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Theologisches Gemeindeseminar der Ev. reform. Gemeinde Bielefeld
Pfarrerin Erika Edusei
Süsterplatz 2; Montag, 07. April 2008; h 19.30
Einiges zu Neurotheologie und Neurophilosophie
Thematische Vorschläge und gedankliche Anregungen:
Dr. phil. Fritz U. Krause
Dr. med. Lars Krause (Osnabrück)
Genutzte und weiterführende Literatur:
Hat der Anarchismus eine Zukunft? Ein Gespräch mit Augustin Souchy 1969 – IN: Theorie Kritik Utopie
(2007:11-32) AvBorries IWeber-Brandies (Hgg) Nettersheim (Graswurzelrevolution)
Beckermann Ansgar: Neuronale Determiniertheit und Freiheit - IN: information philosophie (2005)2:718
Blackmore Susan (2000) Die Macht der Meme Die Evolution von Kultur und Geist. Darmstadt
(Wiss.Buchgesellschaft)
Foerster Heinz v: 2x2=grün (1999) KSander (Hg) Köln (c+p supposé) (=Hörbuch)
Fuchs Peter (2005) Das Gehirn ist genauso doof wie die Milz Weilerswist (Velbrück)
Gloy Karen (1996) Die Geschichte des ganzheitlichen Denkens München (Komet)
Der Ignorabimus-Streit Weltanschauung, Philosophie und Naturwissenschaft im 19.Jahrhundert Bd 3 (2007)
KBayertz MGerhard WJaeschke (Hgg) Hamburg (Meiner)
Der Materialismus-Streit Weltanschauung, Philosophie und Naturwissenschaft im 19. Jahrhundert Bd 1
(2007) KBayertz MGerhard WJaeschke (Hgg) Hamburg (Meiner)
Hinrichs Gunnar (2008) Das Absolute und das Subjekt Frankfurt/M (Klostermann)
Hirnforschung und Willensfreiheit (2008) CGeyer (Hg) Frankfurt/M (edition Suhrkamp)
James William (1997) Die Vielfalt religiöser Erfahrung (1902) o.Hg Frankfurt/M Leipzig (insel1784)
Krause Fritz U: Wie verteidige ich GOTT vor meinem Glauben? – IN: Reformiert in Bielefeld (2007:189199) HHaase (Hg) Bielefeld (VlgfRegionalgeschichte)
Linke Detlef B (2003) Religion als Risiko Geist Glaube und Gehirn. Reinbek (rororo61488)
Naturalismus als Paradigma Wie weit reicht die naturwissenschaftliche Erklärung des Menschen? (2007)
LHonnefelder MCSchmidt (Hgg) Berlin (university press)
Newberg Andrew et al (2003) Der gedachte Gott Wie Glaube im Gehirn entsteht. München Zürich (Piper)
Pally Marcia (2008) Warnung vor dem Freunde Tradition und Zukunft US-amerikanischer Außenpolitik.
Berlin (Parthas)
Pally Marcia (2005) Lob der Kritik Warum die Demokratie nicht auf ihren Kern verzichten darf. Berlin (BvT
0137)
Singer Wolf: Unser Gehirn - das Tor zur Welt - IN: Rotary magazin (2008)3:42-46
Singer Wolf (2002) Der Beobachter im Gehirn Frankfurt/M (stw1571)
Schulte Günter: Nichts bleibt von Gott – IN: Was bleibt von Gott? (2007:80-106) ABlume (Hg) Freiburg
München (Alber)
Taylor Charles (2002) Die Formen des Religiösen in der Gegenwart Frankfurt/M (stw1568)
Taylor Charles (3A1999) Quellen des Selbst Die Entstehung der neuzeitlichen Identität. Frankfurt/M
(stw1233)
Eine theologische Vorbemerkung
Charles Taylor (stw1233:381f)
Die Bejahung des gewöhnlichen Lebens findet ihren Ursprung in der jüdischchristlichen Spiritualität, und der spezielle Anstoß, den sie in der Neuzeit erhält, rührt in
allererster Linien von der Reformation her.
Ein allen Reformatoren gemeinsamer Hauptgedanke ist ihre Ablehnung
vermittelnder Instanzen. So, wie sie die Kirche des Mittelalters verstehen – nämlich
als Körperschaft, in der einige besonders engagierte Mitglieder anderen, die sich weniger
hingebungsvoll verhalten, Verdienst und Erlösung verschaffen können – ist ihnen diese
Kirche verhaßt. So ewas wie hingebungsvollere und weniger hingebungsvolle Christen
kann es gar nicht geben, den die persönliche Bindung muß total sein, sonst ist sie
wertlos.
Die Ablehnung vermittelnder Instanzen durh die Reformatoren steht in engem
Zusammenhang mit ihrer Ablehnung der mittelalterlichen Auffassung des Heiligen. Dies
ergibt sich aus dem fundamentalen Prinzip der Reformatoren, das vielleicht noch
grundlegender ist als das Erlösung durch den Glauben allein, nämlich das Prinzip,
wonach die Erlösung ausschließlich das Werk Gottes ist.
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Der sündige Mensch ist völlig hilflos und kann selbständig gar nichts ausrichten. Daß die
Ohnmacht und Verworfenheit der Menschheit unentwegt herausgestrichen wird, hat den
Sinn einer möglichst anschaulichen Verdeutlichung der Macht und Barmherzigkeit Gottes,
der zu einer die Kräfte des Menschen ganz und gar übersteigenden Rettung imstande und
überdies immer noch willens ist, sein unwürdiges Geschöpf ungeachtet aller
Gerechtigkeitserwägungen zu erlösen.
... Wer sich rückhaltlos zum neuen Glauben bekennt, wird durch ein überwältigendes
Gefühl der Ehrfurcht und der Dankbarkeit angefeuert, und daraus entwickelt sich unter
bestimmten Umständen eine enorm einflußreiche Triebkraft im Hintergrund des
revolutionären Wandels.
