www.kma-online.de | 14 Euro 19. Jg. | August 2014 Das große Fressen In vielen Übersee-Staaten expandieren private Klinikketten aggressiv. Jetzt bekommen die „dicken Fische“ Appetit auf Europa. Intersystems Die Datenflüsterer Interview mit Axel Fischer 750 Millionen fürs Klinikum München Foto: Paul Hartmann HYGIENE BRANCHE KOMPAKT Hygienepflicht: Erreger wie der MRSA-Keim können auf unbelebten Oberflächen und im Staub bis zu sieben Monate überleben. Im Krankenhaus ist neben der ausreichenden Händehygiene deshalb auch eine umfassende Flächendesinfektion Pflicht. KRANKENHAUSINFEKTIONEN Im Kampf gegen die Erreger Die Gefahr durch Krankenhauskeime nimmt kein Ende: Zusätzlich zu MRSA-Erregern müssen sich Kliniken nun gegen resistente gramnegative Bakterien zur Wehr setzen. Hygienemaßnahmen werden aus diesem Grund wichtiger denn je. s scheint in deutschen Krankenhäusern von Erregern nur so zu wimmeln: Über 740.000 Isolate von klinisch relevanten Bakterien und Pilzen haben Labore und Hygieneinstitute im Jahr 2012 in Kliniken ermittelt und über das Überwachungsprogramm ARS (Antibiotic Resistance Surveillance) an das Robert KochInstitut gemeldet. Darunter fand sich über 106.000 Mal der Erreger vom Typ Staphylococcus aureus, ein Keim, der vorrangig im Nasenvorhof von Menschen nistet, hier klinisch stumm E 56 bleibt, aber Infektionen hervorrufen kann, wenn er in das Innere des Körpers gerät: Furunkel und Abszesse, Meningitis und Pneumonie oder auch eine Sepsis können die Folge sein. Die wahre Bedrohung liegt jedoch nicht im Erreger an sich, sondern in seiner Eigenschaft, Resistenzen gegen Antibiotika – wie Methicillin – zu entwickeln. Eine Infektion mit einem solchen MRSA-Keim ist schwer zu therapieren und kann tödlich enden. Zum Beispiel bei einer Lungenentzündung: „Die Sterblichkeitsrate bei einer Lungenentzündung mit MRSA ist um 2,4 Mal höher als bei einer Infektion mit Nicht-Methicillin-resistenten Keimen“, sagt MRSA-Experte Markus Schimmelpfennig vom Gesundheitsamt Kassel. In Deutschland scheint die MRSAGefahr mittlerweile weitgehend unter Kontrolle. Lag der Anteil der MRSA an allen Staphylococcus-aureus-Isolaten nach Angaben der Paul-EhrlichGesellschaft (PEG) im Jahr 2007 noch bei 20,3 Prozent, war er 2011 August 2014 | 19. Jg. BRANCHE KOMPAKT Die beim Robert Koch-Institut ansässige Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (Krinko) hat nicht nur nützliche Hinweise für eine bessere Prävention vor resistenten gramnegativen Bakterien (MRGN) veröffentlicht, sondern auch eine neue Definition für diese Erreger bestimmt. Sie klassifiziert die Stäbchen nun nicht mehr nach ihrem zugrundeliegenden Resistenzmechanismus (etwa ESBL – Extended Spectrum BetaLaktamase), sondern auf Basis der phänotypischen Resistenz gegen vier klinisch relevante Antibiotikagruppen, die bei Infektionen mit gramnegativen Stäbchen eingesetzt werden: Cephalosporine, Acylureidopenicilline, Fluorchinolone und Carbapeneme. 