- ZZ Wancor AG

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I N T E R N AT I O N A L E S M A G A Z I N F Ü R Z I E G E L A R C H I T E K T U R
02 2016
www.architectum.com
#19
RENOVIERUNG
02 | EDITORIAL | IMPRESSUM
34
CHRISTOF DOMENIG
CEO CLAY BUILDING MATERIALS EUROPE
EDITORIAL
Es gibt viele gute Gründe, sich für eine Renovierung zu entscheiden: Der Erhalt von gebau­
ter Tradition und Werten über Generationen, die Anpassung von Raumkonzepten in S
­ inne
einer flexiblen Nutzung, Wertsteigerung, Energieeffizienz, Verbesserung der Infrastruktur
und Wohnqualität und natürlich spielt die Wiederherstellung der ursprünglichen Ästhetik
eine wichtige Rolle.
In der Vergangenheit wurden Gebäude oft ohne langes Nachdenken abgerissen und hoch­
wertige Bausubstanz vernichtet. Dies hat sich in den letzten Jahren geändert. Renovie­
rung liegt im Trend. Geschichtsträchtige Gebäude wie die Preußensiedlung, gebaut 1913
in Deutschland, werden nicht nur erhalten sondern perfektioniert.
Aber wie sieht es mit der finanziellen Komponente aus? Wer wirtschaftlich denkt, muss
­diesen Faktor miteinbeziehen. Durch eine energetische Erneuerung der Baumasse werden
erhebliche Energiekosten eingespart, wie im Fall der Wohnanlage Mettmann in Deutschland
bei der sich der Energieverbrauch durch eine erfolgreiche Renovierung nahezu h
­ albierte.
Der Wiederverkaufswert von erneuerten Gebäuden ist zudem deutlich höher. Die Eigen­
tümer des Hauses in Mechelen, Belgien konnten dank einer geglückten Renovierung 20 %
Anlagerendite erzielen – eine lohnende Investition.
Um Renovierungsprojekte erfolgreich umzusetzen, benötigt man Experten. Architekten
­beleben und verbessern alte Bausubstanz mit Kreativität und Know-How. Auch die Wahl
des richtigen Baustoffes ist entscheidend. Ziegel ist Teil unserer Baukultur, wertbeständig,
wirtschaftlich, energieeffizient und zeitgemäß. Die einzigartigen Projekte dieser Ausgabe
zeigen deutlich: Eine professionelle Renovierung, in Zusammenarbeit mit einem Architek­
ten, lohnt sich auf jedem Fall!
Viel Vergnügen wünscht
Christof Domenig
IMPRESSUM
Evelyn Parv (EST), Maria Pasca (RO), Norbert Prommer (AT), Jolanda Stam (NL), Eszter Takacs (HU), Alexa Uplegger (DE)
WIENERBERGER AG
CLAY BUILDING MATERIALS EUROPE
A-1100 Wien, Wienerberg City
Wienerbergstraße 11
T +43 (1) 601 92-10551
[email protected]
GRAFIK UND DESIGN Österreichischer Wirtschaftsverlag DRUCK + PRODUKTION Ueberreuter Print GmbH
www.architectum.com
HERAUSGEBER Wienerberger AG, 1100 Wien VERLAG Österreichischer Wirtschaftsverlag GmbH, 1120 Wien CHEFREDAKTION
Andrea Blama (Wienerberger AG) MITARBEIT Aleksandar Beronja (SRB), Susanne Karr (AT), Sabine Merlevede (BE),
www.architectum.com
twitter.com/architectum
youtube.com/wienerbergerofficial
INHALT | 03
08
14
20
26
04
05
NEWS
TARO TSURUTA
Interview
DA CH
08
ZWEITER FRÜHLING FÜR DIE
­PREUSSENSIEDLUNG
Deutschland
10
HISTORISCHES HERZ VON EINDHOVEN:
PREISWERTE VERMIETUNG
12
EIN NEUES DACH: HISTORISCHE OPTIK
MIT NEUESTER TECHNOLOGIE
Niederlande
Serbien
16
14
STÄDTISCHE RENOVIERUNG MIT
MEHRWERT
Belgien
FAS S ADE
16
20
ALTE ERINNERUNGEN WACH HALTEN
22
KONZIPIERT, UM SIE ZUM SCHWITZEN
ZU BRINGEN
26
FAMILIENWOHNGEGEND –
­RENOVIERTE UND NEU GEBAUTE
HÄUSER IN BALANCE
Großbritannien
ENERGIEBEDARF HALBIERT,
VERKAUFSWERT VERDOPPELT
Deutschland
Estland
Niederlande
30
H IS T ORIS C H
28
EIN BEEINDRUCKENDER ZEITZEUGE
IN NEUEM GLANZ
30
WIEDERGEWINNUNG EINER
­VERGESSENER PRACHT
34
NACHHALTIGKEIT TRIFFT AUF
­BAROCKE ARCHITEKTUR
Österreich
Rumänien
Ungarn
04 | NEWS | NEUE PRODUKTE
WASSERSTRICH SPEZIAL –­
ZUSÄTZLICHE MODELLE AUF DEM
­L AUFSTEG DER ­T ONZIEGEL
Matte, ungeschliffene Wasserstrich-Vormauerziegel haben eine reiche
Schattierung und sind das Ergebnis eines komplizierten Herstellungsver­
fahrens. Der Ton wird zuerst in eine Form gepresst und dann gerollt. Dann
werden die Ziegel aus der Form getrieben, wodurch ihre unregelmäßige
Wasserstrich-Struktur entsteht. Die Serie mit ihrer extra langen und leicht
abgeschabten Struktur geringer Dicke hat viele Liebhaber gefunden. Die
Wasserstrich-Spezial-Vormauerziegel, die in unserem Werk in Beerse/
Belgien hergestellt werden, sind jetzt in vier zusätzlichen Farben erhältlich:
weiß, opalweiß, grauweiß und quarzgrau. Diese Töne mit ihrer faszinie­
renden Tiefe und reichen Schattierung erhält man durch die EngobeBeschichtung weißer oder grauer Bodenziegel.
www.wienerberger.be | [email protected]
ALEGRA 15 – DER INEINANDER GREIFENDE,
LEICHT GEBOGENE TON-DACHZIEGEL FÜR
­R ENOVIERUNGEN UND NEUBAUPROJEKTE
Dank des kleinformatigen Dachziegels von nur 14 St./m2 und des Überde­
ckungssystems garantiert der Alegra 15 eine ruhige und harmonische Dach­
eindeckung. Und angesichts der empfohlenen Mindestdachneigung von ≥ 20°
ist der Ziegel bestens geeignet für Sanierungsprojekte, wo ein weniger steiles
Dach erforderlich ist. Außerdem ist Alegra 15 auf Grund seiner geringen Breite
für Dachdecker einfach zu handhaben. In Verbindung mit dem Wienergerberger
Sturmfix 2.0 System können die Ziegel befestigt werden. Es bietet Sturmsicher­
heit für jedes Dach und erhöhte Sicherheit bei extremen Wetterbedingungen.
In Bogen/Deutschland hergestellt, das bekannt ist für elegante Engoben, bietet
die Palette von sieben unterschiedlichen Farben jedem Sanierungsprojekt ein
individuelles Erscheinungsbild. www.wienergerber.de
[email protected]
IBERIA-SERIE – INSPIRIERT DURCH DIE
­S PANISCHE ART ZU BAUEN
Iberia-Ziegel werden handgeformt, um der Tradition und der Authentizi­
tät Ausdruck zu verleihen. Die tiefe, grobkörnige Struktur gibt Fassaden
ein strahlendes, warmes und historisches Erscheinungsbild. Vier der fünf
erhältlichen Farben (Andalucia, Asturias, Catalonia und Galicia) werden ge­
sintert, um ihnen ein noch charakteristischeres Aussehen zu verleihen. Die
fünfte Farbe – Navara – hat eine leichte Schattierung, um ein dezentes und
trotzdem markantes Aussehen und Gefühl zu vermitteln. Alle Farben wur­
den durch besondere Gebäude inspiriert. Die Kathedrale Sagrada Familia
in Barcelona diente als Inspiration für Katalonien (Catalonia). Die Kathedrale
in Santiago de Compostella reflektiert die für Galizien typischen Farben. Die
Farbe Asturia erinnert an Santa Maria de Naranco in Oviedo. Das JavierSchloss verkörpert die Schattierungen von Navarra, und Andalucía verweist
auf die Farben des Alhambra-Palastes in Granada. Die warmen Farben
erzeugen Vertrauen und Begeisterung und verleihen den Fassaden der
zeitgenössischen und Sanierungsprojekte Vitalität.
www.wienerberger.nl | [email protected]
Marie-Cecile Embelton
TARO TSURUTA | INTERVIEW | 05
„House of Trace”
TRADITION TRIFFT AUF MODERNE
NACHHALTIGKEIT
Ihr Projekt „House of Trace” ist mit mehreren Preisen ausgezeichnet worden, darunter auch 2016 mit
dem britischen Architekturpreis RIBA. Das Londoner Projekt ist eine Neuinterpretation und Renovierung eines Wohnhauses. Es sieht umwerfend elegant, einfach, aber auch anspruchsvoll aus. Gibt es
einen besonderen Grund dafür, Gebäude zu renovieren, anstatt sie abzureißen?
