Botulismus durch Fütterungsfehler?

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Fotos: Flur und Furche, Petercord, privat (4)
FÜTTERUNG
Botulismus durch
Fütterungsfehler?
Der Fall von Hermann Bormann aus top agrar 12/2006
hat bundesweit Aufsehen erregt. Mittlerweile ist eine
heiße Diskussion zu den Krankheitsursachen im Gange.
D
er Fall von Milchviehhalter Hermann Bormann aus Niedersachsen hat bundesweit Wellen geschlagen und bei Tierärzten und Beratern
für hitzige Diskussionen gesorgt (top agrar 12/2006).
Bormann kämpft seit dem Jahr 2001
mit einer chronischen und sehr verlustreichen Erkrankung im Bestand, deren
Ursache bis heute nicht endgültig geklärt
werden konnte. Die Symptome sind vielfältig: massive Stoffwechsel- und Fruchtbarkeitsprobleme, Apathie, schleichender
Rückgang von Futteraufnahme und Leistung, Festliegen, Labmagenverlagerungen und Totgeburten. Der Betrieb ist kein
Einzelfall, ähnliche Berichte kommen aus
Mecklenburg-Vorpommern und auch aus
anderen Bundesländern.
Viele Wissenschaftler und Tierärzte
stehen dem Krankheitskomplex noch ratlos gegenüber. Bisher wagte sich nur Professor Helge Böhnel mit einer Diagnose
an die Öffentlichkeit: Der Wissenschaftler der Universität Göttingen geht davon
aus, dass es sich bei den Bestandsproblemen um eine neuartige Form des Botulismus, dem so genannten „viszeralen“ Botulismus handelt. Dabei werde das Toxin
vom Bakterium Clostridium botulinum
im Gegensatz zum klassischen Botulismus erst im Darm der Tiere (viszeral) ge-
bildet und sorge dort schleichend für eine
Infektion.
Als Ursachen für die Darminfektion
kommen für Böhnel neben kontaminierten Silagen und Geflügelkot auch die
Ausbringung von Kompost, Klärschlamm
oder Gärrückstände aus Biogasanlagen
auf das Grünland in Frage.
Starke Zweifel am
viszeralen Botulismus
Mit dieser Theorie steht Böhnel in
der Wissenschaft ziemlich allein da: Das
Krankheitsbild sei wissenschaftlich nicht
gesichert, heißt es in einer Stellungnahme des Bundesinstituts für Risikobewertung. Die Deutsche Veterinärmedizinische Gesellschaft (DVG) schließt zwar
nicht aus, dass es einen viszeralen Botulismus gibt – bewiesen sei dies jedoch
nicht. Um hier Klarheit zu schaffen, wäre
grundlegende Forschung notwendig. „Die
meisten Wissenschaftler schätzen dieses
Thema aber als nicht sehr relevant ein.
Sie waren daher bislang auch nicht bereit, ihre Forschungsanstrengungen darauf zu konzentrieren“, so Professor Klaus
Doll, Leiter der DVG-Fachgruppe Rinderkrankheiten.
Obwohl auch an den Rinderkliniken
der Universitäten von Berlin und Hanno-
Unsere Experten
Dr. Katrin Mahlkow-Nerge,
LWK Schleswig-Holstein
R22 top agrar 4/2007
Prof. Rudolf Staufenbiel,
Freie Universität Berlin
Dr. Wolfram Richardt,
LKV Sachsen
ver keine Forschung zum Thema betrieben wird, sind sich dort die Wissenschaftler einig, dass es keinen viszeralen Botulismus gibt. Begründung: Der Nachweis von
Botulinum-Toxin im Darm reiche als Beleg für eine neuartige Erkrankung nicht
aus, weil der Erreger Clostridium botulinum überall vorkomme.
