Laufen macht schlau! Athenlauf

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Laufen macht schlau!
Körperliche Aktivität verbessert die Leistungsfähigkeit des Gehirns.
Ein Beitrag von Dr. Dr. Ralf K. Reinhardt (Molekularbiologe und Sportwissenschaftler), Dr. Sanna Stroth (Psychologin) und Prof. Dr. Klaus Bös (Sportwissenschaftler).
Unter allen menschlichen Organen ist das Gehirn wohl das beeindruckendste. Kein
anderes Organ ist so kompliziert, kein anderes Organ ist so geheimnisvoll, und kein
anderes Organ verbinden wir mehr mit unserem Wesen, unserer Persönlichkeit.
Obwohl dieses besondere Organ nur knapp über ein Kilogramm wiegt (durchschnittliches Gewicht: 1375 Gramm [Männer] bzw. 1245 Gramm [Frauen]), verschlingt es
doch beinahe ein Viertel der uns zur Verfügung stehenden Energie.
Es beherbergt weit über 100 Milliarden Nervenzellen (Neurone), die untereinander
durch über 100 Billionen (über 100.000.000.000.000) einzelner Verbindungen (Synapsen) verknüpft sind. Durch diese komplexe Vernetzung wird das Gehirn enorm
leistungsfähig: Es kann bis zu 750 Millionen aus der Peripherie ankommende Impulse pro Sekunde verarbeiten, und es schickt selbst maximal 450 Millionen einzelne
Signale an die Peripherie, v.a. an die Muskulatur.
Dabei sind nur vergleichsweise wenige Neurone mit der Peripherie verknüpft. Lediglich ca. 2,5 Millionen der über 100 Milliarden Neurone sind afferent (d.h. sie übertragen Informationen aus der Peripherie [z.B. unseren Sinnesorganen] zum Gehirn),
und lediglich ca. 1,5 Millionen Neurone sind efferent (d.h. sie senden Informationen
in die Peripherie, v.a. zur Muskulatur). Die allermeisten Neurone sind also gar nicht
direkt mit der Außenwelt verbunden, sondern dienen der internen InformationsVerarbeitung, der sogenannten Kognition.
Leider arbeitet dieses beeindruckendste aller Organe nicht immer fehler- und beschwerdefrei bis in´s hohe Alter. Betrachtet man Krankheitsstatistiken, dann zeigen
sich Demenzerkrankungen (z.B. M. Alzheimer) und (mehr noch) Depressionen stets
unter den 10 häufigsten Krankheiten in Deutschland.
Weil speziell die Demenzkrankheiten sich oft erst im höheren Alter zeigen, ist es vor
dem Hintergrund einer stetig steigenden Lebenserwartung ganz besonders wichtig,
nach nicht-pharmakologischen Faktoren zu suchen, die den Verlauf der genannten
Krankheiten mildern oder möglicherweise sogar einen Ausbruch der Krankheiten
aufschieben oder ganz verhindern. Was kann jeder Einzelne für sich selbst dazu beitragen, die Leistungsfähigkeit seines Gehirns bis in´s hohe Alter zu erhalten?
Im Zentrum des wissenschaftlichen Interesses stehen hier die sog. Lifestyle-Faktoren
„gesunde Ernährung“, „abwechslungsreiches Leben“ und ganz besonders auch „körperliche Aktivität“. Inzwischen gibt es zahlreiche Studien, die belegen, dass körperliche Aktivität (z.B. Radfahren, Walken oder Laufen) psychisch bedingte Leiden mildern und Alterungsprozesse des Gehirns deutlich verlangsamen kann.
Bekannt ist, dass körperliche Aktivität die Durchblutung des Gehirns verbessert –
quantitativ (es fließt mehr Blut) und qualitativ (es wachsen neue Kapillaren, d.h. das
Blut wird besser verteilt). Weiterhin zeigen Studien, dass ein altersbedingter Verlust
an Hirngewebe bei sportlichen Senioren weniger gravierend ausfällt als bei unsportli-
chen. Was darüber hinaus über die physiologischen Folgen körperlicher Aktivität gesagt werden kann, stützt sich im Moment noch weitgehend auf Tierversuche.