„House of Trace“ ist eigentlich kein Erhaltungsprojekt, denn ein solches
hat normalerweise mit historischen oder architektonischen Werten zu
tun, die mit dem kollektiven Gedächtnis zusammenhängen. Ich inter­
essiere mich für persönliche Erinnerungen, die mit Räumen und Orten
verbunden sind. Der alte Anbau des Gebäudes war typisch und hatte
ein Schrägdach, wie viele andere in Reihenhausgärten. Es hat eigentlich
keinen großen Wert, es ist so banal. Ich wollte diese „Banalität“, die mit
dem gewöhnlichen alltäglichen Leben in Verbindung gebracht werden
kann, beibehalten. Es ist interessanter, den anderen Teil zu erhalten,
nicht den materiellen Wert, sondern die Erinnerung.
Aber ist Banalität etwas, das Sie als positiv bezeichnen würden?
Denn im Deutschen steht das Wort „banal“ eher für etwas Negatives.
Ja, ich weiß, es ist ein besonderer Ausdruck. Das Haus ist banal in sei­
nem Aussehen. Es ist vollkommen unbedeutend. Es spiegelt das alltägli­
che Leben wider. Deshalb wollte ich im Haus diese Bedeutungslosigkeit
erhalten und daraus etwas machen, das eine größere Herausforderung
darstellt. Die Frage war: Soll es besser renoviert oder abgerissen wer­
den? Ich wollte den im Haus bestehenden Riss erhalten, als Erinnerung,
damit man weiß, was mit dem Haus geschehen war. Normalerweise
06 | INTERVIEW | TARO TSURUTA
1.
2.
3.
4.
hätte man in einem Renovierungsprojekt den Riss vollkommen besei­
tigt und neue Ziegelsteine darin eingesetzt. Aber wir haben den Riss
nur einfach behoben und die Spuren belassen. Das alltägliche Leben
eines benutzten Hauses hat etwas mit dem Alter zu tun. Ich wollte diese
Alterung des Hauses erhalten. So wird der neue Teil des Hauses zusam­
men mit dem früheren altern, um sich in das neue Leben der Bewohner
einzupassen.
Es ist also wie ein Lebensprozess, den Sie aufzeigen können, wenn
Sie alte Materialien in Verbindung mit neuen verwenden.
Ja, sie leben zusammen. Ein weiterer Aspekt ist natürlich die Verschwen­
dung. Wirft man Dinge aus der Baustelle hinaus, fällt viel Abfall an, und
es wird viel Energie verbraucht, um den Abfall ab und neue Materialen zur
Baustelle hin zu transportieren. Wegwerfen ist nicht nachhaltig, aber Wie­
derverwenden ist zeitaufwendig, weil man die Teile, die man wiederver­
wenden kann, aussortieren muss. Und gelegentlich findet man etwas…
Eine Renovierung kann voller Überraschungen sein…
Genau. Es gibt Aspekte, die eine Herausforderung sind. Bezüglich der
Effizienz ist sie natürlich komplett anders.
Das heißt, in einem Gebäude ist immer viel „graue Energie“ gespeichert.
Ja, und das ist auch eine Herausforderung. Die neuen Materialien sind
immer innovativ. Nach den Vorschriften zu arbeiten wird immer schwe­
rer, je höher die Latte liegt, beispielsweise im Bereich Heizung. Aber wir
passen uns so weit wie möglich an die neuen Bestimmungen an.
Also sind Ihrer Meinung nach die Vorteile der Renovierung sehr klar.
Ja, an erster Stelle wird die Verschwendung minimiert.
Room no roof
Bedroom
Living Room
Hair salon
Und die Wiederverwendung des Materials bedeutet auch die Unterstützung der Nachhaltigkeit.
Die Auswahl der wiederverwendbaren Ziegelsteine ist eine sehr zeitin­
tensive Arbeit. Aber da dies auf der Baustelle geschieht, verringern sich
die Transporte neuer Materialien.
Die Verwendung der alten Materialien stärkt den Charakter des
Hauses, indem er neu interpretiert wird. Stimmen Sie dieser Aussage zu?
Ja. Ich mache das bei einem anderen Projekt, bei dem wir die alten
Fenster aufbewahrten, nachdem wir sie durch Fenster mit Doppelver­
glasung ersetzt hatten. Wir hätten sie sonst wegwerfen müssen, aber
wir behielten sie, um sie erneut zu verwenden, vielleicht in einem Innen­
bereich. Denn sie waren symbolisch geworden. Sie waren lange Zeit
dort, schützten das Haus 100 Jahre lang. Jetzt können sie anderweitig
verwendet werden. Dem Charakter wird ein anderer Körper gegeben.
Es ist wichtiger, wie man ihn interpretiert. Und die Art und Weise, wie
wir das Alte als etwas Neues interpretieren, das ist der Schlüssel. Ich
bin der Ansicht, der Ansatz des Erhaltens ist gut, aber manchmal will
der Kunde, dass das renovierte Gebäude dem alten ähnlich sieht. Für
mich stellt sich die Frage: Wie kann man es uminterpretieren, um etwas
Neues zu gestalten?
Es soll also möglich sein, die alten von den neuen Teilen zu unterscheiden?
Die Schaffung von Kontrasten ist wohl ein weiterer wesentlicher Aspekt.
Zuerst ist es nur alt. Und dann versuche ich, das Alte aufzufrischen.
Selbst wenn man altes Material und einen alten Raum verwendet, kann
man ihm eine Art neues Leben verleihen. Man muss ihn als etwas Ande­
res (Neues) interpretieren.
TARO TSURUTA | INTERVIEW | 07
Renovierungs-Projekt „Room no roof“ von Tsuruta architects.
Welcher Aspekt stellt die größte Herausforderung dar, wenn man
ein mehrgeschossiges Gebäude angeht?
Es ist wirklich schwer vorherzusehen, was geschehen wird – man reißt
einige Teil ab und entdeckt dann etwas Unerwartetes. Das geschieht
während der Bauphase. Aber der Preis für das Projekt wurde bereits
vorher festgelegt, und wenn etwas Unerwartetes geschieht, muss man
unter Umständen den Preis oder das Design ändern. Es ist also eine
Art Verhandlung zwischen Kosten und Anpassung an die Umstände.
Manchmal stellt das eine Gelegenheit dar, neue Lösungen einzubrin­
gen. Ist man in der Lage, diese Herausforderungen zu meistern, kommt
am Schluss immer etwas Unerwartetes heraus. Ich hatte beispielswei­
se ein Projekt, bei dem ich eine Stahltreppe vorgeschlagen hatte. Aber
wir fanden heraus, dass es zu schwierig sein würde, die Stahlstruktur
an der Ziegelwand zu befestigen. Also kamen wir letztendlich zu einer
ungewöhnlichen Holztreppe. Wenn man eine gute Lösung finden kann,
dann kann sich das Unerwartete positiv auswirken. Das ist die Heraus­
forderung.
Welche Rolle spielen Nachhaltigkeit und Energieeffizienz bei Ihren
Renovierungsarbeiten?
Selbstverständlich ist es wichtig, energieeffizient zu bauen, aber das
energieeffizienteste Gebäude ist eines, das man lange nutzen kann. Da
Häuser sehr energieintensiv sind, besteht eine der nachhaltigsten Bau­
möglichkeiten darin, bereits bestehenden Gebäuden ein neues Leben
zu verleihen, etwas Altes als etwas Neues umzuinterpretieren.
Ist es einfacher zu renovieren oder einen Neubau zu errichten?
Allgemein ist es einfacher, ein neues Gebäude zu errichten, aber Neu­
bauprojekte bieten anfänglich mehr Möglichkeiten, was diesen Teil
schwieriger macht. Auf der anderen Seite wird bei Renovierungsprojek­
te mit Einschränkungen gearbeitet. Bei einer Renovierung ist bereits ein
bestimmter Rahmen vorgegeben, also sind solche Projekte am Anfang
leichter. Aber die Arbeit wird auf der Baustelle schwieriger. Beides hat
seine Vor- und Nachteile.
