Morbus Crohn im Kindesalter

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Die Versorgung der
Jüngsten ist mangelhaft
von
Gerda Kneifel
Noch immer müssen
viele Kinder und
Jugendliche mit
Morbus Crohn ohne
altersgerechte Therapie auskommen, weil
sie nicht von Kindergastroenterologen
behandelt werden.
Ralf S. (Name von der Red. geändert) leidet
unter Morbus Crohn, ist jedoch erst mit 18 Jahren einem Kindergastroenterologen vorgestellt
worden. Zuvor war er vier Jahre in Behandlung
bei einem Endokrinologen, der ihn mit Steroiden behandelte, ohne eine Remission zu erreichen. Mit gravierenden Folgen: „Er war viel
zu klein für sein Alter und präpubertär“, fasst
Prof. Zimmer, Oberarzt der Klinik für Kinderund Jugendmedizin des Universitätsklinikums
Münster und erster Vorsitzender der Gesellschaft für Pädiatrische Gastroenterologie und
Ernährung e.V. (GPGE), zusammen. „Können
Sie sich vorstellen, was der Junge heute zu erleiden hat? Er sieht aus wie ein Zwölfjähriger.“
Dieser Fall ist kein Einzelfall. Noch immer müssen viele Kinder und Jugendliche mit Morbus
Crohn ohne altersgerechte Therapie auskommen, weil sie nicht von Kindergastroenterologen behandelt werden.
Die Patientenzahlen steigen stetig
Wurde früher noch angenommen, dass es sich
bei der chronisch entzündlichen Darmerkrankung Morbus Crohn um eine psychosomatische
Erkrankung handele, ist heute klar, dass es eine
Autoimmunerkrankung ist. Auch bestreitet
kaum mehr jemand, dass die chronisch entzünd-
liche Darmerkrankung (CED) auch junge Menschen treffen kann. „Das ist zwar schon länger
bekannt“, meint Dr. Stephan Buderus, Chefarzt
der Pädiatrie des St.-Marien-Hospitals in Bonn,
„doch es hat lange gedauert, bis sich diese Tatsache in den Köpfen durchgesetzt hat.“
Der Kinderarzt hat im Sommer 2004 zusammen mit der Arbeitsgruppe „Chronisch
entzündliche Darmerkrankungen“ der GPGE
die Datenbank CEDATA ins Leben gerufen, in
der von Kindergastroenterologen gemeldete
Fälle erfasst werden. „Nach unseren Erfahrungen erkranken jährlich 500 bis 1 000 Kinder an
Morbus Crohn, davon sind 200 bis 300 jünger
als zehn Jahre“, resümiert Buderus. Die Zahlen
von CEDATA bestätigen prinzipiell die internationalen Daten sowie die Daten, die seit 2000
im Sächsischen CED-Register erhoben werden,
dem einzigen Register in Deutschland, das eine
Vollerhebung zum Ziel hat. Demnach leiden in
Deutschland rund 12 000 Kinder und Jugendliche an den unheilbaren CED-Krankheiten Morbus Crohn und Colitis ulcerosa.
Morbus Crohn tritt vermehrt seit dem 20.
Jahrhundert auf, und zwar vor allem in Nordund Westeuropa sowie Nordamerika. In asiatischen Ländern war diese Krankheit bislang
kaum zu finden, doch wurde in einer neuen
Studie auch in China eine Zunahme beobach-
Quelle: Philipp/bmp
Morbus Crohn
im Kindesalter
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Altersgerechte Therapien frühzeitig
beginnen
Eine möglichst frühzeitige Diagnose und Behandlung haben bedeutenden Einfluss auf den
weiteren Verlauf der Krankheit. „Vor allem bei
Kindern unter zehn Jahren ist die diagnostische Latenz aber sehr lang“, weiß Zimmer. „Bei
Kleinkindern ist es für nicht spezialisierte Ärzte oft schwierig, die Krankheit zu definieren“,
ergänzt sein Bonner Kollege Buderus. „Bei den
Jüngsten dauert es bis zu vier Jahren, ehe die Diagnose gestellt wird.“ Jeder vierte junge Patient
muss über ein Jahr auf die Diagnose warten. Ein
Grund hierfür ist der meist schleichende Beginn
der chronischen Krankheit. Und nicht immer
sind es Bauchschmerzen, die Eltern mit ihren
Kindern in die Arztpraxis treiben. Es gibt Fälle,
in denen sich über Monate nur die Begleiterkrankungen von Morbus Crohn manifestieren.
