Untitled - Ronny Repp

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ich als einen ewigen Jungbrunnen, und das motiviert
mich. Es ist Nahrung für Körper und Geist und nützlich bei der Suche nach Vervollkommnung.
Die Suche nach Vervollkommnung?
Ja. Auf dieser Suche fordere ich Körper und Geist
gleichermaßen. Ich sehe mich selbstkritisch im Spiegel, und ich sage mir immer wieder: Wer achtzig Jahre
lang Tsukis macht, lebt lange. Natürlich hat jedes
Zeitalter und auch jedes Jahrzehnt seine Eigenheiten.
Und diesen Eigenheiten gleicht man sich in seiner
Selbstmotivation an. Damit meine ich zum Beispiel
Folgendes: Heute suchen junge Menschen weniger
die körperliche Auseinandersetzung. Deshalb dürfen
Karate sehe ich als einen ewigen
wir nicht irgendeinem Gladiatoren-Gedanken nachJungbrunnen, und das motiviert mich.
laufen. Was meine eigene Sicht der Dinge betrifft:
Es ist Nahrung für Körper
Früher war Karate für mich Sport, heute sehe ich es
und Geist und nützlich bei der
Suche nach Vervollkommnung.
als Lebensweg.
Besondere Karateka sind deshalb für mich diejenigen,
die die Philosophie des Karate mit Enthusiasmus an
ihre Zeitgenossen weitergeben und die damit in anderen Begeisterung
auslösen können. Ich denke da zum Beispiel an Horst Handel und Hideo
Ochi.
Wieso verlieren viele Schüler nach zwei oder drei Jahren des
Trainings das Interesse am Karate?
Wir leben in einer Gesellschaft, die erfolgsverwöhnt ist. Die Schüler
erwarten immer ein angenehmes und interessantes Training, aber nach
zwei bis drei Jahren kommt für sie anscheinend nichts Neues. Das ständige Feilen an ihrer Technik, um sich zu verbessern, das fällt niemandem leicht. Und wenn dann Schwierigkeiten auftreten, zeigt es sich: Es
fehlt ihnen die Beständigkeit. Sehr viele sehen nicht die Chancen zur
persönlichen Entwicklung, die in Überwindung von Rückschlägen und
Schwierigkeiten im Leben liegt.
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Repp
Was haben Sie durch das Karate gelernt?
Vor allem Respekt und Umgangsformen, auch jene
auf gesellschaftlicher Ebene. Und als Karateka
möchte ich in dieser Weise gerne in der Welt des
Karate gesehen werden, ebenwürdig mit allen
Karatekas auf der Welt. Ich habe auf meinem
Weg des Karate innere Zufriedenheit als ein Gut
kennengelernt, das ich mir bewahren möchte,
obgleich mir das Streben nach Weiterentwicklung
wichtig geworden ist.
Demnach hat Karate Ihr Leben verändert?
Karate hat mein Leben in erheblichem Maße
verändert. Vorbilder wie Hideo Ochi und Horst
Handel haben mich aus meinen Jugend-Gangs
herausgeholt. Männer wie sie haben mich vor der
schiefen Bahn bewahrt, indem sie mir die Werte
des Karate vermittelt haben. Und heute ist Karate
ein Teil meines Lebens. Ich fühle mich dank
meines Karate jung und gesund.
Ich habe auf meinem Weg des Karate
innere Zufriedenheit als ein Gut
kennengelernt, das ich mir bewahren
möchte, obgleich mir das Streben nach
Weiterentwicklung wichtig geworden ist.
Gibt es in ihrem Karate eine Schlüsselerfahrung, die Sie bis heute in Ihrem Training
inspiriert?
Ja, die Europameisterschaft in Saarbrücken. War das 1973? Dieses Event
hat meinen Karateweg erheblich geprägt. Außerdem inspirierte mich
die vollkommene Bewegung und Körpersprache von Fujikiyo Omura bei
der All Japanischen Meisterschaft 1979.
Können Sie uns eine interessante Anekdote aus Ihrem Karateleben erzählen?
Am Anfang musste ich mich vor einem Sandeimer verbeugen und nukite
üben. Auch die mit Erbsen gefüllten Eimer, die zur Übung bereitstanden,
wollten ehrfürchtig begrüßt werden. (Lacht)
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Einige Leute sind der Ansicht, es sei notwendig, nach Japan zu gehen, um dort zu
trainieren, wenn man Karate wirklich lernen möchte. Teilen Sie diese Auffassung?