Welche Hindernisse unterbinden ehrgeizige Gebäuderenovierungen in Europa, und wie kann man diese überwinden?
In England empfinden die Menschen viel Nostalgie für Ziegelsteinge­
bäude. Also wird bei Wohnprojekten viel renoviert. In Europa hingegen
bevorzugen die Menschen eher Neubauten. Der Aspekt der Stärkung
des Baugewerbes spielt hierbei auch eine Rolle. In meiner Heimatstadt
Osaka besteht auch die Tendenz zum Abriss und Neubau, und das nicht
nur wegen der Erdbeben. Jedes Mal, wenn ich dort hinkomme, finde ich
eine neue, andere Stadt vor. So verliert man die Spuren der Zeit, man
verliert die Erinnerungen eines Ortes, man erkennt nicht einmal mehr
den Ort, an dem man aufgewachsen ist. Die Haltung hat vielleicht auch
mit dem Konsumgedanken zu tun, der auch mit Stil zusammenhängt. In
Deutschland und Belgien scheinen die Menschen Neubauten zu bevor­
zugen, während in Italien die Erhaltung eine wichtige Rolle spielt.
Sehen Sie hier einen Zusammenhang mit der Haltung gegenüber
der Geschichte – in England und Italien möchten die Menschen
den Glanz früherer Zeiten aufleben lassen, in Belgien und Deutschland werden neue Interpretationen und ein Schritt in Richtung Zukunft bevorzugt?
Es ist sicherlich sehr wichtig, ein Gleichgewicht zu finden, die Spuren
der Geschichte zu erhalten, aber auch Energie und neue Ideen einzu­
bringen. Es ist wichtig, Kontraste zu erreichen und diese zu integrieren.
08 | DACH | DEUTSCHLAND
ZWEITER FRÜHLING FÜR DIE
PREUSSENSIEDLUNG
Wohnraum – vor allem aber Lebensraum – war in Ballungszentren schon immer knapp. Schon vor
mehr als 100 Jahren kam man in Berlin auf die Idee, mit dem eigenen Heim gleich auch den eigenen
Garten zu bieten. So entstand zwischen 1910 und 1913 die Preußensiedlung in Berlin-Altglienicke,
Deutschland.
I
n zwei Bauabschnitten mit 45 kleinen Wohnhäusern samt eigenem
Garten bauten die Architekten Max Bel und Franz Clement den ers­
ten, der bekannte Werkbundarchitekt Hermann Muthesius den zwei­
ten Teil. Es entstand der Prototyp der Gartenstadt: Wohnen im eigenen
kleinen Haus, in nachbarschaftlicher Atmosphäre und im Grünen, aber
mit direkter Anbindung an den Komfort der Großstadt - ein Wunsch der
nach wie vor aktuell ist.
KEIN KLASSISCHES RENDITEOBJEKT Als klassisches Opfer der
Wende verfiel die renommierte und teilweise denkmalgeschützte Sied­
lung jedoch zusehend. Mehrere Eigentümerwechsel und unattraktive
Renditen verzögerten die längst überfällige Sanierung der Bauwerke.
Dreiviertel der Landhäuser waren schon nicht mehr bewohnbar. Schließ­
lich fand sich ein Investor, der eine Sanierungsplanung in Auftrag gab.
INSTANDHALTUNG, NICHT WIEDERHERSTELLUNG Bei der
bereits 2012 abgeschlossenen Sanierung orientierte sich das mit der
Planung und Durchführung beauftragte Berliner Büro Kubeneck Archi­
tekten an den Vorstellungen von Hermann Muthesius zum Thema Denk­
malschutz: Das alleinige Ziel der Denkmalpflege sollte Instandhaltung,
aber nicht Wiederherstellung sein. Das Neue sei zu kennzeichnen, aber
„Ergänzungen im Sinne einer künstlerischen Vervollständigung von Ver­
PRIVAT | DACH | 09
Vor Renovierung
INFO
PROJEKT
Preußensiedlung, Berlin, Deutschland
ARCHITEKT
Max Bel und Franz Clement (erster
Bauabschnitt), Hermann Muthesius
(zweiter Bauabschnitt)
KUNDE
terraplan Grundstücksentwicklungsgesellschaft
VERWENDETE PRODUKTE
Koramic-Ziegel Cavus 14 naturrot
Koramic Berliner Biber Segmentschnitt naturrot
BAUJAHR
2012
FOTOGRAFIEN
Markus Hoeft
Herrmann Muthesius (1922)
fallenem oder Fehlendem sind auf keinen Fall zulässig.“, so der Werk­
bundarchitekt 1939 in „Kultur und Kunst“.
verändern. So dämmte man z. B. die Häuser von innen, um den Charak­
ter der Fassaden mit dem groben Besenputz zu erhalten.
EINE SIEDLUNG – ZWEI KONZEPTE Obwohl es sich um eine ge­
meinsame Siedlung handelt, entwickelte man zwei Konzepte. Denn der
erste Bauabschnitt von Max Bel und Franz Clement, der 19 Wohnungen
mit jeweils 55 m² in sieben Doppelhäusern umfasst, ist eher baugeschicht­
lich als architektonisch interessant. Hier griff man stärker in den Bestand
ein, optimierte die Grundrisse und dämmte die Fassaden von außen. Den
zweiten Bauabschnitt von Hermann Muthesius mit 26 Reihenhäusern, die
er zu einem Wohnhof gebündelt hatte, wollte man so wenig wie möglich
MODERNE BAUSTOFFE – TRADITIONELLE DACHDECKERKUNST Was beide Sanierungskonzepte verbindet, ist die Erneuerung
der Dächer. Hier kamen – passend zu dem jeweiligen Bauabschnitt –
Dachziegel zum Einsatz, die den vorhandenen bzw. historischen For­
men genau entsprachen. Gleichzeitig bieten die nunmehr verlegten
Dachziegel die hohe Qualität moderner industrieller Fertigung. Bei der
Verlegung vor Ort waren handwerkliche Fähigkeiten gefragt, die an die
Tradition der hohen Dachdeckerkunst anknüpfen.
010 | DACH | NIEDERLANDE
Vor Renovierung
PRIVAT | DACH | 011
HISTORISCHES HERZ VON EINDHOVEN:
PREISWERTE VERMIETUNG
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war die Nachfrage nach Arbeiterwohnungen sehr groß. Das war
auch in Eindhoven (Niederlande) der Fall, weshalb Philips eine Landparzelle aufkaufte, die an die
alte Glühbirnenfabrik grenzte, um dort eine Fabriksiedlung zu bauen. Heute ist Philipsdorp kein
­Fabrikdorf mehr und es ist schwer, einige der ursprünglichen Merkmale zu entdecken. Um die
­Häuser in diesem Vorkriegsstadtviertel zu restaurieren, hat die Wohnungsgesellschaft Woonbedrijf
2012 ein groß angelegtes Sanierungsprojekt ins Leben gerufen.
„P
hilipsdorp ist eines der größten Stadtviertel-Sanierungsprojekte
im Stadtbezirk von Eindhoven“, sagt Jorg van Waas, Projekt­
entwickler bei Woonbedrijf. „Anfangs hatte man die Idee, die
meisten Häuser zu ersetzen, aber alle Bewohner waren dagegen. Des­
halb haben der Rat, die Bewohner und Woonbedrijf schließlich einen
Renovierungsplan entworfen.”
Das Architekturbüro BouwhulpGroep wurde als Berater für die Sa­
nierung von Philipsdorp engagiert. Die Agentur hat sich darauf spezi­
alisiert, vorhandene Wohnanlagen zu renovieren. Der Architekt Roel
Simons erklärt die Rolle BouwhulpGroep im Detail: „Wir erläuterten die
Wohnanlage, die in Angriff genommen werden sollte, und wie sie später
aussehen sollte. Wir erforschten die Geschichte des Stadtviertels um
uns zu vergewissern, was vorher dort vorhanden war, welche histori­
schen Elemente jetzt entfernt worden waren und welche von ihnen wie­
derhergestellt werden müssen. Dieser Aspekt wurde ausgiebig mit den
Bewohnern und Woonbedrijf erörtert.”
BEREIT FÜR DIE NÄCHSTEN 40 JAHRE Vor dem Beginn der Re­
novierungsarbeiten formulierten Woonbedrijf und eine Projektgruppe
der Bewohner ein Rahmendokument, in dem die Ziele des Stadtviertels
umrissen waren. „Die Grundlage für die Sanierung war, dass die Häuser
wenigsten weitere 40 Jahre bestehen sollten“, erläutert Van Waas. „Wir
wollten den Tiefbau und die strukturelle und technische Wohnungsqua­
lität verbessern. Lebenskomfort und Funktionalität der Häuser mussten
ebenfalls verbessert werden“, meint Van Waas.
