1.3 Markt und Moral - Katholisch

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Wirtschaftsethik SS 2007 (Zsf. Teil 3), Vogt 8
1.3 Markt und Moral
1. Defizite des Dualismus zwischen Wettbewerbsethik und Solidarität
Warum ist Wettbewerb ein Thema theologischer Ethik?
Soll die Dynamik des Wettbewerbs, der die treibende Kraft weltweit beschleunigter Entwicklung ist,
dem Wohl aller dienen, müssen wir in neuer Weise über seine Bedingungen und Grenzen nachdenken.
Für eine christliche Ethik geht es dabei zugleich um die grundsätzliche Frage nach dem Verhältnis von
Markt und Moral. Ist der Wettbewerb mit seinem Konkurrenzdenken und Vorteilsstreben mit der
biblischen Option für selbstlose Hingabe und solidarische Verantwortung für die Armen vereinbar?
Ein Dualismus zwischen christlicher Ethik und Wettbewerbsethik in dem Sinn, dass eine Art Gegenwelt zur rauen Wirklichkeit aufgebaut wird, stünde von Anfang an auf verlorenem Posten. Gegen
einen solchen Dualismus spricht schon die Analyse: Auch die Begrenzung des Wettbewerbs durch
Protektionismus, Korruption, Monopole und Bürokratisierung ist eine Ursache von Armut. Deshalb
setzt sich der Friedensnobelpreisträger Mohammed Yunus, der als „Banker der Armen“ bekannt
geworden ist und 1974 in Bangladesch die Grameen-Bank mitbegründet hat, dezidiert für eine
Stärkung der freien Marktwirtschaft ein. Durch einen freien und fairen Zugang zu Märkten könnten
sich die Wohlstandschancen vieler südlicher Länder wesentlich verbessern.
Karl Homann bringt die Provokation traditioneller christlicher Ethik durch eine Wettbewerbsethik auf
den Punkt: „Wettbewerb ist solidarischer als Teilen. Wettbewerb ist die effizientere Form der Caritas
unter den Bedingungen moderner Gesellschaft.“
„Das Soziale neu denken“ – aber wie?
Vertreter einer „new economy“ werfen der christlichen Ethik vor, dass die moralische Bevorzugung
des Schwachen zu einer Nivellierung nach unten führe, da sie die Leistungswilligen bestrafe. Die
Initiative „Neue Soziale Marktwirtschaft“ plädiert für mehr Wettbewerb als Grundlage von Freiheit,
Leistung und Gerechtigkeit. Einer ihrer zentralen Slogans lautet: „Sozial ist, wer Wettbewerb zulässt.“
Der Streit um die Akzentuierung von Eigenverantwortung und Wettbewerb gegenüber traditionellen
Modellen der Solidarität und des Sozialstaats prägt auch die sozialethische Diskussion in den Kirchen.
So stellt das 1998 erschienene Expertenpapier der DBK „Mehr Beteiligungsgerechtigkeit“ eine Art
„Revisionsversuch“ der Solidaritätsethik des gemeinsamen Wortes „Für eine Zukunft in Solidarität
und Gerechtigkeit“ (1997) dar. Diese Revision wurde 2003 durch die Stellungnahme „Das Soziale neu
denken“, in der das Soziale als Ermöglichung und Unterstützung von Eigenverantwortung im offenen
Wettbewerb gedacht wird, fortgeführt.
In dem vielschichtigen Konflikt um eine Neuakzentuierung des Sozialen lässt sich festhalten: Wir
haben zugleich zu viel und zu wenig Wettbewerb. Es fehlt an einer exakten Analyse seiner
Bedingungen und Grenzen, die eine konstruktive Zuordnung zu solidarischen Prinzipien ermöglicht.
Eine solche Differenzierung und Integration ist entscheidend dafür, dass christliche Wirtschaftsethik
heute überhaupt ernsthaft denkbar ist und sich nicht in moralisierendem Leerlauf verliert.
