Thomas Schipperges (Hg.): George Onslow

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überlieferte Anzahl der jeweils hergestellten Flöten
und die Angabe der heute noch vorhandenen Originalflöten. Mit dieser Darstellung leistet der Autor
einen bemerkenswerten und neuartigen Beitrag
zum wissenschaftlichen Forschungsstand des Blasinstrumentes.
Einen gänzlich anderen Zugang und Blick auf
das Instrument liefern Karsten Erik Ose und Dorothee Oberlinger mit ihren »Betrachtungen zum
stilistischen Wandel der Interpretationen hochbarocker Blockflötenmusik von 1960 bis 2000«.
Obwohl die Autoren gleich zu Beginn ihrer Ausführungen angeben, dass im Zentrum ihrer Arbeit der
– verständlicherweise nur schwerlich objektive –
Vergleich von Schallplattenaufnahmen der vergangenen Jahrzehnte steht, regt der knappe Beitrag sehr
zur eigenen Reflexion an. Zwar fehlen dem Originalbeitrag durch seine nunmehr schriftliche Form
die erwähnten Klangbeispiele aus dem mündlichen
Vortrag – sowohl in Form von Tonträgern als auch
durch die eigene Interpretation der Autoren –, aber
gerade durch die vielen Klanghinweise wird der
Leser unmittelbar zum Selbststudium angeregt.
Obwohl alle abgedruckten Referate auf sehr
informative und nachvollziehbare Weise den aktuellen Stand der wissenschaftlichen Forschung
wiedergeben und für die Musiker der historischen
Aufführungspraxis von großem Interesse sein
sollten, sei stellvertretend für alle hier nicht explizit angesprochenen Beiträge auf den englischsprachigen Aufsatz von Rachel Brown verwiesen. Die
Autorin setzt sich auf gut 20 Seiten mit dem wissenschaftlich vielfach erörterten Problem der Flötenkadenzen zu Mozarts Konzerten auseinander. Bereits
die auffällige Titelbezeichnung »To breathe or not to
breathe in Cadenzas for Mozart – that is the question« verweist auf einen lebendigen, lebhaften Diskurs über die Formgestaltung von Kadenzen in den
beiden Flötenkonzerten. Brown stellt eine beachtliche Anzahl an Thesen auf, die hier nicht alle aufgeführt werden können. Durch ihre konsequenten,
mitunter nicht immer ganz unkritischen Gedankengänge kommt die Autorin zu dem Ergebnis, dass
man sich zwar bei der Komposition und Gestaltung
einer eigenen Kadenz zu Mozart an jenen Quellen
orientieren kann, welche in theoretischer Hinsicht
Kadenzen thematisieren. Jedoch stellt Brown fest,
dass Mozart in seinen überlieferten Klavierkadenzen
mitunter deutlich von solchen traditionellen, theoretischen Schemata abweicht. Dadurch legitimiert
die Autorin die Ausgestaltung von Kadenzen späterer Epochen, die meist hinsichtlich ihrer Länge,
den vielen harmonischen Modulationen und auch
dem technischen Anspruch nicht mehr im engen
Rahmen der zeitgenössischen Musiktheorie liegen. Wie auch viele andere der Referenten betont
Rachel Brown, dass oftmals nicht nur das Quellenwissen allein zum Verständnis und zur lebendigen Interpretation von musikalischen Werken
der Vergangenheit ausreicht.
Letztendlich kann dem Leser zwischen den
Zeilen der abgedruckten Tagungsbeiträge bewusst
werden, dass sich die historisch informierte Aufführungspraxis hinsichtlich der Traversflöte und
auch der lange Zeit sehr stiefmütterlich behandelten Blockflöte so weit im Musikleben etabliert hat, dass heutzutage bereits vielfach ohne
jegliche Quellenkenntnis und selbst auf modernen Instrumenten stilgerecht interpretiert wird.
[Marion Beyer]
Thomas Schipperges (Hg.): George Onslow
Studien zu seinem Werk, Hildesheim (Olms) 2009
I
n den letzten Jahren ist erfreulicherweise eine
gewisse Konjunktur von deutschsprachigen
musikwissenschaftlichen Publikationen zu in
Frankreich wirkenden Komponisten des 19. und
beginnenden 20. Jahrhunderts zu registrieren.
