KULTUR 28 Das Theater prüft die Gegenwart KULTURTIPP „Mythos Marlene“ begeistert U nter großem Jubel und den Augen von Panikrocker Udo Lindenberg hat das Programm „Mythos Marlene“ von Kerstin Marie Mäkelburg im Hamburger „Schmidtchen Theater Reeperbahn“ Premiere gefeiert. Die Schauspielerin und Sängerin schlüpfte dafür in die Rolle von Marlene Dietrich – der ersten Femme fatale der Filmgeschichte. Auch wenn die waschechte Hamburgerin nicht ganz so schnoddrig-berlinerisch rüberkam wie die verstorbene Legende, brachte sie die von Markus Schell am Piano begleiteten Lieder glaubhaft rüber. Dazu gehörten Stücke wie „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“, „Ich weiß nicht, zu wem ich gehöre“ und „Sag mir, wo die Blumen sind“. Mit „I May Never Go Home Anymore“ präsentierte Mäkelburg passend zum Auftrittsort die englische Version von „Auf der Reeperbahn nachts um halb eins“. Die Songs wurden mit persönlichen und humorvollen Geschichten aus dem Leben der Dietrich verbunden, unter anderem ging es darin um ihr Aufbegehren gegen Adolf Hitler. Mit Frack und Zylinder oder dem weißen, bodenlangen Pelzmantel spielte Mäkelburg auch mit den ikonenhaften Looks der Hollywood-Diva. „Mythos Marlene“ wird noch bis zum 15. Januar und dann noch einmal vom 8. bis 18. Februar in Hamburg aufgeführt. Tickets: www.tivoli.de PERSÖNLICH Kulturjahr 2017: Generations- und Kurswechsel an etlichen Theatern tation „Atlas der Angst“, die Recherchespezialist Gernot Grünewald fürs Thalia in der Gaußstraße inszeniert (Premiere 22. April). Im Hamburger Schauspielhaus nimmt sich Hausherrin Karin Beier „The Who and the What“ von Ayad Akhtar an und hofft, mit dieser Auseinandersetzung mit dem Islam an den Erfolg seines Stücks „Geächtet“ anzuknüpfen. (Premiere 14. Januar). Ein neues Stück Hat 25 Jahre lang die Berli- bietet dort auch Ingrid Launer Volksbühne geprägt: In- sund mit „Trilliarden. Die tendant und Regisseur Frank Angst vor dem VerlorengeFoto: dpa hen“ an, das sie selbst inszeCastorf. niert (Premiere 3. Februar). Nicht zu übersehen: An fast allen der großen Theatermetropolen sind nach wie vor Stücke oder Inszenierungen von René Pollesch, Herbert Fritsch oder Michael Thalheimer vertreten. Denn natürlich unterliegt auch das Theater dem Zeitgeist und, fast möchte man sagen, seinen Moden. Das Theaterjahr 2017 beschert im deutschsprachigen Raum neue Generations- und Kurswechsel, nicht nur in Berlin mit den scheidenden Intendanten Frank Castorf an der Volksbühne und Claus Peymann am Berliner Ensemble. Eine Auswahl von Höhepunkten im Schauspiel. Von Christine Adam OSNABRÜCK. 25 Jahre lang hat Intendant Frank Castorf (65) die Berliner Volksbühne mit seiner Theaterhandschrift, seinen Regisseuren und Schauspielern geprägt. Nun macht er im Sommer 2017 die Bühne frei für seinen umstrittenen Nachfolger: Chris Dercon (Jahrgang 1958). Der Belgier, zuletzt Direktor der Tate Gallery of Modern Art in London, wird seine Pläne für die Volksbühne im Frühjahr bekannt geben. Am 3. März zeigt der scheidende Frank Castorf dann noch einmal, wie er Goethes „Faust“ versteht. Peymanns Ablösung Ein anderes Monument in der Geschichte des deutschsprachigen Nachkriegstheaters geht in den Ruhestand: Claus Peymann (79), seit 