„Abrissunternehmen Moderne“.

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Der folgende Artikel aus der Süddeutschen Zeitung wurde leider nicht in elektronischer
Form veröffentlicht. Daher stellen wir ihn als Abschrift zur Verfügung. Er erschien am
Donnerstag, 18. Februar 2010 auf Seite 13 unter der Überschrift:
„Abrissunternehmen Moderne“.
Prominente Bauten der Nachkriegsmoderne stehen kurz vor ihrer
Zerstörung - trotz Denkmalschutz und Nachhaltigkeitsgebot
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„Weg mit dem hässlichen Koloss!“ Wenn es um Architektur und Städtebau der
Nachkriegsmoderne geht, dann werden Stammtisch-Parolen in die Gazetten gegrölt.
Rosthaufen, Affenfelsen, Elefantenklo: Schon die Spottnamen signalisieren Unverständnis
und Abscheu. Als Fremdkörper bekämpft oder lieblos zernutzt, werden die gealterten
Gebäude endgültig als hässlich abgeschrieben. Jetzt, wo auch die immobilienwirtschaftlich
forcierte „Renaissance der Stadt“ Harmonie und Kleinteiligkeit, Simse und Erker
propagiert, scheint die Zeit der Revanche gekommen zu sein. Jetzt heißt es, die als Mörder
der alten Städte diffamierten Architekten für ihren Fortschrittsglauben zu strafen, indem
man ihre Werke eliminiert oder entstellend dekoriert. Dabei richtet sich die Aggression einer
weitgehend uninformierten, instrumentalisierten Öffentlichkeit nicht gegen die schlechte
massenbewältigende Stangenware des Bauwirtschaftsfunktionalismus, sondern gegen
Denkmale, deren architektonische Qualität, städtebauliche Integrität, soziale Verantwortung
und historische Bedeutung attestiert sind. So gerät auch die „akademische“ Denkmalpflege
ins Schussfeld der Stadtverbesserer. Jüngst sprach der ehemalige Berliner Senatsbaudirektor
Hans Stimmann der Nachkriegsmoderne wieder jede Denkmalwürdigkeit ab.
Widerspruch kommt von unerwarteter Seite. Dass die Architektenschaft ihre
verunglimpften Lehrer verteidigt, war noch zu erwarten. Aber die vielumworbenen
„kreativen Klassen“, Künstler, Fotografen, Theaterleute, entdecken im totgesagt Maroden
große Kunst. Die Berliner Oliver Elser und Andreas Muh stellen ihre Funde verblassender
und verkannter Schönheit der „Restmoderne“ unter der Adresse urbanophil.net zur
Diskussion. Eine nachgeborene Studentenschaft beginnt sich für die ästhetischen und
gesellschaftlichen Voraussetzungen der ungewohnt freizügigen Stadtanlagen zu
interessieren, Räume, in denen der Weg noch nicht von Marktstrategen bis in den letzen
Winkel vorprogrammiert wurde.
Oft kaschieren die Städte ihr mangelndes Selbstbewusstsein und ihren Größenwahn mit
blendend neuen Fassaden, für die die vernachlässigten Nachkriegserstlinge ihren
prominenten Platz räumen müssen. „Großes denken“ wollen etwa die Festspielhausfreund
unter Vorsitz von Monika Wulf-Mathies in Bonn. Der 250-jährige Geburtstag Ludwig van
Beethovens soll in einem neuen Festspielhaus gefeiert werden. Die alte Beethovenhalle von
Siegfried Wolske, 1959 vom scheidenden Bundespräsidenten Theodor Heuss und
Amtsnachfolger Heinrich Lübke eingeweiht, scheint zu bescheiden und mittlerweile zu
schäbig. Die Bonner Großunternehmen Deutsche Post AG, Deutsche Telekom AG und
Deutsche Postbank haben 140 Millionen Euro und einen hochkarätigen Wettbewerb
gestiftet.
