Der chronische Botulismus aus rechtlicher Sicht - ig

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Der chronische Botulismus aus rechtlicher Sicht – ein Arbeitsmaterial
1. Ausgangssituation
Wer durch chronischen Botulismus geschädigt wurde, sollte zur Entscheidung der Frage
über einen möglichen Schadenersatz folgende rechtliche Grundkenntnisse besitzen.
Geschädigter oder Anspruchsteller
Hierfür kommt bezüglich des erlittenen wirtschaftlichen Schadens in erster Linie der Landwirt
als Betriebsinhaber infrage.
Aber auch Familienangehörige und Mitarbeiter können grundsätzlich Forderungen erheben,
sofern sie durch die Bestandserkrankung selbst gesundheitlich geschädigt wurden.
Schädiger oder Anspruchsgegner
Hierfür kommt zunächst der mit dem Bestand bestens vertraute Hoftierarzt in Frage.
Aber auch der Amtstierarzt des Landkreises und seine tierärztlichen Mitarbeiter haben
Pflichten zu erfüllen, deren Verletzung haftungsrechtliche Folgen haben kann.
Anspruchsgrundlage
Hier ist zu unterscheiden:
a) Hoftierarzt: Das Bürgerliche Gesetzbuch bietet in seinen §§ 280 ff in Verbindung mit
§§ 611 ff. BGB eine so genannte Haftungsgrundlage. Sie wird rechtlich als
„Schlechterfüllung des Dienstvertrages“ bezeichnet.
b) Amtstierarzt: Hier könnte nach § 839 BGB fehlerhaftes Verwaltungshandeln infrage
kommen. Ob und inwieweit auch Bestimmungen des Strafrechts verletzt sind, die
nach § 823 II BGB eine weitere Anspruchsgrundlage bieten würden, wird
gegenwärtig geprüft.
Schadensbegriff
Hierzu findet sich eine Definition in § 249 Abs.1 BGB. Sie lautet kurz und prägnant:
„Wer zum Schadenersatz verpflichtet ist, hat den Zustand herzustellen, der
bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht
eingetreten wäre.“
Nach der so genannten Differenzmethode ist also zwischen dem ohne Schädigung
vorhandenen Soll – Zustand und der tatsächlichen Ist – Situation zu unterscheiden.
mögliche Schadenspositionen
Zu unterscheiden ist zwischen Sach- und Personenschäden. Erstere können beispielsweise
umfassen:
- entgangenes Milchgeld durch Nichtauslastung der durch die Quote möglichen Produktion
- Tierverluste durch Verendungen oder Euthanasierungen
- Mehrkosten durch notwendig werdende Zukäufe neuer Tiere
- zusätzlicher Arbeitsaufwand zur Pflege und Betreuung erkrankter Tiere
- Mehrkosten durch verstärkte Inanspruchnahme tierärztlicher Leistungen
Personenschäden können beispielsweise sein:
- Verdienstausfall bei Festanstellung und Schmerzensgeld nach § 253 BGB
- Schaden am eingerichteten und ausgeübten Gewerbetrieb (Grund u. Boden, Betriebsstätte)
- Kosten ärztlicher Leistungen im humanmedizinischen Bereich
2. Rechtslage
In der von der AVA herausgegebenen Zeitschrift „Nutztierpraxis aktuell“ wird in Kürze hierzu
ein Artikel des Verfassers erscheinen, der diese Fragen ausführlich erörtert.
Folgende Stichpunkte mögen daher an dieser Stelle genügen.
EU – Zoonoseverordnung
Europarechtlich ist zunächst die „Richtlinie 2003/99/EG des Europäischen Parlaments
und des Rates vom 17. November 2003 zur Überwachung von Zoonosen und
Zoonoseerregern …“ wichtig. Sie
a) definiert die Begriffe von Zoonose und Zoonoserregern,
b) bestimmt überwachungspflichtige Zoonosen und deren Erreger,
c) ordnet den Botulismus und seine Erreger als bakterielle Zoonose ein;
d) fordert zur Erfassung dieser Krankheiten den Aufbau eines Meldesystems auf Ebene
der EU – Mitgliedsländer – verpflichtet also auch unmittelbar die in der
Bundesrepublik hierfür Verantwortlichen.
