Publikationen zur Konsumkultur Hecken, Thomas, Das Versagen

Werbung
Publikationen zur Konsumkultur
Hecken, Thomas, Das Versagen der Intellektuellen. Eine Verteidigung des
Konsums gegen seine deutschen Verächter, Bielefeld (Transcript) 2010.
Schrage, Dominik, Die Verfügbarkeit der Dinge. Eine historische Soziologie des
Konsums, Frankfurt a.M./New York (Campus) 2009
Besprochen von Martin Seeliger (Bochum)
Nicht erst seit Karl Marx´ materialistischer Erkenntnis, nach der es sich beim
gesellschaftlichen Reichtum um nicht anderes handele als um eine Ansammlung
von Waren, stellt die Auseinandersetzung mit der sozialen und kulturellen
Bedeutung des Konsums ein zentrales Anliegen des sozial- und
kulturwissenschaftlichen Erkenntnisinteresses dar. Um den Stand der (sub)disziplinär mittlerweile relativ ausdifferenzierten Forschung wiederzugeben, gälte
es
heute
neben
soziologischen
und
kulturwie
auch
wirtschaftswissenschaftlichen
Arbeiten
auch
historische
sowie
literaturwissenschaftliche Ansätze in Betracht zu ziehen.1 Innerhalb der
genannten publizistischen Felder lassen sich auch die beiden im Folgenden zu
besprechenden Titel ansiedeln. Während sich die naheliegende Zuordnung
Dominik Schrages unschwer am Untertitel seines Buches erkennen lässt, wird
noch zu zeigen sein, dass der Text von Hecken hier weniger eindeutig zu
verorten ist.
Das Kernanliegen von Schrages theoretischer Studie liegt in der Darstellung der
gesellschaftlichen Formentwicklung des Konsums vom 17ten bis ins 20ste
Jahrhundert. Grundlage stellt hierbei die Auseinandersetzung mit historischen
Primär- und Sekundärquellen sowie deren theoretische Reflexion und
Einordnung dar. Aufbauend auf einer etymologischen Bestimmung des
Konsumbegriffes im Rahmen seines spezifischen Entstehungs- sowie
Entwicklungskontextes sowie einer Chronologie der volkswirtschaftlichen
Bedeutungstransformation des Konsums, leistet der Autor eine Rekonstruktion
des Begriffsverständnisses im Werk ausgewählter soziologischer Klassiker des
deutschen (Sombardt, Simmel, teilweise auch Weber und Schumpeter) sowie
des (US-)amerikanischen Raumes (Veblen, Galbraiths, Riesmann). Anschaulich
gelingt es ihm zu zeigen, wie ökonom(ist)ische Herangehensweisen die kulturelle
Bedeutung und damit die sinnstrukturierte wie sinnstrukturierende Dimension des
Konsums vernachlässigen. Unter Hinzuziehung eines system- und
rollentheoretischen Instrumentariums (Luhmann und Dahrendorf) entwickelt
Schrage die Konzepte der „Konsumentenrolle“ sowie des „konsumistischen
Weltverhältnisses“, mit deren Hilfe die zwischen Individuum und Gesellschaft
vermittelnde Funktion des Konsums transparent gemacht werden sollen. So
anschaulich wie einleuchtend fällt die Auseinandersetzung mit zwei zentralen
Sozialtopoi des 20. Jahrhunderts aus. Mit seiner Vorstellung und Reflexion der
(symbolischen) Bedeutung des Warenhauses und des Standardpaketes als
spezifisches Bündel populärer Produkte, die das Konsumverhalten der
1
Prinzipiell ließen sich hier aber auch marktforschungsorientierte Herangehensweisen
berücksichtigen.
