Uber eine Spätform der pulmonalen Tularämie

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Nr. 29/30, 17. Juli1953
I m h äu s e r : tíber eine Spätlorm der pulmonalen Tularämie
1021
sich Tuberkelbazillen nie hatten nachweisen lassen, entschloß man
sich - wohl in erster Linie unter dem Eindruck des Röntgenbildes doch zu der Annahme eines Tumors und führte im Dezember 1944
eine R ö n t g e n b e s t r a h 1 u n g mit Tumordosen (3330 r am Herd)
durch. 14 Tage nach deren Abschluß stellte sich hohes Fieber für
etwa 10 Tage zwischen 39° und 40° mit Hustenattacken und EntLeerung blutig-schaumigen Auswurfs in Menge von 150-200 ccm
am Tage ein; danach sanken die Temperaturen auf 38°. Der Kranke
war insgesamt zwei Monate bettlägerig. In dieser Zeit entwickelte
sich eine linksseitige Pleuritis mit Steigerung der BSG bis 50/85 mm.
Auch in den folgenden Monaten bestand noch bisweilen blutiger
Auswurf. Seit September 1945 schwanden allmählich die Fiebersthübe.
Aus dem Stadtkrankenhaus Wetzlar
(Chefarzt: Dr. med. habil. Kurt Imhäuser)
Gegen Ende 1945 hellte sich auch die linksseitige hilusnahe Ver-
Uber eine Spätform der pulmonalen Tularämie'
Von Kurt Imhäuser
vom Hilus in der Tiefe des Gewebes sich auffasernd" festgestellt
wurden. Bei späterer Kontrolle der BSG erwies sich diese als nicht
Einsatz unserer Truppen im Osten Erfahrungen bei dieser Infektionskrankheit sammeln konnten, zeigen die Beobachtungen
der letzten Jahre, daß seit Kriegsende mehrfach Infektionen im
heutigen Bundesgebiet erworben wurden. Aus anderen westeuropäischen Ländern sind gleiche Beobachtungen bekannt. Die
vorliegende Mitteilung gilt nicht der ,,autochthonen Tularämie".
Sie greift vielmehr zurück in die Kriegszeit, um über eine seltener beobachtete Verlaufsform zu berichten und auf ihre diagnostischen Schwierigkeiten hinzuweisen.
Die bei der Infektion des Menschen mit Bact. tul. ablaufenden Vorgänge hat auf Grund der Kriegserfahrungen R a n d e-
r a t h zusammenfassend dargestellt. Wesentlich ist bei den
äußeren Eintrittspforten an Haut, Bindehaut und Tonsillen, den
inneren im Bereich von Lunge und Magen-Darm-Kanal die Miterkrankung der regionären Drüsen. Von R a n d e r a t h ist dabei auf Parallelen zur Tuberkulose hingewiesen worden. Diese
Betrachtungsweise hat sich auch für den Kliniker als fruchtbar
erwiesen.
Vom Standpunkt des Internisten hat S c h u lt e n auf Grund
zahlreicher eigener Erfahrungen berichtet und die Häufigkeit
der inneren Tularämie", vor allem der pulmonalen Formen,
betont. Er wirft insbesondere die Frage nach Späterscheinungen
der im allgemeinen akut ablaufenden Erkrankung auf. Von
F r a n c j s und C a 11 e n d e r sind Nekroseherde in Lymphknoten noch 9 Monate nach Krankheitsbeginn, von A r c h e r,
B 1 a c k f o r d und W j s s 1 e r Drüseneiterungen noch 3 Jahre
nach der Infektion beschrIeben worden. R e i m a n n betont,
daß die Erreger für Jahre' im Körper verbleiben und Ursache
sich wiederholender Krankheitsperioden werden können. Der
von K e h 1 mitgeteilte Krankheitsfall wäre in diesem Sinne zu
deuten.
Eigene Beobachtung
Der hier gegebene Bericht betrifft einen im Jahre 1914 geborenen
Mann, der im Mittelabsdhnitt der Ostfront eingesetzt, dort im Dezember 1941 verwundet und anschließend noch bis Februar 1942 in einem
Lazarett in Mittelrußland behandelt wurde, sich dann seit März 1942
in Deutschland befand. Eine Röntgenreihenuntersuchung im August
1942 sollte keinen krankhaften Befund an der Lunge ergeben haben.
Alsbald nach seiner Entlassung aus dem Wehrdienst im November
1942 stellten sich Fiebersdiübe ein, die im Abstand von etwa zwei
Monaten für jeweils fünf Tage mit katarrhalisdien Erscheinungen
von seiten der Atemwege bestanden. Sie gaben erstmals im Dezember
1943 Anlaß zur Röntgenuntersuchung durch einen Internisten. Diese
zeigte eine dem linken Hilus aufsitzende tumorartige" dichte Verschattung, die rund und nach lateral scharf begrenzt bei einem Durchmesser von 7 cm in den folgenden Monaten bis Oktober 1944 sich
noch vergrößerte (s. A b b. 1").