Grundgesetz
Der Wortlaut des Art. 20 Abs.3 GG ist eindeutig:
„Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung,
die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an
Gesetz und Recht gebunden.“
Danach haben sich die Veterinärbehörden aller politischen Ebenen, d.h. vom BMELV bis
zum Veterinäramt eines Landkreises an Geist und Buchstaben aller für ihre Tätigkeit
maßgeblichen Rechtsvorschriften zu wenden. Sie sind also zur Einhaltung europarechtlicher
Bestimmungen ebenso verpflichtet wie zur Befolgung von Normen des Bundes- und
Landesrechts.
Tierseuchengesetz
Diese Forderung gilt somit auch für das Tierseuchenrecht. Die Einhaltung der tierseuchenrechtlichen Bestimmungen gehört zum „Kerngeschäft“ des Veterinärs schlechthin.
Was eine Tierseuche ist, regelt das Gesetz in einer Begriffsbestimmung, die juristisch als
Legaldefinition bezeichnet wird. Sie findet sich in § 1 Abs. 2 Ziff.1 TierSG und lautet:
„ Im Sinne dieses Gesetzes sind
1. Tierseuchen:
Krankheiten oder Infektionen mit Krankheitserregern, die bei
Tieren auftreten und auf
a) Tiere oder
b) Menschen (Zoonosen)
übertragen werden können.“
Diese Legaldefinition umfasst mehrere so genannte Tatbestandsmerkmale. Sie sind jeweils
einzeln zu prüfen. Ergibt diese Prüfung, dass das heute bereits bekannte Wissen über den
chronischen Botulismus diese Tatbestandsmerkmale erfüllt, sie also – juristisch gesprochen einschlägig sind, so würde das weit reichende Konsequenzen auslösen. Folgende
Tatbestandsmerkmale sind also zu prüfen:
- Krankheit: Laut Bundessozialgericht ist hierunter zunächst
ein regelwidriger körperlicher, geistiger oder seelischer Zustand, der
Arbeitsunfähigkeit oder Behandlung oder beides nötig macht.
(Urteil des BSG vom 16.05.1972, 9RV 556/71) zu verstehen.
Mag diese Definition auch für vordergründig humanmedizinisch orientiert sein,
dass es sich um einen „regelwidrigen körperlichen Zustand mit Behandlungs bedüftigkeit“ handelt, gilt auch für Tiere.
-„Infektion mit Krankheitserregern“: Die Bedeutung des Chlostridium botulinum und des von
ihm gebildeten Botulinumtoxins für die Erkrankung der Tiere stehen heute schon
fest – Forschungsbedarf hin oder her. Gleichfalls wird international als gesichert
angesehen, dass rechtzeitiges und konsequentes Impfen therapeutische
Wirkungen hat – impfen macht aber bekanntlich nur bei Infektionen Sinn !
- „Auftreten der Krankheit bei Tieren“: Das Vorhandensein eines sich in seinen Konturen
immer deutlicher herausschälenden Krankheitsbildes kann mittlerweile als
unstreitig angesehen werden.
- „Übertragbarkeit von Tier zu Tier“: Auch hier kann Forschungsbedarf zu Details nicht von
der grundsätzlich fest stehenden Tatsache ablenken, dass diese Übertragbarkeit
gegeben ist, wie sich z.B. durch die Erkrankung zugekaufter Tiere in einem
bereits befallenen Bestand nachweisen lässt.
- Übertragbarkeit von Tier auf Mensch“: Die vom Verfasser bearbeiteten Mandate erbrachten
die gesicherte Erkenntnis, auch Menschen seien bereits an chronischem
Botulismus erkrankt. Und auch die Wissenschaft sieht den zoonotischen
Charakter inzwischen als gesichert an
Somit steht fest:
Der chronische Botulismus ist kraft Gesetzes eine Tierseuche, und zwar spätestens seit
Inkrafttreten des Tierseuchengesetzes in seiner aktuellen Fassung im Jahre 2004.
