Bilder: zvg / Katrin Ambühl PRAXIS Sanierung Gebäude Sihlporte Originalgetreu neu Das ehemalige Epa-Gebäude in Zürich ist über 80 Jahre alt und steht unter Denkmalschutz. Zurzeit wird es nach den Plänen der Architektin Tilla Theus gesamtsaniert. Das ist eine Gratwanderung zwischen statischen Anforderungen und ästhetischen Ansprüchen. Von Katrin Ambühl Grand Cafés, beide in Zürich, Fingerspitzenge­ fühl im Umgang mit alter Substanz bewiesen hat. Darüber hinaus war Theus viele Jahre in verschiedenen Denkmalpflegekommissionen (siehe auch «Nachgefragt» auf Seite 17). «Ein Altbau birgt in sich selbst die Qualitäten, die ihn in die Neuzeit überführen lassen», sagt die Architektin. «Es ist notwendig, ihn zu erforschen und zu erkennen, wie viel an Veränderungen das Gebäude erträgt. Dies zu erspüren, heraus­ zuarbeiten und nachvollziehbar darzustellen ist die Qualität, die ich als Architektin einem ­G ebäude zuteil werden lasse.» Ziel der Gesamtsanierung ist es, die F­ assade ­originalgetreu instand zu setzen und die ur­ sprüngliche Kubatur und Geschossigkeit wie­ derherzustellen. Deshalb werden gewisse neue Elemente am Gebäude entfernt, etwa der Anbau Seite Schanzengraben und das Vordach, welches an der ursprünglichen Stelle neu g­ ebaut wird. Die Fassade wird nach der Strukturbereinigung wieder fast aussehen wie das Original. R oulettekugeln werden an dieser Adresse nie rollen. Das Projekt für ein Casino in der alten Epa war eine Option für das Gebäude an der Sihlporte. Schliesslich ging die Konzession für den Betrieb eines Casinos aber an ein ande­ res der fünf eingereichten Projekte. Und zwar an jenes im Haus Ober, das nur gerade 20 Meter von der alten Epa entfernt liegt. Ein weiteres Nach­ barsgebäude ist das Hallenbad City, das zurzeit ebenfalls saniert wird. Auf der anderen Seite des Schanzengrabens liegt das Gebäude Sihlporte, das momentan von aussen verhüllt und innen zu einem grossen Teil ausgehöhlt ist. Das Geschäftshaus von Otto Streicher steht unter Denkmalschutz (siehe «Hintergrund» Seite 16). Es ist aber auch städte­ baulich wertvoll, denn es markiert einen wich­ tigen Fixpunkt auf dem Weg aus der Stadt nach Aussersihl. Stadtzürchern ist das Gebäude zwi­ schen Paradeplatz und Stauffacher bekannt als Epa-Haus. Zwischen 1953 und 2005 war das Billigwarenhaus an dieser Adresse zu Hause. Nach der Übernahme der Epa-Warenhäuser durch Coop zog für kurze Zeit Coop City ein. Dann verwandelte «Outlet Qualiposten» das stattliche Geschäftshaus in einen Ramschladen. 14 baublatt Verstärkung der statischen Struktur linktipp Auf baublatt.ch/epa finden Sie eine Fotostrecke. Heutige Besitzerin des Hauses ist die Swiss Life, die nun eine umfassende Sanierung vornimmt und kleinere Läden im Erdgeschoss und Büros in den Obergeschossen plant. Dafür hat sie die Zürcher Architektin Tilla Theus verpflichtet, die mit der Sanierung des Hotels Widder und des Verkleidet ist das Gebäude mit weissem Marmor. Er wird so weit möglich restauriert, das heisst, die Oberflächen geschliffen und die Fassaden­ platten rückseitig gesichert. Rund ein Drittel der Platten werden durch neue ersetzt, die aus dem­ selben Tessiner Steinbruch stammen wie die ­ursprünglich verwendeten. «Das Schwierige war, die statischen Massnah­ men mit den Anforderungen der Denkmalpflege zu vereinen», sagt Silvia Salvador, Projektleiterin von Swiss Life. Die Hülle, die beiden Treppen­ häuser sowie die statische Struktur galt es zu « Das Mezzanin­geschoss, das nicht mehr existierte, wurde wiederhergestellt. Silvia Salvador, Projektleiterin Swiss Life » Nr. 23, Freitag, 8. Juni 2012 Die Deckenabschnitte aussen werden erhalten, im mittleren Bereich entstehen neue. PRAXIS Nachgefragt … bei Tilla Theus Querschnitt A–A Tilla Theus ist Architektin und hat den Umbau der Sihlporte geplant. Lichthof Welchen Charme und Stellenwert hat für Sie der Bau von Otto Streicher? Das Gebäude Sihlporte gehört zum Stadtbild und ist in unserer ­Erinnerung geprägt durch seine verschiedenen vorgängigen ­Nutzungen. Städtebaulich steht es an einer wichtigen Position und markiert den Brückenkopf auf eindrückliche Weise. 