3MRGN sind demnach multiresistente gramnegative Stäbchen mit einer Resistenz gegen drei der vier Antibiotikagruppen; 4MRGN-Erreger haben sogar eine Resistenz gegenüber allen vier Gruppen. Dieser Anteil nimmt immer weiter zu. ansässige Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsschutz (Krinko) hat bereits Hygieneempfehlungen für den Umgang mit MRGN herausgegeben, mehr noch: Sie hat die Nomenklatur der Bakterien neu defi niert. Fest steht: MRGN – dazu zählen Klebsiellen, Enterobakterien, Pseudomonas aeruginosa und Acinetobacter baumanii – breiten sich klonal aus. Sie können sich im Krankenhaus reproduzieren, werden durch Hautkontakt übertragen und führen häufig zu Infektionen – auch zu Todesfällen. Besonders kritisch sind sogenannte 4MRGN, weil sie eine Resistenz gegenüber allen vier klinisch relevanten Antibiotikagruppen aufweisen. Gerade für diese Erreger sieht die weiter Seite 59 19. Jg. | August 2014 In der nächsten kma lesen Sie in Branche kompakt: IT und Medizintechnik müssen in Kliniken zusammenwachsen, fordern Experten schon seit Jahren – aber was heißt das genau? Wie weit sind deutsche Krankenhäuser damit? Und wo liegen die Defizite? Gerade im OP ist das Zusammenspiel sehr wichtig. Warum, erfahren Sie in unserer September-Ausgabe. Außerdem zeigen wir an einem Beispiel, dass sich auch die Arbeitsfelder der IT- und Medizintechniker immer mehr überschneiden. R Foto: Fraunhofer MEVIS (Bimmer) Neue Definition für MRGN VORSCHAU Die nächste Gefahr: MRGN Doch Zeit zum Aufatmen bleibt nicht. Schon lauert eine weitere Bedrohung in den Krankenhausfluren: So nimmt die Anzahl multiresistenter Stämme unter gramnegativen Stäbchenbakterien (MRGN) zu, etwa bei den Escherichia coli-Erregern. Hier hat sich der Resistenzanteil in den letzten zehn Jahren von weniger als einem Prozent auf 14 Prozent erhöht. „Dieser Trend wird sich weiter fortsetzen, wenn geeignete Gegenmaßnahmen nur unzureichend umgesetzt werden“, warnt die Paul-Ehrlich-Gesellschaft. Sie ruft dazu auf, Antibiotika gewissenhaft und sachgerecht einzusetzen, um die Resistenzbildung einzudämmen. Doch auch die Hygieneverantwortlichen sind gefordert. Die am RKI HYGIENE bereits auf 16,1 Prozent gesunken. Die Daten aus dem Surveillance-Programm beziffern die MRSA-Prävalenz zwar etwas höher, aber auch an ihnen ist ein Rückgang abzulesen: von 26 Prozent im Jahr 2009 auf 20,6 Prozent im Jahr 2012. seit 1983 Multifunktionale Wärme- / Kälterückgewinnungstechnik hocheffizient + hochrentabel Basisbauteil: Gegenstrom-SchichtWärmeaustauscher (GSWT®) 100% reinigungsfähig, desinfizierund dekontaminierbar Wärmetauscher in Modultechnik in Einzelteile zerlegbar hohe Betriebs- und Funktionssicherheit der SEW®-Technologie G S W T GSWT®-Technologie toffübertragungsfrei absolut keim- und schads ch- und Brandübertragung! und auch im Störfall ohne Rau wirtschaftlich und nachhaltig: Die hohe Redundanz und Betriebssicherheit der GSWT®Technologie führen zu enormen Leistungseinsparungen und infolgedessen zur Reduzierung des Energieverbrauches. Vorbildprojekte aus dem Krankenhausbereich Foto: Universitätsklinikum Regensburg Foto: UniversitätsKlinikum Heidelberg Universitätsklinikum Heidelberg Universitätsklinikum Leipzig Universitätsklinikum Regensburg 47906 Kempen Industriering Ost 86-90 [email protected] www.sew-kempen.de 57 PAUL HARTMANN AG Neues Tuchspendersystem senkt Infektionsrisiken Die Flächendesinfektion gehört als Teil des Multibarrierensystems zu den wesentlichen Maßnahmen, um in Gesundheitseinrichtungen Infektionsgefahren zu minimieren. Im Fokus stehen bei der Desinfektion Flächen mit häufigem Hand-Hautkontakt von Patienten und Personal. Insbesondere Inventar wie z. B. Nachttische und Bettgestelle sind Untersuchungen zufolge wichtige Quellen für die Übertragung pathogener Keime – ein Risiko für Patienten, das durch eine routinemäßige Desinfektion