Faszination Forschung 5 / 0 9

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Porträt
Rethink Building
„Das Bauen neu erfinden, um den Planeten zu retten“ – die
Forderung von Thomas Herzog, Architekt, Baumeister und
Emeritus of Excellence TUM, ist radikal und konsequent
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Ziegelsteinen, sondern promovierte über Raumbildung
mit pneumatischen Konstruktionen. Dabei bewegte er
sich in einem Klima der Offenheit und im Umfeld großen
Konstrukteure seiner Zeit wie Konrad Wachsmann, Fritz
Haller und Frei Otto.
Als „Forscherarchitekt“ offen für alles
Kunst und Wissenschaft waren keine Gegensätze,
sondern befruchteten sich gegenseitig. Dies sollte auf
Dauer eines der Leitmotive seines Œvre werden. Die
Neugier, das Offensein für alles prägte den Geist dieser Tage und beeinflusst Herzogs Selbstverständnis bis
heute. Daraus und aus seiner humanwissenschaftlichen
Orientierung findet der oftmals als „Forscherarchitekt“
Bezeichnete einen, wie er es nennt, „barrierefreien Zugang“ zu den Naturwissenschaften.
Mit Beginn der Ölkrise und zunehmenden Umweltbelastungen in den Industrienationen in den frühen 1970erJahren wandelte sich die Sicht der Dinge beim Umgang
mit den Ressourcen. Energie, Ernährung und Behausung auf nachhaltige Weise zur Verfügung zu stellen,
Stadt und Freiraum sozial und ökologisch besser zu organisieren – diese Kernthemen traten in den Mittelpunkt
Herzog’schen Arbeitens. Seine Herangehensweise war
dabei jedoch weniger politisch, keinesfalls ideologisch
motiviert, sondern basierte auf funktionalen Aspekten
und entsprach wissenschaftlichen Kriterien und ingenieurmäßigen Methoden.
Materialien und Baustoffe
Aerogele,
Ateliergebäude, Bayern, 1994
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Putzfläche und Kunst (N. Lang),
Design Center Linz, 1994
Fotos von links nach rechts: Archiv Herzog + Partner, Dieter Leistner,
Peter Bartenbach, Dieter Leistner; Foto oben: Herzog-Loibl
er Klimawandel verursacht bei Thomas
Herzog, der bis 2006 als Ordinarius für Gebäudetechnologie und Dekan der Fakultät
für Architektur der TUM tätig war, ein Arbeitsvolumen
im Ruhestand, das einen beim Besuch seines Ateliers
in München in Staunen versetzt. Doch wen wundert
es, dass einer der großen Pioniere nachhaltiger und
energieeffizienter Architektur in Zeiten fortschreitender
globaler Erwärmung und wachsenden Ressourcenverbrauchs national und international als wichtiger Ratgeber und Weichensteller gefragt ist.
Thomas Herzog arbeitete bereits in den 1970er-Jahren
intensiv an Gebäudetypen, die durch ihre Konstruktionsweise, Form, Materialität und Ausrichtung zu Sonne
und Wind einzigartig waren. Als er Ende der 60er-Jahre neben der Arbeit als Architekt seine akademische
Karriere in Stuttgart begann, erlebte er eine Aufbruchzeit. Architekturstudios und Visionäre wie Archigramm,
Superstudio oder Buckminster Fuller veränderten das
Denken so, wie die Beatles die Musik revolutionierten.
Alles schien möglich, Häuser würden zukünftig ihr Gesicht und ihre Physis komplett verändern können. Die
vermeintlich unbeschränkte Verfügbarkeit von Energie
ermöglichte es, sich völlig von den Zwängen des Materials zu lösen. Vollständige Transparenz und Leichtigkeit, ein alter Traum der Menschheit, vergleichbar
mit dem vom Fliegen, schienen keine Utopie mehr. So
arbeitete auch Thomas Herzog nicht mit Beton und
Porträt
Thomas Herzog sitzt in seinem Arbeitszimmer und es
sind nur noch wenige Stunden bis zu seiner Abreise
nach China, wo er als Professor an der Tsinghua-Universität in Peking tätig ist – einer Partneruniversität der
TUM. Er hat davor noch Grundsatzentscheidungen zu
einem städtebaulichen Wettbewerb in Linz zu treffen
und so manches zur Eröffnung des Forums der Bayerischen Bauwirtschaft zu organisieren, dessen beeindruckendes Gebäude am Oskar-von-Miller-Ring in
München das Büro jüngst realisiert hat.
