49.7 Tuberkulose

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Tuberkulose
Erregerspektrum bei klinischen Formen der Sepsis
Klinische Form
Haupterreger
subakute bakterielle Endokarditis
vergrünende Streptokokken, Enterokokken
septische/postoperative Endokarditis
Staphylokokken
hämatogene Osteomyelitis
Staphylococcus aureus
hämatogene Meningitis
Meningokokken, Pneumokokken, Haemophilus influenzae
Neugeborenensepsis
Enterobakterien, Streptokokken der Gruppe B, Pseudomonas species
Fremdkörpersepsis
Staphylokokken, Streptokokken, Sprosspilze, Pseudomonas species
Infusionssepsis
nicht fermentierende Bakterien, kryophile Keime
Urosepsis
Enterobakterien, Pseudomonas species
Sepsis von der Galle ausgehend
E. coli, Enterokokken, andere Enterobakterien, Pseudomonas
Sepsis vom Darm ausgehend
Enterobakterien, Bacteroides fragilis, anaerobe Streptokokken, Clostridien
Sepsis vom weiblichen Genitale
ausgehend
E. coli, Bacteroides species, anaerobe Streptokokken, hämolysierende Streptokokken, Gonokokken
Sepsis bei immunsupprimierten
Patienten
Enterobakterien, Pseudomonas species, Staphylokokken, Streptokokken,
Sprosspilze
49.7
Tuberkulose
49.7.1
Allgemeines
Synonym: Morbus Koch
engl.: tuberculosis
Arztmeldung an das Gesundheitsamt bei Verdacht, Erkrankung oder Tod.
Labormeldung an das Gesundheitsamt bei Nachweis einer
akuten Infektion.
Definition. Die Infektion durch Mycobacterium tuberculosis, M. bovis oder M. africanum kann verschiedene Organe betreffen (Tab. 49.21), sodass die
Klinik unterschiedlich geprägt ist. Während Klinik
und Befund der Tuberkulose in den jeweiligen Kapiteln behandelt werden, soll hier grundsätzlich auf
die Erkrankung und vor allem auf die therapeutischen Möglichkeiten eingegangen werden.
Ätiopathogenese. Der Erreger wird in der Regel
aerogen (Tröpfcheninfektion) übertragen und führt
bei empfänglichen Personen zu einer Primärinfektion. An der Eintrittsstelle bildet sich der Primärherd,
aus dem die Erreger über die Lymphbahnen (lymphogene Streuung) zu den regionären Lymphknoten
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Tab. 49.20
1003
(meist Lungenhilus) gestreut werden und zusammen mit dem Primärherd den Primärkomplex bilden. Diese Phase der Infektion ist meist ohne klinische Symptome. Die Erreger überleben intrazellulär latent für viele Jahre. Je nach Disposition des
Infizierten kann sich aus dem Primärkomplex eine
klinisch manifeste progrediente Tuberkulose mit
entsprechender Klinik entwickeln (Lebenszeitrisiko
ca. 7 %). Häufig besteht eine mehr oder weniger ausgeprägte Abwehrschwäche durch begleitende Kofaktoren wie Mangelernährung, HIV, Alkoholabusus.
Klinik. Das befallene Organ prägt die Klinik und die
Symptome. Diese können in den ersten Monaten
sehr diskret sein: subfebrile Temperatur, reduzierter
Allgemeinzustand, Leistungsminderung, Nachtschweiß, Gewichtsverlust.
Diagnostik.
● Mikroskopisch: Direktnachweis von säurefesten
Stäbchen im klinischen Material. Die Sensitivität
ist je nach Material gering; hohe Spezifität.