Wir haben auf der ganzen Welt sehr gute Karatekas. Es liegt bei jedem selbst, wie stark sie
oder er werden kann. Aber eine Japanreise ist
zu empfehlen.
Trainierten und studierten Sie auch schon
in Japan?
Ja, im Jahre 1978 trainierte ich drei Wochen lang
und 1982 nochmals zwei Wochen lang in Japan.
Dabei war die Dynamik des Trainings, die lange
Erfahrung und der mitreißende Geist, der in den
Gruppen herrschte, schon ein faszinierendes Erlebnis. Zu meiner Zeit war das Training von dem
schier endlosen Wiederholen von Techniken,
Kampfsequenzen und Katas geprägt, und das
war überaus anstrengend. Man verglich sich
ständig mit seinem Trainingsnachbarn, das beWir haben auf der ganzen Welt sehr
wirkte gegenseitigen Ansporn und führte autogute Karatekas. Es liegt bei jedem
matisch zur Leistungssteigerung.
selbst, wie stark sie oder er werden kann.
Ja, ich glaube schon, dass ein Besuch ins UrAber eine Japanreise ist zu empfehlen.
sprungsland des Karate das eigene Leben verändern kann. Man sollte jedoch die Erwartungen
an eine solche Reise überdenken. Je fortgeschrittener ein Karateka
in seiner Entwicklung ist, desto mehr kann er aus solch einer Reise
einen großen Nutzen ziehen. Doch habe ich festgestellt, dass einige der
deutschen Karatekas japanischer sind als die Japaner selbst. In Japan
wird in unterschiedlich anstrengenden und unterschiedlich belastenden
Trainingszyklen trainiert, bei uns in Deutschland würde man am liebsten
täglich mit hoher Intensität ans Werk gehen. Leider hat sich bei uns ein
über das Ziel hinausschießender Geist des Nacheiferns entwickelt, der
dahin geführt hat, dass alles, was einer sagt, der schwarzhaarig ist und
Mandelaugen hat, unbedingt als toll gilt und für bare Münze genommen
wird. Wir haben im eigenen Land auch sehr fähige Karatekas, die kritisch beurteilt und deren Anleitung prinzipiell erst mal in Frage gestellt
werden.
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Repp
Was sind die wichtigsten Eigenschaften, die
einen erfolgreichen Karateka auszeichnen?
Zielbewusstheit, Beweglichkeit, Flexibilität und geistige Gewandtheit. Vor allem sollte ein Karateka im
Einklang mit sich selbst stehen. Die Suche nach Perfektion hat kein Ziel, jeder kann sich zu jedem Zeitpunkt weiter verbessern. Geistige Weiterentwicklung
soll sich bei einem Karateka in den weiterentwickelten
körperlichen Fähigkeiten zeigen. Das hat in meinen
Augen Keith Geyer verwirklicht. In ihm sehe ich einen
der Trainer, bei dem ich gerne trainieren würde.
Können Sie sagen, dass früher etwas Bestandteil
des Unterrichts war oder die Atmosphäre geprägt hat, was Ihrer Meinung nach im heutigen
Unterricht fehlt?
Man hat früher hart trainiert und nicht viel gefragt.
Man hat dem Sensei einfach vertraut. Heute geht
man das Training zu wissenschaftlich an. Über Erfolg
Geistige Weiterentwicklung soll
wird viel diskutiert, aber statt zu diskutieren, sollte
sich bei einem Karateka in den
man ihn durch Training vorbereiten und erzielen.
weiterentwickelten körperlichen
Karate ist für mich eine Philosophie oder ein Weg,
Fähigkeiten zeigen.
es ist kein Sport. Der Begriff „Jutsu“ bedeutet für
mich „Kampfkunst“ und der Begriff „Dô“ dagegen
eher „Weg“. Karate als „Dô“ gründet sich auf einer lebensbegleitenden
inneren Einstellung. Karate ist eine Philosophie, die tugendhaftes Verhalten fördern soll, und wer dies beherzigt, ist ein herausragender Karateka. Ich orientiere mein eigenes Training an den Möglichkeiten meines
Körpers. – Es geht dabei um das Haushalten mit Körper und Geist. Das
ist die Kunst, die die Intention steuert. Weil ich meine Grenzen achte,
befinde ich mich auch in großartiger körperlicher Verfassung.
Ein Ausbilder achtet auf körperliche und geistige Fitness. Ich sehe im
Wettkampfkumite ein grundsätzlich wichtiges Element des Karate, denn
hier fördert die wettkämpferische Herausforderung den Siegeswillen.
