 5 2009
www.bundesbaublatt.de
Der Büroflächenbestand in Deutschland ist
in den vergangenen Jahrzehnten stetig
gewachsen. Es stellt sich die Frage, ob die
Entwicklung weiterhin so linear verlaufen wird?
Ein kurzer Blick auf die Büroimmobilienmärkte
lässt Zweifel aufkommen: In Deutschland gibt es
rund 400 Mio. m2 Bürofläche.[1] Davon entfällt
knapp ein Viertel auf die sieben Top-Bürometropolen[2] und etwa 11 % auf sogenannte B-Standort
wie beispielsweise Bonn, Heidelberg, Mainz, Dres-
Neuer Eingangsbereich Bürogebäude Düsseldorf
den oder Nürnberg. Der Rest verteilt sich auf Cund D-Standorte. Damit stehen einem Bürobeschäftigten in Deutschland im Schnitt mittlerweile
27,5 m2 zur Verfügung – mehr als an jedem anderen europäischen Bürostandort. Doch damit nicht
genug. Inzwischen ist das Büroflächenangebot in
Deutschland vielerorts deutlich größer als die
Nachfrage. In den meisten deutschen Bürohochburgen beträgt die Leerstandsquote im Durchschnitt 10,2 %. In Frankfurt am Main wurde sogar
bereits die Marke von 18 % überschritten. Ange-
Konzeptfotomontage „die Fabrik“
sichts einer schrumpfenden Wirtschaft erscheint
es fraglich, ob das Geschehen auf den Büroimmobilienmärkten zukünftig noch maßgeblich durch
Marktphasen die Gunst der Stunde, um sich an Prestigestandorten zu
Neubauaktivitäten geprägt sein wird. Vieles spricht
vergleichsweise günstigen Konditionen neue Flächen zu sichern. Im
dafür, dass der Flächenerstbedarf der Unterneh-
Zuge dieses Flächenumschichtungsphänomens kommen regelmäßig
men auf lange Zeit gedeckt ist und angesichts der
Flächen auf den Markt, die durchaus einen modernen bzw. „normalem“
vorhandenen Überkapazitäten die (Neu-)Entwick-
Standard aufweisen. Ihr einziger „Makel“: Das Flächen- und Raumpro-
lung der Bestandsflächen stärker in den Fokus
gramm wurde auf bestimmte Nutzerbedürfnisse zugeschnitten – im
rückt. In der Mainmetropole wurden 2008 jeden-
Extremfall sogar nur auf einen Mieter. Leerstand ist also keineswegs
falls mehr Bestandsgebäude revitalisiert als neu
gleich Leerstand.
gebaut.
Doch was geschieht mit den frei gewordenen Flächen, die erst vor
Aus Sicht der Eigentümer ist die Revitalisierung,
sechs bis maximal zehn Jahren neu errichtet wurden und trotz der
die Neuausrichtung eines Bestandsgebäudes eine
noch guten Bauqualität einen Leerstand aufweisen?
vorausschauende Entscheidung: Denn schließlich
ist eine (Büro-)immobilie nur dann etwas wert,
Strategische Bestandsoptimierung
wenn in ihr Wertschöpfung stattfindet – sprich: Das
Ist tatsächlich ein aufwändig und somit kostenintensiver Umbau not-
Objekt nachhaltig vermietet ist. Den Büroimmobi-
wendig? Braucht es gleich ein völlig neues Kleid (Fassade)? Oder
lienmärkten steht ein tiefgreifender Strukturwan-
muss gar der Ausstattungsstandard des Gebäudes insgesamt erhöht
del bevor. Der Quantität an Flächen steht nicht
werden? Die Antwort auf diese Fragen ist kurz und knapp: Nein! Doch
mehr die entsprechende Nachfrage gegenüber.
was ist zu tun, damit eine Immobilie wieder vermietbar wird?
Wer es schafft, seine Bestandsflächen kostengün-
In vielen Fällen werden Bürogebäude geplant und errichtet, die ledig-
stig für neue Nutzer zu optimieren, der wird selbst
lich auf einen – nämlich ihren ersten – Nutzer zugeschnitten sind.
in schwierigen Marktphasen die Nase vorne
Und genau darin kommt das latente Leerstandsrisiko zum Tragen,
haben.
das nicht selten nach Auszug des Mieters in eine Vermarktungskrise mündet. Denn läuft der Mietvertrag nach zehn Jahren aus und
Abriss die letzte Verwertungsmöglichkeit?