● Kultureller Erregernachweis in Sputum, Magensaft, Pleuraexsudat, Liquor, Urin, Biopsiematerial,
gelegentlich auch im Blut. Die Sensitivität und
Spezifität der kulturellen Untersuchung ist besser
als die der mikroskopischen Untersuchung
(Abb. 49.10). Nachteil: Dauer bis zum Erhalt des
L
49 Infektionskrankheiten
Tab. 49.21
Häufigste Organmanifestationen der Tuberkulose
Organmanifestation
Material für Diagnostik
Details
Pleuritis tuberculosa
Pleuraexsudat, Pleurabiopsie
s. S. 487
Lungentuberkulose
Sputum, bronchoskopisch abgesaugtes Sekret
s. S. 451
Lymphknotentuberkulose
Biopsat oder Punktat
s. S. 1006
Urogenitaltuberkulose
Urin
s. S. 321
Miliartuberkulose
Blut oder Knochenmark
s. S. 1006
Meningitis
Liquor
s. S. 996
Knochen, Wirbelsäule, Gelenk
Punktat oder Biopsat
●
●
●
●
●
Ergebnisses ca. zwei bis mehrere Wochen. Die
Sensitivität der mikroskopischen und kulturellen
Untersuchung bei Lungentuberkulose beträgt für
Sputum 44 %, für bronchoskopisch abgesaugtes
Material 74 % und für Magensaft 36 %. Sie ist am
höchsten bei kavernösen Lungentuberkulosen.
Molekularbiologischer Nachweis mittels PCR in
Körpersekreten wie Sputum, Liquor, Aszites, Pleurapunktat (hoch sensitiv, gelegentlich falsch positiv).
Histologischer Nachweis von Granulomen mit
verkäsenden Nekrosen im Biopsiematerial ist beweisend.
intrakutane Testung mit definierter Menge Tuberkulin (s. S. 453)
Röntgenaufnahme des Thorax in zwei Ebenen
Labor: BSG ist stark beschleunigt, CRP ist mäßig
erhöht.
Therapie. Die Behandlung der Tuberkulose kann
weitgehend ambulant erfolgen. Häufig wird sie –
insbesondere bei mikroskopisch offener Tuberkulose
– stationär eingeleitet und nach 2 bis 3 Wochen
andauernder Sputumkonversion ambulant weiter
fortgeführt. Indikationen für prolongierte, stationäre
Therapie sind:
● Nachweis großer Mengen säurefester Stäbchen in
Sputum oder Bronchiallavage
● Nachweis säurefester Stäbchen in Sputum oder
Bronchiallavage und Herkunft aus einem Gebiet
mit hoher Prävalenz der multiresistenten Tbc
● beidseitig ausgedehnte (d. h. bakterienreiche),
fortgeschrittene Lungentuberkulose, komplizierende Begleiterkrankung (Leber-, Nierenerkrankungen, Diabetes mellitus, Alkoholkrankheit)
● reaktivierte Tuberkulose, insbesondere mit be-
kannter Antituberkulotikaresistenz
● Verdacht auf unzureichende Mitarbeit des Patien-
ten
● Gefahr der sekundären Übertragung
Die antituberkulotische Behandlung erfordert
immer eine Kombinationstherapie (Tab. 49.22).
Eine Monotherapie führt zur Selektion resistenter
Keime. In Deutschland sollte die Behandlung
wegen der hohen Rate von Isoniazid-(INH)-Resistenzen (> 4 %) primär vierfach kombiniert erfolgen. Vielfach muss die Therapie ambulant überwacht werden (DOT: daily observed therapy).
