Sehschärfe - Thieme Connect

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1 Physiologische Optik
Sehschärfe
B. Lachenmayr
Sehschärfekriterien
eng benachbart liegende Punkte mit hohem Kontrast, typischerweise schwarz auf weiß (Negativkontrast), als getrennte Punkte wahrzunehmen.
Alle Prüfkriterien, die auf der Auflösung eines kritischen Details an einem Sehzeichen (Optotypen)
basieren, sind hiermit verwandt. Für die praktische Sehschärfeprüfung werden eine Vielzahl
von Sehzeichen verwendet, neben dem nach
DIN 58 220 genormten Landolt-Ring (Abb. 1.16,
Mitte links) verschiedene Buchstaben, Zahlen
und Symbole (z. B. Snellen-Haken, Zahlen und
Buchstaben verschiedener Konfiguration, Kinderbilder etc.). Es ist klar, dass alle derartigen Kriterien letztlich von der Formgebung der Optotypen
abhängig sind und damit keine Beschreibung des
räumlichen Auflösungsvermögens im physikalisch-optischen Sinne gestatten.
Eine weitere Möglichkeit, das örtliche Auflösungsvermögen des visuellen Systems zu messen,
besteht in der Bestimmung der sog. Gittersehschärfe, wobei dem Betrachter Gittermuster kleiner werdender Balkenbreite dargeboten werden,
bis die Auflösungsgrenze erreicht ist (Abb. 1.16,
Mitte rechts). Die Gittersehschärfe kann in die
äquivalente anguläre Sehschärfe für Optotypen
umgerechnet werden, ist aber damit nicht gleichbedeutend: Gittermuster sind im physiologisch-
1.2
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, das räumliche Auflösungsvermögen des visuellen Systems
zu beschreiben und zu quantifizieren. Die anguläre Sehschärfe (Minimum separabile, Minimum
Angle of Resolution, MAR) ist als der kleinstmögliche Winkel r [l] definiert, unter dem zwei
Objektpunkte vom Auge gerade noch getrennt
wahrgenommen werden können (Abb. 1.16,
links). Sehschärfe in diesem Sinne wird folglich
als die Fähigkeit des Auges beschrieben, zwei
Abb. 1.16 Arten von Sehschärfekriterien (aus Lachenmayr 1993). Auflösung von zwei benachbarten Punkten (links), Auflösung von Optotypen, z. B. LandoltRing (Mitte links), Auflösung von Gittermustern (Mitte
rechts), Kriterien aus dem Bereich des Minimum discriminabile, z. B. die Beurteilung der lateralen Versetzung zweier vertikal übereinander angeordneter Linien
(Nonius, rechts).
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Aus Lachenmayr, H., et al.: Auge - Brille - Refraktion (ISBN 9783131395542) © 2005 Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart
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Abb. 1.15 Astigmatismus schiefer
Bündel (aus Gobrecht 1987). Ein
schräg auf die gezeichnete Linse
auffallendes Strahlenbündel wird
nicht mehr in einem Brennpunkt
vereinigt, sondern astigmatisch abgebildet in Form von zwei zueinander senkrechten Brennlinien (BM, BS).
optischen Sinne eindimensionale Strukturen, Optotypen, wie z. B. der Landolt-Ring, sind zweidimensionaler Natur. Die Verarbeitungsmechanismen für beide Arten von Stimuli sind unterschiedlich und hängen in komplexer Weise zusammen. Es gibt Störungen der visuellen Wahrnehmung, bei denen eine durchaus hohe Gittersehschärfe vorliegen kann bei gleichzeitig
schlechter Optotypensehschärfe, da die komplexere Musterverarbeitung nicht funktioniert, wie
dies bei bestimmten Formen der Amblyopie der
Fall sein kann.