Ein wichtiger Ausgangspunkt für die Renovierungsarbeiten war die
Verbesserung des kulturerblichen Wertes des Stadtviertels. Philipsdorp
ist seit 2003 als denkmalgeschützter Bereich ausgewiesen.
wurde der ursprüngliche Dachpfannentyp ausgewählt. Die Fassaden
der Häuser wurden gereinigt und repariert.
„Es war äußerst wichtig, dass die Farbe sorgfältig mit der Farbe des
Originals abgestimmt wurde, so dass die gesamte Fläche harmonisch
zusammenpasst“, erklärt Simons. „Außerdem ist es natürlich sehr wich­
tig, dass die neuen Ziegel den ursprünglichen Ziegeln weitestgehend
entsprechen“, fügt Van Waas hinzu.
INTENSIVES PROJEKT Das Renovierungsprojekt umfasst 771 Häu­
ser. Die meisten dieser Häuser sind bereits fertiggestellt. Dies ist für die
Bewohner ein sehr intensives Projekt. Sie müssen für drei Monate in ein
Übergangshaus ziehen, danach können sie wieder in ihr eigenes Haus
zurückkehren, das in der Zwischenzeit vollständig renoviert worden ist.
„Glücklicherweise hören wir ihre Freude über das Endergebnis“, sagt
Van Waas. „Die Renovierungsoption hat im Vergleich zum Bau neuer
Häuser letztendlich einen positiven Effekt. Da die Kosten für ein neues
Gebäude im Allgemeinen höher sind, steigen auch die Mieten bei neuen
Gebäuden. Mit dieser Renovierung konnten wir das vermeiden“, sagt
Van Waas.
INFO
PROJEKT
Philipsdorp, Eindhoven, Niederlande
ARCHITEKT
BouwHulpGroep
KUNDE
KONTINUIERLICHE BERATUNG Die hervorstechendsten ursprüng­
lichen Architekturaspekte der Häuser in Philipsdorp wurden erforscht.
„Diesbezüglich haben wir nicht nur ein Statement abgegeben, es wird
jetzt wieder so sein, wie es einmal war‘. Wir haben auch die heutigen
Erfordernisse in Betracht gezogen“, sagt Simons. „Die alten Dachpfan­
nen waren von solch schlechter Qualität, dass sie alle ersetzt werden
mussten. Um die Authentizität so weit wie möglich wieder herzustellen,
Woonbedrijf, Eindhoven
VERWENDETE PRODUKTE
Terca Rot kolengestookt vormbak
Renova
Koramic Tuile du Nord 44 blauw gesmoord und natuurrood
BAUJAHR
geplante Fertigstellung 2017
012 | DACH | SERBIEN
EIN NEUES DACH: HISTORISCHE OPTIK
MIT NEUESTER TECHNOLOGIE
Mećavnik ist ein traditionelles Dorf, das der serbische Filmemacher Emir Kusturica für seinen Film
„Das Leben ist ein Wunder” gebaut hat. Es liegt 200 km südwestlich vom serbischen Belgrad. Die
Stadt war ausschließlich aus natürlichen Materialien unter Berücksichtigung traditioneller Bauweise
errichtet. Allerdings haben sich die Holzschindeln nicht als die beste Wahl erwiesen und mussten
mit etwas Haltbarerem ersetzt werden.
U
m sein Konzept eines traditionellen Dorfes zu verwirklichen, muss­
te Professor Kusturica von Anfang an viele verwaltungstechnische
Herausforderungen und komplexe technische Probleme überwin­
den. Es war ihm allerdings von Beginn an klar, dass die einzige Nieder­
lassung an einem solchen Standort nur gebaut werden und überleben
kann, wenn man sich ganz auf die traditionellen Baumethoden dieser
Gegend verlässt. Das Ganze musste auch mit der natürlichen Umge­
bung harmonisieren.
Dieses Konzept und die Verpflichtung, eine Stadt aus natürlichen
Materialien zu bauen, konnte nur durch den Ankauf von aufgegebenen
und verlassenen Häuschen, Scheunen und anderen Gebäuden in der
unmittelbaren Umgebung realisiert werden und führte zu einem erfolg­
reichen Ergebnis. Der 2005 in Empfang genommene Europäische Phi­
lippe Rotthier-Architekturpreis ehrte die architektonische Lösung dieser
Originalrekonstruktion einer ethnischen Niederlassung. Nach der Fertig­
stellung des Filmprojekts wird die Stadt jetzt als Ferienkomplex genutzt.
ÖFFENTLICH | DACH | 013
Vor Renovierung
SCHWÄCHEN DER HOLZSCHINDELN Die Bemühungen, die Ge­
bäude der Niederlassung auf dem Berg als authentische Nachbildung
zu errichten und sie zu einem Denkmal zu Ehren des nationalen Baustils
zu machen, der charakteristisch für diese Gegend ist, zeigten allerdings
schon nach wenigen Jahren ihre ersten Schwachpunkte. Die Holzschin­
deln auf den Dächern begannen auszutrocknen und sich unter den
Witterungseinflüssen zu verwerfen. Nach einer gewissen Zeit verlor die
Unterkonstruktion aus Bitumenbahnen und -schichten auf Grund der
Hitzeeinwirkung ihre Funktion und die Dächer wurden undicht.
EINE NEUE DACHLÖSUNG Deshalb wurde im Jahr 2012 eine Re­
novierung beschlossen und mit dem Dach des Empfangsgebäudes
begonnen. Die Dachpfannen mussten das Erscheinungsbild der Holz­
schindeln imitieren. Die grauen Endobe-Dachpfannen in Verbindung
mit einem Unterdach, einer Hinterlüftung und den Sicherheitsbauteilen
waren ein Beispiel für eine gut ausgeführte Dachdeckung unter Berück­
sichtigung der technischen Bestimmungen und Regeln des Gewerks.
Diese Wahl hat auch gewährleistet, dass die visuelle Harmonie der Nie­
derlassung nicht gestört wurde. Stattdessen passen die Tonziegel per­
fekt in das Konzept der ursprünglichen Architektur und verleihen dem
Ganzen gleichzeitig eine neue und moderne Dimension.
Durch den Erfolg dieses Ergebnisses ermutigt, wurde das Berghaus
des in der Nähe von Mećavnik gelegenen „Iver“ Ski-Ressorts ebenfalls
mit Tonziegeln gedeckt. Diese wurden von einer Kommission aus Beda­
chungsexperten auch dahingehend geprüft, ob sie für Dächer geeignet
sind, die ständig den kritischen Augen der Öffentlichkeit ausgesetzt sind.
LAUFENDE ARBEITEN Seit 2014 sind zehn renovierte und zwei
neue Gebäude mit 250.000 Tonziegeln gedeckt worden, was einer Flä­
che von 8.000 m² entspricht. Sie tragen zu dem einzigartigen Erschei­
nungsbild der Gebäude bei. Die Arbeiten sind immer noch in Gange und
werden voraussichtlich Ende 2018 abgeschlossen sein. Aber dieses Mal
wird die Dachlösung 50 Jahre und mehr überdauern!
INFO
PROJEKT
Mećavnik-Hügel, in der Nähe der Stadt Užice,
Serbien
ARCHITEKT
Prof. Emir Kusturica
KUNDE
„Lotika“ d.o.o., Mokra Gora
VERWENDETE PRODUKTE
Tondach Biber Extra Plus flach, grau, engobiert
BAUJAHR
geplante Fertigstellung 2018
014 | DACH | BELGIEN
Vor Renovierung
PRIVAT | DACH | 015
STÄDTISCHE RENOVIERUNG MIT MEHRWERT
Wie führen wir die erforderlichen Aktualisierungen des alternden Wohnungsbestands in unseren
Städten durch - d.h., wie machen wir diese Wohnungen energieeffizient und ermöglichen einen modernen Lebenskomfort, ohne dabei ihr Erscheinungsbild oder das Straßenbild zu beeinträchtigen,
von dem sie ein Teil sind? Diese Frage führte zur ‚Testfall‘-Renovierung in Mechelen/Belgien.
D
ie Ausgangssituation: Das Reihenhaus, das teilweise unter dem
Bodenniveau liegt, und sein kleiner Stadtgarten stammen aus den
frühen 1950er Jahren. Das Dach, die Fassaden und Böden wa­
ren nicht gedämmt. Die Fassaden bestehen aus massivem Stein, mit
Ausnahme der südlichsten, die einen begrenzten Hohlraum besitzt. Der
Wohnkomfort war nicht zufriedenstellend.