Da INH, Rifampicin (RMP) und Pyrazinamid (PZA)
synergistisch sterilisierend auf alle Bakterienpopulationen (auch ruhende Mykobakterien) wirken, sollten die Behandlungsregime während der gesamten
Behandlungszeit INH und RMP enthalten (Cave:
INH-Hepatotoxizität!), in der Initialphase ergänzt
durch PZA und Ethambutol (EMB) oder Streptomycin (SM, Maximaldosis beachten!). Ein Behandlungszeitraum von 6 Monaten (2 Monate vierfach,
4 Monate zweifach) kann bereits ausreichend sein,
eine 9-monatige Behandlung hat eine niedrigere
Rate an Therapieversagen. Die Therapiekontrolle erfolgt über die Parameter Sputumkonversion, Besserung der Klinik, Kulturnegativierung und die
Rückbildung von Organveränderungen. Zu beachten
ist die lokal hohe Rate an multiresistenten Erregern,
insbesondere bei Patienten aus Ländern der früheren Sowjetunion. Hier ist eine rasche und konsequente Isolation nötig („lieber zu früh und zu
oft“). Ein gebräuchliches Therapieregime sieht wie
folgt aus:
● Initialphase (2 – 3 Monate): Isoniazid + Rifampicin + Pyrazinamid
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1004
a
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Tuberkulose
b
Abb. 49.10 Mycobacterium tuberculosis. a Ziehl-Neelsen-Färbung eines Präparats aus Urin: feine, rote, säurefeste
Stäbchen. Klinische Diagnose: Nierentuberkulose, b Kultur von M. tuberculosis auf Eiernährmedium nach Löwensten-Jensen.
Nach 3 bis 8 Wochen Bebrütung entstehen raue, blumenkohlartige, gelbliche Kolonien (aus Kayser et al., Taschenlehrbuch
Medizinische Mikrobiologie, Thieme).
Tab. 49.22
Gebräuchliche Antituberkulotika
Medikamentenname
(Kurzform)
Tagesdosis
(mg/kg KG)
max. Tagesdosis
Kontraindikationen
Nebenwirkungen
Interaktion
Rifampicin
(RMP)
10
0,75 g
schwere Lebererkrankungen, Thrombozytopathie
Nausea, cholestatische
Hepatopathie, Thrombopenie, Überempfindlichkeitsreaktion
Kortikosteroide,
Antikoagulanzien, Ovulationshemmer (Aufklären!) Alkohol,
Proteaseinhibitoren, Ketoconazol
Isoniazid
(INH)
5
0,4 g
schwere Lebererkrankungen, Psychosen
Nausea, Hepatopathie,
Polyneuropathie, epileptiforme Krämpfe, allergische Reaktionen
Hydantoine, Barbiturate, Cumarine, Alkohol
Pyrazinamid
(PZA)
30 – 35
2,5 g
Niereninsuffizienz,
Gicht
Nausea, Hautexanthem,
Harnsäureretention, Arthralgie, Photosensibilisierung
Acetylsalicylsäure, jodhaltige
Kontrastmittel,
Probenecid
Streptomycin
(SM)
15
1,0 g
Schaden des N. vestibularis, Niereninsuffizienz
allergische Reaktionen,
Ototoxizität, Nephrotoxizität
Aminoglykoside
Ethambutol
(EMB)
20 – 25
2,0 g
Optikusneuritis, Niereninsuffizienz
Einschränkung von Gesichtsfeld, Sehvermögen und Farbsehen,
Nausea
Antazida
nach: Empfehlung des Deutschen Zentralkomitees zur Bekämpfung der Tuberkulose, Pneumologie 2001
L
49 Infektionskrankheiten
● Stabilisierungsphase (3 – 4 Monate): Isoniazid+Ri-
fampicin
●!
Therapiedauer prinzipiell 6 Monate; eine Therapieverlängerung bei folgenden Situationen:
● kavernöse Tuberkulose mit positiven Kulturen
nach 2 Monaten: 9 Monate
● extrapulmonale (Lymphknoten oder skeletal)
Tuberkulose: 9 Monate
● tuberkulöse Meningitis: 12 Monate
● resistente Tuberkulosen: je nach Resistenz
12 – 18 Monate
Die Medikamenteneinnahme erfolgt in täglicher
Einzeldosis gleichzeitig, weil so Spitzenkonzentrationen von Antituberkulotika mit unterschiedlichem
Angriffspunkt gesichert sind. Die Tagesdosen werden nicht verteilt, es wird alles morgens oder alles
abends verabreicht.
