JACQUES KAUFMANN «Structures de boue

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JACQUES KAUFMANN
«Structures de boue»
Kunsthalle Wil, 12. November bis 30. Dezember 2000
Jacques Kaufmann
Le Marteret
F-74270 Frangy
Tel./Fax: 0033-(0)450322178
1954
1984-86
1994-95
seit 1994
Geboren am 8. Juni in Casablanca, Marokko
Wohnt und arbeitet seit 1963 in Genf und seiner Umgebung
Leiter des Projektes «Action Céramique», Ruanda
Direktor des Centre d'Arts Appliqués, Genf
Professor an der Ecole d'Arts Appliqués de Vevey, Vorsteher der Abteilung «Terre»
Einzelausstellungen (Auswahl)
1991
«Hymen et Métamorphoses», Salle Crosnier, Palais de l'Athénée, Genf
1993
«Opening Night», Centre d'Art en l'Ile, Genf
1995
«Nowhere-Now Here», Maison de la Céramique, Mülhausen
1996
Museum Bellerive, Zürich
Musée d'Art Contemporain de Dunkerque
1997
«Matière à penser», Galerie M.L.Wirth, Zürich
«Project Room», Galerie M. Gass, Basel
1998
«Structure de boue I», Galerie Andata/Ritorno, Genf
2000
«Structures de boue II», Kunsthalle Wil
2001
«the song of ice and fire», Savitaipale, Finnland
Forum de Meyrin et Halles de l'Ile, Genf
Musée de Sarreguemines, Frankreich
Gruppenausstellungen (Auswahl)
1996
Musée des Beaux-Arts de Saga, Japan
Total Museum for Contemporary Arts, Seoul, Korea
«Ephémères», Ecole d'Arts Appliqués, Vevey
«Du matériau à l'espace», Maison de la Céramique, Mülhausen
1997
«praying», Biennale Beer-Sheva, Israel
«sculpture pénétrable», Mostra de Castellamonte, Italien
«Skulptur Heute», Galerie Wirth, Hochfelden
«à l'enseigne de l'Art contemporain», Frac Alsace, Sélestat
«20 ans d'artistes», Salle Crosnier, Genf
1998
Creative Integration Center, Villa Eksternet, Belgien
«Séparation», Bataille de Grauholz, Bern
«les nouveaux plaisirs des objets …», Musée des Arts Décoratifs, Lausanne
«la forme du vide», Hotel de Région, Montpellier
«Terres et architectures», Maison de la Terre, Dieulefit
«Vertige, vestige», Musée des Azulejos, Lissabon
1999
«Pénétrable», Musée Ariana, Genf
«Noir», Musée des Arts Décoratifs, Lausanne
«Black Church, blood & tears», Iron Bridge Museum, England
2000
«mud structures», Lappeenranta Art Museeum, Finnland
«new celadon show», Hap Gallery, Peking
Abbildungen: «Bibliothek der Erinnerung», Schiefer gebrannt, 2000
«structures de boue», Detail, Terrakotta, 2000
Unterstützt durch
© 2000 Kunsthalle Wil und Autor, Poststrasse 10, CH-9500 Wil/SG
Erdgeschichten
Im Schaffen von Jacques Kaufmann hat das keramische Material keinerlei dienende Funktion zu übernehmen. Es stellt nichts anderes dar als sich selbst, berichtet nichts anderes als von seiner eigenen,
spannungsvollen und mit uns Menschen unabdingbar verflochtenen Existenz. Mit Lehm erzählen
heisst für ihn, vor dem Hintergrund der alten Traditionen eine neue Sprache zu finden.
Nur der Künstler kann mit Backsteinen so wie das Kind mit seinen Bauklötzchen spielerisch umgehen. Kaufmann baut ohne Mörtel schräg stehende Mauern auf, die sich kurvig durchdringen. Er
schichtet die Backsteine quer auf ein Kreissegment aus Granit, so dass die Löcher sichtbar sind und
sich das Ganze als schaukelnde Mauer präsentiert. Der feste Fels, auf den man baut, wird hinterfragt
und ein ganzer Strauss von Beziehungen zwischen dem Urgestein Granit und dem gebrannten Ton
in den Raum gestellt. Dann verbindet der Künstler die Steine auch mit Zement zu runden und eckigen Skulpturen, die er mit Fräsen und Meissel überarbeitet.
Die Backsteingeschichten von Jacques Kaufmann entstanden in der Folge eines Projektes für
Ruanda, bei dem es um die Konstruktion von Häusern aus Ton und um die Produktion von
Ziegelsteinen ging. Parallel zu den ortsbezogenen und daher sowohl inhaltlich als auch stimmungsmässig ganz verschiedenartigen Installationen kreierte er Monumente aus Elementen von
unregelmässiger, erdiger Struktur. Der Backstein, als handwerklich oder industriell in Form
gebrachte Tonerde, stellt eine vielschichtige Errungenschaft der Weltkulturen dar und eröffnet als
unglaublich variables Element ein weites Feld künstlerischer Anwendungen. Der Ziegelstein, die
Ziegelsteinarchitektur ist wesentlicher Teil unserer Architekturgeschichte von den Assyrern bis
heute. Lehmgruben, aus denen das Rohmaterial gestochen wurde, gehören zu Dorf und Stadt.
