DAS-Symposium 2008 5. September 2008 Querschnittsgruppe Integriertes Risikomanagement (Konzepte, Werkzeuge, Methoden), Ethik, Wissen, Nichtwissen, Schnittstelle Klimaforschung Initiator, Gruppenleiter und Berichterstatter: Armin Haas, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, [email protected] Protokollant und Co-Autor: Andreas Hohlt, Dialogik, [email protected] Das vorliegende Papier ist nicht als ausführliches Protokoll des Diskussionsverlaufs zu verstehen. Vielmehr ist es die Absicht der Autoren, wesentliche Ergebnisse der Diskussion zu skizzieren und die im Titel der Querschnittsgruppe angesprochenen Dimensionen zu thematisieren. Die Verantwortung für die Auswahl und Schwerpunktsetzung tragen die Autoren. Auf Basis der Diskussion in der Querschnittsgruppe und vor dem Hintergrund unserer eigenen Forschung kommen wir zu den folgenden drei Hauptthesen: 1. Es gibt einen dringenden Bedarf für Grundlagenforschung im Bereich des Integrierten Risikomanagements. Entscheider in Wirtschaft und Politik sind mit Situationen konfrontiert, in denen verschiedene Risiken zusammenwirken. Sie suchen nach Werkzeugen, mit denen sie in Zusammenarbeit mit unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen die Risiken intellektuell durchdringen, deren Wechselwirkung möglichst gut verstehen, sinnvolle Abwägungen machen und angemessene Entscheidungen treffen können. Ein etablierter Kanon eines integrierten Risikomanagements, das diesem Bedarf gerecht wird, existiert derzeit noch nicht. Ziel der Grundlagenforschung sollte sein, zentrale Konzepte, Werkzeuge und Methoden eines dem Bedarf der Entscheider Rechnung tragenden integrierten Risikomanagements in enger Kopplung mit Stakeholdern aus Wissenschaft, Politik, Real- und Finanzwirtschaft sowie der Zivilgesellschaft zu erarbeiten und zu testen. 2. Diese Grundlagenforschung muß komplementiert werden durch praktische Anwendungsfälle, in denen Integrationsleistungen zwischen unterschiedlichen Akteuren, heterogenen Konzepten und Begrifflichkeiten erforderlich sind. Hier kann beispielsweise aufgebaut werden auf die Pionierarbeit zum Bayesianischen Risikomanagement im Rahmen des BMBF-Projektes „Mainstreaming von Klimarisiken und -chancen im Finanzsektor“ sowie auf das Integrated Risk Governance Project, das derzeit in Zusammenarbeit mit Vertretern von Wissenschaft und Politik in China konzipiert wird. 3. Die Gruppe hat vier Anwendungsfälle identifiziert, in denen bereits wichtige Vorarbeiten geleistet wurden und auf denen aufgebaut werden kann. Im Bereich der Extremereignisse sind dies das RIMAX-Projekt zu Hochwasserrisiken sowie das Projekt GITEWS zu Tsunamis. Im Bereich der langsamen strukturellen Veränderungen sind es klimainduzierte Veränderungen in Landwirtschaft und Tourismus sowie der Küstenschutz. 1/4 DAS-Symposium 2008 5. September 2008 Wir möchten nachfolgend diese Ergebnisse etwas ausführlicher skizzieren. Es gibt einen dringenden Bedarf für Grundlagenforschung im Bereich des Integrierten Risikomanagements. Entscheider in Wirtschaft und Politik sind mit Situationen konfrontiert, in denen verschiedene Risiken zusammenwirken. Wir wissen aus zahlreichen Stakeholder-Dialogen, daß diese Entscheider auf der Suche sind nach Werkzeugen, mit denen sie in Zusammenarbeit mit unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen die Risiken intellektuell durchdringen und deren Wechselwirkung möglichst gut verstehen können. Sie halten dies für notwendig, um in Rahmen des Entscheidungsprozesses sinnvolle Abwägungen machen und angemessene Entscheidungen treffen können. Das Problem ist derzeit, daß ein etablierter Kanon eines integrierten Risikomanagements, das dem Bedarf dieser Entscheidungsträger entspricht, noch nicht existiert. So wurde auf dem DASSymposium erneut deutlich, daß bereits bei den grundlegenden Begriffen eine Systematisierung und transdisziplinäre Kommunikation dringend erforderlich ist. In der Querschnittgruppe gab es beispielsweise drei verschiedene Verständnisse des Begriffs „Integriertes Risikomanagement“: i) Transdisziplinäres Arbeiten und Integration verschiedener Wissenschaften; ii) Abwägen verschiedener Risikokategorien durch den Entscheider; iii) Betrachtung der Wechselwirkung bzw. Synergie verschiedener