entscheidet sich der Mieter für einen Umzug, bleibt das Gebäude
Auch wenn die Polarisierung zwischen neuen, hoch-
immer noch bestehen. Doch was damit machen? Selbst bei einer
modernen Büroflächen und einem nicht mehr ver-
angenommen Gesamtnutzungsdauer von nur 49 Jahren ist Abriss
marktungsfähigen Leerstand weiter zunimmt, so tut
keine wirtschaftlich sinnvolle Lösung. Der Schlüssel liegt vielmehr
dennoch eine differenzierte Betrachtung Not. Denn
darin, der Immobilie mehr Flexibilität zu geben und gleichzeitig die
häufig nutzen Unternehmen in mieterfreundlichen
Individualitätsansprüche potenzieller neuer Nutzer zu wahren. Eine
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strategische Bestandsoptimierung bedeutet somit
Flexibilisierung bei gleichzeitiger „Markierung“ des
Gebäudes.
Markierung: Die Seele offen legen
Wie lässt sich der Charakter des Gebäudes ermitteln? Worin besteht die Besonderheit der Immobilie?
Was macht seinen Charme aus? Was macht es markant? Die gemachten Erfahrungen in der Praxis
bestätigen immer wieder: Es hilft, den ursprünglichen Zustand des Hauses zu kennen. Wie war es
eigentlich einmal gedacht? Wurden möglicherweise
durch Veränderungen in den letzten Jahren die StärMusteretage
ken des Gebäudes verwässert? Kleine, stetige Verän-
mit Blick auf
derungen haben dazu geführt, dass das Gebäude
Rückbaube-
nicht mehr lesbar ist: Das ursprüngliche Fassaden-
reich
bild ist gestört, die Orientierung im Gebäude wird
erschwert, Einbauten mit verschiedenen modischen
Die 10-Punkte-Checkliste für „Bauen im Bestand“
Einschlägen prallen aufeinander.
Die erste Aufgabe lautet daher meistens: Aufräu-
1. Defizite beseitigen
Mängel identifizieren und beseitigen. Die Grundlage des Handelns:
men, strukturieren, vereinfachen, klären und
Das Gebäude muss „in Schuss“ sein. Unabdingbar ist dazu der
entrümpeln. Ein wirksames Gestaltungsmittel
Abgleich aus genehmigtem und tatsächlichem Zustand des
ist der punktuelle Eingriff, sein Prinzip ist der
Gebäudes.
Akzent. Ein Akzent ist das Gegenteil von vollstän-
2. In den Keller schauen
Die Vorgaben aus der vorhandenen Gebäudetechnik genau im
digen, flächendeckenden Veränderungen. Ein
Blick behalten: Welche Medien sind zentral, welche dezentral? Wo
Akzent ist aber auch das Gegenteil von den vielen
verlaufen Verteilerstränge? Ein Entwicklungskonzept muss mit
zufälligen Veränderungen, die es zurückzubauen
und nicht gegen die Gebäudetechnik arbeiten, um hohe Kosten zu
gilt: Akzente sind bewusst gesetzt. Dabei braucht
vermeiden.
3. Erschließungspotenziale optimieren
der punktuelle Eingriff gestalterische Qualität,
Hauseingänge, Treppenhäuser, Aufzüge, notwendige Flure – Wie
damit er die viel größere ihn umgebende Fläche
kommt man wohin und was kann man von wo erschließen? Kann
überstrahlen kann.
man durch einfache Maßnahmen die Flexibilität erhöhen?
4. Einheiten bilden
In wie viele Nutzungseinheiten kann ich das Gebäude tatsächlich
Flexibilisierung: Eine Adresse schaffen
aufteilen (Brandschutz, Erschließung, Organisation). Wie groß wer-
Vor allem dann, wenn eine Büroimmobilie als Single-
den die entstehenden Flächen?
Tenant-Building konzipiert war, ist die Gebäudeor-
5. Eingänge aufwerten
ganisation in vielen Fällen derart auf die Nutzerbe-
Klare Orientierung, klarer Auftritt. Dabei geht es nicht nur um die
Hauseingänge, sondern auch um jede Etagenlobby.
dürfnisse abgestimmt, dass eine Drittverwendung
6. Entrümpeln & Ordnen
zusätzlich erschwert wird. Ein Multi-Tenant-Building
Handgeschriebene Schilder, Papierkörbe, ein hässlicher Heizkörper
hingegen hat für jeden Mieter einen repräsentativen
in Blickachse – mit geschultem Blick erkennt man die kleinen
Zugang und eine klare Adresse zu bieten.
Dinge, die so sehr vom Wesentlichen ablenken.