In der reformierten Theologie gilt auch diese Minimalbeteiligung – also sogar der Glaube
– als Geschenk Gottes; doch dies ist eine Art von Beteiligung, die im Gegensatz zu den
guten Werken der katholischen Frömmigkeit von vornherein die Anerkennung unserer
eigenen Nichtigkeit sowie unserer Unfähigkeit enthält, etwas zum Erlösungswerk Gottes
beizutragen.
Dieser Glaube fordert offenbar die uneingeschränkte Ablehnung der katholischen
Auffassung des Heiligen und daher auch der Kirche und ihrer vermittelnden Rolle.
Als wahrer Greuel gilt die katholische Theologie der Sakramente, insbesondere des
Altarssakraments, wodurch der Kirche die Macht übertragen wird, sogar durch das
Einwirken...der Priester eine Gemeinschaft zwischen Gott und den Menschen zu
stiften...(Der eigentliche Streitpunkt dabei ist die) Vorstellung, Gott sei in gewissem
Sinne an eine Handlung – nämlich die Messe – gebunden, deren Ausführung in der Macht
der Menschen liegt.
Diese ganze Theologie kann (aus der Sicht der Reformatoren) nichts anderes sein als
eine anmaßende und blasphemische Weigerung, den ausschließlich und ganz von Gott
ausgehenden Beitrag zu unserer Rettng anzuerkennen. Sie ist ein hochmütiger Versuch,
Gottes unbegrenzte Souveränität zu fesseln. Daher ist sie ganz unvereinbar mit dem,
was die Protestanten unter Glauben verstehen.
Zusammen mit der Messe verschwindet auch der ganze Heiligkeitsbegriff des
mittelalterlichen Katholizismus, also die Vorstellung, es gebe besondere Orte, Zeiten oder
Handlungen, bei denen die Macht Gottes in höherem Maße gegenwärtig ist und eine
Annäherung von seiten der Menschen erlaubt. Darum schaffen die protestantischen
(namentlich die calvinistischen) Kirchen das Pilgertum ab sowie die Reliquienverehrung,
den Besuch heiliger Stätten und ein ganzes umfassendes Panorama traditioneller Ritualund Frömmigkeitshandlungen der katholischen Kirche. Zusammen mit dem
Heiligkeitsbegriff geht auch die katholische Auffassung verloren, die Kirche sei der Ort
und die Trägerin des Heiligen. Infolgedessen büßt die zentrale Vermittlerrolle der Kirche
jegliche Bedeutung ein.
Hier liegt die Quelle Calvinscher Individualitätsbetonung und Ablehnung des
Zentralistischen.
Diese Überlegungen können dazu überleiten, festzuhalten, daß der Mensch auch seitens
seiner neuronalen Struktur kaum für Glaubensmanifeste aus eigener Verantwortung
geeignet ist.
01 Stichworte zur Gehirnforschung
*Die Hirnforschung befaßt sich mit der Aufklärung der strukturellen und funktionellen
Organisation des Organs Hirn.
Sie muß u.a. erklären, wie neuronale, also materielle Prozesse, Phänomene
geistiger, also mentaler Art, hervorbringen. Diese Phänomene entziehen sich
(eigentlich) einem naturalistischem Zugriff.
*Exkurs: Die Trennlinie zwischen den Naturalisten / Empirikern und den Mentalisten / Spiritualisten /
Symboltsystematikern ist einer Wasserscheide vergleichbar. Zum Naturalismus kommt man über die
Philosophie selbst (Empirismus / Materialismus) oder über die Naturwissenschaften. Die
Naturwissenschaften versuchen auch in Ontologie, Erkenntnistheorie, Ethik, Anthropologie, Ästhetik die
methodischen Maßstäbe zu setzen.
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*Gehirn - 1011 Nervenzellen sind in 1014 Verbindungen vernetzt. Das sind kosmische
Ausmaße. Synaptische Spalte befinden sich zwischen den Nerven.
Damit können äußerst viele dynamische Zustände erzeugt werden. Das ist auch
erforderlich, da offenbar jede Leistung des organischen Lebens ihren eigenen
(physiologischen, psychischen und psycho-intentionalen) Zustand erfordert.
*Es besteht ein ständiger, situationsbedingter Zwang, zu Wahrnehmungen und damit zu
Orientierungen zu kommen, die reaktionsangemessene Zustände ermöglichen.
(Warum Bäume keine Wahrnehmung brauchen.)
Es müssen vom Gehirn
(1) subjektive Wahrnehmungen als aufmerksamkeits-, empfindungs-, bewertungsund entscheidungsbedingte Vorstellungen
(2) die (die Geist/Symbolwelt begründenden) intentionalen Phänomene
(3) die sensorischen Phänomene
(4) die motorischen Phänomene
(5) die kognitiven Phänomene,
(6) die kommunikativ-argumentativen Kontexte (wie Empathie, Gerechtigkeitsemp–
findungen) u.a.m.
zu Zuständen verarbeitet werden:
*Exkurs: Die anatomische Organisation des Gehirns ist weitgehend erforscht.
Wolf Singer 2007: „Detailliert ist auch die Kenntnis der wichtigsten Komponenten von Nervensystemen,
der Neuronen und der ebenso zahlreichen Stützstellen, der sogenannten Gliazellen. Wir kennen die
Verteilung der verschiedenen Zelltypen in den unterschiedlichen Hirnstrukturen, wissen in groben Zügen,
wie diese untereinander verschaltet sind und welche funktionellen Eigenschaften sie aufweisen.“
Detailarbeit ist noch zu leisten.
*Trotz des Wissens über die Funktionsweisen der Nervenzellen, der Verschaltung in den
einzelnen Hirnstrukturen und der Hirnareale fehlt das Wissen, wie die Leistungen
erbracht werden.
*Die Nervensysteme selbst der primitivsten Lebewesen funktionieren nach denselben Grundprinzipien
der chemischen Stimulation und der elektrischen Übertragung, die auch die neurologischen Prozesse
beim Menschen in Gang setzen.
*Sicher ist, daß es keine inhaltlichen Leistungen sind, die erbracht werden, sondern
daß es lediglich um Intensitätsabstufungen innerhalb der neuronalen Prozesse
handelt. „Das Gehirn ist genauso doof wie die Milz.“ (Fuchs).
