Öfter mal ins Kino gehen

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# 2002/04 Inland
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Schröder vs. Stoiber
Öfter mal ins Kino gehen
Von thies marsen
Der Bundestagswahlkampf ist eröffnet. Sein Höhepunkt soll ein Fernsehduell
werden.
Wir fühlen uns in unserer Auseinandersetzung mit den aktuellen Problemen unseres
Landes und der Welt mehr und mehr an die uns wohlbekannten Übel der Diktatur
erinnert. So können wir uns zwar alle vier Jahre bei den Wahlen für eine von vielen
streitenden Parteien entscheiden. Wir stellen jedoch fest, dass die Programme dieser
Parteien mit der Politik, die sie dann tatsächlich machen, kaum etwas zu tun haben.«
Mit diesen Worten beschwerten sich Ende des vergangenen Jahres ehemalige DDRBürgerrechtler in ihrem Appell »Wir haben es satt« über das politische System der
Bundesrepublik Deutschland. Es handelte sich vor allem um Personen aus der Umgebung
des ehemaligen Neuen Forums, die zu dieser völlig überraschenden Einsicht gekommen
waren. »Die politischen Losungen in der DDR waren selten lustig, sie werden in ihrer
Hohlheit von den Wahlwerbungen der Parteien heute übertroffen«, mokierten sich
Wolfgang Ullmann, Sebastian Pflugbeil, Reinhard Schult und andere. »Wir haben uns über
das Abstimmverhalten der Volkskammerabgeordneten amüsiert. Angesichts des
Abstimmverhaltens der Bundestagsabgeordneten ist uns das Lachen vergangen.«
Was werden sie wohl in den nächsten Monaten machen, da in der real existierenden
Bundesrepublik wieder die Zeit der besonders hohlen Parolen angebrochen ist? Seitdem
die Union ihre so genannte K-Frage beantwortet hat, läuft der Bundestagswahlkampf auf
Hochtouren. Und alles deutet daraufhin, dass er noch penetranter, vielleicht noch ein
wenig aggressiver geführt wird als in den vergangenen Jahrzehnten.
Denn diesmal werden nicht nur die Städte und Dörfer mit grinsenden Visagen
zugekleistert und es wird nicht nur Wahlwerbespots zur besten Sendezeit geben, in denen
so legendäre Hits wie der SPD-Schlager »Wir wollen wie die Wolken sein« unter das Volk
gebracht werden. Nein, Bundeskanzler Gerhard Schröder und sein Herausforderer
Edmund Stoiber wollen sich auch noch zur prime time im Fernsehen duellieren.
Für Abwechslung ist also gesorgt, zumal sich Schröder und Stoiber in Sachen Populismus
in nichts nachstehen. Die Parolen und Phrasen, die sich die beiden Politikdarsteller im
September im Fernsehen gegenseitig um die Ohren hauen werden, werden dem Wahlvolk
allerdings bis dahin schon längst aus den Ohren quellen. Deshalb dürfte es beim TV-Duell
um ganz andere Dinge gehen: um Mienenspiel, Haltung, Intonation, Gehabe - und um die
Rasur. Als beim ersten TV-Wahlkampfduell 1960 die US-Präsidentschaftskandidaten
Richard Nixon und John F. Kennedy aufeinander trafen, gaben - so wird allgemein
kolportiert - Nixons Bartstoppel den Ausschlag für seine Wahlniederlage. Ein spätes
Argument für eine Kandidatur Angela Merkels.
Weil Schröder es sich weder mit den öffentlich-rechtlichen Sendern noch mit Leo Kirch
verderben will, hat er zwei Duelle vorgeschlagen. Eins vier Wochen und ein zweites
unmittelbar vor der Wahl am 22. September; eins für ARD und ZDF und eins für RTL und
Sat1. Am liebsten aber wäre es Schröder, alle Sender würden für das Rededuell
gleichgeschaltet und auf allen Fernsehapparaten der Republik wäre für ein bis zwei
Stunden nichts anderes mehr zu sehen als Schröderstoiber. »Und wer keine Politik sehen
will, der kann ja mal ins Kino gehen«, schlug der Kanzler vor. Warum eigentlich nicht
gleich noch eine Ausstrahlung in den Kinos?
Die kleineren Parteien sehen der anstehenden Auseinandersetzung etwas missmutig
entgegen. Die FDP fürchtet um die Chancengleichheit. Obwohl der Sender RTL ein
zusätzliches »Duell der Kleinen« vorgeschlagen hat - Westerwelle gegen Fischer, die PDS
war nicht vorgesehen - wollen die Liberalen das Fernsehduell zwischen Schröder und
Stoiber sogar gerichtlich verbieten lassen. Denn wie will man 18 Prozent der Stimmen
gewinnen, wenn man nur unter den kleinen Parteien einsortiert wird?
Bei den Grünen und der PDS kommentiert man die Angelegenheit gelassener. »Ich glaube
nicht, dass irgendwelche Probleme gelöst werden, wenn sich zwei Jungs im
Nachtprogramm streiten«, befand die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Petra Pau.