2. Analysen zur sozialen Dynamik des Wettbewerbs
Anthropologische Sichtweisen der agonalen Veranlagung des Menschen
Wettbewerb lässt sich beschreiben als das Bestreben, andere zu übertreffen. Hierdurch kommt es in
einer Wettbewerbssituation zu einem Konkurrenzverhalten. Entsteht Leistung primär durch
Konkurrenzsituationen, so spricht man in der Psychologie von Wettbewerbsorientierung. Das
Bedürfnis, eigene Fähigkeiten und Einstellungen mit anderen zu vergleichen, ist dem Menschen
angeboren.
Wettbewerbssituationen finden sich in nahezu allen Lebensbereichen. Aus wirtschaftlicher Sicht ist
Wettbewerb die Konkurrenz in Bezug auf Preis, Qualität und Service zwischen unabhängigen
Unternehmen, die ähnliche Güter anbieten.
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Wettbewerb in der Natur und seine Transformation in Kultur und Gesellschaft
Die Evolutionsforschung versteht aggressives Verhalten als einen endogenen Handlungstrieb. Durch
vielfältige Ritualisierungsformen wird der Kampf um Geschlechtspartner, Territorium, Rangstellung
etc. so eingegrenzt, dass er sich in der Regel evolutionsbiologisch positiv auswirkt. Beim Menschen ist
eine konstruktive Einordnung des Aggressionstriebes auf dem Weg einer integrativen Indienstnahme,
Zügelung und Umlenkung der mit ihm verbundenen vitalen Energie durch andere, gegensteuernde
Triebimpulse anzustreben. Kulturfähig wird der Wettbewerb durch einen Wechsel vom Recht des
Stärkeren zum Recht der Priorität, also des Ersten (von der Aggression zur Konkurrenz).
Wettbewerbsdruck führt sowohl zu Konkurrenz wie zu Kooperationen. Denn nur wer kooperiert,
gewinnt.
Das Wort Konkurrenz, vom lateinischen concurrere, zusammen laufen (im Wettkampf), kommt aus
dem Sport und drückt ursprünglich eine situativ begrenzte und klar regulierte Interaktion zur Ermöglichung von Leistungsvergleichen aus. Zu beachten ist, dass ein echter Wettbewerb Fairness und
Regeleinhaltung voraussetzt. Jedoch ist die psychologische Wirkung von Wettbewerb zweischneidig:
Sie kann die zwischenmenschliche Interaktion beleben, zu Leistungen anspornen und bei Erfolg das
Selbstbewusstsein stärken; sie kann jedoch auch zu Missgunst und Misstrauen gegenüber anderen oder
zu Frustration führen.
Psychologische Differenzen im Wettbewerbsverhalten von Männern und Frauen
Im Wettbewerbsverhalten gibt es deutliche geschlechtsspezifische Unterschiede. Bei Männern sind
Durchsetzungsfähigkeit, Dominanzstreben und die Neigung zum ständigen Messen der Kräfte stark
ausgeprägt. Hingegen sind bei Frauen eher Harmoniebedürfnis, soziale Verantwortung und Anpassung
stark ausgeprägt. Durch diese geschlechtsspezifischen Unterschiede kann es zu Missverständnissen
und Konflikten kommen.
3. Wettbewerb: ein organisatorisches Leitprinzip moderner Gesellschaft
Wettbewerb als Grundlage von Chancengleichheit und Leistungsgerechtigkeit
In modernen Gesellschaften ist die Zuweisung sozialer Positionen durch leistungsorientierte Ausleseund Wettbewerbsprozesse bestimmt. Der Wettbewerb bietet hier ein Gegenmodell zu einer Verteilung,
die durch Merkmale der Geburt (Stand, Geschlecht etc.) gekennzeichnet ist. Ein freier, chancengleicher Wettbewerb ist jedoch eine Idealvorstellung, deren Realisierung immer nur begrenzt gelingen
kann. Denn menschliche Beziehungen sind durch eine Asymmetrie von Macht und Information
geprägt, so dass Chancengleichheit erst durch die Festlegung und Kontrolle bestimmter Regeln
„künstlich“ hergestellt werden muss.