Auf Melde- oder Anzeigepflichten kommt es ebenso wenig an wie auf Forschungsbedarf.
Infektionsschutzgesetz
Bereits in der vorgenannten Begriffsbestimmung einer Tierseuche erschein der Begriff der
„Infektion“. Dass die Regelungen des dafür speziell erlassenen Infektionsschutzgesetzes
(IfsG) von der vet.-med. Praxis zu befolgen sind, ist anhand weniger Auszüge darzustellen.
§ 1 Zweck des Gesetzes
(1) Zweck des Gesetzes ist es, übertragbaren Krankheiten
beim Menschen vorzubeugen, Infektionen frühzeitig zu erkennen
und ihre Weiterverbreitung zu verhindern.
(2) Die hierfür notwendige Mitwirkung und Zusammenarbeit von
Behörden des Bundes, der Länder und der Kommunen, Ärzten, Tierärzten
…..sowie sonstigen Beteiligten soll entsprechend dem jeweiligen Stand der
medizinischen und epidemiologischen Wissenschaft und Technik gestaltet und
unterstützt werden.
§ 2 Begriffsbestimmungen
Im Sinne dieses Gesetzes ist
1. Krankheitserreger
ein vermehrungsfähiges Agens (…., Bakterium…)….,das bei
Menschen eine Infektion oder übertragbare Krankheiten verursachen kann,
2. Infektion
die Aufnahme eines Krankheitserregers und seine nachfolgende
Entwicklung oder Vermehrung im menschlichen Organismus,
§ 6 Meldepflichtige Krankheiten
(1) Namentlich ist zu melden:
1. der Krankheitsverdacht, die Erkrankung sowie der Tod an
a)Botulismus …………….
§ 7 Meldepflichtige Nachweise von Krankheitserregern
(1) Namentlich ist bei folgenden Krankheitserregern, soweit nicht anders
bestimmt, der
direkte oder indirekte Nachweis zu melden, soweit die
Nachweise auf eine akute Infektion hinweisen: ……………………….
7. Clostridium botulinum oder Toxinnachweis
§ 8 Zur Meldung verpflichtete Personen
(1) Zur Meldung oder Mitteilung sind verpflichtet: ……………..
5. im Falle des § 6 Abs. 1 Nr. 1, . …Angehörige eines anderen Heil- oder
Pflegeberufs, der für die Berufsausübung ……eine staatlich geregelte
Ausbildung oder Anerkennung erfordert, …………………
Tierärztliches Berufsrecht
Allgemein bekannt sind die Bestimmungen der jeweils auf Landesebene geltenden Gesetze
für die Heilberufekammern sowie die darauf aufbauenden Berufsordnungen – ihre wörtliche
Wiedergabe ist daher entbehrlich. Sie verpflichten jeden Veterinär nicht nur zu einer
gewissenhaften Berufsausübung sondern zugleich auch zur Einhaltung von Recht und
Gesetz. Auch das Berufs- oder Standesrecht ist daher unmittelbar geltendes Recht, wenn es
um die Einordnung des chronischen Botulismus geht.
3. Schlussbemerkungen
Mag also die Wissenschaft noch Forschungsbedarf beklagen, mag die Politik aus
unerfindlichen Gründen noch taktieren – die Rechtslage ist eindeutig:
Es ist eine bereits über Jahre hinweg währende rechtswidrige Verwaltungspraxis großen
Stils zu besichtigen, die von den Betroffenen angesichts der ihnen dadurch zugefügten
Schäden im jeweils sechs- oder gar siebenstelligen Bereich nicht länger hingenommen wird.
Verletzungen des Rechts aufzudecken ist ureigene Aufgabe des Juristen.
Der zivilrechtlich tätige Richter hat über eine ihm vorgelegte Schadenersatzklage zu
entscheiden, der Staatsanwalt die Begründetheit einer zur Anzeige gelangten Straftat.
Und der Anwalt hat im Sinne seiner Mandanten alles zu unternehmen, ihnen zu ihrem Recht
zu verhelfen.
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