*Zwischen einem neuronalem Prozeß, einschließlich seines physikalischen Ausdrucks
(Afferenz), und einem symbolhaft/zeichenhaften Inhalt besteht ein arbiträres
Repräsentanz-Verhältnis.
*Verstärkte Durchblutung in einer bestimmten Gehirnregion korreliert in der Regel mit
einer erhöhten Aktivität in dieser Region.
*Exkurs: Arbiträre Verhältnisse werden durch Konventionalisierung erzeugt, beruhen also nicht auf
naturhafter Kausalität, d.i. ein Prinzip der Unterscheidungs zwischen Natur und Kultur.
*Das Gleiche gilt auch für die Beziehung zwischen Symbol und dem (außerzeichenhaft) Gemeinten.
Beispiel: Das Symbol/Wort >BAUM< ist etwas anderes als der naturhafte „BAUM“ selbst, so wie eine
Landschaft etwas anderes ist als die sie abbildende Landkarte (Hayakawa). „Unvereinbarkeit“ ist
Voraussetzung für den Symbolbegriff.
*Joachim Wehler: Kein Experiment mißt auf einer Skala die Bedeutung der beobachteten Aktivität. Die
Semantik, und sie ist bei geistigen Funktionen natürlich das Entscheidende an der Aktivität von
Neuronenverbänden, kann der Neurowissenschaftler nur erschließen.
02 Zustandsparallelismus
*Psychophysisch-geistige Parallelismus
Hier kann man zwischen zerebralen, psychologischen und geistigen Begriffen
unterscheiden.
*physiologische, psychische und geistige Zustände treten parallel auf.
*Man kann eine reziproke Beziehung vermuten.
Wenn ein Zustand erregt ist, müssen die anderen Zustände ebenso eintreten.
*Es liegt ein Prägungsverhältnis vor, das durch einen „Lernprozeß“ geschaffen wird.
Das intellektualisierende Lernen ist ein Prozeß der Symbolschaffung. Statt in einer
Gegenstandwelt wird weitgehend in einer Symbolwelt gelebt.
*Die drei Zustände stehen in einem arbiträren Verhältnis zueinander.
*Bei Symbolen zeigen sich arbiträre Verhältnisse: d.h. die Vereinbarkeiten von an sich
Unvereinbarem.
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Das Zeichen >Baum< ist nicht identisch (vereinbar) mit dem Gegenstand „Baum“.
*Beispiel
Zur Gemeinde gehört ein „trockener“ Alkoholiker, der am Abendmahl nicht teilnehmen
kann, da das „Kippen des Weinbechers“ sofort wieder die Sucht auslöst.
*Newberg: Ein Roboter in der Bewegung durch einen Raum: Für einen Roboter bedeutet
jede Veränderung eine vollständige Veränderung, und in jedem neuen Bild sieht er eine
vollkommen neue und andere Welt. Erkenntnisse über die „alte“ Umgebung werden nicht
in die neue übernommen. Für den Roboter fließt die Realität nicht in einem Kontinuum
dahin. Jedes neue Abbild stellet eine gänzlich neue Realität dar, die von Grund auf
analysiert werden muß.
*Die drei Parallelzustände sind auch beim Menschen mit jeder Veränderung andere.
Organismen müssen um ihrer Verhaltensregulation willen unausgesetzt eine Flut sich
ständig verändernder Sinnesdaten verarbeiten.
03 Konvergenzzentrum im Gehirn: Ich-Vorstellung
(Newberg (12-15): Die Aufnahmen, die auf dem Höhepunkt eines meditativen Zustands
gemacht werden, zeigen im Oberen Scheitellappen einen dramatischen Rückgang der
Aktivität an.
Vor und nach der Meditation wird eine ungewöhnliche Aktivität in dem Nervenbündel
Lobus parietalis superior (Oberer Scheitellappenteil) gemessen.
*Dieses Orientierungsfeld hat die primäre Aufgabe, die Orientierung des Individuums
im physikalischen Raum zu gewährleisten; es sagt uns, wo oben ist, läßt uns Winkel und
Entfernungen beobachten und ermöglicht es uns, unversehrt die gefährliche räumliche
Umgebung um uns herum zu erschließen.
*Um diese wichtige Funktion zu erfüllen, muß das Orientierungsfeld zuerst eine klare und
konstante Wahrnehmung der physischen Grenzen des eigenen Selbst erzeugen.
Einfach gesagt, es muß klar zwischen dem Individuum und allen übrigen unterscheiden,
muß das Ich vom unendlichen Nicht-Ich trennen.
Es ist ein Zustand vorzustellen, der geistig als Ich symbolisiert wird.
*Um seine Aufgabe gut zu meistern, ist dieses Orientierungsfeld auf einen stetigen
Zustrom von Nervenimpulsen sämtlicher Körpersinne angewiesen. Das
Orientierungsfeld ist ständig aktiv.
04 Kein Konvergenzzentrum im Gehirn
Der Einfluß von Meditation auf das Orientierungsfeld
Beruhen die transzendenten Visionen und Erkenntnisse der religiösen Mystiker auf
mentalen und psychischen Täuschungen oder sind sie im Normalbereich neurologischen
Funktionierens und psychischer Intentionalität (Geistestätigkeit)?
*Anders formuliert: Kann man die Sinneswahrnehmung durch Meditation so steuern, daß
man wahrnimmt, was alle nicht-meditative Sinneswahrnehmungen transzendiert? Kann
man sich in physiologische Zustände versetzen, die einem psychischen Zustand parallel
gehn, der intentional einem wahren Gottesbegriff entspricht.? Oder ist dieser
Gottesbegriff ein zufälliger Begriff.
*Wenn ein Sprachsystem erst einmal da ist, das psychointentionalen Zuständen entspricht, ist es völlig
gleichgültig, was sprachlich erzeugt wird.