Schattenseiten: Verlierer des globalen Wettbewerbs und die Externalisierung von Kosten
Anhand von vier Beispielen sollen Ambivalenzen und Schattenseiten des Wettbewerbs aufgezeigt
werden:
1. Die Privatisierung des Fernsehens hat zu einem Wettbewerb um die besten Einschaltquoten geführt. Dies führte zu einem Anstieg von seichten Unterhaltungssendungen, die mit Werbeblöcken
durchzogen sind. Der Bildungsanspruch des Fernsehens hat stark abgenommen.
2. Der demokratische Wettbewerb um Wählerstimmen scheint derzeit einem demografischen
Populismus zum Opfer gefallen zu sein. Durch den schnellen Wettbewerb um Wählerstimmen ist
es Politikern fast unmöglich geworden, unbequeme Wahrheiten und langfristige Ziele zu vertreten,
ohne sofort in der Wählergunst abzusinken.
3. Durch eine Reformpolitik, die den Leitsatz „mehr Effizienz durch Wettbewerb“ trägt, sind in den
letzten Jahren viele staatliche Unternehmen privatisiert worden (so z. B. die Post in England oder
Teile der Bahn). Bei diesen Privatisierungen wird der Effizienzgewinn häufig daraus gezogen,
dass Vermögen entäußert wird (z. B. Immobilien der Bahn), die Zahl und Qualität der
Arbeitsplätze reduziert wird, öffentliche Güter teurer werden und Kosten auf Dritte (z. B. die
Umwelt oder künftige Generationen) abgewälzt werden.
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4. Die durch die großen Industrienationen erzwungene Öffnung der Märkte führt zu einer rapiden
Vernichtung ganzer Kulturen mit ihren Sprachen, Lebens- und Wirtschaftsformen sowie zu einer
wachsenden Zahl Verlierer, die kaum Aussicht auf Arbeit und Auskommen haben.
In einer christlichen Wirtschaftsethik muss die Bewältigung der Schattenseiten Vorrang haben gegenüber dem Ziel der Wohlstandssteigerung. Der Wettbewerb ist daran zu messen und danach auszugestalten, ob er dem Gemeinwohl und einer umfassenden menschlichen Entwicklung dient.
Der Holzweg „mittlerer“ Kompromisse
Dem österreichischen Ökonom Josef Schumpeter zufolge ist der Strukturwandel, der auch
Entlassungen und Insolvenzen einschließt, Teil einer „schöpferischen Zerstörung“. Die Politik dürfe
diesen Prozess nicht durch Subventionen oder Protektionsversprechen aufhalten. Ansonsten würde sie
einen Wettbewerb um Subventionswürdigkeit erzeugen. Ein Paradebeispiel für das Hin und Her
zwischen Wettbewerbsethik und Solidaritätsethik ist der globale Agrarhandel.
Der Versuch, sich irgendwo in der Mitte zwischen Wettbewerbs- und Solidaritätsethik zu treffen, ist
nicht die richtige Lösung. Vielmehr geht es um eine Differenzierung hinsichtlich der Voraussetzungen, Bedingungen, Strukturen und Grenzen von Wettbewerb, wenn er der humanen Entfaltung dienen
und mit dem Anspruch christlicher Nächstenliebe und Solidarität vereinbar sein soll.
4. Ansätze zur Integration von Markt und Moral
Soziale Funktion des Wettbewerbs
Der freie Wettbewerb hat sich in den westlichen Wirtschafts- und Gesellschaftssystemen als System
etabliert, das entscheidend zum gesellschaftlichen Wohlstand beigetragen hat. Auch unter dezidiert
sozialen Zielsetzungen darf dies nicht unterschätzt werden. Systematisch lassen sich die Funktionen
des Wettbewerbs unter vier Gesichtspunkten zusammenfassen.
1. Leistungsanreiz und Motivation: Wettbewerb, als Prozess des ständigen Vergleichens mit anderen,
führt dazu, dass die Wettbewerber ständig versuchen neue Produkte zu entwerfen, alte Produkte zu
verbessern bzw. den Produktionsprozess zu verbessern, um hierdurch einen Wettbewerbsvorteil zu
erreichen.
