l WINTERTHUR 15 GEMEINDERAT DER LANDBOTE MONTAG, 10. FEBRUAR 2014 NACHGEFRAGT Matthias Baumberger Parteipräsident CVP Winterthur «Die Wähler sehen uns nicht als Einheit» Michael Künzle erzielte als CVPStadtpräsident ein Rekordergebnis, gleichzeitig verliert die Partei einen Sitz im Gemeinderat. Was macht er besser als andere CVP-Politiker? Matthias Baumberger: Wir schaffen es nicht, die Popularität von Exekutivpolitikern wie Stadtrat Michael Künzle auf die Partei zu übertragen. Seit Jahren hält der Abwärtstrend an. Das ist eine grosse Herausforderung, der wir uns stellen müssen. Woran liegt das? Die CVP positioniert sich in politischen Fragen sehr breit. Dadurch ist es für die Wähler schwierig, die Partei einzuordnen und als Einheit wahrzunehmen. Liegt es nicht viel mehr am Rechtskurs, den Sie eingeschlagen haben? Die Ausrichtung der Partei hat nichts mit dem Wahlergebnis zu tun. Bis anhin war es so, dass wir eher links gerichtet waren. Nun haben wir den Kurs wieder mehr in Richtung klassische bürgerliche Mittepartei korrigiert. In den Wahlbüros gab es viel zu tun. Die Mühen der Stimmenzähler veränderten aber wenig: Keine Partei gewann oder verlor mehr als einen Sitz. Bild: Marc Dahinden CVP erhält die «Quittung» CVP und SP sind die Verlierer der Parlamentswahlen. Sitze gewonnen haben GLP, BDP und AL. Insgesamt bleiben die Kräfteverhältnisse sehr stabil: Die Blöcke links und rechts sind unverändert stark. CHRISTIAN GURTNER Es gab mahnende Stimmen. Altgediente Parteimitglieder kritisierten den Rechtskurs der jungen CVP-Exponenten: Die Partei gebärde sich wie eine katholische SVP, statt soziale Werte hochzuhalten. Der frühere Gemeinderat Haymo Empl, der zu den Kritikern gehört, hatte gestern schnell eine Erklärung für die Einbussen der Christdemokraten parat. «Das ist die Quittung», sagte er, als im Stadthaus die Resultate über den Bildschirm limmerten. CVP-Präsident Matthias Baumberger glaubt jedoch, man habe wegen der BDP verloren (siehe «Nachgefragt»). Die CVP verlor 1,6 Prozent Wähleranteil und einen Sitz (neu: 4 Sitze). Was für die christliche Partei gelten mag, trifft auf den gesamten Gemeinderat nicht zu: Die Wähler haben das Parlament nicht für den Sparkurs abgestraft. Insgesamt bleiben die Kräfteverhältnisse bemerkenswert stabil. Die bürgerlichen Parteien, die Grünliberalen eingerechnet, verfügen weiterhin über eine solide Mehrheit von 34 Sitzen. Stimmt die EVP mit rechts, beträgt die Mehrheit unverändert 38 Sitze. Die Parteien links davon sind wie bisher mit 22 Personen im Gemeinderat vertreten. Zu den Verlierern im Parlament zählt auch die SP. Die stärkste Partei büsste 2,4 Prozent Wähleranteil ein und iel unter die 25-Prozent-Marke. Auch sie verlor einen Sitz (neu: 15). Damit setzen die Sozialdemokraten einen langen Ab- NEUE SITZVERTEILUNG IM GEMEINDERAT wärtstrend fort: Seit 2002, als die Partei noch über 21 Sitze verfügte, hat die SP nur verloren. Der Vorsprung vor der SVP, der zweitstärksten Partei (unverändert: 13 Sitze), ist mittlerweile auf 1,9 Prozent und zwei Sitze geschrumpft. Trotz der Schwäche der SP bleibt der linke Block unverändert stark, weil die Alternative Liste einen Sitz gewinnen konnte (neu: 2), während die Grünen ihre fünf Sitze verteidigten. Für die Alternativen ist der Sitzgewinn ein historischer Sieg. Seit 2002 waren sie stets nur mit einer Person vertreten. Grünliberale stossen ans Dach Auch auf der rechten Seite gab es nur kleine Verschiebungen. Der Verlust der CVP wird durch den Sitzgewinn der BDP kompensiert. Die junge Partei trat erstmals an und schaffte sogleich den Einzug ins Parlament, wenn auch mit dem tiefsten Wähleranteil insgesamt (1,5 Prozent). Zu den Siegern zählt Die CVP ist aber die einzige Mittepartei, die einen Sitz verloren hat. Das stimmt. Der fünfte Sitz wackelte