*Bezogen auf Sprache oder Wissen kann man nur etwas Neues hevorbringen, indem man eine
bestimmte Anzahl von syntagmatisch verwendbaren Etyma/Morphemen und weiterhin für sie
Satzverwendungsregeln Spiel bringt, die die Akzeptierbarkeit oder die Grammatikalität solcher Aussagen
definiert. Hier geht es um sprachliche und wissenschaftliche Normierungsprozesse.
*Es gibt vermutlich – trotz intuitiver Annahme – kein Konvergenzzentrum im Gehirn,
indem sich zum Beispiel auch das Ich konstituiert.
*Singer: Die moderne Hirnforschung...stellt sich das Gehirn als ein System dar, das in
extremer Weise distributiv organisiert ist und sich selbst organisiert. Es findet sich kein
singuläres Zentrum, das die vielen an unterschiedlichen Orten gleichzeitig erfolgenden
Verarbeitungsschritte koordinieren und deren Ergebnisse zusammenfassen konnte.
*Es ist wohl eine Täuschung, wenn wir uns als fähig empfinden, (Singer:) „jederzeit
losgelöst von äußeren und inneren Bedingtheiten, Bestimmtes zu wollen und uns frei für
oder gegen etwas zu entscheiden.“
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Es gibt im Gehirn offensichtlich keine zentrale, allen Subprozessen
übergeordnete Instanz.
*Exkurs: Zentrale Aufgaben der Neurowissenschaftler (nach Singer):
(1) Wie wird die Zusammenarbeit der Milliarden von Zellen in den mit verschiedenen Aufgaben
betrauten Arealen der Großhirnrinde koordiniert?
(2) Wie kann das Gehirn als Ganzes stabile Aktivitätsmuster ausbilden?
(3) Wie findet ein so distributiv organisiertes System zu Entscheidungen?
(4) Woher weiß es, wann die verteilten Verarbeitungsprozesse ein Ergebnis erzielt haben?
(5) Wie beurteilt es die Verläßlichkeit des jeweiligen Ergebnisses?
*Offensichtlich hat die Evolution das Gehirn mit Mechanismen zur Selbstorganisation
ausgestattet, die in der Lage sind, auch ohne eine zentrale koordinierende Instanz
Subprozesse zu binden und globale Ordnungszustände herzustellen.
Exkurs: *Ameisenstatt ohne Zentralregierung.
*Die Mitglieder des Ameisenstaates kommunizieren über ein enggewebtes Netzwerk von Signalsystemen
und passen ihr individuelles Verhalten entsprechend der lokal verfügbaren Information an.
*Auch hier hat die Evolution eine geniale Interaktionsarchitektur entwickelt und sichergestellt, daß sich
die Myriaden der lokalen Wechselwirkungen zu globalgeordneten Systemzuständen fügen.
*Wie sich die verteilten Prozesse im Gehirn zu kohärenten Zuständen verbinden, ist
offen. Nach der Parallelismus-Theorie ist das ICH lediglich als Symbol zu denken, dem
kein umfassender Konvergenz-Zustand entspricht.
*Man denkt an komplexe, raumzeitliche Erregungsmuster/Ensembles (?), von denen sich
mehrere voneinander geschieden, aber gleichzeitig ausbilden müssen.
*Die Plastizität setzt ein arealüberschreitendes Funktionieren des Gehirns voraus.
*Es ist zudem an einen andauernden Wechsel der Zustände gemäß den
wechselnden Gegenständen zu denken.
*Subprozesse sind vielleicht gar nicht koordinierbar, schon gar nicht wenn sie ein
bestimmtes Maß überschreiten und ein Orientierungskollaps eintritt.
*Bei religiösen Zuständen ist zweifellos ein äußerst überwertiges
raum/zeitliches Erregungsmuster aktiv.
*Wenn das Gehirn ohne zentralistische Steuerung auskommt, warum sollte man nicht versuchen, das
auf die Gesellschaft zu übertragen. D.b.: Sollte man Zentralismus-Vorstellungen einschränken und die
Vorstellung von Akratie stärken?
*Z.B.: Der politische Anarchismus fordert die Dezentralisierung der Aufgabenbewältigung und die
Aufhebung des Führertums in Analogie zu den dezentralistischen Gehirnfunktionen.
05 Realitätsprüfungszwang
*Weiter gedacht: Wenn es keine zentrale koordinierende Instanz gibt, kann man fragen,
ob in anderen Bereichen nicht vergleichbar ist. Da ein ICH nur eine kulturelle Setzung ist,
muß denn das Höchste ein (zentralistischer) Gott sein?
*Zentralisierung ist wie Verganzheitlichung eine Variante von Konkretisierung.
Wahrnehmung ist auf Konkretisierung aus. Konkretisierung dient der Orientierung.
Kognitive Orientierung geschieht besonders leicht nachvollziehbar und
argumentationssicher durch Binarisierung. Beispiele: (1) Ich vs. Nicht-Ich. Jüdische
Spruchweisheit: „Gott ist einer und sonst keiner!“
*Der binäre Fundamentalismus (wahr/falsch) kennzeichnet die europäischen Denkverhältnisse.
*Eine Gottesvorstellung, im besonderen eine Christus-Vorstellung - nachweisbar in
menschlicher Historie - ist ein Zugeständnis an einen genetisch bedingten
Konkretisierungs/Hypostasierungs-Zwang.
*Alles Wahrgenommene wird zunächst auf Realität überprüft, gegebenenfalls
sogar zur Realität hypostasiert. Z.B. ua.: (1) Die „Freiheit“ ist unveräußerbar. (2) „Gott“
ist die „Liebe“.
Exkurs: *Ein Wort, das einen wahrnehmbaren Gegenstand meint, wird anschaulich durch das
Gemeinte.
Ein Wort, das einen nicht-wahrnehmbaren „Gegenstand“ meint (z.B. Freiheit), wird anschaulich durch
die semantischen Gebrauchsbedingungen (durch die semantische Umgebung), die es hat. Ein Wort
bedeutet soviel, wie die semantischen Gebrauchsbedingungen zulassen.