Weitere Kriterien zur Sehschärfeprüfung ergeben sich im Bereich des sog. Minimum discriminabile, also der Wahrnehmung der kleinstmöglichen Versetzung zweier Objekte oder Objektteile
gegeneinander (Abb. 1.16, rechts): der klassische
Stimulus aus dem Bereich des Minimum discriminabile ist der Nonius. Es ist auch möglich,
komplexere Objekte gegeneinander seitlich zu
versetzen oder die Wahrnehmbarkeit von oszillierenden Reizen gegenüber statischen Referenzobjekten zu prüfen. Die Noniussehschärfe erreicht unter optimalen Bedingungen Werte, die
deutlich unter der angulären Sehschärfe liegen,
da sie auf anderen physiologischen Wahrnehmungsmechanismen basiert. Für die klinische
Routine kommen in erster Linie Sehschärfekriterien in Frage, die Optotypen verwenden, in gewissem Umfang auch Kriterien zur Prüfung der
Gittersehschärfe. Bezüglich weiterführender Literatur sei der interessierte Leser auf Lachenmayr
(1990, 1993) und Fahle (1991) verwiesen.
Wodurch wird die Sehschärfe
des Auges bestimmt?
13
Wellenfront auch in Raumbereiche ausbreiten
kann, die der direkten Wellenausbreitung nicht
zugänglich sind (Fraunhofer-Beugung). In einem
optischen Strahlengang wird die Auswirkung
der Beugung um so stärker, je kleiner die limitierende Öffnung ist. Am menschlichen Auge entsteht Beugung im Normalfall an der Pupille: bei
extremer Miosis, etwa bei Pupillenweiten von
weniger als 1,5 mm, wie sie bei Patienten unter
Miotikatherapie auftreten können, kann es
durch die Beugung zu einer Herabsetzung der
Sehschärfe kommen. Beugung begrenzt also bei
sehr kleinen Pupillenweiten die Bildqualität und
damit die Sehschärfe. Wie jedes optische System
besitzen auch die Komponenten des menschlichen Auges eine Vielzahl von Abbildungsfehlern, die die Güte des Netzhautbildes beeinträchtigen. Der wichtigste Fehler ist die sphärische
Aberration (Abb. 1.17): mit sphärischer Aberration bezeichnen wir das Phänomen, dass bei
einer abbildenden Linse, beispielsweise bei der
dargestellten Sammellinse, Strahlen, die in unterschiedlichem Abstand von der optischen Achse
auf das abbildende System treffen, unterschiedlich stark gebrochen und zu unterschiedlichen
Brennpunkten vereinigt werden. So wird im gezeichneten Fall das achsnahe Strahlenbündel 2
auf einen etwas weiter rechts gelegenen Brennpunkt 2 fokussiert, das achsferne Strahlenbündel
1 wird auf den näher bei der Linse gelegenen
Brennpunkt 1 abgebildet. Folge ist, dass unterschiedliche Strahlen mit verschiedener Einfallshöhe auf unterschiedliche Brennpunkte fokussiert werden und somit für alle Strahlen kein
einheitlicher gemeinsamer Brennpunkt existiert.
Die Sehschärfe des menschlichen Auges wird
durch drei Komponenten limitiert:
x die optische Abbildung des Auges,
x die Lichtstreuung in der Retina,
x die neuronale Verarbeitung in der Retina.
Die optische Abbildung des Auges wird wesentlich durch zwei Einflussgrößen bestimmt, zum
einen die Beugung, zum anderen die Abbildungsfehler der optischen Komponenten des Auges
(Hornhaut, Vorderkammer, Linse, Glaskörper).
Unter Beugung verstehen wir in der Physik das
Phänomen, dass sich wellenförmig ausbreitende
Energie bei Einbringen eines Hindernisses in die
Abb. 1.17 Sphärische Aberration. Achsferne Strahlen
(hier 1) werden auf einen anderen Brennpunkt vereinigt als achsnahe Strahlen (hier 2).
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1.2 Sehschärfe
1 Physiologische Optik
Auf das Auge übertragen wird damit klar, dass
die sphärische Aberration besonders bei weiter
Pupille wirksam wird, typischerweise bei medikamentös weitgestellter Pupille (Mydriasis). Die
von den Patienten oft geklagte Herabsetzung
der Sehschärfe bei weitgestellter Pupille ist
Folge der sphärischen Aberration des Auges,
muss aber nicht in jedem Fall stark ausgeprägt
sein.
