trustkill records - Ox

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Interviews & Artikel
TRUSTKILL RECORDS
Indielabel 2.0
Trustkill-Gründer Josh
Grabelle ist ein
interessanter Mensch. Er
gründete Anfang der
Neunziger sein Fanzine
Trustkill, stellte dies aber
alsbald ein, um ein Label
unter dem gleichen
Namen zu gründen.
Während er den Betrieb
seiner kleinen Firma in
den Folgejahren so weit
intensivierte, dass
Trustkill schon Mitte des
Jahrzehnts als Label-Geheimtip vor allem für MetalcoreBands galt, erwarb Grabelle nebenbei noch Abschlüsse in
Grafiukdesign und Jura, arbeitete zwei Jahre als
Grafikdesigner und tourte mit einigen seiner Bands durch die
ganze Welt. Diese "Freizeitbeschäftigungen" hängte der
heute 33-Jährige aber an den Nagel, als seine kleine
Plattenfirma immer weiter wuchs. In den letzten Jahren kam
es zu einer musikalischen Öffnung des Labels, wodurch der
Trustkill-Roster heute einen sehr viel breiteren Sound
anbietet als früher: Neben Stamm-Bands wie THROWDOWN
und WALLS OF JERICHO, deren Sound durchaus zur
Tradition des Labels passt, bringt Trustkill heute auch
wesentlich leichtere Töne auf den Markt, unter anderem
BULLET FOR MY VALENTINE, BEDLIGHT FOR BLUE EYES
oder HOPESFALL. Und hier passt der wirtschaftlich
konnotierte Begriff des Marktes sogar sehr gut, denn
Grabelle und sein Team gehen bei vielen Dingen ziemlich
professionell vor. Sei es der grundsätzliche Aufbau der Firma
oder die offensive Art, mit der Trustkill als eines von wenigen
Indielabels mit den neuen Herausforderungen des Internets
umgeht. Über diese Dinge, seine Bands und auch über
Religion sprach ich mit Josh Grabelle.
Josh, welche Band hat dich so begeistert, dass du ein Label
gegründet hast?
Das war EMBRACE, die Band von Ian MacKaye, bevor er
FUGAZI gründete, die aber nur ein Album veröffentlichte. Das war
1993, ich war 19 und studierte Grafikdesign an der Syracuse
University. Mein Freund Jason und ich waren so begeistert von
EMBRACE, dass wir ihnen einen Tribut erweisen wollten. Jason
arbeitete damals an seinem eigenen Label Watermark Records,
was er mittlerweile aufgegeben hat, da er bei Hollywood Records
angestellt ist. Wir entwickelten die Idee eines EMBRACECoveralbums: das einzige EMBRACE-Album beinhaltet 14 Songs
und wir begannen, 14 Bands anzurufen und sie zu fragen, ob sie
nicht einen dieser Songs für unser Projekt covern würden. Am
Ende hatten wir einige der besten Punk-Bands zusammen, denn
unter anderem trugen RANCID, AVAIL, LIFETIME und FARSIDE
Songs zu der Platte bei. Jason wollte das Album aber nicht alleine
rausbringen, weswegen ich ihm unter die Arme griff und Trustkill
Records gründete, mit dem Angebot, es als Co-Release von
Watermark und Trustkill zu veröffentlichen. Er war begeistert und
so wurde das EMBRACE-Coveralbum, das nebenbei einem
karitativen Zweck diente - wir sammelten Spenden, um
Obdachlosen helfen zu können -, das erste Release von Trustkill
Records. Nachdem ich unter diesem Namen zuvor ein eigenes
Fanzine gemacht hatte ... Nachdem das EMBRACE-TributeAlbum rausgekommen war, betrieb ich Trustkill mehr oder weniger
als Hobby, da mir das Studium recht leicht fiel und ich
entsprechend Zeit hatte, mich um das Label zu kümmern. Mit der
Zeit entwuchs Trustkill aber dem reinen Hobbystatus, weil viele
der Bands kontinuierlich tourten und Fanbases aufbauten. Das
Label erforderte daher immer mehr Zeit und ich entschloss mich
dazu, Trustkill zu meinem Job zu machen, auch wenn ich
zwischen 1998 und 2001 noch ein Jurastudium abgeschlossen
habe. Mittlerweile ist Trustkill ein sehr professionelles Label
geworden, denke ich. 2001 habe ich meinen ersten Angestellten
angeheuert und mittlerweile haben wir Angestellte für alle
relevanten Bereiche von Trustkill: Vertrieb, Marketing, Promotion,
Tourneen und so weiter.