2. Dezentrale Handlungskoordination und Freiheitsermöglichung: Eine zentrale Koordinierungsstelle, die über die Produktion und Verteilung der Güter bestimmt, wird in einem als Markt organisierten Wettbewerb nicht benötigt. Dort übernimmt der Markt, durch die Preise als Indikator der
Dringlichkeit, diese Funktion. Der Wettbewerb überlässt es den einzelnen Akteuren selbst, ihre
Chancen und Stärken zu erkennen, und ist somit ein effektiveres Verfahren zur Handlungskoordination als eine zentrale Steuerung.
3. Allokationsoptimierung und dynamische Wohlstandsmehrung: Der Wettbewerb trägt dazu bei,
dass die Produktionsmittel effizient eingesetzt werden, um so die Produktionskosten zu senken
und den Gewinn zu erhöhen. Der Gewinn des einen wird nicht grundsätzlich einem anderen
weggenommen, sondern bringt in der Regel einen wirtschaftlichen Prozess der
Wohlstandssteigerung in Gang.
4. Machtkontrolle zugunsten Dritter in anonymen Systemen: Durch fehlenden Wettbewerb entstehen
häufig Strukturen, die ineffizient und teuer sind sowie zu überhöhten Preisen führen. Durch die
Konkurrenzsituation des Wettbewerbs kann dies verhindert werden. Die Konkurrenz zwischen
Unternehmen führt in der Regel dazu, dass diese sich gegenseitig kontrollieren und die
Konsumenten – beispielsweise durch Preisnachlässe – begünstigt werden.
Die verspätete Anerkennung des Marktes in der kirchlichen Soziallehre
Die kirchliche Soziallehre, die zuerst zwischen Kapitalismus und Sozialismus zu vermitteln suchte,
sprach sich erst 1991 mit der Enzyklika Centesimus annus (Nr. 19, 42 und 48) für die sozialethische
Anerkennung des freien Marktes als Ordnungsprinzip aus. Im Kompendium der Soziallehre der
Kirche (2004) findet sich im siebten Kapitel ein Abschnitt zur Rolle des freien Marktes: „Der freie
Markt ist eine in sozialer Hinsicht wichtige Institution, weil er effiziente Ergebnisse in der Produktion
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der Güter und Dienstleistungen sichern kann. […] Ein wirklich von Wettbewerb bestimmter Markt ist
ein wirkungsvolles Mittel, um wichtige Ziele der Gerechtigkeit zu erreichen“ (Kompendium der
Soziallehre, Nr. 347; vgl. Centesimus annus Nr. 34).
Systematisch betrachtet liegen der ethischen Anerkennung des regulierten Wettbewerbsprinzips in
Form der Marktwirtschaft vor allem drei Erkenntnisse zugrunde: (1) Der Markt hat positive Effekte
für das soziale und wirtschaftliche Leben. Er motiviert zu Leistungsbereitschaft und effektiven
Produktionsmethoden, er kontrolliert die Wettbewerber und erzwingt niedrige Preise. (2) Da der Staat
nicht in eigener Regie eine direkte Kontrolle der wirtschaftlichen Akteure und eine flächendeckende
Versorgung aller Bürger gewährleisten kann, kommt ihm lediglich eine Assistenzfunktion zu. Ihm
obliegt die Schaffung gerechter Rahmenbedingungen für den sozialen und ökonomischen Austauschprozess. (3) Die Durchsetzung von Gemeinwohlinteressen mit Hilfe von Wettbewerbsstrukturen, die
das individuelle Vorteilsstreben statt den Gemeinsinn ansprechen, hat zur Konsequenz, dass ein am
Eigeninteresse orientiertes Handeln als adäquate Anpassung an die gewollten gesellschaftlichen
Strukturen erscheint und insofern auch moralisch anerkannt werden muss. Gewinn hat eine berechtigte
Funktion als „Indikator für Zustand und Betrieb eines Unternehmens“.
