116 ich als einen ewigen Jungbrunnen, und das motiviert mich. Es ist Nahrung für Körper und Geist und nützlich bei der Suche nach Vervollkommnung. Die Suche nach Vervollkommnung? Ja. Auf dieser Suche fordere ich Körper und Geist gleichermaßen. Ich sehe mich selbstkritisch im Spiegel, und ich sage mir immer wieder: Wer achtzig Jahre lang Tsukis macht, lebt lange. Natürlich hat jedes Zeitalter und auch jedes Jahrzehnt seine Eigenheiten. Und diesen Eigenheiten gleicht man sich in seiner Selbstmotivation an. Damit meine ich zum Beispiel Folgendes: Heute suchen junge Menschen weniger die körperliche Auseinandersetzung. Deshalb dürfen Karate sehe ich als einen ewigen wir nicht irgendeinem Gladiatoren-Gedanken nachJungbrunnen, und das motiviert mich. laufen. Was meine eigene Sicht der Dinge betrifft: Es ist Nahrung für Körper Früher war Karate für mich Sport, heute sehe ich es und Geist und nützlich bei der Suche nach Vervollkommnung. als Lebensweg. Besondere Karateka sind deshalb für mich diejenigen, die die Philosophie des Karate mit Enthusiasmus an ihre Zeitgenossen weitergeben und die damit in anderen Begeisterung auslösen können. Ich denke da zum Beispiel an Horst Handel und Hideo Ochi. Wieso verlieren viele Schüler nach zwei oder drei Jahren des Trainings das Interesse am Karate? Wir leben in einer Gesellschaft, die erfolgsverwöhnt ist. Die Schüler erwarten immer ein angenehmes und interessantes Training, aber nach zwei bis drei Jahren kommt für sie anscheinend nichts Neues. Das ständige Feilen an ihrer Technik, um sich zu verbessern, das fällt niemandem leicht. Und wenn dann Schwierigkeiten auftreten, zeigt es sich: Es fehlt ihnen die Beständigkeit. Sehr viele sehen nicht die Chancen zur persönlichen Entwicklung, die in Überwindung von Rückschlägen und Schwierigkeiten im Leben liegt. 118 Repp Was haben Sie durch das Karate gelernt? Vor allem Respekt und Umgangsformen, auch jene auf gesellschaftlicher Ebene. Und als Karateka möchte ich in dieser Weise gerne in der Welt des Karate gesehen werden, ebenwürdig mit allen Karatekas auf der Welt. Ich habe auf meinem Weg des Karate innere Zufriedenheit als ein Gut kennengelernt, das ich mir bewahren möchte, obgleich mir das Streben nach Weiterentwicklung wichtig geworden ist. Demnach hat Karate Ihr Leben verändert? Karate hat mein Leben in erheblichem Maße verändert. Vorbilder wie Hideo Ochi und Horst Handel haben mich aus meinen Jugend-Gangs herausgeholt. Männer wie sie haben mich vor der schiefen Bahn bewahrt, indem sie mir die Werte des Karate vermittelt haben. Und heute ist Karate ein Teil meines Lebens. Ich fühle mich dank meines Karate jung und gesund. Ich habe auf meinem Weg des Karate innere Zufriedenheit als ein Gut kennengelernt, das ich mir bewahren möchte, obgleich mir das Streben nach Weiterentwicklung wichtig geworden ist. Gibt es in ihrem Karate eine Schlüsselerfahrung, die Sie bis heute in Ihrem Training inspiriert? Ja, die Europameisterschaft in Saarbrücken. War das 1973? Dieses Event hat meinen Karateweg erheblich geprägt. Außerdem inspirierte mich die vollkommene Bewegung und Körpersprache von Fujikiyo Omura bei der All Japanischen Meisterschaft 1979. Können Sie uns eine interessante Anekdote aus Ihrem Karateleben erzählen? Am Anfang musste ich mich vor einem Sandeimer verbeugen und nukite üben. Auch die mit Erbsen gefüllten Eimer, die zur Übung bereitstanden, wollten ehrfürchtig begrüßt werden. (Lacht) 119 Einige Leute sind der Ansicht, es sei notwendig, nach Japan zu gehen, um dort zu trainieren, wenn man Karate wirklich lernen möchte. Teilen Sie diese Auffassung? Wir haben auf der ganzen Welt sehr gute Karatekas. Es