Bekanntlich befinden sich die Rezeptoren sklerawärts, so dass das Netzhautbild, das die optischen Komponenten des Auges auf der Netzhautoberfläche entwerfen, alle darüber liegenden
Schichten der Netzhaut durchdringen muss, ehe
es in den Rezeptoren in Potentiale umgewandelt
wird. Dies ruft Lichtstreuung hervor, was eine
Kontrastminderung des Netzhautbildes zur
Folge hat. Dieser Effekt betrifft vor allem die
Auflösung feiner Details, also die Übertragung
hoher Ortsfrequenzen.
Bereits innerhalb der Netzhaut setzt eine komplexe Verarbeitung der Bildinformation ein. Es
finden sich mehrere in Serie und parallel geschaltete Wege, die für verschiedene Übertragungsbereiche der visuellen Information zuständig
sind. Dies trägt wesentlich zu einer Steigerung
der vom Auge erzielbaren Sehschärfe bei.
Würde die Netzhaut nicht durch ihre Verarbeitung, speziell durch die antagonistische Struktur
der Zentrums- und Umfeldbereiche der retinalen
Ganglienzellen dafür sorgen, dass eine Bildoptimierung erfolgt, so wäre die vom Auge erreichbare Sehschärfe wesentlich schlechter, als sie
tatsächlich ist.
Alle Störungen der optischen Abbildung oder
der retinalen Verarbeitung führen zu einer Herabsetzung der Sehschärfe. Die Sehschärfe hängt
aufgrund der retinalen Verarbeitung und des
Pupilleneffektes von der Adaptationsleuchtdichte,
von der Netzhautstelle (Exzentrizität) und natürlich von der Korrektion möglicher Refraktionsfehler ab.
Sehschärfe und Visus
Im klinischen Sprachgebrauch werden die Begriffe Sehschärfe und Visus gleichbedeutend nebeneinander verwendet, obwohl sie unterschiedlich definiert sind. Unter Sehschärfe verstehen
wir die anguläre Sehschärfe, also den eingangs
bereits erwähnten kleinsten Winkel r [l], unter
dem zwei Objekte gerade noch getrennt wahrgenommen werden können bzw. ein kritisches
Detail gerade noch aufgelöst werden kann. Wird
bei einem Landolt-Ring (Abb. 1.16, Mitte links)
die Größe der Lücke in Bogenminuten [l] angegeben, so liefert dies den Wert für die anguläre Sehschärfe. Unter Visus verstehen wir demgegenüber
den Kehrwert der in Bogenminuten gemessenen
angulären Sehschärfe:
Visus =
1
r [l]
Während die Einheit der Sehschärfe eine Winkelgröße ist, wird beim Visus keine Dimension
verwendet. Trotz dieser prinzipiell unterschiedlichen Definitionen ist es durchaus legitim, gemäß
dem allgemeinen Sprachgebrauch Sehschärfe und
Visus synonym zu gebrauchen.
Üblicherweise wird die Sehschärfe für die
Ferne für eine Distanz von 5 oder 6 m ermittelt.
Wenn die Sehschärfe schlecht ist und auf diese
Distanz mit den verfügbaren Sehzeichen kein
Wert mehr erzielbar ist, muss der Prüfabstand
verringert werden, typischerweise auf 1 m, 50
cm oder noch weniger. Hierzu werden dann in
der Hand gehaltene Papptafeln verwendet, auf
denen Optotypen abgestufter Größe dargeboten
werden. Der Visus, der dann erzielt wird, lässt
sich nach folgender Formel berechnen:
Visus =
Ist-Entfernung [m]
Soll-Entfernung [m]
Die Ist-Entfernung ist dabei die tatsächliche
Prüfentfernung, in der die Sehprobentafel dem
Patienten dargeboten wird. Die Soll-Entfernung
ist der Distanzwert, der in Kleindruck auf der
Prüftafel angibt, in welcher Entfernung ein Betrachter mit normaler Sehschärfe (1.0) die jeweilige Reihe gerade noch erkennen kann. Findet
sich beispielsweise auf der Sehprobentafel die
Angabe „25 m“ und wird die Prüfung der Sehschärfe in einem Abstand von 1 m durchgeführt,
so ist der resultierende Visus 1/25.
