Bild: Betty Fleck / Museum für Gestaltung Zürich, ZHdK Das Toni-Areal nach der Transformation: Zeitgemässe Architektur auf historischer Bausubstanz. Eco-Bau-Tagung Transformation ist mehr als Umnutzung Wie man ein Areal nachhaltig umgestaltet, konnten die Teilnehmer der Eco-Bau-Tagung im Zürcher Toni-Areal wortwörtlich spüren: Die Tagungslokalität ist zugleich Prototyp einer gelungenen Transformation – auch wenn dafür einiges zerstört werden musste. Von Patrick Aeschlimann T agungen sind normalerweise, trotz Referenten aus der Praxis, eine ziemlich theoretische Angelegenheit. An der diesjährigen Eco-Bau-Tagung, die der namensgebende Verein für Nachhaltigkeit im öffentlichen Bau erstmals gemeinsam mit dem Netzwerk Nachhaltiges Bauen Schweiz (NNBS) durchführte, war dies anders: Der ausgebuchte Anlass zum Thema «nachhaltige Transformation von Arealen und Gebäuden» war die erste öffentliche Veranstaltung im grossen Konzertsaal des Zürcher Toni-Areals, welches die Transformation von Europas grösster Milchfabrik, die nur gerade 22 Jahre in Betrieb war, zu einem Zentrum der Bildung und Kultur eben erst hinter sich gebracht hat. Das neue «Herz von Zürich-West», wie es Monika Klingele Frey, Gebietsmanage- 4 baublatt rin für Zürich-West beim Stadtzürcher Amt für Städtebau, ausdrückte, war also Tagungsort und Anschauungsobjekt zugleich. Nachhaltigkeit nicht ohne Kultur Mit grundlegenden Überlegungen zum Thema eröffnete Angelus Eisinger, Direktor der Regionalplanung Zürich und Umgebung, die Tagung. Er zeigte eine Visualisierung der Zürcher Altstadt mit markanten Hochbauten im Hochschulquartier. «Diese Gebäude würden sicher nach aller Kunst der Nachhaltigkeit gebaut. Doch würden sie an einer solch sensiblen Stelle auch ein nachhaltiges Quartier bilden?», fragte Eisinger rhetorisch. Für ihn ist klar, dass ein Quantensprung in der Stadtentwicklung bevorsteht: In den letzten 20 Jahren konnten grosse Industriebrachen nach dem Denkmuster der «Tabula rasa» entwickelt werden. «Die Nachhaltigkeit auf solchen Arealen konnte leicht mittels Zertifizierungsprozessen, Energieeffizienz oder Zielen der 2000-Watt-Gesellschaft bemessen werden. Allerdings fallen diese Areale immer mehr weg.» Künftig müssten die klassischen Dimensionen der Nachhaltigkeit um den Faktor Kultur erweitert werden und fundamentale Lernprozesse einsetzen. Denn: «Die Nachhaltigkeit muss künftig im Bestand geschaffen werden.» Wichtig würden in Zukunft ungewöhnliche Allianzen von Akteuren, wie sie etwa beim Toni-Areal mit den Hochschulen, der Stadt und der Eigentümerin Allreal geschmiedet wurde. Einen ergänzenden und durchaus plakativen Input lieferte Martin Hitz, NNBS-Präsident und Nr. 16, Freitag, 17. April 2015 BRANCHE Vom Joghurt im Glas zu Studenten Zerstört wurde auch bei der Transformation des Toni-Areal einiges: Von den Produktionsanlagen der ehemaligen Milchfabrik, mit denen bis zu einer Million Liter Milch pro Tag verarbeitet wurden, bis zu den Nachtclubs aus den Zeiten der Zwischennutzung. «Tabula rasa» fand aber nicht statt, denn die bis zu zehn Meter hohen Räume und grosszügigen Grundrisse der Fabrik passen gut in die neue Nutzung als Kultur- und Bildungszentrum. «Weiterentwicklung aus der Geschichte heraus», nennt dies Monika Klingele Frey. Für Armin Isler, der für die damalige Besitzerin Zürcher Kantonalbank (ZKB) für das Areal verantwortlich war, war es eigentlich gar kein Gebäude, sondern ein «Tragwerk mit Fassade». Kein Wunder war man nach der Einstellung der Produktion