Schleimhautreaktionen durch Arzneimittel Erosion Die Erosion (Abb. 9.10) ist ein oberflächlicher Schleimhautdefekt, bei dem nur die obersten Zellschichten betroffen sind. Dieser Epitheldefekt entsteht zumeist durch Aufplatzen von Bläschen. Er ist schmerzhaft, heilt jedoch ohne Narben ab, da er auf das Epithel begrenzt ist. Ulkus Das Ulkus (Geschwür; Abb. 9.11) oder die Ulzeration ist ein Gewebsdefekt, der über das Epithel hinaus in die Tiefe reicht. Das Ulkus ist in der Regel mit einer Fibrinschicht bedeckt und kann entweder durch Platzen einer subepithelialen Blase oder durch Gewebsnekrosen (traumatisch oder tumorbedingt) entstehen. Es heilt in der Regel unter Narbenbildung ab. Rhagade Die Rhagade (Schrunde) ist eine tiefe, lineare (schmerzhafte) Ulzeration, die vor allem an dünnen Hautpartien vorkommt, die unter Spannung stehen (Lippe, Mundwinkel) (vgl. Abb. 9.96, S. 346). Rhagaden betreffen das ganze Epithel oder nur die oberste Schicht. Atrophie Unter einer Atrophie ist ein degenerativer Prozess zu verstehen, der durch Rückbildung aller Schleimhaut- bzw. Hautstrukturen gekennzeichnet ist und mit einer Verdünnung einhergeht. Narbe Die Narbe (Zikatrix) ist der Restzustand nach Heilung eines Substanzdefektes durch sich bildendes Granulationsgewebe. Sie besteht im reifen Zustand aus gefäßarmem derbem Bindegewebe. Schleimhautreaktionen durch Arzneimittel Abb. 9.10 Erosion. Ebenso wie an der Haut können Medikamente sowohl bei lokaler Applikation als auch bei systemischer Verabreichung Nebenwirkungen und Schäden an der Schleimhaut hervorrufen. Den Nebenwirkungen liegen nicht allergische oder allergische Mechanismen zugrunde, wobei orale Manifestationen kombiniert mit Hauterscheinungen, aber auch isoliert auftreten können. Außerdem gibt es lokale Arzneimittelschäden, die durch Fehler bei der Anwendung im Munde entstehen. MERKE Bei Mundschleimhautveränderungen, die zunächst keinem Krankheitsbild zugeordnet werden können, sollte stets nach der Einnahme von Medikamenten gefragt werden. Abb. 9.11 Ulkus. Toxische Veränderungen Man fasst hierunter Schädigungen der Mundschleimhaut zusammen, die durch unbeabsichtigten oder längeren Kontakt mit bestimmten chemischen Substanzen entstehen, z. B. mit: • ätzenden Medikamenten (Laugen, Säuren; Abb. 9.12), • Desinfektionsmitteln, • alkohol- oder phenolhaltigen Substanzen. Abhängig von Konzentration und Einwirkungsdauer kommt es zunächst zu Erosionen oder Nekrosen der Schleimhaut. Nach Abstoßung der nekrotischen Gewebsschichten entsteht ein Ulkus, das meist unter Narbenbildung allmählich abheilt. Abb. 9.12 Schleimhautverätzung durch Silbernitrat. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Schwenzer, N., M. Ehrenfeld: Chirurgische Grundlagen (ISBN 9783135934044) © 2008 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Sekundäreffloreszenzen 311 312 9 Erkrankungen der Mundschleimhaut Auch durch Einlegen salicylsäurehaltiger schmerzstillender Tabletten in die Umschlagfalte kann es zu lokalen Verätzungen kommen (Abb. 9.13). Arzneimittelnebenwirkungen Die durch Medikamente bedingten (nicht allergischen) Mundschleimhautveränderungen sind sehr vielseitig und können durch verschiedene Medikamentengruppen verursacht werden. Sialopenie Bestimmte