Dazu zählen Harnsteine, Gelenkbeschwerden,
Augenhautentzündungen (Uveitis), die Hauterkrankung Pyoderma gangraenosum oder
auch Stuhlinkontinenz. „Wir bekommen auch
hin und wieder Überweisungen aus RheumaAmbulanzen, wenn Gelenkbeschwerden der
Darmmanifestation vorausgehen. Auch Kinder,
die wegen Kleinwuchs in Behandlung waren,
werden überwiesen“, erzählt Buderus. Ärzte
sollten in solchen Fällen stets nach Symptomen
einer chronisch entzündlichen Darmerkrankung oder auch nach Laborveränderungen beziehungsweise auffälligen Ultraschallbefunden
(Darmwandverdickungen) suchen. Zimmer
und seine Kollegen empfehlen, in jedem Fall
schon beim bloßen Verdacht auf Morbus Crohn
die Patienten zur diagnostischen Abklärung
zum Kindergastroenterologen zu schicken.
„Dort erhalten sie die Diagnose im besten Fall
innerhalb von drei Tagen“, weiß Silke Stappers,
Sprecherin des Arbeitskreises der Kind-Eltern-Initiative der Selbsthilfegruppe Deutsche
Morbus Crohn/Colitis ulcerosa Vereinigung
(DCCV). Doch trotz
der erheblichen Risiken „wird ungefähr die Hälfte aller
Kinder und Jugendlichen von Allgemeinmedizinern und
Erwachsenen-Gastroenterologen
behandelt, die die spezifischen Probleme
dieser Altersgruppen
nicht kennen“, kritisiert Zimmer. Eine
schnelle
Diagnose
und
altersgerechte
Therapie sind aller-
Morbus Crohn
tet [1]. Morbus Crohn gilt als eine Zivilisationskrankheit mit noch nicht geklärter, aber multifaktorieller Pathogenese (Abb.1). Als Auslöser
werden den Lebensstil betreffende Faktoren
wie Ernährung, Bewegung oder auch Rauchen
diskutiert. Auch Infektionen mit dem in Kuhmilch vorkommenden Mycobacterium avium
paratuberculosis (MAP) werden immer wieder
in Erwägung gezogen, weshalb bereits vor fünf
Jahren verbesserte Pasteurisierungsverfahren
für Milch gefordert wurden. „Nach der letzten
Datenlage werden Mycobakterien allerdings
nicht als hauptsächliche Ursache in Betracht
gezogen“, weiß Buderus. Die sogenannte Hygienetheorie, nach der zu viel Sauberkeit zu einer
überschießenden Immunreaktion führt, wird
ebenso diskutiert wie ein Zusammenhang von
Masern oder der Masernimpfung und Morbus
Crohn. Klar ist heutzutage vor allem, dass genetische Faktoren eine Rolle bei der Pathogenese spielen. Im Jahre 2001 wurde eine Mutation
des NOD 2-Gens auf dem Chromosom 16 als
Krankheitsursache identifiziert. Liegt dieses
Gen reinerbig vor, steigt die Wahrscheinlichkeit,
an Morbus Crohn zu erkranken, um das 30- bis
40fache gegenüber der Normalbevölkerung [2].
„Insbesondere zu den Hypothesen zu umweltund ernährungsbezogenen Risikofaktoren ist
anzumerken, dass sie fast alle interessant sind,
möglicherweise in Teilen belegt durch einzelne
Studien. Der wirklich ,harte’ Nachweis aber
fehlt noch“, konstatiert Buderus.
„Bei den Jüngsten
dauert es bis zu
vier Jahren, ehe die
Diagnose gestellt
wird“, sagt Prof.
Zimmer. Jeder vierte
junge Patient muss
über ein Jahr auf die
Diagnose warten.
Zimmer und seine
Kollegen empfehlen,
in jedem Fall schon
beim bloßen Verdacht auf Morbus
Crohn die Patienten
zur diagnostischen
Abklärung zum Kindergastroenterologen
zu schicken.
Abb. 1:
CED – Schlacht
zwischen Innen
und Außen?
Pathogeneseschema
Quelle:
modifiziert nach
Dr. Stephan Buderus
Mobus Crohn
6
Abb. 2:
Diagnostische
Latenz
Quelle:
Dr. Stephan Buderus
Die genaue Lokalisation des Entzündungsherdes
erlaubt den gezielten
Einsatz insbesondere von Steroiden
zur weitgehenden
Vermeidung von
Nebenwirkungen.
Neuere Untersuchungen scheinen zu
bestätigen, dass der
Krankheitsverlauf
umso günstiger ist,
je früher Immunsuppressiva zum Einsatz
kommen.
Abb. 3:
Immunsuppressiva
bei pädiatrischen
Patienten 1990/2000
Quelle:
Markowitz J [6]
dings gerade für noch im Wachstum befindliche Menschen vonnöten, denn der Körper muss
entzündungsfrei sein, um die Kräfte für Wachstum und Pubertät mobilisieren zu können.