*Werden die Gebrauchsbedingungen verletzt, d.i. wird gegen die Gebrauchsbedingungs–norm
verstoßen, baut sich eine un-normale Bedeutung auf. Dann handelt es sich um eine zu überprüfende
semantische Synthetisierung, der man mit Vorsicht oder poetischer Empfindung begegnen muß.
*In diesem Sinn ist die Bedeutung von >Natur< eine Erfindung, die in sprachsymbolischer Beschreibung
aufgeht (Analytische Philosophie).
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06 Ganzheitsvorstellungen lassen „Gehirnkabel durchschmoren“
*Nicht GOTT, aber JESUS ist (historisch) faßbar für den endlichen/nicht-absoluten
Menschen. Jesus umfaßt alles in sich.
*Metaphysische Ganzheitsvorstellung werden immer wieder angezweifelt und zu
vermeiden versucht. Philosophiegeschichtlich ist die Ablösung des Absoluten durch das
Subjekt beobachtbar.
*Wahrheit, Ganzheit, Absolutheit lassen nicht nur die „Gehirnkabel
durchschmoren“, sie verhindern auch die lebendige Ausweitung der Erkenntnis
und die Abwehr sich aufdrängender Glaubensinhalte.
*Man muß Gott vor einem zentralisierenden Glauben, dem eigenen Privatglauben und
jedem institutionalisierten Glauben verteidigen. Menschlicher Glaube ohne skeptische
Wachsamkeit, ohne demütigen Kleinmut und ohne Entschuldigung ist eine Beleidigung
Gottes. Glaube ist die Abwehr des „durchschmorenden“ Glaubens.
*Der Plastizität des Gehirns entspricht die situationsgemäße Plastizität der Erkenntnis.
*Die Natur / der Kosmos sollten als Ganzes nicht erkennbar sein.
Z.B: Die schwarze Wolke (Roman von Fred Hoyle). Die Erleuchtung der Wissenschaftler durch die
kosmisch-intelligentere Wolke führt zu deren wissenschaftlichen „Erblindung“.
*Statt eines „Ganzen“ schaffen wir aber brauchbare Teilsysteme, die Teilleistungen
ermöglichen. Historischer Jesus.
*Rationale Erkenntnis ist immer pragmatisch aufs Gelingen von Situationen angelegt,
nicht aber geeignet, Wahrheit und Absolutheit auszumachen.
Beispiel (1): Mit dem aristotelisch-ptolemäischen Weltbild kann man Amerika erreichen, nicht aber den
Mond. Dafür brauchte man ein heliozentrisches Weltbild.
Das ist heute noch sehr erklärungsstark, muß aber auch nicht wahr sein.
Beispiel (2): Mit Lautwandeltheorien kann die Gemeinsamkeiten und Unterscheidungen von Dialekten
und Sprachen systematisieren. Man kann sogar das Konstrukt eines „Indogermanischen“ erzeugen.
*Das Ganze ist ohne Bezug auf seine Teile nicht zu erfassen, d. h, man kann das ganzheitliches Denken
dem analytischen und synthetischen nicht entgegensetzen.
*Die Wissenschaft vom Ganzen und seinen Teilen ist die Mereologie.
*Es läßt sich das Ganze nicht erfassen, ohne daß man auf Teile Bezug nimmt.
Man kann ein Schnitzel nur dann genießen, wenn man es zerstört, d.h. zerkaut.
*Bereits jede Auswahl ist ein technisches Verfahren, das auf Partikulation, auf Auswahl
von Elementen setzt.
*Ständige Korrektur der Gottesgewißheitdurch Verzicht auf Ganzheitigkeit.
07 (Nicht-) Triviale Maschinen
*Menschen sind keine triviale Maschinen. (v. Foerster).
Eine triviale Maschine ist die Gleichung 2x2=4 oder Stecke ich den lebenden Sokrates in
das Leben hinein, so kommt ein sterbender Sokrates heraus.
*Die Lernenden und Lehrenden werden mit didaktischen Mitteln zu trivialen Maschinen
erzogen. Lehrer sind Trivialisatoren.
*Kultureller Anspruch sollte sein, eine nicht-triviale Maschinen zu werden.
Eine nicht-triviale Maschine ist die Gleichung 2x2=grün.
Mensch als nicht-triviale Maschinen fragen immer: Könnte es auch ganz anders sein?
*Die nicht-triviale Entscheidung setzt eine Maschine in der Maschine voraus
*Verzicht auf übergeordnete Führungsinstanzen bei Risikosituationen.
*Linke: Religion als Risiko (2003:95): *Meine These lautet, daß zur Prävention und
kulturellen Offensive gegen den Terrorismus(/Fundamentalismus, Ks.) mehr analytische
Differenzierung gefordert werden muß, nicht nur im Sinne einer Förderung von
Verstand und Vernunft, sondern gegebenenfalls auch durch stärkere praktischpragmatische Einbindung der religiösen Überzeugung.
*Es wäre gefährlich, die religiösen Überzeugungen nur noch als innerliche (=interne Ks)
Überzeugungen zuzulassen, wenn ihre Idee auf gesamtgesellschaftliche Hingabe
ausgerichtet ist. (Hingabe ist neuronale Überfeuerung).
*Nehmen wir den Islam, der schon als Wort „Hingabe“ bedeutet, so wäre es
problematisch, seine Vorstellungen aus dem politischen Bereich eliminieren zu wollen, da
die Hingabe dann zur bloßen Idee würde und als solche nicht mehr den
Differenzierungsanforderungen der Praxis ausgesetzt werden könnte. Anstelle der
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Privatisierung des Islam soll also die Aufforderung zu dessen praktischer Bewährung in
der Vielfalt gesellschaftlichere Herausforderungen treten.
08 Interpretation
*Interpretationen, d.s. Festlegungen einer ambivalenten Situation / eines
ambivalenten Textes im Sinne eines Interpretatorischen Interesses, wird von seinem
körperlichen Selbstinteresse her gesteuert. Es wird dabei eine Kontinuität zwischen
Biologie und Bewußtsein hergestellt.