Meine persönlichen Ziele haben sich im Lauf der Jahre natürlich verändert. Für mich persönlich ist Wettkampfkumite jetzt zweitrangig, aber
Kata bleibt mein ewiger Jungbrunnen.
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Wie unterrichten Sie Karate?
Streng, bestimmend und doch gelassen. Die ideale Beziehung
zwischen Schüler und Lehrer ist meines Erachtens diejenige,
die auf Vertrauen beruht. Ich befürworte auch das MakiwaraTraining, denn die Stabilität, die man dadurch erlangt, ist
von großem Nutzen. Und jede Sportart, ja das Leben selbst,
fordert Abhärtung. Das rechte Maß findet hier jeder am
besten für sich selbst heraus. Wer richtig schwitzt, freut sich
auf die Dusche und ein erfrischendes Getränk.
Bevorzugen Sie in Ihrem Unterricht das Kumite oder
die Kata?
Jede Trainingseinheit sollte ausgewogen sein. Zwanzig Minuten Gymnastik, zwanzig Minuten Kihon, zwanzig Minuten
Kumite, zwanzig Minuten Kata. Kihon macht stabiler, Kumite bringt ständig neue Erkenntnis und Kata ist anstrengend.
Kata ist für mich der Weg zur vollkommenen Bewegung. Da
Trotzdem ist es ein großer
Kata Kampf mit imaginären Gegnern ist, sehe ich eine klare
Fehler, vielleicht der größte
Fehler überhaupt, wenn
Beziehung zwischen Kumite und Kata. Trotzdem ist es ein
man Karate nur für den
großer Fehler, vielleicht der größte Fehler überhaupt, wenn
Wettkampf trainiert.
man Karate nur für den Wettkampf trainiert. In der Selbstverteidigung sind Kata-Elemente wichtig. Ich bin davon
überzeugt, dass durch Kata ein flexibleres Kumite geschult
wird. Von Vollkontakt-Karate und Kickboxen halte ich daher wenig,
denn um körperliche Überlegenheit zu demonstrieren, braucht man
keinen Kontakt.
Besteht die Gefahr, dass das Karate zu einer einfachen Sportart
wird?
Was kann man unter einer „einfachen“ Sportart verstehen? Keine Sportart ist heute einfach. Wenn aber Karate zum Sammelbecken für alle
anderweitig gescheiterten Sportler wird, so wird das Niveau im Karate
heruntergezogen. Nein, wer Spaß an der Bewegung hat, sollte trainieren.
Der Erfolg ist zweitrangig. Durch unendliche Kombinationsmöglichkeiten
und Interpretation wird Karate in meinen Augen zu einer Kampfkunst.
Dem Bunkai kommt im Karate die Bedeutung zu, die in der Mathematik
eine Funktion und ihre Beweisführung einnimmt. Und Harmonie ist
ein wichtiger Aspekt.
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Repp
Heute wird Karate oft als Sport betrachtet. Finden Sie das richtig?
Wenn Sie nur den Wettkampf betrachten,
ist das leider so. Sobald mehr Show als
Kampfkunst in einer Darbietung steckt,
entfernt man sich vom Karate-dô. Die
allgemeine Entwicklung tendiert dahin,
dass man ohne ausreichende Trainingsgrundlage bei Wettkämpfen antritt. Das
Unvermögen soll dann durch Schützer
kaschiert werden. – Karate darf meiner
Meinung nach in seiner Basis nicht verändert werden. Wer eine individuelle
Entwicklung braucht, möge seinen Weg
gehen. Kata-Wettbewerbe halte ich für
die ästhetischste Form des Karate, sie ist
auch für Nicht-Karateka nachvollziehbar und deshalb sollten gerade die KataWettbewerbe ein wichtiger Bestandteil
von Turnieren sein. Ich halte allerdings
nichts von dem Gedanken, stilübergreiDie allgemeine Entwicklung tendiert dahin, dass
fend einheitliche Katas für Wettkämpfe
man ohne ausreichende Trainingsgrundlage bei
zu kreieren, nur um Chancengleichheit
Wettkämpfen antritt. Das Unvermögen soll
zwischen den Stilen herzustellen. Durch
dann durch Schützer kaschiert werden.
solche Maßnahmen würden Stil und
Ausdruck beschnitten. Ich vergleiche das
mit Sprachen: Künstliche Sprachen wie das Esperanto haben sich ja auch
nicht durchgesetzt. Zudem bin ich der Ansicht, dass die traditionellen
Katas nicht verändert werden sollten, nur um sie vordergründigen Bedürfnissen der heutigen Zeit anzupassen. Überspitzt gesagt: Nur weil im
Shôtôkan der Ippon-Gedanke das alte ikken-hissatsu ersetzt hat, verändert
man nichts am Tod.