Dieses breit gefächerte Arbeitsspektrum zeigt, dass
globalen Problemen wie dem Klimawandel mit seinen
komplexen Zusammenhängen nur beizukommen ist,
wenn man sich als Architekt und Forscher an den Idealen des Homo universalis orientiert, was für Herzog
auf die heutige Zeit übertragen bedeutet, disziplinübergreifend zu arbeiten. An den Universitäten sei dies am
besten umsetzbar, da dort der wirtschaftliche Umsetzungsdruck geringer sei.
Thomas Herzog, TUM Emeritus of Excellence
Herzog, der mit Sprache so präzise umgeht wie mit
seinen Konstruktionen, kritisiert die Unschärfe, mit
der viele Architekten Begriffe wie Vernetzung, Innovation und nicht zuletzt Forschung in ihrer Arbeit und im
Diskurs benutzen. Er legt Wert darauf, dass Forschung
anzusetzen hat, wo das vorhandene Wissen ausgeweitet werden soll, und sich von Recherche dahingehend
unterscheidet, dass der Ausgangspunkt der Stand
Tageslichtraster,
Design Center Linz, 1994
Metall-Glas-Fassade mit Lüftungslamellen,
Hochhaus Deutsche Messe AG, 1999
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Architektur leistet ortsbezogene
Kompositionsaufgaben
Schließlich weiß er wovon Herzog, redet. In Hochschule
und Büro sind ihm und seinen Teams neben umfassender Forschungstätigkeit zahlreiche Produktentwicklungen im Bereich des ökologieorientierten Bauens gelungen. Bauteile, die der Umsetzung energieeffizienter
Architektur als integrale Bestandteile zur Verfügung
stehen und nicht nur additiv aufgesetzt sind. Hier ist
Herzog wieder ganz Architekt. Er stellt klar: „Architektur ist keine Wissenschaft, sondern sie löst ortsbezogene Kompositionsaufgaben, die harte und weiche
Bedingungen einbinden.“ Komposition hält Thomas
Herzog für den geeigneteren als den gemeinhin benutzten Begriff Entwurf. „Denn Komposition bedeutet
das Zusammenbringen der Dinge, ihre Integration auf
ein Ziel, auf eine Gesamtwirkung hin. Das ordnende
Zusammenbringen sich aufeinander beziehender Dinge ist wesentliche Bedingung für Architektur – zunächst
beim Bauen als kulturelle Aufgabe, sodann auch im allgemeinen, übertragenen Sinne.“
Thomas Herzogs formal, funktional und technisch präzise ausdifferenzierte Bauten spiegeln vor allem auch
seinen hohen gestalterischen Anspruch und seine vertiefte Auseinandersetzung mit Formen und Ästhetik einer weiterentwickelten Moderne wider.
Wie wichtig es ist, Antworten auf die Fragen des Klimawandels, des Ressourcenverbauchs und des energieeffizienten Bauens zu geben, zeigt Herzog mit Nachdruck
auf. Es geht um nicht weniger als den Fortbestand der
Lebensgrundlagen auf der Erde.
Während die „emerging countries“ mit ihrem an den
westlichen Standards orientierten Energiehunger und
wachsenden Ressourcenverbrauch die Erwärmung der
Atmosphäre regelrecht mit anheizen und globale Wasserknappheit sowie der Rückgang fossiler Brennstoffe
immer größere Auswirkungen zeigen, sind es auch die
weniger stark beachteten Effekte, die er herausarbeitet:
So verursacht die fortschreitende Industrialisierung,
Systemintegrationen
Ziegelfassade, 1978
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Transluzente Wärmedämmung, 1986
neue Tageslichtraster, 1989
Fotos von links nach rechts: Müller-Naumann, Dieter Leistner,
Peter Bartenbach, Peter Bonfig, Dieter Leistner, Herzog-Loibl
des Wissens der scientific community ist und nicht der
zufällige individuelle Wissensstand der Einzelperson.
Die Recherche ist lediglich ein notwendiger Teil wissenschaftlichen Arbeitens, steht am Beginn, vor der Aufbereitung, der Analyse, der Hypothese, der methodischen
Ausarbeitung, der Wertung, der Zusammenfassung und
dem Ausblick. Entwicklung aber baut auf vorhandenen
Realisierungsmöglichkeiten auf, bezieht sich in der Architektenarbeit meist auf ein Bauteil, auf Subsysteme
oder ganze Gebäude. Das gewünschte Ergebnis ist im
Gegensatz zur Forschung aber in der Regel als Ziel a
priori festgelegt. Herzog geht es immer wieder um Präzisierung, um Genauigkeit, für die er sich Zeit nimmt,
und um die bestechende Klarheit des Denkens, die sich
auch in seinen Bauten widerspiegelt.