in der Molkerei 1999 etwas ratlos, was man mit dieser enormen, industriell genutzten Fläche inmitten eines sich rasant entwickelnden Stadtteils anfangen sollte. Es geisterten einige Visionen umher, vom Kongresszentrum bis zum Start-Up-Cluster Technopark 2. Ein kurzfristiger Verkauf stand zur Debatte, aber man fand niemanden, der das risikoreiche Investment wagte. Schliesslich entschied sich die ZKB dafür, das Areal langfristig zu entwickeln und so seinen Marktwert zu steigern. «Wir haben damals einfach mal geschaut, was es zwischen Hauptbahnhof und Toni-Areal so alles gibt. Das war vor allem Bildung, Kreativität und Kultur. Daraus entstand die Idee, dies alles auf dem grossen Areal zusammenzuführen», sagte Isler. 2005 beschloss der Zürcher Regierungsrat, die Hochschule für Gestaltung und Kunst mit der Hochschule Musik und Theater zur neuen Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) zu fusionieren und auf dem Toni-Areal zusammenzuführen. Später kamen noch Teile der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW) dazu. Daraufhin führte die ZKB einen begleiteten Studienauftrag durch. Das Siegerprojekt stammt vom Zürcher Architekturbüro EM2N, das sich gegen sechs Konkurrenten durchgesetzt hatte. 2007 übernahm das Immobilienunternehmen Allreal das Areal samt Projekt. Und damit auch einige Probleme, wie sie bei einem Projekt dieser Grössenordnung fast unausweichlich sind. So verzögerte sich die Eröffnung um rund ein Jahr. Christof Zollinger von EM2N nannte, in attraktive Begegnungszonen zu verwandeln. Es musste Tageslicht in ehemals düstere Lagerräume gelangen. Dies wurde mittels einer spektakulären Perforation erreicht, aus dieser sich fünf grosszügige Lichthöfe ergaben. Um die durch diesen radikalen Akt verlorenen Flächen zurückzugewinnen, wurde verdichtet, indem in die hohen Hallen Zwischendecken eingezogen wurden. Um die Verdichtung zu vervollständigen, wurde danach gleich noch aufgestockt: Im Flachbau um ein Geschoss, im Hochbau gar um zwölf Etagen. Dort entstanden Mietwohnungen, die erwartungsgemäss nicht ganz günstig sind, wie ein Blick auf die Website des Komplexes zu Tage fördert: Die preiswerteste, eine 2,5-Zimmer-Wohnung mit 66 m2, kostet 2740 Franken im Monat, die 4,5-Zimmer-Wohnung mit 149 m2 im obersten Geschoss kann für monatlich 5720 Franken bewohnt werden. «Wichtig war für uns die Wiedererkennbarkeit des Gebäudes», so Zollinger. Schliesslich steht auf dem Toni-Areal eines der wenigen Gebäude von Zürich-West, die bereits vor dem Bauboom dort standen. «Durch die Milchfabrikation und die beliebte Zwischennutzung hatte das Gebäude auch bereits eine Identität, die wir natürlich unbedingt bewahren wollten», erklärte der Architekt. Dazu gehörte auch die Erhaltung der markanten Rampe in Richtung Förrlibuckstrasse. Eigentlich ist das Gebäude «nur» ein Haus in der Stadt – wenn auch ein sehr grosses. «Was wir an Nutzungsansprüchen erhalten haben, entspricht aber eher einer Stadt im Haus», meinte Zollinger schmunzelnd. Zum Glück ver- fügt das Gebäude über rund 3000 Räume. Als Planungsinstrument diente den Architekten der «innere Urbanismus». Sinnbildlich für diese Maxime ist die grosszügige Eingangshalle, die als Begegnungszone konzipiert ist: «Da das Gebäude praktisch die ganze Fläche des Areals besetzt, fehlt draussen der Raum für einen zentralen Platz. So dient die Eingangshalle als eine Art Piazza im Innern des Gebäudes.» Ein anderes Element dieses inneren Urbanismus ist die grosszügige Kaskadentreppe, die