Prophylaxe. Die Impfung mit BCG-Impfstoff bietet
keinen absoluten Schutz (Schutzwirkung ca. 50 %)
vor einer Erkrankung. Es gibt jedoch Hinweise,
dass die Impfung einen 75 – 86 %igen Schutz vor
der schweren disseminierten Form der Tuberkulose
gewährt. In westlichen Ländern wird die BCG-Impfung nicht mehr empfohlen.
Häufigste Organmanifestationen der
Tuberkulose
Lungentuberkulose
Die Lungentuberkulose wird im Kapitel „Lunge“ auf
S. 451 ff. besprochen.
Lymphknotentuberkulose
Leitsymptom ist die Schwellung der Lymphknoten,
vor allem im Halsbereich. Bei Abdominaltuberkulose
können auch die Abdominallymphknoten vergrößert sein. Die Patienten klagen über subfebrile bis
febrile Temperaturerhöhung, Nachtschweiß, Gewichtsverlust, Müdigkeit und Abgeschlagenheit.
Bei Laboruntersuchungen fällt eine beschleunigte
BSG auf. Die Röntgenuntersuchung des Thorax
zeigt vergrößerte, z. T. verkalkte Lymphknoten. Sonographisch können bei einer Abdominaltuberkulose Lymphadenopathien und Aszites nachgewiesen
werden. Die Diagnose muss oft bioptisch gesichert
werden. Differenzialdiagnostisch ist an Mononukleose, Toxoplasmose und Lymphome zu denken.
Bei Beginn der Therapie in den ersten Wochen
nimmt die Größe der Lymphknoten häufig zu. Es
können sich Fisteln bilden. Durch den Zerfall der
Mykobakterien und freigesetzte Antigene kann bei
verbesserter Immunlage die Entzündungsreaktion
zunehmen. Besonders ausgeprägt ist die Immunrekonstitution bei HIV-infizierten Patienten bei
gleichzeitiger tuberkulostatischer und antiretroviraler Therapie.
●!
Die Lymphknotentuberkulose gilt als geschlossene Tuberkulose.
Miliartuberkulose
Die Miliartuberkulose ist die generalisierte Form der
Tuberkulose, die im Rahmen einer hämatogenen
Streuung entsteht. Gefährdet sind Patienten mit
massiver Abwehrschwäche oder schweren Grundkrankheiten. Symptome sind reduzierter Allgemeinzustand, hohes Fieber, schweres Krankheitsgefühl
mit Benommenheit. Bei meningealer Beteiligung
kommt es zu Zeichen einer basalen Meningitis mit
Hirnnervenbeteiligung. Im Röntgenbild der Lungen
sieht man feine, diffuse, kleine Knötchen, im Augenhintergrund chorioidale Tuberkel.
Tuberkulöse Meningitis
Die tuberkulöse Meningitis hat einen schleichenden
Beginn mit subfebrilen Temperaturen, Kopfschmerzen, Benommenheit und allgemeinem Krankheitsgefühl und anderen oben beschriebenen Symptomen für mehrere Wochen, bevor die Symptome
einer basalen Meningitis (Nackensteifigkeit, Läsionen der Hirnnerven II, III, IV, VI, VII und VIII) manifest werden. Manchmal tritt auch eine oligosymptomatische Manifestation mit psychiatrischer Klinik
auf.
Diagnostisch ist der Liquordruck erhöht, makroskopisch ist ein klarer Liquor (Zellzahl ca. 500/μl) nachweisbar. Nach längerem Stehenlassen entsteht bei
Zimmertemperatur ein sog. Spinnwebgerinnsel.
Therapie: initial Vierfachkombination (s. Tab. 49.22).
Die Gesamttherapiedauer beträgt 12 – 24 Monate.
Adjuvant wird Dexamethason verabreicht. Die Verbesserung des Überlebens mit Steroiden wird auf die
antiinflammatorische Wirkung zurückgeführt.
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