Experimente mit Ratten und Mäusen belegen, dass schon wenige Kilometer täglichen Laufrad-Trainings verblüffende Konsequenzen haben können. Das Gehirn der
trainierten Nager wird stärker und besser durchblutet, es zeigt sich widerstandsfähiger gegen stressbedingte Schädigungen, in manchen Bereichen des Gehirns wachsen in Folge körperlicher Aktivität sogar vermehrt Neurone nach.
Ergänzend dazu wird der Stoffwechsel der sog. Neurotransmitter positiv beeinflusst,
was zur Folge hat, dass die einzelnen Nervenzellen besser und schneller miteinander kommunizieren können.
Neueste Studien berichten sogar von sog. Alzheimer-Mäusen, deren Gehirn Veränderungen aufweist, wie sie normalerweise beim M. Alzheimer vorkommen, und die
eben diese Veränderungen durch körperliche Aktivität reduzieren konnten.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Ergebnisse der bislang vorliegenden Studien übereinstimmend zeigen, dass körperliche Aktivität sowohl bei psychisch Kranken, als auch bei Älteren einen deutlich positiven Effekt auf den Verlauf
der Krankheit bzw. auf einen altersbedingten Leistungsabfall hat.
Was noch weitgehend fehlt, sind wissenschaftliche Erkenntnisse in Bezug auf gesunde, junge Erwachsene. Kann die kognitive Leistungsfähigkeit dieser Altersgruppe
durch Sport verbessert werden? Ist körperliche Aktivität geeignet, unsere neuronale
Hardware zu tunen? Die Ulmer Studie „Laufen macht schlau!“ hat sich 2 Jahre lang
mit diesen Fragen beschäftigt. Molekularbiologen, Psychologen, Ärzte und Sportwissenschaftler haben zusammengearbeitet, um die Frage nach möglichen Zusammenhängen zwischen Lauftraining und Leistungsfähigkeit des Gehirns zu untersuchen.
Probanden waren Schüler/-innen der Akademie für Gesundheitsberufe, einer Einrichtung des Universitätsklinikums Ulm, an der nichtärztliche medizinische Berufe (z.B.
Krankenpfleger oder Hebammen) ausgebildet werden.
Die Probanden waren im Schnitt ca. 20 Jahre alt. Die Akademie für Gesundheitsberufe ist eine Ganztagsschule.
Im Jahr 2005 wurde zunächst eine Pilotstudie mit relativ kleiner Probandenzahl (21)
durchgeführt. Ziel dieser als Crossover-Studie (Laufgruppe + Kontrollgruppe wechseln nach einem bestimmten Zeitraum) war es, herauszufinden, ob bereits 6 Wochen
Lauftraining zu messbaren Veränderungen in der Leistungsfähigkeit des Gehirns führen. Das Lauftraining wurde auf Grundlage der jeweils persönlichen Leistungsfähigkeit (ermittelt durch Laktat-Tests) individuell gestaltet, die Leistungsfähigkeit des Gehirns wurde mit Hilfe psychologischer Tests vor und nach dem 6-wöchigen Interventionszeitraum ermittelt. Untersucht wurden Konzentrationsfähigkeit (d2-Test), verbales und räumliches Gedächtnis (VVM-Test), sowie Stimmung bzw. Affekt (PANAS).
Am deutlichsten waren die Ergebnisse im Bereich räumliches Gedächtnis. Hier profitierten die Läufer signifikant vom Lauftraining, während sich bei der Kontrollgruppe
keine Veränderung zeigte. Ebenfalls deutliche Verbesserungen zeigten sich bei der
Läufergruppe in den Bereichen Konzentrationsfähigkeit (Rückgang der Fehlerzahl)
sowie Stimmung/Affekt (deutliche Verbesserung in der Läufergruppe).