liegt bei jedem selbst, wie stark sie oder er werden kann. Aber eine Japanreise ist zu empfehlen. Trainierten und studierten Sie auch schon in Japan? Ja, im Jahre 1978 trainierte ich drei Wochen lang und 1982 nochmals zwei Wochen lang in Japan. Dabei war die Dynamik des Trainings, die lange Erfahrung und der mitreißende Geist, der in den Gruppen herrschte, schon ein faszinierendes Erlebnis. Zu meiner Zeit war das Training von dem schier endlosen Wiederholen von Techniken, Kampfsequenzen und Katas geprägt, und das war überaus anstrengend. Man verglich sich ständig mit seinem Trainingsnachbarn, das beWir haben auf der ganzen Welt sehr wirkte gegenseitigen Ansporn und führte autogute Karatekas. Es liegt bei jedem matisch zur Leistungssteigerung. selbst, wie stark sie oder er werden kann. Ja, ich glaube schon, dass ein Besuch ins UrAber eine Japanreise ist zu empfehlen. sprungsland des Karate das eigene Leben verändern kann. Man sollte jedoch die Erwartungen an eine solche Reise überdenken. Je fortgeschrittener ein Karateka in seiner Entwicklung ist, desto mehr kann er aus solch einer Reise einen großen Nutzen ziehen. Doch habe ich festgestellt, dass einige der deutschen Karatekas japanischer sind als die Japaner selbst. In Japan wird in unterschiedlich anstrengenden und unterschiedlich belastenden Trainingszyklen trainiert, bei uns in Deutschland würde man am liebsten täglich mit hoher Intensität ans Werk gehen. Leider hat sich bei uns ein über das Ziel hinausschießender Geist des Nacheiferns entwickelt, der dahin geführt hat, dass alles, was einer sagt, der schwarzhaarig ist und Mandelaugen hat, unbedingt als toll gilt und für bare Münze genommen wird. Wir haben im eigenen Land auch sehr fähige Karatekas, die kritisch beurteilt und deren Anleitung prinzipiell erst mal in Frage gestellt werden. 120 Repp Was sind die wichtigsten Eigenschaften, die einen erfolgreichen Karateka auszeichnen? Zielbewusstheit, Beweglichkeit, Flexibilität und geistige Gewandtheit. Vor allem sollte ein Karateka im Einklang mit sich selbst stehen. Die Suche nach Perfektion hat kein Ziel, jeder kann sich zu jedem Zeitpunkt weiter verbessern. Geistige Weiterentwicklung soll sich bei einem Karateka in den weiterentwickelten körperlichen Fähigkeiten zeigen. Das hat in meinen Augen Keith Geyer verwirklicht. In ihm sehe ich einen der Trainer, bei dem ich gerne trainieren würde. Können Sie sagen, dass früher etwas Bestandteil des Unterrichts war oder die Atmosphäre geprägt hat, was Ihrer Meinung nach im heutigen Unterricht fehlt? Man hat früher hart trainiert und nicht viel gefragt. Man hat dem Sensei einfach vertraut. Heute geht man das Training zu wissenschaftlich an. Über Erfolg Geistige Weiterentwicklung soll wird viel diskutiert, aber statt zu diskutieren, sollte sich bei einem Karateka in den man ihn durch Training vorbereiten und erzielen. weiterentwickelten körperlichen Karate ist für mich eine Philosophie oder ein Weg, Fähigkeiten zeigen. es ist kein Sport. Der Begriff „Jutsu“ bedeutet für mich „Kampfkunst“ und der Begriff „Dô“ dagegen eher „Weg“. Karate als „Dô“ gründet sich auf einer lebensbegleitenden inneren Einstellung. Karate ist eine Philosophie, die tugendhaftes Verhalten fördern soll, und wer dies beherzigt, ist ein herausragender Karateka. Ich orientiere mein eigenes Training an den Möglichkeiten meines Körpers. – Es geht dabei um das Haushalten mit Körper und Geist. Das ist die Kunst, die die Intention steuert. Weil ich meine Grenzen achte, befinde ich mich auch in großartiger körperlicher Verfassung. Ein Ausbilder achtet auf körperliche und geistige Fitness. Ich sehe im Wettkampfkumite ein grundsätzlich wichtiges Element des Karate, denn hier fördert die wettkämpferische Herausforderung den Siegeswillen. Meine persönlichen Ziele haben sich im Lauf der Jahre natürlich verändert. Für mich persönlich ist Wettkampfkumite jetzt zweitrangig, aber Kata bleibt mein ewiger Jungbrunnen. 