Nosokomiale Infektionen – Tribut der

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Editorial
1705
Nosokomiale Infektionen –
Tribut der Hochleistungsmedizin
« Je ne veux pas avoir deux maladies,
celle de la nature et celle du médecin »
Napoleon Bonaparte, St. Helena, 31.12.1820
Nosokomiale Infektionen sind zunehmend Folgen
der modernen Hochleistungsmedizin. Etwa 70–
80 % sind endogene, nicht übertragene Infektionen,
die nur eingeschränkt durch Hygienemaßnahmen
verhindert werden können. In fast allen publizierten Erhebungen fehlen patientenbezogene Angaben zu Vor- und Begleiterkrankungen, sowie dem
klinischen Schweregrad der Infektion. Die klinische
Erfahrung zeigt, dass die meisten Patienten eher
mit einer nosokomialen Infektion als an einer nosokomialen Infektion sterben. Im Rahmen der zunehmend hitzig geführten öffentlichen Diskussion
um das Thema „Krankenhausinfektionen“ werden
in den Medien und in der medizinischen Fachliteratur Zahlen genannt, denen eine wissenschaftliche Grundlage häufig fehlt.
2010 publizierte eine Arbeitsgruppe des Nationalen Referenzzentrums für die Surveillance von
nosokomialen Infektionen (NRZ), der Deutschen
Sepsis-Gesellschaft (DSG), des Aktionsbündnisses für Patientensicherheit und der Deutschen
Gesellschaft für Infektiologie (DGI) ein Positionspapier zur Epidemiologie und potenziellen Vermeidbarkeit von nosokomialen Infektionen auf
der Basis wissenschaftlicher Untersuchungen [1].
Von den jährlich 400 000–600 000 nosokomialen
Infektionen sind wahrscheinlich ca. 80 000–
180 000 potenziell vermeidbar. Damit verbunden sind zwischen 1500 bis 4500 potenziell vermeidbare Todesfälle pro Jahr in deutschen Krankenhäusern [1]. Die Bundesregierung hat kürzlich diese Zahlen in der Präambel des neuen Infektionsschutzgesetzes (IfSG) referenziert [2].
Neueste wissenschaftlich belastbare Daten zur
Epidemiologie nosokomialer Infektionen werden
in diesem Heft vorgestellt: die ALERTS-Studie ist
die weltweit erste prospektive Studie, welche
krankenhausweit alle Infektionen auf allen Stationen längsschnittlich erfasst. In einem zweiten
interventionellen Ansatz soll die Infektionsrate
um 20 % reduziert werden (Hagel et al. S. 1717 ).
Der Fallbericht von Frosinski et al. zeigt am Beispiel einer anfänglich banalen Phlebitis nach Anlage eines peripheren Venenkatheters exemplarisch für andere nosokomialen Infektionsfoki auf,
welche dramatische Folgen Fehler im Hygieneund Infektionsmanagement haben können.
Wie kann nun die Prozessqualität
nachhaltig verbessert werden?
Aktuelle evidenzbasierte, internationale Empfehlungen zur Infektionsprävention können nur durch
pragmatische, im Stationsalltag einfach umzusetzende Maßnahmenbündel umgesetzt werden.
Dazu stellen Hansen et al. die Ergebnisse einer Befragungs- und einer Interventionsstudie vor. Die
Ergebnisse der Befragung unter Hygienefach- und
Pflegepersonal an 149 deutschen Krankenhäusern
zeigen auf, dass 10 Jahre nach Veröffentlichung der
offiziellen Empfehlungen zur Prävention der ZVKassoziierten Sepsis des Robert Koch-Institutes diese Empfehlungen auf deutschen Intensivstationen
nicht vollständig umgesetzt werden (S. 1706 ). Die
Interventionsstudie beinhaltete Schulungen unter
1251 Mitarbeitern deutscher Intensivstationen. Die
Ergebnisse belegen eindrucksvoll, dass mit einfachen Mitteln die Rate der ZVK-assoziierten Sepsis
reduziert werden kann (S. 1711 ).
F. M. Brunkhorst1,2,3
Editorial
Impfungen bilden ein weiteres großes Präventionspotenzial zur Reduktion septischer Erkrankungen. Vor 100 Jahren veröffentlichte Emil von
Behring in dieser Zeitschrift seinen bahnbrechenden Beitrag zu den segensreichen Wirkungen der
aktiven Schutzimpfung bei Diphtherie [3].
Mittlerweile sind unsere Waffen schärfer
geworden, aber wenden wir sie auch an?
Infektionen bei splenektomierten Patienten verlaufen häufig lebensbedrohlich unter dem Bild
einer fulminanten Sepsis, die Mortalität erreicht
auch heute noch bis zu 50 %. Theilacker et al. beschreiben in ihrer Übersichtsarbeit das unterschätzte Problem der Immundefizienz sowie Defizite in der Patientenaufklärung und Impfprävention bei Patienten nach Splenektomie (S. 1729).
Der Expertenbeitrag von Pletz (S. 1734) legt nahe,
dass zumindest bei den Pneumokokkeninfektionen weitere Verbesserungen zu erwarten sind,
denn die aktuell auch für erwachsene Risikopatienten zugelassene 13-valente Konjugatvakzine
(PCV13) ist erheblich immunogener und damit
wirksamer als die bisherige PPV23-Vakzine.
Literatur
1 Gastmeier P, Brunkhorst F, Schrappe M et al. Wie
viele nosokomiale Infektionen sind vermeidbar?
Dtsch Med Wochenschr 2010; 135: 91–93
2 Bundesgesundheitsministerium. Gesetz zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes und weiterer
Gesetze. 26.05.2013; www.bmg.bund.de
3 von Behring E. Über ein neues Diphtherieschutzmittel. Dtsch Med Wochenschr 1913; 39: 873–876
Institut
1Integriertes Forschungs- und
Behandlungszentrum (IFB) Sepsis und Sepsisfolgen (CSCC),
Universitätsklinikum Jena
2 Zentrum für Klinische Studien
(ZKS) Universitätsklinikum Jena
3Paul-Martini-Forschergruppe
für Klinische Sepsisforschung,
Universitätsklinikum Jena
Bibliografie
DOI 10.1055/s-0033-1343328
Dtsch Med Wochenschr 0
2013;
0:1705 · © Georg Thieme
1380
Verlag KG · Stuttgart · New York
· ISSN 0012-04721439-4 13
Korrespondenz
Univ.-Prof. Dr. med.
Frank Martin Brunkhorst
Paul-Martini-Forschergruppe
für Klinische Sepsisforschung,
Zentrum für Klinische Studien
(ZKS), Universitätsklinikum Jena
Salvador-Allende-Platz 27
07747 Jena
Tel. 03641/9-323384
Fax 03641/9-34795
eMail frank.brunkhorst@
med.uni-jena.de
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Hospital-acquired infections – tribute of first-class medicine
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