Insgesamt waren die positiven Auswirkungen des Lauftrainings so klar und deutlich,
dass es lohnenswert erschien, 2006 eine qualitativ und quantitativ wesentlich aufwändigere Hauptstudie durchzuführen.
Für die Hauptstudie „Laufen macht schlau!“ konnten 128 Schüler/-innen der Akademie für Gesundheitsberufe als Probanden gewonnen werden. Die Dauer des Interventionszeitraums wurde von 6 Wochen (Pilotstudie) auf 17 Wochen erhöht, für die
Konzeption des Trainingsplans und die Durchführung der Lauf-Ergometrien wurde
eigens eine Kooperation mit dem Institut für Sport und Sportwissenschaft der Universität Karlsruhe [TH] (Leitung: Prof. Dr. Klaus Bös) eingegangen. Allein die Planung
der individuellen Trainingsintensitäten war Gegenstand einer Bachelorarbeit von Matthias Schneider.
Die psychologischen Tests wurden teilweise weitergeführt (räumliches Vorstellungsvermögen), teilweise aber auch deutlich ausgeweitet, indem Tests im Bereich der
Exekutiven Funktionen eingeführt wurden.
Die Exekutiven Funktionen sind ganz vorne in der Großhirnrinde, im sog. Präfrontalen Kortex (PFC) lokalisiert, der dort vorherrschende Neurotransmitter ist Dopamin.
Die Exekutiven Funktionen können als „übergeordnete Kontrollfunktionen“ beschrieben werden. Sie sind verantwortlich für planvolles Handeln, Strategien, die Korrektur
falscher Handlungsimpulse und Aufmerksamkeitsleistungen. Auch das Arbeitsgedächtnis wird den Exekutiven Funktionen und dem PFC zugeordnet.
Die neu eingeführten Test zu den Exekutiven Funktionen waren wichtig, um die Ergebnisse von „Laufen macht schlau!“ mit anderen, ähnlich angelegten Studien vergleichen zu können. Inzwischen hatten sich nämlich gerade die Exekutiven Funktionen als besonders sensitiv gegenüber bewegungsinduzierten Veränderungen erwiesen, zumindest bei Studien, die sich mit älteren Probanden beschäftigten.
Insgesamt kann gesagt werden, dass die Hauptstudie 2006 hielt, was die Pilotstudie
2005 versprochen hatte. Der positive Effekt von Ausdauer-Lauftraining auf das räumliche Vorstellungsvermögen junger Erwachsener konnte bestätigt werden, die zahlreichen Tests zu den Exekutiven Funktionen (Stroop, N-Back, Dots Mixed) ergaben
einheitlich einen positiven Effekt von Lauftraining auch in diesem Bereich. Für eine
ausführliche Darstellung und Diskussion der Ergebnisse sei auf die Dissertation von
Ralf Reinhardt verwiesen (http://digbib.ubka.uni-karlsruhe.de/volltexte/1000012032).
Laufen macht schlau! Es hilft uns schon in jungen Jahren, unsere kognitiven Möglichkeiten voll auszuschöpfen, es erhält unser Gehirn bis in´s hohe Alter leistungsund widerstandsfähig, und es beeinflusst den Verlauf depressiver Erkrankungen positiv. Zusammen mit den bekannten positiven Effekten auf das Herz-KreislaufSystem, das Immunsystem und das respiratorische System (Atmung) gibt es mehr
als genug Gründe, sich von der „Faszination Laufen“ anstecken zu lassen.
Weitere Informationen zum Themenbereich „Körperliche Aktivität und Leistungsfähigkeit des Gehirns“ bekommen Sie auf Nachfrage beim Autor:
Dr. Dr. Ralf K. Reinhardt
Akademie für Gesundheitsberufe
Universitätsklinikum Ulm
Schlossstraße 38
D-89079 Ulm-Wiblingen
Tel.: 0731/500-68006
eMail: [email protected]
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