*Identifikationen sind Wahrnehmungen eindeutiger Situationen / Texte. Auch die
Identifikation ist niemals völlig interpretationsfrei.
* Die Besonderheit einer Individualität spielt die eine bedeutsame Rolle bei der
Interpretation.
*Der Mensch hat aber in der Wissenschaft auch die Abkoppelung von seinen körperlichen
Interessen/Bedürfnissen gelernt.
*Hier ist der symbolmanipulierende Parietal-lappen zu nennen.
09 „Durchschmoren von Hirnkabeln“
*Dies sei an einem neuropsychologischen Modell für einen anderen Bereich von
„Durchschmoren“ von „Hirnkabeln“ verdeutlicht.
*Man kennt Beispiele von neuronalen Funktionsstörungen, wenn das Handeln zu sehr aus
dem Kopf geschieht.
*Im Bereich der Musikmedizin sind Verkrampfungen der Finger bekannt, die unter
Umständen zu einem schicksalhaften Abbruch der Musikerkarriere führen können.
*Untersuchungen mit bildgebenden Verfahren zeigen, daß die Differenzierung der Finger
in der Hirnrindenrepräsentation verloren gegangen ist und daß sich zum Beispiel Mittel-,
Ring- und Kleinfinger in einem Areal verschmelzend darstellen, wo früher eine
weitflächige differenzierte Repräsentation vorhanden war (Fokale Dystonie). Deuten sich
solche Störungen an, dann hilft zunächst nur, langsamer zu spielen, damit man ein
Gefühl für die Rückkopplung der Finger bekommt und man die Musik nicht aus einem
einzigen Programm herauswirft. Dadurch können sich differenziertere
Fingerrepräsentationen wieder aufbauen.
*Bei ständigen Überintensivierungen verliert sich schließlich die Möglichkeit der
„Kommunikation“: religiöser Fundamentalismus. Gesprächspartner sind nicht mehr
zuhör- und angemessen reaktionsfähig (Jehovas Zeugen; Scientology)
* So kann man es sich bei überwertigen Vorstellungen denken: Die praktische
Differenzierungsleistung in der ethischen Realisierung einer Religion kommt im
interkulturellen Umgang unter Umständen nicht zum Tragen.Wird Religion nicht mehr in
der Praxis beansprucht, es kommt zu keinen Rückkopplungen und Korrekturen des
eigenen Weltbilds. Dieses wird vielmehr als Totaloperator gegen alles in Reserve
gehalten. Man muß versuchen, ein derartiges Durchschmoren differenzierter
Repräsentationen durch >>Überlagerung unzureichend getrennter Kabel<< dadurch zu
vermeiden, daß die ethische Überzeugungen, die sich auf die Veränderungen der Welt
und auf die Bewährung in der Welt ausrichten, einer steten Zwischenprüfung
unterzogen werden. Religion muß also eine Politik mitmachen dürfen, damit nicht ein
Zorn gegenüber der Welt durch Durchbrennen verschiedener eingerollter Kabel
entbrennt. Also durchaus politische Hingabe, aber eine rückkoppelnde, sich
differenzierende, sich selber und das eigene Handeln stets kritisch überprüfende
Beziehung der Religion zur Welt, in der sie dann die rückkoppelnden Fingerübungen vor
dem Durchschmoren bewahren können. Nicht also das Ausspielen von Rationalität gegen
Gefühl und Religion, sondern die stete rationale Prüfung von Gefühl und Religion,
vielleicht auch umgekehrt.
*Ein Medizinstudent gibt den Lehrbüchern recht, daß seine Vorstellung, Gott gesehen zu
haben, eine schwere Psychose sein müsse: „Ja, es ist eine Geisteskrankheit!“ Zugleich ist
er aber weiterhin überzeugt von der Realität der Gottesbegegnung.
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10 Meditation
*Kann unser Gehirn durch die andauernde Konzentration (Meditation) auf einen
einzelnen Moment, auf einen einzigen Zustand, irgendwie profitieren, etwa so wie durch
intensives Lernen?
*Lernen zeigt sich in der Besonderheit, daß etwas Erlerntes immer wieder ein anderes
wird, wenn man sich erneut damit befaßt. Lernen heißt, ständig den intentionalen
Zustand irritieren und situativ (an den Moment gebunden) so zu korrigieren, daß die
Empfindung der Einsicht aufkommt. Diese Einsicht bleibt aber an den Moment gebunden.
*Meditation wäre damit bedenklich, wenn sie die Fixierung eines Zustands zum Ziel hat.
Das diente nicht der „Gesunderhaltung“. Der Volksmund spricht von „Gehirnerweichung“
bei Erregungseinseitigkeiten, etwa bei Selbstbeobachtung.
*Die indische Philosophie spricht allerdings von Vorteilen der Meditation und von
Glücksmomenten.
*Aus eigener Erfahrung weiß ich, daß Meditation vor Kampfsituationen (Judo)
ausschließlich von Nachteil war.
*Aufmerksamkeitsschulung durch gesteuerte wohlwollende Zuwendung zu einem
Gegenstand muß Beweglichkeit/Aktivität der Gehirnaktivität auslösen. Das geschieht
über neuronale Intensivitätsstärkung, ausgelöst durch die Wiederholung von
gleichartigen Zustandsabfolgen, die aber gleichzeitig von Kontrolle und ständiger
Umorientierung begleitet sein müssen. Lernen ist ständige Veränderung der
Einsicht und das Vermeiden einer statischbleibenden Einsicht. Man muß sich ständig von
seinem Ausgangspunkt entfernen.
*Es geht bei der Meditation also nicht um das Ausblenden störender Aktivität, sondern
um eine Kontrolle durch (1) Veränderung der Annäherungsweise an einen Gegenstand
(wobei bedacht werden muß, daß es keine eindeutigen Gegenstände gibt, sondern nur
annäherungspezifische Gegenstände) und (2) durch eindeutige willentliche Anfangsund Schlußsetzungsentscheidung von Wahrnehmungsprozessen. Das hat ständige
gegenstandsgebundene Zustandsvariationen zur Folge, die die „Wachheit“ der
Hirnaktivität fördert. *Neurologen haben dabei einen Zuwachs an „grauer Hirnsubstanz“
beobachtet.