1999/2000 Intendant des Berliner Ensembles, wird von Oliver Reese (52), derzeit noch Intendant des Schauspiels Frankfurt, abgelöst. Es steht zu vermuten, dass diese beiden Generations- und Kurswechsel ähnlichen Wirbel hervorrufen, wie der Übergang von Johan Simons in den Münchner Kammerspielen zu Matthias Lilien- Jelinek in Düsseldorf Verkörpert Theatergeschichte: der Berliner-Ensemble-InSetzt sich mit ihrem Faible für Mode auseinander: Szene aus Elfriede Jelineks neuem tendant und Regisseur Claus Foto: Thomas Rabsch Peymann. Foto: dpa Stück „Das Licht im Kasten (Straße? Stadt? Nicht mit mir!)“. thal. Peymann verabschiedet sich vom berühmten BrechtTheater nicht etwa mit Brecht, sondern mit Kleist und seinem „Prinz von Homburg“ (Premiere am 10. Februar). Lilienthal wiederum könnte in München seine Kritiker mit ShakespeareKlassikern beschwichtigen: Christopher Rüping, Jahrgang 1985, widmet sich „Hamlet“ und Regiestar Andreas Kriegenburg „Macbeth“ (Premieren am 19. und 27. Januar). Große, traditionsreiche Regiekunst lässt sich bei den Salzburger Festspielen erleben: Andrea Breth inszeniert im Bühnenbild von Martin Zehetgruber Harold Pinters „Die Geburtstagsfeier“ mit Schauspielern wie Roland Koch (Premiere ist am 28. Juli). Das Wiener Burgtheater gibt den Ring für den Aberwitz Herbert Fritschs frei mit Shakespeares „Komödie der Irrungen“ (Premiere am 25. Januar). Um dann Antu Romero Nunes „Die Orestie“ Stararchitekten verteidigen Entwurf Herzog und de Meuron: Museum der Moderne bietet Offenheit Isa Genzken (Bild), Berliner Künstlerin, erhält den Kaiserring 2017 der Stadt Goslar. Das hat Oberbürgermeister Oliver Junk (CDU) bekannt gegeben. Die in Berlin lebende Genzken gilt als eine der wichtigsten und einflussreichsten deutschen Künstlerinnen der Gegenwart. Sie soll den Kaiserring am 7. Oktober in Goslar entgegennehmen. Die 68-Jährige führe seit mehr als 30 Jahren „den internationalen Diskurs der Bildhauerei mit an“, heißt es in der Begründung der Jury. Der Kaiserring ist einer der weltweit bedeutendsten Preise für Foto: dpa moderne Kunst. CHARTS BELLETRISTIK MONTAG, 9. JANUAR 2017 dpa BERLIN. Die Schweizer Stararchitekten Jacques Herzog und Pierre de Meuron haben ihren umstrittenen Entwurf für das Berliner Museum der Moderne verteidigt. „Wer genau hinschaut, erkennt, dass dieses Gebäude genau jene Offenheit und Vielfalt bietet, um die derzeit isoliert dastehenden Architekturen untereinander in Beziehung zu bringen und die Leerräume in Orte umzuformen, wo sich Menschen gern aufhalten“, sagte Jacques Herzog dem „Focus“. Die Architekten, die auch für Stars ihrer Branche: Die Architekten Pierre de Meuron (links) und Jacques Herzog bei einer Pressekonferenz im Großen Saal der Elbphilharmonie, die sie ebenfalls entworfen haben. Foto: dpa die Elbphilharmonie verantwortlich waren, hatten für das neue Museum einenscheunenartigen Bau vorgeschlagen. Pierre de Meuron erklärte : „Wir sind überzeugt, dass wir daraus einen Museumsbau entwickeln werden, der das Kulturforum städtebaulich neu ordnen und daraus einen sehr belebten, durchlässigen, öffentlichen Ort machen wird.