In den letzten Jahren hat die Marktwirtschaft sich erfolgreich über die ganze Welt verteilt. Hierbei hat
sich jedoch gezeigt, dass sie ihre soziale Dimension nicht entfalten konnte. Sollen sich die sozialen
Funktionen des Marktes wirksam entfalten können, so bedarf es einer intensiven Reflexion der
Bedingungen und Grenzen des Wettbewerbsprinzips.
5. Bedingungen und Grenzen des Wettbewerbs
Institutionelle Rahmenbedingungen für fairen Wettbewerb
Die wichtigste Schlussfolgerung ist, dass der Staat möglichst wenig durch direkte Interventionen in
den Wettbewerb eingreifen sollte. Seine Aufgabe ist die Herstellung einer politisch-rechtlichen
Rahmenordnung, die die Sicherung des Eigentums und die Vertragsfreiheit garantiert, sowie die
Schaffung von Chancengleichheit durch die Verhinderung von Monopolstellungen. Des Weiteren
obliegt es dem Staat, für die soziale Sicherung in den Bereichen zu sorgen, die nicht über die
Steuerung durch Märkte oder gesellschaftliche Eigeninitiative abgedeckt werden können.
Eine weitere Bedingung für einen fairen Wettbewerb ist die Schaffung von Leistungsäquivalenten.
Hierbei muss die Konkurrenz- oder Verhandlungssituation so beschränkt werden, dass eine Ausnutzung einseitiger Machtverhältnisse unterbunden wird. Nötig ist eine soziale und ökologische Rahmenordnung, die Chancengleichheit herstellt und eine Externalisierung von Kosten verhindert.
Tugenden zur Integration von Markt und Moral
Für einen fairen Wettbewerb sind nicht nur rechtliche Regelungen erforderlich, sondern es bedarf auch
einer freiwilligen moralischen Mehrleistung der Individuen: (1) Die Geltung einer Rechtsordnung
beruht nie allein auf der Sanktionierbarkeit ihrer Normen, sondern immer auch komplementär auf der
Grundlage freiwilliger Akzeptanz durch die Individuen. (2) Rechtsnormen sind oft nur sehr allgemein
und müssen von den einzelnen Individuen in ihren jeweiligen Handlungsfeldern interpretiert,
konkretisiert und implementiert werden. (3) Innovationen müssen von den einzelnen Akteuren in
Wirtschaft, Wissenschaft und Praxis ausgehen.
Diese drei Grundfunktionen der Moral im Kontext der Wirtschaft – komplementär, implementär und
innovatorisch – umschreiben die Grundbereiche der jenseits des Rechts liegenden Übergänge
zwischen Moral und Markt. Sie verdeutlichen, dass ein Markt auf Dauer nicht ohne individuelle
Verantwortungsbereitschaft funktionieren kann.
Kosten des Wettbewerbs im Blick auf das Gemeinwohl
Das Argument von Hayek, dass der Markt Freiheit ermöglicht, muss unter heutigen Bedingungen
kritisch ergänzt werden: Zugleich mit der Freiheitsermöglichung ist er ein Handlungsraum, der
enorme Zwänge mit sich bringt und die einzelnen Akteure, die darauf angewiesen sind, sich im Markt
durchzusetzen, unter Druck setzt und in seine eigene Logik zwingt. Der Markt ist also keineswegs nur
ein neutraler Spiegel der individuellen Präferenzen der Kunden, sondern er prägt auch die Leitwerte
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der Interaktion und die Präferenzen der Marktteilnehmer in erheblichem Maße: Der Freiheitsgewinn
durch Wettbewerb ist also ethisch abzuwägen gegen den Freiheitsverlust durch die Zwänge und
Wahrnehmungsverzerrungen des Wettbewerbs.