Bevölkerung in den USA nach dem zweiten Weltkrieg charakterisierten, gelingt
es Schrage, sozialstrukturelle wie semiotisch-phänomenologische Aspekte in
zeitdiagnostischer Weise auf den Punkt zu bringen und einmal mehr unter
Beweis zu stellen, dass sich ein intelligenter kultursoziologischer Ansatz nicht in
der Interpretation empirischer Daten erschöpfen muss. Indem Schrage die
Entwicklung gesellschaftlich verbreiteter Konsummuster im Wechselspiel mit
ihrer jeweils historisch-kulturellen Bedeutung über die Topoi des Warenhauses
und des Standardpakets nachzeichnet, legt er das analytische Fundament seiner
Genealogie des modernen Konsums, dessen Funktionslogik sich seit den 1950er
Jahren – so Schrage – im Wesentlichen nicht geändert habe (249). Einen
solchen repräsentationsanalytischen Ansatz wählt der Autor, wenn er die
Illustration US-amerikanischer Konsumkultur erneut unter Bezug auf die
symbolisch-kulturelle Bedeutung im US-amerikanischen Raum des 19. und 20.
Jahrhunderts anhand zweier Sozialfiguren anstellt – dem Siedler und dem selfmade man. Eine ähnliche – wenn auch weniger anschauliche, sondern eher
theoriegeleitete Darstellung findet sich außerdem für die Bundesrepublik. Neben
der eindrucksvollen theoriegeschichtlichen Reflexion klassischer Ansätze der
gesellschaftstheoretischen Konsumforschung lässt sich der Text Schrages
ebenfalls gewinnbringend (wenn auch auf Grund mangelnden empirischen
Umfangs sicherlich auch nicht so tief gehend) aus einer kulturhistorischen
Perspektive lesen. Eine unter Umständen interessante Entwicklungsperspektive
des Ansatzes läge in einer (qualitativ-)empirischen Operationalisierung seines
Konzeptes der Konsumentenrolle, etwa im Zusammenhang mit spezifischen
Produkten/Produktreihen und ihrer kulturellen Bedeutung.
Gut möglich erscheint, dass Schrages Verzicht auf konsumkritische Floskeln
dem Autor des zweiten hier zu besprechenden Buches positiv aufgefallen wäre:
Thomas Hecken verfolgt in seiner umfangreichen Literaturstudie das Ziel einer
Herausarbeitung von Topoi der Konsumkritik in den Standpunkten
deutschsprachiger politisch-intellektueller Strömungen. Anliegen Heckens ist
hierbei die systematische Verteidigung des Konsums gegen vier Hauptlinien
seiner Kritik, die er in einer materialreichen Darstellung herauszuarbeiten
vermag. Neben den Verfechtern eines ‚hohen‘, kanonischen Kunstbegriffes
identifiziert er außerdem konservative, linke sowie neoliberale Ansätze der
Kulturkritik2 der zweiten Hälfte des 20 Jahrhunderts. Vor dem Hintergrund der
wirtschaftlichen Nachkriegsentwicklung der westlichen Zentrumsstaaten mitsamt
den Implikationen, die diese für die Bevölkerung mit sich gebracht hat, zeigt der
Autor verschiedene Positionen auf, die von Seite gesellschaftlicher Eliten gegen
populäre Konsummuster vorgebracht wurden. Mit einem ironischen Unterton
identifiziert er zwei klassische Argumentationsstränge der Konsumkritik: Zum
einen handelt es sich hierbei um eine Bemängelung von „Gefahren, die von
Staubsaugern und Kühlschränken für hohe Literatur und Kunst ausgehen“ (36).
2
Von Kultur- statt Konsumkritik ist hier deshalb die Rede, weil Vertreter der genannten
Richtungen zwar Konsum zum Gegenstand ihrer Kritik machten. Dieser sei allerdings nur
Ausdruck breiter gefasster kultureller Entäußerungen, die es aus Sicht der Vertreter zu
kritisieren galt (und je nach Strömung auch heute noch gilt).
2
Weiterhin identifiziert er die Auffassung, „Konsumieren heiße Verbrauchen,
Aufzehren, beinhalte eine zerstreute Wahrnehmung und die Abhängigkeit von
oberflächlichen Reizeffekten, fördere die Haltung, alles als käufliche Ware
anzusehen – der Zugriff auf ein reichhaltiges Angebot von Haushaltswaren und
technischen Geräten führt nach kulturkritischer Auffassung folglich zur
Verstärkung solcher Einstellungen.“ (36) In einem politischen Plädoyer
diagnostiziert Hecken ein gleich dreifaches „Versagen der Intellektuellen“, deren
Abwertung populären Verbraucherverhaltens sich nicht nur in einer mangelnden
Kenntnis der von ihnen kritisierten Konsummuster manifestiert, sondern auch in
einer (elitären) Missachtung ihrer Vorbild- und Erziehungsfunktion zu Tage tritt.