“ Außerdem werde ein Wettbewerbsentwurf nur selten dann auch genau so gebaut. Abstimmungen mit den Bauherren sei man gewohnt. von Aischylos anzuvertrauen ( Premiere am 25. März). Im Akademietheater geht es gegenwärtiger zu mit „Ein europäisches Abendmahl“ mit Texten von Jenny Erpenbeck, Nino Haratischwili, Elfriede Jelinek, Terézia Mora, Sofi Oksanen und Biljana Srbljanovic (Uraufführung in der Regie von Barbara Frey am 27. Januar). Im Schauspielhaus Zürich bringt Globalisierungskritiker und Theatervordenker Milo Rau sein Stück „Die 120 Tage von Sodom“ nach Motiven von Pier Paolo Pasolini und de Sade auf die Bühne, das das Nebeneinander von Luxus und sadistischer Quälerei in unserer Gegenwart untersucht (Premiere 10. Februar). Hoch im Norden Deutschlands, im Hamburger Thalia Theater, begeben sich Fotograf Armin Smailovic und Autor Dirk Gieselmann auf die Spuren vom Krieg in den Köpfen und der „German Angst“ – mit ihrer Dokumen- Auch wenn es genau das immer wieder beherzt zu bekämpfen versucht. Etwa in der Modestadt Düsseldorf, dessen Schauspielhaus Elfriede Jelinek von einer völlig ungewohnten Seite beleuchtet: als leidenschaftliche Modeliebhaberin. Doch natürlich geht es in ihrem neuen Stück „Das Licht im Kasten“ um Ambivalenzenn zu diesem Thema, um die Zumutungen von Mode und die Frage nach den letzten Dingen (Uraufführung in der Regie von Jan Philipp Gloger am 14. Januar). ·· ·· ·· ·· ·· ·· ·· ·· ·· · Mehr Infos und Bilder zum Kulturjahr 2017 finden Sie im Internet unter noz.de/kultur KOMMENTAR Vorsicht, Extra-Wünsche E s ist wohl kein Zufall, dass sich die Schweizer Stararchitekten Herzog & de Meuron ausgerechnet jetzt zu ihrem Entwurf für das Berliner Museum der Moderne zu Wort melden. Schließlich haben Jacques Herzog und Pierre de Meuron auch die Hamburger Elbphilharmonie entworfen, die am 11. Januar eröffnet wird. Das Bauwerk, das in der Bauphase immer wieder für Negativschlagzeilen gesorgt hatte, wird heute als spektakulärstes Kon- Von Waltraud Messmann Scheune oder Supermarkthalle ähnlich sehen. Die Ankündigung Herzogs, dass ein Entwurf nur selten auch genau so gebaut werde, dürfte da nur wenig hilfreich sein. Denn damit nährt er Ängste einer drohenden Kostenexplosion. Schon im Zusammenhang mit der Elbphilharmonie war den Schweizern nämlich vorgeworfen worden, mit immer neuen Extra-Wünschen die Kosten zu treiben. zerthaus der Welt gefeiert. Für ihr neues Projekt in Berlin möchten die beiden Architekten wohl etwas von dieser positiven Stimmung mitnehmen. Das ist auch bitter nötig. Denn ihr Entwurf für das Museum der Moderne steht unter heftigem Beschuss. Kritiker meinen, der Bau werde einer [email protected] David-Bowie-Andachtstour durch Brixton Kurz nach dem 70. Geburtstag der erste Todestag – Rundgang erinnert an die Musiklegende Von Katrin Pribyl LONDON. Der Mann steht lange in der Stansfield Road vor dem Haus mit der Nummer 40. Geht durch das Eingangstor, versucht einen Blick durch das Fenster ins dunkle Innere zu werfen. Doch die Jalousien sind heruntergezogen. Nummer 40 ist längst inoffizieller Pilgerort und Teil der Musikgeschichte. Hier wurde David Robert Jones geboren, der später als David Bowie zur Musiklegende aufsteigen sollte. Und es war hier, wo das spätere Chamäleon der Popkultur schon früh seine Lust am Stilbruch, an Mode, am Verkleiden entdeckte. Als Dreijähriger