vermeidbar ist. Besserer Patientenschutz, weniger Aufwand: Die routinemäßige Aufbereitung reduziert sich bei dem neuen Tuchspenderkonzept mit Folienbeutel auf eine Wischdesinfektion des Deckelverschlusses. Foto: Paul Hartmann AG HYGIENE BRANCHE KOMPAKT Häufigkeit kontaminierter Anwendungslösungen in Tuchspendern Vor allem im patientennahen Umfeld werden zur Desinfektion zunehmend Tuchspendersysteme mit getränkten Einmaltüchern eingesetzt. Dabei entfällt die tägliche Arbeitsvorbereitungszeit für das Ansetzen von Gebrauchslösungen, denn Spendersysteme können über einen Zeitraum von bis zu 28 Tagen eingesetzt werden. Durch den Einmalgebrauch unterbleibt zudem eine Kontamination durch Wiedereintauchen des Tuches in die Desinfektionsmittellösung. Produktart (Bundesländer) Krankenhäuser/ Spender(n) Oberflächenaktive 13 Krankenhäuser/ 65 Spender Wirkstoffe (4) Alkohole/ Aldehyde (2) 3 Krankenhäuser/ 5 Spender Kontaminierte Lösungen Spezies KBE/ ml 8 (62 %) 28 (43 %) Achromobacter species 3 (10) Achromobacter xylosoxidans (2) Serratia marcescens (1)* 10 6 -107 0 ____________________ _ __ __ reitungsmethoden entwickelt, mit denen sich eine Rekontamination der frisch angesetzten Desinfektionsmittellösung vermeiden lässt. Mangelhafte Aufbereitungspraxis Ein Hygienestandard und damit verbunden eine höhere Patientensicherheit, die allerdings nur bei einer einwandfreien Aufbereitung der Tuchspendersysteme vor jeder Wiederbefüllung gewährleistet ist. So kommt eine Studie des BODE SCIENCE CENTER, dem wissenschaftlichen Kompetenzcenter von HARTMANN, zu dem Ergebnis, dass sich in Anwendungslösungen auf Basis von oberflächenaktiven Wirkstoffen ohne Aldehyde häufig Bakterien in hoher Zellzahl finden, wenn die Aufbereitung des Tuchspendersystems zuvor mangelhaft durchgeführt wurde. In immerhin 42,4 Prozent der untersuchten Anwendungslösungen, die u. a. aus 13 Krankenhäusern stammten, wurde eine hohe Kontamination mit verschiedenen Erregern nachgewiesen, darunter auch die gefährlichen gramnegativen Serratia-Bakterien. Vor diesem Hintergrund hat das BODE SCIENCE CENTER die Wirksamkeit von maschinellen und manuellen Aufbereitungsverfahren für kontaminierte Tuchspender analysiert und dabei Aufbe- 58 Innovative Lösung für den Klinikalltag Darüber hinaus wurde auf Basis der Erkenntnisse ein neuartiges Spenderkonzept entwickelt. Ziel: Eine maximale Patientensicherheit bei minimalem Aufbereitungsaufwand für die Anwender zu erreichen. Das Ergebnis ist ein optimiertes Spendergehäuse mit glatten Innen- und Außenflächen ohne Hohlräume, Ecken und Nischen sowie ein neues Produkt: Die BODE X-Wipes Vliesrolle im Folienbeutel. Sie verhindert, dass die Vliestücher und die Desinfektionsmittellösung mit der Innenseite des Spendergehäuses in Kontakt kommen. Eine Verschleppung von Keimen wird damit konsequent verhindert, denn der Folienbeutel stellt eine sichere Barriere zwischen Desinfektionsmittellösung und Spendergehäuse dar. Studien, Aufbereitungs-Tipps und Details zum Tuchspenderkonzept unter www.bode-sciencecenter.de *Co-Kontamination mit Achromobacter species 3 Quelle: Kampf G et al. (2014) Poorly processed reusable dispensers for surface disinfection tissues are a possible source of infection. BMC Infectious Diseases 2014, 14:37. Paul Hartmann AG Paul-Hartmann-Straße 12 89522 Heidenheim www.hartmann.de [email protected] Tel.: +49 (0)40/540 06 111 Fax: +49 (0)40/540 06 777 August 