Es handele sich hier vielmehr um mehrere Einzelerkrankungen, die zusammen
zu dem komplexen Krankheitsbild geführt haben. „Tatsache ist aber, dass
solche unspezifischen Krankheitsbilder
zunehmen. Angesichts der enormen Leistungssteigerung und den höheren Anforderungen an die Fütterung der Kühe ist
das auch kein Wunder. Durch die höhere Trockensubstanzaufnahme der Hochleistungstiere und die damit verbundene
hohe Passagerate ist die Schutzfunktion
des Labmagens generell herab gesetzt,
so dass Bakterien und Toxine leichter
in den Darm gelangen“, erklärt Prof. Rudolf Staufenbiel von der Rinderklinik in
Berlin.
Dass die Fütterung als Wegbereiter für
den Krankheitskomplex eine große Rolle
spielen kann, streitet keiner ab. Fütterungsberater und praktische Tierärzte
diskutieren schon seit einiger Zeit über
die mangelhafte Qualität des Grundfutters als Hauptursache. „Durch die hohe
Schlagkraft bei der Silierung und den
Einsatz des Futtermischwagens werden
qualitativ bedenkliche Futterpartien wie
z.B. Schimmelnester in der ganzen Herde
verteilt und können dann bestandsweise
zu Problemen führen. Früher waren das
Einzelfälle“, erklärt Dr. Katrin MahlkowNerge, Landwirtschaftskammer Schleswig-Holstein.
Die Diskussion zu den Ursachen geht
dabei in drei Richtungen:
In der Silage zu
wenig Reineiweiß?
Nach Ansicht einiger Tierärzte und
Fütterungsberater findet man in Problembeständen häufig einen verminderten Reineiweißgehalt in der Grassilage.
Reineiweiß ist der Teil im Rohprotein,
der tatsächlich als Eiweiß vorliegt und
nicht als Stickstoffverbindung (NPN).
Gras und Heu bestehen aus ca. 80 %
„Spezielle Düngung bringt nichts“
Milchviehhalter Arndt Müller aus
Oldenbrok glaubt, dass die niedrigen
Reineiweiß- und Vitamin E-Gehalte
in seiner Grassilage sowie eine
unzureichende Mineralstoffzufuhr für
die Todesfälle und für die massiven
Gesundheitsprobleme im Rest des
Bestandes verantwortlich waren.
Er hat die Erfahrung gemacht,
dass der Eiweißabbau im Silo über
die Düngung oder Siliermaßnahmen
kaum beeinflusst werden kann. Mit
dem Zusatz von stabilem Fett und
einem speziell mit Vitamin E und
Selen angereicherten Mineralfutter
hat er die Probleme aber wieder in
den Griff bekommen.
-slReineiweiß und 20 % NPN-Verbindungen. „In vielen Grassilagen ist der Reineiweiß-Anteil während des Silierprozesses mehr oder weniger stark abgebaut.
Dadurch steigt der Anteil schnell abbaubarer Stickstoffverbindungen. Außerdem ist in den gleichen Silagen der Vitamin E-Gehalt sehr gering (< 20 mg/kg
TS). In Problembeständen fällt neben
den zu niedrigen Vitamin E-Gehalten
ein erniedrigter Cholesterinwert auf“, so
die Meinung von Tierarzt Dr. Klaus Eiken, Grossenmeer und Fütterungsberater
Siegfried Kock aus Delmenhorst.
Beide stufen einen Gehalt von weniger als 40 % Reineiweiß als bedenklich
ein, weil dann den Pansenmikroben Eiweiß fehle. Kurzfristig könne in solchen
Fällen nur eine gezielte Ergänzung mit
hochwertigem Eiweiß (Sojaschrot) und
erhöhtem Vitamin E-Angebot Abhilfe
schaffen. Die entsprechenden Gehalte im
handelsüblichen Mineralfutter reichten
dafür aber nicht aus. Außerdem plädieren
beide für den Einsatz von pansenstabilem Fett, um die Cholesterinbildung zu
verbessern. Mit einer entsprechenden
Umstellung der Ration habe man schon
einige Betriebe innerhalb von 4 bis 6 Wochen „saniert.“
Fütterungsberater halten Eikens Theorie für nicht ganz abwegig: „Es ist durchaus bekannt, dass bei Fehlgärungen der
Reineiweiß- und der Vitamin E-Gehalt in
der Silage abnehmen. Aber ich würde die
Probleme in den Betrieben nicht ausschließlich darauf zurückführen“, erklärt
Dr. Katrin Mahlkow-Nerge, Landwirtschaftskammer Schleswig-Holstein. Ihr
Kollege, Dr. Wolfram Richardt vom LKV
Sachsen zweifelt am Reineiweißabbau als
Ursache: „Wenn Tiere Probleme mit dem
Leberstoffwechsel haben, dann liegt das
wahrscheinlich an einem Mangel an
strukturwirksamer Faser und einem Stärke-Zucker-Überschuss“.