DER SCHLÜSSEL: EINE GUT ISOLIERTE GEBÄUDEHÜLLE Die
Ziegel der Fassade wurden entfernt. Der freie Raum wurde genutzt,
um eine ausreichende Isolierung anzubringen. Da die Stadtbaubestim­
mungen keine zusätzliche Gebäudetiefe auf das offene Land erlaubten,
wurde die neue Fassade mit Verblendriemchen versehen. Das Keramik­
material respektiert den authentischen Charakter des Hauses und dank
des unregelmäßigen Musters und der dünnen Fugen bekommt das
ganze Gebäude einen unmissverständlichen modernen Akzent. Das Er­
gebnis ist eine robuste Fassade mit einem soliden Erscheinungsbild und
einer langen Lebensdauer.
Das Dach ist komplett renoviert worden, um eine den modernen Nor­
men entsprechende Wärmedämmung, einen hochwertigen Dachunter­
bau sowie einen Abschluss aus Tondachziegel zu liefern. Die Dämmung
eines Schrägdachs generiert Raum, der schnell geheizt werden kann.
NACHHALTIGE ENTWICKLUNG Die Renovierungsarbeiten boten
die Gelegenheit, einen Regenwassertank zu installieren, der an das
Schrägdach angeschlossen ist. Das gewährleistet ein maximales Auf­
fangen von sauberem Regenwasser, das zum Spülen der Toilette, zum
Betrieb der Waschmaschine und für einen externen Wasserhahn wie­
derverwendet wird.
FINANZIELLER, ENERGIEBEZOGENER UND ÄSTHETISCHER
MEHRWERT Die Bewohner sind mit Recht stolz auf ihr renoviertes
Haus. „Wir beobachten jetzt, dass die Leute, die unsere Straße entlang
gehen, anhalten und unser Haus bewundern. Wenn wir an all die Zeit,
das Geld und die Mühen denken, die wir in unser Haus investiert haben,
merken wir, dass wir wirklich etwas Besonderes erreicht haben. Dank
der Renovierung und der Wärmedämmung der Gebäudehülle sind un­
sere Energiekosten nicht das Einzige, was sich verbessert hat. Wir leben
jetzt in einem schöneren, gesünderen und komfortableren Haus. Falls
wir jemals umziehen sollten, können wir mit einer beträchtlichen Renta­
bilität unserer Investition rechnen. Die Zahlen zeigen, dass die Rendite
dieser Investition etwa 20 % betragen wird. Aber ein Verkauf wäre das
letzte, an das wir momentan denken würden.“
INFO
PROJEKT
Renovierung Testfall Mechelen,
Belgien
ARCHITEKT
ROVE Architekten
KUNDE
Privat
VERWENDETE PRODUKTE
Koramic Tempest Ziegel 44, Anthrazit
Terca Blue Velvet
BAUJAHR
2016
016 | FASSADE | GROSSBRITANNIEN
PRIVAT | FASSADE | 017
ALTE ERINNERUNGEN WACH HALTEN
„House of Trace“ könnte wie eine neue amerikanische TV-Serie klingen, ist aber der Name
und das beachtliche Ergebnis eines architektonischen Konzepts: ein Häuschen, ein (kaum)
freistehendes Gebäude, das eine Reihe von Reihenhäusern ergänzt. Sie kreuzen gitterförmige kleine
Grundstücksparzellen in South London/Vereinigtes Königreich und bilden ein gebäudehistorisches
Konstrukt, von dem die Architekten sagen, dass es gelesen werden kann „als ein Produkt der
Umstände, der Zeit, des Ortes, der betroffenen Menschen und sogar als Geldbetrag, der zur
damaligen Zeit zur Verfügung stand“.
018 | FASSADE | GROSSBRITANNIEN
D
ieser Ansatz führte zu einem sensiblen Eingriff, aber nicht zu einer
unauffälligen Fortsetzung des alten Duktus. Im Gegenteil: der Be­
trachter kann die Erinnerung an das frühere Gebäude wahrneh­
men, aber auch die zuversichtliche Fortsetzung in die heutige Zeit erken­
nen. Zuerst wurde eine nutzlose Gebäude-Erweiterung abgerissen. Sie
hatte das Pultdach getragen, das typisch ist für diese Gegend. Dieses
Merkmal wurde in die neue Flachdach-Erweiterung als Spur des histo­
rischen Gebäudes integriert. Ein altes Fenster war erkennbar zugemau­
ert worden; die neuen Öffnungen zeigen die ungeschützten Stahlträger
der tragenden Struktur. Als die alte Gebäudesubstanz freigelegt wurde,
entdeckten die Architekten weitere Merkmale, die das Gebäude im Ver­
lauf seiner Geschichte erworben hatte. So hatte sich beispielsweise eine
dünne Wand verschoben und zu Rissen geführt. Sie wurden freigelegt
und sichtbar im Flur belassen. Im umgebauten Layout befinden sich die
Küche und das Badezimmer in der Mitte; ein Lichtschacht, zu dem sich
das Elternschlafzimmer öffnet, liefert Licht vom Innern des Gebäudes.
GESCHICHTEN FÜR GENERATIONEN Mit dem Blick auf die Zu­
kunft war die neue Erweiterung wo immer möglich ohne Putz belassen
worden, so dass sich Gebrauchsspuren sammeln können. Das Haus
wird späteren Generationen viel zu erzählen haben. Nur die Wände
in den Kinderzimmern und Schlafzimmern sind verputzt worden. Das
Haus ist schon jetzt ein Abbild der Bauunternehmer-Hände, aber sei­
ne zukünftigen Erinnerungen werden auch durch den langsamen Alte­
rungsprozess charakterisiert sein, der im Lauf der Zeit seine Spuren auf
den maßgeschneiderten Kupfer- und Messinginstallationen hinterlassen
wird.
DAS FINDEN DER RICHTIGEN BAUTEILE Alle Baumaterialien
stammen vom örtlichen Baumarkt. Die Architekten haben im Vorfeld alle
Materialien und Details geprüft und das Design der Umwandlung in 3-D
entwickelt. Sie fügten Bänke und Betten mit Ziehharmonika-Bettkasten
ein, der als Lagerraum verwendet werden kann. Die verwendeten Bau­
PRIVAT | FASSADE | 019
INFO
PROJEKT
House of Trace, London,
Vereinigtes Königreich
ARCHITEKT
Tsuruta architects
KUNDE
Privat
VERWENDETE PRODUKTE
Terca Sheerwater Silver Yellow Stock
BAUJAHR
2015
FOTOGRAFIEN
Tim Crocker
Vor Renovierung
materialien waren leichte Vormauerziegel, lackierte Stahlprofile, lasierte
weiße Kiefer, Birkensperrholz, mitteldichte Faserplatten, Kupferrohre
und glasierte ‚Metro-Fliesen‘.
ZIEGEL-KOMBINATION Die tragenden neuen Wände bestehen
hauptsächlich aus silber-gelben Ziegeln. Da die Herstellung von gleich­
förmigen Ziegeln zu teuer gewesen wäre, wurden einige von ihnen mit
einem speziellen Mörtel getüncht. Es wurden sowohl Vollziegel als auch
Hohlblocksteine verwendet, die durch Phenolharzschaumplatten ge­
trennt sind. Einige der Wände wurden auf der Innenseite isoliert und mit
Holzpaneelen oder Rigipsplatten verkleidet.
„UNSERE ABSICHT WAR ES,
EINEN SINN FÜR ERINNERUNG ZU
ERHALTEN UND GLEICHZEITIG DEM
NEUEN EINGRIFF ZU ERLAUBEN,
SEINE EIGENE IDENTITÄT ZU
HABEN. BEI DER FREILEGUNG DER
URSPRÜNGLICHEN BAUSUBSTANZ
HABEN WIR DIE GESCHICHTE DES
HAUSES ENTDECKT.“ TARO TSURUTA
020 | FASSADE | DEUTSCHLAND
ENERGIEBEDARF HALBIERT,
VERKAUFSWERT VERDOPPELT
Nahe der deutschen Rheinmetropole Düsseldorf liegt die Kreisstadt Mettmann. Hier wurde 1972
auf einem 12 000 Quadratmeter großen, parkähnlichen Hanggrundstück eine Wohnanlage errichtet.
Zwei gleich hohe Gebäude mit quadratischen, gegeneinander versetzten Grundflächen und
charakteristischen Balkonen bestimmen ihr Erscheinungsbild. Eine energetische Rundumsanierung
wurde 2013 abgeschlossen.