2014 | 19. Jg. BRANCHE KOMPAKT HYGIENE Fortsetzung von Seite 57 MRSA-Keim überlebt bis zu sieben Monate Um gegen MRSA und MRGN vorzugehen, empfiehlt die Expertenkommission grundsätzlich eine strikte Basishygiene: Dazu gehören nicht nur saubere Hände des medizinischen Personals, sondern auch die Desinfektion von Oberflächen und Instrumenten. Die Hauptreservoire von MRSA in Krankenhäusern sind zwar infizierte Patienten – und der häufigste Übertragungsweg der Kontakt über die Haut. Doch kann der Erreger auch in die Umgebung abgegeben werden. „Auf unbelebten Oberflächen und im Staub kann der Erreger zwischen sieben Tagen und sieben Monaten überleben“, warnt die Krinko. Mitarbeiter brauchen klare Standards Grundsätzlich gilt: Je ganzheitlicher und prozessorientierter die Hygieneanstrengungen festgelegt und kommuniziert werden, desto besser wirken sie. Das zeigte zuletzt ein Forschungsprojekt am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Hier entwickelten Hygienefachleute gemeinsam mit dem Bode Science Center einen neuen Arbeitsablauf für das Anlegen eines peripheren Venenkatheters, wie ihn 70 Prozent aller Krankenhauspatienten im Laufe ihrer Behandlung erhalten. Das Besondere: Sie berücksichtigten dabei alle kritischen Momente, in denen Keime übertragen werden könnten. „Selbst eine relativ überschaubare Routinemaßnahme wie diese enthält allein 17 Teilschritte“, sagt Günter Kampf, 19. Jg. | August 2014 Foto: Fotolia (Hähnel) Krinko deshalb spezielle strenge Hygienemaßnahmen vor: etwa die Isolation von Betroffenen sowie ein Screening auf 4MRGN von Risikopatienten. Dazu zählen Menschen, die sich zuvor in einem ausländischen Krankenhaus aufgehalten haben oder Kontakt zu Patienten mit einer nachgewiesenem 4MRGN-Infektion hatten. Kritischer Moment: Das Legen eines peripheren Venenkatheters ist eine relativ überschaubare Maßnahme. Dennoch können auch hier Keime übertragen werden, wenn man Hygieneregeln nicht beachtet. In Kliniken hat sich die Anzahl multiresistenter Stämme unter gramnegativen Stäbchenbakterien (MRGN) in den vergangenen zehn Jahren von weniger als 1 Prozent auf 14 Prozent erhöht. Mitglied der Medizinischen Fakultät der Universität Greifswald und Director Science beim Bode Science Center. „Wir haben fünf Teilschritte definiert, die für den Patientenschutz relevant sind, und sie in eine für die Mitarbeiter nachvollziehbare und gut zu merkende Reihenfolge gebracht.“ Dazu gehörten die Händedesinfektion vor dem Patientenkontakt, die Antiseptik der Punktionsstelle, die Warnung, die Einstichstelle nicht mehr zu palpieren, also mit dem Finger darauf zu drücken, ebenso die Händedesinfektion direkt vor dem Legen des Katheters – und das sterile Abdecken der Einstichstelle. Bei den Mitarbeitern scheint die Intervention ein Umdenken bewirkt zu haben: Vor der Maßnahme gaben nur 9,2 Prozent der Pflegekräfte an, sich vor dem Patientenkontakt die Hände zu desinfizieren – danach waren es 85,9 Prozent. Auch das Bewusstsein, dass die Einstichstelle steril abgedeckt werden sollte, stieg: von 24,6 Prozent auf 73,3 Prozent. Hygienestandards wie diese könnten laut Kampf in Zukunft Modellcharakter für weitere pflegerische oder auch ärztliche Tätigkeiten am Patienten haben. Er denkt dabei etwa an den Wechsel von Infusionssystemen, von Beatmungssystemen oder auch Harnwegs-kathetern. Der Kampf gegen die Keime ist also noch lange nicht vorbei. Romy König 59