„Bei Erstmanifestationen muss daher zunächst
durch Kortison Entzündungsfreiheit erreicht
werden, bei schweren Fällen können zusätzlich
Immunsuppressiva gegeben werden (Azathioprin und andere). Budenosid als topisches Medikament kann dann bei leichteren Rückfällen
verabreicht werden. Wichtig ist jedoch, die bei
Morbus Crohn sehr variable Hauptentzündungsquelle zu finden, die vom Mund bis zum
Anus den gesamten Verdauungsapparat betreffen kann“, resümiert Zimmer. Bei der Kortison-Therapie dürfen nie die wachstumshemmende Wirkung des Medikamentes sowie die
Störungen im Knochenaufbau aus den Augen
verloren werden. Das Steroid sollte also in so
geringen Dosen wie möglich verabreicht werden. „Generell gilt für Therapien bei Kindern,
dass auf Medikamente mit Nebenwirkungen,
wo möglich, verzichtet werden sollte, die genaue Lokalisierung des Entzündungsherdes ist
auch deswegen dringend geboten. Und es muss
mehr Werbung gemacht werden für ergänzende Therapien, die die Kortison-Gabe reduzieren
können“, bringt es Zimmer auf den Punkt. Die
Lokalisierung erlaubt den gezielteren – topischen – Einsatz insbesondere von Steroiden zur
weitgehenden Vermeidung
der o.g. Nebenwirkungen.
Wenn der Manifestationsort
bekannt ist, erlaubt das natürlich auch im Verlauf eine
zusätzliche, z.B. sonographische Kontrolle.
Begleitende Therapien
Bei der Behandlung von
Kindern und Jugendlichen
mit Morbus Crohn hat sich
die Ernährungstherapie immer wieder bewährt.
„Ernährung als Medikament einzusetzen, zeitigt Erfolge, die sich bei Erwachsenen nicht
wirklich überzeugend belegen lassen“, erzählt
Buderus [3]. Solche vier- bis achtwöchigen Therapien, während deren die Patienten lediglich
Trink- oder Sondennahrung zu sich nehmen
dürfen, hemmen Entzündungen und fördern
das Wachstum in einem der Kortison-Therapie
vergleichbaren Maß [4]. In manchen Fällen ist
sogar eine längere Remissionsphase gegenüber der Steroid-Therapie belegt [5]. „Die Erfahrung hat gezeigt, dass vor allem Patienten mit
Entzündungen am Ende des Dünndarms beziehungsweise Anfang des Dickdarms auf die
Ernährungstherapie ansprechen“, konstatiert
Buderus.
Starken Zuspruch findet seit einigen Jahren
auch die Immunsuppression [6]. Sie ist mittlerweile gängig bei steroidabhängigen oder steroidrefraktären Verläufen, die die tägliche Verabreichung hoher Mengen von Kortison nötig
machen. Neuere Untersuchungen scheinen zu
bestätigen, dass der Krankheitsverlauf umso
günstiger ist, je früher Immunsuppressiva zum
Einsatz kommen. Die Patienten kommen schneller in Remission und die Gesundphase hält länger an. „Folgestudien hierzu sind allerdings
notwendig“, schränkt Buderus ein, „um zu belegen, dass der Kortisonbedarf tatsächlich sinkt
und die Krankheitsverläufe günstiger sind.“
Allerdings treten auch bei rund 15 Prozent der
mit Azathioprin therapierten Patienten Nebenwirkungen auf. In der Mehrzahl der Fälle sind
sie durch Dosisreduktion kontrollierbar, für wenige Patienten müssen jedoch alternative Medikamente verwendet werden. Des Weiteren sind
Probiotika ins Blickfeld der Mediziner gerückt.
Erste Untersuchungen haben gezeigt, dass die
Remission mit Probiotika ebenso gut sein kann
wie mit entzündungshemmenden Steroiden,
ohne die für Kortikosteroide typischen Neben-
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Die Versorgung ist sehr lückenhaft
In Deutschland gibt es im Gegensatz zu den
meisten westlichen Ländern einen gravierenden Mangel an Kindergastroenterologen. Erst
im letzten Jahr begannen hiesige Landesärztekammern, eine 18-monatige Ausbildung
zum Kindergastroenterologen zu ermöglichen.