Um Eikens Theorie wissenschaftlich
zu überprüfen, läuft im Moment an der
Tierärztlichen Hochschule in Hannover
ein Forschungsprojekt.
Zu viel Rohprotein?
Eine Überlastung mit Rohprotein
wird ebenso von praktischen Tierärzten
als Krankheitsursache in die Diskussion
gebracht. Das schließen aber fast alle Berater aus: „Eine Überversorgung mit Eiweiß könnte man leicht anhand zu hoher
Harnstoffwerte festmachen. Die Mehrzahl unserer Betriebe liegt im Rohprotein aber bei 16 bis 17 %. Und so soll es
sein“, erklärt Dr. Wolfram Richardt aus
Sachsen. Eine viel größere Rolle spiele
seiner Meinung nach, für hochleistende
Tiere überhaupt ausreichend gute Proteinqualitäten bereit zu stellen. Wenn eine
Herde ohnehin bereits geschwächt ist,
schließt er im Einzelfall auch eine Beteiligung von Myko- und Endotoxinen am
Krankheitsgeschehen nicht aus.
Mängel im Siliermanagement?
Einige Berater weisen darauf hin, dass
in der Praxis vielfach die ganz einfachen Silierregeln missachtet würden:
„Der Eintrag von Schmutz in die Silagen
ist noch zu hoch. Und auch bei der Fut-
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Herde war vorbelastet:
Thomas Hartmann aus
Sindringen macht für den
Krankheitseinbruch in
seinem Bestand drei
Faktoren verantwortlich:
„Durch den geringen
Reineiweißgehalt in der
Grassilage und eine
mangelhafte Cholesterinversorgung waren meine
70 Milchkühe vorbelastet.
Das Botulinum-Toxin hat
das System dann zum
Kippen gebracht.“
Die genaue Ursache steht
aber nicht fest.
Die Tiere wurden zweimal
gegen Botulismus geimpft
und bekommen jetzt pro
Tag 300 g geschütztes Fett
und Futterkalk mit besonders hohem Vitamin EGehalt.
„Seitdem ist Ruhe!“ so der
Landwirt.
-sltervorlage muss darauf geachtet werden,
dass sauber gearbeitet wird. Verschmutzte Reifen können ausreichen, um Bestandsprobleme auszulösen“, warnt
Milchviehspezialberater Ernst Kreiselmeier aus Sulingen. Um den Rohaschegehalt niedrig zu halten, muss deshalb
möglichst hoch geschnitten (6 bis 8 cm)
und länger angewelkt werden (37 bis
40 % TS), so dass der Eintrag von Erde
reduziert wird.
Insbesondere bei Regen sollte die
Schnitthöhe angepasst werden, da die
Grashalme im unteren Bereich oft schon
verpilzt sind. Bei einer längeren Anwelkzeit müssen allerdings auch mögliche
Probleme bei der Verdichtung berück-
sichtigt werden, denn hier gibt es laut Dr.