F: Was ist Ihre Meinung zu der Entwicklung des WettkampfKumite?
Wettkampfkumite kann man aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten.
Aus Sicht der Kampfrichter müssen Athleten vor Verletzungen geschützt
werden. Aus Sicht der Kämpfer wird um jede kleine Verletzung zu viel
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Aufhebens gemacht. Aus dem KämpferHerzen gesprochen: Wir nennen Karate
doch einen „Kampf-Sport“ und nicht ein
„Karate-Spiel“.
Aktive und Trainer haben aber auch unterschiedliche Ziele. War der Trainer ein
guter Karateka, wird er wollen, dass seine
Schüler noch besser werden, da sie auf
die Erfahrungen des Älteren aufbauen
können. So wachsen die Erwartungen.
Wenn Trainer aus diesen Erwartungen
heraus ihre Athleten zu früh zu Meisterschaften bringen, dann ist Wettkampf
schlecht für das Karate. Das ist die eine
Betrachtung. Die andere: Vergleich unter
neutraler Beobachtung ist für die weitere
Nur weil im Shôtôkan der Ippon-Gedanke
das alte ikken-hissatsu ersetzt hat,
Entwicklung eines jeden Karateka von Vorverändert man nichts am Tod.
teil. Heute hat der Wettkampf eine große
Bedeutung gewonnen, weil alle dem Sieger
einer Meisterschaft nacheifern wollen. Neben unserem Kyû- und Dansystem kann Wettkampf dazu motivieren,
Trainingsschwerpunkte zu setzen. Gleichzeitig haben aber Kampfrichter
einen enormen Einfluss darauf, was als Idealbewegung angesehen wird.
Ob das nun wiederum ein Vorteil ist, soll dahingestellt bleiben.
Auf welche Weise kann ein Karateka sein Verständnis für die
geistigen Aspekte der Kampfkunst vertiefen?
Nur aus der Vergangenheit entwickelt sich die Zukunft. Daher gilt folgender Satz: „Halte dich an Überlieferungen und große Meister - du wirst
deren Weg finden.“ Zum Beispiel transportieren die Dôjôkun eine solche
Überlieferung. Sie bilden meiner Meinung nach einen Rahmen, an dem
man sein Karateleben ausrichten kann. Man wird, wenn man ihnen
als allgemeiner Richtlinie folgt, Zivilcourage entwickeln, Zurückhaltung
üben und Streitereien vermeiden – und das sind nur einige Beispiele
für Handlungsstrukturen und Haltungen, die aus dem Karate-Dôjô in
den Alltag übertragen werden können. Es heißt ja: „Karate findet nicht
nur im Dôjô statt.“ Wer sich tagtäglich an solchen Leitideen orientiert,
hat schon ein beachtliches Verständnis für die geistigen Aspekte der
Kampfkunst unter Beweis gestellt.
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Zum Beispiel transportieren die Dôjôkun eine solche Überlieferung.
Sie bilden meiner Meinung nach einen Rahmen, an dem man
sein Karateleben ausrichten kann. Man wird, wenn man
ihnen als allgemeiner Richtlinie folgt, Zivilcourage entwickeln,
Zurückhaltung üben und Streitereien vermeiden
Auf welche Dinge im Leben sind Sie besonders stolz?
Natürlich auf meine Familie und auf meine Kontinuität im KarateDasein. Ebenso auf meine Schüler und Mittrainer Andreas Leitner,
Sascha Feller, Oliver Platt und auf meine Freundschaft zu Schlatt.
F: Wie sehen Sie die Zukunft des Karate?
Also für mich wird sich Karate in diesem Sinne nicht verändern. Im
Allgemeinen wird die professio-nelle oder kommerzielle Fraktion das
Karate entscheidend prägen.
Ich wünsche mir vor allem, dass Karate für viele ein lebensbegleitender
„Sport“ oder, genauer gesagt, ein lebensbegleitender Weg sein kann.
Denn wenn in Zukunft Sieg oder Niederlage eine untergeordnete Rolle
spielen, dann ist und bleibt Karate ein Abenteuer, das das ganze Leben
bereichern kann.
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