*Die Flexibilität der intentionalen Zustände hat (aus Parallelitätsgründen) auch eine hohe
Variationsbreite von nicht-intentionalen Zuständen (Gefühlen: u.a. Menschenliebe) zur
Folge.
*Der orbitofrontale Kortex reguliert die Emotionen durch Umlernprozesse. Emotionales
Umlernen ist als kognitiver Prozeß zu verstehen.
*Man kann/muß (z.B.) ein Gedicht immer wieder „neu“ sehen. Die Unabbaubarkeit von
Mehrdeutigkeit bei Kunstwerken entspricht gerade der Plastizität menschlicher
Orientierungsart. Wahrnehmung ist nur dann erforderlich, wenn sich tatsächlich etwas
ändert. Änderte sich nichts, könnte man ein Maschinendasein führen. Maschinen können
nur einer „bekannten“ Anforderung angemessen dienen.
Exkurs: *Wer die Frage nach Gott als „einfache Frage“ verstehen will und eine entsprechend „einfache
Antwort“ haben will, ist ein gefährlicher Umgangspartner. Er gibt gleichzeitig mit seinem Sinn für
Vielfältigkeit und ständige Selbstkorrektur auch die umsichtige und stets neuanzusetzende
Wahrnehmung seiner Mitmenschen preis, das heißt: Er läßt um der eigenen Bequemlichkeit willen
Ignoranz und damit Rücksichtlosigkeit/Seelenbrutalität zum Hauptverhaltenszug werden.
*Die Evangelikalen und die Freikirchen überhaupt haben den menschlich verhängnisvollen Zug zur
Einfachheit des Glaubens. Davon spricht Marcia Pallys „Warnung vor dem Freunde“.
*Dummheit ist wie Rauschhaftigkeit Schlaf des Gehirns.
*Rauschhaftigkeit in Verbindung mit Glücksempfindung muß vereinzelt bleiben, da ein
„Durchschmoren“ durch Überwertigkeit sonst unvermeidbar wird.
*Religiöse Meditation dient nicht der Neuro-Intensivierung, sondern der
„Ausleerung“, um allein der Gotteswahrnehmung (und nichts anderem)
raumzugeben.
11 Überwertigkeit und Entgrenzung
*Die experimentellen und empirischen Paradigmen der Neurotheologie sind noch
spärlich.
*Die Irritation in weltanschaulichen Bereichen, so auch der Theologie, ist jedoch
aufgrund der neurologischen Ergebnisse erheblich.
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*Die Neurotheologie ist die wichtigste strategische Position zwischen Geisteswissen–
schaften, Theologie, Religion und Naturwissenschaften.
*Schon das Wort Neurotheologie läßt erschrecken: Man sollte vielleicht auch
Neuro/rabbinismus oder Neuro/schamanismus sagen.
*Die Frage ist: Wie sind Entgrenzungserfahrungen im Meditationserlebnis faßbar? Die
Minderaktivität des Scheitellappens ist dabei nur eine nebensächliche Dimension.
Offenbar spielen sprachliche Codierungen ein wichtigere Rolle.
*In Bezug auf Religion kann eine kreative Verschiebung und Dynamik bisweilen
problematisch sein und so starke Ausmaße annehmen, daß ein Wechsel der Religion oder
der Konfession dem Individuum erforderlich scheint. Solche Tendenzen können verstärkt
werden, wenn im rechten Schläfenlappen epileptische Vorgänge stattfinden.
*(Norman Geschwind, Boston) Bei Epilepsiepatienten mit Krampfleiden im rechten
Schläfenlappen kommt es in krampffreien Zeiten zu Hyperreligiosität und häufigen
religiösen Konversionen.
* Kultureller Parameter! Das gilt besonders für die USA: Hier sind Konversionen
besonders häufig. In den USA sind 90% gläubig und religiös, in Deutschland regional
unterschiedlich zwischen 10 und 40%.
*Fehlt die religiöse Situation, dann kann ein religionsbezogenes Syndrom auch nicht in
der entsprechenden Häufigkeit beobachtet werden.
*In Deutschland gibt es vielleicht häufigere Konversionen zwischen weltanschaulichen
Positionen.
*Ergebnis: Religion ist eine der Ausgestaltungen eines tieferen Geschehens.
Der Glaube ist lebendig, wenn er von partikulären Intensitäten geleitet ist. Von Intensität
ist zu sprechen, wenn der Eindruck stark ist, ein Ganzes würde widergespiegelt.
12 Rechte / Linke Hirnhälfte
*Rechte Hirnhälfte: ganzheitliche Funktionen.
Bildliche Leistungen;
semantische Dimensionen, die im System weit auseinanderliegen, verknüpfen;
Serialität, semantische Ordnung;en
Managementaufgaben und Kreativität;
„asiatische“ Hirnhälfte.
*Linke Hirnhälfte: analytische Leistungen.
Phonetische Leistungen (syntagmatische Beziehungen);
„europäisch“-logozentrische Hirnhälfte;
Sprachleistungen.
*WADA-Test: Narkose einer Hirnhälfte, um Sprache, Gedächtnis, visuelle Erinnerung,
Emotionen etc im Verteilungsmuster in Bezug auf beide Hirnhälften zu erfassen.
13 Informationsfilterung und sensorische Stimuli
*Plastizität: Im Gehirn ist vieles mehrfach angelegt.
*Zensorleistungen: Filterfunktionen für die Informationsaufnahmne finden sich vor allem
im limbischen System.
*Es ist kein Widerspruch, wenn Zensorleistungen einmal im limbischen System, dann im
Hippocampus erkannt werden. Hier werden vielartige Informationen gefiltert.