PRIVAT | FASSADE | 021
INFO
PROJEKT
Wohnanlage Mettmann, Deutschland
ARCHITEKT
Werner Kettler
KUNDE
Privat
VERWENDETE PRODUKTE
Spezialanfertigung – Argeton orange
engobiert
BAUJAHR
2013
FOTOGRAFIEN
Rainer Rehfeld
Vor Renovierung
D
ie Gebäudegruppe ist von hohem Baumbestand umgeben und die
ursprüngliche Fassade aus zementgebundenen, betondachstein­
ähnlichen Platten war in den beschatteten Bereichen großflächig
bemoost. Auch unter Einbezug einer zu erwartenden Wertsteigerung
entschieden sich die Eigentümer für die von Architekt Werner Kettler
empfohlene hinterlüftete und vorgehängte Tonziegel-Fassadenlösung.
„Neben den bei einer Förderung bauphysikalisch vorgegebenen An­
forderungen waren auch die Ansprüche der Eigentümer an die neue
Gebäudehülle sehr hoch. Neben der schmutzabweisenden Eigenschaft
war den Entscheidern eine hohe Lebenserwartung, niedrige Kratz- und
Stoßempfindlichkeit, geringe Bemoosungs- und Verschmutzungsgefahr,
gute Reinigungsmöglichkeit und hohe optische Wertigkeit und Nachhal­
tigkeit wichtig“, berichtet Architekt Werner Kettler.
INDIVIDUELL GEFERTIGT Durch die unterschiedlichen Geschoss­
höhen – das Erdgeschoss ist einen Meter höher als die anderen Ge­
schosse – ergeben sich zwei unterschiedliche Plattenhöhen. Bei den
verwendeten Ziegelformaten handelt es sich deshalb nicht um Stan­
dardformate, sondern um objektbezogene Spezialanfertigungen.
Der Farbton orange wurde auf individuellen Wunsch des Architekten
angepasst. „Nach eingehender Beratung entschieden wir uns für eine
engobierte Oberfläche. Durch das Engobieren wird die Oberfläche ge­
schlossener und glatter, der gewählte Farbton Orange noch etwas wär­
mer. Die engobierte Oberfläche ist schmutzabweisend und der orangene
Farbton harmoniert hervorragend mit den bronzegrauen Aluminiumver­
bund- und silberfarbigen Balkonplatten“, sagt Architekt Kettler.
LOHNENDE INVESTITION Die Sanierung der Wohnanlage Mett­
mann folgte einem energetischen Gesamtkonzept. Neben der Sanie­
rung der Gebäudehülle wurde auch ein Großteil der Fenster, die Flach­
dächer und die Kellerdecken erneuert. Im Vergleich zum Jahr 2007 sank
der Primärenergiebedarf von 370 kWh/(m²a) auf 153,5 kWh/(m²a), der
Endenergiebedarf von 123 kWh/(m²a) auf 54,0 kWh/(m²a) und die CO2Emissionen von 84,2 kg/(m²a) auf 40,5 kg/(m²a).
Die Sanierungsmaßnahmen haben also nahezu eine Halbierung aller
Werte zur Folge, betont Architekt Werner Kettler. Und auch die Wert­
steigerung für die Eigentümer ließe sich beziffern. „Die Verkaufserlöse
haben sich verdoppelt!“
022 | FASSADE | ESTLAND
ÖFFENTLICH | FASSADE | 023
KONZIPIERT, UM SIE ZUM
SCHWITZEN ZU BRINGEN
Die Rauna Sauna ist eine von drei öffentlichen Saunen, die in Tallinn/Estland immer noch
betrieben werden. Wegen der zentralen Lage ist sie während ihrer Betriebszeit schon
immer sehr bekannt und populär gewesen. Ihr elegantes Stadtviertel ist berühmt für
seine funktionalistischen Apartment-Gebäude und steht jetzt unter Denkmalschutz.
024 | FASSADE | ESTLAND
D
er Bau der Sauna umfasst einen längeren Zeitraum: Baubeginn
war in den 1930er Jahren, in den 50er und 60er Jahren erhielt
sie einige Erweiterungen und zur Straßenseite wurde ein weite­
res Stockwerk hinzugefügt. Das Pavillon-ähnliche Gebäude enthielt ein
Foyer und kleinere Saunen. Ziel der Renovierung war die Verbesserung
der Gebäudedämmung, alle Bereiche sollten für Behinderte zugänglich
gemacht und die Innenräume sollten neu aufgebaut werden. Auf Grund
der intensiven Benutzung und der anhaltenden Feuchtigkeit war das
gesamte Gebäude in einem recht desolaten Zustand. Die älteren Ge­
bäudeteile wurden im ursprünglichen Stil renoviert - eine Mischung aus
Jugendstil und Funktionalismus.
VOLLSTÄNDIGE TRANSFORMATION Das Pavillon-Gebäude zur
Straßenseite erlebte die größten Änderungen. Es wurde in eine Gitter­
struktur aus Ziegeln gefasst, um einen Schirm zu bilden. Dieser Schirm
lässt genug Licht für die Saunen und Waschräume herein, während
gleichzeitig die notwendige Privatsphäre gewahrt bleibt. Die neue Fas­
sade aus schwarzen Ziegeln verleiht dem Gebäude ein bescheidenes,
aber eindeutig zeitgenössisches Aussehen, das auffällig genug ist, um
die öffentliche Verwendung des Gebäudes zu unterstreichen, aber nicht
mit dem etablierten Stadtviertel konkurriert, um Aufmerksamkeit zu er­
haschen.
LANGLEBIGE WEGE Ziegelpflastersteine wurden für den Eingangs­
bereich und die Wege um das Gebäude verwendet, um die Langlebig­
keit der Struktur zu gewährleisten – die Sauna ist ein sehr populärer
Ort und zieht deshalb sehr viele Gäste an. Da die Sauna in den kalten
Monaten des Jahres natürlich am meisten aufgesucht wird, muss das
Ziegelpflaster Schnee und Eis und den winterlichen Temperaturen wi­
derstehen, die um den Gefrierpunkt schwanken. Gemeinsam mit den
schwarzen Verblendungsziegeln erzeugt das Pflaster einen konsequen­
ten Gesamteindruck für den neu belebten Kurort.
ÖFFENTLICH | FASSADE | 025
INFO
PROJEKT
Raua Sauna (öffentliche Sauna),
Tallinn, Estland
ARCHITEKT
Kavakava OÜ – Siiri Vallner,
Indrek Peil and Ragnar Põllukivi
BAUTRÄGER
OÜ Nordlin Ehitus
KUNDE
Tallinna Kesklinna Valitsus
VERWENDETE PRODUKTE
Vor Renovierung
Terca Vormauerziegel, Westminster
Penter Dresden
BAUJAHR
2014
FOTOGRAFIEN
Gert Kasak, Statiiv OÜ, Kavakava OÜ
026 | FASSADE | NIEDERLANDE
FAMILIENWOHNGEGEND – RENOVIERTE UND
NEU GEBAUTE HÄUSER IN BALANCE
Schon bald nachdem das niederländische Rotterdam das 21. Jahrhundert betreten hatte, haben
viele Familien die Stadt verlassen, um in andere Orte umzuziehen. Gleichzeitig sah sich die
Wohnungsgesellschaft Woonstadt mit dem Problem konfrontiert, wie man die unzulängliche
Unterbringung in Crooswijk in Angriff nehmen kann, einem Stadtviertel des innerstädtischen
Bereichs von Rotterdam. Die Lösung führte zu einem neuen städtischen Entwicklungsplan, bei dem
Abriss/neue Gebäude und Renovierung sorgfältig in Betracht gezogen wurden.
D
ie meisten Häuser in Crooswijk wurden ersetzt. Dies war unver­
meidlich, da die ursprünglichen Häuser völlig unzulänglich waren.
Die Verbesserung der Wohnungsqualität war der Hauptgrund für
die Entscheidung zum Abbruch.
Allerdings wurden einige Häuser bewahrt. „Einfach ausgedrückt,
diese Häuser hatten eine wesentlich bessere Qualität als die, die für
den Abriss vorgesehen waren“, erklärt Ahaloui – Projektentwickler bei
Heijmans Vastgoed. Die Häuser wurden sichtbar verbessert und eine
bessere Infrastruktur wurde geschaffen, so dass sie in den kommenden
Jahren vermietet werden können.
