Sehr geehrter Herr Pollak, sehr geehrter Frau Staatsekretärin, sehr geehrter Herr Vize-Oberbürgermeister, meine Damen und Herren, vor wenigen Wochen starb im bayerischen Ingolstadt im 82. Lebensjahr Hugo Höllenreiner. Er war ein gebürtiger Münchner und wuchs im Stadtteil Giesing in der Deisenhofener Straße auf. Sein Vater besaß dort vor dem Krieg ein Haus und betrieb eine Pferdehandlung. Zusammen mit seinen Eltern und fünf Geschwistern wurde der damals Zehnjährige am 8. März 1943 verhaftet. Warum? Der Junge und seine Familie gehörten dem Volk der Sinti an. Sie wurden nach Ausschwitz deportiert. Er ging durch die Hölle mehrerer Konzentrationslager, aber er und auch seine Familie überlebten wie durch ein Wunder. Nur wenige haben das Grauen der Konzentrationslager überlebt. Wir gedenken heute der mehr als 500.000 Sinti und Roma, die im besetzten Europa zwischen 1933 und 1945 Opfer der NaziVerbrechen wurden. Morgen, am 2. August jährt sich zum 71. Mal der Tag, an dem die SS in den Gaskammern von Auschwitz im Jahre 1944 die letzten 2.900 Roma und Sinti ermordete – darunter viele Kinder, Mütter und alte Menschen. Der 2. August 1944 steht für einen Tag, der für alle von uns heute unbegreiflich ist. Jedes einzelne Schicksal in den Konzentrationslagern ist eine Geschichte unfassbaren Leids. Und jedes einzelne 2 Schicksal lässt sich mit Namen und Daten benennen. Die vielen Namenlosen – sie hatten Namen, sie hatten Eltern und Söhne und Töchter. Sie waren Menschen wie wir. Dies macht uns immer wieder fassungslos und erfüllt uns Deutsche mit großer Trauer und Beschämung! Trotz dieser langen Zeit ist es unerlässlich, das Gedenken an diesen Tag und das Gedenken an die zahllosen Opfer aufrecht zu erhalten. Nur wenige Menschen haben die nationalsozialistische Vernichtungsmaschinerie überlebt. Nur wenige können noch Zeugnis ablegen von dem unermesslichen Leid, das den Sinti und Roma angetan wurde. Hugo Höllenreiner war einer von ihnen. Über das furchtbare Grauen, das er in mehreren Konzentrationslagern erlebte, hat er nach dem Krieg jahrzehntelang geschwiegen. Erst in den 90er Jahren hat er angefangen, in Schulen zu gehen und jungen Leuten über seine Erlebnisse zu berichten - da war er bereits über 60 Jahre alt. Seit damals hatte er als Zeitzeuge sein Leben dem aktiven Wachhalten der Erinnerung an die Verfolgung und Ermordung der 3 Sinti und Roma durch die Nationalsozialisten gewidmet und damit zum Wachhalten der Erinnerung an die furchtbaren Geschehnisse beigetragen. Meine Damen und Herren, das, was damals in Deutschland geschah und von Deutschland ausging wird letztlich unfassbar bleiben. Aber wir müssen die Lehren daraus ziehen, um für die Zukunft Gefahren frühzeitig zu erkennen und von vornherein Schlimmeres zu verhüten. Deshalb ist es so wichtig, genau hinzuschauen, sich rechtzeitig einzumischen und Verantwortung zu übernehmen. Dies ist im Übrigen nicht nur eine Aufgabe der Politik, sondern es ist eine Aufgabe für uns alle, für jeden Einzelnen von uns. Heute im 21. Jahrhundert bedeutet dies für uns hinzusehen und nicht wegzusehen, wenn die Würde des Menschen verletzt wird. Das sind wir den Toten, deren wir heute gedenken, schuldig. Und das sind wir den Überlebenden schuldig. Und so verstehe ich auch unseren Auftrag zum Schutz von Minderheiten nicht nur im Blick auf die Schrecken der Vergangenheit, sondern als Auftrag für heute und für morgen. Meine Damen und Herren, Sinti und Roma leiden auch heute oftmals unter Ausgrenzung, unter Ablehnung. Sinti und Roma müssen auch heute um ihre Rechte kämpfen. Deshalb ist es eine europäische Aufgabe, sie dabei zu 4 unterstützen, wo auch immer und innerhalb welcher Staatsgrenzen auch immer sie leben. Lassen Sie uns deshalb gemeinsam gegen die Diskriminierung von Sinti und Roma angehen. Lassen Sie uns immer wieder für Menschenrechte, Toleranz und den Schutz von Minderheiten einzusetzen, wo immer dies auch notwendig ist. Und schließlich, meine Damen und Herren, sollte der Völkermord an den europäischen Roma und Sinti auch heute noch Mahnung sein, entschieden gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus vorzugehen. Und ich sage das gerade angesichts einer Situation, in der tausende Menschen vor einem schrecklichen Krieg im Nahen Osten fliehen und auf die Solidarität aller Europäer angewiesen sind. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.