Die diagnostischen Erwägungen schwankten zwischen Tumor, pneumonisthem Infiltrat und Tuberkulose während fathinternistischer und
lungenfürsorgerischer Beobachtung. Die BSG war mit 10/25 und
10/30 mm im März bzw. Juni 1944 nur gering beschleunigt. Nachdem
1 Herrn Prof. Dr. S t e pp zu seinem 70. Geburtstag gewidmet.
* Abb. I siehe Seite 1027
mehr beschleunigt (3/8mm)2.
Hinsichtlich der Diagnose der abgelaufenen Erkrankung blie-
ben die Meinungen aller befragten Ärzte auch weiterhin geteilt. Die Strahientherapeuten hielten einen Tumor, möglicherweise ein Lymphosarkom, das unter Strahleneinwirkung eingeschmolzen war, für das Wahrscheinlichste. Der Lungenfürsorgearzt nahm eine jetzt zirrhotische Tuberkulose des linken
Unterlappens an. Ein inzwischen eingereichter Antrag auf Anerkennung der Erkrankung als Kriegsbeschädigungsleiden gab
Veranlassung zur Begutachtung durch eine Tuberkuloseklinik.
Sie ließ die Diagnose zwischen Tumor, Tuberkulose oder unspezifischer Pneumonie offen. Ein Gutachten einer auswärtig"en
Klinik deutet die abgelaufene Lungenerkrankung als unspezifische Lungenentzündung und die in der Vorgeschichte ange-
gebenen Fieberattacken wegen ihrer Beeinflußbarkeit durch
Chinin" als Erscheinungen einer Malaria tertiana. Da die Diagnose und auch die Zusammenhangsfrage immer noch nicht
ausreichend geklärt erschienen, wurden wir um nochmalige
Untersuchung und Begutachtung gebeten.
Diskussion der Beobachtung
Die geographische Anamnese ergab seit Beginn des Rußlandfeldzuges im Juni 1941 Einsatz im Mittelabschnitt der Ostfront,
Aufenthalt dort bis Februar 1942 in Fronteinsatz und Lazarett,
danach in Deutschland bis zur Entlassung wegen Verwundungs-
folgen. Der klinische Verlauf der Lungenerkrankung Ist anamnestisch gekennzeichnet durch rezidivierende Fieberschübe
seit etwa Anfang 1943 mit Husten und Auswurf bei gelegentlicher Blutbeimengung, ferner durch die Feststellung einer
parahilären Verschattung links und eine heftige länger anhaltende Reaktion mit Fieber und blutigem Auswurf sowie folgender Pleuritis nach Bestrahlung mit Tumordosen. Hervorzuheben
ist der zu allen Zeiten negative Bazillenbefund hinsichtlich einer
Tuberkulose sowie der endgültig günstige Krankheitsverlauf.
Eine M a 1 a r i a t e r t i a n a kann wohl von vornherein ne-
giert werden. Sie müßte nach der geographischen Anamnese
spätestens im Herbst 1941 erworben sein und konnte somit
Fieberschübe bis zum Jahre 1945 bei negativem Parasitenbefund
nicht erklären. Der Chininerfolg allein besagt nichts. Darüber
hinaus bestand ja ein Lungenbefund, der auftretende Fieberschübe sehr wohl erklären konnte.
Die Annahme eines Tumors konnte nach den Rönt-
genbefunden 1944 zweifelsohne begründet erscheinen. Wenn
wir sie heute verneinen, können wir das leichter, nachdem wir
einen rezidivfreien Verlauf von 6 Jahren bei jetzt bestem Allgemeinbefinden überblicken.
Der Ablauf einer L u n g e n t u b e r k u 1 o s e erscheint wenig
wahrscheinlich, nachdem sich zu keiner Zeit Tuberkelbazillen
haben nachweisen lassen. Auch würde ein tuberkulöses Infiltrat
auf Bestrahlung mit einer sp hohen Röntgendosis doch wah'scheinlich mit Einschmelzung und weiterer Streuung sowie
Bazillenausscheidung reagiert haben.
2 Für die tíberlassung der Röntgenaufnahmen und Bestrahlungsdaten danke ich Herrn Prof. d u M e s n il d e R o c h e m o n t Dir.
des Univ.-Strahleninstitutes Marburg/L., für die der Versorgungsakte
dem Landesversorgungsamt Hessen.
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Während die Tularämie uns in früheren Jahren nur dem
Namen nath bekannt war und deutsche Ärzte erst mit dem
schattung auf und wurde kleiner, so dalI im Juni 1946 bei hoher Fixation des linken Zwerchfelles nur noch mehrere breite Streifenschatten
K o h 1 r au s ch: Die kombinierte Behandlung der Poliomyelitis mit Gymnastik, Bädern und Massage
Dtsch. med. Wschr., 78. Jg.