Risiken. Es wurde im Laufe des DAS-Symposiums ebenfalls deutlich, daß ein breites Bewußtsein für das Vorhandensein unterschiedlicher Kategorien für Risiken – und Chancen – des Klimawandels noch nicht vorausgesetzt werden kann. Insbesondere wurde offensichtlich, daß die Risiken und Chancen, die durch die Reaktion der Gesellschaft auf die physischen Risiken des Klimawandels induziert werden, in der deutschen Anpassungs-community bisher noch eine untergeordnete Rolle spielen. Bei der interaktiven Festlegung des Titels der Querschnittsgruppe wurde ersichtlich, daß drei Themenkreise eine besondere Beachtung fanden: i) Das Problem, wie Entscheider mit Wissen und insbesondere mit Nichtwissen umgehen sollten; ii) Die Frage, wie geeignete „Schnittstellen“ zur Klimaforschung aussehen sollten. iii) Die Frage, wie ethische Fragen sinnvoll angesprochen und bearbeitet werden sollten. Gerade auch zur Bearbeitung dieser drei Themenkreise können innovative Konzepte, Werkzeuge und Methoden eines integrierten Risikomanagements wichtige Beiträge leisten. Im Rahmen einer Stakeholder-basierten Grundlagenforschung können bereits bestehende Konzepte unterschiedlicher communities zum Umgang mit Wissen und Nichtwissen, ethischen Dimensionen in komplexen Entscheidungsprozessen und geeigneten Mechanismen transdisziplinärer Kommunikation und Forschung gesichtet, systematisiert, kritisch beleuchtet und weiterentwickelt werden. Entscheidend wird sein, die teilweise abstrakten Überlegungen einiger communities in Zusammenarbeit mit Entscheidern auf ihre praktische Relevanz hin zu überprüfen. So wurden in unterschiedlichen communities bereits erfolgversprechende Methoden und Verfahren erarbeitet, die den Begriff des „Wissens“ kritisch beleuchten und hinterfragen. Es ist beispielsweise keineswegs gesichert, daß es in realen Entscheidungssituationen sinnvoll ist, Institutionen ein 2/4 DAS-Symposium 2008 5. September 2008 „Wissen“ zuzusprechen. Denken, sprechen und handeln können allein Individuen, und es ist eine hohe Kunst, in einer Institution ein gemeinsames Verständnis der Individuen zu erreichen. Mag es auch in Ausnahmefällen gelingen, so wäre es doch irreführend, ein solches Verständnis vorauszusetzen. Analog zum Begriff des Wissens sind auch beim Begriff des „Nichtwissens“ in den letzten Jahrzehnten bahnbrechende Arbeiten in der Unsicherheitsforschung geleistet worden, die ihren Niederschlag in der Praxis noch nicht ausreichend gefunden haben. Direkt damit verbunden, aber nicht identisch ist die Frage, wie Ergebnisse der Forschung der Praxis zugänglich gemacht werden können. Hier ist derzeit die Ansicht vorherrschend, daß in Forschungsinstitutionen „Wissen“ vorhanden ist, das man „Anwendern“ zugänglich machen kann und sollte. Vor dem Hintergrund des im vorigen Abschnitt gesagten ist keineswegs ausgemacht, daß dies ein praktikables Konzept ist. Aus Theorie und Praxis der Stakeholder-basierten Wissenschaft gibt es deutliche Hinweise, daß „Schnittstellen“, die mit einer vernünftigen Wahrscheinlichkeit funktionieren sollen, partizipativ definiert werden sollten. Partizipative Schnittstellen setzen voraus, daß die „Anwender“ von Forschungsergebnissen an deren Erarbeitung wesentlich beteiligt sind. Dies beginnt damit, daß in Stakeholder-basierten Ansätzen die Adressaten bzw. Betroffenen eines Forschungsprozesses an dessen Definition beteiligt sind und frühzeitig, wesentlich und begleitend in den Forschungsprozeß eingebunden werden. Wie dies im Bereich eines integrierten Risikomanagements bzw. bei der Anpassung an den Klimawandel praktikabel geschehen kann und welche Akteure bzw. Institutionen hierbei wesentlich sein werden, ist eine offene Frage. Zu ihrer Beantwortung ist es wichtig, das Feld der potentiellen Stakeholder einschlägiger Fragestellungen nicht zu früh zu verengen und eine Fragestellung unter Einbeziehung von Akteuren aus Wissenschaft, Politik, Real- und Finanzwirtschaft sowie der Zivilgesellschaft überhaupt erst zu definieren. Im ethischen Bereich wird man ebenfalls mit grundlegenden Fragen konfrontiert. Die bis dato vorherrschende Idee, daß Fakten und Werte getrennt werden können, wird in einigen communities mit ernst zu nehmenden Argumenten bestritten. Auch hier ist es keineswegs