Wenn der Markt zum Selbstzweck wird, findet eine Verkehrung von Mittel und Zweck statt, die ihn
„zu einer unmenschlichen und entfremdenden Einrichtung mit unabsehbaren Folgen verkommen
lassen kann“ (Kompendium der Soziallehre, Nr. 348). Notwendig sind moralische Zielsetzungen, die
„die Autonomie des Marktes sicherstellen und gleichzeitig in angemessener Weise eingrenzen“
(Kompendium der Soziallehre, Nr. 349). Das ethische Problem des Wettbewerbs ist letztlich das der
Begrenzung gesellschaftlicher Teilsysteme auf eine je spezifische Teilrationalität, die nicht ohne
weiteres auf das Gemeinwohl hin integriert werden kann.
Die positive Seite der Subsidiarität als Basis des „sozialen Kapitalismus“
Insofern Sozialpolitik die Voraussetzungen für Leistung durch Risikoschutz, Bildungszugang und
Beteiligung schafft, ist sie als integraler Bestandteil der Marktwirtschaft zu werten. Das Soziale ist
unter diesem Blickwinkel eine Investition in die Entwicklung und Leistungsfähigkeit (künftiger)
Marktteilnehmer Der Sozialstaat ist eine Investition in besseres Funktionieren von Markt und
Wettbewerb, Empowerment, aktivierender Sozialstaat, Hilfe zur Selbsthilfe. Er soll nicht die vom
Strukturwandel Betroffenen entschädigen, sondern sie in die gesellschaftliche Interaktion
reintegrieren.
Dieser Integrationsanspruch muss heute angesichts des globalen Wettbewerbs sowie des
demografischen Wandels neu gefunden und durchgesetzt werden. Das wesentlich von christlichen
Grundlagen inspirierte Modell der Sozialen Marktwirtschaft und des so genannten „rheinischen
Kapitalismus“ scheint an sein Ende gekommen zu sein. Aber auch der „Erlösungsliberalismus“
verliert seine Anziehungskraft (Gabriel/Große-Kracht 2004).
Die einseitige Interpretation des Subsidiaritätsprinzips, die auf eine Privatisierung von Risiken
hinausläuft, statt die heute neu auszubalancierende Zusammengehörigkeit von Eigenverantwortung
und Solidarität herauszuarbeiten, ist m. E. der Hauptgrund für den Verlust sozialpolitischer Glaubwürdigkeit auch in kirchlichen Stellungnahmen. Im Sinne der Ermöglichung von Eigenverantwortung
erfordert Subsidiarität heute vom Staat verstärkte Anstrengungen: Dazu gehören u. a. die Sicherung
öffentlicher Güter wie Bildung und Gesundheitsversorgung für alle, intergenerationelle Gerechtigkeit
durch Familien- und Umweltpolitik sowie eine Begrenzung der Staatsverschuldung.
Freiheit durch intelligente Selbstbeschränkung
Im Blick auf die Exklusion der Armen sowie den Ausverkauf der ökologischen Lebensgrundlagen
werden die Begrenzung des Wettbewerbs und seine Umlenkung auf langfristig und gesamtgesellschaftlich wünschenswerte Ziele zu einer Existenzfrage der Zukunftssicherung. Grenzenloser
Wettbewerb führt zur Atemlosigkeit kurzfristiger Ziele. Der ständige Wettbewerb lässt keine Atempausen, in denen der Einzelne innehalten und überlegen kann, was er selbst wirklich vorrangig braucht
und was die Sinnperspektive des eigenen Lebens ist, von der her die Güter, die man im Wettbewerb
erringen kann, erst ihren Wert erhalten.
Notwendig ist eine „intelligente Selbstbegrenzung“ (Offe 1989), damit die Dynamik des wirtschaftlichen Wettbewerbs nicht so sehr das Handeln der Marktteilnehmer und den Gang der gesellschaftlichen
Entwicklung bestimmt, dass der Mensch zu ihrem Sklaven wird, statt die Wirtschaft als Mittel zur
Erreichung seiner humanen und kulturellen Ziele zu nutzen (vgl. Sen 2002). Die Logik des Wettbewerbs darf nicht mit der Logik von Geldmärkten gleichgesetzt werden, weil dies sonst zu einseitigen
Dominanzen der Reichen in allen Bereichen führt; notwendig ist vielmehr eine Abgrenzung von
„Sphären der Gerechtigkeit“ (Walzer 1992), damit sich die gesellschaftlichen Teilsysteme nach ihrer
je eigenen Logik entwickeln können und sich eine differenzierte Vielfalt unterschiedlicher Chancen
entsprechend der Vielfalt unterschiedlicher Begabungen und Handlungssysteme herausbildet.