Pharmaka können eine sog. Sialopenie (verminderter Speichelfluss) verursachen, in deren Gefolge Stomatitiden, eine Candidose und Faulecken (Perlèche) (vgl. Abb. 9.27, S. 321) auftreten können. Auch eine vermehrte Kariesanfälligkeit ist bekannt. Zu diesen Medikamenten gehören: • Atropin, • Morphinderivate, • Psychopharmaka, wie Phenothiazine, Butryophenone, Benzodiazepine und • Halluzinogene. Abb. 9.14 Mundschleimhautdefekt bei bisphosphonatassoziierter Kiefernekrose. Schleimhautulzerationen Zytostatika bzw. Antimetaboliten, wie Methotrexat, können zu Schleimhautulzerationen und Erosionen führen. Zunehmend findet man heute auch Schleimhautdefekte, bei denen häufig lokale Entzündungszeichen fehlen, die nekrotischen Knochen exponieren, der aufgrund einerTherapie mit Bisphosphonaten geschädigt wurde (Abb. 9.14). Hydantoinhyperplasie Eine der bekanntesten Medikamentennebenwirkungen auf die Gingiva haben Hydantoinderivate, die zur Therapie der Epilepsie und Trigeminusneuralgie zur Anwendung kommen. Diese als Hydantoinhyperplasie (Makrulie) bekannte Erscheinung ist im Anfangsstadium durch eine Abb. 9.15 Hydantoinhyperplasie (sog. Makrulie). Vergrößerung der interdentalen Papillen charakterisiert (Abb. 9.15). Später werden diese zunächst straffen Hyperplasien durch sekundäre Entzündungen überlagert. Lokale entzündliche und mechanische Reize (Zahnstein, Füllungen) am Zahnfleischsaum kommen sehr wahrscheinlich als exogene zusätzliche auslösende und unterhaltende lokale Noxen in Betracht. Der zahnlose Epileptiker entwickelt keine Makrulie. Auch Immunsuppressiva können eine Zahnfleischhyperplasie hervorrufen. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Schwenzer, N., M. Ehrenfeld: Chirurgische Grundlagen (ISBN 9783135934044) © 2008 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Abb. 9.13 Schleimhautverätzung durch eine Salizylsäure enthaltende Tablette, die in die Umschlagfalte gelegt wurde. Schleimhautreaktionen durch Arzneimittel Weitere Schleimhautveränderungen Antibiotika mit breitem Spektrum (z. B. Tetrazykline) können mitunter zu einer Glossitis oder zur Ausbildung einer schwarzen Haarzunge als Folge einer Störung des Gleichgewichtes der Mundflora führen, wodurch ebenso wie durch eine Glukokortikoidgabe eine Candida-Infektion begünstigt werden kann. Schwermetallablagerungen in der Gingiva sind seltener geworden (siehe Abb. 9.73, S. 337). 313 Allergisch bedingte Schleimhautveränderungen Manifestationen allergischer Reaktionen im Bereich der Mundhöhle resultieren aus dem „direkten Kontakt“ einer Substanz (zahnärztliche Werkstoffe, Pharmaka, Mundantiseptika, Genussmittel, Kosmetika) mit der Mundschleimhaut und den Lippen und/oder aus der Aufnahme auf enteralem Weg, durch Injektion oder Inhalation. Sie können als Sofort- oder Spätreaktionen auftreten. Abb. 9.16 Allergisches Arzneimittelenanthem des Gaumens. Allergische Kontaktreaktionen an den Lippen äußern sich als Quincke-Ödem, als akutes Kontaktekzem mit entzündlicher Schwellung und herpetiformen Bläschen oder als chronisches Kontaktekzem mit Lichenifikation und Rhagaden. An der Mundschleimhaut manifestiert sich die frühallergische Kontaktallergie ebenfalls als QuinckeÖdem, die selten isoliert in der Mundhöhle auftritt. Die