Porträt
dass in den Städten Wohnraum für immer mehr Menschen geschaffen werden muss. Hieraus entstehen für
Planer völlig neue Fragestellungen und Aufgaben.
Wie ernst die Lage inzwischen ist, zeigt sich auch daran, dass Großindustrie, Politik und Universitäten neuer­
dings gemeinsam Antworten auf Fragen suchen, die
durch den Klimawandel aufgeworfen werden. Es besteht die Notwendigkeit und der Drang, Informationen
zu erhalten und Modelle zu entwickeln. Weltweit entstehen dabei vermarktbare Systeme und Produkte.
Architektur neu definieren
Thomas Herzog sieht hier ein Aufeinandertreffen von
ökologischen Zielsetzungen und dem ernsthaften Bedarf an technischen Lösungen. „Als Gestalter und Entwickler kommt es mir zupass, in Form von Architektur
auf diese Dinge zu reagieren.“ Dabei ermöglichen Forschung und Entwicklung, das Repertoire an Verfügbarem zu erweitern und damit einsetzbar zu machen.
So kann eine kulturell relevante, ästhetisch sich neu
definierende Architektur entstehen: „Rethink Building“,
so sein Postulat. „Denke von Grund auf darüber nach,
wie komfortable, auf Dauer anpassungsfähige, funktional und ästhetisch gute Gebäude entstehen können,
ohne dass die Nachteile wie Ineffizienz bei Stoff- und
Energieströmen bestehen bleiben!“ Doch der gebaute
Alltag sieht häufig anders aus: Es ist beispielsweise offensichtlich, dass der Einsatz von Photovoltaik rapide
erste Glasfenster mit Aerogel, 1994
zunimmt, es bisher jedoch noch selten überzeugend
gelungen ist, diese in das Gebäude als Gesamtsystem
zu integrieren. Dies hat Folgen: Zum einen stellen diese
hinzugefügten Systeme unter ästhetischen Gesichtspunkten oftmals störende Fremdkörper dar, zum anderen addieren sich Kosten und baulicher Aufwand.
Zudem tut sich in Bezug auf innovative Architektur ein
strukturelles Dilemma auf. Herzog differenziert: „Als
Architekt ist man weitgehend in der Haftung. Man hat
nach den geltenden Regeln der Technik zu handeln,
die notwendigerweise aus der Vergangenheit stammen. Somit birgt der Einsatz neuer, aus Forschung und
Entwicklung stammender Bauteile und Bauweisen, die
nicht dem allgemeinen Kenntnisstand entsprechen und
worüber noch keine Langzeiterfahrung vorliegt, auch erhebliche Risiken.“ Alternative Ansätze für neue Bauteile
und Bausysteme haben zumeist noch nicht den Stand
erreicht, Gebäude und deren Teilsysteme so errichten
zu können, dass sich eine grundsätzliche Veränderung
der Situation darstellen würde.
Große Serien
Thomas Herzog hat nicht nur klare Vorstellungen von
den unter Einfluss des Klimawandels sich verändernden
Architekturen, auch die Arbeitsweisen und Strukturen,
unter denen neue und klimagerechte Architektur entsteht, beschäftigen ihn. Auf die Frage nach dem Stand
der industriellen Produktion im Baubereich und
riesige Holzgitterschale, 2000
Doppelfassade und Photovoltaik 2009
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dem viel geringeren Grad an Konzentration und Standardisierung im Bauwesen im Vergleich zu den heutigen Schlüsselindustrien antwortet er mit einem Zitat
von André Gide: „Was mich angeht, so glaube ich an
die Kraft der kleinen Zahl.“ Er führt weiter aus, dass
die Wendigkeit und Effizienz von Dingen, die nicht zu
groß sind, sondern klein und überschaubar, oft sehr
viel besser ist. Vergleichbar der Evolutionsgeschichte
ist es nicht das olympische „Höher, Schneller, Weiter“,
sondern die Anpassungsfähigkeit und die Fähigkeit
zu reagieren, die zu überlegenen Konzepten führen.
Zwar gab es seit der Entstehung der Moderne große Anstrengungen im Versuch, das Bauen zu industrialisieren
und in den Produkten zu systematisieren. Die wenigen
qualitativ und gestalterisch hochwertigen Bausysteme,
die dabei entstanden, bleiben jedoch in ihren Anwendungsmöglichkeiten limitiert und lassen zu wenig Spielraum für Individualität und lokale Anpassungsfähigkeit.