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6. Die Logik des Evangeliums und die Logik des Wettbewerbs
„Die Letzten werden die Ersten sein“ – Transzendierung der Maßstäbe von Erfolg
Der Wettbewerb ist ein Leitprinzip der Gestaltung moderner Gesellschaft. Das evolutionäre Erklärungsmodell von Ordnungen durch das Prinzip der Nützlichkeit im Wettbewerb ist das erfolgreichste
Paradigma moderner Wissenschaft und nimmt aus Mangel an Wahrheitstheorien nicht selten den
Charakter eines Weltbildes an (Vogt 1997). Dieser Hintergrund ist mitverantwortlich dafür, dass der
Markt bisweilen wie ein metaphysisches Prinzip oder wie eine „Götze“ (Kompendium der Soziallehre,
Nr. 349) verabsolutiert wird.
Es gibt wesentliche Differenzen zwischen der Deutung der Welt als Wettbewerb und der christlichen
Wirklichkeitssicht:
- Nach christlicher Überzeugung ist das zentrale Ziel allen menschlichen Strebens, nämlich das
ewige Leben oder die Schau Gottes, kein knappes Gut, das sich sinnvoll in den Kategorien des
Wettbewerbs denken lässt. Nicht durch Konkurrenz zum Mitmenschen, sondern durch liebende
Zuwendung zu ihm öffnet sich der Mensch der Gnade Gottes.
- Literarisch ist eine der wesentlichen Besonderheiten der Bibel, dass sie die Geschichten von
„Scheiterern“ und Verlierern bewahrt. Damit wird nicht das Scheitern selbst verherrlicht, sondern
der Blick kritisch geweitet, insofern das, was vor Gott zählt und langfristig gelingendes Leben
bringt, nicht identisch ist mit dem, was unter Menschen als Erfolg bewertet wird.
- Die zahlreichen Varianten der Sprüche zum Erster- und Letztersein in den Evangelien sind ein
deutlicher Kontrapunkt zur Leistungs- und Wettbewerbsmoral. Der Maßstab Gottes transzendiert
jede Rangordnung unter Menschen.
- Die Barmherzigkeit Gottes ist nicht der Lohn für Leistung, man muss sie nicht verdienen; sie wird
ohne Vorleistung geschenkt. Wer christliche Ethik zum verlängerten Arm bürgerlicher Leistungsmoral macht, verkehrt sie in ihr Gegenteil.
Erneuerung der Sozialen Marktwirtschaft durch „Kapitalisten der Nächstenliebe“
Christliche Caritas und Solidarität folgen nicht der Logik des Wettbewerbs. Aber nur wo moralische
Standards von Regeltreue und solidarischer Hilfe gelebt werden, kann Wettbewerb sein humanes
Gesicht wahren und kulturelle Leistungen fördern. Das Profil einer Wettbewerbsethik im Rahmen
christlicher Moral lebt davon, dass sie die Stärke der Schwachen entdeckt und fördert; sie erweitert
kritisch die Maßstäbe des Erfolges, indem sie über die Ziele des Gewinns oder des Prestigestrebens
hinaus nach dem fragt, was durch Geld und gesellschaftliche Anerkennung gewonnen werden soll.
Wettbewerbsfähige Solidarität braucht „Kapitalisten der Nächstenliebe“, die die Potentiale der
Bedrängten entdecken, fördern und als Marktmacht nutzen.
