Editorial 128 Rückzug der Klonkrieger? Zum Verhältnis von Ethik und Biomedizin. 왘 Als ich von der wissenschaftlichen Redaktion des BIOspektrums gebeten wurde, ein Editorial zum Verhältnis von Biomedizin und Ethik zu verfassen, hatte ich zunächst Zweifel, ob es mir gelingen würde, für dieses Thema eine ausreichende Aufmerksamkeit der Leser zu gewinnen. Einerseits schien die Bereitschaft in der heutigen Biomedizin größer denn je, sich der ethischen Dimension zu stellen. Insofern könnte ein Votum für eine ethische Reflexion Gefahr laufen, offene Türen einzurennen. Andererseits war just zu dem Zeitpunkt, als mich die Bitte erreichte, weit und breit kein brisantes Problem in den Medien absehbar, sodass die Erinnerung an die möglicherweise vorhandenen ethischen Implikationen ihrer Handlungen von den Fachvertretern leicht als lästige Störung in einer lang erwarteten Ruhephase wissenschaftlicher Sacharbeit empfunden werden konnte. Der Zufall wollte es, dass diese Sacharbeit in den biomedizinischen Forschungslabors weltweit durch ein Ereignis kurz vor Weihnachten abrupt unterbrochen wurde. Die unüberhörbaren Zweifel an den Arbeiten des südkoreanischen Klonpioniers Hwang WooSuk, sein Versuch, die Veröffentlichung seiner Ergebnisse in Science zurückzuziehen und schließlich das Eingeständnis von Betrug sowie der Rückzug von allen Ämtern machten deutlich, dass die Vorstellung von isolierter Sacharbeit im Sinne eines starken Wertfreiheits-Postulats reine Fiktion ist. Dabei geht es noch nicht einmal um die allgemeine ethische Erörterung des therapeutischen Klonens. Es geht zunächst viel konkreter um Fragen der direkten Forschungspraxis in diesem einen Fall, die allerdings exemplarische Bedeutung besitzen. So ist umstritten, ob die noch vor kurzem so gefeierte erstmalige Herstellung humaner embryonaler Stammzellen aus einem geklonten menschlichen Embryo nicht hinsichtlich der Gewinnung der Eizellen ethisch äußerst fragwürdig ist. Die Gerüchte über finanzielle Entlohnung der Eizell-Spenderinnen und über berufliche Abhängigkeiten nehmen kein Ende. Es ist weiter davon auszugehen, dass die in Science präsentierten Stammzelllinien schlicht gefälscht, respektive frei erfunden sind. Wobei vor allem die Bedeutung von Bildern – in diesem Fall Abbildungen der DNA-Muster als Beleg der Existenz der fraglichen Zellen – offensichtlich wurde. Dass der „Fall“ Hwang Woo-Suk über diese direkte Labor- und Publikationspraxis weit hinausgeht, zeigen die globalen Ver- flechtungen: So etwa die dubiose Rolle von Co-Autor Gerald Schatten von der University of Pittsburgh. Dessen per Presseerklärung vom 12. November 2005 vorgenommene Aufkündigung der Zusammenarbeit zeigt auch die Abhängigkeit der ethischen Erörterung von internationaler Konkurrenz, Karriereplanung sowie schlicht vom Geld (in diesem Fall wohl erhoffte Einnahmen aus Patenten). Die globale Dimension des „Falles“ wird dann auch in der in der Zeitschrift Science Express veröffentlichten Stellungnahme maßgeblicher Stammzellforscher erkennbar. Zudem verweist diese Stellungnahme auf die Rolle der Fachorgane sowie der Qualität ihrer Prüf- und Kontrollinstrumente aber auch auf die Frage der mit einer Co-Autorschaft übernommenen Verantwortung. Fragt man nach den Gründen für das vermutliche Fehlverhalten von Hwang, so wird man schnell, über rein persönliche Motive hinaus, auf strukturelle Aspekte verwiesen: etwa auf den steigenden Publikationsdruck einer „datengetriebenen“, biomedizinischen Forschung, auf die teilweise überzogenen Heilserwartungen der Medienöffentlichkeit, auf die immer rigoroseren Karrierestrategien oder gar auf die Bedingungen einer zunehmend durch Dritte gesteuerten Wissenschaft unter ökonomischem Verwertungsinteresse. Erinnert sei hier nur an die Ad-hoc-Debatte um einen biopolitischen Kurswechsel in Deutschland – ausgelöst durch die damalige Publikation der südkoreanischen Klonerfolge (FAZ 23.05.2005)! Für das Verhältnis zwischen Ethik und Biomedizin bedeutet all dies, dass die zu klärenden Probleme ein weites Spektrum von Fragen umfassen: Sie reichen vom Standesethos der Forscher, im Sinne einer Orientierung an der „guten wissenschaftlichen Praxis“, über die externe Verantwortung bei Anwendung wissenschaftlicher Ergebnisse bis hin zur Erörterung des gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Rahmens. Fragt man sich, wie Fälle von der genannten Art vermieden werden können, so darf man wohl kein simples Universalrezept erwarten. Eine ganze Reihe von möglichen Maßnahmen ist denkbar: von der Verbesserung der fachlichen Kontrollorgane (auf Ebene der Ständeorganisationen, der Fachjournale, der wissenschaftlichen Institutionen) bis hin zur Ausbildung schnellerer und wirksamerer Sanktionsmechanismen. „Nachhaltig“ wird sich jedoch die Selbstverständlichkeit eines aufmerksamen, verantwortlichen und kritischen wissenschaftlichen Verhaltens nur durch eine frühe und dann kontinuierliche Förderung des ethischen „Bewusstseins“ schon bei jungen Forschern sichern lassen. Dazu ist stärker als bisher dieser Aspekt in der Ausbildung zu verankern. Das heißt: Aufnahme von entsprechenden Ausbildungselementen in die fachlichen Curricula. Diese dürfen jedoch nicht nur – auch das lehrt der Fall Hwang – auf die Ethik der Biomedizin beschränkt sein, sie müssen vielmehr auch Aspekte der Geschichte, der Methodenlehre und der Soziologie der Biowissenschaften umfassen. Wichtige neue Fachgremien – wie das Ombudsgremium der DFG – sollten zudem durch weitere institutionelle Formen ergänzt werden – man denke an angelsächsische Vorbilder wie das Centre for Genomics in Society (Engis) in Exeter. Kristian Köchy Institut für Philosophie, Universität Kassel Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Dr. Kristian Köchy Institut für Philosophie Universität Kassel Nora-Platiel-Str. 1 D-34109 Kassel [email protected] BIOspektrum · 2/06 · 12. Jahrgang