Gleichzeitig geht ihr ungewöhnlich offensiv an die neuen
Herausforderungen des Internets ran. Kaum ein anderes
Indielabel bietet derart umfangreiche Applikationen an, um
seine Releases digital zu vertreiben und zu bewerben. Sind
Dinge wie der Klingeltonvertrieb, die Podcasts oder der SMSLabelnews-Service eure Antwort auf die Downloadkrise und
die Veränderungen der Webnutzung?
Als Napster heraus kam, fand ich die Technik richtig gut! Sie
verhalf vielen meiner Bands zu einer enormen
Popularitätssteigerung, weil auf einmal sehr viel mehr Kids gratis
an die Musik herankamen als zuvor. Ich merkte das, als einige
Bands auf einmal davon sprachen, dass sie zum Beispiel in Little
Rock, Arkansas gespielt hatten und mehr als 300 Kids da waren,
die alle ihre Songs kannten. Gleichzeitig wusste ich, dass wir in
der Region kaum CDs oder LPs verkauft hatten. Etwas Gutes
musste also an Napster dran sein! Gleichzeitig gibt es bei der
Nutzung von Napster aber so etwas wie ein Optimum: Wenn du
es erreichst, ist es perfekt. Wenn es aber darüber hinaus geht,
wird es schlechter. Das illegale Downloaden von Musik hat dieses
Optimum lange überschritten - das Herunterladen von Songs führt
mittlerweile zu echten Schäden. Ich finde es enttäuschend, dass
eine neue Generation von Kids heranwächst, die der Meinung ist,
Musik sei umsonst. Aber ich sagte ja, dass ich 2001 meinen
ersten Angestellten anheuerte, passenderweise war das Dave,
mein "New Media Director", der mitten in der Downloadkrise kam
und seitdem, so gut es geht, daran arbeitet, die Effekte illegaler
Musikdistribution aufzufangen. Denn auch Trustkill hat es damals
mächtig durchgeschüttelt, mit Daves Können versuchen wir aber,
zeitgemäß auf die neuen Herausforderungen zu reagieren. Und
das auch durch die Applikationen, die du erwähnt hast.
Wie würdest du den inhaltlichen Wandel von Trustkill
einschätzen? Vor einigen Jahren war das Label mit Bands
wie ENDEAVOR oder BROTHER'S KEEPER noch sehr
Hardcore-orientiert, während heute auch Rock-Bands wie
BULLET FOR MY VALENTINE oder BEDLIGHT FOR BLUE
EYES bei euch unter Vertrag stehen.
Es ist unübersehbar, dass wir heute Bands gesignt haben, die wir
1996 niemals unter Vertrag genommen hätten. Und ich sage dir
warum: Trustkill geht mit der Zeit. 1996 stand es nicht zur
Debatte, Rock-Bands wie etwa BULLET FOR MY VALENTINE
unter Vertrag zu nehmen, weil diese Art von Musik damals noch
gar nicht in der Szene existierte. Die lebte damals von Bands wie
HARVEST oder eben ENDEAVOR. Die Szene hat sich aber
verändert und neue Bands und neue Stile sind dazugekommen.
Ich war immer ein Typ, der offen für Veränderungen ist, weil ich
der Meinung bin, wenn du dich nicht mit der Musik veränderst,
dann verändert sie sich ohne dich und du fällst hinten runter. Viel
zu viele Indielabels sind untergegangen, weil sie ihren Stil nicht
ändern wollten. Dieses Schicksal will ich nicht erleiden.
Nach welchem Kriterium wählst du denn aus, ob du eine
Band signst?
Ganz einfach, ich muss ihre Musik lieben. Nur dann können wir
allen Support in eine Band stecken, den sie braucht, um sich eine
Fanbase zu erspielen.
Und wie passt das mit den Veränderungen der Szene
zusammen?