Die Zukunft der Sozialen Marktwirtschaft hängt davon ab, ob eine solche Integration von Markt und
Moral auf allen Ebenen – von individuellen Initiativen Einzelner bis hin zu globalen Rahmenbedingungen für eine ökosoziale Marktwirtschaft – gelingt. Drei Thesen sollen abschließend meine
Überlegungen und Fragen hierzu zusammenfassen:
1. Der Wettbewerb ist eine ethische Leitidee moderner Gesellschaft. Eine Kultur des Wettbewerbs hat
jedoch labile Voraussetzungen und bedarf aktiver politischer und gesellschaftlicher Gestaltung.
Theologie und Kirche können dazu Wesentliches beitragen, indem sie die Maßstäbe des Wettbewerbs
hinterfragen und immer wieder neu auf eine Integration der Schwachen drängen.
2. Sowohl die Entgrenzung als auch die Behinderung bzw. Verzerrung des Wettbewerbs ist in der gegenwärtig dominierenden Globalisierung der treibende Motor für eine Spaltung der Welt in Gewinner
und Verlierer.
3. Notwendig ist eine zeitgemäße Weiterentwicklung des Modells der Sozialen Marktwirtschaft auf
globaler Ebene, um Markt und Moral ohne Systemwiderspruch zu integrieren.
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7. Ökonomische Analysen gesellschaftlicher Konflikte
Zusammenfassend kann man das Verhältnis von Ökonomie und Ethik durch drei grundlegende
Aspekte charakterisieren:
1. Ethik und Ökonomie stehen nicht in konträrem Gegensatz, sondern in einem konstruktiven
Ergänzungsverhältnis: Ethik konkretisiert sich teilweise in der Frage nach Güterabwägung
(Kosten-Nutzen-Rechnung) in Knappheitssituationen.
2. Ökonomische Perspektiven können den ethischen Begründungsdiskurs nicht ersetzen: Das etwas
ökonomisch nützlich ist, heißt noch lange nicht, dass es auch ethisch gut ist.
3. Der Schwerpunkt des Beitrags der Ökonomie zur Ethik ist eine Analyse der Strukturen und
„Anreize“, die notwendig sind, um ethische Ziele in einer Gesellschaft durchzusetzen, in denen die
Individuen ihre Interessen und Vorstellungen vom guten Leben selbst definieren und eigenständig
danach handeln. Sie ist hilfreich zur „Implementation“ der Ethik in moderner Gesellschaft.
Um diesen dritten Aspekt soll es nun im Folgenden gehen.
Der „homo oeconomicus“
Die strikte Anwendung des Rationalitätsprinzips im Sinne individueller Interessenmaximierung ist
eine zentrale methodische Voraussetzung moderner Institutionenökonomik. Sie von einem
methodischen Individualismus aus und unterstellt, dass der einzelne eine unbegrenzte Fähigkeit und
Neigung zur Nutzenmaximierung in allen Bereichen besitzt. Dies ist keine realistische Annahme und
kein Menschenbild, sondern ein „Situationsmodell“, das eine gezielte Analyse der anreizabhängigen
Faktoren des Verhaltens ermöglicht. Man kann auf dieser Basis die Anreizwirkungen institutioneller
Arrangements vergleichen.
Trittbrettfahrerproblem, Allmendefalle und Gefangenendilemma
Institutionenökonomik zielt auf die Definition von Rahmenbedingungen, durch die alle zu adäquaten
Investitionen und Opfern für das Gemeinwohl verpflichtet werden. Sie will Bedingungen schaffen, die
Lücken für „Trittbrettfahrer“, die gesellschaftliche Vorteile genießen wollen, ohne einen eigenen
Beitrag zu leisten, zu schließen.
Ein weiteres wirtschaftstheoretischen Problem ist die „Allmendefalle“: Wenn keine individuellen
Eigentumsrechte definiert sind, neigen die Interaktionspartner in der Regel dazu, die Ressourcen zu
übernutzen. Individuelle und kollektive Rationalität treten auseinander. Die „unsichtbare Hand“ des
Marktes funktioniert suboptimal. Dies lässt sich auch im Gedankenexperiment des
„Gefangenendilemmas“ veranschaulichen.
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