alle Geschosse des Flachbaus miteinander verbindet und so durch das Erschliessungssystem des Gebäudes eine Hierarchie formt. Wie nahezu alle räumlichen Elemente ist auch die Kaskadentreppe vielfältig wandelbar: Sie dient als Aufenthaltsort und kann ebenso als Ausstellungs-, Konzert- und Eventlokalität verwendet werden. «Wir haben in der Planungsphase meist in Quartieren, Plätzen, Strassen und Gassen gedacht und erst ganz zum Schluss in Räumen», sagte Zollinger. Ob diese Transformation auch nachhaltig ist, wird erst die Zukunft zeigen. «Die Nachhaltigkeit der Grossmolkerei ist mit der wirtschaftlich sinnvollen Integration des kompletten Gebäudes in die neuen Nutzungsformen bewiesen», sagte Zollinger. «Ich bin sehr gespannt, was mit unserem Projekt in 30 oder 40 Jahren passiert. Ich hoffe einfach, ich muss es dann nicht mehr planen», meinte der Architekt zum Schluss lächelnd. Schwieriges Basel Aus den Lehren des Megaprojekts auf dem ToniAreal können auch andere ArealtransformationsBild: Allreal Direktor Bau und Immobilien bei der Migros Ostschweiz: «Transformation ist mehr als Umnutzung. Sie hat immer auch etwas mit Zerstörung zu tun, diese ist aber durchaus schöpferisch». Die Stadt im Gebäude Es galt, Grossraumbüros aus den 70er-Jahren in Plätze des kreativen Schaffens umzuwandeln, ein Tiefkühllager in Werkstätten und Ateliers zu transformieren und «Nicht-Räume», wie es Architekt Nr. 16, Freitag, 17. April 2015 So sah das Gebäude früher aus: Auf dem Bild von 2008 sind noch die ehemals emblematischen Elemente Kamin und Milchmann sichtbar. baublatt 5 BRANCHE projekte profitieren. An der Eco-Bau-Tagung war etwa auch das Dreispitz-Areal in Basel und Münchenstein ein Thema. Martin Weis, Leiter Abteilung Immobilien bei der Christoph-MerianStiftung, der das Land gehört, ist allerdings wenig optimistisch, was eine ganzheitliche Planung über das rund 50 Hektaren grosse Areal betrifft, das einen Kilometer hinter dem Bahnhof Basel SBB beginnt. Einst als Materiallagerplatz geplant, ist es heute ein wichtiges Gewerbegebiet im Grossraum Basel. Einzelne Projekte wie der Innovationsraum Transitlager konnten realisiert werden. Einer ganzheitlichen Planung stehen allerdings die politischen Realitäten im Weg: Eine gemeinsame Planung von zwei Kantonen, die das Heu nicht immer auf der gleichen Bühne haben, sowie der Gemeinde Münchenstein, ist wohl eine zu grosse Hypothek für das ambitionierte Projekt. Für den Kanton Basel-Stadt ist dies doppelt bitter, ist er doch zwischen Landes- und Kantonsgrenzen eingepfercht und bereits äusserst dicht besiedelt. Das behindert die drittgrösste Schweizer Stadt in ihrer Entwicklung stark. Ansonsten war die Stimmung an der Eco-BauTagung optimistisch. Alleine schon die Tatsache, dass eine Tagung zum Thema nachhaltige Transformation von Arealen und Gebäuden eine Vielzahl von Planer, Architekten sowie Vertreter der Baubranche an einen Ort lockt, stimmt die Verantwortlichen von Eco-Bau und NNBS positiv. Nun liegt es an ihnen, den guten Absichten in der Praxis auch Taten folgen zu lassen. ■ Auf dem Toni-Areal ist wieder Leben eingekehrt dent scheint mit dem Zusammensetzen seiner Tuba noch etwas überfordert. Hier trifft alte Bausubstanz auf neu erbaute Teile, was spannende Raumübergänge ermöglicht. Spätestens beim Besuch des Musikclubs «Mehrspur» ist der Dachkantine-Nostalgiker dann mit dem neuen Toni-Areal versöhnt: Das schmucke Lokal bietet am Abend Livemusik und Parties. Tagsüber dient es als beliebtes Café und