7. Repräsentationsbereiche schaffen
Bei der Neuausrichtung von Bestandsobjekten,
Wie stellt sich der einzelne Nutzer dar? Dominiert ein Hauptmieter
die als Single-Tenant-Building errichtet wurden,
den Außenauftritt? Ggf. ist ein Orientierungssystem oder eine
stehen deshalb zunächst die Allgemeinflächen im
„Gebäude-Gestaltvorgabe“ sinnvoll.
Vordergrund. Ungeachtet dessen, dass diese
8. Rückbauen
Einbauten herausreißen, die Spuren alter Mieter tilgen, das macht
attraktiv gestaltet werden müssen, geht es bei
den Blick frei für neue Möglichkeiten und Visionen.
dieser Maßnahme in erster Linie darum, ein ein-
9. Musterflächen bauen
deutiges und möglichst flexibles Erschließungs-
Nicht jeder Interessent kommt mit der leeren Fläche klar: Geben
konzept zu entwickeln. Dabei spielen folgende
Sie ihm etwas Konkretes, ein Beispiel, wie es sein könnte.
10. Individuelle Nutzeransprache
Fragen eine wichtige Rolle: Welche Flächenberei-
Nachweisen, dass die Anforderungen des Mietinteressenten im
che können durch ein Treppenhaus/eine Etagen-
Gebäude darstellbar sind – durch individuelle Ausarbeitung.
lobby erschlossen werden? Wie kleinteilig lässt
sich eine Geschossfläche einteilen?
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Neue Lobby
in Köln
„Weniger ist mehr“ geschickt verpacken
Ob das Gebäude auf einen potenziellen neuen Mieter auch tatsächlich
Unbestritten ist, dass eine alte, abgenutzte Mietflä-
passt, will diesem glaubhaft dargelegt sein. Dabei kann derjenige
che abschreckt. Sie sieht verlassen und schlimm-
Vermieter punkten, der erfasst, was der Mietinteressent benötigt,
stenfalls ungepflegt aus. Im Zweifel haftet ihr sogar
und der dessen Vorstellung mit entsprechenden Entwürfen visuali-
der Geruch des Misserfolgs an. Getreu dem Motto
sieren kann.
„Weniger ist manchmal mehr“ wirkt es bei einer
Neuausrichtung wahre Wunder zu entfernen, was
Fazit
nach „alt und vergammelt“ aussieht – und gleich-
Eine Immobilie ist flexibel, wenn sie sich auf unterschiedliche Mieter
zeitig darauf verzichten, etwas Neues einzubauen.
einstellen kann und bleibt trotzdem individuell, wenn es gelingt, das
Eine rückgebaute Mietfläche regt an, ist inspirie-
Interesse des Nutzers auf sich zu lenken.
rend: Alles ist offen und frei gestaltbar. Alles
Es geht darum ein flexibles Haus mit Charakter zu schaffen. Und
erscheint möglich.
genau darin liegt die Chance in der Optimierung eines Bestandsge-
Auch eine Musterfläche mit Ausblick auf die eigene
bäudes. Es hat Ecken und Kanten. Es ist markant. Derjenige, der
Vision kann hilfreich für die Vermarktung sein. Ein
das Besondere darin sieht, wird es nutzen wollen – und dafür auch
neues vollständig eingerichtetes Gestaltungsbeispiel
Miete bezahlen. Genau darin besteht der Wert des Gebäudes.
für eine Büronutzung zeigt, was machbar ist, definiert
Geschmack und kann zudem für Vermarktungsaktionen, Gespräche, Events gezielt eingesetzt werden.
„
[1] BulwienGesa (Flächenangabe in BGF)
[2] Berlin, München, Hamburg, Frankfurt am Main, Stuttgart, Köln,
Düsseldorf
Architekt Peter Bieker: Eine zielgerichtete Beratung und konkrete Planungen sind heutzutage vom
Vermieter zu erbringende Leistungen, bei denen versierte Planungsbüros hilfreich zur Seite stehen.
Wer sich jedoch lediglich auf Standard-Layouts und allgemeine Ausbaubeschreibungen beruft, wird
der Aufgabe nicht gerecht. Insbesondere bei komplizierten Gebäuden braucht es den planerischen
Nachweis, dass die Anforderungen des Mieters erfüllt werden können.
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Bildernachweis:
.bieker architekten
Hanauer Landstraße 52
60314 Frankfurt am Main
Tel 069.962 4444-0
Fax 069.962 4444-10
[email protected]
www. bieker-architekten.de
S.1_
oben:
. bieker
links:
. bieker
rechts: Linus Lintner
S.2_
oben:
Barbara Staubach
unten: . bieker
S.3_
oben:
Barbara Staubach
S.4_
oben:
Christoph Kraneburg
unten:
Gaby Sommer
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Rev.-Nr. / Datum: 01 / 16.02.2009
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