Es geht darum, in einer Band auch immer das zu erkennen, was
sie morgen sein kann. Sprich: wir versuchen, immer etwas Neues
zu kreieren, eine Band rauszubringen, deren Sound in der Form
noch nicht in die Szene getragen wurde, so dass sie ihr einen
neuen Impuls gibt. Manchmal schafft man es sogar, eine neue
Szenegröße oder eine neue musikalische Richtung aufzubauen,
manchmal nicht. So gesehen, versuchen wir, die Veränderungen
in der Szene selbst mit zu beeinflussen.
Gerade wegen der Veränderungen und der steigenden
Popularität von Bands wie BULLET FOR MY VALENTINE wird
aber zuweilen argumentiert, manchen Bands ginge es nur
darum, Geld zu machen.
Was ich nicht verstehe. Jede Band, die ich unter Vertrag
genommen habe, hat bei Null angefangen. Trustkill hat jeder Band
unter die Arme gegriffen, klar. Aber im Wesentlichen sind es die
Bands, die sich den Traum erfüllen wollen, Musiker zu sein, und
deswegen hart an sich und ihrer Musik arbeiten, um sich einen
Namen zu machen Und, hey, was ist schlimm daran, wenn sie
dadurch populär werden? Ich hasse es, wenn Leute sagen, eine
Band mache Musik nur des Geldes wegen. Eine Band ist doch
nicht von heute auf morgen "in it for the money", weil sie auf
einmal etwas bekannter ist. Solche Vorwürfe sind lächerlich.
Zum Thema Religion: ich las in einem Interview mit dir, dass
du dich als "kultureller Jude" bezeichnest. Was genau hat
man sich darunter vorzustellen und wie passt das mit
Punkrock beziehungsweise Hardcore zusammen?
Dahinter steckt die Idee, dass man ein Jude nicht durch den
Glauben an Gott, Jesus oder irgendeine andere Religionsfigur
wird, sondern es die jüdische Geschichte ist, die dich als Juden
definiert. Anhänger dieser Gemeinschaft zu sein und ihre
kulturellen Werte zu teilen, das bedeutet für mich "kultureller
Jude" zu sein. Und da es dabei gerade nicht darum geht, an einen
Gott zu glauben oder Anhänger einer organisierten Religion zu
sein, sondern das, wie und was du glaubst, zwanglos zu
praktizieren, passt dieses Konzept für mich auch gut mit Punkrock
zusammen.
Vor Jahren hast du T-Shirts gedruckt, auf die das Wort
"Trustkill" und ein umgedrehtes Kreuz gedruckt waren.
Richtig, ich habe diese T-Shirts gemacht. Es muss 1993 gewesen
sein, als es Trustkill Records noch nicht gab, aber bereits das
Trustkill-Fanzine. In dem ich viel geschrieben habe über meine
Ablehnung gegenüber organisierter Religion und dem blinden
Vertrauen, das manche Menschen in einen Gott hatten. Und um
dem Nachdruck zu verleihen, druckte ich die T-Shirts. Ich fand sie
damals richtig cool.
Würdest du sie wieder drucken?
Hm, wohl nicht. Ich glaube immer noch nicht an Gott, aber ich bin
14 Jahre älter und denke, dass ich mein Statement nicht noch
einmal auf diese Art machen würde.
Und du hast jetzt einige Christen-Bands unter Vertrag.
Moment, wir haben keine Band, die sich explizit als christliche
Hardcore-Band bezeichnet. HOPESFALL bezeichneten sich
früher als christliche Band, sind davon aber mittlerweile abgerückt,
weil die Ansichten der Bandmitglieder zu verschiedenen Dingen
ziemlich auseinander gingen. Ganz allgemein ist sie heute ja nicht
mehr mit der Band zu Gründungstagen vergleichbar. Daneben
sind jedoch Mitglieder von unter anderem MEMPHIS MAY FIRE,
TOO PURE TO DIE und THROWDOWN christlich oder religiös.
Wie gehst du damit um?
Jeder soll das tun, was er für richtig hält. Deswegen ist es mir
egal, ob Mitglieder einzelner Bands an diverse Dinge glauben
oder nicht. Ehrlich: Glauben macht dich nicht zu einem besseren
Songschreiber, Sänger und Texter. Aber das ist genau das,
worauf ich bei Bands Wert lege.
Lauri Wessel
Webseite
© by Ox-Fanzine / Ausgabe #76 (Februar/März 2008)
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