30 m Büro Büro Wie haben Sie sich dem denkmalgeschützten Gebäude angenähert, und welches waren schliesslich die Kerngedanken Ihres Projekts? Bei Recherchearbeiten in alten Bauplänen in Archiven und ­Fotodokumenten haben wir erkannt, wie wichtig es ist, dem ­Gebäude das ursprüngliche Volumen wieder zurückzugeben. Es ist eine grossartige Leistung der Bauherrschaft Swiss Life, dass sie diese städtebauliche Vision trotz Quadratmeterverlust mitträgt, um so den heiklen Brückenkopf auch von Seiten der Sihl in alter Präzision erlebbar werden zu lassen. Gleichzeitig ist es gelungen, dem ursprünglichen Bürogebäude wieder seine originalen ­Stockwerkseinteilungen zurückzugeben. Das Gebäude erhält so im Erd­geschoss wieder Läden und in sämtlichen Obergeschos­ sen Büronutzungen. Laden Einstellhalle Lüftungszentrale Die Decken werden in der Mitte durch neue ersetzt (rot), die äusseren Teile bleiben erhalten. So sah das Geschäftshaus von Otto Streicher in den 30er-Jahren aus: städtisch-elegant. Ein weiterer wichtiger Eingriff war die Aussteifung des Gebäudes durch Einfügen neuer Erdbeben­ scheiben, insbesondere zur Aufnahme der Hori­ zontalkräfte. Mit den alten Hourdisdecken konnte den heutigen Anforderungen nicht mehr entspro­ chen werden. Auch die Haustechnik wurde auf den neusten Stand gebracht. Wie an der Fassade wurde auch im Gebäudeinnern eine Strukturbereinigung vorgenommen. «Das Mezzaningeschoss, das nicht mehr exis­ tierte, wird wiederhergestellt und die Erdge­ schossdecke an ihre ursprüngliche Lage ver­ setzt», sagt Salvador. Zudem wurden Stützen an ihre ursprüngliche Stelle eingebaut. «Die Beton­ qualität war teilweise schlechter als erwartet, weshalb mehr Elemente ersetzt werden muss­ ten als geplant», räumt Silvia Salvador ein. Sonst sei der Umbau bisher gut verlaufen. Er wird noch bis 2013 dauern. Dann wird das Gebäude ­wieder die Würde und Eleganz ausstrahlen, die ihm Otto Streicher mit seiner Architektur vor 80 Jahren gegeben hat. n Sie wollten ursprünglich dunkle Fenster, die Denkmalpflege nicht. Wie kam es dazu? Die Denkmalpflege hätte gerne die Farbigkeit aus dieser Ursprungs­ zeit wieder gehabt. Das war eine Herausforderung, weil die Farbig­ keit aus den Schwarz-Weiss-Fotos in den Helligkeitsstufen zwar ­erkennbar war, aber nicht die effektive Farbqualität. Aus keiner ­originalen Substanz war die farbliche Abstimmung eindeutig ­abzuleiten. So war die Entscheidungsfindung eine gegenseitige ­Annäherung und schlussendlich ein Kompromiss, zu dem wir alle drei, Denkmalpflege, Bauherrschaft und Architektin, stehen können. Grundriss Erdgeschoss A e­rhalten. «Ein Grossteil der bestehenden ­geschützten Struktur musste erneuert werden, damit das Gebäude den statischen Anforderun­ gen entspricht», sagt Salvador. Zu den Mass­ nahmen gehörten die Pfählung und Verstärkung der Fundamente. «Weiter musste die statische Struktur verstärkt werden durch den Teilersatz von Stützen und Deckenabschnitten an gleicher Stelle und unter Beibehaltung des bestehenden architektonischen Ausdrucks», erläutert die ­Projektleiterin. ze Schan ngrab en Hintergrund Sihlbrück e Zwei Jahre dauerte der Bau des Geschäfts­ hauses an der Sihlporte. Das war 1929, der Erbauer Otto Streicher (1882–1945). Neben diesem denkmalgeschützten Bau stammen weitere Zürcher Gebäude aus der Feder des deutschen Architekten. Allen voran die Sied­ lung Sihlfeld von der Allgemeinen Baugenos­ senschaft Zürich (ABZ). Sie gilt als wichtige Zeugin des Zürcher Genossenschaftsbaus und steht unter Denkmalschutz, auch wegen der Malereien von Wilhelm Hartung. Otto Streicher war auch als Kommunal­ politiker bekannt. Während des Zweiten Welt­ kriegs war er in Konzentrationslagern inter­ niert und starb 1945 im KZ Auschwitz. (ka) ➣ A 0 Die Gebäuderückseite liegt direkt am Schanzengraben. Hinten rechts das Hallenbad City. 16 baublatt Nr. 23, Freitag, 8. Juni 2012 Neue Stützen verbessern die Statik im Gebäude. Über dem EG wird eine neue Decke eingezogen (schraffiert). Nr. 23, Freitag, 8. Juni 2012 5 10 15 m Welches waren die konstruktions­technischen Herausforderungen? Die schwierigste Konstellation hat sich daraus ergeben, dass die vorhandenen Ingenieurdetailpläne nicht der Ausführung entspro­ chen haben und so ein Grossteil unserer Bemühungen, konstruk­ tiv nur die notwendigsten Strukturen ergänzen oder wenig ersetzen zu müssen, nicht durchgehalten werden konnte. Sie sind selbst aktiv in der Denkmalpflege. Woher rührt Ihr Interesse am Thema? Durch meine langjährige Tätigkeit in den Denkmalpflegekommis­ sionen des Kantons und des Bundes, sind mir diese Verhaltens­ muster vertraut. Wesentlich scheint mir, dass heutzutage die ­Volumen der Gebäude ursprünglich erlebbar werden, originale ­Materialien erkennbar bleiben, aber nicht jedes Detail original­ getreu erhalten werden muss. Die Neuzeit hat ebenfalls ihre ­Berechtigung weiter zu denken, weiter zu stricken, weiter zu bauen. Ein Gebäude ist eine sich ständig verändernde Materie. (ka) baublatt 17