Vor der weiteren Personalisierung der Politik sind indes auch die kleinen Parteien nicht
gefeit. Für die Westerwelle-FDP und die Gysi-PDS war das ohnehin nie ein Problem. Die
Grünen jedoch wollten einstmals Inhalte und nicht Personen in den Vordergrund stellen.
Nun aber haben sie die Gelegenheit genutzt, um ein weiteres Überbleibsel aus ihrer
Oppositionszeit über Bord zu werfen. Im September wird die Partei erstmals offiziell mit
einem Spitzenkandidaten antreten: mit Außenminister Joseph Fischer. Am Montag
ernannte ihn der Parteirat der Grünen auf Vorschlag der Parteiführung offiziell zum
Spitzenkandidaten.
Zuvor hatte man sich auf dem kleinen Parteitag in Magdeburg kämpferisch gegeben. Es
setzte Attacken auf Stoiber, der für den »Kohlschen Mehltau« stehe, wie die
Parteivorsitzende Claudia Roth meinte, ihr Kollege Fritz Kuhn prophezeite der Partei ein
besseres Wahlergebnis als 1998. Um die Globalisierungsgegner als Wähler zu gewinnen,
forderte man in Magdeburg die Einführung der so genannten Tobin-Steuer auf
Spekulationsgewinne.
Doch das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die Grünen rechtzeitig vor der
Bundestagswahl von ihren linken Feigenblättern verabschieden. Hans-Christian Ströbele
verpasste am vergangenen Samstag bei der Mitgliederversammlung der Berliner Grünen,
auf der die Berliner Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl gewählt wurden, den
zweiten Listenplatz, er unterlag in der Stichwahl gegen den Realo und ehemaligen
ostdeutschen Bürgerrechtler Werner Schulz.
Platz eins besetzte erwartungsgemäß Verbraucherschutzministerin Renate Künast. Wegen
der Verkleinerung des Bundestages werden die Berliner Grünen voraussichtlich nur zwei
ihrer Leute ins Parlament bringen, d.h. Ströbeles Zeit als Bundestagsabgeordneter dürfte
dem Ende entgegen gehen. Und auch Winfried Hermann, der wie Ströbele immer wieder
gegen deutsche Kriegseinsätze votierte, wird bei der Listenaufstellung in BadenWürttemberg wohl den Kürzeren ziehen.
Vielleicht verabschieden sich die Grünen aber auch gemeinsam aus dem Bundestag.
Denn trotz Joseph Fischers andauernder Popularität rangieren sie in den Umfragen derzeit
nur knapp über der Fünfprozentmarke. Und die steigende Zahl der Arbeitslosen, die im
Januar über vier Millionen liegen dürfte, und die schlechten Konjunkturdaten für 2002 das deutsche Wirtschaftswachstum soll im Jahr 2002 nur noch 0,75 Prozent betragen bringen die rot-grüne Bundesregierung mehr und mehr in Bedrängnis.
Deshalb muss es aber nicht automatisch zum Sieg für Edmund Stoiber reichen. Die Union
muss nach der K-Frage jetzt die W-Frage beantworten: Wer wird Stoibers
Wahlkampfmanager? Der ehemalige Leiter der hessischen Staatskanzlei, Franz Josef Jung,
hätte zwar schon allein wegen seiner Vornamen und seiner Verwicklung in diverse
Schwarzgeldaffären gut zu Stoiber gepasst. Jung aber hat abgelehnt, weil ihm die
Wahlkampfmannschaft nicht gefällt.
Das »Stoiber-Team« soll von Stoiber und Angela Merkel gemeinsam geleitet werden und
unter anderem aus den Unionspolitikern Jürgen Rüttgers, Wolfgang Schäuble, Christian
Wulff und Horst Seehofer bestehen. Dass Stoiber Wolfgang Schäuble wieder in die erste
Reihe holt, ist dabei als ein durchaus raffinierter Schachzug zu bewerten. Er bindet damit
die CDU gut in seinen Wahlkampf ein, besser als es Franz Josef Strauß 1980 gelang.
Festzustehen scheint auch schon ein weiteres Thema des Wahlkampfs neben der rotgrünen Wirtschaftspolitik. Bayerns Innenminister Günther Beckstein (CSU) kündigte in der
Zeitung Welt am Sonntag an, dass die Zuwanderung auch dann thematisiert werde, wenn
die Bundesregierung mit den Stimmen der Brandenburger Koalition aus der SPD und der
CDU noch vor der Wahl ein Zuwanderungsgesetz durch den Bundesrat bringe.
Das lässt erahnen, welche Fragen die Nation in den nächsten Monaten bewegen werden.
Um dem Ganzen zu entgehen, hilft wohl nur, sich zu Hause einzusperren und die Glotze
aus dem Fenster zu schmeißen. Oder doch öfter mal ins Kino?
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