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Patente am Leben?
Ethische, rechtliche und politische Aspekte der Biopatentierung
von
Christoph Baumgartner, Dietmar Mieth
1. Auflage
mentis 2003
Verlag C.H. Beck im Internet:
www.beck.de
ISBN 978 3 89785 382 9
Zu Inhaltsverzeichnis
schnell und portofrei erhältlich bei beck-shop.de DIE FACHBUCHHANDLUNG
Vorwort
Mit Biopatentierung bezeichnet man die Erteilung von Patenten an oder auf Lebewesen bzw. auf deren lebendige Teile. Im letzteren Fall spricht man in der
Rechtssprache inzwischen von „biologischem Material“. Patentierte Lebewesen
oder „biologisches Material“ können mit ihrem natürlichen Ausgangszustand
dabei möglicherweise identisch sein. Die Unterscheidung von Patenten „an“ und
„auf“ Leben, die wir hier einführen und die im Titel des Buches ebenfalls verwendet wird, macht deutlich, dass man zum einen Patente für Verfahren erhalten
kann, die sich unter den üblichen Voraussetzungen der Patentierbarkeit auf Lebewesen oder deren Teile beziehen, aber diese nicht selbst mit dem Patent belegen. Zum anderen kann man Patente als „Stoffpatente“ auf die Lebewesen bzw.
deren Teile selbst erteilen, wiederum unter bestimmten Voraussetzungen. Im
ersten Fall sprechen wir von Patenten „am“ Leben, im zweiten Fall von Patenten
„auf“ Leben. Als umfassenden Begriff für den Titel haben wir freilich „Patente
am Leben“ gewählt, um die Sache der Biopatentierung in zurückhaltender Form
einzuführen.
Die Biopatentierung stellt derzeit ein auf verschiedenen Ebenen kontrovers
diskutiertes Thema dar. Das erste erteilte Patent auf „biologisches Material“ wurde 1843 freilich weitgehend unbemerkt in Finnland (für einen Hefepilz) erteilt.
Eine größere Öffentlichkeit wurde auf die Thematik erst durch ein Urteil des
obersten amerikanischen Gerichts aus dem Jahr 1980 aufmerksam, das die Patentierbarkeit eines gentechnisch veränderten, ölverzehrenden Bakteriums feststellte. Dieses so genannte „Chakrabarty-Urteil“ markiert neben der Initiierung einer
öffentlichen Auseinandersetzung zugleich den Beginn einer Beschleunigung und
Ausweitung der Praxis der Biopatentierung. In der Folge dieser Entscheidung
wurden in den USA auch Pflanzen und Pflanzensorten, später sogar Tiere patentiert.
Im Zuge der Entwicklung der Lebenswissenschaften zu einer Schlüsseltechnologie des 20. und 21. Jahrhunderts wurde das Patentrecht auch in Europa
mehr und mehr als wirtschafts- und forschungspolitisches Instrument auf den
Bereich der belebten Natur ausgedehnt.
Eine erhebliche Intensitätssteigerung erfuhr die öffentliche Diskussion um die
Patentierung „biologischen Materials“ anlässlich der Erteilung von Patenten auf
genetisch modifizierte Nahrungsmittel (v.a. den sog. „Goldenen Reis“), die so
genannte „Krebsmaus“, das „Brustkrebs-Gen“ BRCA1 und zuletzt durch das so
genannte „Edinburgh-Patent“, dessen Anmeldung und erste Gewährung embryonale Stammzellen unter Einschluss des Menschen enthielt. Die Reaktion großer
Teile der Öffentlichkeit und gesellschaftlicher Gruppen wie Ärzteverbänden,
Nichtregierungsorganisationen oder den christlichen Kirchen auf die Erteilung
von solchen Patenten zeigt unter anderem, dass der ethische Urteilsprozess hinsichtlich der Biopatentierung weitergeht.