spätreaktive Kontaktallergie kann sich in Form von Schleimhautentzündungen mit Erythemen (Enanthem; Abb. 9.16), ödematösen Schwellungszuständen (Abb. 9.17 u. 9.18), entzündlichen Hyperplasien, Epitheldesquamationen mit Fibrinbelägen, Blasenbildung, Erosionen und Ulzerationen äußern. Zusätzliche Symptome können in Form von Brennen, Hitzegefühl, Parästhesien, Geschmacksstörungen und sogar Brechreiz vorhanden sein. Sofortreaktionen Die Mundschleimhaut einschließlich Lippen ist bei Sofortreaktionen mit urtikariell-ödematösen Manifestationen in einer ganzen Reihe von Fällen mitbeteiligt. Im Mund kann auf einer Permeabilitätssteigerung der Kapillaren beruhende ödematöse Schwellung auftreten, die auch Zunge, Larynx und Pharynx befallen und dann zu lebensbedrohlichen asphyktischen Zuständen führen können. Abb. 9.17 Allergisch bedingte Schwellung des Mundbodens. „Glasige“ ödematöse Verdickung der Plica sublingualis. Fixes Arzneimittelexanthem Auch beim sog. fixen Arzneimittelexanthem, hervorgerufen z. B. durch Barbiturate, Pyrazolonderivate, Antibiotika oder Benzodiazepine, können neben der Haut auch die Mundschleimhaut und die Lippen beteiligt sein. Die Lippen zeigen vorzugsweise vesikulöse oder bullöse Effloreszenzen auf erythematösem (gerötetem) Grund, während in der Mundhöhle erosive umschriebene Herde vorherrschen. Purpura Weiterhin sind an der Mundschleimhaut arzneimittelbedingte Purpuraformen zu finden. Bei der thrombozytopenischen Purpura sind außer Nasenbluten Blutungen aus der Gingiva möglich. Abb. 9.18 Allergische Lippenschwellung. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Schwenzer, N., M. Ehrenfeld: Chirurgische Grundlagen (ISBN 9783135934044) © 2008 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Allergische Kontaktreaktionen 9 Erkrankungen der Mundschleimhaut Therapie Sowohl bei den allergisch als auch bei den nicht allergisch arzneimittelbedingten Mundschleimhautläsionen kommt es nach Absetzen der Substanz zur Abheilung. Eine gute mechanische Reinigung der Mundhöhle (Zahnreinigung, Entfernung von harten und weichen Zahnbelägen) ohne Verwendung scharfer desinfizierender Substanzen wirkt sich günstig auf die Heilung der Läsionen aus und vermeidet Superinfektionen. PRAXISTIPP Bei bedrohlichen allergisch bedingten Schwellungen des Mundbodens ist eine Soforttherapie durch intravenöse Injektion von Antihistaminika und Cortison angezeigt, z. B. Clemastin (Tavegil). Die Therapie des anaphylaktischen Schocks ist in Kapitel 6 auf S. 227 dargestellt. Viruserkrankungen Viruserkrankungen sind Infektionskrankheiten, die durch Eindringen von Viren in die Zellen des infizierten Organismus und Vermehrung dieser Infektionserreger in der lebenden Zelle entstehen. Eigenschaften Viren bilden eine eigenständige Gruppe von Infektionserregern. In ihrem Aufbau besitzen sie keine Beziehungen zu Bakterien und Pilzen. Zellcharakteristika wie Mitochondrien fehlen. Viren bestehen aus komplex strukturierten Makromolekülen, darunter Proteinen und, je nach Virusart, einem RNA- oder DNA-Genom. Viren haben keinen Stoffwechsel und keine Zellstruktur. Manche Viren besitzen zusätzlich eine Hülle. Die Vermehrung von Viren ist nur in einer lebenden Wirtszelle möglich, wobei diese Wirtszelle, induziert durch