Standen lange vor allem Frédéric Chopin, Mauri-
ce Ravel und Claude Debussy einerseits, die Welt
der Pariser Oper mit ihren führenden Protagonisten andererseits im Zentrum hiesiger historiographischer Aufmerksamkeit, ergänzt um die
Beschäftigung mit der Rezeption deutscher Komponisten in Frankreich, allen voran Ludwig van
© DIE TONKUNST, Oktober 2010, Nr. 4, Jg. 4 (2010), ISSN: 1863-3536
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Beethoven und Richard Wagner, so haben mittlerweile eine Reihe von Komponisten Aufmerksamkeit erfahren, deren – wenn auch mitnichten
alleinige – Betätigungsfelder sich im Bereich instrumentaler Musik, Kirchenmusik oder kleiner
Formen wie Kunstlied konzentrierten und die
zudem bisweilen als wirkungsmächtige Pädagogen mit prominenten Schülerkreisen wirkten. Man
denke etwa an die jüngeren Veröffentlichungen zu
César Franck und Gabriel Fauré.
In diesem Kontext steht das vorliegende Buch
zu George Onslow (1784–1853), herausgegeben
von Thomas Schipperges als erster Teil einer neuen Schriftenreihe der Hochschule für Musik und
Theater Felix Mendelssohn Bartholdy Leipzig,
und 2009 erschienen in optisch wie graphisch sehr
ansprechend gestalteter Form beim Hildesheimer
Georg Olms Verlag.
Das Buch schließt zugleich an einen gewissem
Auftrieb der Onslow-Forschung in den letzten Jahren an, in deren Zentrum vor allem zwei französische
Arbeiten von Baudime Jam und Viviane Niaux (beide 2003). Die letzte umfängliche Onslow-Studie in
Deutschland (Christina Nobach: »Untersuchungen
zu Georg Onslows Kammermusik«, Kassel 1985)
liegt dagegen bereits ein Vierteljahrhundert zurück.
Umso begrüßenswerter ist das Unterfangen der
Autoren, die sich mit der thematischen Disposition
der hier versammelten, nicht zuletzt auf Basis des
runderneuerten französischen Forschungsstandes
verfassten Aufsätze zuvorderst darum bemühen,
eine Einführung in die verschiedenen Arbeitsfelder
Onslows zu geben und so ein fundiertes Gespür für
die Vielfalt wie zugleich für die stilistischen Eigenheiten und kreativen Schwerpunkte dieses Künstlers
zu vermitteln. Der vorliegende Band ist dabei der
erste von angekündigten zweien. Der ausstehende
Komplementär soll insbesondere Werkverzeichnis
und Bibliographie bereithalten.
Der Mangel an Forschungslage zu einem Komponisten wäre nun für sich allein genommen freilich eine historiographisch schwache Motivation,
ihm gesteigerte Aufmerksamkeit zu Teil werden
zu lassen. Es ist schon augenfällig, wie bescheiden Onslows Rezeption bislang jenseits kleiner
Anhängerkreise ausgebildet war. Große Überblickswerke zum 19. Jahrhundert verzichten z. B.
regelmäßig darauf, Onslow auch nur zu erwähnen.
Die Frage nach den Gründen hierfür drängt sich
natürlich auf (der Herausgeber hält in seiner Einleitung auch einige Thesen dazu bereit). Dass Liebhabervereinigungen Onslow als »Le Beethoven
français« (Association George Onslow) bzw. »The
French Beethoven« (The George Onslow Website)
bewerben, lässt zwar aufgrund der Qualität des
Vergleichs innehalten, doch aus demselben Grund
unmittelbar an dessen Ernsthaftigkeit zweifeln,
gerade mit Blick auf Onslows frappierende Nichtrezeption heutzutage.
Doch es war bereits
1829 niemand geringeres als Hector Berlioz, der verkündete,
dass Onslow »seit
Beethovens Tod das
Zepter der Instrumentalmusik in Händen«
halte. Dies mag einen
Hinweis geben, dass
Onslows gegenwärtige
Rezeption im auffallenden Gegensatz zu jener zu seinen Lebzeiten
steht. Obwohl nachdrücklich ein Einzelgänger,
wirtschaftlich unabhängig vom musikalischen
Establishment, namentlich dem von Paris, wurde
sein Wirken über Frankreichs Grenzen hinweg
wahrgenommen. Viele seiner Werke fanden wohlwollende Aufnahme durch die zeitgenössische
Presse und Kritik (wofür einige Beiträge Beispiele
auch aus deutschen Zeitschriften des frühen bis
mittleren 19. Jahrhunderts bringen) und wurden
von etablierten Verlagshäusern publiziert. Onslows internationales Renommee lässt sich auch
unschwer an Ehrungen ablesen. 1829 wurde
Onslow z. B. gemeinsam mit Felix Mendelssohn
Bartholdy nach Carl Maria von Weber 1826 zum
erst zweiten Ehrenmitglied der Philharmonic
Society of London ernannt, 1836 zum Ehrenmitglied der Wiener Gesellschaft für Musikfreunde
und 1842 in der Nachfolge des verstorbenen Luigi
Cherubini zum Mitglied der Pariser Académie der
Beaux-Arts berufen. Ein Œuvre, das nicht zuletzt
vier Bühnenwerke, vier Symphonien, 34 Streichquintette, 36 Streichquartette und zehn Klavier-
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trios umfasst, tut das seine dazu, neugierig darauf zu machen, mehr über diesen Künstler und
die Hintergründe seiner derart auffallend gebrochenen Rezeptionen zu erfahren.