Christine Kalzendorf, Landwirtschaftskammer Niedersachsen, noch erhebliche
Reserven. Sie führt die Qualitätsprobleme auch auf die uneinheitlichen Grasbestände zurück: „Vielfach kommt zu viel
überständiges Gras ins Silo, weil der
Schnitttermin nicht flächenspezifisch gewählt wird“, so die Beraterin. Sie rät dazu, vor dem 1. Schnitt die Analysen der
vergangenen Jahre noch einmal anzuschauen, um schlagspezifische Reserven
besser erkennen zu können. Auch beim
Vorschub sieht sie Schwächen: „Wachsende Betriebe denken oft nicht daran,
mit dem neuen Stall auch die Siloplätze
zu erweitern, so wird das Silo immer hö-
Fluchtmöglichkeiten bieten!
Da tierisches Eiweiß im
Siliergut immer noch als die
Hauptursache für den klassischen Botulismus gilt, müssen Wild- und Nagetiere im
Mähgut unbedingt vermieden werden.
Technische Lösungen an
den Mähwerken, die z.B.
Wildtiere mit Sensoren erkennen, sind immer noch
nicht praxisreif. „Die Reaktionszeiten der Sensoren sind
gegenüber der Schlagkraft
noch unbefriedigend. Zudem
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Rehe haben kein ausgeprägtes Fluchtverhalten. Bei
Gefahr ducken sie sich eher.
her und der Vorschub reicht nicht aus.
Nacherwärmung ist vorprogrammiert.“
Berater Ernst Kreiselmeier sieht Probleme bei der Abdeckung: „Immer mehr
Betriebe sparen an der Folienqualität
oder verzichten ganz auf die Unterziehfolie. Einige decken nicht sofort nach der
Befüllung ab. So kommt es leicht zu
Nacherwärmung oder Schimmelnestern“,
so seine Erfahrung. Kreiselmeier hat in
seinem Ring mehrere Betriebe mit den
beschriebenen Problemen. Er rät ihnen
zum Einsatz von Mineralfutter mit Calcium-Betonit als Toxinbinder: „Die Betriebe haben dann erstmal Luft“, meint er.
Eine der wichtigsten Maßnahmen zur
Schadensbegrenzung ist in jedem Fall
vor der Verfütterung das Grundfutter untersuchen zu lassen, und zwar vor allem
auf die Gärqualität, um Fehlgärungen
ausschließen zu können. Das gilt vor allem für Problembetriebe: „Die meisten
Betriebe senden erst dann Proben ein,
wenn es brennt. So bekommt man chronische Herdenerkrankungen nur schwer in
den Griff“, betont Dr. Wolfram Richardt,
LKV Sachsen.
Wir halten fest
Egal, ob man das komplexe Krankheitsbild nun viszeralen Botulismus
nennen will oder nicht: Fakt ist, dass
auch Qualitätsmängel in der Silage nicht
allein als Auslöser in Frage kommen:
„Wenn mehrere Stressfaktoren zusammen kommen, z. B. belastetes Futter und
Antibiotika-Einsatz, bricht irgendwann
das Immunsystem der Tiere zusammen,
die Darmwand lässt leichter Toxine durch
und es kann zu den beschriebenen Symptomen kommen“, meint Berater Kreiselmeier. Daher sei als erster Schritt immer
eine exakte Ursachenanalyse, bei der
auch Berater und Tierarzt an einen Tisch
geholt werden, angesagt.
S. Lehnert
haben die Systeme immer noch zu viele
Fehlwarnungen“, erklärt Walter Seggering von der Fa. Krone.
Die Flächen vorher mit dem Hund
abzulaufen, wird als nicht sehr hilfreich
angesehen: „Es ist Zufall, wenn man etwas findet“, so die Erfahrung von Günter Gerighausen, NRW-Landwirtschaftszentrum Haus Riswick in Kleve. Ratsamer sei, kurz vor Beginn der Mahd den
Jagdpächter oder Revierförster zu kontaktieren, um zu erfahren, ob die Tiere
schon begonnen haben, zu setzen. Sinnvoll sei auch, bestimmte Mähmuster
einzuhalten: So sollte von innen nach
außen gemäht werden oder von einer
Seite der Fläche zur anderen. Die Tiere
sollten Fluchtmöglichkeiten haben.
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