die Virusnukleinsäure, dem Virus alle Bausteine zur Herstellung von Nukleinsäuren und Proteinen zur Verfügung stellt. Ein Charakteristikum der Virusinfektion ist der sog. Gewebetropismus mit mehr oder weniger selektiv auf Nerven (neurotrop), Drüsen (adenotrop), Haut (dermotrop) und andere Gewebe beschränkten Krankheitssymptomen. Unter Wirtstropismus versteht man die selektive Erkrankung bestimmter Organismen (Mensch, Tier). Früher waren Gewebe- und Wirtstropismus Grundlage für die Einteilung der Viren, also deren Klassifikation. Wichtige Viren in Zusammenhang mit Infektionskrankheiten der Mund-, Kiefer- und Gesichtsregion sind: • Herpes-simplex-Virus mit 2 Serotypen (HSV 1 und 2), • Varicella-Zoster-Virus (VZV), • Zytomegalievirus (CMV), • Epstein-Barr-Virus (EBV; vgl. S. 326: Haarleukoplakie), • Humanes Herpesvirus 8 (HHV-8), • Gruppe der HI-Viren. MERKE Für Infektionen im Bereich der Mundschleimhaut und der Lippen haben aufgrund ihrer Häufigkeit besonders Herpesviren eine große Bedeutung. Pathogenese Virusinfektionen betreffen meist mehrere Organe. Erwähnt seien z. B. Enteroviren, die zusätzlich zum Verdauungstrakt häufig die Mundhöhle befallen. Nach Auffassung verschiedener Autoren nehmen Viruserkrankungen zu, wofür verschiedene äußere Einflüsse, z. B. Medikamente (Ovulationshemmer, Glukokortikoide), verantwortlich gemacht werden. Die Infektion des Organismus beginnt damit, dass Viren an die Zellmembranen von lebenden Wirtszellen adsorbiert werden, um diese danach zu penetrieren. Enzymatisch wird dann die Virusnukleinsäure (das Virusgenom) von ihrem Proteinmantel befreit (Uncoating). Das Virusgenom gelangt in den Zellkern, und es kommt zur Produktion von virusspezifischen Substanzen, Struktureinheiten und zur Zusammensetzung einzelner für die Viruskonstruktion benötigter Bausteine. Schließlich werden die neu gebildeten Viren aus der Zelle freigesetzt. Diagnostik Die Labordiagnostik ist zeitlich und personell aufwändig. Eine virologische Labordiagnostik ist durch Virusisolierung nach Anzüchten des Erregers in einem Wirt, durch direkten Virusnachweis im Untersuchungsmaterial oder mittels Serodiagnostik möglich. Bei fehlendem Antikörpernachweis hat eine Infektion mit einem vermuteten Erreger nicht stattgefunden. So kann z. B. eine Parotisschwellung retrospektiv nicht als Mumpserkrankung bezeichnet werden, wenn Mumpsantikörper im Blut fehlen. Der Nachweis von Antikörpern gibt dagegen einen Hinweis darauf, dass irgendwann eine spezielle Infektion durchgemacht wurde. Die für den Laborarzt wichtige Virusisolierung erfolgt aus Abstrichen, z. B. aus dem Bläscheninhalt bei Herpeserkrankungen. Der Transport des Untersuchungsmaterials erfolgt in einem Transportmedium, wobei lang dauernde Transporte unterkühlt erfolgen sollen. PRAXISTIPP Die Materialentnahme sollte so steril und so früh wie möglich erfolgen, da durch später auftretende Antikörper der Virusnachweis erschwert ist. Klinik Wir unterscheiden lokale und generalisierte Infektionen. Im ersten Fall findet die Ausbreitung nur von Zelle zu Zelle Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus Schwenzer, N., M. Ehrenfeld: Chirurgische Grundlagen (ISBN 9783135934044) © 2008 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 314