Weiterhin – so der dritte Kritikpunkt Heckens – laufe die meist von linker Seite
geäußerte Forderung nach einer Reformierung der Eigentumsverhältnisse ins
Leere, wenn die Bedürfnisse der ‚einfachen Leute‘ hierbei von vornherein gering
geschätzt würden. Neben einer großen kulturhistorischen Kenntnis stellt der
Autor auch seine Fähigkeit unter Beweis, aktuelle (sozial-)politische Maßnahmen
samt ihrer impliziten Abneigungen gegen landläufiges Verbraucherverhalten
unter Beweis zu stellen. So liegt etwa in der Auseinandersetzung mit
neoliberalen Aktivierungsdispositiven ein wichtiger Ansatzpunkt für eine
praktische Kritik.3 Insgesamt erscheint die Studie nicht nur wegen des
innovativen Anliegens, sondern auch auf Grund ihrer große Materialfülle als
wegweisend auf ihrem Gebiet. So ließen sich etwa in der weiterführenden
Darstellung der vier von Hecken aufgezeigten Stränge intellektueller
Konsumkritik in der Nachkriegs-BRD weitere mögliche Forschungsanliegen
erkennen. Wenn neo-konservative Meinungsmacher wie der Berliner Historiker
Paul Nolte etwa eine pauschale Kritik am ungesunden (sic!) Ernährungsstil armer
Haushalte äußern, ließe sich hier der Bedarf einer Erforschung der Bedeutung
solcher Äußerungen im Klassenkampf von oben als Desiderat verzeichnen.
Angesichts der unterschiedlichen Absichten der beiden Autoren erscheint ein
Vergleich der vorliegenden Veröffentlichungen nicht einfach zu bewerkstelligen.
Hinsichtlich der entwicklungstheoretischen Ausarbeitung erscheint der Text von
Schrage aus systematisch-analytischer Sicht elaboriert. Indem er zeigt, wie und
warum sich verschiedene Aspekte moderner Produktion und Konsumption
gegenseitig bedingen und ablösen (z.B. vom Fordismus zum Sloanismus),
gelingt es ihm, die gesellschaftliche Dynamik in der Hervorbringung von und
Orientierung an unterschiedlichen Konsummustern aufzuzeigen. Die
Charakterisierung von Konsum als Weltverhältnis, welches sich eben nicht in
einzelnen Akten des Erwerbs nunmehr (fast) voraussetzungslos verfügbarer
Güter, sondern vielmehr in einer spezifischen Rahmung des Welterlebens
äußert, beschreibt einen zentralen Aspekt kapitalistischer Modernisierung, wie er
in den letzten 60 Jahren zwar bereits von zahlreichen Autoren (am Rande)
3
Dass hier ausnahmsweise nicht Thilo Sarrazins Experiment der Möglichkeit einer ALG-II
freundlichen Ernährungsweise herhalten muss, sondern die Kritik auf die jüngeren
Äußerungen Peter Sloterdijks sowie die anschließende Diskussion mit Axel Honneth und
anderen ausgedehnt wird, lässt sich beispielhaft als Einlösung eines tiefgreifenden
Anspruch der Studie verstehen.
3
aufgenommen, allerdings nie systematisch und umfangreich ausgearbeitet
wurde.
Die Tatsache, dass Hecken keine ähnlich systematische Entwicklungslogik
herausarbeitet, ist allerdings keinesfalls als Nachteil anzusehen. Als weitere
potenzielle Vergleichsgröße mag beim ersten Hinschauen evtl. auch die
politische (Nicht-)Ausrichtung der Texte ins Auge stechen. Während Hecken hier
– häufig implizit(-süffisant) aber durchaus auch explizit pointiert – Stellung zu
rezenten wie vergangenen politischen Entwicklungen bezieht, bilden Inhalt und
Form des zweiten Buches hierfür ohnehin keinen geeigneten Rahmen, was
diesem keineswegs zum Nachteil gereicht.
http://www.zfmedienwissenschaft.de/
Dezember 2010
4
Herunterladen