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Sehschärfe als Funktion
der Adaptationsleuchtdichte
Sehschärfe als Funktion
der Exzentrizität
Die Sehschärfe hängt von der Adaptationsleuchtdichte des Auges ab. Dies hat mehrere Gründe:
zum einen ist die Dichteverteilung der Rezeptoren für Stäbchen und Zapfen verschieden. Die
Zapfen weisen ein sehr hohes Dichtemaximum
in der Netzhautmitte auf, daher ist die Sehschärfe
unter photopischer Adaptation, also in dem
Leuchtdichtebereich, in dem die Zapfen aktiv
sind, deutlich höher, als im Bereich des Stäbchensehens (skotopische Adaptation). Ein weiterer
Grund besteht im Einfluss der Pupille: je höher
die Adaptationsleuchtdichte, umso geringer die
Pupillenweite, umso geringer der Einfluss der
sphärischen Aberration. Ein weiterer Grund ist
die retinale Verarbeitung der Bildinformation,
die bei höherer Leuchtdichte zu einem besseren
Auflösungsvermögen führt, als bei niedriger
Adaptationsleuchtdichte. Die Abhängigkeit der
Sehschärfe von der Adaptationsleuchtdichte ist
in Abb. 1.18 wiedergegeben. Es zeigt sich ein kontinuierlicher Anstieg, bis bei sehr hohen Leuchtdichten ein Plateau erreicht wird: bei Werten
von über 1000 cd/m2 kommt es auch bei normalen optischen Medien zu Blendungserscheinungen, so dass die Sehschärfe abfällt.
Unter photopischer Adaptation weist die Sehschärfe ein sehr hohes Maximum in der Fovea
centralis auf (Abb. 1.19). Sie fällt zur Peripherie
hin rasch ab, bei 10h Exzentrizität liegt nur
noch eine Sehschärfe von ca. 10–20 % des fovealen Wertes vor. Die Sehschärfe in der Netzhautperipherie ist also sehr gering. Bei Herabsetzung
der Adaptationsleuchtdichte in den mesopischen
oder skotopischen Bereich verschwindet die Vorzugsstellung der Netzhautmitte, es kommt zu
einem gegenteiligen Effekt: Bei rein skotopischer
Adaptation, also reinem Stäbchensehen, liegt ein
funktionelles Zentralskotom vor, da die Foveola
stäbchenfrei ist. Die Folge ist, dass die noch relativ beste Sehschärfe nicht zentral, sondern etwas
exzentrisch bei ca. 10–20h erreicht wird, nämlich
dort, wo das Dichtemaximum der Stäbchenverteilung liegt. Die klinische Prüfung der Sehschärfe erfolgt üblicherweise unter photopischer
Adaptation. Bei speziellen Fragestellungen (z. B.
Nachtmyopie) kann eine Prüfung der Sehschärfe
auch bei herabgesetzter Leuchtdichte im mesopischen, u. U. im skotopischen Bereich erforderlich
werden.
Abb. 1.18 Sehschärfe als Funktion
der Adaptationsleuchtdichte (nach
Hartmann 1970). Mit zunehmender
Adaptationsleuchtdichte steigt die
Sehschärfe an, bis bei ungefähr 1000
cd/m2 ein Plateau erreicht wird. Bei
noch höherer Leuchtdichte erfolgt
ein Abfall aufgrund von Blendung.
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1.2 Sehschärfe
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1 Physiologische Optik
Abb. 1.19 Sehschärfe als Funktion der Exzentrizität
(nach Hartmann 1984). Bei photopischer Adaptation
(obere Kurve) fällt die Sehschärfe im Normalfall von
der Fovea zur Peripherie hin steil ab. Im Zustand der
reinen Dunkeladaptation (unterste Kurve) liegt ein
funktionelles Zentralskotom aufgrund des zentralen
stäbchenfreien Areals vor.