Linke (2003:90) Religion als Risiko: Gewiß ist die Filterfunktion des Hippocampus für die
Struktur der menschlichen Kognition von besonderer Bedeutung. Hier wird danach
selektiert, ob etwas an Informationen neu ist oder ob es gegebenenfalls zum Bisherigen
paßt. Die damit gegebenen Einschränkungen der Informationsverarbeitung gelten für uns
alle und sind kein Spezifikum für Religion. Die Freiheitsgrade von Religion und
Nichtreligion werden eher mit einer anderen Struktur des limbischen Systems in
Verbindung gebracht, die als Amygdala bezeichnet wird.
Während die Informationen, die dem Hippocampus zukommen, gefiltert und relativ
eingleisig aus dem Cortex zugeliefert werden, können die Informationen der Außenwelt
auf die Amygdala ohne Vorsortierung von Thalamus und Cortex hier ihre Einwirkungen
bringen. Die Amygdala bekommt eine herausragende Rolle, sie darf nicht als
Schaltstelle in einem System differenzierter Informationsaufarbeitung angesehen
10
werden. Relativ ungeschützt wird sie den sensorischen Informationen ausgeliefert und
entwickelt daher selber eine Strategie der JA-Nein-Schaltung, des Abwehrens als
feindlich oder des Annehmens als freundlich, wobei ihre Hauptaufgabe darin besteht,
nicht-passende Informationen als feindlich einzuordnen. Sie ist der Ort, an dem FreundFeind-Schemata ihre schwer überholbare Realisierung finden. Schwer überholbar ist
diese Struktur, weil sie in der Not des Ausgesetztseins gegenüber den äußeren
Informationen kaum anders als mit JA-NEIN-Antworten reagieren kann und damit
zumeist dem NEIN den Vorzug geben muß. Eine Strategie, diesen Negationen zu
entgehen, wäre der Versuch, sich intensiven sensorischen Stimuli nicht
auszusetzen...Dies war in der Tat in den Religionen immer wieder der Versuch, den
differenzierteren Informationsverarbeitungsstrukturen von Thalamus, Cortex und
Hippocampus eher zu vertrauen (als der Amygdala), die unmittelbare Sinnlichkeit
möglichst zu vermeiden, da sie, wenn sie überbordend wird (z.B. Sexualität), nicht selten
mit der Negation beantwortet wird, um dem Selbst einen Schutz zu gewähren. Natürlich
ist dieser Schutz ein wesentlicher Teil des Selbst. Dogmatische Haltungen in der
Religion sind also weniger auf eine abstrakte Informationskapazitäts–
begrenzung zurückzuführen als vielmehr auf überbordende Stimuli.
*Nicht nur in der Psychiatrie gibt es Versuche, den Menschen vor zuviel Gottesnähe zu
bewahren; selbst die Konfessionen gibt es psychohygienische Vorkehrungen, um eine
psychotische Überflutung durch die Begegnung mit Gott zu vermeiden: Die Lehre von der
Gottesferne.
14 Ganzheitliches Denken heilt nicht
*Ganzheit wird oft als Heilsein verstanden.
Ganzheit ist als solche mehr als die Summe ihrer Teile.
*Die Ayurweda-Medizin ist ganzheitlich in dem Sinne, als sie den Menschen in die
Ganzheit der Natur zurückführt. Das Ganze, das Heile, erfordert, daß seine Teile in ihm
verschwinden.
*Da die Ganzheit der Natur auch den Tod und die Verschlimmerung von
Lebenszuständen umfaßt, ist ganzheitliches Denken für ein Gesamtheil / einen
andauernden Lebenszustand ungeeignet.
Es ist deshalb auch sinnlos von „einzelnen“ Elementen der Natur (Kräutern etc.) Heil oder
Heilung zu erwarten. Kräuter mit Indikation sind ebenso Elemente wie chemischerzeugte Wirkstoffe
*Die „Kügelchen“ der Homöopathen sind ohne partikuläre Indikation.
*Die Natur kennt keine Individuen, kann deshalb auch keine Rücksicht auf sie nehmen.
Ganzheit kennt keine individuelle Gesundung.
15 Säkulare und numinose Entindividualisierung
*Die Stalinisten/Leninisten unterwerfen sich bis heute dem ganzheitlichen
Geschichtsprozeß und verzichten auf ihr Privatwohl mit der Gewißheit, wahrhaftige
Teilnehmer des wissenschaftlich ausgewiesenen Geschichtsprozesses zu sein. Stalinisten
kennen kein Privatheil.
* Organiszistische Auffassungen.
Die Natur kennt keine Individuen.
*Das Ganze läßt sich nur „mystisch“ i.w.S. erfassen. Vgl. auch intentionale, wesenhafte
Akte (Phänomenologie Max Scheler).
* In einem Gottesreich gibt es keine Individuen. Das gilt ebenso in der Natur.
16 Entscheidung zum Glauben
*Freie Entscheidungen sind nur da zu treffen, wo Probleme und keine Fragen vorliegen.
*Probleme sind grundsätzlich nicht zu lösen.
Fragen sind grundsätzlich beantwortbar; nur mangelndes Wissen kann die Antwort
verzögern.
*Lauter unentscheidbare Situationen: Wie ist das Universum entstanden? Wie ist
eszustande gekommen, daß man das ABC gelernt hat? Was denkt mein Hund Wer bist
mein Gegenüber?
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Es gibt immer mehr Unentscheidbares: Aber wir behandeln das meiste so, als
wüßten wir Bescheid. „Gott lebt. Christus hat uns von der Sünde befreit.“ Gehört
dazu.
*Im Dialog entsteht ein kommunikatives Gleichgewicht. Darauf kommt es an, nicht auf
die nachweisbare Wahrheit des geäußerten Inhalts.
*Bei entscheidbaren Fragen ist von Wichtigkeit, ob man vom Inhalt etwas versteht oder
nicht. Solche Frage sind einfache Maschinen und interessieren hier nicht.
*Wenn jedoch eine nicht-entscheidbare Frage wird beantwortet, sagt das etwas über den
Beantworter aus. Die Entscheidungen in unentscheidbaren Situationen sind
persönlichkeitsbildend. Man gibt nämlich die Maschine in der Maschine auf und wird zur
„einfachen Maschine“. Die Gefahr der „durchgeschmorten Hirnkabel“ tritt auf.
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