Editorial - BIOspektrum

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Editorial
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Vogelgrippe – ein nationales
Forschungsprogramm ist gefordert
왘 Die Vogelgrippe verschwindet nicht mehr
aus den Schlagzeilen. Nachdem sich das
H5N1-Virus in Asien dauerhaft eingenistet
zu haben scheint, droht jetzt auch ähnliches
an den Grenzen Europas. Die Frage, ob sich
dieser Tierseuchenerreger zu einem Virus
entwickeln kann, das zu einer Influenzapandemie beim Menschen führt, hat an Aktualität gewonnen.
Phylogenetische Untersuchungen haben
gezeigt, dass die derzeitigen Erreger von einem H5N1-Virus abstammen, das 1996 bei
Gänsen in der Provinz Guandong in China
isoliert wurde. Dieses Virus hat sich jedoch
in der Zwischenzeit stark verändert, da eine ganze Reihe von Genen durch Reassortierung mit anderen Influenzaviren, die alle
bei Vögeln ihren Ursprung hatten, ausgetauscht wurden. Hinweise für eine „Humanisierung“ durch Genaustausch mit einem
menschlichen Influenzavirus gibt es somit
bislang nicht. Allerdings wurden bei einigen
Isolaten Aminosäureaustausche in der Nähe
der Rezeptorbindungsstelle des Hämagglutinins beobachtet, die zu Veränderungen in
der Antigenität und in der Wirtsspezifität
dieser Viren führen könnten. Solche Mutationen verdienen besondere Aufmerksamkeit, da sie im Prinzip in der Lage sind, die
Wirksamkeit potenzieller Impfstoffe zu beeinträchtigen und die Übertragbarkeit auf
den Menschen zu fördern. Beunruhigend
sind auch Mutationen, die zur Resistenzentwicklung gegen antivirale Substanzen geführt haben. So hat Adamantanamin bereits
bei allen derzeitigen H5N1-Isolaten seine
Wirksamkeit verloren, während in einigen
Fällen darüber hinaus auch Resistenz gegen
den Neuraminidasehemmer Oseltamivir beobachtet wurde. Insgesamt muss festgestellt
werden, dass die derzeitigen H5N1-Viren sicher ein hohes pandemisches Potenzial besitzen. Die Ursachen hierfür liegen in der rapiden Ausbreitung der Erreger bei Vögeln,
der sich daraus ergebenden gesteigerten Exposition der menschlichen Bevölkerung insbesondere unter den Lebensbedingungen
Südostasiens, der nachgewiesenen Übertragbarkeit des Erregers auf den Menschen
und andere Säuger, der hohen Pathogenität
für den Menschen sowie dem fehlenden Immunschutz in der menschlichen Bevölkerung. Allein die Ineffizienz der Übertragung
von Mensch zu Mensch scheint bislang einer Pandemie im Wege gestanden zu haben.
Angesichts der drohenden Pandemiegefahr haben die WHO und die Gesundheitsorganisationen vieler Länder eine Reihe von
Maßnahmen empfohlen, die jetzt zügig in
die Tat umgesetzt werden müssen. Zu diesen Pandemieplänen gehört zunächst die
Überwachung von Influenzainfektionen bei
Mensch und Tier. Von entscheidender Bedeutung wird es sein, menschliche Infektionsketten so früh wie möglich zu erkennen, wobei die Bekämpfungsmaßnahmen
dann zunächst auf die Ausbruchsherde konzentriert werden müssen.
Eine zentrale Rolle spielt weiterhin das
Impfwesen. Generelles Ziel ist es hier, möglichst schnell große Impfstoffmengen gegen
einen neuen Erreger herzustellen. Dabei
muss man im Auge behalten, dass das
H5N1-Virus nicht der einzige Erreger ist,
von dem eine Influenzapandemie ausgehen
kann. Auf den neuen Erreger wird man sich
deswegen durch die Erstellung von Impfstoffbibliotheken für alle Hämagglutininund Neuraminidase-Subtypen sowie auf die
Entwicklung von Pilotimpfstoffen gegen
Subtypen mit hohem pandemischen Potenzial (H2, H5, H7, H9) vorbereiten müssen.
Ein weiteres Problem besteht in der Langsamkeit und Ineffizienz der konventionellen Methoden zur Impfstoffherstellung. Hier
werden also neue Strategien entwickelt werden müssen, die in der Anwendung von reverser Genetik, Lebendimpfstoffen, Zellkulturimpfstoffen und neuen Adjuvantien
zu suchen sind. Darüber hinaus müssen die
bestehenden Produktionskapazitäten erheblich erweitert werden. Kritisch gesehen
werden muss allerdings die vielfach erhobene Forderung nach Massenherstellung und
Einlagerung einer menschlichen H5N1-Vakzine zum jetzigen Zeitpunkt. Angesichts der
Unberechenbarkeit eines neuen Erregers ist
zu befürchten, dass man mit dem H5N1Virus das falsche Ziel im Visier hat und so der
finanzielle Aufwand in keinem Verhältnis
zum Nutzen steht.
Dagegen ist die Vorratshaltung von antiviralen Substanzen, insbesondere von Neuraminidasehemmern, ohne Zweifel geboten.
Die Wirksamkeit der Neuraminidasehemmer ist nachgewiesen, auch wenn das relativ
enge Anwendungsfenster vor und nach Infektionseintritt ein Handicap darstellt. Darüber hinaus müssen wegen der sich bereits
deutlich abzeichnenden Resistenzentwicklung neue antivirale Substanzen entwickelt
werden.
Von großer Wichtigkeit ist die Bekämpfung der Influenza bei Tieren. Neben der
Vernichtung infizierter Bestände gewinnt
auch hier zunehmend die Impfung an Be-
deutung. Offensichtlich kann es sich in diesem Fall nur um einen spezifischen H5N1Impfstoff handeln. Die Vorbehalte gegen eine pandemische H5N1-Vakzine gelten hier
nicht.
Schließlich ist es dringend erforderlich,
das pandemische Potenzial aviärer Influenzaviren berechenbarer zu machen. Die Identifizierung von molekularen Markern für eine zuverlässige Risikoabschätzung wäre ein
entscheidender Durchbruch. Detaillierte
Kenntnisse der Interspeziestransmission,
Wirtsadaption und Pathogenese zugrunde
liegenden Mechanismen, die wir bislang nur
in Ansätzen haben, sind hier unumgänglich.
Die USA und das Vereinigte Königreich haben dieses Forschungsdefizit erkannt und
mit neuen Förderprogrammen darauf reagiert. In der Bundesrepublik gibt es an verschiedenen Orten einzelne Laboratorien, in
denen international gut ausgewiesene Influenzavirusforschung betrieben wird. Die
Bündelung und der Ausbau dieser Aktivitäten durch ein umfassendes Forschungsprogramm auf nationaler Ebene ist ein Gebot
der Stunde.
Hans-Dieter Klenk,
Institut für Virologie, Philipps-Universität
Marburg
BIOspektrum · 1/06 · 12. Jahrgang
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