Wird ein Auge künstlich fehlkorrigiert, beispielsweise durch Vorsetzen von Plus- oder Minusgläsern (das Vorsetzen von Plusgläsern bezeichnet
man als „Vernebelung“), so führt dies zu einer
Beeinträchtigung der erzielbaren Sehschärfe
(Abb. 1.20). Wird ein normalsichtiger Proband,
der beispielsweise für die Ferne eine Sehschärfe
von 1.5 erzielt, mit Plusgläsern zunehmender
Stärke vernebelt, so fällt die Sehschärfe steil ab
(linke Kurve in Abb. 1.20): bei + 1 dpt beträgt
die Sehschärfe noch etwa 0.5, bei + 2 dpt nur
noch 0.1–0.2. Diese Werte sind natürlich individuell unterschiedlich. Werden umgekehrt einem
jungen Emmetropen Minusgläser zunehmender
Stärke vorgehalten, so ist er aufgrund seiner
Akkommodationsfähigkeit zunächst noch in
der Lage, die Minuswirkung zu kompensieren.
Abhängig von seiner Akkommodationsbreite
kommt es dann bei höheren Minuswerten zu
einer Verschlechterung des Netzhautbildes und
zu einem Abfall der Sehschärfe (rechte Kurve in
Abb. 1.20). Es gibt für die subjektive Refraktionsbestimmung Stufungstabellen, die diesen Zusammenhang in schematisierter Weise wiedergeben.
Bei der Refraktionsbestimmung muss sich die Abstufung der vorgesetzten Gläser für den Ausgleich einer sphärischen und/oder zylindrischen
Abb. 1.20 Sehschärfe als Funktion
der Fehlrefraktion (nach Diepes
1975). Wird ein Emmetroper durch
Vorsetzen von Plusgläsern vernebelt,
so fällt seine Sehschärfe steil ab
(linke Kurve). Werden Minusgläser
vorgesetzt, so kann er je nach noch
vorhandener Akkommodationsfähigkeit die Minuswirkung zunächst noch
kompensieren, bis bei Nachlassen
der Kompensationsmöglichkeit ein
Abfall der Sehschärfe resultiert.
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Sehschärfe als Funktion
der Fehlrefraktion
1.2 Sehschärfe
100 % ansteigen. Dies bedeutet, dass alle Stimuli
unterhalb der Reizstärke 3 korrektermaßen praktisch nie wahrgenommen werden, dass alle Stimuli oberhalb der Reizstärke 3 korrektermaßen
praktisch immer gesehen werden. Leider ist die
Realität anders. In Wirklichkeit findet sich bei
echten Beobachtern immer ein mehr oder weniger breiter Übergangsbereich von „nicht gesehen“ zu „gesehen“ (Abb. 1.21 b : diesen sigmoidartigen Kurvenverlauf bezeichnet man als psy-
Messung der Sehschärfe
Die Prüfung der Sehschärfe ist wie jede andere
Untersuchung, bei der subjektive Angaben vom
Patienten erhoben werden, ein psychophysischer
Messvorgang. Anders als physikalische Systeme,
die exakt und reproduzierbar durch Messprozeduren beschreibbar sind, besteht im Bereich
der Psychophysik das Problem, dass der Patient
ein relativ ungenaues Detektorsystem darstellt,
der mit einer großen Unsicherheit und Schwankungsbreite seines Antwortverhaltens behaftet
ist. Dies führt zu einer erheblichen Ungenauigkeit
der Messwerte, was durch geeignete statistische
Verfahren soweit als möglich kompensiert werden muss.
Wesentlich für das Verständnis jeder psychophysischen Messung ist der Begriff der psychometrischen Funktion (Abb. 1.21 a, b). Hierbei
wird die Antwortwahrscheinlichkeit für eine
„Ja-Antwort“, also einer Antwort, bei der der Stimulus gesehen wurde, in Abhängigkeit von der
Reizstärke in beliebigen relativen Einheiten, beispielsweise das kritische Detail bei der Sehschärfeprüfung oder die Leuchtdichte des Stimulus bei
der Perimetrie etc., aufgetragen. Die Reizstärke
nimmt in Abb. 1.21 auf der Abszisse von links
nach rechts zu. Der Bereich geringer Reizstärken
findet sich also links auf der Abszisse, hier wird
der Stimulus selten oder nie wahrgenommen.