ZIELE DER STADTENTWICKLUNG Am Design des Stadtviertels
musste auch etwas geändert werden. „Es war ein introvertierter Be­
reich, obwohl er über viele fantastische Qualitätsmerkmale verfügte“,
sagt Van Zomeren – Entwicklungsdirektor bei ERA Contour. „So gibt
es viele schöne Alleen, aber man konnte sie nicht erleben, wenn man
das Stadtviertel erreichte. Die Straßen waren weitestgehend gepflas­
tert, es fehlten Grünflächen und Autos waren überall. Sie sehen also,
das Interesse an der Veränderung der städtischen Entwicklungsstruktur
war groß, damit man die positiven Merkmale des Stadtviertels erleben
kann“, meint Van Zomeren.
PRIVAT | FASSADE | 027
Vor Renovierung
INFO
PROJEKT
Nieuw Crooswijk, Rotterdam,
­Niederlande
ARCHITEKT
Brink architectuur, JSA Architecten,
De Zwarte Hond, Geurst & Schulze
architects, NL architects, Drost + van
Veen
KUNDE/BAUTRÄGER
Nieuw Crooswijk Development
Group (OCNC), eine Zusammenarbeit
­zwischen Heijmans Vastgoed und ERA
Contour
WOHNUNGSGESELLSCHAFT
Woonstadt, Rotterdam, Niederlande
VERWENDETE PRODUKTE
Terca Valencia handgeformt
Terca Bologna handgeformt
Maßgefertigten kugelförmigen Ziegel
in den gleichen Farben
BAUJAHR
geplante Fertigstellung 2018
Das Ziel der Entwicklung war deshalb sehr klar. „Wir mussten also ein
Stadtviertel für lebenslanges Wohnen mit sehr unterschiedlichen Häu­
sern entwickeln“, meint Van Zomeren. „Ein Stadtviertel für Familien und
für jene, die auf der ersten Sprosse des Immobilienmarktes stehen.“ Um
die Stadt Rotterdam auf lange Sicht zu bewahren, muss sichergestellt
sein, dass sich Familien auch innerhalb des Rotterdamrings niederlas­
sen können. Nieuw Crooswijk liegt innerhalb des populären Innenstadt­
bereichs, liegt aber auch in der Nähe des Rotteflusses und dem zu Fuß
erreichbaren Kralingse Plas, ein Freizeitbereich, was es zum idealen
Standort für Einfamilienhäuser macht.
EIN KOPFNICKEN FÜR DIE URSPRÜNGLICHE ARCHITEKTUR
Eines der Entwicklungserfordernisse, die dem Stadtviertel auferlegt wa­
ren, war die Ziegelarchitektur. Ahaloui erläutert: „Crooswijk ist ein Vor­
kriegsstadtviertel, das durch die Bauweise mit Ziegel charakterisiert war.
Jedes Haus und jedes Apartment kann durch seine speziellen Details
wie Erkerfenster, speziell kugelförmige Ziegel und sein vielfältiges Mau­
erwerk eindeutig identifiziert werden. Diese Merkmale wurden schon
von Anfang an im bebilderten Qualitätsplan festgelegt.”
MEHR RAUM Um innerhalb des Stadtviertels mehr private Bereiche
zu schaffen, verwendete man geschlossene Häuserblocks, wie man
sie oft in den Entwicklungen des 19. Jahrhunderts gesehen hat. „Sie
schaffen eine schöne Aufteilung zwischen der Außenseite und dem äu­
ßerst angenehmen, ruhigen Innern, wo Kinder in sicherer Umgebung
spielen können. Wir haben es auch geschafft, viele der Parkbedürfnisse
innerhalb der Häuserblöcke zu lösen und damit die Straßen frei zu ma­
chen“, sagt Van Zomeren. Das Erscheinungsbild der Straße wurde neu
angelegt mit Bäumen und öffentlichen Plätzen, wodurch ein reiches und
pulsierendes Straßenbild geschaffen wurde.
028 | HISTORISCH | ÖSTERREICH
EIN BEEINDRUCKENDER ZEITZEUGE
IN NEUEM GLANZ
In den Jahren 1897 bis 1899 wurde in Wien ein Gaswerk im Stadtteil Simmering errichtet. Im Zuge
dieser Arbeiten wurde auch ein Wasserturm aus Sichtziegelmauerwerk gebaut.
D
er Wasserturm mit seinem integrierten Hochbehälter diente ur­
sprünglich zur Kühlung bei der damaligen Gasproduktion. Mit der
Einstellung der Gaserzeugung aus Kohle 1966 verlor der Was­
serturm seinen ursprünglichen Zweck. Bis zum Jahr 2002 diente er als
Wasserspeicher für das Nutzwassernetz im Gaswerk Simmering und
wurde schließlich auf Grund der historischen Bausubstanz und als wich­
tiges Zeugnis für die Entwicklung der damaligen Technik unter Denkmal­
schutz gestellt.
RETTUNG BESCHLOSSEN In Anbetracht des schlechten baulichen
Erhaltungszustandes des Turmes und starker Frostschäden an der Zie­
gelfassade wurde 2013 eine Generalsanierung durchgeführt, um dieses
geschichtsträchtige Bauwerk zu erhalten. Den Empfehlungen des städ­
tischen Kontrollamtes von Wien sowie den strengen Auflagen des Bun­
desdenkmalamtes wurde dabei vollinhaltlich nachgekommen, um das
bestmögliche Ergebnis zu erzielen. Die Renovierung erfolgte denkmahl­
gerecht mit Ziegeln im altösterreichischen Format. Über 1000 schadhaf­
te Ziegel mussten per Hand herausgestemmt und erneuert werden. Die
Pfeiler im Turmbereich wurden komplett neu gemauert. Insgesamt wur­
den 25% der Ziegel ausgetauscht. Gleichzeitig wurde auch eine Entker­
nung durchgeführt, um eine adäquate Lösung für eine spätere Nutzung
der Innenräume als Veranstaltungsort oder als Museum zu ermöglichen.
STARKE SCHÄDEN Die Oberfläche der Fassade wies eine sehr star­
ke Verschmutzung auf. Dies ist auf Ablagerungen – auch in Verbindung
mit früheren hohen Schwefeldioxid-Belastungen (Dampflokomotiven-
ÖFFENTLICH | HISTORISCH | 029
Vor Renovierung
Vor Renovierung
Vor Renovierung
Betrieb) – und Gipsausbesserungen ausgewaschener Putzsubstanz
zurückzuführen. Diese aufgelagerten Schichten verdichteten die Ziegel­
oberflache und schränkten die Wasserdampf-Diffusionsfähigkeit des
Baustoffes stark ein. Auch der Substanzverlust der Ziegeloberflächen
– insbesondere an exponierten Stellen – stellte eine große Herausfor­
derung dar.
SENSIBLE REINIGUNG Die Abtragung der Schmutzschichten er­
folgte an den Ziegeloberflächen mittels druckreduziertem Strahlverfah­
ren. Dabei wurden die bestehenden Verschmutzungen und Vergipsun­
gen unter besonderer Schonung der historischen Oberfläche reduziert.
NEUVERPUTZUNG DER EHEMALIGEN PUTZFLÄCHEN UND
VERBLECHUNG Sämtliche ursprünglich verputzten Bereiche, waren
nach dem Entfernen der schadhaften Bereiche sowie der zwischen­
zeitlichen Ergänzungen erneut zu verputzen. Dabei wurden Mörtelmi­
schungen aus einer Kalk-Sandmischung verwendet. Horizontalflächen
und Reschen wurden mit Verblechungen aus Blei gegen eindringendes
Wasser geschützt.
HAPPY END Der altehrwürdige Wasserturm erstrahlt nach der ge­
glückten Rettung in neuem Glanz und wird später, nach Umbau des
gesamten Areals, als Veranstaltungsort für besondere Gelegenheiten
dienen.
INFO
PROJEKT
Wasserturm Simmering, Wien,
­Österreich
ARCHITEKT
HOPPE architekten
KUNDE
Wiener Netze GmbH
VERWENDETE PRODUKTE
historische Ziegel, altösterreichisches
Format „Heinrich Drasche“
BAUJAHR
2013
FOTOGRAFIEN
HAZET Bauunternehmung GmbH
030 | HISTORISCH | RUMÄNIEN
WIEDERGEWINNUNG EINER
VERGESSENER PRACHT
Schloss Corvin in Rumänien sieht aus, als stamme
es direkt aus einem Märchen. Durch seine Mischung
aus militärischer Architektur in Verbindung mit den
Schlüsselelementen bürgerlicher Architektur in
französisch-inspiriertem gotischem Stil ist es einzigartig in
Europa.