121 Wie unterrichten Sie Karate? Streng, bestimmend und doch gelassen. Die ideale Beziehung zwischen Schüler und Lehrer ist meines Erachtens diejenige, die auf Vertrauen beruht. Ich befürworte auch das MakiwaraTraining, denn die Stabilität, die man dadurch erlangt, ist von großem Nutzen. Und jede Sportart, ja das Leben selbst, fordert Abhärtung. Das rechte Maß findet hier jeder am besten für sich selbst heraus. Wer richtig schwitzt, freut sich auf die Dusche und ein erfrischendes Getränk. Bevorzugen Sie in Ihrem Unterricht das Kumite oder die Kata? Jede Trainingseinheit sollte ausgewogen sein. Zwanzig Minuten Gymnastik, zwanzig Minuten Kihon, zwanzig Minuten Kumite, zwanzig Minuten Kata. Kihon macht stabiler, Kumite bringt ständig neue Erkenntnis und Kata ist anstrengend. Kata ist für mich der Weg zur vollkommenen Bewegung. Da Trotzdem ist es ein großer Kata Kampf mit imaginären Gegnern ist, sehe ich eine klare Fehler, vielleicht der größte Fehler überhaupt, wenn Beziehung zwischen Kumite und Kata. Trotzdem ist es ein man Karate nur für den großer Fehler, vielleicht der größte Fehler überhaupt, wenn Wettkampf trainiert. man Karate nur für den Wettkampf trainiert. In der Selbstverteidigung sind Kata-Elemente wichtig. Ich bin davon überzeugt, dass durch Kata ein flexibleres Kumite geschult wird. Von Vollkontakt-Karate und Kickboxen halte ich daher wenig, denn um körperliche Überlegenheit zu demonstrieren, braucht man keinen Kontakt. Besteht die Gefahr, dass das Karate zu einer einfachen Sportart wird? Was kann man unter einer „einfachen“ Sportart verstehen? Keine Sportart ist heute einfach. Wenn aber Karate zum Sammelbecken für alle anderweitig gescheiterten Sportler wird, so wird das Niveau im Karate heruntergezogen. Nein, wer Spaß an der Bewegung hat, sollte trainieren. Der Erfolg ist zweitrangig. Durch unendliche Kombinationsmöglichkeiten und Interpretation wird Karate in meinen Augen zu einer Kampfkunst. Dem Bunkai kommt im Karate die Bedeutung zu, die in der Mathematik eine Funktion und ihre Beweisführung einnimmt. Und Harmonie ist ein wichtiger Aspekt. 122 Repp Heute wird Karate oft als Sport betrachtet. Finden Sie das richtig? Wenn Sie nur den Wettkampf betrachten, ist das leider so. Sobald mehr Show als Kampfkunst in einer Darbietung steckt, entfernt man sich vom Karate-dô. Die allgemeine Entwicklung tendiert dahin, dass man ohne ausreichende Trainingsgrundlage bei Wettkämpfen antritt. Das Unvermögen soll dann durch Schützer kaschiert werden. – Karate darf meiner Meinung nach in seiner Basis nicht verändert werden. Wer eine individuelle Entwicklung braucht, möge seinen Weg gehen. Kata-Wettbewerbe halte ich für die ästhetischste Form des Karate, sie ist auch für Nicht-Karateka nachvollziehbar und deshalb sollten gerade die KataWettbewerbe ein wichtiger Bestandteil von Turnieren sein. Ich halte allerdings nichts von dem Gedanken, stilübergreiDie allgemeine Entwicklung tendiert dahin, dass fend einheitliche Katas für Wettkämpfe man ohne ausreichende Trainingsgrundlage bei zu kreieren, nur um Chancengleichheit Wettkämpfen antritt. Das Unvermögen soll zwischen den Stilen herzustellen. Durch dann durch Schützer kaschiert werden. solche Maßnahmen würden Stil und Ausdruck beschnitten. Ich vergleiche das mit Sprachen: Künstliche Sprachen wie das Esperanto haben sich ja auch nicht durchgesetzt. Zudem