Beziehungen zwischen Mensch und Erde, das Lehmhaus wie der rund gemauerte Fabrikkamin,
stehen im Raum. Nicht zuletzt wird auch die aktuelle Museumssituation angesprochen, bei der die
Architektur als Hülle für die Besucher wichtiger wird als deren Inhalt, die präsentierten
Kunstwerke. Den Backstein, das banale, einfache Alltagselement, überführt Kaufmann in seinen
Gestaltungen in den sprechenden Raum der Poesie.
Neben dem Ziegelstein, der Kaufmann als fabriziertes Fertigelement zum Bauen grosser
Installationen und zur Herstellung von Skulpturen dient, arbeitet er stets auch mit dem Rohmaterial
Lehm selbst. Die neueste grosse Gruppe seiner Arbeiten bildet in der Kunsthalle Wil die Installation
«Structures de boue». Die kruden, archaisch wirkenden Hohlkörper von unterschiedlicher Form,
Grösse und erdiger Farbigkeit lassen an am Boden ausgebreitete, natürliche Fundstücke denken. Ihre
organische Gestalt erinnert an Körperfragmente oder an Wurzelknollen. Sind es Nester einer riesigen Spezies von Lehm- oder Pillenwespen oder gar einer speziellen Schwalbenart? Der Bezug zur
wilden Natur, besonders zu den Lebewesen, die mit lehmhaltiger Erde Nester von grosser
Formenvielfalt bauen, ist gegeben. Bei genauerem Hinsehen wird die Kraft der formenden
Menschenhand spürbar, die ihre Spuren an den Körpern hinterlassen hat. Nun erzählen sie von der
Erdgeschichte, wo immense Kräfte die erkaltete Erdrinde zu hartem Gestein pressten und die Berge
aufschoben. Die eruptive, schöpferische Kraft des Erdmaterials erhält in diesen Objekten seinen
beredten Ausdruck. Der einstige Schlamm bildet als Lehm das weiche, geschmeidige Material, das
durch seine Formbarkeit die Fantasie und die Visionen der Menschen beflügelt.
In der «Bibliothek der Erinnerung», ebenfalls in Wil ausgestellt, ist das Material Schiefer zwar erhalten
geblieben, aber sein Zustand hat sich gewandelt und damit auch sein Aussehen verändert. Kaufmann
hat Schieferplatten in seinem Keramikofen gebrannt. Dabei blähen und fächern sich einzelne
Schichten auf, klappen sich die Blöcke auseinander und nehmen das Aussehen von alten, versteinerten Büchern an. Diese «Bücher» erzählen von den natürlichen Wundern, den Metamorphosen der
Erden und Gesteine durch grosse Hitze und damit von der Entstehung unserer sichtbaren Welt.
Schiefer birgt als metamorphes Gestein ehemaliger Seesedimente – wie beispielsweise am Monte
San Giorgio im Mendrisiotto – oft Fossilien vergangener Erdzeitalter. In seinen Schichten lässt sich
wie in einem gewaltigen Buch der Erinnerung die Evolution von im Wasser lebenden Tieren von bis
zu acht Millionen Jahren verfolgen. In ihrer veränderten Form, nachdem sie dem Feuer ausgesetzt
waren, berichten die Objekte von der Erde als Bewahrerin aller Lebewesen und Kulturen, deren
Spuren in ihr gespeichert sind wie in einer immensen, alles umfassenden Bibliothek. Die im Material
enthaltenen Möglichkeiten auslotend, macht Kaufmann dieses zum sprechenden Medium, das von
sich selbst, der Beschaffenheit der Welt und der formenden Kraft des Feuers Zeugnis ablegt. In seiner
Mehrschichtigkeit weckt das Material auch Erinnerungen kulturgeschichtlicher Art. So beispielsweise
an die Schiefertafel im Schulzimmer als Trägerin unzählbarer Schreibversuche und Rechnungen, die
das Wissen ganzer Generationen erscheinen und verschwinden sah. In Form der Bibliothek darf das
Erdmaterial, von allen darstellenden Aufgaben befreit, seine einmalige Geschichte aufblättern.
Seit Jahrtausenden formen Menschen das weiche, plastische Material Tonerde und lassen es im Feuer
wieder erhärten. Dadurch kehrt es in annähernd den Zustand zurück, den es als Ausgangsmaterie,
als Fels schon einmal hatte. Zwischenzeitlich haben Wasser, Wind und Wetter den Stein gesprengt,
zermalmt und pulverisiert. Er hat sich als Sediment in Seen und Flüssen abgelagert. Das ebenso tiefgründige wie unerschöpfliche Thema «Terre» erforscht Kaufmann in immer neuen Windungen. Es
sind Untersuchungen zur Vermittlung von Inhalten, die auch philosophische Aspekte miteinbeziehen
und als Geschichten im Lehm enthalten sind. Gleichzeitig verknüpft er in mannigfachen Verweisen
und Überschneidungen Erd- und Menschheitsgeschichte, Natur und Kultur. Das Lied von der Erde
ist bei Jacques Kaufmann archaisch, kraftvoll und urtümlich. Wir vernehmen das Raunen der Mythen.
Frank Nievergelt
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