Der Bereich hoher Reizstärke liegt rechts auf der
Abszisse, hier wird der Stimulus praktisch
immer richtig erkannt. Hätten wir ein ideales
Detektorsystem im physikalischen Sinne vor
uns, dann würde der Patient ein Antwortverhalten zeigen, wie es in Teilbild a) dargestellt ist:
die Antwortwahrscheinlichkeit würde bei einer
bestimmten Reizstärke (hier bei der Einheit 3)
sprunghaft von annähernd 0 % auf annähernd
a
b
Abb. 1.21 a, b Psychometrische Funktion (aus Lachenmayr 1993). Es ist jeweils die Antwortwahrscheinlichkeit für die Wahrnehmung eines Stimulus (Ordinate)
in Abhängigkeit von einer beliebigen Reizstärke in relativen Einheiten (Abszisse) aufgetragen. a Die psychometrische Funktion eines idealen Beobachters würde
einer Stufenfunktion ähneln, die bei einer bestimmten
Reizstärke sprunghaft von annähernd 0 % Antwortwahrscheinlichkeit auf annähernd 100 % Antwortwahrscheinlichkeit ansteigt. b Der reale Beobachter zeigt
einen mehr oder weniger kontinuierlichen Übergang
mit sigmoidem Kurvenverlauf. Das Festlegen der
Schwelle ist willkürlich und erfolgt konventionsgemäß
üblicherweise bei 50 % Antwortwahrscheinlichkeit.
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Fehlsichtigkeit an der Höhe des Refraktionsfehlers und an der erzielten Sehschärfe orientieren.
Die Stufungstabellen werden bei der Besprechung der subjektiven Refraktionsbestimmung
genauer erläutert und sollen dem Augenarzt
lediglich eine erste Hilfe für die richtige Wahl
der Refraktionsgläser bieten. Bei ausreichender
Übung wird die Abstufung ohne langes Überlegen
an den Refraktionsmessgang angepasst, ohne
dass die Notwendigkeit besteht, sich stets genau
an die Werte der Stufungstabelle zu halten.
17
1 Physiologische Optik
chometrische Funktion. Sie ist die Basis für alle
statistischen Überlegungen im Zusammenhang
mit der Definition von psychophysischen Schwellen, auch bei der Definition der Sehschärfe.
Aufgrund des flachen Verlaufs der psychometrischen Funktion ist es willkürlich, wo die
Schwelle festgelegt wird. Üblicherweise wird
eine Antwortwahrscheinlichkeit von 50 % als
Schwelle angenommen. Im vorliegenden Fall
liegt somit die Schwelle bei der Reizstärke 3. Je
flacher die psychometrische Funktion, um so
ungenauer die Schwellenermittlung, je steiler,
um so exakter sind die erzielbaren Werte.
Man muss sich also stets vor Augen halten,
dass für jede psychophysische Messung, auch
für die Messung der Sehschärfe, eine Antwortwahrscheinlichkeit von etwa 50 % als Anhaltewert gefordert wird. Dies bedeutet, dass bei Darbietung von 10 Sehzeichen gleicher Größe diejenige Visusstufe als Schwelle akzeptiert wird, bei
der die Hälfte, also 5 von 10 Optotypen korrekt
erkannt werden.
Normgerechte Sehschärfeprüfung
Für die gutachterliche Sehschärfeprüfung, wie
wir sie für die Fahreignungsbegutachtung oder
die Renten- und Versicherungsbegutachtung verwenden müssen, sind die ISO-Normen 8596/8597
und Teil 3 der DIN-Norm 58 220 ausschlaggebend. Das Normsehzeichen ist der LandoltRing (Abb. 1.16, Mitte links) in logarithmischer
Abstufung. Es können auch Sehzeichen verwendet werden, die gemäß der Anschlussvorschrift
an das Normsehzeichen angeschlossen sind. DIN
58 220 regelt genau die Darbietungsbedingungen
des Normsehzeichens, den Abstand der Optotypen untereinander, die Zahl der erforderlichen
Sehzeichen pro Visusstufe, die Abstufung der
Sehzeichen, die möglichen Orientierungen und
die Häufigkeit der Orientierungen (vier gerade,
vier schräge Stellungen), das Abbruchkriterium,
den Kontrast und die Umfeldleuchtdichte. Einzelheiten sind entweder DIN 58 220 oder der Literatur zu entnehmen (Lachenmayr 1993).