Für die Ätiologie des Prozesses konnte die geographische ämie einschmelzende Lymphknoten in den Bronchus einbrechen
Anamnese wiederum den Hinweis geben. Sie veranlaßte uns, und bei Aspiration zu einer spezifischen Entzündung des zuin Kenntnis der gerade aus dem Mittelabschnitt der Ostfront gehörigen Lungenabschnittes eventuell eines Segmentes fühstammenden Berichte über Tularamieerkraukungen in der ren. Der scharf abgegrenzte Herd ließ im vorliegenden Falle an
Kriegszeit, nachträglich noch deren Nachweis zu versuchen, zu- diese Genese denken. Auf solche inneren Durchbrüche nekrotimal ja das Krankheitsbild mit einem über Monate bestehenden sierender Lymphknoten im Verlauf der Tularämie ist von
Infiltrat dér Lunge und wechselnden Temperaturen einer Tular- S c h u lt e n hingewiesen worden. Wollen wir eine Segmentämie entsprechen konnte. Der Nachweis gelang durch die A g - lokalisation versuchen, so wäre unter Berücksichtigung der bei
g 1 u t i n a t j o n, die bis zu einem Titer von 1: 80 positiv aus- der Röntgenbestrahlung vorgenommenen Lagebestimmung des
fiel sowie durch den ebenfalls positiven spezifischen Hauttest. Herdes in Hilushöhe im dorsalen Abschnitt des Thorax in
Mit Rücksicht auf das häufige Mitgehen der Tularämieprobe erster Linie eine Erkrankung des apikalen Segmentes des linbei Bruzellose sei erwähnt, daß die Agglutination auf Bruzel- ken Unterlappens anzunehmen.
lose negativ ausfiel, daß also die positiven TularämiereaktioZusammenfassung
nen als einwandfrei angesehen werden können, Damit hatte
die unspezifische Pneumonie' ihre spezifische Aufklärung geFassen wir die Besonderheiten der hier beschriebenen Erfunden. In dem geforderten Gutachten war also der ursächliche krankung zusammen, so liegen sie einmal in dem späten AufZusammenhang zwischen Lungenerkrankung und Wehrdienst treten manifester Krankheitserscheinungen einer pulmonalen
zu bejahen, wenn auch eine Minderung der Erwerbsfähigkeit Tularämie 1_11/2 Jahre nach der mutmaßlichen Infektion sowie
als Folge der Erkrankung jetzt nicht mehr bestand.
in ihrem ausgesprochen chronischen und gutartigen Verlauf,
Wenn auch die immunbiologischen Reaktionen nur eine der sich über 21/2__3 Jahre hinzog.
Das Röntgenbild ist gekennzeichnet durch eine dem Hilus
früher einmal erfolgte Infektion mit Bact. tul. beweisen und
bei solchen Infektionen stille Feiungen bekannt sind, so scheint anliegende scharf abgegrenzte tumorähnliche Verschattung, die
es uns doch absurd, nach Ausschluß eines Tumors und einer in dieser Form durch eine tularämische Segmentpneumonie im
apikalen Segment des linken Unterlappens erklärt werden
Tuberkulose irgendeine unbekannte Ätiologie für eine chronische Entzündung anzunehmen, wenn die Infektion mit einem könnte.
Auf Analogien zur Tuberkulose im Verlauf der Tularämie
Erreger immunbiologisch nachgewiesen wird, der sich auch das
beobachtete Krankheitsbild nach den in der einschlägigen Lite- wird dabei verwiesen, für den vorliegenden Fall auf die Beobachtung von S c h w a r z bei Einbruch tuberkulöser Lymphratur mitgeteilten Erfahrungen zwangslos zuordnen läßt.
Zur Frage nach der Pathogenese einer solchen Spätmani- knoten in den Bronchus.
Für die diagnostische Erfassung wird die geographische Anafestation werden wir uns an die Untersuchungen über den Primärkomplex mit der Erkrankung der zugehörigen Lymphkno- mnese richtungweisend, wenn bei ihrer Auswertung nur an
ten erinnern. Jedoch ist die Annahme einer Eintrittspforte in die Infektion mit Bact. tul. gedacht wird, die durch Agglutider Lunge keineswegs zwingend. Im weiteren Verlauf kann nation und Hauttest dann leicht nachgewiesen werden kann.
Danach wurde für die hier geschilderte Erkrankung auch die
die Tularämie auch auf andere Lymphknotengruppen übergreieindeutige
Beantwortung der versorgungsrechtlichen Fragen,
fen.,, späte .Drüserischwellungen". So kann auch bei Eintrittsdie
dem
Gutachter
gestellt waren, im Sinne einer Bejahung des
an
anderer
Stelle
die
Lunge
sekundär
erkranken
pforte
(S c h u lt e n). Unter Hinweis auf die von Sc h w a r z heraus- ursächlichen Zusammenhanges der Krankheit mit dem Wehrdienst möglich.
gestellte Bedeutung des Einbruchs nekrotisierender Lymph(Anschr. d. Verf.: Dr. med. habil. Kurt Im h a u s e r, Chefarzt
knoten in den Bronchus für den Ablauf der Tuberkulose könnte
des Stadtkrankenhauses Wetzlar)
man sich sehr wohl vorstellen, daß auch im Verlauf der Tular-
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Zur Arbeit K. lin h ä u s e r (Seite 1021-1022):
Abb. 1. Thoraxaufnahme s'. 9. 12. 1942 (re. Stecksplitter in den
Weichteilen der hinteren Thoraxwand)
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