Übungslokal für Bands und Formationen. Was auffällt: Die zwei Hochschulen, die auf dem Areal angesiedelt sind, leben zwei verschiedene Kulturen. Im Flachbau, dem Teil der Kunsthochschule ZHdK, scheint die Atmosphäre unter den Studierenden etwas lockerer, freier zu sein als in den unteren Geschossen des Hochbaus, wo die angehenden Psychologen und Sozialarbeiter der Fachhochschule ZHAW ausgebildet werden. In der grosszügigen Bibliothek treffen die beiden Kulturen dann genauso aufeinander wie auf der grosszügigen Dachterrasse mit dem Panoramablick auf das sich momentan ständig wandelnde Zürich-West. Mit Blick auf die Hochhauslandschaft um den EscherWyss-Platz vergisst man fast, dass man sich in der beschaulichen Schweiz und nicht in einer globalen Metropole befindet. Plötzlich sticht eine enge Wendeltreppe ins Auge, die so gar nicht mit dem grosszügigen Korridor korrespondieren will. «Bei einem Rundgang der Architekten in der Endphase des Umbaus stellten diese fest, dass an diesem Ort die Treppe in der Planung vergessen ging», weiss Bruno Schulthess, Gesamtleiter Toni-Areal beim Hochbauamt des Kantons Zürich. Blöd nur, dass aufgrund der vielen Änderungen während der Bauphase ein Projektänderungsstopp verhängt wurde. Kurzerhand haben die Architekten die Treppe dann einfach als Geschenk deklariert, damit sie dennoch gebaut werden konnte. Das Nutzungsverhalten der Studierenden gibt ihnen Recht, die Treppe wird rege genutzt. Bevor es wieder an die Tagung im grossen Konzertsaal geht, dringt plötzlich liebliche Opernmusik in die Ohren. In einem Mittelstock der Kaskadentreppe haben sich ZHdK-Studenten eingefunden, die ein Opernstück proben. Interessierte Zuhörer haben sich an den umliegenden Tischen und auf der Treppe eingefunden. An diesem Punkt realisiert man definitiv, dass das Konzept des Toni-Areals funktioniert. Ein überraschend vielfältiges, lebendiges Stück Kunst und Kultur inmitten der Bankenstadt Zürich. So machen Kontraste Spass. (aes) Bilder: Patrick Aeschlimann Am 12. September 2014 wurde das Toni-Areal nach fünfjähriger Bauzeit eingeweiht. Noch immer trauern viele Zürcher den Clubs Dachkantine, Tonimolkerei und Rohstofflager nach, die in den Nullerjahren aus der Zwischennutzung heraus die kreativen Taktgeber des Nachtlebens in der Zwinglistadt waren. Diesen Menschen sei ein Besuch in den öffentlich zugänglichen Räumlichkeiten empfohlen. Denn das Areal ist wieder mit Leben gefüllt. Schon der weitläufige Eingangsbereich ist belebt. Studierende suchen ihre Vorlesung, Museumsbesucher frequentieren das neue Schaulager des Museums für Gestaltung. In der Cafeteria vermischen sie sich mit Passanten. Der Rundgang führt an einem voll ausgestatteten Kino vorbei ins Tonstudio, wo eben die Einstellungen für eine Aufnahme durchgeführt werden. In zahllosen Werkstätten entstehen Bühnenbilder, Kunstwerke, Gebrauchsgegenstände. Im Untergeschoss sind die musikalischen Übungsräume angesiedelt. Trotz mangelndem Tageslicht sind sie alle besetzt. Wie in einem überdimensionalen Setzkasten fühlt sich der Besucher. Da spielt einer vertieft auf seinem Cello, während nebenan eine junge Dame vor einem Spiegel an ihrem Gesang feilt. Ein junger Stu- Diese Treppe ging beim Bau erst vergessen und wurde dann von den Architekten geschenkt. 6 baublatt Der weitläufige Eingangsbereich des Toni-Areals beherbergt auch das neue Museum für Gestaltung. Viel zu entdecken: Hier proben Schüler der ZHdK in einem Zwischengeschoss eine Oper. Nr. 16, Freitag, 17. April 2015