Juriert wurden nur solche Entwürfe, die die Erhaltungsforderungen der Denkmalpflege
ignorierten: Zaha Hadid, Hermann&Valentiny, Arata Isozaki und Richard Meier. Hadids
„Kristall“ gilt allgemein als Favorit. Bonn will am Rhein Sydney spielen und der
Elbphilharmonie Konkurrenz machen. Studenten des Kunsthistorischen Instituts waren es,
die mit ihrer „Initiative Beethovenhalle“ ein öffentliches Nachdenken über Qualität,
Identität und Geschichte bewirkten. Der Oberbürgermeister Jürgen Nimptsch und sein
Stadtdirektor Volker Kregel brachten daraufhin einen alternativen Bauplatz für den HadidSolitär ins Gespräch: Neben der Telekom-Zentrale, wo das Landesbehördenhaus steht. Auch
möchte die Stadtspitze eine Bürgerbefragung durchführen. Aber soll eine Stimmmehrheit
über das Schicksal eines Bauwerks entscheiden, das im Namen der Öffentlichkeit bereits als
Denkmal geschützt wird? Wie artikuliert sich öffentliches Interesse? Gabi DolffBonekämper, eine der profundesten Denkmaltheoretikerinnen und Expertin für Architektur
der Moderne betont, dass sich um Denkmale in jedem Fall „nur“ Erbengemeinschaften
bilden. Wenn sich Studenten und Musiker, Denkmals-, Heimat- und Geschichtsvereine für
die alte Beethovenhalle stark machen und das bestehende Denkmalrecht öffentlich
affirmativ bekräftigen, welche Legitimität hat dann eine Bürgerbefragung?
Köln steuert auf eine ähnliche Befragung zu, Anlass sind die Neubaupläne für das
Schauspielhaus. Waren schon die Proteste gegen die Vernichtung des Joseph-HaubrichForums und damit eines guten Stücks Kölner Westkunst-Avantgarde mit einem jahrelang
offenen Bauloch quittiert worden, so zeigt sich die Stadtpolitik auch jetzt uneinsichtig. Das
Ensemble von Schauspielhaus und Oper, 1957 bis 1962 nach Plänen von Wilhelm Riphahn
realisiert, soll groß herausgeputzt und umgestaltet werden. Da hilft keine Eloge von Peter
Zumthor, der vor Ort und vor Publikum schwärmend beschrieb, wie „überlegt“, „bis ins
Detail fein durchdacht“ und „großzügig“ die Öffentlichkeit bildende Gesamtanlage sei. Da
helfen keine Fotos von Albrecht Fuchs und Candida Höfer, die die Sichtbetonwangen der
Werkstattpylone streicheln, das zurückhaltend elegante Schauspielfoyer umgarnen und die
Charaktere der Bühnenräume würdigen. Abgedruckt ist all das in „Liebe Deine Stadt“, einer
buchkünstlerisch überzeugenden Dokumentation des Wirkens von Merlin Bauer, einem
österreichischen Konzeptkünstler, der eine öffentliche Auseinandersetzung mit der Kölner
Nachkriegsarchitektur anregte (Greven Verlag).
Half alles nichts: Kurz vor Weihnachten entschied sich der Stadtrat, dass das
Schauspielhaus und die terrassenförmigen Werkstatttrakte nebst Gastronomie bald schon der
Vergangenheit angehören sollen, während die Oper restauriert wird. Zuletzt hatte die
Schauspielintendantin Karin Baier Einspruch erhoben und für eine Sanierung des
bestehenden Gebäudes plädiert. Der Riphahn-Bau habe eine Biographie und eine Aura, die
jeder Neubau sich erst einmal verdienen müsste (siehe SZ vom 17. Februar).
Oft sind es die Vertreter der Öffentlichkeit, die Parlamente, die sich freizügig über das
prinzipielle Erhaltungsgebot ihrer Denkmalschutzgesetze hinwegsetzen. Obwohl die
Schuldenberge landauf landab erdrückend sind, obwohl überall vom Sparen gesprochen
wird, können sich viele Politiker nicht von großmaßstäblichen Zukunftsprojekten
verabschieden. Die vernachlässigten Nachkriegsbauten denkmalgerecht zu reparieren,
halten die Repräsentanten für nicht finanzierbar. Aber die Millionensummen für den Neubau
werden als Konjunktur- und Imageprogramm schöngeredet.