offensichtlich, inwieweit eine Untrennbarkeit von Fakten und Wertentscheidungen von praktischer Relevanz für Entscheidungsträger ist. Weitere wichtige Felder sind der Umgang mit Risiken, die eine geringe Eintrittswahrscheinlichkeit mit einem hohen Schaden verbinden (wie geht eine Gesellschaft mit einem „Restrisiko“ um?) bzw. mit Risiken, die sich erst in ferner Zukunft realisieren werden (Nukleare Endlagerung oder durch einen Meeresspiegelanstieg versunkene Küstenstädte). Die zur Bearbeitung dieser Fragen bisher entwickelten bzw. vorgeschlagenen Konzepte, Werkzeuge und Methoden sind von einem selbstverständlichen Einsatz in Alltag („mainstreaming“) noch ein gutes Stück entfernt. Es ist notwendig, die bestehenden Methoden und Verfahren zu sichten, zu systematisieren, kritisch weiterzuentwickeln und mit ihnen in enger Kooperation mit Praktikern zu experimentieren. Die Grundlagenforschung zum integrierten Risikomanagement kann hierzu auf laufende Projekte aufbauen. In diesem Zusammenhang möchten wir zwei Beispiele nennen. Im BMBF-Projekt „Mainstreaming von Klimarisiken und -chancen im Finanzsektor“ bearbeitet ein Forschungskonsortium unter Leitung einer NGO(!) die Frage, wie man mit innovativen Werkzeugen des Bayesianischen Risikomanagements deutschen Finanzdienstleistern dabei helfen kann, angemessen 3/4 DAS-Symposium 2008 5. September 2008 mit den Risiken und Chancen des Klimawandels umzugehen. Das Bayesianische Risikomanagement ist hierbei ebenfalls kein feststehender Kanon; vielmehr ist es Ziel des Projektes, dessen grundlegende Konzepte zu erarbeiten. Dieses Projekt entsprang einem Dialog zwischen der koordinierenden NGO, deutschen Finanzdienstleistern und Wissenschaftlern. Es ist als Stakeholder-basierte Wissenschaft konzipiert mit dem expliziten Auftrag, daß die Forschung wesentlich durch die Bedürfnisse der Praxispartner aus der Finanzwirtschaft getrieben wird und diese in den Forschungsprozeß eingebunden sind. Das zweite Beispiel ist das Integrated Risk Governance Project, das derzeit in einem Konsortium mit Mitgliedern aus vier Kontinenten in Zusammenarbeit mit Vertretern von Wissenschaft und Politik in China konzipiert wird. Expliziter Wunsch der chinesischen Seite ist es, innovative Konzepte, Werkzeuge und Methoden zu entwickeln, die Entscheidern dabei helfen, mit Großrisiken umzugehen, die synergetisch zusammenwirken. Während die Grundlagenforschung des integrierten Risikomanagements die Stakeholder-basierten Ansätze in geeignet definierten Forschungsprojekten experimentell aus methodischer Perspektive bearbeitet, sollte die deutsche Anpassungsforschung pragmatisch und frühzeitig bereits vorhandene Konzepte und Methoden der Stakeholder-basierten Wissenschaft an praktischen Anwendungsfällen austesten und bewerten. Idealerweise sollten die Anwendungsfälle auf bereits geleisteter Forschung basieren und dadurch gekennzeichnet sein, daß erheblicher Integrationsbedarf zwischen unterschiedlichen Akteuren, heterogenen Konzepten und Begrifflichkeiten identifiziert wurde. Die Gruppe hat vier Anwendungsfälle aus zwei Bereichen identifiziert, in denen bereits wichtige Vorarbeiten geleistet wurden und auf denen aufgebaut werden kann. Im Bereich der Extremereignisse sind dies i) das RIMAX-Projekt – Risikomanagement extremer Hochwasserereignisse – sowie ii) das Projekt GITEWS – German Indonesian Tsunami Early Warning System. Im Bereich der langsamen strukturellen Veränderungen sind es i) klimainduzierte Veränderungen in Landwirtschaft und Tourismus sowie ii) der Küstenschutz. Es ist eine offene Forschungsfrage, ob und inwieweit sich ein integriertes Risikomanagement von Extremereignissen und ein integriertes Risikomanagement von langsamen strukturellen Veränderungen unterscheiden. In jedem Fall stellen die Methoden eines integrierten Risikomanagements den gangbarsten Weg dar, der Politik prozessuale Entscheidungshilfen mit wissenschaftlichem Anspruch gerade für Entscheidungen von großer Tragweite und unklarer Informationsbasis an die Hand zu geben. Gemeinsam mit verwandten partizipativen und von einer Situation des Nichtwissens ausgehenden Prozessen wie z.B. Foresight wird integriertes Risikomanagement in Zukunft ein wichtiges Verfahren politischer Planung und Beratung sein. 4/4