bin ich der Ansicht, dass die traditionellen Katas nicht verändert werden sollten, nur um sie vordergründigen Bedürfnissen der heutigen Zeit anzupassen. Überspitzt gesagt: Nur weil im Shôtôkan der Ippon-Gedanke das alte ikken-hissatsu ersetzt hat, verändert man nichts am Tod. F: Was ist Ihre Meinung zu der Entwicklung des WettkampfKumite? Wettkampfkumite kann man aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten. Aus Sicht der Kampfrichter müssen Athleten vor Verletzungen geschützt werden. Aus Sicht der Kämpfer wird um jede kleine Verletzung zu viel 123 Aufhebens gemacht. Aus dem KämpferHerzen gesprochen: Wir nennen Karate doch einen „Kampf-Sport“ und nicht ein „Karate-Spiel“. Aktive und Trainer haben aber auch unterschiedliche Ziele. War der Trainer ein guter Karateka, wird er wollen, dass seine Schüler noch besser werden, da sie auf die Erfahrungen des Älteren aufbauen können. So wachsen die Erwartungen. Wenn Trainer aus diesen Erwartungen heraus ihre Athleten zu früh zu Meisterschaften bringen, dann ist Wettkampf schlecht für das Karate. Das ist die eine Betrachtung. Die andere: Vergleich unter neutraler Beobachtung ist für die weitere Nur weil im Shôtôkan der Ippon-Gedanke das alte ikken-hissatsu ersetzt hat, Entwicklung eines jeden Karateka von Vorverändert man nichts am Tod. teil. Heute hat der Wettkampf eine große Bedeutung gewonnen, weil alle dem Sieger einer Meisterschaft nacheifern wollen. Neben unserem Kyû- und Dansystem kann Wettkampf dazu motivieren, Trainingsschwerpunkte zu setzen. Gleichzeitig haben aber Kampfrichter einen enormen Einfluss darauf, was als Idealbewegung angesehen wird. Ob das nun wiederum ein Vorteil ist, soll dahingestellt bleiben. Auf welche Weise kann ein Karateka sein Verständnis für die geistigen Aspekte der Kampfkunst vertiefen? Nur aus der Vergangenheit entwickelt sich die Zukunft. Daher gilt folgender Satz: „Halte dich an Überlieferungen und große Meister - du wirst deren Weg finden.“ Zum Beispiel transportieren die Dôjôkun eine solche Überlieferung. Sie bilden meiner Meinung nach einen Rahmen, an dem man sein Karateleben ausrichten kann. Man wird, wenn man ihnen als allgemeiner Richtlinie folgt, Zivilcourage entwickeln, Zurückhaltung üben und Streitereien vermeiden – und das sind nur einige Beispiele für Handlungsstrukturen und Haltungen, die aus dem Karate-Dôjô in den Alltag übertragen werden können. Es heißt ja: „Karate findet nicht nur im Dôjô statt.“ Wer sich tagtäglich an solchen Leitideen orientiert, hat schon ein beachtliches Verständnis für die geistigen Aspekte der Kampfkunst unter Beweis gestellt. 124 Repp Zum Beispiel transportieren die Dôjôkun eine solche Überlieferung. Sie bilden meiner Meinung nach einen Rahmen, an dem man sein Karateleben ausrichten kann. Man wird, wenn man ihnen als allgemeiner Richtlinie folgt, Zivilcourage entwickeln, Zurückhaltung üben und Streitereien vermeiden Auf welche Dinge im Leben sind Sie besonders stolz? Natürlich auf meine Familie und auf meine Kontinuität im KarateDasein. Ebenso auf meine Schüler und Mittrainer Andreas Leitner, Sascha Feller, Oliver Platt und auf meine Freundschaft zu Schlatt. F: Wie sehen Sie die Zukunft des Karate? Also für mich wird sich Karate in diesem Sinne nicht verändern. Im Allgemeinen wird die professio-nelle oder kommerzielle Fraktion das Karate entscheidend prägen. Ich wünsche mir vor allem, dass Karate für viele ein lebensbegleitender „Sport“ oder, genauer gesagt, ein lebensbegleitender Weg sein kann. Denn wenn in Zukunft Sieg oder Niederlage eine untergeordnete Rolle spielen, dann ist und bleibt Karate ein Abenteuer, das das ganze Leben bereichern kann. 125