„Derzeit gibt es immerhin 75 pädiatrische Gastroenterologen“, resümiert Zimmer, aber bezogen auf 12 000 Patienten ist das noch immer
erschreckend wenig. Zusätzlich erschwert wird
die Situation durch aktuelle Sparmaßnahmen
der Bundesregierung. Die Fallpauschalen, die
im Jahre 2004 für die Erwachsenenmedizin eingeführt wurden, gelten auch für Kinder, obwohl
die Behandlung von Kindern wesentlich teurer
ist als die von Erwachsenen. Das wiederum
führt dazu, dass es für einige Kliniken zu teuer
wird, chronisch kranke Kinder und Jugendliche
aufzunehmen. „Immer mehr kindergastroenterologische Ambulanzen in ganz Deutschland
müssen einen Aufnahmestopp melden oder sogar geschlossen werden“, bilanziert Silke Stappers. „Erst kürzlich wurde eine Ambulanz in
Halle geschlossen. Die einhundert Kinder, die
dort in Behandlung waren, müssen sich nun
einen anderen Spezialisten suchen. Die Versorgung ist sehr unbefriedigend.“ In vielen Städten, darunter in Köln, gibt es keinen einzigen
Kindergastroenterologen. Um betroffenen Familien bei der schwierigen Suche zu helfen, hat
die GPGE nun die Adressen sämtlicher pädiatrischer Gastroenterologen ins Internet gestellt
[www.gpge.de].
Die mangelnde psychosoziale Betreuung
der Patienten und ihrer Familien ist ein weiteres großes Problem: Junge Menschen, bei denen
eine chronische und unheilbare Krankheit diagnostiziert wird, erleben Angst, Frustration, Be-
drohung, Ärger und Ohnmacht. Die Krankheit,
aber auch die Behandlung verändern ihr Körperbild, ihr Verhältnis zu Gleichaltrigen wird
stark davon beeinflusst. Das kann bis hin zur
sozialen Isolation führen, weil die Betroffenen
mit ihren körperlichen Besonderheiten nicht zurechtkommen. Eltern reagieren auf solche Entwicklungen oft hilflos und mit Überbehütung
der kranken Kinder. Silke Stappers und ihre
Kollegen bieten deshalb familienbegleitende
Seminare an, in denen die Alltagsschwierigkeiten angesprochen und konkrete Hilfestellungen
geboten werden. „An der Klinik in Tübingen
beispielsweise gibt es ebenfalls familienbegleitende Seminare, in den Kliniken in Bremen
und Kassel führen zwei Ärzte Schulungen mit
Ärzten und Kindern durch. Es gibt mittlerweile
einzelne Projekte zur psychosozialen Betreuung“, meint Stappers. Doch das werden punktuelle Maßnahmen bleiben, denn wo Kliniken
aus Kostengründen einen Aufnahmestopp für
schwer kranke Kinder oder gar die Schließung
melden, stehen solche Zusatzbetreuungen erst
gar nicht zur Diskussion.
Morbus Crohn
wirkungen. Doch gibt es auch für diese Therapieform bislang keine wissenschaftlichen Daten,
auf deren Basis eine Behandlungsempfehlung
ausgesprochen werden könnte.
Therapien mit Eiern des Peitschenwurmes
(Trichuris suis), der normalerweise Schweine
befällt, Weihrauch oder Homöopathie können
zur Drosselung der chronischen Darmentzündungen ebenfalls geeignet sein. Die Erfolge sind
bislang jedoch nicht in kontrollierten Studien
belegt. „Um eine Remission zu erreichen, sind
zunächst Kortison in Verbindung mit Immunsuppression die Therapie der Wahl“, betont daher Zimmer.
Literatur
1. Zheng JJ et al.: Crohn´s disease in mainland China: a
systematic analysis of 50 years of research. Chin J Dig.
2005; 6(4): 175-181
2. Cho JH: Advances in the genetics of inflammatory
bowel disease. Curr Gastroenterol Rep. 2004 Dec; 6(6):
467-473
3. Heuschkel RB et al.: Enteral nutrition in children with
Crohn´s disease. J Pediatr Gastroenterol Nutr. 2000
Nov; 31(5): 575
4. Bannerjee K et al.: Anti-Inflammatory and GrowthStimulating Effects Precede Nutritional Restitution During Enteral Feeding in Crohn Disease. J Pediatr Gastroenterol Nutr. 2004 Mar; 38: 270-275
5. Berni Canani R et al.: Short- and long-term therapeutic efficacy of nutritional therapy and corticosteroids in
paediatric Crohn´s disease. Dig Liver Dis. 2005 Nov; 17
(Epub ahead of print)
6. Markowitz J et al.: Immunomodulatory therapy for
pediatric inflammatory bowel disease: changing patterns of use, 1990-2000. Am J Gastroenterol. 2002 Apr;
97(4): 928-32
Weiterführende Informationen
• Selbsthilfegruppe Deutsche Morbus Crohn/Colitis ulcerosa Vereinigung (DCCV) www.dccv.de
• Gesellschaft für Pädiatrische Gastroenterologie und
Ernährung e.V. (GPGE) www.gpge.de
Erst seit 2005 ist
eine 18-monatige
Ausbildung zum
Kindergastroenterologen möglich.
Derzeit gibt es 75
pädiatrische
Gastroenterologen
für 12 000 Patienten.
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