aber bereits bei den letzten Wahlen 2010. Zudem hat uns die negative Berichterstattung im «Landboten» geschadet. Dass wir nun nur noch mit vier Sitzen im Parlament vertreten sind, war zu erwarten. auch die grünliberale Partei. Sie gewann einen Sitz hinzu (neu: 7) und wurde in ihrer Rolle als Mehrheitsbeschafferin im Rat gestärkt. Die Zeit der grossen Sprünge – 2010 verdreifachte die Partei noch den Wähleranteil – scheint aber für die GLP vorbei. Die Schweizer Demokraten (zuletzt: 1 Sitz) traten nicht mehr an. Unverändert bleiben die Sitzzahlen der EVP (4), der EDU und der Piraten (je 1). Das Wahlresultat lässt erwarten, dass sich an der Politik des Gemeinderats in den nächsten vier Jahren wenig ändern wird. Das Parlament dürfte an seinem Sparkurs festhalten und Steuererhöhungen zu umgehen versuchen. In ökologischen Fragen besteht weiterhin eine klare grüne Mehrheit. Dank des Sitzgewinns der GLP ist der Gemeinderat sogar ganz leicht grüner geworden. SP, Grüne, AL und Grünliberale/Piraten verfügen zusammen mit der EVP neu über eine Mehrheit von 34 Sitzen. Ist das schlechte Wahlergebnis nicht auch eine Folge der Sparallianz mit den bürgerlichen Parteien? Die CVP konnte von der Sparallianz nicht so proitieren, wie dies andere Mitteparteien getan haben. Es war uns aber ein Anliegen, dass in der Stadt gespart wird. Was kann die CVP besser machen? Es war ein Fehler, dass die CVP Schweiz mit der BDP national Inserate geschaltet hat. Die BDP hat so auf unsere Kosten einen Sitz im Gemeinderat erhalten. (nak) DIE ENTWICKLUNG DER WÄHLERANTEILE VON 1982 BIS 2014 35 Angaben in Prozent 35,0 33,2 CVP 4 (–1) 30 SP 29,8 25 FDP 25,1 30,7 29,0 27,3 FDP 7 26,8 24,0 22,4 BDP 1 (+1) 20 20,7 19,8 AL 2 (+1) Total 60 Sitze QUELLE: RED l GRAFIK: DKI SVP 13 16,9 15 10 15,3 12,4 9,5 8,9 8,5 7,8 Grüne 5 16,3 12,9 SVP 11,9 CVP 11,3 EVP 5,5 9,9 9,1 8,7 8,5 8,0 7,1 6,2 7,8 7,7 6,9 9,6 8,5 7,9 7,4 7,1 6,8 EDU 1 GLP 0 1982 1986 1990 1994 1998 2002 9,9 8,0 7,6 6,6 20:24 Bürgerliche Mitte-Links Die Reihenfolge im Blut Die Gründung der Bürgerlich-Demokratischen Partei BDP fusste auf der Abspaltung von der SVP. Der Winterthurer BDP-Kandidat Jan Stiefel scheint sich nun gar vom gesamten bürgerlichen Block distanzieren zu wollen. «Ich bin ein Mitte-Links-Politiker», sagte er im Stadthaus. Parteikollegin Yvonne Gruber plichtete bei: «In der BDP hat es eben Platz für vieles.» Nomen ist halt nicht immer Omen. (mpl) Wer im Gemeinderat sitzt, weiss genau, wo sein Platz ist – auch ausserhalb des Ratssaals. Das haben gestern vier Parlamentarier und zwei Parlamentarierinnen bewiesen, als sie sich vor dem grossen Bildschirm im Stadthaus aufreihten, um gespannt die ersten Wahlresultate abzuwarten. So standen von vorne gesehen spontan die Politiker von links nach rechts in einer Reihe: David Berger (AL), Christa Benz (SP), Jürg Altwegg (Grüne), in der Mitte Michael Zeugin (GLP) und rechts Daniel Oswald (SVP) und Christa Kern (SVP). (meg) 12,3 11,1 8,3 6,1 6,0 2,9 2006 2010 WAHLSPLITTER Das Auszählen der Stimmen dauerte gestern länger als erwartet. Erst kurz vor halb neun Uhr abends wurden die Resultate der Gemeinderatswahlen bekannt gegeben. Manch einer hegte den Verdacht, die Stadt habe auch bei den Stimmenzählern gespart. Andere glaubten, die Wartezeit solle die Spannung erhöhen. Der Grund könnte woanders liegen: Gleichzeitig den Schweizer Athleten in Sotschi zuzusehen und Stimmen zu zählen, kann schon mal länger dauern. (nak) 24,4 22,5 19,0 17,4 17,3 SP 15 (–1) 21,7 Yeah Baby. AL deinitiv +1 in Winti! David Berger ’’ Im September 2013 war er nach seiner Verhaftung an der Tanzdemo noch zum Rücktritt aufgefordert worden – gestern freute sich der AL-Politiker auf Twitter über den Erfolg seiner Partei. 2014 QUELLE: STADT WINTERTHUR l GRAFIK: DKI Grüne 5 PP GLP EVP 1 7 (+1) 4