So will der Niedersächsische Landtag noch in diesem Monat entscheiden, ob der
1957-1962 von Dieter Oesterlen rücksichtsvoll an das teilzerstörte Leineschloss gefügte
Plenarsaal einem gläsernen Neubau weichen soll. Die Abgeordneten wollen raus aus der
„Bunkersituation“. Ein erster Architekturwettbewerb zeigte, dass der konzentrierte Saal
elegant umgebaut werden kann. Die Sieger Kai Koch und Anne Pansen wollten sie
Rückwand des Saals zum Innenhof öffnen. Kostenpunkt: 21 Millionen Euro. Das schien
dem Bauherrn zu teuer, er ließ die Granitfassaden des Denkmals reinigen und das Gebäude
dämmen. 2009 wurde ein neuer Wettbewerb für einen größeren Plenarsaal und mehr
Parkplätze ausgeschrieben. Kostenrahmen: 45 Millionen Euro. Unabdingbar: Abriss des
Alten Plenarsaals. Soeben entschied sich die Jury für einen Glastempel mit Säulenvorhang
von Eun Young Yi aus Köln. Damit scheint der Abriss des Plenarsaals besiegelt.
Wohlgemerkt: Der Aufwand wird für vier Plenarsitzungen eines Parlaments betrieben, das
kleiner werden soll. Nachhaltig ist das nicht.
Wie baut man Vorurteile ab? Wie öffnet man die Augen für die Qualitäten der Bauten und
Stadtanlagen, die der jungen Demokratie ihr Gesicht gaben, die dem Wohlstand einer rasant
wachsenden, zunehmend mobilen und international orientierten Gesellschaft eine neue
Heimat, Bildung und Vollbeschäftigung versprachen? Forschung und Bestandsaufnahme
wie an der TU Berlin oder München sind das eine. Exzellente Fotografien, davon ist DolffBonekämper überzeugt, können für den Kunstanspruch sensibilisieren. Außerdem sollte
man jenen Gehör schenken, die in den diffamierten Gebäuden wohnen und arbeiten. Die
Bewohner der die Stadtautobahn überbrückenden Terrassenanlage an der Schlangenbader
Straße in Berlin fühlen sich dort wohl. Und die Studenten der Weimarer Bauhausuniversität
sehen überhaupt nicht ein, dass diese sorgfältig geplante Parkarchitektur der DDR-Moderne
einem neuen Bauhausmuseum weichen soll.
In Frankreich, berichtet die Denkmalpflegerin Dolff-Bonekämper, bekämen
herausragende Architekturen des 20. Jahrhunderts eine Plakette - bevor sie Denkmale
werden. Das erzeugt Aufmerksamkeit und Diskussion, auch unter den Denkmalpflegern,
die, politisch unter Druck, selbst mit Vorurteilen belastet, zögerlich neue Denkmale und
Ensembles ausweisen. Bevor die Großprojekte der sechziger und siebziger Jahre zur
Disposition gestellt werden, mahnt Ute Hassler, die zusammen mit Catherine Dumont
d‘Ayot an der ETH Zürich eine Tagung zu „Bauten der Boomjahre“ ausgerichtet hat: „Wir
könnten gezwungen sein, die Großmaschinen immer weiter zu betreiben, weil die
Ersatzinvestition für Abriss und Neubau kaum jemals von einer Generation finanzierbar sein
wird.“ Ganz zu schweigen von den Bauschuttbergen, die die Umwelt über Generationen
hinaus belasten werden.
Das sagt zwar wenig über die architektonische Qualität und den Denkmalwert der
Objekte - macht aber deutlich, dass mehr als bisher über intelligente, energieminimierende
Umbauten als über Abriss nachgedacht werden muss. Sind erst einmal der Beton saniert, die
Metallfassaden gereinigt, alle Schadstellen repariert, die Haustechnik erneuert, wird der
miesgeredete „Klotz“ nicht selten zur bewunderten Skulptur.
IRA MAZZONI
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