Das vorliegende Buch widmet sich der Aufgabe
mit einer kurzen Einleitung, der sodann insgesamt
neun Aufsätze folgen, welche durchweg nicht mit
Tabellen, Abbildungen, Notenbeispielen und Textauszügen (bei Vokalwerken) sparen, was bei einem
derart schlecht erschlossenen Schaffen eines Komponisten wie in Onslows Fall unbedingt sachdienlich
erscheint. Gemeinsam ist den Texten auch der konkrete analytische Zugriff, der von einer allgemeinen
Vorstellung des Werkbereichs rasch in musikalische
Details und damit in Onslows Musik hinein strebt.
Auffallend an der Disposition des Bandes ist,
dass der Akzent nicht auf der Streicherkammermusik liegt, was angesichts der quantitativen Schaffensund frühen Rezeptionsschwerpunkte vielleicht zu
erwarten stand. Gleich drei Artikel (Muriel Boulan zu den Symphonien Nr. 1 und 2, Bert Hagels
zu Nr. 3 und Stefan Keym zu Nr. 4) arbeiten das
symphonische Schaffen auf, zwei weitere (Arnold
Jacobshagen und Herbert Schneider) widmen sich
Onslows Musiktheaterschaffen, einer (Marianne
Stoelzel) führt in das Klavierwerk ein. Nur ein Drittel des Bandes ist der Kammermusik vorbehalten
und nach zwei Aufsätzen zur Klavierkammermusik (Thomas Schmidt-Beste und Gottfried HeinzKronberger) verbleibt überhaupt nur einer für die
36 Streichquartette (Friedhelm Krummacher). Die
34 Streichquintette stehen sogar noch aus. Diese
Konzeption der thematischen Akzente des Buches
macht das Bemühen der Verantwortlichen sichtbar,
die Onslow-Rezeption auf eine möglichst breite
Basis zu stellen und auf andere Betätigungsfelder
des Komponisten abseits der Streicherkammermusik aufmerksam zu machen: Angesichts dessen,
dass – soweit eine Onslow-Rezeption in Deutschland heute überhaupt festzustellen ist – sich diese
auf die Streicherkammermusik konzentriert, ein
durchaus sinnvolles, die Forschungslage angemessen ergänzendes Unterfangen.
Die Beschäftigung mit Onslow lohnt aus vielerlei Gründen, u. a. (1.) aufgrund der – in diesem Band ausführlich behandelten – spezifischen
Qualitäten seiner Musik, (2.) wegen seiner Stellung unter den Komponisten der ersten Hälfte des
19. Jahrhunderts aus Sicht seiner Zeitgenossen, (3.)
als Ausweis der sich im Wandel und bald schon
im Schwinden befindenden, von Amateurmusikern geprägten und daher von Komponisten mit
entsprechenden spieltechnischen Rücksichten versorgten Salon- und Privatkonzertkultur dieser Zeit,
oder (4.) schließlich mit Blick auf die große Welle
erstrangiger französischer Instrumentalmusik –
symphonische Literatur, aber vor allem Kammerund Klaviermusik – nach 1870/71 als Hinweis auf
entsprechende, zu ihrer Zeit vor allem eben auch
wahrgenommene Vorläufer in Frankreich selbst.
Hinsichtlich des letzten Punktes denke man etwa
an die zahlreichen ausgezeichneten Quintette für
Klavier und Streicher der langen Jahrhundertwende wie die Werke von Cras, Dupont, Hahn,
Huré, Franck, Fauré, d’Indy, Le Flem, Pierné,
Schmitt, Vierne oder Widor, denen neben den
Stücken von Farrenc (1840), Saint-Saëns (1855)
Gouvy (1861) und Castillon (1864) eben auch die
beiden eleganten, klassizistisch gehaltenen Stücke
von Onslow, op. 70 (1847) und op. 76 (1849, eine
Bearbeitung der Symphonie Nr. 4 G-Dur op. 71)
vorausgegangen waren (sie werden eingehend von
Gottfried Heinz-Kronberger besprochen).
In diesem Sinne bekommt man hier nicht nur
einen instruktiven Einstieg in Onslows kompositorisches Wirken geboten, sondern zugleich eine
vergleichsweise wenig beachte Seite der Musikkultur Frankreichs in den ersten Jahrzehnten des
19. Jahrhunderts. Man darf auf den angekündigten
Folgeband gespannt sein. [Frédéric Döhl]
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