Die ethische Auseinandersetzung mit der Frage, ob Lebewesen bzw. ihre Teile
patentiert werden können oder gar sollen, ist höchst aktuell, u.a. weil die Entwicklung der Lebenswissenschaften zunehmend in Bereiche vordringt, in denen
wirtschaftliche Interessen den Forschungsprozess dominieren. Auf politischer
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Ebene steht die nach wie vor in verschiedenen Mitgliedsländern ausstehende
Umsetzung der Biopatentrichtlinie 98/44/EG im Vordergrund. Nach einer vergeblichen Klage der Niederlande und Italiens vor dem Europäischen Gerichtshof
wurde die Initiative Frankreichs, der sich Deutschland anschloss, bekannt, die
Richtlinie im Sinne stärkerer Restriktion zu reformieren.
Trotz der großen Reichweite der in diesem Kontext zu treffenden politischen
Entscheidungen ist die Auseinandersetzung um die Biopatentierung in Deutschland und Europa bisher nur in einem vergleichsweise geringen Maß ethisch reflektiert worden. Eine Expertendebatte unter einer größeren Zahl von Ethikerinnen und Ethikern fand bisher nicht statt – ganz zu schweigen von einer derart
intensiven Diskussion, wie sie zum Beispiel anlässlich der Frage nach dem Import embryonaler Stammzellen in Deutschland in Fachzeitschriften und in überregionalen Zeitungen zu beobachten war.
Gleichwohl wurde die Biopatentierung von der Ethik nicht einfach ignoriert.
Der Großteil der originär ethischen Reflexion der Biopatentierung geschah jedoch vorrangig in Gremien und Politikberatergruppen. So liegen einschlägige
Stellungnahmen u.a. vor von der Ethik-Beratergruppe der Europäischen Kommission (1993, 1996 und 2002), dem Danish Council of Ethics (1994), der Enquete-Kommission „Recht und Ethik in der modernen Medizin“ des Deutschen
Bundestags (2001), der Eidgenössischen Ethikkommission für die Gentechnik im
außerhumanen Bereich (2001) sowie von dem Nuffield Council on Bioethics
(2002). In Deutschland, Frankreich und Österreich wurden intensive politische
Diskussionen über die Implementierung der EU-Biopatentrichtlinie geführt.
In Europa haben dergleichen ethische Erwägungen bereits früh Eingang in die
Gesetzgebung und die entsprechende Rechtssprechung gefunden (vgl. etwa die
„ordre public-Klausel“ im Europäischen Patentübereinkommen (EPÜ) oder den
Ausschluss bestimmter Verfahren von der Patentierung in Art. 4 bzw. Art. 6 der
EU-Biopatentrichtlinie).
Dies kann einerseits als „Erfolg“ ethischer Reflexionen im europäischen
Raum verstanden werden – in den USA existieren keine vergleichbaren Einschränkungen des Patentrechts, die aufgrund ethischer Erwägungen zustande
kamen. Andererseits ist jedoch festzustellen, dass Gesetzgebung und Rechtssprechung im Bereich der Patentierung „biologischen Materials“ mittlerweile eine
gewisse „Routine“ erlangt haben. Diese routinierte Vergabe erschwert eine ethische Kritik bestimmter Formen der Biopatentierung und scheint sie gelegentlich
unmöglich zu machen. Urteile beispielsweise des Bundespatentgerichts werden
mit dem Hinweis, dass die Gerichte bei ihrer Urteilsfindung ja den in den einschlägigen Rechtstexten formulierten ethischen Überlegungen Rechnung trügen,
in der Diskussion um die Biopatentierung als präjudizierende Argumente eingesetzt. Damit findet jedoch nicht selten eine gewisse Immunisierung gegen ethische Kritik statt, es ist eine bedenkliche „normative Kraft des Juristischen“ in der
politischen Ethik zu beobachten. Nicht wenige Diskutanten lösen den „Blick“ in
der Argumentation nicht mehr von bereits rechtswirksamen Texten und Entscheidungen. Dies wäre jedoch erforderlich, um eine unabhängige ethische Reflexion der Problematik zu ermöglichen.
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