Wichtig für den praktisch tätigen Augenarzt
ist es, dass bei der gutachterlichen Sehschärfeprüfung exakt und ohne Abstriche die Darbietungsbedingungen und Verfahrensweisen von
DIN 58 220 eingehalten werden. Dies bedeutet
konkret, dass bei Visuswerten bis einschließlich
0.63 5 Optotypen gleicher Größe darzubieten
sind, bei Sehschärfewerten über 0.63 10 Optotypen. Somit sind alle älteren Sehzeichenprojektoren, die diese Anforderung nicht erfüllen, für
die gutachterliche Sehschärfeprüfung nicht zulässig! Die Abstufung des Normsehzeichens erfolgt gemäß DIN 58 220 nach einer geometrischen Reihe mit Stufungsfaktor 10Ö10 = 1.2589,
wobei als Ausnahme von der logarithmischen Abstufung die Visusanforderung 0.7 eingefügt wurde, weil sie in der Straßenverkehrszulassungsordnung vorkommt. Sinn dieser logarithmischen
Abstufung ist es, eine physiologisch äquidistante
Teilung der Sehschärfeskala zu erzielen: nur bei
logarithmischer Abstufung ist eine Änderung
um ein oder zwei Visusstufen in allen Bereichen
der Skala physiologisch gleich wirksam. Bei
einer linearen Skalierung ist der Abstand der
Werte bei geringen Sehschärfeanforderungen
physiologisch zu groß, bei hohen Sehschärfewerten zu gering. Viele – allerdings nicht alle – modernen Sehzeichenprojektoren enthalten eine Abstufung der Sehschärfe in dieser Skalierung. Jeder, der sich einen Sehzeichenprojektor anschafft,
sollte sich beim Hersteller vergewissern, dass
damit eine gutachterliche Sehschärfeprüfung
gemäß DIN 58 220 durchgeführt werden kann.
Wichtigster Aspekt der DIN 58 220 für die
praktische Tätigkeit ist die Einhaltung eines definierten Abbruchkriteriums. Wir haben im vorherigen Abschnitt gesehen, dass als Konvention
für psychophysische Schwellen in der Regel eine
Antwortwahrscheinlichkeit von 50 % gefordert
wird. Man muss natürlich davon ausgehen, abhängig von den Darbietungsbedingungen, dass
eine gewisse Ratewahrscheinlichkeit vorliegt,
die die Messung beeinträchtigt: Setzt sich ein
Patient mit geschlossenen Augen an die Visusstrecke, so kann er mit einer Wahrscheinlichkeit
von 1/8 korrekte Angaben machen, wenn acht
verschiedene Alternativen beim Landolt-Ring
dargeboten werden. Man muss daher die Rohwerte der Erkennungsrate bzw. Antwortwahrscheinlichkeit um die Ratewahrscheinlichkeit
korrigieren (Hartmann 1987). Aus diesem Grund
fordert DIN 58 220 eine Antwortwahrscheinlichkeit von 60 %. Dies bedeutet, dass bei Darbietung
von 5 Optotypen drei von fünf korrekt angegeben
werden müssen, um die Stufe als gesehen zu akzeptieren, bei 10 Sehzeichen sechs von zehn. Als
Kompromiss bei 3 Optotypen gilt als Abbruchkriterium zwei von drei. Bei 8 Optotypen gilt als Ab-
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bruchkriterium fünf von acht. Immer wenn also
der Patient wenigstens 3 von 5 oder 6 von 10 Optotypen einer Reihe korrekt angegeben hat, wird
die Zeile als „gesehen“ akzeptiert. Die Prüfung
wird so lange fortgesetzt, bis höchstens noch 2
bzw. 4 korrekte Angaben gemacht werden, also
3 oder mehr (bei 5 Sehzeichen) oder 6 oder
mehr (bei 10 Sehzeichen) Fehler auftreten. Es
ist unerlässlich, dieses Abbruchkriterium in
strenger Form einzuhalten, da sonst eine wesentliche Fehlbeurteilung der Sehschärfe resultieren
kann. Es sei darauf hingewiesen, dass es nicht
nur für die gutachterliche Prüfung der Sehschärfe
mit Landolt-Ringen, sondern auch bei der sonst
klinisch üblichen Prüfung mit anderen Optotypen
sinnvoll ist, ein vergleichbares Abbruchkriterium
einzuhalten (ca. 50 % Antwortwahrscheinlichkeit).