wühlte er sich etwa durch den Make-upKasten seiner Mutter und bemalte sein Gesicht mit Lippenstift und Lidschatten. Die Mutter ermahnte ihn, dass man sich als Junge nicht schminken solle, und zum Glück für die Musik- und Kul- turwelt ignorierte David Bowie ihren Rüffel. Der 46-jährige Mann, der an diesem Januarabend andächtig auf das Haus starrt, stammt aus Schottland, er kennt die Make-up-Anekdote. Eigentlich, so sagt er, kenne er so ziemlich alle Geschichten. „Ich bin ein Fan, seit ich denken kann.“ Gerade befindet er sich auf Bowie-Andachtstour durch London. „Als er starb, ist eine Welt für mich zusammengebrochen.“ Nun wolle er, anlässlich des ersten Todestags am 10. Januar, die wichtigsten Plätze abgehen, die mit dem Pop- und Rockstar in Verbindung stehen. Und tatsächlich, in der Metropole stolpern aufmerksame Musikfans an jeder Ecke über denkwürdige Bowie-Orte, insbesondere im Viertel Brixton, wo Bowie aufgewachsen ist. Deshalb bietet der Brite Nick Stephenson seit Sonntag, dem Tag, an dem Bowies 70. Geburtstag war, fünfmal pro Woche ei- Das berühmte Wandgemälde im Londoner Stadtteil Brixton wurde auch am Wochenende von zahlreichen Bowie-Fans angesteuert. Foto: AFP nen musikalischen Spaziergang an. Der 32-Jährige ist selbst Musiker und will deshalb den Soundtrack zu seiner Tour liefern, immer wieder Lieder von jenem Mann anstimmen, der für so viele als Inspiration gilt. Berühmt in aller Welt ist das Wandbild nur unweit des Geburtshauses. Die Malerei zeigt Bowie mit knallrot gefärbten Haaren und zweifarbigem Blitz im Gesicht. Sie wurde im vergangenen Jahr zu einem spontanen Schrein zum Trauern, wo seitdem Fans Nachrichten hinterlassen und Poster aufstellen, Blumen niederlegen und Fotos an die Wand kleben. In Brixton im Süden Londons, wo Alteingesessene, Studenten und Künstler heute mit jedem Tag ein Stück mehr den Kampf gegen die zunehmende Gentrifizierung des mittlerweile hippen Viertels verlieren, hat Bowie die ersten sechs Lebensjahre verbracht. Dann zog die Familie nach Bromley. Trotzdem sprechen die Südlondoner von Bowie als „unserem Brixton-Jungen“. Vor dem „Ritzy Picturehouse“ sind nach der Todesnachricht vor einem Jahr Tausende Fans zusammengekommen und sangen „Starman“, „Heroes“ und andere Hits. Auch Nick Stephenson macht hier mit seiner Tour halt, immerhin haben sich in diesem Kino Bowies Eltern kennengelernt. Warum aber hat sich Brixton zum Bowie-Pilger-Zent- rum entwickelt? „Es ist eine kulturell vibrierende Ecke“, sagt Stephenson. Zudem seien die Menschen sehr aktiv, es gebe viel Straßenkunst, und zahlreiche Events im Gedenken an den Megastar würden organisiert. Dementsprechend riesig ist auch das Interesse an dem Gedenkspaziergang. Im Übrigen ließ auch Bowie London nie los. Nur kurz, nachdem der Rock- und Popstar von seiner LeberkrebsErkrankung erfahren hatte, besuchte er mit seiner Frau Iman und Tochter Lexi in geheimer Mission und unentdeckt ein letztes Mal die britische Hauptstadt. Sie gingen die Orte ab, von denen nun auch Nick Stephenson einige ansteuert. Und wahrscheinlich erzählte auch Bowie seiner Familie von Erlebnissen in jungen Jahren, während sie durch Brixton, Bromley und andere für ihn bedeutende Viertel wie Soho und Hammersmith spazierten.