Zu geringe gestalterische Freiheit führt leicht zu Monotonie und mangelnder gesellschaftlicher Akzeptanz. So
ist es ein Kennzeichen extremer Gesellschaftsformen,
ihre architektonischen Erscheinungsbilder auf imposante Ausdrucksgesten und Funktionalität auszurichten,
ohne das Individuum zu berücksichtigen: Dieses kann
sich in seiner Einzigartigkeit nicht erfahren.
Kompositionen
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Derartige Friktionen der Moderne veranlassen Herzog
zum Plädoyer für ein kontextbezogenes Bauen und individuelles Reagieren auf die Besonderheiten des Ortes, aber auch für offene, modulare Systeme, die durch
kluges Assembling die formal und funktional einwandfreie Verwendung von Bauprodukten zur Bewältigung
der jeweiligen Bauaufgabe leisten.
„Reacting Skin“
Das Reagieren der Gebäudehülle auf die vom Klima
vorgegebenen Anforderungen sowie die Nutzung und
Einbindung in die Umgebung ziehen sich wie ein roter
Faden durch die Arbeit von Thomas Herzog. So reagiert
die gläserne Gebäudehülle des Design Centers in Linz
(1988 – 1993), einer der beeindruckenden Großbauten
des Büros Herzog + Partner, nicht nur auf die auftreffende Solarstrahlung. Die Technologie seiner Hüllkonstruktion ist vielmehr formbestimmend und damit unmittelbar städtebaulich prägend.
Die Bauaufgabe in Linz bestand darin, einen das Tageslicht nutzenden Großraum zu schaffen, der dem
gegenwärtigen Stand des technischen Könnens Rechnung trug. Für seine Planung war gleichermaßen die Simulation des Gebäude-Innenklimas Voraussetzung wie
auch die Erfüllung heutiger Anforderungen zur Reduk-
Porträt
tion des Verbrauchs von thermischer und elektrischer
Energie. Auch standen die Möglichkeiten einer koordinierten industriellen Produktion im Lastenheft.
Einige Hinweise sind ihm jedoch wichtig: „Wenn man
baut, muss man etwas von Raum verstehen, man muss
ihn spüren können. Man muss ein Sensorium entwickeln
können für Höhe und Ausdehnung, für Raumklima in allen Kategorien, für die Zwischenräume und Freiräume.
Dabei ist Empfindsamkeit, Lernfähigkeit, technische
Kompetenz und Durchsetzungsfähigkeit erforderlich.“
Herzog präzisiert weiter: „Als Baumeister gibt man
verbindliche Handlungsanweisungen für andere zur
konkreten materiellen Umsetzung eines technischen
Großgegenstandes. Um das machen zu können, muss
man die Kompetenz in der Ausübung dieser Dinge haben.“ Um diese zu erlangen, fordert er eine exzellente,
exemplarische und technisch orientierte ArchitekturFlorian Hugger, Thomas Rampp
ausbildung.
Zeichnungen: Thomas Herzog; Foto: Klaus Kinold
Wesentliches Merkmal der Glasdachkonstruktion des
Linzer Ausstellungs- und Kongresszentrums ist, dass
im Sommerhalbjahr hohe Aufheizung durch die einstrahlende Sonne auch bei wechselnden Einfallswinkeln und unterschiedlichen Dachneigungen verhindert
wird. Dennoch leuchtet Tageslicht in großer Menge aus
der nördlichen Hälfte des Zenits den Innenraum brillant
aus. Höchste Lichtqualität und ein Maximum an Tageslichtausbeute wurden erreicht und dabei Blendung und
übermäßiger Eintrag von Strahlungswärme durch direkte Sonneneinstrahlung vermieden. Dies war nur durch
den Einsatz von neu entwickelten Lichtrastern möglich
– ein typischer Fall interdisziplinärer Zusammenarbeit,
hier mit Bartenbach LichtLabor und dem FraunhoferInstitut für Solare Energiesysteme in Freiburg.
Wie das Design Center zeigen auch das Oskar von Miller Forum der Bayerischen Bauwirtschaft in München
und die Trainingshalle der Bergwacht bei Bad Tölz,
dass der Umgang mit Licht und der Energiehaushalt
von Gebäuden Kernthemen der Architektur darstellen,
unabhängig von Bauort und Gebäudegröße.
Auf die Frage, ob er jungen Architekten, die am Beginn
ihres beruflichen Werdegangs stehen, einen Rat geben kann, argumentiert Herzog sehr differenziert. Als
Humanist verwehrt er sich dagegen, in der Reflexion
seiner eigenen Entwicklung verallgemeinernde Rezepte
vorzuschlagen, und betont, wie sehr sich Tätigkeiten
und Lebenswege individuell entwickeln können. Jeder
solle seinen Weg suchen und sich orientieren an den
wesentlichen Aufgaben der eigenen Zeit.
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