Es gibt zwischenzeitlich einen ersten Anschluss von Buchstaben bestimmter Bauart an
den Landolt-Ring (Abb. 1.22). Bei der Untersuchung von Saur et al. (1989) hat sich gezeigt,
dass die in der Abbildung dargestellten Buchstaben K, U, N, D und F dem Landolt-Ring, also
dem Normsehzeichen, äquivalent sind.
Noch ein Hinweis für die Praxis: Während wir
gemäß DIN 58 220 eine relativ helle Beleuchtung
benötigen (Umfeldleuchtdichte 160–320 cd/m2),
empfiehlt es sich, für die Refraktionsbestimmung
den Untersuchungsraum mäßig abzudunkeln. Als
1.3
Abb. 1.22 An den Landolt-Ring angeschlossene Buchstaben (Saur et al. 1989). Die Buchstaben K, U, N, D
und F der gegebenen Konfiguration sind dem LandoltRing äquivalent.
Anhaltswert gilt eine Raumbeleuchtung, bei der
man mit Visus 1.0 gerade noch Zeitung lesen
kann. Dadurch wird die Pupille des Prüflings
etwas weiter, so dass der stenopäische Effekt
einer engen Pupille, wie er bei höherer Adaptationsleuchtdichte auftritt, nicht zum Tragen
kommt. Die Ergebnisse der Refraktionsbestimmung werden damit genauer.
Akkommodation
Um Objekte in unterschiedlicher Entfernung
zwischen Unendlich und dem Nahbereich scharf
sehen zu können, verfügt das Augenpaar in
jüngerem Alter über die Fähigkeit, den Brechwert
beider Augen synchron zu steigern oder abzuschwächen. Diese Leistung, die von den Augenlinsen und den Ziliarmuskeln erbracht wird, bezeichnet man als Akkommodation. Landolt gab
im Jahre 1902 folgende Definition: „Unter Akkommodation verstehen wir, im Gegensatze zu
der statischen, d. h. der Refraktion des Auges im
Ruhezustand, die dynamische Refraktion, d. h.
die Refraktion, welche sich das Auge mittels der
Kontraktion seines Ziliarmuskels, resp. stärkerer
Wölbung seiner Linse, zulegt.“ Die Bezeichnung
„dynamische Refraktion“ beschreibt die Akkommodationsleistung sehr zutreffend.
19
B. Lachenmayr
Anatomie und Physiologie
Die Linse ist über die Zonulafasern an den Randbereichen des Ziliarmuskels verankert. Die Verlaufsrichtung der Zonulafasern ist prinzipiell
radiär (Abb. 1.23 a). Wenn sich der Ziliarmuskel,
der als Ring zirkulär um das Auge verläuft, kontrahiert, so verändert sich dadurch die Spannung
der Zonulafasern, die Linse kann in ihrer Aufhängung erschlaffen und die Form annehmen, die sie
gerne von Natur aus annehmen möchte, nämlich
eine etwas stärker gewölbte, mehr kugelige Gestalt. Abb. 1.23 b zeigt den genaueren Verlauf
der Zonulafasern und die Veränderungen, die
sich bei Kontraktion des Ziliarmuskels ergeben:
Ist der Ziliarmuskel entspannt (entspannte Akkommodation, Einstellung für die Ferne, unten),
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1.3 Akkommodation
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