ÖFFENTLICH | HISTORISCH | 031
032 | HISTORISCH | RUMÄNIEN
ÖFFENTLICH | HISTORISCH | 033
Vor Renovierung
INFO
PROJEKT
Schloss Corvin Restaurierung,
­Hunedoara, Rumänien
ARCHITEKT
Sc Bastion Proiect SRL
KUNDE
Rathaus Hunedoara
VERWENDETE PRODUKTE
Tondach Cedonia Biber, natur
BAUJAHR
2015
FOTOGRAFIEN
Copyright Castelul Corvinilor
B
urg Corvin oder Schloss Hunedoara steht in Hunedoara in Trans­
silvanien, Rumänien. Es wurde im 15. Jahrhundert auf einer alten
Wehranlage auf einem Kalkfelsen über dem Fluss Zlasti erbaut. Ihr
Erbauer, Johann Hunyadi (Lancu de Hunedoara) hat dort nur wenig
Zeit verbracht, obwohl das Schloss 1480 im Vergleich zu den meisten
Schlössern Westeuropas sehr imposant war. Es ist eine Verteidigungs­
anlage mit Zugangsbrücke und besitzt majestätische, farbenprächtige
Dächer. Der Nebojsa-Turm („Fürchte-Dich-nicht“-Turm) und die Galerie
sind seit ihrem ursprünglichen Bau intakt geblieben.
Im 17. Jahrhundert modernisierte Prinz Gabriel Bethlen das Schloss
und fügte neue Flügel hinzu, baute die gotischen Innenräume um und
errichtete militärische Bauwerke wie den Weißen Turm und die Artille­
rieterrasse. Zur gleichen Zeit wurden auch die glasierten Dächer ins­
talliert.
Am 13. April 1854 verursachte ein Blitz ein zerstörendes Feuer, das
das Schloss beträchtlich beschädigte. Es wurde später restauriert,
aber die Restauration wurde in mehreren Stufen durchgeführt. Einige
dieser Stufen waren nicht gänzlich erfolgreich.
In den vergangenen Jahren wurde Schloss Corvin intensiv saniert,
da das Dach durch Regen, Stürme und Regenwasser beschädigt wor­
den war. Weitere Schäden waren durch biologische Angriffe von Pil­
zen und Insekten auf Grund der übermäßigen Feuchtigkeit verursacht
worden. Die Behebung dieser Probleme konnte erst nach Abschluss
einer sorgfältigen Dokumentation durch Spezialisten für Archäologie
und für die Restaurierung historischer Monumente in Angriff genom­
men werden.
Die Wiederherstellung wurde mit großer Sorgfalt und Detailtreue
durchgeführt. Die Dachpfannen mussten in Schichten gelegt werden
und bei zwei der Türme musste jedes Stück etwa um einen Zentimeter
beschnitten werden, damit sie korrekt in die bestehende geschwunge­
ne Dachwölbung eingesetzt werden konnten. Die Restaurierung des
Daches verbesserte die Sicherheit der Besucher und machte ihnen
den Aufenthalt angenehmer, was sich auch in den steigenden Be­
sucherzahlen äußerte. Außerdem wurde der Schutz der Wände und
Innenräume abgeschlossen, um das ikonische Bild eines Märchen­
schlosses vollständig wiederherzustellen.
Gegenwärtig werden historische oder Fantasy-Filme in dem 600
Jahre alten Schloss gedreht, das oft auf Grund der Unversehrtheit die­
ses mittelalterlichen Denkmals, seiner einzigartigen Innenräume und
der außergewöhnlichen Lage ausgewählt wird. Ein Fantasy-Film prä­
sentiert momentan das Schloss, während das Freiluft-Festival „OpernNächte“ jedes Jahr im Innenhof mit seiner außergewöhnlichen Akustik
abgehalten wird.
034 | HISTORISCH | UNGARN
NACHHALTIGKEIT TRIFFT AUF
BAROCKE ARCHITEKTUR
Ein Puppentheater, eine Orangerie und ein Wasserturm sind Teil des Esterházy-Palasts in Fertőd,
Ungarn. Diese Gebäude waren im Lauf der Jahre verfallen; die Renovierungsarbeiten haben
diese Gebäude nicht nur erhalten, sondern auch geeignet gemacht für ihren neuen Zweck
als Veranstaltungsort. Die Nachhaltigkeit spielte eine wichtige Rolle während des gesamten
Renovierungsprozesses.
G
ebaut im 17. Jahrhundert, bilden die Gebäude eine Einheit, die
sich innerhalb der barocken Gärten des Palastes befindet. Ziel der
Renovierung war die Rekonstruktion der Fassaden, der Dachkon­
struktion und der Innenräume, um sie bereit zu machen für ihre neue
Aufgabe als Veranstaltungszentrum und Konzerthalle. Der Projekteigner,
das Nationale Amt für Kulturerbe gewährleistete, dass die Restaurierung
der barocken Architektur auf wissenschaftlichen und archäologischen
Forschungen beruhte. Eine vollständige aufgegebene Ruine musste in
einen gut funktionierenden und nachhaltigen Kunstkomplex umgewan­
delt werden.
LOKALE MATERIALIEN Abgesehen vom historischen Aspekt spielte
die Nachhaltigkeit eine wichtige Rolle während des gesamten Renovie­
rungsprozesses. Während des Baus wurde darauf geachtet, dass nur
lokale Rohmaterialien wie Lehmziegel und Kalkstein verwendet wurden.
Die Arbeiten wurden mit Arbeitskräften vor Ort durchgeführt. Dies war
das Ergebnis eines beabsichtigten Auftragsvergabeverfahrens, das von
Beginn an stark unterstützt wurde.
NEUE ENERGIE Der gesamte Gebäudekomplex wurde umgestal­
tet für den Einsatz geothermischer Energie / Sonnenenergie, um die
Energiekosten langfristig zu senken. Die erforderliche Infrastruktur ist
gebaut worden, um dieser Forderung gerecht zu werden. Ein Wärme­
rückgewinnungssystem wurde integriert und ist schon in Verwendung.
Die M Architekten sagen: „Unser Team versteht die Rolle, die die zeit­
genössischen Architekten beim Konzipieren und beim Bau verantwor­
ÖFFENTLICH | HISTORISCH | 035
tungsvollerer und nachhaltigerer Gebäude mit der kleinstmöglichen Um­
weltbelastung spielen.”
WIEDERAUFBAU DER VERGANGENHEIT Auf Grund mehrerer Än­
derungen war im Lauf der Jahre ein ansehnlicher Teil des Putzes von den
Wänden des Puppentheaters gefallen. Vor dem Beginn des Projekts war
es als Getreidespeicher verwendet worden. Der verbliebene Putz wurde
auf den teilweise ungeschützten Ziegelmauern bewahrt. Die Restaurie­
rung wurde mit historischen Lehmblocks aus der Region durchgeführt,
was den nachhaltigen Ansatz reflektiert. Die sichtbare Dachstruktur ba­
siert auf historischen Beschreibungen und reflektiert das ursprüngliche
Mansardendach. Die Orangerie wurde mit Lehmblöcken zu ihrem Ori­
ginalzweck restauriert: Unterbringung der Orangenbäume und Pflanzen
des barocken Gartens während des Winters. Deshalb wurde auch die
ursprüngliche Heizung rekonstruiert. Im Sommer kann dieser Platz je­
doch für die Ausrichtung von Veranstaltungen verwendet werden.
Der Wasserturm war in der Vergangenheit vollständig zerstört wor­
den und wurde entsprechend dem Originaldesign mit Lehmziegeln voll­
ständig rekonstruiert. Findet jetzt an diesem Ort eine Veranstaltung statt,
dient er als Einrichtungsbereich und verbindet die Orangerie und das
Puppentheater. Er kann auch als kleiner Ausstellungsraum für bis zu 20
Besucher verwendet werden.
EIN NEUES LEBEN Nach der erfolgreichen Renovierung und Ver­
wendung des gesamten Komplexes ist er ein Paradebeispiel für die
Pracht des 18. Jahrhunderts. Das barocke Lebensgefühl und die aus­
gezeichnete Akustik der Konzerthalle ziehen viele Besucher an. Außer­
dem werden jetzt sämtliche Gebäude vorbereitet, um zukünftig mit geo­
thermischer Energie versorgt zu werden, wobei die Umweltbelastung
auf ein Minimum beschränkt bleibt.
INFO
PROJEKT
Esterházy-Palast in Fertod, Ungarn Puppentheater, Orangerie und
­Wasserturm
ARCHITEKT
M Architects Ltd., Csaba Molnár DLA,
Viktor Szentkuti, Dénes Halmai
KUNDE
Nationales Amt für Kulturerbe Ungarn
VERWENDETE PRODUKTE
Porotherm 30 N+F
Porotherm 25-38 N+F
BAUJAHR
März 2013
FOTOGRAFIEN
Zsolt Batár
www.architectum.com
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